Lagerwirklichkeit - Brandenburgische Landeszentrale für politische ...
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hoff, als Sanitäter Paul Eierkuchen, Wilhelm Herbst, Gerhard Sonntag, Franz Otter,<br />
Erwin Seidel, Karl Wiese und Kurt Tschentke eingesetzt. Zunächst praktizierte und<br />
wohnte hier auch der Zahnarzt Dr. Menschel, dem sogar Material aus Berlin besorgt<br />
worden sein soll. Er behandelte vor allem das NKWD-Personal und soll vorzeitig entlassen<br />
worden sein. Sein Nachfolger war Dr. Stuck. Die innere Abteilung war die größte<br />
Baracke im medizinischen Bereich, jedoch nicht in Räume untergliedert, sondern<br />
nur aus einem riesigen Saal bestehend. Dieser faßte ca. 200 „Betten“, dreistöckige<br />
Pritschen <strong>für</strong> zwei Patienten je Etage. Noch im Oktober 1945 hatte eine Inspektion<br />
160 Betten <strong>für</strong> das ganze Lager registriert. 487 90 Prozent der Patienten der Inneren<br />
Abteilung waren später Dystrophiker zweiten oder dritten Grades. 488<br />
In einem Bericht der Leiterin der Sanitätsgruppe Oberleutnant Kabanowa <strong>für</strong> die<br />
Periode 28. Januar bis 13. Februar 1947 wird von insgesamt 5000 Dystrophikern in<br />
Jamlitz gespochen 489, das waren bei 7151 Gefangenen am 13. Februar 1947 nahezu<br />
70% Schwerkranke. 490 Die als allgemeine Folgen anhaltender Dystrophie ermittelten<br />
Erscheinungen, wie sie schon 1950 durch K.g.U.-Untersuchungen bekannt<br />
wurden, können auch <strong>für</strong> Jamlitz bestätigt werden.<br />
1.) Gedächtnisschwund bis zum Grade völliger Apathie. Erschlaffung und Schwund<br />
der seelischen Energien.<br />
2.) Herausbildung einer rigorosen Egozentrik, eines brutalen Egoismus’,<br />
3.) moralischer Verfall, der vielfach extreme Selbst- und Fremdquälerei oder auch kriminelle<br />
Verfehlungen zur Folge hatte, und<br />
4.) hypertrophierter Kadavergehorsam. 491<br />
Im vermeintlich maßgeblichen Befehl 00315 vom 18. April 1945 lautete der letzte Satz:<br />
„Invaliden, alte Männer und nicht Arbeitsfähige sind nach der Überprüfung organisiert<br />
an ihren ständigen Wohnsitz zu entlassen.“ 492 Bezog sich diese Anweisung auf die Phase<br />
nach Verhaftung und noch vor Einweisung in ein Lager und nur auf Personen, die<br />
nicht den Kategorien der in den Speziallagern zu Belassenen entsprachen, so hatte, wer<br />
erst im Lager invalid oder arbeitsunfähig wurde, bzw. einfach nur alt war, kaum eine<br />
Überlebenschance. Hier konnte eine lebensbedrohliche Erkrankung nichts an der Tatsache<br />
der Gefangenschaft ändern - und so glich sie denn doch eher der Strafhaft,<br />
wenngleich in ihrer Regellosigkeit wiederrum mit dieser nicht vergleichbar.<br />
Hier nicht von Inkaufnahme oder Duldung des Sterbens auszugehen, fällt<br />
schwer. An medizinischen Hilfsmitteln standen Dr. Müller ein Stetoskop, ein Blutdruckmeßgerät<br />
sowie eine Rekordspritze mit einigen Kanülen zur Verfügung. Lakonisch<br />
hat Dr. Müller später zum Mangel an Medikamenten festgestellt: „Diese waren<br />
auf der inneren Abteilung solcher Art auch kaum erfolgversprechend. ... nur aufbauende<br />
Vollwertkost hätte helfen können.“ Bezeichnend <strong>für</strong> die Fahrlässigkeit des<br />
NKWD-Personals ist der Fall des Hochofenspezialisten Prof. Hartmann, der wegen seiner<br />
Qualifikation deportiert werden sollte. Dr. Müller empfahl <strong>für</strong> ihn behutsame Rationenerhöhung,<br />
doch die Offiziere schickten ihn in die Küche und so starb Prof. Hartmann<br />
bald an schwerem Durchfall. „Sie hatten ihren Spezialisten umgebracht.“<br />
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