Susanne Bredehöft PRemIeRe SchauSPIeL
dIe RaTTeN VoN GeRhaRT hauPTmaNN Frau John wünscht sich nichts sehnlicher als ein eigenes kind. Vor Jahren hat sie einen Sohn geboren, kurz nach der geburt ist er gestorben. an diesem Trauma und ihrer kinderlosigkeit droht ihre ehe zu zerbrechen. Die Verzweiflung von Frau John ist so groß, dass sie die hochschwangere junge polin pauline piperkarcka zu einem wahnwitzigen handel überredet: Sie nimmt deren Säugling und gibt ihn als ihren eigenen aus. pauline, die ohnehin von ihrem Freund sitzen gelassen wurde und ein Baby nicht gebrauchen könnte, hätte das kleine vom hals und allen wäre geholfen. Der plan geht zunächst auf. Doch plötzlich steht pauline wieder in der Tür. Sie will ihr kind zurück. Um jeden preis. Frau John gerät in panik. Zwischen den beiden Frauen beginnt ein erbitterter kampf mit tödlichem ausgang. In gerhart hauptmanns Stück DIe RaTTen spielt sich diese Tragödie aus dem wahren leben vor den augen von zwei komischen Schauspielenthusiasten aus der welt des <strong>Theater</strong>s ab. Doch die streiten nur hitzig über den höheren wert der kunst und verkennen dabei, was in wirklichkeit geschieht. was fast wie eine Verwechslungskomödie wirkt, ist tatsächlich eine Verwechslungstragödie. <strong>Theater</strong> und leben, Tragik und komik, gut und Böse, liebe und hass, Traum und Realität, moral und Verbrechen, Reinheit und Schmutz: In den RaTTen prallt widersprüchliches aufeinander – die kategorien überschneiden sich, sind nicht mehr eindeutig voneinander abzugrenzen. Das Stück spielt in einer Berliner mietskaserne, wo sich Bürger, kriminelle, kleine angestellte, <strong>Theater</strong>leute, Spießer, Träumer, liebende begegnen. Sie alle sind traurig-komische alltagsclowns, die teilhaben an einer Tragödie von antiker wucht. Scheinbar Unvereinbares ist hier ineinander verwoben. auch im leben von gerhart hauptmann kommt zusammen, was eigentlich nicht zusammen passt. „Dichter unseres Zeitalters“ – mit diesem ehrentitel widmet walther Rathenau im Januar 1912 dem Freund gerhart hauptmann ein exemplar seines Buches ZUR kRITIk DeR ZeIT. Das prädikat ist symptomatisch, belegt es doch, wie früh hauptmann in die Rolle eines Repräsentanten der Zeit hineingewachsen ist, obgleich er bei erscheinen seines ersten Dramas 1889 von Theodor Fontane noch als „wirklicher hauptmann der schwarzen Realistenbande“ bezeichnet und von den Behörden des wilhelminischen kaiserreiches wegen seines weber-Dramas mit prozessen überzogen worden war. Die beiden aussagen spiegeln typische Reaktionen von Zeitgenossen wider. „kein anderer deutscher Schriftsteller der moderne war wie hauptmann und so anhaltend wie dieser immer beides zugleich – gefeierter Repräsentant und bekämpftes Ärgernis.“ Dass er so verschieden, nicht selten gegensätzlich auf seine Umwelt gewirkt hat, ist zu einem gutteil mit der Unentschiedenheit seines Standorts im künstlerischen Schaffen wie im öffentlich-politischen auftreten zu erklären. er war der bedeutendste und erfolg- reichste Vertreter des naturalismus und schrieb gleichwohl und nicht weniger erfolgreich neuromantische, symbolistische und mystische Dichtungen. er war „ein eminent politischer Dichter“, zumindest ließen ihn, insbesondere in seinen anfängen, seine werke und auch sein öffentliches auftreten „als politischen anwalt“ erscheinen; zugleich und zunehmend war er aber auch derart unpolitisch, dass er sich selbst zur Zeit des nationalsozialismus „prinzipiell“ nicht in die Tagespolitik einmischen wollte, weil dies seinem Selbstverständnis als ein über den parteien stehender Dichter widersprach. Im ZaUBeRBeRg von Thomas manns findet sich eine etwas überzeichnende, aber insgesamt wohlgemeinte karikatur gerhart hauptmanns. Dort wird hauptmann, der in gestalt des exzentrischen mynheer peeperkorn figuriert, mit den worten beschrieben: „ein eigentümlicher, persönlich gewichtiger, wenn auch undeutlicher mann.“ In der zum Sprichwort geronnenen Formel „nu ja ja! – nu nee nee!“, die im Schauspiel DIe weBeR dem alten ansorge in den mund gelegt wird, kommt hauptmanns ‚Undeutlichkeit‘ geradezu paradigmatisch zum ausdruck. gerhart hauptmann wurde am 15. november 1862 im niederschlesischen ober-Salzbrunn geboren und starb am 6. Juni 1946 auf seinem langjährigen wohnsitz wiesenstein in agnetendorf im Riesengebirge. er war der jüngste Sohn des gastwirts und hotelbesitzers Robert hauptmann und seiner Frau marie. nach der Dorfschule in ober-Salzbrunn besuchte hauptmann von 1874 an bis zur Quarta das Realgymnasium am Zwinger in Breslau. 1878 begann er bei Verwandten auf den gütern lohnig und lederose eine landwirtschaftslehre, musste sie aber nach einem Jahr schon wieder abbrechen, weil die körperliche Überanstrengung zu einer lungenschädigung geführt hatte. Der anschließende Versuch, das einjährigen-examen nachzuholen, blieb erfolglos. er wurde aber im herbst 1880 in die Bildhauerklasse der kunst- und gewerbeschule in Breslau aufgenommen, wo er es – nach einem zeitweiligen ausschluss wegen mangelnder Disziplin und geringer Fortschritte – bis 1882 aushielt. aus bitterer armut erlöste ihn marie Thienemann, die Tochter des wohlhabenden Dresdner großkaufmanns Berthold Thienemann, die er im September 1881 kennengelernt und mit der er sich wenig später heimlich verlobt hatte. Zum wintersemester 1882/83 erhielt hauptmann die Zulassung zum Studium an der Universität Jena, aber auch hier hielt es ihn nicht lange. marie ermöglichte ihm dann durch finanzielle Zuwendung eine mittelmeerreise und anschließend einen aufenthalt in Rom, wo er sich – allerdings vergeblich – als Bildhauer versuchte. Im Sommer und herbst 1884 besuchte er die Zeichenklasse der königlichen akademie in Dresden, anschließend immatrikulierte er sich an der Universität Berlin, um geschichte zu studieren, interessierte sich aber mehr für das <strong>Theater</strong>leben als für das Studium. Bis 1888 war er in allem, was er begonnen hatte, erfolglos. PRemIeRe FReITaG, 22. FebRuaR 2013, 19.30 uhR, KammeRSPIeLe nicht nur alle Versuche, eine Bildungs- oder Berufsqualifikation zu erwerben, hatte er weit vor erreichen des Ziels abgebrochen, auch seine literarischen projekte waren gescheitert. erst mit BahnwÄRTeR ThIel (1888) begann ein neuer abschnitt in hauptmanns leben. mit dieser „novellistischen Studie“ trat er als „Dichter in die welt“, und wenige Jahre später schon war er zum bedeutendsten Dramatiker des naturalismus geworden. In hauptmanns gesamtwerk machen die Dramen mit zweiundfünfzig Titeln den größten anteil aus. In einer ansprache beim Bankett der kaiserlichen akademie der wissenschaften am 24. märz 1905 in wien erklärte er die Dominanz der dramatischen arbeiten so: „es meldeten sich in meinem Innern stets viele Stimmen zum wort, und ich sah keine andere möglichkeit, einigermaßen ordnung zu schaffen, als vielstimmige Sätze: Dramen zu schreiben“. Franz-Josef Payrhuber dIe RaTTeN TRaGIKomÖdIe VoN GeRhaRT hauPTmaNN Inszenierung lukas langhoff Bühne Regina Fraas Kostüme Ines Burisch Musik Volkan T. Licht helmut Bolik Dramaturgie christopher hanf Frau John Susanne Bredehöft Herr John, ihr Mann Falilou Seck Bruno, ihr Bruder nico link Pauline Piperkarcka anastasia gubareva Harro Hassenreuter Stefan preiss Walburga, seine Tochter elmira Bahrami Erich Spitta Simon Brusis Selma Knobbe maria munkert Alice Rütterbusch Johanna wieking Quaquaro, Hausmeister und Live-Musiker Volkan T. 5