Firestone Wilderness 9/2000 - Reifenpresse.de
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Markt + Marketing<br />
Schulter an Schulter, hat die Ford-Entscheidung,<br />
in Canada mehr als 200.000 Explorer-<br />
Fahrzeuge zurückzurufen, die Bemühungen,<br />
einen sorgfältig ausgetüftelten Mehr-Phasen-<br />
Plan durchführen zu können, auch noch konterkariert.<br />
Und nicht nur das: Ford hat in dieser<br />
Sache die Führung übernommen und<br />
bestimmt ganz offensichtlich, was und was<br />
wann von <strong>Firestone</strong> getan wer<strong>de</strong>n muss. Mit<br />
einem Mal präsentierte Ford <strong>de</strong>r Öffentlichkeit<br />
Unterlagen, aus <strong>de</strong>nen hervorgehen soll, dass<br />
allein Reifen aus <strong>de</strong>r Decatur-Fabrik während<br />
<strong>de</strong>s Streiks in auffallend<br />
hohem Missverhältnis<br />
betroffen sein sollen<br />
(zur Erinnerung: Seit<br />
1996 wird die in Verdacht<br />
stehen<strong>de</strong> Reifendimension<br />
aber schon<br />
nicht mehr in Decatur gefertigt) und pflichtgemäß<br />
wird hinzugefügt, man vertraue <strong>Firestone</strong><br />
weiterhin voll. Und hier ist zu erinnern: Es geht<br />
um ausgefallene <strong>Firestone</strong>-Reifen immer auf<br />
Ford-Fahrzeugen. Diese bei<strong>de</strong>n Firmen arbeiten<br />
seit hun<strong>de</strong>rt Jahren eng zusammen und<br />
<strong>de</strong>nnoch knistert es zwischen ihnen ganz<br />
gewaltig im gegenwärtigen Moment. Man<br />
wird abwarten müssen, wie sich die Dinge<br />
letztlich entwickeln wer<strong>de</strong>n. Die Fragen wer<strong>de</strong>n<br />
ja schon gestellt: Warum wur<strong>de</strong>n in Venezuela<br />
Än<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>r Aufhängung/-<br />
Fe<strong>de</strong>rn für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten und warum<br />
nicht in <strong>de</strong>n USA? Ging es tatsächlich nur um<br />
die Reifen o<strong>de</strong>r um Konstruktionsschwächen<br />
<strong>de</strong>s Fahrzeugs selbst? Ist es dieses Risiko, das<br />
Ford-Chef Nasser veranlasste, die Führung zu<br />
übernehmen und <strong>de</strong>n Zeitplan von <strong>Firestone</strong><br />
als „inakzeptabel“ öffentlich zu bezeichnen?<br />
Auch diese Aussage wur<strong>de</strong> am nächsten Tag<br />
schon von Ford-Sprechern sehr relativiert und<br />
damit quasi zurück genommen. Sie war aller-<br />
Günter F. Unterhauser<br />
Ford hat in dieser Sache die Führung<br />
übernommen und bestimmt ganz<br />
offensichtlich, was und was wann von<br />
<strong>Firestone</strong> getan wer<strong>de</strong>n muss.<br />
dings platziert, die Öffentlichkeit hatte verstan<strong>de</strong>n.<br />
Je<strong>de</strong>nfalls das verstan<strong>de</strong>n, was Ford<br />
verstehen lassen wollte.<br />
Im Falle eines so bezeichneter Recalls wird<br />
stets behauptet, man habe allein die Interessen<br />
und die Gesundheit <strong>de</strong>s Konsumenten im Sinn<br />
und man nehme bestimmte Produkte vom<br />
Markt, auch ohne dass es einen Beweis für die<br />
Fehlerhaftigkeit gegeben habe: Es gibt Vorgänge<br />
mit so gewaltigen Dimensionen, die<br />
allein <strong>de</strong>r Chef höchstpersönlich zu erledigen<br />
hat. Für <strong>Firestone</strong> sprachen aber bisher entwe<strong>de</strong>r<br />
die PR-Leute o<strong>de</strong>r<br />
Executive Vice Presi<strong>de</strong>nts,<br />
nie <strong>de</strong>r Chief<br />
Executive Officer, während<br />
bei Ford CEO<br />
Nasser selbst in <strong>de</strong>r<br />
Öffentlichkeit in<br />
Erscheinung trat und <strong>de</strong>m Reifenhersteller im<br />
Grun<strong>de</strong> das Heft aus <strong>de</strong>r Hand zu nehmen<br />
wusste, freundlich mitteilte, nicht mit <strong>de</strong>m Finger<br />
auf <strong>Firestone</strong> zeigen zu wollen und es mit<br />
dieser Aussage doch schon getan hatte. Der<br />
Grund für die Zurückhaltung <strong>de</strong>s Reifenherstellers,<br />
<strong>de</strong>n eigenen, japanischen CEO öffentlich<br />
nicht auftreten zu lassen, ist leicht zu erklären.<br />
Im Gefolge <strong>de</strong>r Akquisition von <strong>Firestone</strong><br />
durch Bridgestone hat man sowohl in <strong>de</strong>n USA<br />
als auch in Europa bei<strong>de</strong> Unternehmen fusionieren<br />
lassen und führt sie seither unter <strong>de</strong>m<br />
Namen Bridgestone/<strong>Firestone</strong>. Eine verhängnisvolle<br />
Entscheidung in Fällen wie diesen. Es<br />
liegt natürlich im Interesse <strong>de</strong>s Konzerns, die<br />
negativen Effekte, <strong>de</strong>-<br />
nen sich die Marke<br />
<strong>Firestone</strong> <strong>de</strong>rzeit ausgesetzt<br />
sieht, nicht auch<br />
noch auf die Marke<br />
Bridgestone überspringen<br />
zu lassen. Für einen<br />
Reifenrückruf 350 Millionen<br />
US-$ zur Verfügung<br />
zu stellen, ist eine, und dazu eine relativ<br />
(!) leichte Sache. Zumal dann, wenn man – wie<br />
Bridgestone/<strong>Firestone</strong> – satte Gewinne vorweisen<br />
kann. Es muss aber nun darum gehen,<br />
das Bridgestone-Markenimage nicht auch<br />
noch unnötig zu beschädigen, <strong>de</strong>nn dieses<br />
Markenimage bestimmt entschei<strong>de</strong>nd darüber<br />
mit, welchen Preis man vom Endverbraucher<br />
verlangen kann. Nicht die Fabriken als Anlagevermögen<br />
sind am wichtigsten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />
Markenwert, die Brand Equity. Dafür gibt <strong>de</strong>r<br />
Konzern im Motorsport hohe dreistellige Millionenbeträge<br />
in US-$ Jahr für Jahr aus. Das darf<br />
28 www.reifenpresse.<strong>de</strong><br />
Warum wur<strong>de</strong>n in Venezuela Än<strong>de</strong>rungen<br />
an <strong>de</strong>r Aufhängung/Fe<strong>de</strong>rn<br />
für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten und warum<br />
nicht in <strong>de</strong>n USA? Ging es tatsächlich<br />
nur um die Reifen o<strong>de</strong>r um Konstruktionsschwächen<br />
<strong>de</strong>s Fahrzeugs selbst?<br />
nicht alles gefähr<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Ein Überschwappen<br />
negativer Effekte auf die Führungsmarke<br />
Bridgestone zu verhin<strong>de</strong>rn, ist<br />
aber angesichts <strong>de</strong>s Firmennamens schon sehr<br />
schwer. Es kommt hinzu, dass die meisten Verbraucher<br />
in <strong>de</strong>n USA Bridgestone als US-<br />
Unternehmen sehen und höchst überrascht<br />
sind, wenn sie erfahren, dass es sich um ein<br />
japanisches Unternehmen han<strong>de</strong>lt. Wenn man in<br />
dieser Situation dann noch <strong>de</strong>n japanischen Chief<br />
Executive Officer von Bridgestone/<strong>Firestone</strong>,<br />
USA, in <strong>de</strong>n Kampf schickt, könnten alle Bemühungen,<br />
Bridgestone von <strong>Firestone</strong> zu separieren,<br />
vergeblich gewesen sein. Und nicht nur<br />
ein geringer Teil <strong>de</strong>r Öffentlichkeit wird dann<br />
ohnehin schnell konfus und so verführt, dass<br />
die Diskussion auf primitivstes Stammtischgeschwafel<br />
herabsinkt und es erst um Reifen,<br />
dann um Japaner, dann flott um Pearl Harbor<br />
und noch mehr geht. „Japan-Bashing“ war ein<br />
von Lee Iacocca, einst Spitzenmann bei Ford,<br />
dann Chef von Chrysler, bevorzugtes Kampfmittel,<br />
<strong>de</strong>n japanischen Konkurrenten angeblich<br />
unfaire Wettbewerbspraktiken vorhalten<br />
zu können, nicht zuletzt um von eigenen<br />
Schwächen in <strong>de</strong>r Wettbewerbsfähigkeit abzulenken.<br />
All diese Überlegungen sind natürlich auch<br />
für das <strong>Firestone</strong>-Management nicht neu.<br />
Wegen <strong>de</strong>s zunehmen<strong>de</strong>n öffentlichen Drucks<br />
<strong>de</strong>utete sich die Notwendigkeit eines Rückrufs<br />
bereits im Mai diesen Jahres an, so dass – theoretisch<br />
- ausreichend Zeit zur Verfügung stand,<br />
um gemeinsam mit auf solche Krisensituationen<br />
spezialisierten Agentu-<br />
ren <strong>de</strong>n bestmöglichen<br />
Weg vorzubereiten.<br />
Doch ein „Plan A“ o<strong>de</strong>r<br />
gar „Plan B“ ist nicht<br />
erkennbar gewor<strong>de</strong>n<br />
bis jetzt. Links und<br />
rechts <strong>de</strong>s Weges mel<strong>de</strong>n<br />
sich aber jetzt drei<br />
Mal kluge Professoren berühmter Universitäten<br />
zu Wort, die immer alles wissen und ungefragt<br />
zu allen möglichen und unmöglichen<br />
Dingen ihre professorale Sicht <strong>de</strong>r Dinge zum<br />
Besten geben. Hätte man sie gefragt, es wäre<br />
alles an<strong>de</strong>rs, besser, professioneller gelaufen.<br />
Gar nicht so wenige amerikanische Professoren<br />
sind nur ein Mal aus Amerika herausgekommen<br />
und wollten sich anschließend mit<br />
Büchern wie „Ich kenne die Welt“ verewigen.<br />
So verhält es sich auch mit Krisenmanagement-Erfahrungen<br />
von Professoren. Die einzige<br />
praktische Krisenerfahrung, die viele von<br />
... THE NAME THAT’S KNOWN IS FIRESTONE ...<br />
NEUE ReifenZeitung 9/<strong>2000</strong>