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Lagerwirklichkeit - Brandenburgische Landeszentrale für politische ...

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Krankheiten und medizinische Behandlung<br />

Verzeichnete die Abteilung Speziallager bereits im Herbst 1945 ein starkes Ansteigen<br />

von Erkältungskrankheiten, so hatte sie es im Winter 1946 mit einer völlig neuen<br />

Dimension zu tun. War noch die erste Sterblichkeitswelle Ende 1945 mit dem<br />

höheren Alter der Gefangenen abgetan worden, so traf es nun auch weit jüngere<br />

Insassen. 471<br />

Im Herbst 1945 erkrankten die ersten Gefangenen an Ruhr, eine Krankheit, die<br />

nie wirklich behandelt werden konnte, solange der Hunger nicht aufhörte, obwohl<br />

zeitweise Holzkohle, getrocknete Schwarzteeblätter oder Kiefernnadeltee lindernd<br />

wirken konnten. 472 Ein Inspektion hatte schon nach anderthalb Monaten in Jamlitz<br />

feststellen müssen: „Die sanitäre Kontrolle über das Spezkontingent ist unzureichend.<br />

In den Wohnunterkünften liegen Kranke.“ 473 Typhus, Paratyphus, TBC,<br />

Bartflechten, Gesichtsrose, Furunkulose, Erysipele, Krätze und Exzeme waren die<br />

Folge wertgeminderter und unzureichender Nahrung bei primitiven hygienischen<br />

Rahmenbedingungen. „Von allen erlebten Lagern war auch die medizinische Behandlung<br />

in Jamlitz katastrophal. ... Trotzdem wurden auch hier von den Ärzten und<br />

Pflegern ungeheuerliche Leistungen vollbracht. ... Etwas Erfolg hatte die Oberärztin<br />

nach über einem Jahr, als es endlich gelang, Desinfektionsmittel zu erhalten und<br />

die Insassen etwas von der Wanzenplage zu befreien.“ 474 Gegen die Läuse wurde<br />

zeitweilig das Filzlausmittel Cuprex, eine blaugrüne Flüssigkeit, angewendet. 475 Und<br />

wenn nichts wirkte oder eine Einweisung ins Lazarett nicht nötig war, halfen die Gefangenen<br />

sich selbst. „Spucke und Urin waren unsere Heilmittel.“ 476<br />

Da trotz Lagerapotheke kaum Arzeneien im Lager vorhanden waren, ließ das<br />

NKWD einmal sogar mit dem gefangenen Drogisten Jokisch Medikamente aus dessen<br />

Geschäft in Lübben holen. 477 Ging man gegen Krätze aus Mangel an Alternativen<br />

mit Salzsäure vor 478, so konnten unter Umständen auch alte Hausmittel Anwendung<br />

finden, etwa wenn Exzeme mit rohem Kartoffelbrei behandelt wurden. 479<br />

Auch Aderlaß, Salzeinschränkung und feuchte Umschläge gehörten zum Repertoire.<br />

Gegen Durchfall nahmen einige Gefangene zu Mus zerkochte Knochen ein, wobei<br />

es zu Darmverletzungen kam, wenn Knochenteile mitgegessen wurden. 480 Der<br />

offenbar auch zu den Mahlzeiten reichlich verabreichte Kiefernnadeltee sollte der<br />

Zunahme des Wassers im Körper, vor allem in den Beinen, begegnen. Leichtere<br />

Operationen sind mit primitiven Hilfsmitteln im Lazarett durchgeführt worden, ohne<br />

Narkose, auf einem Tisch oder einer Pritsche. Ein mit Rippenfellentzündung eingelieferter<br />

Patient mußte mangels anderem mit einer Geflügelschere operiert werden.<br />

481<br />

Seltener fanden Operationen auch im Lieberoser Krankenhaus statt. „Ein kleiner<br />

Kastenwagen, Einspänner fährt beim Revier vor. Aus der Revierbaracke – Chirurgische<br />

Abteilung – wird ein Kranker auf das Stroh des Wagens gelegt. Sogar eine<br />

Decke ist da. Unser Operateur, Dr. B., klettert auf den Wagen. Der Kutscher, ein Sol-<br />

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