Magazin für den nicht-heterosexuellen Film - Sissy
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kino<br />
Festivalgänger<br />
oder Couch-Potato?<br />
Edition Salzgeber (2)<br />
rhythmisches Zentrum des Raums, Katalysator,<br />
der neue Energien freisetzt. Mühsam,<br />
nach Fehltritten und Frustrationen, wird die<br />
neue Dynamik erarbeitet: Wohin mit dem<br />
Arm in der Drehung zum Partner hin, um<br />
sich <strong>nicht</strong> selbst im Weg zu stehen? Oft bleibt<br />
die Gruppe nun abends zusammen. Cynthia,<br />
die Verheiratete, hat aus dem bürgerlichen<br />
Teil ihres Lebens die Lichterkette des abgebauten<br />
Weihnachtsbaums mitgebracht. Theo<br />
wickelt sich in die Lämpchen, lässt seinen<br />
Körper erglühen, von dem wir schon längst<br />
wissen, dass Chip ihn begehrt. Nur Chip<br />
selbst wehrt sich noch dagegen – bei <strong>den</strong> Proben<br />
zu ihrem Duo berühren sich die bei<strong>den</strong><br />
technisch, <strong>nicht</strong> als Menschen, die einander<br />
wollen, sondern als Tänzer, die das Begehren<br />
ästhetisch darstellen sollen. Theo, der Erfahrenere,<br />
weiß, dass nur die Verquickung des<br />
einen mit dem anderen zur Perfektion führt.<br />
Abends bleiben sie im Studio, um weiterzuarbeiten.<br />
Die Berührungen wer<strong>den</strong> intimer,<br />
gehen fehl – oder erreichen ihr wahres Ziel;<br />
auf Theos Anmache reagiert Chip mit einem<br />
kurzen Ausbruch von Gewalt, <strong>den</strong> Theo, nun<br />
plötzlich in der Rolle des Choreographen<br />
dieses erotischen Balletts, noch in derselben<br />
Bewegung mit einem Kuss kontert, der Chips<br />
Widerstand bricht. Erst aus der Bruchstelle<br />
heraus, die nun die Verletzbarkeit sichtbar<br />
macht, kann sich die Schönheit entfalten, auf<br />
die es beim Tanz ankommt – drei.<br />
Wachsame Menschenblicke haben die leeren<br />
Fensteraugen im Raum ersetzt. Chip tanzt<br />
allein, aber <strong>nicht</strong> isoliert, eingebun<strong>den</strong> in die<br />
Anteilnahme der anderen, verstrickt in ihre<br />
Leben. Noch wahren sie Distanz, versuchen<br />
<strong>nicht</strong>, <strong>den</strong> in der eigenen Haut eingeschlossenen<br />
Chip aus seinem Körper herauszubrechen.<br />
Mit gewohnt zusammengepressten Lippen, die<br />
einen Schrei zu unterdrücken scheinen, bewegt<br />
er sich durch <strong>den</strong> Raum, doch der, <strong>den</strong> wir jetzt<br />
tanzen sehen, ist der Mann im Mund.<br />
Die Proben folgen der strengen, oft brutalen<br />
Hierarchie, die das Streben nach vollkommener<br />
Anmut vorgibt. Sie legt Erschöpfung<br />
auf die Gesichter, belastet die Beziehungen.<br />
Rangordnungen bil<strong>den</strong> sich heraus; die<br />
Guten, die aber nie besser als talentiert sein<br />
wer<strong>den</strong>, und die nahezu Perfekten mit der<br />
explosiven Kraft ihrer pochen<strong>den</strong> Wun<strong>den</strong>.<br />
Nachts im dunklen Saal schläft Cynthia mit<br />
Anthony, dann, im plötzlich aufflammen<strong>den</strong><br />
Licht, unter <strong>den</strong> Augen des imaginären<br />
Zuschauers, der <strong>für</strong> einen Tänzer auch<br />
noch in der intimsten Bewegung anwesend<br />
scheint, fallen sie voneinander ab, zurück in<br />
ihre Rollen. Zieh dich an, befiehlt Anthony<br />
kalt, als gehöre zur vollkommenen Vision seines<br />
Tanzstücks auch die Erniedrigung.<br />
Vier. Schleppend tauchen die Körper aus der<br />
Tiefe auf, noch gebeugt vom Schmerz ziehen<br />
sie sich langsam an ihrer neuen Anmut empor,<br />
suchen nach Halt. Die Härte und Strenge,<br />
das Kämpferische und Widerspenstige ist aus<br />
ihren Bewegungen gewichen, die nun zaghafter<br />
erscheinen, zerbrochen, und in der Gebrochenheit,<br />
in der Zurückhaltung des Tastens und<br />
Suchens, so schön, leicht und geschmeidig wie<br />
nie zuvor.<br />
Selbst die markante Stimme des Sängers<br />
Scott Matthew, dessen Songs alle fünf Tänze<br />
des <strong>Film</strong>s in melancholischer Schwebe halten,<br />
droht an diesem Punkt zu kippen, ringt<br />
mit <strong>den</strong> Tänzern um Fassung. Chip findet<br />
sie wieder, indem er nun Theo selbstbewusst<br />
auffordert, mit ihm nach Probenschluss<br />
weiterzuarbeiten. Die folgende, hart an der<br />
Grenze zum Kitsch inszenierte Sexszene ist<br />
ein Bruch in der Ästhetik des <strong>Film</strong>s und eines<br />
der wenigen Zugeständnisse, die Alan Brown<br />
in seiner größtenteils getanzten Geschichte<br />
an konventionelle Sehgewohnheiten macht.<br />
Die Tanzbilder stehen <strong>für</strong> sich, haben mit<br />
ihren poetischen choreographischen Figuren<br />
<strong>nicht</strong> nur längst erzählt, dass die bei<strong>den</strong><br />
miteinander schlafen wer<strong>den</strong>, sondern auch<br />
gezeigt, wie sie es tun:<br />
Fünf. Lange hält Chip Theo fest umschlungen,<br />
der auf ihn gesprungen, regelrecht in ihn hineingestürzt<br />
ist, und nun schutzlos in seinen Armen<br />
hängt, bis Chip ihn langsam und vorsichtig<br />
ablegt; nur <strong>nicht</strong>s zerbrechen, bloß bewahren<br />
und hegen, was er liebt. Er richtet Theo auf,<br />
führend, dominant, doch mit größter Zärtlichkeit.<br />
Ihre Blicke, die <strong>den</strong> anderen erkennen und<br />
bejahen, lenken die Körper, die nun einer Kraft<br />
folgen, die stärker ist als die Regeln jeder Choreographie.<br />
Es ist der unbeholfene erste Sex, und<br />
der vollkommene Tanz.<br />
Chip gesteht Katie seine Gefühle <strong>für</strong><br />
Theo, als wollte er sich die Erlaubnis der<br />
Freundin zu seinem neuen Leben einholen.<br />
In Anthonys Abwesenheit witzelt die<br />
Gruppe über <strong>den</strong> „Boss“, ist über ihren Choreographen<br />
längst hinausgewachsen. Immer<br />
öfter lächelt Chip jetzt, reißt schließlich<br />
im Gelächter <strong>den</strong> Mund auf und würgt <strong>den</strong><br />
darin eingeschlossenen Mann in die Welt.<br />
Der maximale Punkt der Leichtigkeit ist<br />
erreicht. In diesem Zustand verbringen Chip<br />
und Theo noch eine Nacht im Studio, vielleicht<br />
die letzte vor ihrem großen Auftritt.<br />
Chip will jetzt alles wissen – über die Liebe<br />
und ihre Stolpersteine. Spielerisch treten<br />
sie in einen Wettbewerb um die beste Pirouette,<br />
werfen sich euphorisch in die Proben<br />
zu ihrem gemeinsamen Glück. Fast erwartet<br />
man nun <strong>den</strong> dramatischen Wendepunkt,<br />
<strong>den</strong> Sturz, der das hochfliegende Projekt jäh<br />
zu Fall bringt: einen verstauchten Fuß, <strong>den</strong><br />
Sehnenriss, das gebrochene Herz.<br />
Der sechste Tanz – er gehört dem Leben.<br />
Five Dances<br />
von Alan Brown<br />
US 2013, 83 Minuten, englische OF<br />
mit deutschen UT<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino in der Gay-<strong>Film</strong>nacht im<br />
November, www.Gay-<strong>Film</strong>nacht.de<br />
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