Hanife Gashi Mein Schmerz trägt deinen Namen - Rowohlt
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ner der Region Has waren Muslime wie wir. Die Frauen trugen<br />
mit Glasperlen und Perlmutt bestickte Korsagen, darunter weiße<br />
Blusen mit weiten Ärmeln. Aufsehen erregten ihre ausgestellten,<br />
langen Röcke. Gerne wurden die Hasjanen-Frauen für Reiseführer<br />
abgelichtet. Ihre langen, schwarzen Haare trugen sie mit e inem<br />
gerade geschnittenen Pony. Blonde Frauen mussten die Haare<br />
schwarz färben.<br />
Den kleinen Gebirgszug überragt ein hoher Berg. Dort siedelten<br />
katholische Albaner. Sie waren sehr gläubig. Das osmanische Regime<br />
hatte sie nicht zum Islam bekehren können, und nicht einmal<br />
unsere kommunistische Regierung brachte sie von ihrer Religion<br />
ab. Sie sind sicher stolz darauf, dachte ich unvermittelt.<br />
Ein Fisch biss an. Ich zog ihn aus dem Wasser. Die Stimmen<br />
der Jungs und Mädchen hallten zu mir herüber. Noch einmal warf<br />
ich die Angel aus. Der Köder tauchte leise platschend ins Wasser.<br />
Ich wartete. <strong>Mein</strong>e Blicke schweiften wieder zum Pasvtrik-Gebirge.<br />
Auf der anderen Seite der Berge war Albanien, mein Mutterland.<br />
Ob dort auch Hasjanen wohnten? Oder andere Stämme? Wir Kosovo-Albaner<br />
konnten nicht nach Albanien reisen, die Grenzen waren<br />
dicht. Wie sehr wünschte ich zu wissen, wie es dort war. War<br />
es auf der anderen Seite wie bei uns? Gab es dort genauso schöne<br />
Obstbäume wie am Drin, wo Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Pfi rsiche<br />
gediehen? Und dann fi el mir mein Onkel väterlicherseits ein,<br />
der im Zweiten Weltkrieg im Pasvtrik-Gebirge getötet worden war.<br />
Ich wusste: Es hatte viele Kriege bei uns gegeben.<br />
Wie lebten die Menschen in Albanien heute zusammen? Wir in<br />
Krusha Madhe waren fast alle albanischer Abstammung und muslimisch.<br />
Aber es gab auch serbische Familien christlich-orthodoxen<br />
Glaubens. <strong>Mein</strong>e Mutter war mit einigen befreundet, ab und zu<br />
besuchten sich die Frauen gegenseitig. Der Islam bestimmte den<br />
Alltag meiner Familie kaum, genauso wenig wie den der meisten<br />
Dorfbewohnerinnen und -bewohner. Ein paar Ältere gingen in die<br />
Moschee. Und in den Nachbardörfern wohnten viele Katholiken.<br />
Auch sie praktizierten einen toleranten Glauben. Eine Stimme unterbrach<br />
meine Gedanken: «Hanni!» Ein Junge rief mich bei mei-<br />
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