Firestone Wilderness 9/2000 - Reifenpresse.de
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Markt + Marketing<br />
<strong>Firestone</strong> <strong>Wil<strong>de</strong>rness</strong>:<br />
Wie Rufer in <strong>de</strong>r Wüste - Ohnmächtig<br />
angesichts <strong>de</strong>r angefachten Massenhysterie<br />
Z um zweiten Mal in ihrer Firmengeschichte<br />
ist <strong>Firestone</strong> zu einem Reifenrückruf<br />
in Nordamerika gezwungen. Ging es<br />
vor 22 Jahren um <strong>de</strong>n Rückruf von 14 Millionen<br />
Reifen „F 500“, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Hersteller an<br />
<strong>de</strong>n Rand <strong>de</strong>s Ruins brachte, so geht es heute<br />
um <strong>de</strong>n Rückruf von bis zu 6,5 Millionen<br />
SUV-Reifen. Betroffen sind ATX, ATX II und<br />
<strong>Wil<strong>de</strong>rness</strong>-Reifen ausschließlich <strong>de</strong>r Größe P<br />
235/75 R 15, von <strong>de</strong>nen etwa zwei Drittel<br />
über die Erstausrüstung <strong>de</strong>r Ford-Fahrzeuge<br />
Explorer und Ranger in <strong>de</strong>n Markt gekommen<br />
sind. Die Muttergesellschaft Bridgestone<br />
hat bereits rund 350 Millionen US-$ zurückgestellt<br />
und <strong>de</strong>n prognostizierten Gewinn in<br />
Höhe von <strong>de</strong>utlich mehr als einer Milliar<strong>de</strong><br />
Dollar für das laufen<strong>de</strong> Jahr entsprechend<br />
reduziert. Ob es dabei bleibt, ist zweifelhaft.<br />
Im prozess-wütigen Amerika wer<strong>de</strong>n unter<br />
<strong>de</strong>r Flagge <strong>de</strong>s Verbraucherschutzes segeln<strong>de</strong><br />
Anwaltsfirmen das Unternehmen mit<br />
einem Rattenschwanz von Prozessen über-<br />
ziehen. Diese Kosten sind von <strong>de</strong>n zurückgestellten<br />
350 Millionen noch nicht erfasst. Welcher<br />
Scha<strong>de</strong>n dabei nicht allein <strong>de</strong>m Unternehmen,<br />
son<strong>de</strong>rn möglicherweise <strong>de</strong>r ganzen<br />
Branche entstehen kann, bleibt abzuwarten.<br />
Der Wert <strong>de</strong>r Marke <strong>Firestone</strong> hat in <strong>de</strong>n USA<br />
jedoch bis heute schon enorm gelitten,<br />
obwohl es bis zum heutigen Tage keinen<br />
Beweis dafür gibt, dass die Reifen, um die sich<br />
in <strong>de</strong>r öffentlichen Diskussion alles dreht, fehlerhaft<br />
waren. Man wird wohl auch sagen<br />
müssen, dass das Management in <strong>de</strong>n USA<br />
eigentlich von Anfang an keine wahrhaftige<br />
Chance hatte, optimal auf die Krise reagieren<br />
zu können. Die Krise kam zwar nicht über<br />
Nacht, aber <strong>de</strong>r Reifenhersteller hatte erstens<br />
schon mit Rücksicht auf seinen Großabnehmer<br />
Ford vorsichtig zu agieren und war natürlich<br />
zweitens daran interessiert, die Krise von<br />
<strong>de</strong>r Marke <strong>Firestone</strong> nicht auf die Marke Bridgestone<br />
überspringen zu lassen. Es ist klar<br />
gewor<strong>de</strong>n, dass es nur zwei Sorten von Rei-<br />
fenherstellern gibt: Die einen hatten bereits<br />
einen <strong>de</strong>saströsen Rückruf zu verkraften, <strong>de</strong>n<br />
an<strong>de</strong>ren steht er noch bevor.<br />
Es ist vielleicht so etwas wie Ironie <strong>de</strong>s<br />
Schicksals: Eine durch <strong>de</strong>n bis dahin größten,<br />
zu<strong>de</strong>m auch noch erzwungenen, Reifenrückruf<br />
<strong>de</strong>r Geschichte weidwund geschlagene<br />
<strong>Firestone</strong> Tire & Rubber Corporation war in<br />
<strong>de</strong>n 80er Jahren gezwungen, ein paar Reifenwerke<br />
an Bridgestone verkaufen zu müssen,<br />
bis es schließlich zum großen Showdown<br />
1988 zwischen Pirelli/Michelin auf <strong>de</strong>r einen<br />
und Bridgestone auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite kam,<br />
bei <strong>de</strong>m die Japaner die Oberhand bei <strong>de</strong>r<br />
europäisch-japanischen Schlacht um die<br />
Übernahme von <strong>Firestone</strong> behielten. Mit viel<br />
Energie und Milliar<strong>de</strong>n Dollar-Investitionen ist<br />
es <strong>de</strong>m Bridgestone-Konzern dann gelungen,<br />
alle <strong>Firestone</strong>-Werke von Grund auf zu sanieren<br />
und zu mo<strong>de</strong>rnisieren. Alles, was im Bridgestone-Konzern<br />
abläuft, trägt uneingeschränkt<br />
das Siegel „state of the art“. Der Kon-
Yoichiro Kaizaki<br />
zernslogan „Qualität ist unser Pass“ ist im<br />
Markt anerkannt. Run<strong>de</strong>rneuerer auf <strong>de</strong>r ganzen<br />
Welt bestätigen täglich mit ihrer gezielten<br />
Nachfrage nach Bridgestone-Karkassen<br />
die Qualität <strong>de</strong>s Herstellers. Im Formel-1-Sport<br />
vertrauen Schumacher, Häkkinen und Co. auf<br />
Bridgestone-Reifen; im „Indy-Rennen“ rast<br />
Juan Pablo Montoya mit seinen Kollegen mit<br />
Geschwindigkeiten um die 350 Stun<strong>de</strong>nkilometer<br />
und noch schneller stun<strong>de</strong>nlang im<br />
Kreis auf <strong>Firestone</strong>-Reifen, die unglaublichen<br />
Belastungen standhalten.<br />
Ein unerwünschtes „Geschenk“ zum<br />
100. Geburtstag<br />
Den hun<strong>de</strong>rtjährigen Geburtstag eines Konzerns<br />
feiert man nicht an einem einzigen Tag.<br />
So sollte eigentlich das Jahr <strong>2000</strong> ein einzigartiges<br />
Feierjahr in allen Teilen Amerikas und<br />
zu allen <strong>de</strong>nkbaren Anlässen sein. Das ist nun<br />
aus und vorbei. Mit <strong>de</strong>r Akquisition von <strong>Firestone</strong><br />
hatte sich Bridgestone 1988 mit einem<br />
Schlag zum Global<br />
Player aufschwingen<br />
können, musste allerdings<br />
dafür auch ein<br />
Vermögen bezahlen.<br />
Bridgestone-Chef Yoichiro<br />
Kaizaki schaffte<br />
mit harter Hand <strong>de</strong>n<br />
Turnaround in Nordamerika<br />
als damaliger<br />
Chef <strong>de</strong>r größten<br />
Tochtergesellschaft <strong>de</strong>s Konzerns. Seither entwickelte<br />
sich Bridgestone/<strong>Firestone</strong> USA sehr<br />
gut, mit sprunghaften Umsatz- wie Ertragssteigerungen.<br />
Kaizaki (67), <strong>de</strong>ssen berufliche<br />
Karriere in ein bis zwei Jahren auslaufen wird,<br />
vermutlich wird er dann aber als Chef in <strong>de</strong>n<br />
Aufsichtsrat wechseln, war auf <strong>de</strong>m Weg zu<br />
einem großen persönlichen Triumph, <strong>de</strong>nn die<br />
Ankündigungen <strong>de</strong>s<br />
Managements schienen<br />
sich zu bewahrheiten:<br />
Im laufen<strong>de</strong>n Jahr<br />
sollte <strong>de</strong>r Nettogewinn<br />
auch wegen <strong>de</strong>s sehr<br />
guten Geschäfts in<br />
Nordamerika über eine Milliar<strong>de</strong> Dollar hinausgehen.<br />
Das hatte vor ihm im Reifengeschäft<br />
noch kein Kollege geschafft. Und jetzt die<br />
Ernüchterung: Obskure „Reifenplatzer“ auf<br />
amerikanischen Highways bei Geschwindigkeiten<br />
zwischen 100 und 130 km/h stürzen das<br />
Unternehmen in eine tiefe Krise! Der Traum,<br />
eine Milliar<strong>de</strong> US-Dollar als Nettogewinn zum<br />
Anfang <strong>de</strong>s Jahrtausends präsentieren zu können,<br />
ist ausgeträumt. Schlimm genug, aber<br />
<strong>de</strong>nnoch ist das erwähnenswert: Welcher Reifenkonzern<br />
könnte mehr als 700 Millionen<br />
Mark zurückstellen und bedauern, damit sei<br />
etwa ein Drittel <strong>de</strong>s Gesamtgewinns perdu.<br />
Doch was ist jetzt passiert?<br />
Das Produkt<br />
Kaizaki (67) war auf <strong>de</strong>m Weg zu<br />
einem großen persönlichen Triumph ...<br />
Im laufen<strong>de</strong>n Jahr sollte <strong>de</strong>r Nettogewinn<br />
auch wegen <strong>de</strong>s sehr guten<br />
Geschäfts in Nordamerika über eine<br />
Milliar<strong>de</strong> Dollar hinausgehen. Das<br />
hatte vor ihm im Reifengeschäft noch<br />
kein Kollege geschafft.<br />
Es geht ausschließlich um eine einzige Reifengröße:<br />
P 235/75 R 15 mit <strong>de</strong>n Profilen<br />
ATX, ATX II und <strong>Wil<strong>de</strong>rness</strong> AT-Reifen <strong>de</strong>r<br />
Marke <strong>Firestone</strong>, die hauptsächlich auf <strong>de</strong>n<br />
Ford-Mo<strong>de</strong>llen Explorer und Ranger in <strong>de</strong>r<br />
Erstausrüstung montiert wor<strong>de</strong>n sind. Ford<br />
hatte in einigen südamerikanischen, asiatischen<br />
und arabischen Län<strong>de</strong>rn vor einigen<br />
Monaten schon diese Mo<strong>de</strong>lle zurückgerufen<br />
und unter an<strong>de</strong>rem die <strong>Firestone</strong>-Reifen vorsichtshalber<br />
gegen an<strong>de</strong>re ersetzt mit <strong>de</strong>r<br />
Begründung, Autofahrer neigten auf<br />
Wüstenbö<strong>de</strong>n dazu,<br />
<strong>de</strong>n vorgeschriebenen<br />
Luftdruck zu unterschreiten,<br />
um auf Sand<br />
besser fahren zu können.<br />
Das könne zu<br />
„Platzern“ geführt<br />
haben. Das hat Argwohn<br />
geweckt und zu<br />
weiteren Recherchen<br />
Dritter geführt. Die<br />
Aussagen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n betroffenen Hersteller<br />
wur<strong>de</strong>n schlagartig in einem gänzlich neuen<br />
Licht gesehen: Bei <strong>de</strong>r amerikanischen Sicherheitsbehör<strong>de</strong><br />
NHTSA (National Highway Traf-<br />
Es geht um eine einzige Reifengröße:<br />
P 235/75 R 15 mit <strong>de</strong>n Profilen ATX,<br />
ATX II und <strong>Wil<strong>de</strong>rness</strong> AT-Reifen <strong>de</strong>r<br />
Marke <strong>Firestone</strong><br />
Markt + Marketing<br />
fic Safety Administration) waren bis En<strong>de</strong><br />
August etwa 270 Beschwer<strong>de</strong>n aktenkundig.<br />
Es soll zu 80 Unfällen mit Personenschä<strong>de</strong>n,<br />
davon zu 40 mit To<strong>de</strong>sfolgen auf <strong>de</strong>n hier in<br />
Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n Rei-<br />
fen gekommen sein.<br />
Eine Ford-Untersuchung<br />
soll ergeben<br />
haben, dass Reifen aus<br />
<strong>de</strong>r <strong>Firestone</strong>-Fabrik<br />
Decatur/Illinois zehn<br />
Mal öfter betroffen waren als Reifen aus an<strong>de</strong>ren<br />
<strong>Firestone</strong>-Fabriken. Es han<strong>de</strong>lte sich ausschließlich<br />
um Laufflächenlösungen und stets<br />
waren Län<strong>de</strong>r mit beson<strong>de</strong>rs heißen klimatischen<br />
Wetterbedingungen ganz beson<strong>de</strong>rs<br />
betroffen. Das führte gleich zu Spekulationen,<br />
weil die Fabrik in Decatur/Illinois 1994 und<br />
1995 heftig bestreikt wor<strong>de</strong>n war und <strong>de</strong>r<br />
Konzern mit neu angestellten Arbeitern die<br />
Produktion aufrecht erhielt. Aber man spekulierte<br />
auch dahingehend, es könne sich<br />
wegen <strong>de</strong>r Laufflächenlösungen bei starker<br />
Hitze doch um einen Produkt- bzw. Konstruktionsfehler<br />
han<strong>de</strong>ln. Offenbar gibt es<br />
dann noch, wie die Erfahrung aus ähnlichen<br />
Vorgängen in an<strong>de</strong>ren Konzernen zeigt, auch<br />
stets unzufrie<strong>de</strong>ne Mitarbeiter, die noch eine<br />
alte Rechnung mit ihrem Arbeitgeber offen<br />
haben. Sechs frühere Mitarbeiter, die während<br />
<strong>de</strong>s Streiks das Unternehmen in Decatur<br />
verlassen mussten, sahen jetzt ihre große<br />
Stun<strong>de</strong> gekommen und dienten als Zeugen<br />
in einem Prozess gegen <strong>Firestone</strong>, in <strong>de</strong>m sie<br />
behaupteten, Endkontrollen seien oft nicht<br />
vorgenommen wor<strong>de</strong>n. Doch sie mussten<br />
sich dann je<strong>de</strong> Menge Anweisungen vorhalten<br />
lassen, die gegeben wor<strong>de</strong>n waren und<br />
sich mit Gegenbeweisangeboten von <strong>Firestone</strong><br />
auseinan<strong>de</strong>rsetzen. Seit 1996 wird die hier<br />
in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> Reifendimension zu<strong>de</strong>m<br />
nicht mehr in Decatur produziert, son<strong>de</strong>rn<br />
heutzutage zu einem Teil in Bridgestones Vorzeigewerk<br />
Aiken/South Carolina sowie in weiteren<br />
<strong>Firestone</strong>-Fabriken in <strong>de</strong>n USA. Ford<br />
erklärte ausdrücklich, mit <strong>Firestone</strong> weiter<br />
zusammen arbeiten zu wollen und man habe<br />
volles Vertrauen in die Qualität und in die Produkte<br />
von <strong>Firestone</strong>. Die Untersuchungen <strong>de</strong>r<br />
NHTSA sind noch nicht abgeschlossen, ein<br />
Produktfehler ist <strong>Firestone</strong> nicht nachzuweisen<br />
und doch hat <strong>de</strong>r Konzern, wohl auch angetrieben<br />
durch Ford, sich zu <strong>de</strong>m „freiwilligen<br />
Rückruf“ entschlossen. Aber auch dies gehört<br />
zum Tatbestand: Alle Problemfälle mit <strong>Firestone</strong>-Reifen<br />
ereigneten sich ausschließlich auf<br />
“WHEREVER WHEELS ARE ROLLING ...<br />
NEUE ReifenZeitung 9/<strong>2000</strong> www.reifenpresse.<strong>de</strong><br />
25
Ford-Fahrzeugen. <strong>Firestone</strong> war im Grun<strong>de</strong><br />
einziger Reifenlieferant für dieses Mo<strong>de</strong>ll. In<br />
<strong>de</strong>r Decatur-Fabrik produzierte Reifen müssen<br />
sich auf min<strong>de</strong>stens schon vier Jahre alten<br />
Explorer-Fahrzeugen<br />
befun<strong>de</strong>n haben. Auf<br />
an<strong>de</strong>ren Fahrzeugen,<br />
zum Beispiel auch General<br />
Motors, waren<br />
Ausfälle nicht zu verzeichnen. Und das macht<br />
die Vorgänge umso suspekter: Ford-Chef Jacques<br />
Nasser hat in einem Zeitungsinterview<br />
mit USA Today bestätigen müssen, dass vor<br />
Monaten zum Beispiel in Venezuela (wo es<br />
bekanntlich keine Wüsten gibt) aus Anlass <strong>de</strong>s<br />
Rückrufes nicht allein die Reifen ausgetauscht<br />
wor<strong>de</strong>n sind, son<strong>de</strong>rn zugleich auch technische<br />
Än<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>r Aufhängung bzw.<br />
Fe<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Fahrzeugs selbst vorgenommen<br />
wor<strong>de</strong>n waren. Doch Nasser wiegelte<br />
gleich ab und bezog es ausschließlich auf<br />
Venezuela und die dortigen ganz beson<strong>de</strong>ren<br />
Verhältnisse. Ob hier das letzte Wort gesprochen<br />
wor<strong>de</strong>n ist, bleibt fraglich. Diskussionen<br />
via TV haben schon begonnen.<br />
Hür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Rückruf-Plans<br />
<strong>Firestone</strong> hat seit 1991 rund 50 Millionen ATX,<br />
ATX II und <strong>Wil<strong>de</strong>rness</strong>-Reifen hergestellt,<br />
davon circa 14 Millionen in <strong>de</strong>r beanstan<strong>de</strong>ten<br />
Dimension, wovon noch bis zu 6,5 Millionen<br />
Reifen auf <strong>de</strong>n Straßen sein könnten. Die Entscheidung<br />
zum Rückruf und zur Abwicklung<br />
fiel klar aus:<br />
• Alle Reifen wer<strong>de</strong>n, unbescha<strong>de</strong>t ihres<br />
Zustands o<strong>de</strong>r ihrer Restprofiltiefe, gegen<br />
neue <strong>Firestone</strong>- o<strong>de</strong>r Bridgestone-Reifen ausgetauscht.<br />
• Sollte ein Verbraucher bei<strong>de</strong> Marken nicht<br />
akzeptieren, können auch Wettbewerbsreifen<br />
montiert wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r ersten Phase<br />
wur<strong>de</strong> sodann versucht, <strong>de</strong>n Rückruf über<br />
Alle Problemfälle mit <strong>Firestone</strong>-<br />
Reifen ereigneten sich<br />
ausschließlich auf Ford-Fahrzeugen.<br />
die Han<strong>de</strong>lskette von Bridgestone/<strong>Firestone</strong><br />
sowie über weitere knapp<br />
3000 Ford-Händler, die sich<br />
auch mit Reifen beschäftigen,<br />
abzuwickeln, aber es wur<strong>de</strong><br />
schnell klar, dass dies allein nicht<br />
ausreichte.<br />
• Um <strong>de</strong>n Rückruf managen zu können,<br />
fiel die Entscheidung, mit <strong>de</strong>r<br />
Aktion in Kalifornien, Texas, Arizona<br />
und Florida, wo 80 Prozent aller Vorfälle verzeichnet<br />
wor<strong>de</strong>n sind, zu beginnen, um<br />
danach – etwa ab Oktober - in <strong>de</strong>n Südstaaten<br />
Alabama, Georgia, South Carolina, Nevada<br />
und an<strong>de</strong>ren Staaten fortzufahren. Und erst<br />
in einem dritten Schritt sollten <strong>de</strong>r Nor<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
USA und Kanada abgearbeitet wer<strong>de</strong>n.<br />
Bei allen Untersu-<br />
chungen hatte sich<br />
zu<strong>de</strong>m auch gezeigt,<br />
dass Überladungen<br />
und nicht ausreichen<strong>de</strong>r<br />
Luftdruck mit im Spiel waren. Autos wie<br />
<strong>de</strong>r Ford Explorer wer<strong>de</strong>n weniger als kleine<br />
Lastwagen genutzt, son<strong>de</strong>rn als schnelle und<br />
oftmals überla<strong>de</strong>ne Familienkutschen. Wer einmal<br />
auf amerikanischen Highways gefahren ist,<br />
erlebt immer wie<strong>de</strong>r, von diesen schweren und<br />
schnellen „großen<br />
Pkws“ überholt zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Und auch ein weiterer<br />
Punkt ist richtig:<br />
Verbraucher kümmern<br />
sich in aller Regel nicht<br />
um ihre Reifen. Selbst wenn Nägel eingefahren<br />
sind, geschieht nichts und im Falle eines<br />
„Platten“ wird repariert, wenn es <strong>de</strong>nn sein<br />
muss im Hinterhof. Gera<strong>de</strong> unzureichend<br />
reparierte Reifen befan<strong>de</strong>n sich unter <strong>de</strong>n<br />
„Beweisstücken“. Doch diese Hinweise kamen<br />
in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit gar nicht gut<br />
an, son<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong>n als Versuch<br />
gewertet, die Schuld an „Platzern“<br />
zum Teil <strong>de</strong>n Autofahrern<br />
in die Schuhe schieben<br />
zu wollen. Aus Verbrauchersicht:<br />
Sollten die Opfer<br />
zu Tätern gemacht wer<strong>de</strong>n?<br />
Mag <strong>de</strong>r Hinweis auf <strong>de</strong>n<br />
stets richtigen Reifenluftdruck<br />
als solcher richtig und<br />
berechtigt sein, er kam aber zur<br />
Unzeit. Die Entscheidung, be-<br />
stimmten Bun<strong>de</strong>sstaaten Priorität Firehawk ATX<br />
einräumen zu wollen, war ein noch<br />
weitaus schwerwiegen<strong>de</strong>rer taktischer Fehler.<br />
26 www.reifenpresse.<strong>de</strong><br />
Die Entscheidung, bestimmten<br />
Bun<strong>de</strong>sstaaten Priorität einräumen zu<br />
wollen, war ein schwerwiegen<strong>de</strong>r<br />
taktischer Fehler.<br />
Vielleicht nicht unter juristischen, wohl aber unter<br />
Marketing-Gesichtspunkten. Der General-<br />
Staatsanwalt von South Carolina ließ sich sofort<br />
öffentlich vernehmen, <strong>de</strong>r Asphalt in seinem<br />
Staat sei in <strong>de</strong>n Sommermonaten so heiß wie in<br />
keinem an<strong>de</strong>ren Staat und er for<strong>de</strong>rte <strong>Firestone</strong><br />
auf, „unverzüglich“ auch South Carolina auf <strong>de</strong>n<br />
ersten Rang zu setzen und die Bewohner <strong>de</strong>s<br />
Staates nicht zu Verbrauchern zweiter Klasse zu<br />
<strong>de</strong>gradieren. Da <strong>Firestone</strong> nicht prompt o<strong>de</strong>r<br />
auch nur nicht prompt genug reagierte, will er<br />
<strong>de</strong>n Hersteller nun mittels Gerichtsentscheid<br />
zwingen, sofort zu han<strong>de</strong>ln und für je<strong>de</strong>n Fall<br />
<strong>de</strong>r Zuwi<strong>de</strong>rhandlung min<strong>de</strong>stens 5.000 US-$<br />
als Strafe zahlen lassen. Autofahrer im kälteren<br />
Detroit waren konfus und konnten sich nicht<br />
erklären, warum sie einer Zwei-Klassen-Gesellschaft<br />
angehören sollten. Aufgebrachte Mütter<br />
empörten sich so lautstark als seien sie gezwungen,<br />
ihre Kin<strong>de</strong>r auf einer ticken<strong>de</strong>n Zeitbombe<br />
spazierenfahren zu müssen. Bei Licht besehen<br />
ist <strong>Firestone</strong> in diesem Punkt nur Opfer eigener<br />
Offenheit und Ehrlichkeit gewor<strong>de</strong>n. Ein Reifenrückruf<br />
in dieser Größenordnung muss geplant<br />
wer<strong>de</strong>n. Statt aber mit präzisen Aussagen in <strong>de</strong>n<br />
Markt zu gehen, hätte man besser daran getan,<br />
sich mit vagen Hinweisen wie „so schnell wie nur<br />
eben möglich“ o<strong>de</strong>r „mit aller Kraft und Energie“<br />
etc. aus <strong>de</strong>r Affäre ziehen<br />
sollen.<br />
Inzwischen mel<strong>de</strong>ten<br />
sich auch Senatoren<br />
zu Wort und machen in<br />
erster Linie mal für sich<br />
selbst Propaganda. Sie bringen „tiefe Besorgnis“<br />
in Briefen an <strong>de</strong>n Verkehrsminister zum<br />
Ausdruck, dieser solle <strong>Firestone</strong> veranlassen,<br />
auch die Käufer, die neue <strong>Firestone</strong>-Reifen<br />
schon vor Monaten gekauft hatten, noch bevor<br />
<strong>de</strong>r Rückruf überhaupt anstand, zu entschädigen.<br />
So genannte „Verbraucherschutz-<br />
Anwälte“ sehen ein noch größeres<br />
Geschäft auf sich und an<strong>de</strong>re zukommen.<br />
Sie weisen darauf hin, <strong>Firestone</strong><br />
habe seit 1991 insgesamt 48<br />
Millionen ATX, ATX II und <strong>Wil<strong>de</strong>rness</strong>-Reifen<br />
produziert, die nun alle<br />
vorsorglich zurückgerufen wer<strong>de</strong>n<br />
sollten, was aber sofort als Unfug<br />
und absolut unberechtigt zurück<br />
gewiesen wor<strong>de</strong>n ist.<br />
Zurück zu weiteren Hin<strong>de</strong>rnissen:<br />
Während es lange Zeit so aussah, als<br />
stün<strong>de</strong>n Ford und <strong>Firestone</strong> in dieser Sache<br />
... NO MATTER WHAT THE LOAD ...<br />
NEUE ReifenZeitung 9/<strong>2000</strong>
Markt + Marketing<br />
Schulter an Schulter, hat die Ford-Entscheidung,<br />
in Canada mehr als 200.000 Explorer-<br />
Fahrzeuge zurückzurufen, die Bemühungen,<br />
einen sorgfältig ausgetüftelten Mehr-Phasen-<br />
Plan durchführen zu können, auch noch konterkariert.<br />
Und nicht nur das: Ford hat in dieser<br />
Sache die Führung übernommen und<br />
bestimmt ganz offensichtlich, was und was<br />
wann von <strong>Firestone</strong> getan wer<strong>de</strong>n muss. Mit<br />
einem Mal präsentierte Ford <strong>de</strong>r Öffentlichkeit<br />
Unterlagen, aus <strong>de</strong>nen hervorgehen soll, dass<br />
allein Reifen aus <strong>de</strong>r Decatur-Fabrik während<br />
<strong>de</strong>s Streiks in auffallend<br />
hohem Missverhältnis<br />
betroffen sein sollen<br />
(zur Erinnerung: Seit<br />
1996 wird die in Verdacht<br />
stehen<strong>de</strong> Reifendimension<br />
aber schon<br />
nicht mehr in Decatur gefertigt) und pflichtgemäß<br />
wird hinzugefügt, man vertraue <strong>Firestone</strong><br />
weiterhin voll. Und hier ist zu erinnern: Es geht<br />
um ausgefallene <strong>Firestone</strong>-Reifen immer auf<br />
Ford-Fahrzeugen. Diese bei<strong>de</strong>n Firmen arbeiten<br />
seit hun<strong>de</strong>rt Jahren eng zusammen und<br />
<strong>de</strong>nnoch knistert es zwischen ihnen ganz<br />
gewaltig im gegenwärtigen Moment. Man<br />
wird abwarten müssen, wie sich die Dinge<br />
letztlich entwickeln wer<strong>de</strong>n. Die Fragen wer<strong>de</strong>n<br />
ja schon gestellt: Warum wur<strong>de</strong>n in Venezuela<br />
Än<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>r Aufhängung/-<br />
Fe<strong>de</strong>rn für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten und warum<br />
nicht in <strong>de</strong>n USA? Ging es tatsächlich nur um<br />
die Reifen o<strong>de</strong>r um Konstruktionsschwächen<br />
<strong>de</strong>s Fahrzeugs selbst? Ist es dieses Risiko, das<br />
Ford-Chef Nasser veranlasste, die Führung zu<br />
übernehmen und <strong>de</strong>n Zeitplan von <strong>Firestone</strong><br />
als „inakzeptabel“ öffentlich zu bezeichnen?<br />
Auch diese Aussage wur<strong>de</strong> am nächsten Tag<br />
schon von Ford-Sprechern sehr relativiert und<br />
damit quasi zurück genommen. Sie war aller-<br />
Günter F. Unterhauser<br />
Ford hat in dieser Sache die Führung<br />
übernommen und bestimmt ganz<br />
offensichtlich, was und was wann von<br />
<strong>Firestone</strong> getan wer<strong>de</strong>n muss.<br />
dings platziert, die Öffentlichkeit hatte verstan<strong>de</strong>n.<br />
Je<strong>de</strong>nfalls das verstan<strong>de</strong>n, was Ford<br />
verstehen lassen wollte.<br />
Im Falle eines so bezeichneter Recalls wird<br />
stets behauptet, man habe allein die Interessen<br />
und die Gesundheit <strong>de</strong>s Konsumenten im Sinn<br />
und man nehme bestimmte Produkte vom<br />
Markt, auch ohne dass es einen Beweis für die<br />
Fehlerhaftigkeit gegeben habe: Es gibt Vorgänge<br />
mit so gewaltigen Dimensionen, die<br />
allein <strong>de</strong>r Chef höchstpersönlich zu erledigen<br />
hat. Für <strong>Firestone</strong> sprachen aber bisher entwe<strong>de</strong>r<br />
die PR-Leute o<strong>de</strong>r<br />
Executive Vice Presi<strong>de</strong>nts,<br />
nie <strong>de</strong>r Chief<br />
Executive Officer, während<br />
bei Ford CEO<br />
Nasser selbst in <strong>de</strong>r<br />
Öffentlichkeit in<br />
Erscheinung trat und <strong>de</strong>m Reifenhersteller im<br />
Grun<strong>de</strong> das Heft aus <strong>de</strong>r Hand zu nehmen<br />
wusste, freundlich mitteilte, nicht mit <strong>de</strong>m Finger<br />
auf <strong>Firestone</strong> zeigen zu wollen und es mit<br />
dieser Aussage doch schon getan hatte. Der<br />
Grund für die Zurückhaltung <strong>de</strong>s Reifenherstellers,<br />
<strong>de</strong>n eigenen, japanischen CEO öffentlich<br />
nicht auftreten zu lassen, ist leicht zu erklären.<br />
Im Gefolge <strong>de</strong>r Akquisition von <strong>Firestone</strong><br />
durch Bridgestone hat man sowohl in <strong>de</strong>n USA<br />
als auch in Europa bei<strong>de</strong> Unternehmen fusionieren<br />
lassen und führt sie seither unter <strong>de</strong>m<br />
Namen Bridgestone/<strong>Firestone</strong>. Eine verhängnisvolle<br />
Entscheidung in Fällen wie diesen. Es<br />
liegt natürlich im Interesse <strong>de</strong>s Konzerns, die<br />
negativen Effekte, <strong>de</strong>-<br />
nen sich die Marke<br />
<strong>Firestone</strong> <strong>de</strong>rzeit ausgesetzt<br />
sieht, nicht auch<br />
noch auf die Marke<br />
Bridgestone überspringen<br />
zu lassen. Für einen<br />
Reifenrückruf 350 Millionen<br />
US-$ zur Verfügung<br />
zu stellen, ist eine, und dazu eine relativ<br />
(!) leichte Sache. Zumal dann, wenn man – wie<br />
Bridgestone/<strong>Firestone</strong> – satte Gewinne vorweisen<br />
kann. Es muss aber nun darum gehen,<br />
das Bridgestone-Markenimage nicht auch<br />
noch unnötig zu beschädigen, <strong>de</strong>nn dieses<br />
Markenimage bestimmt entschei<strong>de</strong>nd darüber<br />
mit, welchen Preis man vom Endverbraucher<br />
verlangen kann. Nicht die Fabriken als Anlagevermögen<br />
sind am wichtigsten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />
Markenwert, die Brand Equity. Dafür gibt <strong>de</strong>r<br />
Konzern im Motorsport hohe dreistellige Millionenbeträge<br />
in US-$ Jahr für Jahr aus. Das darf<br />
28 www.reifenpresse.<strong>de</strong><br />
Warum wur<strong>de</strong>n in Venezuela Än<strong>de</strong>rungen<br />
an <strong>de</strong>r Aufhängung/Fe<strong>de</strong>rn<br />
für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten und warum<br />
nicht in <strong>de</strong>n USA? Ging es tatsächlich<br />
nur um die Reifen o<strong>de</strong>r um Konstruktionsschwächen<br />
<strong>de</strong>s Fahrzeugs selbst?<br />
nicht alles gefähr<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Ein Überschwappen<br />
negativer Effekte auf die Führungsmarke<br />
Bridgestone zu verhin<strong>de</strong>rn, ist<br />
aber angesichts <strong>de</strong>s Firmennamens schon sehr<br />
schwer. Es kommt hinzu, dass die meisten Verbraucher<br />
in <strong>de</strong>n USA Bridgestone als US-<br />
Unternehmen sehen und höchst überrascht<br />
sind, wenn sie erfahren, dass es sich um ein<br />
japanisches Unternehmen han<strong>de</strong>lt. Wenn man in<br />
dieser Situation dann noch <strong>de</strong>n japanischen Chief<br />
Executive Officer von Bridgestone/<strong>Firestone</strong>,<br />
USA, in <strong>de</strong>n Kampf schickt, könnten alle Bemühungen,<br />
Bridgestone von <strong>Firestone</strong> zu separieren,<br />
vergeblich gewesen sein. Und nicht nur<br />
ein geringer Teil <strong>de</strong>r Öffentlichkeit wird dann<br />
ohnehin schnell konfus und so verführt, dass<br />
die Diskussion auf primitivstes Stammtischgeschwafel<br />
herabsinkt und es erst um Reifen,<br />
dann um Japaner, dann flott um Pearl Harbor<br />
und noch mehr geht. „Japan-Bashing“ war ein<br />
von Lee Iacocca, einst Spitzenmann bei Ford,<br />
dann Chef von Chrysler, bevorzugtes Kampfmittel,<br />
<strong>de</strong>n japanischen Konkurrenten angeblich<br />
unfaire Wettbewerbspraktiken vorhalten<br />
zu können, nicht zuletzt um von eigenen<br />
Schwächen in <strong>de</strong>r Wettbewerbsfähigkeit abzulenken.<br />
All diese Überlegungen sind natürlich auch<br />
für das <strong>Firestone</strong>-Management nicht neu.<br />
Wegen <strong>de</strong>s zunehmen<strong>de</strong>n öffentlichen Drucks<br />
<strong>de</strong>utete sich die Notwendigkeit eines Rückrufs<br />
bereits im Mai diesen Jahres an, so dass – theoretisch<br />
- ausreichend Zeit zur Verfügung stand,<br />
um gemeinsam mit auf solche Krisensituationen<br />
spezialisierten Agentu-<br />
ren <strong>de</strong>n bestmöglichen<br />
Weg vorzubereiten.<br />
Doch ein „Plan A“ o<strong>de</strong>r<br />
gar „Plan B“ ist nicht<br />
erkennbar gewor<strong>de</strong>n<br />
bis jetzt. Links und<br />
rechts <strong>de</strong>s Weges mel<strong>de</strong>n<br />
sich aber jetzt drei<br />
Mal kluge Professoren berühmter Universitäten<br />
zu Wort, die immer alles wissen und ungefragt<br />
zu allen möglichen und unmöglichen<br />
Dingen ihre professorale Sicht <strong>de</strong>r Dinge zum<br />
Besten geben. Hätte man sie gefragt, es wäre<br />
alles an<strong>de</strong>rs, besser, professioneller gelaufen.<br />
Gar nicht so wenige amerikanische Professoren<br />
sind nur ein Mal aus Amerika herausgekommen<br />
und wollten sich anschließend mit<br />
Büchern wie „Ich kenne die Welt“ verewigen.<br />
So verhält es sich auch mit Krisenmanagement-Erfahrungen<br />
von Professoren. Die einzige<br />
praktische Krisenerfahrung, die viele von<br />
... THE NAME THAT’S KNOWN IS FIRESTONE ...<br />
NEUE ReifenZeitung 9/<strong>2000</strong>
Markt + Marketing<br />
ihnen vorweisen können, ist die Panikbewältigung<br />
am frühen Morgen, wenn sie im Hotel<br />
zum Frühstück kein Müsli vorfan<strong>de</strong>n und auf<br />
etwas an<strong>de</strong>res auswei-<br />
chen mussten. Es ist<br />
schwachsinnig annehmen<br />
zu können, man<br />
könne gegen eine wild<br />
gewor<strong>de</strong>ne Presse, die<br />
alles aufnimmt und<br />
wie<strong>de</strong>r und wie<strong>de</strong>r<br />
erzählt, etwas ausrichten.<br />
Es muss neue Desaster<br />
geben, wenn <strong>de</strong>r lang ersehnte Regen<br />
die Waldbrän<strong>de</strong> in Amerika zu löschen<br />
beginnt, dann ist <strong>Firestone</strong> zusammen mit<br />
Ford, je<strong>de</strong>nfalls einstweilen, wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n<br />
Schlagzeilen heraus.<br />
Mit <strong>de</strong>m F 500 im Nacken<br />
Man muss aber immer wie<strong>de</strong>r sehen, dass es<br />
auch selbst noch Wochen nach Bekanntgabe<br />
<strong>de</strong>s Rückrufs nicht <strong>de</strong>n geringsten Beweis für<br />
die Fehlerhaftigkeit eines <strong>Firestone</strong>-Reifens<br />
gibt. Im Gegenteil: Die US-Zeitschrift Newsweek<br />
berichtete in ihrer Ausgabe vom 21.<br />
August, Ford habe zusammen mit <strong>Firestone</strong><br />
im Februar <strong>2000</strong> in Arizona die Reifen ausführlich<br />
getestet und es habe keinerlei Hinweise<br />
darauf gegeben, dass <strong>Firestone</strong>-Reifen<br />
fehlerhaft sein könnten. Warum dann <strong>de</strong>r<br />
Rückruf? War es „nur“ <strong>de</strong>r Druck durch Ford?<br />
Immerhin ist <strong>de</strong>r Ford Explorer nicht allein das<br />
am besten verkaufte Fahrzeug <strong>de</strong>s Ford-Konzerns<br />
und sorgt für Milliar<strong>de</strong>ngewinne, son<strong>de</strong>rn<br />
im Vorjahr war <strong>de</strong>r mehr als 400.000fach<br />
verkaufte Explorer auf <strong>de</strong>m ersten Platz<br />
aller verkaufter Sport Utility Vehicles.<br />
Man muß davon ausgehen, dass <strong>de</strong>m<br />
<strong>Firestone</strong>-Management das F-500-Desaster<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er Jahre je<strong>de</strong>nfalls durch immer<br />
wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong> Erzählungen sehr präsent ist.<br />
Dieser – erfor<strong>de</strong>rliche - Reifenrückruf erfolgte<br />
damals erst gezwungenermaßen und zu<br />
spät und ist damit ein phantastisches Zeugnis<br />
für fatale Management-Fehlentscheidungen,<br />
das sich aber immer noch zum Teil mit dieser<br />
Erkennntnis entschuldigen könnte: Everybody<br />
is clever with hindsight. Die heute verantwortlichen<br />
Manager wollten mit Sicherheit<br />
schon <strong>de</strong>n geringsten Anfangsverdacht vermei<strong>de</strong>n,<br />
nichts aus Fehlern <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />
gelernt zu haben, und haben <strong>de</strong>m großen<br />
Druck – vielleicht, vielleicht - zu schnell nachgegeben.<br />
Davon aber völlig abgesehen: Der<br />
Links und rechts <strong>de</strong>s Weges mel<strong>de</strong>n<br />
sich aber jetzt drei Mal kluge Professoren<br />
berühmter Universitäten zu<br />
Wort, die immer alles wissen und<br />
ungefragt zu allen möglichen und<br />
unmöglichen Dingen ihre professorale<br />
Sicht <strong>de</strong>r Dinge zum Besten geben.<br />
Gedanke <strong>de</strong>s Verbraucherschutzes hat heutzutage<br />
einen vollkommen an<strong>de</strong>ren Stellenwert als<br />
vor 22 Jahren. Ralph Na<strong>de</strong>r sei Dank. Aber alle<br />
Besserwisser <strong>de</strong>r Welt<br />
sind in <strong>de</strong>r Rückschau<br />
immer ziemlich schlau.<br />
Kurz: Und Druck gibt es<br />
immer. In <strong>de</strong>r „F 500-<br />
Affäre“ war eine Dame<br />
namens J. Claybrook,<br />
damals in Diensten <strong>de</strong>r<br />
NHTSA, die große<br />
Gegenspielerin von<br />
<strong>Firestone</strong> und selbige Dame ist heute wie<strong>de</strong>rum<br />
auf Amerikas Fernsehkanälen präsent, nunmehr<br />
allerdings in Diensten einer Verbrauchergruppe<br />
namens Public Citizens and Strategic Safety.<br />
Und in einer emotional aufgeheizten Atmosphäre<br />
kommt es nicht mehr darauf an, was<br />
man inhaltlich zu sagen weiß, son<strong>de</strong>rn viel wichtiger<br />
ist, ob man es auch via TV „smart überbringen“<br />
kann.<br />
Die Reaktionen <strong>de</strong>s Wettbewerbs<br />
Natürlich liegen Konkurrenten<br />
wie Michelin<br />
und Goodyear wie<br />
Haie auf <strong>de</strong>r Lauer.<br />
Ihnen eröffnet sich<br />
nunmehr die Chance,<br />
<strong>de</strong>m großen Konkurrenten<br />
Bridgestone/-<br />
<strong>Firestone</strong> Marktanteile<br />
abjagen zu können.<br />
Während <strong>de</strong>r Kurs <strong>de</strong>r<br />
Bridgestone-Aktie<br />
wegen <strong>de</strong>s Rückrufs<br />
um mehr als 20 Prozent einbrach, sprang die<br />
in scheinbarer Agonie befindliche Goodyear-<br />
Aktie in ähnlicher Größenordnung nach oben<br />
und auch Michelin wusste zu profitieren. Nur<br />
wenige Wochen zuvor hatte sich allerdings<br />
noch abgezeichnet, dass Bridgestone auf <strong>de</strong>m<br />
Weg war, einen Gewinn von mehr als einer<br />
Milliar<strong>de</strong> Dollar einzufahren, während das<br />
Michelin-Management eine Gewinnwarnung<br />
herausgegeben hatte und auch Goodyear<br />
eingestehen musste, mit allen Prognosen zu<br />
optimistisch gewesen zu sein und <strong>de</strong>m<br />
schlechten Jahr 1999 ein weiteres schlechtes<br />
Jahr <strong>2000</strong> folgen wer<strong>de</strong>. Dass Gibaras<br />
Gegenspieler Bill Sharp nach 34-jähriger<br />
Tätigkeit für Goodyear das Unternehmen im<br />
Juli <strong>2000</strong> abrupt verlassen musste, was im<br />
Hinblick auf <strong>de</strong>n ebenfalls unter Druck gera-<br />
30 www.reifenpresse.<strong>de</strong><br />
In <strong>de</strong>r „F 500-Affäre“ war eine Dame<br />
namens J. Claybrook, damals in Diensten<br />
<strong>de</strong>r NHTSA, die große Gegenspielerin<br />
von <strong>Firestone</strong> und selbige<br />
Dame ist heute wie<strong>de</strong>rum auf Amerikas<br />
Fernsehkanälen präsent, nunmehr<br />
allerdings in Diensten einer Verbrauchergruppe<br />
namens Public Citizens and<br />
Strategic Safety.<br />
... WHERE THE RUBBER ...<br />
tenen Goodyear-CEO Gibara als „Sam’s last<br />
shot“ o<strong>de</strong>r „General Custer‘s last stand“ in <strong>de</strong>r<br />
Branche bezeichnet wur<strong>de</strong>, fin<strong>de</strong>t schon keine<br />
Erwähnung mehr.<br />
Da aller Anlass besteht, auch einen negativen<br />
Effekt auf die gesamte Branche befürchten<br />
zu müssen, sind triumphale Züge o<strong>de</strong>r triumphale<br />
Meldungen nicht angebracht. Verbraucher<br />
und Händler wür<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>nfreu<strong>de</strong><br />
wahrscheinlich als zu primitiv ansehen und<br />
gewiss nicht honorieren. Zu<strong>de</strong>m ist je<strong>de</strong>m<br />
Hersteller durchaus bewusst, dass ihm schon<br />
morgen etwas <strong>de</strong>rgleichen passieren könnte.<br />
So stellt sich Michelin auch bloß als Helfer in<br />
<strong>de</strong>r Krise dar. Das Bridgestone/<strong>Firestone</strong>-<br />
Management (also nicht allein <strong>Firestone</strong>) habe<br />
bereits mitgeteilt, Schwierigkeiten zu haben,<br />
ausreichend Ersatzreifen in <strong>de</strong>r Kürze <strong>de</strong>r Zeit<br />
zur Verfügung stellen zu können, so dass man<br />
auf die Michelin-Alternativen hinweisen wolle.<br />
Als „All-Season Tire“ käme alternativ zu <strong>Firestone</strong><br />
<strong>de</strong>r Michelin XC LT 4, erhältlich in <strong>de</strong>n<br />
Auto-Centers <strong>de</strong>r Kaufhauskette Sears, in<br />
Betracht, während <strong>de</strong>r Michelin Select LT vorzugsweise<br />
über Wal-Mart zu beziehen sei.<br />
Und ebenso wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>zente Hinweise auf<br />
<strong>de</strong>n richtigen Reifendruck<br />
gegeben.<br />
Auch Goodyear<br />
bemüht sich mit aller<br />
Kraft um <strong>de</strong>n Verbraucher.<br />
Es sei eine schwere<br />
Zeit für die Reifenindustrie<br />
und Goodyear<br />
helfe, diese Schwierigkeiten<br />
zu überstehen.<br />
„Sind Ihre <strong>Firestone</strong>-<br />
Reifen zurückgerufen? Goodyear kann Ihnen<br />
helfen!“ heißt es dort. Die Reifen dieser einen<br />
Größe seien knapp und The Goodyear Tire &<br />
Rubber Co. hat die Produktion gleich vervielfacht,<br />
um <strong>de</strong>m Verbraucher schnell helfen zu<br />
können. John C. Polhemus, neuerdings Presi<strong>de</strong>nt<br />
Goodyear North American Tire, verspricht<br />
via Internet <strong>de</strong>m „Dear Consumer“, bei Goodyear<br />
wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>rzeit 24 Stun<strong>de</strong>n täglich an sieben<br />
Tagen gearbeitet, um die Nachfrage so<br />
schnell wie möglich befriedigen zu können. Bis<br />
dahin also bitte etwas Geduld. Festzuhalten<br />
bleibt: Goodyear bezieht sich ausschließlich auf<br />
einen Vorgang um die Marke <strong>Firestone</strong> und<br />
lässt Bridgestone unerwähnt. Wenigstens eine<br />
kleine Nettigkeit gegenüber <strong>de</strong>m Erz-Rivalen.<br />
Wer weiß, wofür es eines Tages noch gut sein<br />
kann. In Europa hat sich, so weit zu sehen ist,<br />
NEUE ReifenZeitung 9/<strong>2000</strong>
nur, dazu auch nur sehr zurückhaltend, Pirelli<br />
hervor getraut und Nettopreise für Off-Road-<br />
Reifen geboten, allerdings ohne Bezugnahme<br />
auf <strong>de</strong>n Vorgang um Ford/<strong>Firestone</strong>.<br />
Reifenhändler<br />
Die Firma Sears (die via Internet von Michelin<br />
nun als Vermarkter ihrer Reifen empfohlen<br />
wird) war eine <strong>de</strong>r ersten großen Ketten,<br />
die alle beanstan<strong>de</strong>ten <strong>Firestone</strong>-Reifen aus<br />
<strong>de</strong>m Sortiment nahm und <strong>de</strong>n Recall-Prozess<br />
damit möglicherweise stark beschleunigt hat.<br />
Etwas an<strong>de</strong>rs verhalten sich <strong>Firestone</strong>-Händler.<br />
Klar, sie sehen in diesem Recall ein<br />
Zusatzgeschäft, aber sie sind im Großen und<br />
Ganzen ziemlich loyal gegenüber <strong>Firestone</strong>,<br />
<strong>de</strong>r Marke, mit <strong>de</strong>r sie seit Jahrzehnten verbun<strong>de</strong>n<br />
sind. Momentan haben sie alle<br />
Hän<strong>de</strong> voll zu tun, um <strong>de</strong>n Rückruf zu handhaben.<br />
Allein in <strong>de</strong>r ersten Rückrufwoche sind<br />
200.000 Reifen eingesammelt wor<strong>de</strong>n. Die<br />
Händler nehmen <strong>de</strong>n Austausch vor und sind<br />
natürlich bemüht, <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n für die Marke<br />
<strong>Firestone</strong> in allen möglichen Grenzen zu halten.<br />
Das mögen sie u.a. auch <strong>de</strong>shalb tun, weil<br />
sie als <strong>Firestone</strong>-Dealer naturgemäß ein Interesse<br />
daran haben müssen, dass ihre Marke so<br />
schnell wie möglich wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Negativ-<br />
Schlagzeilen heraus kommt, aber es ist wohl<br />
auch gera<strong>de</strong> bei diesen Han<strong>de</strong>lskreisen sehr<br />
viel „Herzblut“ im Spiel, die I<strong>de</strong>ntifikation mit<br />
<strong>de</strong>r Marke ist tiefgreifend, während in Großorganisationen<br />
wie Sears nüchterne Kalkula-<br />
tionen angestellt wer<strong>de</strong>n. Diese Kette wird aus<br />
<strong>de</strong>m Recall Gewinn machen. Des einen Freud,<br />
<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren Leid. Es ist nicht nur ein billiges<br />
Kompliment für <strong>de</strong>n mittelständischen Reifenhan<strong>de</strong>l,<br />
wenn man darauf hinweist, wie<br />
schnell große Organisationen wie Sears sich<br />
in schweren Zeiten abwen<strong>de</strong>n, während Reifenhändler<br />
Partnerschaft beweisen und in<br />
Notsituationen wie dieser auch unterstreichen.<br />
Verbraucher und Verbraucher-Anwälte<br />
Amerikas Verbraucher sind nicht unvernünftiger<br />
als europäische. Sie<br />
nehmen <strong>de</strong>n Dollar<br />
bzw. <strong>de</strong>n neuen Reifen<br />
mit, wenn sie <strong>de</strong>nn können<br />
und gehen danach<br />
wie<strong>de</strong>r zur Tagesordnung<br />
über. Sie wissen:<br />
Recalls sind an <strong>de</strong>r<br />
Tagesordnung und sie sind sogar ehrenwert.<br />
Gibt es Zweifel, müssen Hersteller reagieren<br />
und zwar schnell. Das Problem sind aber nicht<br />
die Verbraucher, son<strong>de</strong>rn sich als Verbraucherschützer<br />
gerieren<strong>de</strong> Rechtsanwälte, die<br />
sich Millionen unter <strong>de</strong>n Nagel reißen wollen.<br />
Zur Erinnerung: Die Opfer <strong>de</strong>s Concor<strong>de</strong>-<br />
Absturzes in Paris waren gera<strong>de</strong> erst geborgen<br />
und noch nicht einmal beerdigt und<br />
schon gaben US-Anwälte in Berlin eine Pressekonferenz.<br />
Ein geplatzter Reifen sollte, so<br />
hieß es, <strong>de</strong>n Absturz verursacht haben und<br />
die Anwälte boten sich im Rahmen einer Pres-<br />
Das Problem sind aber nicht die<br />
Verbraucher, son<strong>de</strong>rn sich als Verbraucherschützer<br />
gerieren<strong>de</strong> Rechtsanwälte,<br />
die sich Millionen unter <strong>de</strong>n<br />
Nagel reißen wollen.<br />
... MEETS THE ROAD“<br />
Markt + Marketing<br />
sekonferenz <strong>de</strong>n Hinterbliebenen gleich als<br />
Helfer an. Es gehe nicht um <strong>de</strong>utsches o<strong>de</strong>r<br />
französisches Recht, son<strong>de</strong>rn die Tatsache,<br />
dass es sich um einen in Amerika gebauten<br />
Goodyear-Reifen gehan<strong>de</strong>lt habe, reiche aus,<br />
um <strong>de</strong>n Fall vor amerikanische Gerichte bringen<br />
zu können, die die bei weitem höchsten<br />
Scha<strong>de</strong>nsersatzsummen ausurteilten. Bis<br />
heute aber ist nicht einmal klar, welche Rolle<br />
<strong>de</strong>r Reifen gespielt haben könnte. Ein an<strong>de</strong>rer,<br />
<strong>de</strong>utscher Anwalt macht Reklame für sich<br />
selbst, in<strong>de</strong>m er behauptet, auch ein amerikanischer<br />
Staatsbürger sei ums Leben gekommen,<br />
so dass er gemeinsam mit US-Anwälten<br />
<strong>de</strong>n Fall in Amerika abwickeln wolle. Es gibt<br />
noch keinen wirklichen „Fall“, aber es gibt<br />
schon viele Anwälte, die einen daraus machen<br />
wollen und vermutlich auch machen wer<strong>de</strong>n.<br />
Deren Vorgehensweise ist nach <strong>de</strong>utschen<br />
Maßstäben höchst stan<strong>de</strong>swidrig und wür<strong>de</strong><br />
zum Ausschluss aus <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer<br />
führen; <strong>de</strong>r Tätigkeit als Rechtsanwalt<br />
wäre damit sodann ein En<strong>de</strong> gesetzt. Wenn<br />
die US-Anwälte aber einen Hinterbliebenen<br />
als Mandanten für sich gewinnen können,<br />
wird das Tamtam groß wer<strong>de</strong>n. Zunächst wird<br />
man dann vom Reifenhersteller Goodyear<br />
einige hun<strong>de</strong>rt Millionen Dollar Schmerzensgeld<br />
und Scha<strong>de</strong>nsersatz verlangen, wovon<br />
die Anwälte fast alles und die Hinterbliebenen<br />
<strong>de</strong>r Opfer sehr wenig sehen wür<strong>de</strong>n. Dann<br />
versucht man, sich in einem zweiten Schritt<br />
auf einen weitaus kleineren Betrag heimlich<br />
still und leise zu einigen. Wenn das nichts<br />
nutzt, wenn <strong>de</strong>r Fall durch die Gerichtsinstanzen<br />
gezogen wer-<br />
<strong>de</strong>n muss, wer<strong>de</strong>n die<br />
PR- und Marketingleute<br />
<strong>de</strong>r Law Firms aktiv.<br />
Je<strong>de</strong>r Analyst soll<br />
erfahren, dass dieser<br />
Konzern von erheblichenScha<strong>de</strong>nsersatzfor<strong>de</strong>rungen<br />
bedroht wird, dass es Auswirkungen<br />
auf <strong>de</strong>n Gewinn haben könnte und<br />
dass <strong>de</strong>r Aktienkurs sodann rapi<strong>de</strong> sinken<br />
könnte. Es gehört nicht viel Phantasie dazu,<br />
sich schon jetzt vorzustellen, dass <strong>de</strong>r geplatzte<br />
Concor<strong>de</strong>-Reifen <strong>de</strong>m Goodyear-Management<br />
noch viel Kopfschmerzen bereiten kann.<br />
Dass <strong>de</strong>r Reifen nur ausfiel, weil ein Fremdkörper<br />
auf <strong>de</strong>r Startbahn lag, lässt US-Anwälte<br />
nicht zum Stillstand kommen. Der einstweilige<br />
Entzug <strong>de</strong>r Betriebserlaubnis für die<br />
Concor<strong>de</strong> ist „Wasser auf die Mühlen“ <strong>de</strong>r<br />
selbst ernannten „Verbraucherschützer“.<br />
NEUE ReifenZeitung 9/<strong>2000</strong> www.reifenpresse.<strong>de</strong><br />
31
Markt + Marketing<br />
Und es gibt weitere Beispiele in Hülle und<br />
Fülle. So ist Continental General Tire gera<strong>de</strong> in<br />
diesen Wochen zur Zahlung von Schmerzensgeld<br />
in Höhe von 6,8 Millionen Dollar ver-<br />
urteilt wor<strong>de</strong>n, obwohl<br />
die Fahrerin selbst<br />
schon nach Ansicht <strong>de</strong>s<br />
Gerichts ein hohes Maß<br />
an Mitverschul<strong>de</strong>n traf;<br />
sie hatte die Fahrspur<br />
mehrfach mit hoher<br />
Geschwindigkeitsüberschreitung<br />
gewechselt,<br />
die Kontrolle über das<br />
Auto verloren, das sich<br />
sodann überschlug<br />
und die Fahrerin schwer verletzte. Der Reifenhersteller<br />
wur<strong>de</strong> verklagt, weil er angeblich<br />
keine ausreichen<strong>de</strong>n Testversuche vorgenommen<br />
habe. Das Unglück geschah 1991. Der Fall<br />
ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber es sieht<br />
so aus, als habe Continental General nur noch<br />
äußerst limitierte rechtliche Möglichkeiten und<br />
es spricht wenig dafür, dass <strong>de</strong>r Prozess fortgesetzt<br />
wird.<br />
Dunlop Nordamerika, Tochtergesellschaft<br />
von Goodyear, muß gleich 15 Millionen Dollar<br />
Schmerzensgeld an einen schwer verletzten<br />
Autofahrer zahlen (noch nicht rechtskräftig).<br />
Der Mann war zu schnell gefahren, hatte die<br />
Kontrolle über das Auto verloren, das sich<br />
In <strong>de</strong>m <strong>Firestone</strong>-Desaster haben sich<br />
nun Anwälte lautstark zu Wort gemel<strong>de</strong>t,<br />
die „es satt haben, immer nur<br />
mit Halbwahrheiten abgespeist“ zu<br />
wer<strong>de</strong>n, die „ehrliche Antworten“<br />
einfor<strong>de</strong>rn und die schließlich und<br />
endlich einfor<strong>de</strong>rn, das Unternehmen<br />
solle nicht weiter mit <strong>de</strong>n „lives of our<br />
loved ones“ spielen.<br />
sodann überschlug. Zuvor war er noch Tage<br />
vor <strong>de</strong>m schweren Unfall bei seinem Autohändler<br />
gewesen und wusste nach eigenen<br />
Angaben, dass er ein Problem mit seinem Rei-<br />
fen hatte, weil er über<br />
ein Hin<strong>de</strong>rnis gefahren<br />
war, was vermutlich zu<br />
<strong>de</strong>m Bruch von 30<br />
Stahlkabeln geführt<br />
hat, <strong>de</strong>r dann ursächlich<br />
für <strong>de</strong>n „Reifenplatzer“<br />
war. Die Rechtsanwälte<br />
hatten <strong>de</strong>n Automobilhersteller<br />
Ford, <strong>de</strong>n<br />
Ford-Händler und Dunlop<br />
auf zusammen<br />
zunächst 100 Millionen US-Dollar verklagt. Wie<br />
viel <strong>de</strong>r Schmerzensgeldsummen letztlich tatsächlich<br />
bei <strong>de</strong>n Unfallopfern „ankomme“,<br />
bleibt weitgehend unbekannt, weil die Anwälte<br />
meist auf Erfolgsbasis arbeiten und an <strong>de</strong>r<br />
Scha<strong>de</strong>nsersatzsumme aus ihrer eigenen Sicht<br />
ausreichend beteiligt sind. Zu diesem Fall:<br />
Zwar traf <strong>de</strong>n Autofahrer nach Ansicht <strong>de</strong>s<br />
Gerichts eine beachtliche Mitschuld und doch<br />
muss Dunlop 15 Millionen Dollar zahlen. Nur<br />
wegen <strong>de</strong>r Mitschuld.<br />
Mag <strong>de</strong>r rechtliche Anspruch auch oft auf<br />
dünnem Eis gegrün<strong>de</strong>t sein, so wird doch entsetzlich<br />
viel Propaganda betrieben. Die Fälle<br />
müssen in die Öffentlichkeit, müssen einen bestimmtenLästigkeitswert<br />
erzeugen und<br />
dann sind viele Hersteller<br />
oftmals schnell<br />
bereit, einem Vergleich<br />
zuzustimmen,<br />
allein mit <strong>de</strong>m Ziel,<br />
größere Negativ-Propaganda<br />
schon im<br />
Keim ersticken zu<br />
können. In <strong>de</strong>m <strong>Firestone</strong>-Desaster<br />
haben sich nun<br />
Anwälte lautstark zu<br />
Wort gemel<strong>de</strong>t, die<br />
„es satt haben,<br />
immer nur mit Halbwahrheitenabgespeist“<br />
zu wer<strong>de</strong>n,<br />
die „ehrliche Antworten“<br />
einfor<strong>de</strong>rn und<br />
die schließlich und<br />
endlich einfor<strong>de</strong>rn,<br />
das Unternehmen<br />
solle nicht weiter mit<br />
<strong>de</strong>n „lives of our<br />
loved ones“ spielen.<br />
Das ist nach unseren<br />
Maßstäben schon<br />
32 www.reifenpresse.<strong>de</strong><br />
ziemlich plump und peinlich zugleich, offenbar<br />
nicht in <strong>de</strong>n USA.<br />
An<strong>de</strong>re Anwälte wie<strong>de</strong>rum machen für<br />
sich selbst Reklame, in<strong>de</strong>m sie über ihre Prozess-Erfolge<br />
berichten. General Tire been<strong>de</strong>te<br />
einen Prozess mittels Vergleich, gefor<strong>de</strong>rt<br />
waren 25 Millionen US-Dollar. Die Vergleichssumme<br />
wur<strong>de</strong> nicht genannt.<br />
Bridgestone hatte sich auch schon zuvor<br />
verglichen und darauf bestan<strong>de</strong>n, dass keine<br />
Einzelheiten mitgeteilt wur<strong>de</strong>n. Das könnte<br />
sich nun rächen. Keinesfalls können diese Fälle<br />
als Leitbil<strong>de</strong>r gelten für weitere Abwicklungen,<br />
weil <strong>de</strong>r Reifenhersteller ja gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>swegen<br />
bezahlt hatte, um einen Imagescha<strong>de</strong>n zu vermei<strong>de</strong>n,<br />
nicht etwa wegen <strong>de</strong>s Eingeständnisses<br />
von Schuld.<br />
In einem an<strong>de</strong>ren Streit läuft noch ein Prozess<br />
gegen Michelin, und Cooper verglich sich<br />
in unbekannter Höhe mit einer Klägerin, die<br />
zuvor 3,5 Millionen US-Dollar gefor<strong>de</strong>rt hatte.<br />
General Tire soll für beanstan<strong>de</strong>te Lkw-<br />
Reifen <strong>de</strong>r Marke Yokohama, die im Werk<br />
Mount Vernon produziert wur<strong>de</strong>n, bezahlt<br />
haben. Man kann davon ausgehen, dass alle<br />
Reifenhersteller eine ganze Reihe von Prozessen<br />
im Grun<strong>de</strong> permanent zu führen<br />
haben, die Zahlen bei Herstellern wie Ford,<br />
General Motors und an<strong>de</strong>re dürften jährlich<br />
in die Hun<strong>de</strong>rte gehen. Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r <strong>Firestone</strong>-Rückruf<br />
nun in allen Wirtschaftszeitungen<br />
<strong>de</strong>r Welt - u.a. Wall Street Journal, Finan-<br />
Es gibt zwei Sorten von Reifenherstellern:<br />
Die ersten hatten bereits<br />
einen <strong>de</strong>saströsen Reifen-Rückruf und<br />
die zweiten wer<strong>de</strong>n ihn eines Tages<br />
erlei<strong>de</strong>n.<br />
cial Times, Han<strong>de</strong>lsblatt, Washington Post,<br />
New York Times sowie viele, viele an<strong>de</strong>re -<br />
umfangreich behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n ist, sollte endlich<br />
etwas Ruhe und für Bridgestone/<strong>Firestone</strong><br />
eine Atempause einkehren. Der Recall<br />
wird schnell durchgezogen und schnell verkraftet<br />
sein, die Prozessflut wird Jahre dauern<br />
und viel Geld kosten.<br />
Dass Reifenhersteller sich in <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />
in gar nicht so wenigen Fällen mit Klägern<br />
im Vergleichsweg geeinigt haben, kann<br />
nicht als Eingeständnis einer Schuld gewertet<br />
wer<strong>de</strong>n. Es hat zu tun mit <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Produzentenhaftung<br />
und <strong>de</strong>r Beweislast. Wer, um<br />
ein extremes Beispiel zu konstruieren, in diesen<br />
Tagen betrunken mit einem Ford Explorer mit<br />
weit überhöhter Geschwindigkeit und total<br />
überla<strong>de</strong>nem Fahrzeug in <strong>de</strong>n USA gegen<br />
einen Baum knallt, tut ganz gut daran zu<br />
behaupten, <strong>de</strong>r <strong>Firestone</strong>-Reifen trage Schuld<br />
daran und diesen rücke er nicht einmal zur<br />
NEUE ReifenZeitung 9/<strong>2000</strong>
Begutachtung heraus, weil <strong>de</strong>r Hersteller doch<br />
nur im Sinn habe, ein Beweisstück vernichten<br />
zu wollen. Und schon hat man einen Fall. Je<strong>de</strong>nfalls<br />
als Anwalt. Wie das geht, konnten Leser<br />
einer Tageszeitung aus <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sstaat Washington<br />
erleben. Ein verunglückter und auf<br />
<strong>de</strong>m Kopf liegen<strong>de</strong>r<br />
Explorer ist abgebil<strong>de</strong>t.<br />
Der Fahrer liegt verletzt<br />
im Krankenhaus. Hätte<br />
<strong>Firestone</strong> schneller reagiert,<br />
heißt es dort, hätte<br />
<strong>de</strong>r Unfall vermie<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n können. „Playing<br />
games with the lives<br />
of our loved ones?“ Wer<br />
Augen hatte, konnte<br />
allerdings sehen, dass<br />
<strong>de</strong>r Explorer zuvor auf<br />
Goodyear-Reifen mit Weißwandbeschriftung<br />
gestan<strong>de</strong>n hat, bevor er kopfüber liegen blieb.<br />
Also, nichts gegen Goodyear. Vielleicht war <strong>de</strong>r<br />
Fahrer einfach zu kühn, zu schnell und vielleicht<br />
auch alkoholisiert gewesen?<br />
Ist mit <strong>de</strong>n bisherigen Beispielen übertrieben<br />
wor<strong>de</strong>n? Warum? Eine Frau kauft bei<br />
McDonald‘s einen Becher Kaffee, klemmt sich<br />
diesen zwischen die Knie und fährt davon. Der<br />
Kaffee schwappt über und es kommt zu Hautverbrennungen.<br />
McDonald‘s sollte zahlen, weil<br />
sich kein Hinweisschild auf <strong>de</strong>m Becher befand,<br />
dass heißer Kaffee zu Verbrennungen <strong>de</strong>r Haut<br />
führen kann. Erstaunlich mag schon sein, dass<br />
sich Anwälte fan<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n Fall vor Gericht<br />
brachten, aber man zuckt schon fast nur noch<br />
mit <strong>de</strong>n Schultern, wenn man zur Kenntnis nehmen<br />
muss, dass die Dame von McDonald‘s ein<br />
paar Millionen Dollar erhielt. Es wur<strong>de</strong> irrtümlicherweise<br />
stets für einen Witz gehalten, wenn<br />
man <strong>de</strong>n Pu<strong>de</strong>l-Fall zitierte: Eine ältere Dame<br />
stellte ihren beim Ausgang nass gewor<strong>de</strong>nen<br />
kleinen Liebling zur Schnelltrocknung in die<br />
Mikrowelle. Dass <strong>de</strong>r Hund das Atmen einstellte<br />
und <strong>de</strong>r Lady daraufhin das Herz gebrach, führte<br />
zu einem Prozess in USA. Der Hersteller <strong>de</strong>r<br />
Mikrowelle hätte besser warnen müssen. Millionen<br />
von Dollar gegen Herz-Schmerz.<br />
Hier nun soll es überhaupt keine Mißverständnisse<br />
geben: Verbraucherschutz wird in<br />
keinster Weise in Frage gestellt. Doch man<br />
muss schon sehr genau hinsehen, wenn selbst<br />
ernannte Anwälte mit Parolen wie „playing<br />
games with the lives of our loved ones“ zu<br />
Fel<strong>de</strong> ziehen. Das ist eine grobe Unverschämtheit.<br />
Es impliziert, Manager täten einfach<br />
alles nur <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s wegen, sie nähmen<br />
sogar Tote billigend in Kauf. Kaum ein Verbraucher<br />
macht sich auch nur annähern<strong>de</strong><br />
Vorstellungen darüber, wie kompliziert es ist,<br />
einen Reifen zu bauen, wie viel an Forschung<br />
Eine ältere Dame stellte ihren<br />
beim Ausgang nass gewor<strong>de</strong>nen kleinen<br />
Liebling zur Schnelltrocknung in<br />
die Mikrowelle. Dass <strong>de</strong>r Hund das<br />
Atmen einstellte und <strong>de</strong>r Lady daraufhin<br />
das Herz gebrach, führte zu<br />
einem Prozess in USA. Der Hersteller<br />
<strong>de</strong>r Mikrowelle hätte besser warnen<br />
müssen. Millionen von Dollar gegen<br />
Herz-Schmerz.<br />
und Entwicklung Jahr für Jahr zu investieren<br />
ist und in welchem Umfang und in welchem<br />
Ausmaß das Produkt über alle Grenzen hinweg<br />
permanent getestet wird. Je<strong>de</strong>r Fachmann<br />
weiß, dass <strong>de</strong>r richtige Luftdruck von unendlich<br />
großer Be<strong>de</strong>utung ist und er weiß auch,<br />
dass sich Verbraucher<br />
darum nicht scheren.<br />
Kontrollen fin<strong>de</strong>n selten<br />
statt. Wenn aber<br />
nun <strong>de</strong>r Reifenhersteller<br />
ausdrücklich noch<br />
einmal auf <strong>de</strong>n richtigen<br />
einzuhalten<strong>de</strong>n<br />
Luftdruck hinweist,<br />
wird er gescholten,<br />
ganz so als wolle er sich<br />
damit aus <strong>de</strong>r Verantwortung<br />
ziehen und<br />
nicht, um weitere potenzielle Gefahren auszuschließen.<br />
Ohnehin wäre es in solchen Fällen<br />
weitaus besser, wenn sich die Branchenverbän<strong>de</strong><br />
dann stärker einschalteten, um <strong>de</strong>m<br />
Vorgang zumin<strong>de</strong>st zu mehr Neutralität zu<br />
verhelfen. Insofern ist es einfach wichtig zu<br />
erkennen, dass dieser „Rückruf-Fall“ nicht allein<br />
ein <strong>Firestone</strong>-Problem ist, son<strong>de</strong>rn zu einem<br />
Branchenproblem wur<strong>de</strong>. Und Branchenprobleme<br />
verlangen nach Branchenlösungen.<br />
Das <strong>de</strong>rzeitige Desaster ist noch nicht ausreichend.<br />
Selbst ernannte „Verbraucheranwälte“<br />
wollen <strong>de</strong>n Rückruf auf mehr als nur<br />
eine Reifengröße ausgeweitet und sogar 16-<br />
Zoll-Reifen von <strong>Firestone</strong> einbeziehen, nicht<br />
etwa, weil es zu Vorfällen gekommen wäre,<br />
son<strong>de</strong>rn einfach nur, weil sie auf Explorer-<br />
Fahrzeugen montiert sind. Da mag Ford-Chef<br />
Nasser sich auch gleich vernehmen lassen, so<br />
genannte Verbraucheranwälte sollten sich<br />
gefälligst heraus halten. Genau diese selbst<br />
ernannten Retter <strong>de</strong>r Verbraucher brandmarken<br />
die großen Unternehmen und ihre Führer<br />
eben als hässliche Kapitalisten, die ggf.<br />
auch über Leichen<br />
gehen, um Geld sparen<br />
zu können. Dass<br />
aber diese Anwälte<br />
eine eigene Industrie<br />
inzwischen gewor<strong>de</strong>n<br />
sind, die alles, was<br />
daher kommt, rigoros auszuschlachten bereit<br />
ist, wird übersehen. Derartige Exzesse können<br />
mit Verbraucherschutz, wie wir ihn in Europa<br />
kennen, nichts mehr gemein haben; sie<br />
kosten <strong>de</strong>n Verbraucher nur viel Geld. Ein<br />
guter Verbraucherschutz sollte damit beginnen,<br />
Hyänen, die aus <strong>de</strong>m Elend von Opfern<br />
noch Nutzen ziehen wollen, zu bekämpfen.<br />
Es gibt nach hier vorliegen<strong>de</strong>r Überzeugung<br />
kein großes Unternehmen mehr, das nicht<br />
Markt + Marketing<br />
vom Verbraucher, vom Kun<strong>de</strong>n, getrieben<br />
wäre. Es gibt kein großes Unternehmen mehr,<br />
das Verbraucherschutz auf die leichte Schulter<br />
nehmen wür<strong>de</strong>. Wer Gegenteiliges <strong>de</strong>nkt,<br />
sollte es wenigstens doch mal im Ansatz<br />
beweisen. Emotionale Anwürfe reichen dabei<br />
kaum.<br />
Insel Europa<br />
Ein guter Verbraucherschutz sollte<br />
damit beginnen, Hyänen, die aus<br />
<strong>de</strong>m Elend von Opfern noch Nutzen<br />
ziehen wollen, zu bekämpfen.<br />
Was in <strong>de</strong>n USA zurückgerufen wird, kann in<br />
Europa natürlich auch nicht einfach auf <strong>de</strong>m<br />
Markt bleiben. Einen Tag nach Bekanntgabe <strong>de</strong>s<br />
Rückrufs in <strong>de</strong>n USA haben auch die europäischen<br />
Bridgestone/<strong>Firestone</strong>-Organisationen<br />
reagiert und ebenfalls freiwillig die Reifen zurückgerufen.<br />
Doch hierzulan<strong>de</strong> ist das keine<br />
große Affäre. Es kann sich in Deutschland nur<br />
um wenige hun<strong>de</strong>rt Reifen han<strong>de</strong>ln, europaweit<br />
um theoretisch 16.000, tatsächlich wohl eher<br />
um weniger als 5.000 Stück. Betroffen sind<br />
mehr o<strong>de</strong>r weniger ausschließlich Ford-Fahrzeuge,<br />
die nicht über die Verkaufsorganisation<br />
von Ford, son<strong>de</strong>rn über <strong>de</strong>n „Graumarkt“ nach<br />
Europa gekommen sind. Das Problem wird man<br />
somit schnell in <strong>de</strong>n Griff bekommen. Und <strong>de</strong>nnoch<br />
ist <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlag in <strong>de</strong>r europäischen<br />
Presse gewaltig. Eine Zeitung bezieht sich auf<br />
die an<strong>de</strong>re. Ob „Han<strong>de</strong>lsblatt“ und „FAZ“ o<strong>de</strong>r<br />
„Süd<strong>de</strong>utsche“ wie „Die Welt“ – zum Teil wird<br />
schon zu wie<strong>de</strong>rholten Malen über ein Thema<br />
berichtet, das in Deutschland je<strong>de</strong>nfalls keines<br />
sein sollte. Doch auch hier rollt eine Welle <strong>de</strong>r<br />
Hysterie. Es han<strong>de</strong>le sich nicht um 270 offizielle<br />
Beschwer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn um 800, getötet wor<strong>de</strong>n<br />
seien 80 Menschen, 100 seien schwer verletzt.<br />
Da fliegen viele Informationen vollkommen<br />
durcheinan<strong>de</strong>r. Offenbar schreibt ein Journalist<br />
mal schnell vom an<strong>de</strong>ren ab und run<strong>de</strong>t<br />
<strong>de</strong>r guten Ordnung halber auf.<br />
Man wird nun sehen, wie sich die Aktion<br />
auf <strong>de</strong>n Ruf und das Image <strong>de</strong>r Marke <strong>Firestone</strong><br />
auswirken wird. Vermutlich, und es wäre<br />
ja auch zu hoffen,<br />
kommt <strong>de</strong>r Reifenhersteller<br />
„in good old<br />
Europe“ relativ (!!) ungeschoren<br />
davon und<br />
braucht auch keine<br />
Langzeitwirkungen zu<br />
befürchten. Was die Reifen zu leisten vermögen,<br />
sehen Millionen von Endverbrauchern<br />
alle zwei Wochen im Fernsehen, wenn Schumacher<br />
und Häkkinen ihre schnellen Run<strong>de</strong>n<br />
drehen. Der Reifenhersteller hat einfach Pech<br />
gehabt. So viel ist klar: Es gibt zwei Sorten von<br />
Reifenherstellern: Die ersten hatten bereits<br />
einen <strong>de</strong>saströsen Reifen-Rückruf und die zweiten<br />
wer<strong>de</strong>n ihn eines Tages erlei<strong>de</strong>n.<br />
klaus.had<strong>de</strong>nbrock@reifenpresse.<strong>de</strong><br />
NEUE ReifenZeitung 9/<strong>2000</strong> www.reifenpresse.<strong>de</strong><br />
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