Bericht der 4. KatNet-Tagung: Paradigmenwechsel in der ...
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<strong>Bericht</strong> <strong>der</strong> <strong>4.</strong> <strong>KatNet</strong>-<strong>Tagung</strong>:<br />
<strong>Paradigmenwechsel</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Risikovorsorge.<br />
Vom Umgang mit Naturgefahren<br />
15.-17.05.2008 <strong>in</strong> Lutherstadt Wittenberg<br />
Inhalt:<br />
1. E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong>s <strong>Tagung</strong>sthema: <strong>Paradigmenwechsel</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Risikovorsorge.<br />
Vom Umgang mit Naturgefahren<br />
2. <strong>Tagung</strong>sprogramm<br />
3. Zusammenfassung <strong>der</strong> Podiumsdiskussion: „Positionen zur Hochwasservor-<br />
sorge: Deichen statt Weichen?“<br />
<strong>4.</strong> Kurzfassung <strong>der</strong> Postersession<br />
5. Kurzfassungen <strong>der</strong> Vorträge des <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Forums<br />
6. Zusammenfassung <strong>der</strong> Exkursion<br />
7. Zusammenfassung <strong>der</strong> Abschlussdiskussion<br />
8. Liste <strong>der</strong> Teilnehmer/<strong>in</strong>nen<br />
Mit freundlicher Unterstützung <strong>der</strong>
1 E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong>s <strong>Tagung</strong>sthema<br />
<strong>Paradigmenwechsel</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Risikovorsorge – Vom Umgang mit Naturgefahren<br />
Die <strong>4.</strong> <strong>KatNet</strong>-<strong>Tagung</strong> stellte die Frage, was sich seit den letzten großen „Katastrophen“ im wissenschaft-<br />
lichen, gesellschaftlichen und fachlichen Umgang mit Naturgefahren geän<strong>der</strong>t hat. Lässt sich e<strong>in</strong> Para-<br />
digmenwechsel von e<strong>in</strong>er technisch orientierten Gefahrenabwehr zu e<strong>in</strong>em vorsorgeorientierten Risiko-<br />
management erkennen? Bedarf es e<strong>in</strong>es Strategiewechsels im Umgang mit Naturgefahren o<strong>der</strong> muss<br />
nicht vielmehr Kont<strong>in</strong>uität aufrechterhalten werden? Muss <strong>der</strong> Wandel noch gefor<strong>der</strong>t werden o<strong>der</strong> f<strong>in</strong>det<br />
er schon längst statt? Von wo s<strong>in</strong>d die entscheidenden Impulse zu erwarten?<br />
Der thematische E<strong>in</strong>stieg wurde mit e<strong>in</strong>er Podiumsdiskussion über das Handlungsfeld Hochwasser und<br />
die Extremereignisse im Sommer und W<strong>in</strong>ter 2002 an <strong>der</strong> Elbe gewählt. In e<strong>in</strong>em anschließenden <strong>in</strong>ter-<br />
diszipl<strong>in</strong>ären Forum wurden aktuelle Forschungen, Konzepte und Pilotprojekte aus verschiedenen Berei-<br />
chen <strong>der</strong> Risikovorsorge präsentiert. Die <strong>Tagung</strong>sbeiträge spiegelten die Breite des Handlungsfeldes<br />
wi<strong>der</strong>: von philosophischen und juristischen Überlegungen zu Vorsorge und Klimawandel, über planeri-<br />
sche und landschaftliche Vorsorge, bis h<strong>in</strong> zu politischen Entscheidungsprozessen, Fragen von Risiko-<br />
kultur und Bewusstse<strong>in</strong>sbildung sowie ökonomische und historischen Aspekten. E<strong>in</strong>e Postersession so-<br />
wie e<strong>in</strong>e Exkursion zur Deichrückverlegung Rosslau/Elbe ergänzten das <strong>Tagung</strong>sprogramm.<br />
Es nahmen <strong>in</strong>sgesamt 38 Personen an <strong>der</strong> <strong>Tagung</strong> teil; 20 Personen waren mit e<strong>in</strong>em Vortrag o<strong>der</strong> Input<br />
aktiv an <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> <strong>Tagung</strong> beteiligt.<br />
<strong>KatNet</strong>:<br />
<strong>KatNet</strong> – Netzwerk zwischen Forschung und Praxis – ist 2005 als junges, <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Netzwerk<br />
zur Katastrophenforschung mit Schwerpunkt auf Stärkung des Austausches zwischen Forschung und<br />
Praxis gegründet worden. Inzwischen s<strong>in</strong>d über 200 Wissenschaftler/<strong>in</strong>nen und Praktiker/<strong>in</strong>nen Mit-<br />
glied bei <strong>KatNet</strong> und führen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Diskussion über komplexe Fragen rund um die Katastro-<br />
phe. <strong>KatNet</strong> bemüht sich dabei <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e um die Integration sozialwissenschaftlicher Perspektiven<br />
und E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung von Ansätzen nachhaltiger Planung <strong>in</strong> die ansonsten vor allem natur- und <strong>in</strong>genieur-<br />
wissenschaftlich dom<strong>in</strong>ierte Katastrophenforschung. Mehr Informationen www.katastrophennetz.de<br />
Vorbereitung:<br />
Sylvia Kruse, Leuphana Universität Lüneburg (Koord<strong>in</strong>ation)<br />
Grit Bürgow, aquatectura, Berl<strong>in</strong>-Aachen<br />
Maria Hagemeier-Klose, TU München<br />
Christian Kuhlicke, UFZ Leipzig<br />
Kathleen Liese, Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
1
2 <strong>Tagung</strong>sprogramm<br />
2<br />
Donnerstag 15.05.2008<br />
14:00 Begrüßung <strong>der</strong> Teilnehmer/<strong>in</strong>nen und thematische E<strong>in</strong>führung<br />
Positionen zur Hochwasservorsorge vor Ort: Zwischen Deichen und Weichen<br />
14:30 Impulsreferate und Podiumsdiskussion<br />
Mo<strong>der</strong>ation: Dr. Annett Ste<strong>in</strong>führer<br />
• Frau Hornemann, Umweltbundesamt, Dessau<br />
• Herr Dr. Uhlmann, Landesbetrieb für Hochwasserschutz Wasserwirtschaft, Sachsen-Anhalt<br />
• Herr Loster, Münchner Rück Stiftung, München<br />
• Prof. Dr. Pohl, Universität Bonn<br />
Ab 18:00 Geme<strong>in</strong>sames Abendessen<br />
19:00 Postersession<br />
Ab 20:30 gemütlicher Ausklang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hofwirtschaft im Cranach-Hof<br />
Freitag 16.05.2008<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>äres Forum:<br />
„<strong>Paradigmenwechsel</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Risikovorsorge. Vom Umgang mit Naturgefahren“<br />
08:45 Begrüßung und E<strong>in</strong>führung<br />
09:00-10:30<br />
Themenblock 1:<br />
Philosophische und juristische Perspektiven auf die Risikovorsorge im Kontext<br />
des Klimawandels<br />
Kommentator<strong>in</strong>: Und<strong>in</strong>e Frömm<strong>in</strong>g<br />
Dr. Josef Bordat: „Du sollst nicht fliegen!“ Ethik <strong>in</strong> Zeiten des Klimawandels<br />
Prof. Dr. Felix Ekardt: Katastrophenvermeidung und Katastrophenvorsorge: Möglichkeiten,<br />
Grenzen und Vorgaben<br />
Kaffeepause<br />
11:00-13:00 Themenblock 2:<br />
Vulnerabilität, Resilienz und Anpassung: räumlicher und <strong>in</strong>stitutioneller Wandel<br />
Kommentator<strong>in</strong>: Grit Bürgow<br />
13:00 Mittagessen<br />
Im Anschluss<br />
Heiko Garrelts: Wandel im Politikfeld Hochwasserschutz: Von bisher Erreichtem und<br />
künftigen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
Mario Wilhelm, Dr. Mart<strong>in</strong> Voss: Megacity und Resilienz – Das Beispiel Jakarta<br />
Dr. Christian Hildmann, Kathleen Liese: Hochwasserschutz auf <strong>der</strong> Grundlage e<strong>in</strong>es<br />
systemischen Ansatzes für das gesamte E<strong>in</strong>zugsgebiet<br />
Fachexkursion Risikovorsorge und <strong>der</strong> Umgang mit Natur – e<strong>in</strong> Besuch an <strong>der</strong><br />
Elbe<br />
Mit Iris Brunar, BUND-Elbe-Projekt, Dessau
3<br />
17:00 –<br />
19:00<br />
Themenblock 3: Risikokultur - Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Katastrophenvorsorge<br />
Kommentator: Dr. Guido Poliwoda<br />
Karl-Michael Höferl: Von <strong>der</strong> Gefahrenabwehr zur Risikokultur – e<strong>in</strong>e „angesagte Revolution“<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Raumplanung Österreichs?<br />
Kathar<strong>in</strong>a Krämer, Timm Pliefke, Udo Peil: Risikoreduktion durch vorbeugenden Katastrophenschutz<br />
– Effizient <strong>in</strong>vestieren ja, aber wann?<br />
Frank Oberholzner: „Das bisschen Hagel...“ Wahrnehmung und Bewältigung von Naturgefahren<br />
im Agrarbereich seit <strong>der</strong> frühen Neuzeit<br />
Ab 19:30 Abendessen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Alten Canzley<br />
Samstag 17.05.2008<br />
Themenblock 4:<br />
Risikowahrnehmung, Risikowissen und Risikobewusstse<strong>in</strong> – Evaluationen, Experimente,<br />
Pilotprojekte<br />
9:00 -11:00 Kommentator: Klaus Wagner<br />
Doris Hallama: Landschaften zur Sicherheit<br />
Christ<strong>in</strong>a Grunert; Alexan<strong>der</strong> Siegmund: Naturkatastrophen aus <strong>der</strong> Sicht von Jugendlichen<br />
– e<strong>in</strong>e empirische Studie zur Risikowahrnehmung von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern<br />
<strong>der</strong> Sekundarstufe I<br />
Dr. Britta Wöllecke, Kathar<strong>in</strong>a Ehrler, Prof. Dr. Uwe Grünewald: Hochwasser-<br />
Risikovorsorge durch Bewusstse<strong>in</strong>sbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung und Politik an <strong>der</strong> Elbe<br />
Kaffeepause<br />
11:30-13:00 Abschlussdiskussion und <strong>KatNet</strong>-Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />
Ende <strong>der</strong> Veranstaltung
3 Zusammenfassung <strong>der</strong> Podiumsdiskussion<br />
„Positionen zur Hochwasservorsorge vor Ort: Zwischen Deichen und Weichen“<br />
Für die Impulsreferate und Auftaktdiskussion <strong>der</strong> <strong>4.</strong> <strong>KatNet</strong>-<strong>Tagung</strong> waren vier Referenten geladen,<br />
die aufgrund unterschiedlicher beruflicher und <strong>in</strong>stitutioneller H<strong>in</strong>tergründe verschiedene Perspektiven<br />
auf das Hochwasserrisikomanagement vertreten. Sie waren im Vorfeld gebeten worden, die zentrale<br />
Frage <strong>der</strong> <strong>Tagung</strong> im Themenfeld Hochwasser zu diskutieren: ob und <strong>in</strong> welcher H<strong>in</strong>sicht sich <strong>der</strong><br />
Umgang mit Hochwassergefahren <strong>in</strong> Deutschland <strong>in</strong> den vergangenen Jahren (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e nach<br />
2002) verän<strong>der</strong>t habe, an<strong>der</strong>s gesagt: ob es e<strong>in</strong>en „<strong>Paradigmenwechsel</strong>“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hochwasserrisikovor-<br />
sorge gibt.<br />
• Cor<strong>in</strong>na Hornemann (Umweltbundesamt, Abteilung Wasser und Boden) sprach vor allem über die<br />
4<br />
Bundesgesetzgebung (e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Neufassung des Umwelt-Gesetzbuchs) und die neuen<br />
europäischen Regelungen (vor allem die Hochwasserrichtl<strong>in</strong>ie). Auch stellte sie Überlegungen<br />
zum Zusammenhang von Klimawandel und Wasserhaushalt vor und plädierte für e<strong>in</strong> „Zusam-<br />
mendenken“ <strong>der</strong> unterschiedlichen, <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auftretenden Extremereignisse (z.<br />
B. Starkregen und Trockenperioden – während letzterer sollte dann z. B. das Wasser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Flä-<br />
che gehalten werden, was Verän<strong>der</strong>ungen im Meliorationssystem notwendig macht). Sie vertrat<br />
die Position, es gäbe e<strong>in</strong>en <strong>Paradigmenwechsel</strong> im Hochwasserschutz („wir s<strong>in</strong>d mittendr<strong>in</strong>“), <strong>der</strong><br />
sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e am praktizierten Maßnahmen-Mix (struktureller und nicht-struktureller Maß-<br />
nahmen) festmachen ließe.<br />
• Dr. Hans-Werner Uhlmann (Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft des Lan-<br />
des Sachsen-Anhalt) sprach über mo<strong>der</strong>nen Hochwasserschutz aus Sicht des Praktikers. Dieser<br />
umfasst die Säulen Vorsorge, technischer Hochwasserschutz und Stärkung des natürlichen Was-<br />
serrückhalts <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fläche. Die Arbeit nach 2002 <strong>in</strong> Sachsen-Anhalt umschrieb er mit den Worten:<br />
„Der konkrete Auftrag war Deichen“. Doch stellte er den Hochwasserschutz auch als „Flächen-<br />
aufgabe“, verbunden mit Deichrückverlegungen, Pol<strong>der</strong>n und Rückhaltebecken, dar. Als langjäh-<br />
riger Praktiker (seit 1981) hielt Herr Uhlmann den <strong>Paradigmenwechsel</strong> für ke<strong>in</strong>en plötzlichen Vor-<br />
gang, son<strong>der</strong>n für e<strong>in</strong>en langfristigen Prozess (mehr könne auch nicht mehr e<strong>in</strong>gedeicht werden).<br />
Die Kommunikation mit den potentiell Betroffenen skizzierte er als e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Hauptprobleme sei-<br />
ner täglichen Arbeit, wobei er auch <strong>in</strong>stitutionelle Defizite (fehlende personelle und f<strong>in</strong>anzielle Ka-<br />
pazitäten) und mühevolle Lerneffekte (E<strong>in</strong>satz von Mediationsverfahren <strong>in</strong> Risikokommunikati-<br />
onsprozessen) benannte.<br />
• Thomas Loster (Münchner Rück Stiftung) vertrat, die Sicht <strong>der</strong> nicht-staatlichen Versicherungs-<br />
wirtschaft, da er neben <strong>der</strong> Geschäftsführung <strong>der</strong> Münchener Rück Stiftung auch auf se<strong>in</strong>e Erfah-<br />
rungen aus jahrelanger Arbeit bei dem Rückversicherer zurückgreifen kann. Aus dieser Perspekti-<br />
ve s<strong>in</strong>d die seit e<strong>in</strong>igen Jahren zu verzeichnenden Rekordnie<strong>der</strong>schläge und -schäden, verbunden<br />
mit verän<strong>der</strong>ten Verlaufscharakteristika <strong>der</strong> Ereignisse, hervorhebenswert. Er skizzierte <strong>in</strong>sbeson-<br />
<strong>der</strong>e die Geschichte <strong>der</strong> computergestützten Gefahren- und Risikozonierung <strong>der</strong> Versicherungs-
5<br />
wirtschaft <strong>in</strong> Deutschland (sogenannte ZÜRS-Zonen). Den Begriff „<strong>Paradigmenwechsel</strong>“ empfand<br />
er als zu stark. Im Vergleich zu <strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> Entwicklungs- und Schwellenlän<strong>der</strong>n hielt er e<strong>in</strong>en<br />
<strong>Paradigmenwechsel</strong> im deutschen Kontext im Übrigen für nicht erfor<strong>der</strong>lich.<br />
• Prof. Jürgen Pohl (Universität Bonn, Institut für Geographie) brachte die sozialwissenschaftliche<br />
Forschung zum Hochwasserschutz, zu den Wahrnehmungen und zum Handeln <strong>der</strong> Betroffenen <strong>in</strong><br />
die Diskussion e<strong>in</strong>. Er kritisierte die dem natur- und <strong>in</strong>genieurwissenschaftlichen Zugang <strong>in</strong>newoh-<br />
nende Problematik, Risiko als etwas <strong>der</strong> Gesellschaft Äußerliches anzusehen, das erst im Scha-<br />
densfall wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> diese <strong>in</strong>tegriert wird. Stattdessen vertrat er die Perspektive des Soziologen Nik-<br />
las Luhmann, wonach ohne Entscheidung ke<strong>in</strong> Risiko existiere. Ausgehend vom Problem, dass<br />
die Betroffenen die Verantwortung für den Schutz vor Hochwasser vor allem an staatliche Stellen<br />
übertrage, bedeutet dies po<strong>in</strong>tiert zusammengefasst: „Wann immer die an<strong>der</strong>en verantwortlich<br />
s<strong>in</strong>d, wird aus dem Hochwasserrisiko e<strong>in</strong>e -gefahr“. Risikovorsorge charakterisierte er als „riesigen<br />
Kommunikationsprozess“, <strong>in</strong> dem viel zu tun bleibt. Inhaltlich wie wissenschaftstheoretisch wies er<br />
die Hypothese e<strong>in</strong>es <strong>Paradigmenwechsel</strong>s zurück.<br />
In <strong>der</strong> zusammenfassenden Diskussion blieb die Frage nach dem <strong>Paradigmenwechsel</strong> „ja“ o<strong>der</strong> „ne<strong>in</strong>“<br />
unentschieden, denn für beide Perspektiven lassen sich gute Gründe anführen – und wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
ist die Frage auch (noch) nicht e<strong>in</strong>deutig zu beantworten. Dies zeigten nicht zuletzt die mehrfachen<br />
Verweise auf historische Vorschriften zum Umgang mit Hochwasserrisiko. Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte gab<br />
es vielfältige Überlegungen für e<strong>in</strong>en effektiven und nachhaltigen Hochwasserschutz, verbunden mit<br />
e<strong>in</strong>em Maßnahmen-Mix, alle<strong>in</strong>: über tatsächliches Handeln vor Ort sagen diese Vorschriften nichts<br />
aus.<br />
Dr. Annett Ste<strong>in</strong>führer (UFZ-Leipzig)
4 Kurzfassung <strong>der</strong> Postersession<br />
M. Boden, H. Weger: Simulation von Verkehrsstörungen und Optimierung von Evakuierungsströmen<br />
am Beispiel <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>tflut 2002<br />
M. Damm: Mapp<strong>in</strong>g social-ecological vulnerability to flood<strong>in</strong>g. A sub-national approach. Kontakt:<br />
damm@ehs.unu.edu<br />
R. Hassebach, M. Voss, Forschungsdesign zum nachhaltigen Wie<strong>der</strong>aufbau nach Katastrophen im<br />
Entwicklungszusammenhang, Kontakt: email@mart<strong>in</strong>voss.de<br />
S. Kruse: Transformative Potenziale im Umgang mit Hochwasser an <strong>der</strong> Mittleren Elbe, Kontakt:<br />
sylvia.kruse@uni.leuphana.de<br />
G. Poliwoda: F<strong>in</strong>ancial mitigation of severe floods and w<strong>in</strong>ter storms <strong>in</strong> Switzerland and Germany<br />
1910-2005, Kontakt: guido.poliwoda@hist.unibe.ch<br />
D. Siedschlag: Strukturelle & nicht-strukturelle Hochwasserschutzmaßnahmen<br />
Ergebnisse aus dem Flood-Era Projekt, Fallstudie Mulde, (Autoren: V. Meyer, C. Kuhlicke, D. Sied-<br />
schlag) Kontakt: daniela.siedschlag@ufz.de<br />
A. Ste<strong>in</strong>führer: Soziale Vulnerabilität im Kontext extremer Hochwasserereignisse: Untersuchungen <strong>in</strong><br />
Deutschland, Italien und Großbritannien (Autoren: A. Ste<strong>in</strong>führer, B. De Marchi, C. Kuhlicke, A. Scolo-<br />
big, S. Tapsell, S. Tunstall). Kontakt: annett.ste<strong>in</strong>fuehrer@ufz.de<br />
K. Wagner: Die EU-Hochwasserrichtl<strong>in</strong>ie: Folgen für das Hochwassermanagement <strong>in</strong> Deutschland,<br />
Kontakt: wagner@forst.tu-muenchen.de<br />
6
5 Kurzfassungen <strong>der</strong> Vorträge aus dem „Interdiszipl<strong>in</strong>ären Forum“<br />
Themenblock 1: Philosophische und juristische Perspektiven auf die Risiko-<br />
vorsorge im Kontext des Klimawandels<br />
Josef Bordat (Berl<strong>in</strong>): „Du sollst nicht fliegen!“ Ethik <strong>in</strong> Zeiten des Klimawandels<br />
Nach <strong>der</strong> Überw<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> atomaren Bedrohung mit dem Ende <strong>der</strong> bipolaren Welt gefährden heute<br />
zwei Phänomene unsere Existenz: zum e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Terrorismus, zum an<strong>der</strong>en <strong>der</strong> Klimawandel. Es<br />
geht mir darum, diese katastrophischen Determ<strong>in</strong>anten des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zusammenhang<br />
zu br<strong>in</strong>gen.<br />
Terrorismus und Klimawandel s<strong>in</strong>d nicht nur Menschheitsprobleme, weil sie die Menschheit h<strong>in</strong>sicht-<br />
lich ihrer Folgen betreffen (als Frage globaler Sicherheit, die ich mit Bezug auf Podesta/Ogden: The<br />
Security Implications of Climate Change behandeln will), son<strong>der</strong>n auch, weil sie auf e<strong>in</strong> malum morale<br />
des Menschen zurückführbar zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en, <strong>in</strong>soweit, als <strong>der</strong> Mensch den Klimawandel und die<br />
damit verbundenen Katastrophen (mit)verursacht. Das ist e<strong>in</strong>e Frage <strong>der</strong> Ethik, <strong>der</strong> ich mich ausführli-<br />
cher widmen möchte.<br />
Ist dies im Zusammenhang mit dem Terrorismus als malum morale sui generis unstreitig, so bedarf es<br />
bei dem <strong>in</strong> unterschiedlichen Ausprägungen von malum physicum (Hochwasser, Dürre etc.) sich ma-<br />
nifestierenden Klimawandel e<strong>in</strong>er Rechtfertigung für die Zuschreibung menschlicher Schuld aus mora-<br />
lisch relevanten Verfehlungen. Diese wurde und wird durch Studien geleistet, welche die anthropoge-<br />
nen Ursachen <strong>der</strong> Er<strong>der</strong>wärmung über den vermehrten CO 2 -Ausstoß belegen. Es steht fest: Der<br />
Mensch ist schuld am Klimawandel.<br />
Es ist nun die Aufgabe <strong>der</strong> Ethik, daraus die angemessenen Schlussfolgerungen zu ziehen, um dem<br />
malum morale des Menschen wirkungsvoll bzw. den unreflektiert e<strong>in</strong>setzenden Bezichtigungen e<strong>in</strong>er<br />
aktionistischen Alltagsmoral kritisch zu begegnen sowie dem guten Willen zum guten Handeln e<strong>in</strong>e<br />
argumentative Basis zu bereiten, die den Blick über den <strong>in</strong>dividuellen CO -Schuhabdruck h<strong>in</strong>aus auf<br />
2<br />
e<strong>in</strong>e holistische Moralität lenkt, die dem Menschen – dem <strong>der</strong> jetzt lebt und dem, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Zukunft leben<br />
wird – gerecht werden kann.<br />
Kernkonzept des Diskurses ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> „Verantwortung“, wobei umstritten ist, welches das ver-<br />
nünftige Maß an Verantwortung für den E<strong>in</strong>zelnen bzw. die Geme<strong>in</strong>schaft se<strong>in</strong> soll, vor dem H<strong>in</strong>ter-<br />
grund des Arguments kontraproduktiver Überfor<strong>der</strong>ung, des generationenübergreifenden, unüber-<br />
schaubaren Zeithorizonts, <strong>der</strong> <strong>in</strong> das handlungstheoretische Kalkül e<strong>in</strong>fließt, und damit zusammen-<br />
hängenden grundsätzlichen Bedenken gegen konsequentialistische Begründungsfiguren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Moral-<br />
theorie.<br />
Ohne auf dieses Problem e<strong>in</strong>zugehen o<strong>der</strong> es lösen zu wollen (hierzu wäre etwa e<strong>in</strong>e Ethik aus dem<br />
Verantwortungspr<strong>in</strong>zip christlicher Anthropologie von <strong>in</strong>teressen-, anspruchs- o<strong>der</strong> rechtebasierten<br />
Tier- und Umweltethikansätzen, die verschiedentlich von Vertretern e<strong>in</strong>es naturalistischen Menschen-<br />
bildes verfochten werden, abzugrenzen), sollen im Vortrag (auch vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> S<strong>in</strong>tflut-<br />
Erzählung) die Parallelen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sünde/Strafe- bzw. Verantwortung/Folge-Rhetorik <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktuellen<br />
Tendenz zur Moralisierung des bislang Außermoralischen („Fleisch essen“, „Auto fahren“) angespro-<br />
chen und damit gezeigt werden, dass die aktuelle moraltheoretische Debatte mit <strong>der</strong> „Klimawandel-<br />
7
Ethik“ die Tradition des Wirkungsverhältnisses von malum morale („Sünde“) und malum physicum<br />
(„Strafe“) zum Zwecke <strong>der</strong> „Läuterung“ (Verhaltensän<strong>der</strong>ung) aufgreift. Denn e<strong>in</strong> viel stärkeres Argu-<br />
ment für die Übernahme von Verantwortung als <strong>der</strong>en moralische Güte ist <strong>der</strong>en Notwendigkeit zur<br />
Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> katastrophischen Folgen.<br />
Kontakt: josef_bordat@hotmail.com<br />
Felix Ekardt: Katastrophenvermeidung und Katastrophenvorsorge: Möglichkeiten, Grenzen<br />
und Vorgaben. Unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Klimawandels, des Hochwasserprob-<br />
lems und des Konflikts um das Luftsicherheitsgesetz<br />
Vor allem <strong>der</strong> globale Terrorismus bzw. <strong>der</strong> Kampf gegen ihn und die Anpassung an den jedenfalls<br />
nicht mehr gänzlich zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>nden globalen Klimawandel setzen das Katastrophenthema auf die<br />
Tagesordnung. Doch ist die Prävention <strong>in</strong> Deutschland und Europa vielleicht im Sicherheitsbereich <strong>in</strong><br />
letzter Zeit schon überentwickelt. Im Umweltbereich ist sie dagegen ke<strong>in</strong>esfalls so weit entwickelt, wie<br />
es die verbreitete Rede vom „Umweltvorreiter Deutschland“ bzw. „Umweltvorreiter EU“ suggeriert.<br />
Damit gerät zugleich die zentrale Errungenschaft liberaler Gesellschaften <strong>in</strong> Gefahr: die Freiheit. Denn<br />
die Gefährdung <strong>der</strong> Lebensgrundlagen bedroht die Freiheit e<strong>in</strong>erseits durch Zerstörung ihrer unver-<br />
zichtbaren vitalen Grundlagen, ohne die wir mit unseren klassischen Freiheitsgarantien nicht mehr<br />
allzu viel werden anfangen können. An<strong>der</strong>erseits droht die Lebensgrundlagengefährdung bei zuneh-<br />
menden Katastrophen e<strong>in</strong>e ökodiktatorische Freiheitsbeseitigung zu provozieren. Damit setzt sich <strong>der</strong><br />
Vortrag ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, wobei e<strong>in</strong>e eigenständige, gegenüber <strong>der</strong> gängigen Rechts<strong>in</strong>terpretation <strong>in</strong><br />
Deutschland und Europa abweichende Rechtsme<strong>in</strong>ung entwickelt wird.<br />
Nun führt die Kollision unterschiedlicher Belange unweigerlich <strong>in</strong> Abwägungen, und zwar sowohl im<br />
Bereich <strong>der</strong> Katastrophenvermeidung als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Katastrophenvorsorge o<strong>der</strong> eben <strong>der</strong> Katastro-<br />
phenbekämpfung. E<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Recht auf Sicherheit gibt es dabei nicht, schon weil se<strong>in</strong> Inhalt zu<br />
unbestimmt wäre. Es gibt allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> Recht auf die elementaren Freiheitsvoraussetzungen, zu de-<br />
nen auch Leben und Gesundheit zählen. Für die entstehenden multipolaren Konflikte gibt es zunächst<br />
e<strong>in</strong>mal (!) ke<strong>in</strong>e absoluten Abwägungsverbote, und wenn, dann muß e<strong>in</strong> etwaiger „absoluter Schutz<br />
unschuldigen Lebens“ an<strong>der</strong>s begründet werden als bisher. Die Würde bzw. die Freiheitsgarantien<br />
schützen nämlich nicht nur direkt vor dem Staat, son<strong>der</strong>n auch vor Schädigungen durch die Mitbürger,<br />
an denen <strong>der</strong> Staat diese nicht h<strong>in</strong><strong>der</strong>t. Die Freiheit gibt dabei auch e<strong>in</strong>en Schutz vor nur möglichen<br />
(im S<strong>in</strong>ne von konkret vorstellbaren – denn „irgendwie möglich“ ist alles) Schädigungen. Ke<strong>in</strong>esfalls<br />
werden durch e<strong>in</strong>e solche (multipolare und freiheitsvoraussetzungsorientierte) Neu<strong>in</strong>terpretation <strong>der</strong><br />
Grundrechte die Parlamente auf nationaler o<strong>der</strong> transnationaler Ebene entmachtet.<br />
Beson<strong>der</strong>s zentral ist die Abwägungsregel, die die doppelte Freiheitsgefährdung aufgreift: Soviel Frei-<br />
heit wie möglich – und generell darf ke<strong>in</strong>e <strong>der</strong> beteiligten Freiheiten (o<strong>der</strong> gar die demokratische<br />
Staatsform) als solche abgeschafft o<strong>der</strong> massiv e<strong>in</strong>geschränkt werden. Nur <strong>in</strong> Ermangelung an<strong>der</strong>er,<br />
im E<strong>in</strong>zelfall überzeugen<strong>der</strong>er Kriterien ist die Anzahl <strong>der</strong> Betroffenen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abwägung wichtig. Und<br />
niemals darf man, an<strong>der</strong>s als Ökonomen me<strong>in</strong>en, unvergleichbare Belange quantifizieren. Diskutieren<br />
müßte man zuletzt die Frage, <strong>in</strong>wieweit h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Katastrophenvermeidung, -vorsorge und -<br />
bewältigung e<strong>in</strong>e Art sozialstaatlicher Gleichbehandlungsanspruch aller Bürger besteht.<br />
8
Diese gesamte Argumentation versucht zu zeigen, daß sowohl die bisherige Klima- als auch die bis-<br />
herige Sicherheitspolitik verfassungsrechtlich problematisch se<strong>in</strong> kann – allerd<strong>in</strong>gs aus genau entge-<br />
gen gesetzten Gründen.<br />
Kontakt: fekardt@uni-bremen.de<br />
Themenblock 2: Vulnerabilität, Resilienz und Anpassung: räumlicher und <strong>in</strong>sti-<br />
tutioneller Wandel<br />
Heiko Garrelts: Wandel im Politikfeld Hochwasserschutz: Von bisher Erreichtem und künftigen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
Vor dem H<strong>in</strong>tergrund des fortschreitenden und zudem nicht l<strong>in</strong>ear verlaufenden Klimawandels er-<br />
sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Neuausrichtung von Hochwasserschutzpolitik <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>es vorsorgenden und <strong>in</strong>teg-<br />
rierten Hochwasserrisikomanagements grundsätzlich als angemessen. Gleichwohl müssen empiri-<br />
sche Analysen nach dem Verhältnis von bisher Erreichtem und dem zentralen ausgegebenen Ziel<br />
fragen – die Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entstehung neuer Schadenspotenziale.<br />
Hier setzt <strong>der</strong> geplante Beitrag an. Ausgehend von dem sich seit wenigen Jahren vollziehenden dis-<br />
kursiven Wandel „Kampf gegen das Wasser“ zu „Gebt den Flüssen ihren Raum“ soll gefragt werden,<br />
<strong>in</strong>wieweit sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> planerischen/regionalpolitischen Praxis tatsächlich auch e<strong>in</strong> tiefgreifen<strong>der</strong> <strong>in</strong>stitu-<br />
tioneller Wandel mit verän<strong>der</strong>ten politischen Kräfteparallelogrammen vollzieht. Der bisherige politische<br />
Prozess ist wesentlich von den Extremereignissen des Jahres 2002 sowie von <strong>der</strong> seither <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Raum- und Siedlungsplanung (<strong>in</strong> Flussgebieten) geführten Debatte über den Klimawandel geprägt.<br />
Vorläufiges Resultat ist e<strong>in</strong> von starken regulativen Steuerungsmechanismen (Ge- und Verbote) ge-<br />
prägtes Hochwasserschutzgesetz von 2005. Damit wird <strong>in</strong> relevantem Maße <strong>in</strong> die kommunale Pla-<br />
nungshoheit e<strong>in</strong>gegriffen.<br />
Von e<strong>in</strong>em tief greifenden <strong>in</strong>stitutionellen Wandel zu sprechen ersche<strong>in</strong>t dennoch als verfrüht. Denn<br />
es stellt sich noch e<strong>in</strong>e Vielzahl von Fragen und Herausfor<strong>der</strong>ungen. Dazu zählt ganz wesentlich die<br />
Ausgestaltung e<strong>in</strong>er angemessenen Öffentlichkeitsbeteiligung, <strong>der</strong>en Durchführung künftig nicht mehr<br />
dem Ermessen lokaler Entscheidungsträger anheim gestellt se<strong>in</strong> wird. Fraglich ist hier bspw. die Be-<br />
rücksichtigung des Ansatzes <strong>der</strong> sozialen Verwundbarkeit. Offen ist auch die Integration <strong>der</strong> Dynamik<br />
des Klimawandels <strong>in</strong> den im H<strong>in</strong>blick auf dauerhaft zu erreichende Schutzniveaus bisher eher stati-<br />
schen Hochwasserschutz („HQ 100“). Dieser Punkt berührt nicht zuletzt das zukünftige Verhältnis von<br />
politisch-adm<strong>in</strong>istrativem System e<strong>in</strong>erseits und Klimafolgenforschung an<strong>der</strong>erseits.<br />
Der Beitrag <strong>in</strong>sgesamt greift auf neuere politikwissenschaftliche Ansätze zurück und geht von e<strong>in</strong>em<br />
dynamischen Zusammenwirken e<strong>in</strong>er Vielzahl von bee<strong>in</strong>flussenden Variablen aus: Akteure und Koali-<br />
tionen, Inhalte (Problemsichten, Ideen etc.), „Organisation“ (Instrumente, Abläufe, Zuständigkeiten,<br />
Ressourcen etc.;). In empirischer H<strong>in</strong>sicht wird Bezug auf e<strong>in</strong> vor kurzem an <strong>der</strong> Universität Bremen<br />
(u.a.) abgeschlossenes Forschungsprojekt genommen („Integriertes Hochwasserrisikomanagement <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividualisierten Gesellschaft“, INNIG).<br />
Kontakt: garrelts@uni-bremen.de<br />
9
Mario Wilhelm, Mart<strong>in</strong> Voss: Megacity und Resilienz – Das Beispiel Jakarta<br />
Am Beispiel Jakarta lassen sich Grenzen klassischer Stadtplanung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Megacity im Bezug auf<br />
Gefahren aufzeigen. So wird die Hochwassergefahr <strong>in</strong> Jakarta durch vielfältige mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wechsel-<br />
wirkende Faktoren wie z.B. rechtliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, Abholzung am Oberlauf, Oberflächen-<br />
versiegelung im Stadtgebiet, Siedlungsstruktur und <strong>der</strong>en geo-physische Lage bed<strong>in</strong>gt. Zuständige<br />
Stakehol<strong>der</strong> suchen vor dem H<strong>in</strong>tergrund zunehmen<strong>der</strong> Komplexität und des Klimawandels daher<br />
zunehmend neben technischen (wie beispielsweise e<strong>in</strong> Frühwarnsystem und Evakuierungskarten)<br />
auch nach nicht-technischen (nicht-strukturellen) Lösungen für e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes Katastrophenmanage-<br />
ment.<br />
Verschiedene Bevölkerungsgruppen s<strong>in</strong>d vom Hochwasser unterschiedlich betroffen, sowohl was<br />
Wasserhöhe und -dauer betrifft als auch die Möglichkeiten, sich auf die Flut e<strong>in</strong>zustellen und die Fol-<br />
gen des Hochwassers zu bewältigen. Ärmere Bevölkerungsschichten besiedeln vorwiegend ‚vulne-<br />
rable‘ Stadtgebiete, da diese Gebiete nicht nur Gefahren, son<strong>der</strong>n auch Chancen bieten. Unabhängig<br />
von den Aktivitäten <strong>der</strong> Stadtverwaltung haben sie gelernt, mit urbanen Gefahren umzugehen und sie<br />
<strong>in</strong> den Alltag zu <strong>in</strong>tegrieren. Soziale Netzwerke (bzw. soziales Kapital im weiteren S<strong>in</strong>ne) spielen dabei<br />
e<strong>in</strong>e bedeutende Rolle, da auf ökonomisches Kapital nur <strong>in</strong> seltenen Fällen zurückgegriffen werden<br />
kann. Die <strong>in</strong>donesische RW/RT-Struktur (Geme<strong>in</strong>schafts- und Nachbarschaftssystem) ist dabei zent-<br />
ral. Dynamiken e<strong>in</strong>er starken Urbanisierung wie z.B. Migration und Zwangsräumungen setzen diese<br />
sozialen Netzwerke jedoch unter Druck.<br />
Am Beispiel <strong>der</strong> Hochwassergefahr <strong>in</strong> Jakarta werden die Grenzen e<strong>in</strong>es technischen Risikomanage-<br />
ments aufgezeigt. Anhand e<strong>in</strong>er Siedlung am Damm des Westflutkanals werden exemplarisch Gefah-<br />
ren und Möglichkeiten ökonomisch armer Bevölkerungsschichten <strong>in</strong> ‚vulnerablen‘ Siedlungsgebieten<br />
dargestellt. Sodann wird anhand dieses Beispieles <strong>der</strong> Resilienzansatz skizziert und <strong>der</strong> damit ver-<br />
bundene <strong>Paradigmenwechsel</strong> diskutiert. Es lässt sich zeigen, dass we<strong>der</strong> <strong>der</strong> klassische „command-<br />
and-control“ noch <strong>der</strong> Vulnerabilitätsansatz <strong>der</strong> Komplexität und Dynamik des sozial-ökologischen<br />
Systems Megacity gerecht werden, so lange die lokalen Spezifika <strong>der</strong> historisch gewachsenen<br />
Mensch-Umweltbeziehung und <strong>der</strong>en Selbstorganisations- und Adaptionspotentiale nicht ihrerseits<br />
angemessen theoretisch und methodologisch Berücksichtigung f<strong>in</strong>den.<br />
Kontakt: MarioWilhelm@gmx.net; email@mart<strong>in</strong>voss.de<br />
Christian Hildmann und Kathleen Liese: Hochwasserschutz auf <strong>der</strong> Grundlage e<strong>in</strong>es systemi-<br />
schen Ansatzes für das gesamte E<strong>in</strong>zugsgebiet<br />
Wenngleich <strong>der</strong> technisch orientierte Hochwasserschutz auf viele Erfolge zurückblicken kann, so zei-<br />
gen doch die großen Hochwasser <strong>der</strong> vergangenen Jahre (z. B. O<strong>der</strong> 1997, Elbe 2002), dass dieser<br />
offensichtlich nicht ausreicht, um die Sicherheit <strong>der</strong> Bevölkerung zu gewährleisten. Dennoch s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> großen Hochwasser überwiegend bestehende Deiche erhöht und ertüchtigt worden,<br />
während großflächige Retentionsräume nicht geschaffen werden konnten. Der vorliegende Beitrag<br />
10
möchte aufzeigen, dass für e<strong>in</strong>en <strong>Paradigmenwechsel</strong> e<strong>in</strong> systemischer Ansatz unverzichtbar ist und<br />
was dies für die Flusse<strong>in</strong>zugsgebiete bedeuten könnte.<br />
Sektorale Sichtweisen und l<strong>in</strong>eares Ursache-Wirkungs-Denken führen dazu, dass mögliche Wechsel-<br />
wirkungen und die reale Problemlage nicht richtig erkannt werden. Als Folge können empfohlene<br />
Maßnahmen z. B. zur Erhöhung des Hochwasserschutzes zu unbeabsichtigten negativen Nebenwir-<br />
kungen o<strong>der</strong> sogar zur Verschärfung <strong>der</strong> Hochwasserfolgen, v. a. <strong>der</strong> Unterlieger, führen (vgl. Elbe-<br />
Hochwasser 2006). An Stelle dessen halten wir e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes und systemisches Hochwasserrisiko-<br />
management erfor<strong>der</strong>lich. Dazu ist das gesamte Systemverhalten, dass zu e<strong>in</strong>em Hochwasser führt,<br />
zu betrachten und aus dem Systemzusammenhang s<strong>in</strong>d die wesentlichen „Stellschrauben“ für e<strong>in</strong><br />
wirksamen Hochwasserschutz zu erkennen, um neben <strong>der</strong> sonst betriebenen Symptombehandlung an<br />
den Ursachen anzugreifen. Grundlage dafür s<strong>in</strong>d die Wechselwirkungen im System „E<strong>in</strong>zugsgebiet“.<br />
Bereits durch die mit <strong>der</strong> Besiedlung Mitteleuropas e<strong>in</strong>hergehende weiträumige Entwaldung wurde <strong>der</strong><br />
Abfluss aus <strong>der</strong> Landschaft erhöht. Die Trockenlegung <strong>der</strong> Feuchtgebiete und die großflächige Drai-<br />
nage landwirtschaftlicher Flächen reduzierten den Wasserrückhalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landschaft erheblich. Die<br />
E<strong>in</strong>deichung ursprünglicher Retentionsräume entlang <strong>der</strong> Gewässer und die weiter wachsenden Sied-<br />
lungs- und Verkehrsflächen verschärfen die Probleme. Durch den reduzierten Wasserrückhalt und die<br />
fehlenden Feuchtgebiete und Gehölze ist die Verdunstung verr<strong>in</strong>gert (e<strong>in</strong>geschränkte Kühlfunktion),<br />
so dass die Landschaft stärker überwärmt und <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>räumige Wasserkreislauf geschwächt wird.<br />
Anzahl und Länge <strong>der</strong> Trockenperioden nehmen zu, die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit für irreversible Stof-<br />
fausträge steigt. Der landschaftsbürtige Klimawandel verstärkt nicht nur die Naturgefahren, son<strong>der</strong>n<br />
gefährdet aufgrund se<strong>in</strong>er Wechselwirkungen die Landschaft als Lebensgrundlage des Menschen.<br />
Deshalb ist e<strong>in</strong> grundsätzlicher Wandel zu e<strong>in</strong>er an die Umwelt angepassten Bewirtschaftung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>-<br />
zugsgebiete notwendig. Dabei können die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur wirksamen Mechanismen als Vorbild dienen,<br />
wie z. B. die Steigerung des Wirkungsgrades, Mehrfachnutzung, Recycl<strong>in</strong>g o<strong>der</strong> Symbiosen (geme<strong>in</strong>-<br />
schaftliches Handeln). Erschwert wird dies durch die zunehmende Flächenkonkurrenz, da neben dem<br />
Hochwasserschutz Lebensmittel und nachwachsende Rohstoffe produziert werden müssen und auch<br />
<strong>der</strong> Naturschutz Ansprüche anmeldet. Dieser Wandel gel<strong>in</strong>gt nur durch e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>tegrativen Ansatz, <strong>der</strong><br />
die Kopplung von Prozessen ebenso wie die Multifunktionalität <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zugsgebiete berücksichtigt. Es<br />
können nur e<strong>in</strong>ige standortangepasste Module exemplarisch genannt werden. Bewirtschaftete<br />
Feuchtgebiete entlang <strong>der</strong> Gewässer trügen z. B. zum Wasser- und Stoffrückhalt neben <strong>der</strong> Bereitstel-<br />
lung nachwachsen<strong>der</strong> Rohstoffe bei. In den oberen E<strong>in</strong>zugsgebieten angelegte Retentionsmulden<br />
hielten das Regenwasser zurück und für die Verdunstung länger vor. Gehölzstreifen im Kurzumtrieb<br />
könnten gezielt als Kühlrippen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landschaft e<strong>in</strong>gesetzt werden. Pol<strong>der</strong> für den Hochwasserschutz<br />
fänden dann größere Akzeptanz, wenn diese so genutzt werden, dass <strong>der</strong>en Überschwemmung nur<br />
ger<strong>in</strong>gen wirtschaftlichen Schaden verursacht.<br />
E<strong>in</strong> solcher <strong>in</strong>tegrativer Ansatz trüge nicht nur zum Hochwasserschutz bei, son<strong>der</strong>n auch zur Lösung<br />
an<strong>der</strong>er für den Menschen existenziellen Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landschaft.<br />
Kontakt: kathleen.liese@geo.uni-halle.de<br />
11
Themenblock 3: Risikokultur - Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Katastrophenvorsorge<br />
Karl-Michael Höferl: Von <strong>der</strong> Gefahrenabwehr zur Risikokultur – e<strong>in</strong>e „angesagte Revolution“<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Raumplanung Österreichs?<br />
In <strong>der</strong> gegenwärtigen deutschsprachigen Diskussion zum planerischen Umgang mit Naturgefahren<br />
f<strong>in</strong>det sich neben e<strong>in</strong>er Vielzahl <strong>in</strong>haltlicher und def<strong>in</strong>itorischer Dissonanzen auch e<strong>in</strong>e erstaunlich<br />
mehrheitsfähige For<strong>der</strong>ung: Das vorherrschende Sicherheitsdenken bzw. die Gefahrenabwehr sol-<br />
le/könne bzw. müsse sich zu e<strong>in</strong>er umfassenden „Risikokultur“ wandeln, um so zukunftsfähige Lösun-<br />
gen bereitstellen zu können (vgl. z.B. PLANAT, 2000; PATEK, 2002; GREIVING, 2007). Bei dieser<br />
Aussage bleiben Fragen nach dem momentanen Ausgangspunkt dieser Entwicklung, <strong>der</strong>en Ausmaß<br />
und Struktur sowie <strong>in</strong>haltliche Orientierung oftmals jedoch unbeantwortet.<br />
Ziel dieses Beitrags ist es, aus Sicht <strong>der</strong> Fachdiszipl<strong>in</strong> „Raumplanung“ diese For<strong>der</strong>ung aufzugreifen<br />
und dafür zunächst den Begriff <strong>der</strong> „Risikokultur“ (theoriegeleitet) zu konkretisieren und zu konzeptua-<br />
lisieren. Weiterführend wird e<strong>in</strong>, aus dem Forschungsdesign me<strong>in</strong>er laufenden Dissertation heraus<br />
abgeleitetes, Analysemodell diskutiert, wodurch:<br />
a) die „rekonstruktive Konstruktion“ (vgl. BÜHRMANN und SCHNEIDER, 2007) <strong>der</strong> bisherige Entwick-<br />
lung und Durchsetzung raumplanerischer Risikokulturen <strong>in</strong> Österreich, sowie b) die Ableitung mögli-<br />
cher Entwicklungsszenarien <strong>der</strong> vorherrschenden raumplanerischen Risikokultur(en) ermöglicht wer-<br />
den soll. Ergänzend werden erste E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Umsetzung dieses Ansatzes gegeben.<br />
Ausgangspunkt des vorgestellten Zugangs bildet die Überlegung, das Verständnis des Begriffs „Risi-<br />
kokultur“ an jenes <strong>der</strong> „Planungskultur“ (vgl. z.B. FALUDI, 2005; WEICHHART, 2007) anzulehnen.<br />
Hierdurch kann e<strong>in</strong>e „raumplanerische Risikokultur“ als „das Gesamt <strong>der</strong> materiellen, handlungsprakti-<br />
schen, sozialen, kognitiven und normativen Infrastruktur […] und <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> dadurch erzeug-<br />
ten ‚Problemlösung[en]’“ (KELLER, 2006, S. 136) im Praxisfeld <strong>der</strong> Raumplanung verstanden werden.<br />
Zur methodischen Handhabung dieses Verständnisses von „Risikokultur“ wird die Forschungsper-<br />
spektive des „Risiko-Dispositivs“ vorgeschlagen, worunter <strong>der</strong> prozessierende Zusammenhang von<br />
Diskurs, Handeln und Vergegenständlichungen verstanden wird (vgl. JÄGER, 2006, S. 109). Dies<br />
ermöglicht es, raumplanerische Risikokulturen bzw. <strong>der</strong>en Entwicklung nicht nur anhand <strong>der</strong> Genese<br />
ihrer Deutungsmuster, Verfahren und Instrumente, son<strong>der</strong>n auch anhand <strong>der</strong> Genese ihrer Implemen-<br />
tationen und Materialisierungen zu beschreiben. Forschungspraktisch wird dabei zunächst auf Ebene<br />
<strong>der</strong> österreichischen Bundeslän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> diskursiven Konstitution kulturprägen<strong>der</strong> „Story-<br />
L<strong>in</strong>es“ 1 sowie den daraus resultierenden „Policy Arrangements“ (vgl. ARTS, VAN TATENHOVE und<br />
LEROY, 2000) nachgegangen. Die Implementierungen dieser Arrangements, die durch sie ermöglich-<br />
ten nicht-diskursive Praxen und die daraus resultierenden Materialisierungen (z.B. Bauten <strong>in</strong> über-<br />
schwemmungsgefährdeten Lagen) werden anhand kommunaler Fallbeispiele untersucht. Anhand <strong>der</strong><br />
dadurch aufzeigbaren Verb<strong>in</strong>dungen von Diskursen mit Handlungen und Vergegenständlichungen soll<br />
das zuvor dargestellte Verständnis von Risikokultur(en) als Risiko- Dispositiv(e) empirisch erschlossen<br />
werden.<br />
1 Verstanden als argumentative Verknüpfung von Deutungsmustern des kulturellen Interpretationsrepertoires.<br />
12
Auf Basis dieses E<strong>in</strong>blicks <strong>in</strong> aktuelle raumplanerische Risiko-Dispositive sollen <strong>der</strong>en mögliche zu-<br />
künftige diskursive Transformationen diskutiert werden. Diese diskursive Prognostik wird anhand <strong>der</strong><br />
Erstellung von Szenarien durchgeführt, welche im Rahmen e<strong>in</strong>es mo<strong>der</strong>ierten Expertenworkshops<br />
e<strong>in</strong>er Evaluation unterzogen werden. Als e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Umsetzung dieses Forschungszugangs<br />
werden die Ergebnisse e<strong>in</strong>er Delphi-Befragung österreichischer Raumplanungsexperten zur Def<strong>in</strong>ition<br />
und Wahrnehmung von Risiken sowie zu <strong>der</strong>en Handhabung vorgestellt.<br />
Literatur:<br />
ARTS, B., VAN TATENHOVE, J. und LEROY, P. (2000): Policy Arrangements. In: VAN TATENHOVE,<br />
J., ARTS, B. und LEROY, P. (Hrsg.): Political Mo<strong>der</strong>nisation an the Environment - The Renewal of Environmental Policy Ar-<br />
rangements. Dordreecht, Kluwer, S. 53-69.<br />
BÜHRMANN, A. und SCHNEIDER, W. (2007): Mehr als nur diskursive Praxis? - Konzeptionelle Grundlagen und methodische<br />
Aspekte <strong>der</strong> Dispositivanalyse. In: Forum Qualitative Sozialforschung. Bd. 8(2), S. n.b. Onl<strong>in</strong>e im Internet:<br />
http://www.qualitativeresearch.net/fqs-texte/2-07/07-2-28-d.htm, Stand: 0<strong>4.</strong>02.2008.<br />
FALUDI, A. (2005): The Netherlands: A culture with a soft spot for plann<strong>in</strong>g. In: SANYAL, B. (Hrsg.): Comparative Plann<strong>in</strong>g<br />
Cultures. New York - London, Routledge, S. 285-307.<br />
JÄGER, S. (2006): Diskurs und Wissen - Theoretische und methodische Aspekte e<strong>in</strong>er Kritischen Diskurs- und Dispositivanaly-<br />
se. In: KELLER, R., et al. (Hrsg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse - Band 1: Theorien und Methoden - 2.<br />
Auflage. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 83-113.<br />
KELLER, R. (2006): Wissenssoziologische Diskursanalyse. In: KELLER, R., et al. (Hrsg.):<br />
Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse - Band 1: Theorien und Methoden<br />
- 2. Auflage. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 115-146.<br />
PATEK, M. (2002): Schutz vor alp<strong>in</strong>en Naturgefahren - Von <strong>der</strong> Gefahrenabwehr zur Risikokultur. In: Ländlicher Raum. Bd.<br />
2002(5), S. 6-9.<br />
PLANAT NATIONALE PLATTFORM FÜR NATURGEFAHREN (2000): Von <strong>der</strong> Gefahrenabwehr zur Risikokultur. Bundesamt<br />
für Wasser und Geologie BWG, Biel.<br />
GREIVING, S. (2007): Risiko und Raumplanung - materielle und <strong>in</strong>stitutionelle Herausfor<strong>der</strong>ungen. Unterlagen zum gleichnami-<br />
gen Vortrag, gehalten am 20.11.2007 an <strong>der</strong> Universität Wien.<br />
WEICHHART, P. (2007): Konzeption e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternational vergleichenden Forschung zu „Planungskulturen“. Unterlagen zum<br />
gleichnamigen Vortrag. Onl<strong>in</strong>e im Internet: http://homepage.univie.ac.at/peter.weichhart/Homepage/P249PlKultILS07KorrA.ppt,<br />
Stand: 10.09.2007.<br />
Kontakt: karlmichael.hoeferl@boku.ac.at<br />
Kathar<strong>in</strong>a Krämer, Timm Pliefke, Udo Peil: Risikoreduktion durch vorbeugenden Katastrophen-<br />
schutz – Effizient <strong>in</strong>vestieren ja, aber wann???<br />
Die Möglichkeit, öffentliche Gel<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Risikovorsorge von Naturkatastrophen zu <strong>in</strong>vestieren, kann<br />
als spezielles Investitionsproblem betrachtet werden, über dessen Vorteilhaftigkeit <strong>in</strong> Gegenwart vieler<br />
an<strong>der</strong>er Investitionsalternativen zu urteilen ist. Da e<strong>in</strong>er Gesellschaft nur begrenzte f<strong>in</strong>anzielle Mittel<br />
zur Verfügung stehen, ist e<strong>in</strong>e Entscheidung zur Durchführung o<strong>der</strong> Unterlassung e<strong>in</strong>er Maßnahme<br />
anhand möglichst e<strong>in</strong>heitlicher und objektiver Kriterien zu treffen, um so e<strong>in</strong>e effiziente Allokation <strong>der</strong><br />
Ressourcen gewährleisten zu können. In Analogie zu betriebswirtschaftlichen Investitionen kommt<br />
dabei den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft zu erwartenden Kosten und Nutzen <strong>der</strong> Investition e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung<br />
zu, e<strong>in</strong>e Entscheidungsf<strong>in</strong>dung über e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Kosten-Nutzen-Analyse ist jedoch aufgrund <strong>der</strong><br />
komplexen Problemstruktur nicht ohne Weiteres möglich. Während die Kosten <strong>der</strong> Maßnahme noch<br />
verhältnismäßig e<strong>in</strong>fach zu bestimmen s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d die Nutzen <strong>in</strong> Form reduzierter Konsequenzen im<br />
13
Falle des Katastrophene<strong>in</strong>tritts nur durch e<strong>in</strong>e komplexe Analyse abschätzbar. Neben den durch den<br />
ungewissen E<strong>in</strong>tritt <strong>der</strong> Katastrophe und ihre Intensität unmittelbar <strong>in</strong>härenten Unsicherheiten kommen<br />
noch Unsicherheiten bezüglich <strong>der</strong> zu erwartenden Konsequenzen sowie <strong>der</strong> Wirksamkeit <strong>der</strong> Maß-<br />
nahme im Katastrophenfall h<strong>in</strong>zu. Zusätzlich erschwert wird die Nutzenabschätzung durch die Not-<br />
wendigkeit, die Vielfalt <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Nutzenkomponenten, wie z.B. gerettete Menschenleben, verr<strong>in</strong>-<br />
gerte Umweltschäden etc., <strong>in</strong> monetäre Werte zu überführen, um diese schließlich mit den Kosten <strong>der</strong><br />
Maßnahme vergleichen zu können. Die aufgeführten Probleme bei <strong>der</strong> Bewertung des gesellschaftli-<br />
chen Nutzens e<strong>in</strong>er Risikoreduktionsmaßnahme zeigen, dass es sich bei <strong>der</strong> Entscheidung zur Durch-<br />
führung o<strong>der</strong> Unterlassung e<strong>in</strong>es solchen Projektes um e<strong>in</strong>en sehr vielschichtigen, mit vielen Unsi-<br />
cherheiten behafteten Prozess handelt. E<strong>in</strong>e Methode für die Bewertung von Maßnahmen zur Reduk-<br />
tion von Katastrophenrisiken muss demnach <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage se<strong>in</strong>, dem E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Unsicherheit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Kosten-Nutzen-Analyse angemessen Rechnung zu tragen.<br />
Im vorliegenden Beitrag soll das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Betriebswirtschaft zunehmend an Bedeutung gew<strong>in</strong>nende<br />
Konzept <strong>der</strong> so genannten Realoptionen zur Bewertung von Investitionen unter Unsicherheit erstmalig<br />
auf Maßnahmen im vorbeugenden Katastrophenschutz übertragen werden. Dieser <strong>in</strong>novative be-<br />
triebswirtschaftliche Bewertungsansatz ermöglicht es, die Flexibilität, auf den Zugang neuer Informati-<br />
onen bezüglich des zu erwartenden Projektverlaufes angemessen reagieren zu können, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Investi-<br />
tionsentscheidung zu berücksichtigen. So ist es bei Investitionen <strong>in</strong> den vorbeugenden Katastrophen-<br />
schutz <strong>in</strong> vielen Fällen möglich, die Investition unmittelbar, zu e<strong>in</strong>em zukünftigen Zeitpunkt o<strong>der</strong> bei<br />
beson<strong>der</strong>s ungünstiger Entwicklung auch nie durchzuführen. Durch die Verschiebung <strong>der</strong> Investition<br />
wird zwar zunächst auf den von <strong>der</strong> Projektdurchführung erwarteten Vorteil verzichtet, jedoch kann<br />
das Investitionsrisiko reduziert werden, da bei <strong>der</strong> Entscheidungsf<strong>in</strong>dung zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt<br />
mehr Informationen zur Verfügung stehen. Diese Flexibilität bezüglich des Investitionszeitpunktes<br />
gew<strong>in</strong>nt beson<strong>der</strong>s dann an Bedeutung, wenn die bei <strong>der</strong> Entscheidung zur Durchführung <strong>der</strong> Investi-<br />
tion e<strong>in</strong>mal entstandenen Kosten bei e<strong>in</strong>em späteren Abbruch des Investitionsprojektes nicht ohne<br />
weiteres wie<strong>der</strong> zurück gewonnen werden können. Die mit <strong>der</strong> Investitionsentscheidung verbundenen<br />
Handlungsspielräume bezüglich des Investitionszeitpunktes werden im diskutierten Konzept als Wahl-<br />
rechte betrachtet, vergleichbar mit dem, das dem Halter e<strong>in</strong>er F<strong>in</strong>anzoption <strong>in</strong> Bezug auf den Kauf<br />
o<strong>der</strong> Verkauf des im Optionskontrakt spezifizierten Basistitels zusteht. Fällt die Entscheidung zur so-<br />
fortigen Investition, geht die Möglichkeit des Wartens auf zusätzliche Information verloren. Somit müs-<br />
sen letztendlich die Nutzen die Kosten um e<strong>in</strong>en Betrag überschreiten, <strong>der</strong> größer ist, als <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong><br />
Option zur Verschiebung <strong>der</strong> Investitionsentscheidung auf e<strong>in</strong>en späteren Zeitpunkt mit besserem<br />
Informationsstand.<br />
KEYWORDS: Investition, Risikoreduktion, Katastrophenschutz, Realoption, Unsicherheit<br />
Kontakt: kraemer@ibk.baug.ethz.ch; t.pliefke@is.tu-braunschweig.de<br />
14
Frank Oberholzner: „Das bißchen Hagel...“ Wahrnehmung und Bewätigung von Naturgefahren<br />
im Agrarbereich seit <strong>der</strong> frühen Neuzeit<br />
Im Bereich <strong>der</strong> Landwirtschaft zählen Hagelstürme mit zu den größten Risiken, kann doch <strong>in</strong>nerhalb<br />
weniger M<strong>in</strong>uten die Arbeit e<strong>in</strong>es ganzen Jahres vernichtet werden. Trotz <strong>der</strong> Anwendung mo<strong>der</strong>nster<br />
Techniken ist <strong>der</strong> Mensch immer noch nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, die Bildung von Hagelunwettern zu verh<strong>in</strong>-<br />
<strong>der</strong>n, so dass Mittel und Wege gefunden werden mussten, um <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die ökonomischen Fol-<br />
gen bewältigen zu können. Um 1800 entstanden daher die ersten Hagelversicherungsgesellschaften<br />
<strong>in</strong> Deutschland. Doch wie war dies möglich? Ohne Zweifel kam es <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte<br />
des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts zu e<strong>in</strong>em bedeutenden Wirtschaftswachstum. Jedoch galt <strong>der</strong> Hagel bis <strong>in</strong> die<br />
Frühe Neuzeit als e<strong>in</strong>e Strafe Gottes, die man demütig zu ertragen hatte. Warum fand quasi e<strong>in</strong>e<br />
Entmystifizierung von Hagelstürmen statt, gegen die man sich nun auf rationaler Grundlage versichern<br />
konnte?<br />
Das Projekt beschäftigt sich daher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten großen Teil mit den H<strong>in</strong>tergründen, die für die Ent-<br />
stehung dieses <strong>in</strong>novativen Risikovorsorge<strong>in</strong>struments verantwortlich waren. Dabei wäre es allerd<strong>in</strong>gs<br />
zu kurz gegriffen, alle<strong>in</strong>e auf die sozioökonomischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen im 18. und frühen 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t abzustellen. Ohne Zweifel kam es damals zu tief greifenden Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> Wirtschaft,<br />
Gesellschaft und v.a. <strong>der</strong> Landwirtschaft, man denke nur an die Reformmaßnahmen, die im Zuge <strong>der</strong><br />
so genannten Bauernbefreiung durchgeführt wurden. Was <strong>in</strong> früheren Arbeiten zur Geschichte <strong>der</strong><br />
Hagelversicherung allerd<strong>in</strong>gs fast gänzlich vernachlässigt wurde, s<strong>in</strong>d wahrnehmungsgeschichtliche<br />
Aspekte. Dazu zählen die sich wandelnden Perzeption von Unwettern, aber auch <strong>der</strong> Diskurs h<strong>in</strong>sicht-<br />
lich <strong>der</strong> Gründung von mo<strong>der</strong>nen Assekuranzen.<br />
Im zweiten großen Teil des Projektes steht <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Bewältigung im Mittelpunkt. Konkret wird<br />
die weitere Entwicklung <strong>der</strong> Hagelversicherung auf <strong>der</strong> Makroebene (Hagelversicherungsbranche)<br />
und <strong>der</strong> Mikroebene (ausgewählte Unternehmen) untersucht. In Anlehnung an den Stakehol<strong>der</strong>-<br />
Value-Ansatz wurden vier Bereiche identifiziert, welche auf die Entwicklung <strong>der</strong> Branche und <strong>der</strong> e<strong>in</strong>-<br />
zelnen Unternehmen bee<strong>in</strong>flusst haben: politische und makro-ökonomische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die<br />
Geschehnisse im Agrarsektor wie Innovationen aber auch die Agrarkonjunktur, die Mitwettbewerber<br />
und das Naturereignis selbst, das beispielsweise mit zu Produktweiterentwicklungen beigetragen hat.<br />
Methodisch werden dabei v. a. ökonomische Analyse<strong>in</strong>strumente wie die Pr<strong>in</strong>cipal-Agent-Theorie<br />
verwendet, um die Effizienz <strong>der</strong> neu geschaffenen Institutionen zu zeigen. Was die Quellen betrifft, so<br />
wird für den kulturgeschichtlichen Teil bzw. die Diskursanalyse auf e<strong>in</strong>e Auswahl von religiösen, öko-<br />
nomischen und frühen naturwissenschaftlichen Traktaten aus dem 17. und 18. Jahrhun<strong>der</strong>t zurückge-<br />
griffen. Für den branchen- und unternehmenshistorischen Teil erfolgt e<strong>in</strong>e Auswertung diverser Fir-<br />
menarchive und weiterer Bestände (Bundesarchivs, Bayerisches Hauptstaatsarchiv o<strong>der</strong> Rhe<strong>in</strong>isch-<br />
Westfälisches Wirtschaftsarchiv). B<strong>in</strong>deglied zwischen den großen Teilen <strong>der</strong> Studie ist das Konzept<br />
<strong>der</strong> Wahrnehmung und Deutung von Naturkatastrophen bzw. <strong>der</strong>en Bewältigung. Methodisch gese-<br />
hen kommen <strong>in</strong> dem Projekt kultur-, umwelt- und wirtschaftsgeschichtliche Ansätze zum Tragen. So<br />
entsteht e<strong>in</strong> komplexes Bild <strong>der</strong> Risikowahrnehmung von Hagelschlägen und die Entwicklung von<br />
<strong>in</strong>novativen Vorsorge<strong>in</strong>stitutionen, wie es bisher nicht vorhanden ist.<br />
Kontakt: Frank.Oberholzner@tum.de<br />
15
Themenblock 4: Risikowahrnehmung, Risikowissen und Risikobewusstse<strong>in</strong> –<br />
Evaluationen, Experimente, Pilotprojekte<br />
Doris Hallama: Landschaften zur Sicherheit<br />
Sicherheitsbauten <strong>in</strong> den Alpen gelten als etwas Alltägliches; sie werden als Notwendigkeiten aus-<br />
schließlich an funktionalen und technischen Vorgaben gemessen. Der Auswirkung auf Landschaft und<br />
Bild <strong>der</strong> Alpen wird dabei wenig Beachtung geschenkt. Me<strong>in</strong>e Behauptung ist, dass Katastrophenprä-<br />
vention und Schutzmaßnahmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er konstituierenden Wechselbeziehung stehen zu Verständnis<br />
und Wahrnehmung von Landschaft. Damit wird vorausgesetzt, dass Sicherheitsdenken und Schutz-<br />
strategien prägenden E<strong>in</strong>fluss nehmen auf unser Bild <strong>der</strong> alp<strong>in</strong>en Landschaft und somit die Landschaft<br />
selbst.<br />
Von Foucault wird <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz von Mechanismen zur Schaffung vollkommener Sicherheit und Kontrol-<br />
le schon beschrieben, e<strong>in</strong> Phänomen das sich <strong>in</strong>zwischen auf alle gesellschaftlichen Ebenen übertra-<br />
gen hat. Nicht nur Mechanismen <strong>der</strong> Sicherheit alle<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n Sicherheitstechniken o<strong>der</strong> überhaupt<br />
e<strong>in</strong>e Sicherheitsgesellschaft stehen <strong>in</strong>zwischen zur Diskussion. Dabei ist e<strong>in</strong>e signifikante Verschie-<br />
bung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Sicherheitstechniken zu beobachten: Von defensiver Gefahrenabwehr o<strong>der</strong> nach-<br />
träglicher Kompensation entstandener Schäden h<strong>in</strong> zu Prävention und aktiver Steuerung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>tritts-<br />
wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten objektiver Risiken. 2<br />
Der E<strong>in</strong>fluss dieser gesellschaftlichen Prozesse und <strong>der</strong> darauf antwortenden Sicherheitstechniken auf<br />
die Wahrnehmung des Raumes wird nun am Beispiel des Law<strong>in</strong>enschutzes <strong>in</strong> <strong>der</strong> alp<strong>in</strong>en Landschaft<br />
untersucht.<br />
Die Frage ist wie sich die Entwicklung <strong>der</strong> Schutzstrategien im alp<strong>in</strong>en Raum abzeichnet und welche<br />
Auswirkungen sie auf die Wahrnehmung <strong>der</strong> Alpen hat. Dabei soll <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das Spannungsfeld<br />
zwischen Naturgefahr und dem aktuellen positiven Image <strong>der</strong> Alpen beachtet werden.<br />
Mit <strong>der</strong> touristischen Erschließung kommt es zur Herstellung <strong>der</strong> bis heute ähnlichen Bil<strong>der</strong> alp<strong>in</strong>er<br />
Regionen. Diese Erschließung aber beruhte neben den dafür notwendigen Verkehrsbauten und Ge-<br />
bäudetypologien auch auf dem Schutz <strong>der</strong> erschlossenen Gebiete vor den so genannten natürlichen<br />
Gefahren <strong>der</strong> Berge wie Law<strong>in</strong>en, Muren, reißende Wildbäche, o<strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>schlag. Erst über diese Ab-<br />
sicherung kann es zur touristischen Öffnung <strong>der</strong> Alpen kommen, die für das jeweils gängige Land-<br />
schaftsbild mitverantwortlich ist.<br />
War <strong>der</strong> erste nachweisliche Schutz vor Law<strong>in</strong>en noch, von den Betroffenen selbst errichteter, Direkt-<br />
schutz an Gebäuden, so wurden durch zu sichernde Verkehrswege wie Arlberg- und Brennerbahn die<br />
ersten kollektiven Baumaßnahmen notwendig. 3 Diese frühen Bauten zeichnen sich aus durch das<br />
Bestreben die Law<strong>in</strong>e nicht den zu schützenden Ort erreichen zu lassen. Sie wurde mit Galerien o<strong>der</strong><br />
Auffangbecken, Bremskegel und Dämmen davon abgehalten die neuen Verb<strong>in</strong>dungsstraßen zu blo-<br />
ckieren und jemanden zu gefährden. Erst daraus entwickelte sich die Strategie <strong>der</strong> Prävention die<br />
nicht mehr Verbauung im Bereich <strong>der</strong> Erschließung war son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>greifen an den Hängen selbst.<br />
2 vgl.: Aldo Legnaro: Konturen <strong>der</strong> Sicherheitsgesellschaft. In: Leviathan, Jg 1997, Heft 2. S.281; Thomas Lemke: "E<strong>in</strong>e Kultur<br />
<strong>der</strong> Gefahr" - Dispositive <strong>der</strong> Unsicherheit im Neoliberalismus. In: Wi<strong>der</strong>spruch, Jg. 24, Nr. 46, S. 89-98<br />
3 vgl. Siegfried Sauermoser: Schutzmaßnahmen im Wandel <strong>der</strong> Zeit. In: Wildbach- und Law<strong>in</strong>enverbauung, Sektion Tirol.<br />
(Hrsg.): Kompetenz zum Schutz vor Naturgefahren <strong>in</strong> Tirol. S. 5<br />
16
Diese Maßnahmen die ganze Law<strong>in</strong>enanrissgebiete verbauen um das Auslösen e<strong>in</strong>er Law<strong>in</strong>e zu ver-<br />
h<strong>in</strong><strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d nicht mehr zugefügte Elemente <strong>der</strong> Erschließung son<strong>der</strong>n werden zu e<strong>in</strong>em gestaltenden<br />
Teil <strong>der</strong> Berglandschaft.<br />
Auffallend aber ist, dass diese Art von E<strong>in</strong>griffen und Bauwerken nicht als Son<strong>der</strong>fälle wahrgenommen<br />
werden, son<strong>der</strong>n im Alltäglichen, Notwendigen auf <strong>der</strong> Suche nach landschaftlicher Schönheit unter-<br />
gehen, höchstens dafür extra ausgeblendet werden.<br />
Im W<strong>in</strong>dschatten <strong>der</strong> Sicherheitsdiskurse, also verme<strong>in</strong>tlich rechnerischer Fakten und <strong>der</strong>en techni-<br />
schen Lösungen, bleibt e<strong>in</strong>e Diskussion über ihren gestaltenden E<strong>in</strong>fluss auf Orts- und Landschafts-<br />
bild völlig unh<strong>in</strong>terfragt.<br />
Kontakt: Doris.Hallama@uibk.ac.at<br />
Christ<strong>in</strong>a Grunert; Alexan<strong>der</strong> Siegmund: Naturkatastrophen aus <strong>der</strong> Sicht von Jugendlichen –<br />
e<strong>in</strong>e empirische Studie zur Risikowahrnehmung von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern <strong>der</strong> Sekundar-<br />
stufe I<br />
Von <strong>der</strong> Bevölkerung wird <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Naturkatastrophen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch im Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> aktuellen Diskussion um den globalen Klimawandel mit wachsen<strong>der</strong> Besorgnis wahrgenom-<br />
men. Die verschiedenen Informationen über Naturkatastrophen – unabhängig ob sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schuli-<br />
schen, medialen o<strong>der</strong> persönlichen Kontext entstanden s<strong>in</strong>d – prägen das Bild <strong>der</strong> Umwelt e<strong>in</strong>es jeden<br />
e<strong>in</strong>zelnen. Dies führt zu subjektiver Risikowahrnehmung und potenziellen Umweltängsten. Kenn-<br />
zeichnend ist hierbei oftmals e<strong>in</strong>e Vermischung wissenschaftlicher Fakten mit Fiktion. Diese Tatsa-<br />
chen bieten e<strong>in</strong>e Reihe von Ansatzpunkten für verschiedene geistes- und sozialwissenschaftliche<br />
Fragestellungen.<br />
17<br />
• Wie werden Naturkatastrophen vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> subjektiven Alltagsvorstellungen<br />
wahrgenommen?<br />
• Auf welche Weise korrelieren hierbei vorhandenes Wissen und Wahrnehmung?<br />
• Inwieweit und <strong>in</strong> welche Richtung verän<strong>der</strong>t sich die Wahrnehmung von Risiken aus Natur-<br />
katastrophen durch e<strong>in</strong>en Zuwachs von Fachwissen?<br />
• Lassen sich potentielle Umweltängste durch wissenschaftliches H<strong>in</strong>tergrundwissen relativie-<br />
ren?<br />
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Naturkatastrophen aus <strong>der</strong> Sicht von Jugendlichen“ werden<br />
diese Fragestellungen exemplarisch anhand von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern <strong>der</strong> Sekundarstufe I un-<br />
tersucht. Um e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung des Wissens, <strong>der</strong> Wahrnehmung sowie <strong>der</strong> Bewertung verschiedener<br />
Formen von Umweltrisiken aus Naturkatastrophen festzustellen, wurde das Design des Pretest-<br />
Posttest-Plans gewählt. Hierbei wird e<strong>in</strong>e Stichprobe <strong>der</strong> zu untersuchenden Zielgruppe vor und nach<br />
e<strong>in</strong>em Treatment getestet. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf <strong>der</strong> Fragestellung <strong>in</strong>wieweit fachlich-<br />
naturwissenschaftliche Kompetenzen sowie das Verständnis ökologischer Zusammenhänge die E<strong>in</strong>-<br />
schätzung und Bewertung von Umweltrisiken bee<strong>in</strong>flussen.<br />
Bei dem Treatment handelt es sich um die Durchführung e<strong>in</strong>es eigens entwickelten Lernkonzepts mit<br />
dem Themenschwerpunkt „Naturkatastrophen“, bei welchem den Lehrkräften verschiedene Unter-
ichtsmaterialien <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Lernkoffers zur Verfügung gestellt werden. Dieser Lernkoffer enthält<br />
verschiedene Module, die im Unterrichtsverlauf mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> komb<strong>in</strong>iert werden können: E<strong>in</strong> Material-<br />
und Folienband wird durch e<strong>in</strong>e multimediale Lehr- und Präsentationsplattform und durch verschiede-<br />
ne Lernelemente wie Lernplakate, Gruppenarbeitskarten o<strong>der</strong> Materialien für Experimente ergänzt.<br />
Versuche zu Hochwasser, Law<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> zu Erosion durch W<strong>in</strong>d und Wasser können mit Hilfe des<br />
Lernkoffers im Klassenzimmer o<strong>der</strong> auf dem Schulhof durchgeführt werden. Sie stellen die Auswir-<br />
kungen von Naturkatastrophen sowie die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge auf anschauliche<br />
Weise dar. Die Tests <strong>in</strong> Form von Fragebögen werden sowohl vor als auch nach dem „Durchlauf“ <strong>der</strong><br />
didaktischen Gesamtkonzeption mit den Schulklassen durchgeführt. Auf diese Weise kann die Aus-<br />
wirkung des Wissenszuwachses und des Unterschieds von Vor- zu Fachwissen auf die Wahrneh-<br />
mung und Bewertung von Umweltrisiken analysiert und differenziert werden. Die zusätzliche Durch-<br />
führung von Leitfaden<strong>in</strong>terviews ermöglicht im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Methodentriangulation e<strong>in</strong>e zusätzliche<br />
qualitative Validierung <strong>der</strong> Fragestellung.<br />
Im Rahmen des Forschungsvorhabens soll auf diese Weise untersucht werden, <strong>in</strong>wieweit und auf<br />
welche Art und Weise e<strong>in</strong> realistischeres und wissenschaftlich „objektiveres“ Bild <strong>der</strong> Umwelt mit e<strong>in</strong>er<br />
Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> persönlichen Alltagstheorien und somit mit <strong>der</strong> subjektiven Wahrnehmung e<strong>in</strong>hergeht.<br />
Kontakt: grunert@ph-heidelberg.de<br />
Britta Wöllecke, Kathar<strong>in</strong>a Ehrler, Uwe Grünewald: Hochwasser-Risikovorsorge durch Be-<br />
wusstse<strong>in</strong>sbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung und Politik an <strong>der</strong> Elbe<br />
Extreme Hochwasser s<strong>in</strong>d natürliche Ereignisse und mit ihrem E<strong>in</strong>treten muss auch <strong>in</strong> Zukunft immer<br />
gerechnet werden. Ziel des Hochwasserrisikomanagements kann es daher nur se<strong>in</strong>, die Auswirkun-<br />
gen von Hochwasserereignissen sowie das Schadenspotenzial und die Gefährdung von Menschen so<br />
ger<strong>in</strong>g wie möglich zu halten. Dies setzt e<strong>in</strong> aktives Hochwasserbewusstse<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>e funktionierende<br />
Vernetzung zwischen den verschiedenen Akteuren und potenziell Betroffenen voraus.<br />
Wie Studien zu Katastrophenereignissen zeigen, haben die Akteure und die Bevölkerung ca. sieben<br />
Jahre nach dem Ereignis die Gefahr und Bedrohung durch e<strong>in</strong>e Naturkatastrophe weitestgehend ver-<br />
gessen. Um dieses Vergessen zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n und den potenziell Betroffenen zu zeigen, dass je<strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>zelne zur Schadensm<strong>in</strong>imierung beitragen kann, wurde von 2005 bis 2007 die Hochwasserwan-<br />
<strong>der</strong>ausstellung „Alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Boot!“ im E<strong>in</strong>zugsgebiet <strong>der</strong> Elbe gezeigt. Die Ausstellung wurde im<br />
Rahmen des RIMAX-Projekts „Verknüpfung von Hochwasservorsorge und -bewältigung <strong>in</strong> unter-<br />
schiedlicher regionaler und akteursbezogener Ausprägung“ konzipiert und weiterentwickelt. In <strong>der</strong><br />
Ausstellung wurde e<strong>in</strong> Fragebogen ausgelegt, <strong>der</strong> die Besucher zur Ausstellung bzw. zum Hochwas-<br />
serschutz im Allgeme<strong>in</strong>en befragt und so im Nachgang e<strong>in</strong>e Evaluation <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ausstellung zu-<br />
lässt. H<strong>in</strong>zu kommt die Auswertung <strong>der</strong> Eröffnungs- und Son<strong>der</strong>veranstaltungen zur Ausstellung. Des<br />
Weiteren wurden Experten<strong>in</strong>terviews und Kle<strong>in</strong>gruppen-Workshops im Untersuchungsgebiet durchge-<br />
führt und ausgewertet.<br />
E<strong>in</strong> Ergebnis des Projektes ist die gegenwärtige Gründung e<strong>in</strong>er Hochwasserpartnerschaft an <strong>der</strong><br />
Elbe. Außerdem werden Antworten darauf gegeben, wie das Hochwasserbewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölke-<br />
18
ung aussieht und was man bei e<strong>in</strong>er weiteren Öffentlichkeitsarbeit mittels e<strong>in</strong>er Wan<strong>der</strong>ausstellung<br />
beachten sollte.<br />
E<strong>in</strong>e Kurzfassung des Abschlussberichts kann man auf <strong>der</strong> Lehrstuhl-Hompage herunterladen:<br />
www.tu-cottbus.de/fakultaet4/hydrologie/aktuell<br />
Kontakt: schaebr@TU-Cottbus.de<br />
19
6 Zusammenfassung <strong>der</strong> Exkursion<br />
Risikovorsorge und <strong>der</strong> Umgang mit Natur – e<strong>in</strong> Besuch an <strong>der</strong> Elbe<br />
Am zweiten Tag <strong>der</strong> <strong>Tagung</strong> (16.05.08) fand e<strong>in</strong>e zweie<strong>in</strong>halbstündige Exkursion statt. Die Exkursion<br />
hatte, ebenso wie die gesamte <strong>Tagung</strong>, die Frage nach e<strong>in</strong>em möglichen <strong>Paradigmenwechsel</strong> im<br />
Hochwasserschutz als thematischen Schwerpunkt. Ziel <strong>der</strong> Exkursion war die Begutachtung e<strong>in</strong>er an<br />
die Elbe wie<strong>der</strong> angeschlossenen Retentionsfläche <strong>in</strong> Nähe <strong>der</strong> Ortschaft Rosslau. Fachlich geleitet<br />
und geführt wurde diese Exkursion von Iris Brunar, e<strong>in</strong>er Mitarbeiter<strong>in</strong> des BUND-Elbe-Projekts. Ne-<br />
ben <strong>der</strong> Besichtigung <strong>der</strong> Fläche wurde damit e<strong>in</strong>e Perspektive e<strong>in</strong>es Umweltverbandes auf die Frage<br />
des <strong>Paradigmenwechsel</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Risikovorsorge e<strong>in</strong>gebracht.<br />
Durch e<strong>in</strong>e Rückverlegung <strong>der</strong> Deichl<strong>in</strong>ie und die Schlitzung des Alt-Deiches im Oberluch Rosslau<br />
wurde e<strong>in</strong>e Retentionsfläche von 140 ha geschaffen. Die Planungen für dieses Projekt haben bereits<br />
im Jahr 1995 begonnen und wurden 2005 erfolgreiche abgeschlossen. Iris Brunar wies darauf h<strong>in</strong>,<br />
dass es im Bereich <strong>der</strong> Mittleren Elbe nur sehr wenige Deichrückverlegungen gibt und verwies auf<br />
zwei größere, sich <strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> Planung bef<strong>in</strong>dliche Projekte an <strong>der</strong> Elbe. Dies ist zum e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Lödde-<br />
ritzer Forst mit 600 ha und zum an<strong>der</strong>en Lenzen mit 400 ha Retentionsfläche. Alle drei Projekte s<strong>in</strong>d<br />
bereits vor dem Hochwasser 2002 geplant gewesen. Iris Brunar kritisierterte, dass nach 2002 ke<strong>in</strong>e<br />
weiteren Deichrückverlegungsmaßnahmen h<strong>in</strong>zugekommen s<strong>in</strong>d - entgegen den zahlreichen Äuße-<br />
rungen und For<strong>der</strong>ungen, auch von Seiten <strong>der</strong> Politik, den Flüssen mehr „Raum“ zu geben. Dies lege<br />
e<strong>in</strong>e Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit offen dar. Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach würde e<strong>in</strong> nach-<br />
haltiger Hochwasserschutz an <strong>der</strong> Elbe noch nicht umgesetzt. Auch nach <strong>der</strong> Flut 2002 g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n Sachsen und Sachsen-Anhalt die größten f<strong>in</strong>anziellen Anteile im Hochwasserschutz<br />
zu Gunsten technischer Schutzmaßnahmen. Von e<strong>in</strong>em <strong>Paradigmenwechsel</strong> <strong>in</strong> Fragen des Hochwas-<br />
serschutzes könne Iris Brunar zu folge noch nicht die Rede se<strong>in</strong>.<br />
Bei <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung durch die Rosslauer Auenbereiche von Rossel und Elbe erfahren die Teilneh-<br />
mer/<strong>in</strong>nen, dass die Durchführung von Deichrückverlegungen und die Schaffung von Retentionsflä-<br />
chen bei <strong>der</strong> lokalen Bevölkerung oftmals auf zahlreiche Wi<strong>der</strong>stände stoßen. Iris Brunar verweist<br />
darauf, dass politische Entscheidungsträger oftmals vor diesen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen zurück schre-<br />
cken. Daher seien es <strong>der</strong>zeit noch vor allem die Umweltschutzverbände (im Falle des Löd<strong>der</strong>itzer<br />
Forstes <strong>der</strong> WWF und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lenzener Aue <strong>der</strong> BUND), welche nichtstrukturelle Maßnahmen im<br />
Hochwasserschutz verfolgen und auch gewillt s<strong>in</strong>d, mögliche Konflikte <strong>in</strong> Kauf zu nehmen und auszu-<br />
tragen.<br />
Die Bedeutung von Retentionsflächen ist durch die Exkursion noch e<strong>in</strong>mal hervorgehoben worden.<br />
Am gesamten Lauf <strong>der</strong> Elbe s<strong>in</strong>d 86% <strong>der</strong> natürlichen Überschwemmungsflächen ausgedeicht wor-<br />
den. Um bei e<strong>in</strong>em Hochwasser die Pegelstände senken zu können, muss den Flüsse mehr „Raum“<br />
zur Verfügung gestellt werden. E<strong>in</strong>e Deicherhöhung führt zwar zum Schutz <strong>der</strong> dah<strong>in</strong>ter liegenden<br />
Flächen, nicht aber zur Senkung <strong>der</strong> Hochwasserwelle. Zudem s<strong>in</strong>d die durch Deichrückverlegungen<br />
neu entstehenden Auen neben ihrer Funktion im Hochwasserschutz bedeutende Wasserspeicher und<br />
e<strong>in</strong> Areal mit hoher Biodiversität.<br />
Als e<strong>in</strong>e weitere Sichtweise <strong>der</strong> Vertreter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Umweltverbandes kam h<strong>in</strong>zu, dass e<strong>in</strong> Paradigmen-<br />
wechsel nicht alle<strong>in</strong> im Hochwasserschutz erfolgen muss, son<strong>der</strong>n allgeme<strong>in</strong> im Umgang mit <strong>der</strong> Um-<br />
20
welt. Aufgrund <strong>der</strong> Flurbere<strong>in</strong>igungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts erfolgten Bodenverdichtungen,<br />
Flussbegradigungen, Entwässerungen, etc., welche den Abfluss von Oberflächenwassern bee<strong>in</strong>flus-<br />
sen. Än<strong>der</strong>n müssten sich auch die Wahrnehmungen <strong>der</strong> Bevölkerung und die Empf<strong>in</strong>dungen, dass<br />
von e<strong>in</strong>er Fläche auf <strong>der</strong> Wasser steht e<strong>in</strong>e Gefahr ausgeht. Auch bei diesem Aspekt sei noch ke<strong>in</strong><br />
erkennbarer <strong>Paradigmenwechsel</strong> erfolgt.<br />
Abschließend kam von Seiten <strong>der</strong> politischen Umwelt<strong>in</strong>itiativen <strong>der</strong> Aufruf an die Wissenschaft-<br />
ler/<strong>in</strong>nen, Forschungsergebnisse zu Fragen des Hochwasser und Hochwasserschutzes stärker nach<br />
außen zu vertreten und gezielt an Politik und an Bevölkerung zu vermitteln.<br />
Daniela Siedschlag (UFZ Leipzig)<br />
21
7 Zusammenfassung <strong>der</strong> Abschlussdiskussion<br />
Die Abschlussdiskussion war geprägt von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>gangs gestellten Frage, ob und <strong>in</strong>wieweit im Umgang<br />
mit Naturgefahren e<strong>in</strong> <strong>Paradigmenwechsel</strong> sichtbar sei. Die e<strong>in</strong>führenden Referent/<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Podi-<br />
umsdiskussion hatten dazu sehr unterschiedlich Stellung bezogen. Während die Referent/<strong>in</strong>nen aus<br />
<strong>der</strong> Praxis eher die kle<strong>in</strong>en Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kont<strong>in</strong>uierlichen Entwicklungsprozess betonten<br />
und somit e<strong>in</strong>en <strong>Paradigmenwechsel</strong> verne<strong>in</strong>ten, sahen an<strong>der</strong>e durchaus die Möglichkeit e<strong>in</strong>es Para-<br />
digmenwechsels, <strong>der</strong> jedoch nur durch e<strong>in</strong>en partizipativen Ansatz erreicht werden kann, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die<br />
Akteure (im S<strong>in</strong>ne von Luhmann) ihre Risiken bearbeiten und nicht durch den Verweis auf e<strong>in</strong>e von<br />
ihnen unbee<strong>in</strong>flussbare Gefahr externalisieren. Insbeson<strong>der</strong>e durch die philosophischen und soziolo-<br />
gischen Vorträge des <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Forums wurde die Ansicht e<strong>in</strong>gebracht, dass e<strong>in</strong> Paradigmen-<br />
wechsel im Naturgefahrenmanagement e<strong>in</strong>e grundlegende Neufassung des Verständnisses von Natur<br />
und Gesellschaft voraussetzte. Von an<strong>der</strong>er Seite wurde jedoch e<strong>in</strong>e pragmatischere Sichtweise ver-<br />
treten, nach <strong>der</strong> e<strong>in</strong> <strong>Paradigmenwechsel</strong> auch auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Strategieausrichtung von Naturge-<br />
fahrenvorsorge (Sicherheits-, Risiko-, Vulnerabilitäts- o<strong>der</strong> Resilienzansatz) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>gesetzten<br />
Vorsorgemaßnahmen (z. B. Fokus auf technischen Naturgefahrenschutz vs. planerische Maßnahmen)<br />
stattf<strong>in</strong>den kann. Aus historischer Perspektive wurde e<strong>in</strong> differenziertes Bild e<strong>in</strong>er Gesellschaftsent-<br />
wicklung gezeichnet, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sowohl Phasen von konsistenten Verän<strong>der</strong>ungen beobachtet werden kön-<br />
nen als auch Phasen des "muddl<strong>in</strong>g through", <strong>in</strong> denen auch ex post ke<strong>in</strong>e klaren Entwicklungsl<strong>in</strong>ien<br />
beobachtet werden können.<br />
Zusammenfassend wurden drei Ebenen e<strong>in</strong>es <strong>Paradigmenwechsel</strong> im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Dispositivs aus-<br />
gemacht:<br />
22<br />
- die Ebene des Diskurses über die Natur <strong>der</strong> Gefahr bzw. des Risikos,<br />
- die Ebene <strong>der</strong> Strategierichtung (von <strong>der</strong> Gefahr, vom Risiko o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Gesellschaft aus-<br />
gehend),<br />
- die Ebene <strong>der</strong> Maßnahmen und Implementierung von Vorsorgestrategien.<br />
Ob diese Verän<strong>der</strong>ungsprozesse bereits e<strong>in</strong>gesetzt haben, lässt sich – so das Fazit <strong>der</strong> Diskussion –<br />
nicht allgeme<strong>in</strong> beantworten. Es bedarf e<strong>in</strong>er differenzierten Betrachtung <strong>der</strong> theoretischen Diskurse,<br />
<strong>der</strong> konzeptionellen Zugänge und <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Naturgefahrenvorsorge, um diese Frage zu beant-<br />
worten. Daraus wurden zwei Aufträge formuliert: e<strong>in</strong>erseits die unterschiedlichen Facetten des Verän-<br />
<strong>der</strong>ungsprozesses <strong>in</strong>ter- und transdizsipl<strong>in</strong>är zu bearbeiten und an<strong>der</strong>erseits die konzeptionellen Über-<br />
legungen auf ihre Anwendbarkeit h<strong>in</strong> zu entwickeln und auf die Handlungsebene zu übertragen.<br />
Dr. Klaus Wagner (TU München) und Sylvia Kruse (Leuphana Universität Lüneburg)
8 Teilnehmerliste <strong>4.</strong> <strong>KatNet</strong>-<strong>Tagung</strong> Wittenberg<br />
Name Institution<br />
Prof. Dr. Jürgen Pohl Universität Bonn<br />
Dr. Hans-Werner Uhlmann Landesbetrieb für Hochwasserschutz Sachsen-Anhalt<br />
Cor<strong>in</strong>na Hornemann Umweltbundesamt<br />
Thomas Loster Münchner Rück Stiftung<br />
Kathleen Liese Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
Frank Oberholzner Technische Universität München<br />
Grit Bürgow aquatectura<br />
Kathar<strong>in</strong>a Krämer Technische Universität Braunschweig<br />
Doris Hallama Universität Innsbruck<br />
Dr. Und<strong>in</strong>e Frömm<strong>in</strong>g Freie Universität Berl<strong>in</strong><br />
Sylvia Kruse Leuphana Universität Lüneburg<br />
Christ<strong>in</strong>a Grunert Pädagogische Hochschule Heidelberg<br />
Dr. Mart<strong>in</strong> Voss Katastrophenforschungsstelle Kiel<br />
Dr. Guido Poliwoda Univeristät Bern<br />
Maik Boden Technische Universität Dresden<br />
Heiko Weger Technische Universität Dresden<br />
Dr. Britta Wöllecke BTU Cottbus<br />
Josef Bordat Berl<strong>in</strong><br />
Mario Wilhelm Universitas Indonesia, Jakarta<br />
Prof. Dr. Felix Ekhardt Universität Bremen<br />
Timm Pliefke Technische Universität Braunschweig<br />
Claus Ortmüller Hessische Akademie für Hochwasserschutz, -Forschung und Wasserrettung<br />
Daniela Siedschlag Flood-Era-Projekt<br />
Dr. Anja Steglich Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
Heiko Garrelts Universität Bremen<br />
Marion Damm United Nations University<br />
Klaus Wagner Technische Universität München<br />
Karl-Michael Höferl BoKu Wien<br />
Claudia Tilger Hessische Akademie für Hochwasserschutz, -Forschung und Wasserrettung<br />
Inka Müller Leuphana Universität Lüneburg<br />
Dr. Annett Ste<strong>in</strong>führer UFZ Leipzig<br />
Dr. Christian Hildmann Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
Iris Brunar BUND Elbe-Projekt<br />
Dr. Carsten Felgentreff Universität Osnabrück<br />
Christian Tietz UFZ Halle<br />
Kathar<strong>in</strong>a Waha Universität Potsdam<br />
Magda Sawicka ZALF München<br />
Re<strong>in</strong>hard Hasselbach TU Delft<br />
23