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Lagerwirklichkeit - Brandenburgische Landeszentrale für politische ...

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eines Mannes aus Jamlitz ist als sog. „Parolengedicht“ bekannt gewesen. Es stammt<br />

von dem in Jamlitz gestorbenen Rundfunkjournalisten Hugo Landgraf.<br />

Parolengedicht<br />

Wir waren nur <strong>für</strong> kurze Zeit<br />

zu dem Verein gebeten;<br />

Nun dauert’s eine Ewigkeit,<br />

und wir sind sehr in Nöten.<br />

Es weiß die Frau, es weiß das Kind,<br />

es wissen unsre Lieben nicht,<br />

wo wir hinverschwunden sind,<br />

und nicht wo wir geblieben.<br />

Im Sommer war’s, in leichter Kluft<br />

hat man uns festgenommen.<br />

Nun weht schon kühle Herbstesluft,<br />

der Winter wird bald kommen.<br />

Die Zeit vergeht, die Zeit entflieht,<br />

wir seh’n uns an verstohlen.<br />

und weil das Mind’ste nicht geschieht,<br />

erfinden wir Parolen.<br />

Hast Du gehört, habt Ihr geseh’n,<br />

es ist bestimmt erwiesen,<br />

ich hab’s von jenem, der von dem,<br />

und jener hats von diesem.<br />

So geht es früh, so geht es spät.<br />

hei, wie’s Parolen hagelt.<br />

Es wächst um uns der Stacheldraht,<br />

die Fenster sind vernagelt.<br />

Wir seh’n den Wald vor lauter Zäunen nicht,<br />

mit uns ist nicht zu spassen.<br />

Und wenn man nicht vom Essen spricht,<br />

so spricht man vom Entlassen.<br />

Wir wissen von der Welt nichts mehr,<br />

wir leben von Parolen.<br />

Wir geh’n im Lager hin und her<br />

und lassen uns verkohlen.<br />

Natürlich ist was Wahres dran,<br />

wie an Parolen immer,<br />

vielleicht entläßt der Weihnachtsmann<br />

uns einst beim Kerzenschimmer,<br />

vielleicht wird’s ein Silvesterscherz,<br />

sonst tut’s der Osterhase<br />

und weist den Weg uns heimatwärts,<br />

auf den man uns entlasse.<br />

Wer weiß es? Eines ist gewiß!<br />

Trotz aller Stachelwände,<br />

trotz aller Qual und Bitternis<br />

hat dieser Spuk eine Ende.<br />

Ver-Wessow, Krankfurt, Jammerlitz,<br />

die soll der Teufel holen,<br />

indessen zeugt der Mutterwitz<br />

in einem fort PAROLEN.<br />

Dieses Gedicht hat der Gefangenenarzt Dr. Georg Müller von dem im Lazarett sterbenden<br />

Langraf als Zettel erhalten, auswendig gelernt und nach der Entlassung<br />

1948 aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. 375 Hugo Landgraf hatte Gustaf Gründgens<br />

als Verfasser angegeben, weil diesem als Entlassenen keine Gefahr mehr drohte.<br />

Alle im Lager entstandenen Gedichte mußten ohne Papier im Gedächtnis bewahrt<br />

bleiben. „... die fremden Wachmannschaften hegten gegen jede schriftliche<br />

Betätigung ein solches Mißtrauen, weil sie <strong>politische</strong> Programme dahinter vermuteten<br />

... .“ 376<br />

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