Magazin für den nicht-heterosexuellen Film - Sissy
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kino<br />
kino<br />
Liebe versetzt Berge<br />
von Ingeborg Boxhammer<br />
In <strong>den</strong> 50er Jahren reist die New Yorker Dichterin Elizabeth Bishop nach Brasilien und lernt dort die<br />
Architektin Lota kennen, von der sie im Sturm erobert wird und die ihr ein Haus zum Schreiben baut,<br />
mit Blick auf <strong>den</strong> Dschungel. Die stürmische Affäre zweier eigensinniger und erfolgreicher Frauen hat<br />
Bruno Barreto auf der Grundlage historischer Figuren und Fakten zu einer Fantasie über die Verbindung<br />
von brasilianischer Moderne und US-amerikanischer Poesie verschmolzen.<br />
pandastorm pictures<br />
Reaching For The Moon<br />
von Bruno Barreto<br />
BR 2013, 118 Minuten,<br />
englisch-portugiesische OF<br />
mit deutschen UT<br />
Pandastrom Pictures,<br />
www.pandastorm.com<br />
Im Kino in der L-<strong>Film</strong>nacht im<br />
Oktober, www.L-<strong>Film</strong>nacht.de<br />
Die geheimen Tagebücher<br />
der Anne Lister<br />
von Avshalom Caspi<br />
UK 2010, 90 Minuten,<br />
deutsche SF, englische OmU<br />
Auf DVD bei Polyband Medien,<br />
www.polyband.de<br />
Daphne<br />
von Clare Beavan<br />
UK 2008, 88 Minuten,<br />
deutsche SF, englische OmU<br />
Auf DVD bei KSM,<br />
www.ksmfilm.de<br />
s Biografische Spielfilme umgibt ein abenteuerliches<br />
Flair, <strong>den</strong>n sie bedienen gleich<br />
mehrere Erwartungen: Sie öffnen <strong>den</strong><br />
Zuschauer_innenblick <strong>für</strong> eine bestimmte<br />
Zeitspanne in der Vergangenheit, beschreiben<br />
das Leben und Lieben einer meist öffentlichen<br />
Person und interpretieren (oder erfin<strong>den</strong>)<br />
die vorliegen<strong>den</strong> historischen Eckdaten<br />
und private Details. Explizite <strong>Film</strong>biografien<br />
von Frauen, die lesbisch gelebt haben, gibt es<br />
nach wie vor zu wenige. In der Wahrnehmung<br />
des Publikums bleiben diejenigen, die neben<br />
<strong>den</strong> als relevanter behaupteten Beziehungen<br />
zu Männern auch Frauenbeziehungen hatten,<br />
oft eindimensional und heterosexuell.<br />
Der Schwerpunkt dieser Inszenierungen liegt<br />
beinah grundsätzlich auf tatsächlich gelebten<br />
oder ausgedachten <strong>heterosexuellen</strong> Beziehungen,<br />
die – mit Hilfe der scheinbar zu Fakten<br />
gewor<strong>den</strong>en Behauptungen – diese Lesart<br />
nachdrücklich zementiert. Schon weil sie dieser<br />
Ten<strong>den</strong>z entgegenwirkt, ist Reaching for<br />
the Moon eine wichtige Produktion.<br />
Biografische Spielfilme mit lesbischen<br />
Frauen im Mittelpunkt können gleichzeitig<br />
auch so etwas wie eine unterhaltsame und<br />
aufschlussreiche Geschichtsstunde sein.<br />
Vielen dieser Verfilmungen gehen Buchveröffentlichungen<br />
voraus, die eine andere<br />
Perspektive wählen als frühere biografische<br />
Publikationen. Nicht selten richtet sich dieser<br />
neue Blick zum ersten Mal auf die homosexuellen<br />
Lebensweisen der Porträtierten.<br />
So beispielsweise in <strong>den</strong> BBC-Produktionen<br />
Daphne (UK 2007, Regie: Clare Beavan), die<br />
auf dem Buch von Margaret Foster (1994)<br />
über die Schriftstellerin Daphne du Maurier<br />
(1907–1989) basiert, oder auch Die geheimen<br />
Tagebücher der Anne Lister (UK 2010, R:<br />
James Kent), über eine englische Gutsbesitzerin<br />
(1791–1840), deren erotische Texte<br />
Helena Whitbread bereits 1988 in einer entschlüsselten<br />
Version herausgab. Ähnlich verhält<br />
es sich mit biografischen Versatzstücken<br />
der US-amerikanischen Lyri kerin Elizabeth<br />
Bishop (1911–1979), die Bruno Barreto zu<br />
einer zentralen Figur seines <strong>Film</strong>s Reaching<br />
for the Moon erkoren hat. Als Pulitzer-Preisträgerin<br />
(1956) und mit zahlreichen anderen<br />
Auszeichnungen geehrt, ist die Schriftstellerin<br />
vor allem der internationalen Literaturwissenschaft<br />
ein Begriff, in deren Lesart ihre<br />
Homosexualität – wie üblich – kaum Thema<br />
war, obwohl sie bereits seit <strong>den</strong> dreißiger<br />
Jahren lesbisch lebte.<br />
In aller Munde war Bishop offenbar erst<br />
im Jahr 2011: Anlässlich des 100. Geburtstages<br />
der 1979 verstorbenen Dichterin<br />
erschienen einige Publikationen über sie,<br />
auch in Deutschland. Hierzulande fast völlig<br />
unbekannt ist bis dato die wohl große Liebe<br />
ihres Lebens geblieben: die brasilianische<br />
Architektin Maria Carlota de Macedo Soares,<br />
genannt Lota (1910–1967). Zielsicher<br />
und furchtlos erlernte sie die Baukunst im<br />
Selbststudium und schreckte bald auch vor<br />
Großprojekten <strong>nicht</strong> zurück, die sie mit Hilfe<br />
ihrer Beziehungen zur brasilianischen Elite<br />
realisieren konnte. Ihr Anfang der sechziger<br />
Jahre entworfener und umstrittener Flamengo<br />
Park, der heute als Rio de Janeiros<br />
größtes Naherholungsgebiet gilt, soll 2016<br />
Olympia-Park wer<strong>den</strong>. Ob dann vor Ort ihrer<br />
gedacht wird?<br />
Auch wenn Brett Millier als enthüllende<br />
Biografin Bishops gilt, war es Carmen<br />
L. Oliveira, die in ihrer 2002 erschienenen<br />
romanhaften Lebensgeschichte „Rare<br />
and Commonplace Flowers. The Story of<br />
Elizabeth Bishop and Lota de Macedo Soares“<br />
der Beziehung gerade dieser bei<strong>den</strong> so<br />
gegensätzlichen Frauen ein Denkmal setzte,<br />
welches die Grundlage <strong>für</strong> Barretos <strong>Film</strong><br />
darstellt. Seine Erzählung beginnt 1951, also<br />
zu einer Zeit, in der alle Beteiligten <strong>nicht</strong><br />
mehr ganz jung sind: Die Nordamerikanerin<br />
Elizabeth Bishop, längst weltweit eine<br />
bekannte und gefeierte Dichterin, besucht<br />
Mary Morse, eine alte Freundin, in der Nähe<br />
von Rio de Janeiro und verliebt sich in deren<br />
eindrucksvolle Geliebte, die temperamentvolle,<br />
aber auch dominante Lota. Aus Liebe<br />
bleibt Elizabeth in Brasilien; Lota baut ihr<br />
flugs ein Studio zum Arbeiten. Mary bleibt –<br />
nach der ersten Verzweiflung – ebenfalls auf<br />
dem märchenhaften Anwesen. Ihr gebrochenes<br />
Herz versucht Lota zu beschwichtigen,<br />
indem sie ihr – mal eben so – ein lang ersehntes<br />
Baby aus <strong>den</strong> Favelas kauft, das ab sofort<br />
zur Familie gehört. Die drei Frauen raufen<br />
sich mehr schlecht als recht zusammen und<br />
formen eine ungewöhnliche Gemeinschaft,<br />
bis Lotas enger Freund, der Journalist und<br />
Politiker Carlos Lacerda (1914–1977), 1964<br />
einen Putsch gegen <strong>den</strong> linken Präsi<strong>den</strong>ten<br />
João Goulart (1919–1976) unterstützt. Während<br />
Lota in Goulart das Gespenst des Kommunismus<br />
<strong>für</strong>chtet, verteidigt Elizabeth<br />
demokratische Prinzipien – und reist zurück<br />
in ihre Heimat, um dort Literatur-Vorlesungen<br />
zu halten. Leider wird – wie <strong>nicht</strong> selten<br />
– <strong>den</strong> politischen Überzeugungen der<br />
Frauen <strong>nicht</strong> sonderlich viel Aufmerksamkeit<br />
geschenkt. Die staats- und gesellschaftspolitische<br />
Situation Brasiliens in <strong>den</strong> fünfziger<br />
und sechziger Jahren bildet lediglich <strong>den</strong><br />
künstlerischen Rahmen, vor dem sich eine<br />
mitreißende Liebesgeschichte abspielt.<br />
Mit der malerischen Naturkulisse<br />
erscheint die enthusiastische Lota verschmolzen,<br />
während sie dort gleichzeitig wie ein<br />
explosives Gemisch agiert und wegsprengt,<br />
was ihr im Weg ist. Sie gehört als gebildete<br />
und vermögende Journalistentochter zur<br />
brasilianischen Oberschicht und nimmt sich,<br />
was sie haben will. Glória Pires spielt diese<br />
Lota mit Verve und flirrender Energie, der<br />
die reservierte und scheue Elizabeth schon<br />
bald erliegt. Die Australie rin Miranda Otto,<br />
spätestens bekannt seit ihrer Rolle als kämpferische<br />
Eowyn auf <strong>den</strong> Schlachtfeldern in<br />
Herr der Ringe – Die zwei Türme (2002), interpretiert<br />
die Dichterin als dünnhäutig und<br />
zerbrechlich, deren gallige Ausbrüche nur im<br />
angetrunkenem Zustand statffin<strong>den</strong>.<br />
Vielleicht ist es <strong>nicht</strong> nur Lotas Zügellosigkeit,<br />
sondern gerade das ungetrübte<br />
Selbstvertrauen, mit dem Lota ihre architektonischen<br />
Pläne und Werke präsentiert, das<br />
bei der einsam wirken<strong>den</strong> Elizabeth heiße<br />
Lei<strong>den</strong>schaft entflammt. Elizabeth scheint<br />
<strong>den</strong> Wert ihrer eigenen Arbeiten <strong>nicht</strong><br />
ermessen zu können, quält sich lange mit<br />
Formulierung und Versmaß, bis ein Gedicht<br />
endlich steht. Viel zu oft lässt sie sich von<br />
ihrem chauvinistischen Freund Robert<br />
Lowell (fehlbesetzt mit einem zu „anständig“<br />
wirken<strong>den</strong> Treat Williams) kritisieren<br />
und maßregeln. Elizabeth, labil in ihrem<br />
Selbstwertgefühl und voller Zweifel, die sie<br />
regelmäßig in Alkohol ertränkt, äußert hier<br />
ebenfalls zaghafte Skrupel: Sie ist sich <strong>nicht</strong><br />
sicher, ob sie es ihrer Freundin Mary antun<br />
kann, ihr die Geliebte auszuspannen. „Aber<br />
zu was <strong>für</strong> einem Leben soll das führen“,<br />
gibt Lota zu be<strong>den</strong>ken, „wenn du Freundschaft<br />
über Liebe stellst?“ Zumindest <strong>für</strong> die<br />
<strong>Film</strong>-Elizabeth funktioniert die implizite<br />
Drohung lebenslangen Alleinseins. Ist diese<br />
Überzeugung, dass Liebe mehr wert sei als<br />
Freundschaft, der Figur der Lota inhärent<br />
oder ist sie <strong>nicht</strong> viel mehr als grundlegende<br />
Message des <strong>Film</strong>s angelegt? Einerseits<br />
dient dieses Motto in der Konsequenz dazu,<br />
eine lesbische Liebesgeschichte und damit<br />
auch lesbisches Verlangen mit <strong>heterosexuellen</strong><br />
Liebesdramen auf eine Stufe zu stellen,<br />
sie genauso zu behandeln und austauschbar<br />
in Szene zu setzen. Das kann als Verdienst<br />
angesehen wer<strong>den</strong>. Andererseits manifestiert<br />
Barreto gleichzeitig eine oft als Weisheit<br />
kolportierte Annahme, dass Freundschaft<br />
im Zweifel zurückstehen müsse<br />
und zwischen ehemals Verliebten ohnehin<br />
unmöglich sei. Die zweifach verschmähte<br />
Mary rächt sich auf ihre Weise und wird<br />
zur einsamen Verliererin. Wenn sich die von<br />
ihren Liebsten Verlassene gemein verhält, ist<br />
ihr Verlassen-Sein <strong>für</strong> das Publikum in Ordnung.<br />
Wie gemein die Liebe ist, scheint egal,<br />
<strong>den</strong>n mit ihr ist alles erlaubt.<br />
Das, was Bruno Barreto <strong>nicht</strong> differenziert,<br />
ist der maßgebliche Unterschied zwischen<br />
Liebe und Verlangen, die er hier aneinander<br />
gekoppelt begreift. Denn Lota verliert<br />
<strong>nicht</strong> ihre Zuneigung zu Mary, sondern folgt<br />
ihrem Begehren, nun ausschließlich auf<br />
Elizabeth gerichtet. Verlangen und Besitzansprüche<br />
sind es schlussendlich, an <strong>den</strong>en das<br />
Glück zerbricht.<br />
s<br />
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