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Magazin für den nicht-heterosexuellen Film - Sissy

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kino<br />

kino<br />

Manchmal<br />

ist das<br />

Leben …<br />

von Paul Schulz<br />

Magischer Realismus als deutsches Kinoglück: Axel Ranisch hat nach „Dicke<br />

Mädchen“ seinen zweiten Langfilm gedreht. „Ich fühl mich Disco“ ist eine zarte,<br />

unfassbar komische und stellenweise sehr tragische Vater-Sohn-Geschichte, die so<br />

wunderbar ist, dass uns fast die Worte fehlen. Aber nur fast.<br />

Edition Salzgeber<br />

s Muttis letzte Frage: „Wann hast du eigentlich das letzte Mal Frühstück gemacht?“ Danach<br />

müssen die Jungs allein klarkommen. Das ist <strong>nicht</strong> so einfach. Denn der eine Junge ist Hanno,<br />

ein cholerischer Turmsprungtrainer Anfang 40, der auch schon mal Plastikstühle in <strong>den</strong> Pool<br />

schmeißt, wenn ihm was <strong>nicht</strong> passt, und der andere sein fetter, zartbesaiteter Sohn Florian,<br />

der es am schönsten findet, wenn Papa <strong>nicht</strong> da ist. Dann ist er mit Mama Monika allein und<br />

tanzt in einem weißen Anzug mit ihr durch die enge Neubauwohnung irgendwo im Berliner<br />

Osten, während sie beide ihrem Idol, dem Anarchoschlagersänger Christian Steiffen huldigen,<br />

der so schöne Zeilen singt wie: „Ja, ich sehne mich so sehr / nach Sexualverkehr“ und „Manchmal<br />

ist das Leben nur eine Flasche Bier“.<br />

Wenn Papa dann nach Hause kommt und herumschreit („Wie seht ihr eigentlich aus!?“),<br />

und weil Florian die „Scheiß-Simson“, die er <strong>nicht</strong> zum Geburtstag haben wollte, beim ersten<br />

Fahrversuch vor dem Olympiastadion mit Karacho gegen Hannos Auto gesetzt hat, bil<strong>den</strong><br />

Mutter und Kind eine geschlossene Front. „Du hörst halt <strong>nicht</strong>, was sich dein Sohn wünscht.“<br />

„Andere Jungs hätten sich gefreut.“ Sein Junge will aber lieber ein Klavier als einen fahrbaren<br />

Untersatz. Und ein paar andere Dinge, mit <strong>den</strong>en Hanno eher <strong>nicht</strong> so viel anfangen kann.<br />

Mit <strong>den</strong>en muss er sich plötzlich beschäftigen, als Monika <strong>nicht</strong> mehr übersetzen kann<br />

zwischen dem schwulen Tagträumer und der Bollerhete, die sie beide liebt. Hanno versucht,<br />

Florian in sein Leben mitzunehmen. Das findet hauptsächlich in der Schwimmhalle statt,<br />

in der er seinen Meisterschüler Radu zusammenscheißt, weil der besser sein könnte als er<br />

ist, „wenn er sich <strong>nicht</strong> immer so leicht ablenken ließe.“ Florian sieht in seiner Badehose aus<br />

wie ein gestrandeter Wal und wird vom Vater ins Wärmebecken verbannt, „da störst du am<br />

wenigsten“. Was ihm <strong>nicht</strong> unrecht ist, <strong>den</strong>n er will wirklich <strong>nicht</strong> stören, sondern lieber Radu<br />

zusehen. Beim Springen, beim Duschen, beim Den-Turm-wieder-hoch-Klettern. Und auch der<br />

Springer interessiert sich <strong>für</strong> <strong>den</strong> Sohn des Trainers. Wie sehr genau und warum eigentlich, ist<br />

<strong>nicht</strong> klar, auch wenn die bei<strong>den</strong> an Florian Geburtstag zusammen Schnaps klauen und trinken,<br />

Radu mit zu Mama darf und sie am Ende zusammen in einem Bett lan<strong>den</strong>. Wo Papa, der<br />

sich aus Frust mal so richtig hat zulaufen lassen, sie „erwischt“, so glaubt er je<strong>den</strong>falls.<br />

Jetzt wird es zart. Denn Hanno liebt sein Kind wirklich und glaubt nun endlich zu verstehen,<br />

was mit ihm los ist, obwohl ihn ein Video über schwulen Nachwuchs, in dem Rosa<br />

von Praunheim einen unfassbar komischen Auftritt als Sexualtherapeut hat, eher verwirrt als<br />

erleuchtet. Was dazu führt, dass er versucht, ein gemeinsames Essen mit <strong>den</strong> Jungs zu arrangieren,<br />

das <strong>nicht</strong> schiefer laufen könnte und alle Beteiligten frustriert und mit teilweise blutigen<br />

Nasen zurücklässt. Liebe ist halt <strong>nicht</strong> so einfach.<br />

<strong>Film</strong>e zu drehen, die ihr Publikum glücklich machen, auch <strong>nicht</strong>. Aber Axel Ranisch ist<br />

einer, der das kann. Das hat der 30-Jährige schon letztes Jahr mit Dicke Mädchen bewiesen,<br />

einer wirklich schönen schwulen Liebesgeschichte. Jetzt legt er noch mal eine Schippe drauf.<br />

Und das Ergebnis ist so wunderbar, dass einem fast die Worte fehlen. Weil es so persönlich ist.<br />

Ich fühl mich Disco ist offensichtlich vollgesogen mit autobiografischen Details, die Ranisch<br />

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