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Die Fünf-Sterne-Frau<br />
Es gibt nur eine Köchin mit fünf Michelin-Sternen:<br />
die Katalanin Carme Ruscalleda. Sie fühlt sich<br />
aus tiefstem Herzen mit ihrer Umgebung verbunden.<br />
Ein Lebensgefühl, eine Philosophie, die sie auf<br />
jeden Teller malt Text: Anuschka Seifert Fotos: Pamela Spitz<br />
Eine besternte<br />
Autodidaktin<br />
Bei Carme Ruscalleda<br />
ist alles ein bisschen<br />
anders als sonst in der<br />
Haute Cuisine. Dazu<br />
gehört auch, dass ihre<br />
Köche durch eine<br />
Panoramascheibe<br />
freien Blick auf das<br />
Mittelmeer haben.<br />
Carme Ruscalleda serviert ihre Tempura aus Zucchiniblüten<br />
und katalanischer Blutwurst in einem feinen Kichererbsenbad<br />
und lächelt verschmitzt. Noch sieht das, was sich auf dem Teller<br />
befi ndet, wie ein Gemälde von Antoni Tàpies aus, das in<br />
dunklen Pastellfarben gehalten ist. Kräftige Pinselstriche aus<br />
einer schwungvollen Hand, wenn auch in Miniatur, durchkreuzen<br />
den Teller. Doch sowie man das zarte Gebilde durchschneidet,<br />
sich den ersten delikaten Bissen zu Munde geführt<br />
hat, entsteht plötzlich so etwas wie eine bunte Landschaft David<br />
Hockneys. Aus Carme Ruscalledas haselnussbraunen Augen<br />
springt förmlich der Schalk, sie lacht, auf diesen Moment hat sie<br />
gewartet, auf dieses ungläubige Gesicht, das gleichzeitig im<br />
Genuss versinkt. Sie strahlt wie ein Kind, freut sich über diesen<br />
kleinen winzigen Moment und füllt damit die ganze Küche.<br />
Ohne Farben wären ihre Gerichte undenkbar. Die einzelnen<br />
Gemüse und Früchte sind so lebendig, saftig und farbenfroh,<br />
dass man meint, sie sprängen gleich vom Teller. Da legt sie<br />
Jakobsmuscheln auf ein dünnes Bett aus hellen Kartoffeln und<br />
tiefgrünen Artischocken, jeder Schnittlauch wird einzeln drapiert,<br />
jedes noch so kleine grasgrüne Blättchen wird von Hand auf den<br />
Teller verlesen, jedes Tröpfchen Olivenöl mit feinsten Kräutern<br />
Thinking the Future lll 31<br />
parfümiert, die jedes für sich, Zweig für Zweig, heute Morgen<br />
gesammelt wurden, und dann zum Schluss: wunderbar duftende,<br />
blutrote Rosenblätter. Fertig. Das Gemälde ist perfekt.<br />
„Wer grau isst, ist grau“, kommentiert Carme lakonisch,<br />
während ihre kleinen, fl inken, wohlgeformten Hände unaufhörlich<br />
schneiden, häckseln, stampfen, mischen für das nächste<br />
Gemälde. Auch perfekt. „Joan Miró hat einmal gesagt, dass die<br />
Menschen eine Krone aus Augen bräuchten, um all die schönen<br />
Farben zu sehen.“ Carme Ruscalleda hat eine, und dazu noch<br />
eine aus Nasen und Mündern. Aus der Ferne hört man das Meer<br />
rauschen. Carme schaut hoch, lächelnd, in die Runde ihrer<br />
23 Köche, zu denen auch Tochter Mercè und Sohn Raúl gehören.<br />
Der winzige Badeort Sant Pol, 44 Kilometer nördlich von Barcelona,<br />
scheint so idyllisch verschlafen, dass man hier kaum eines<br />
der weltbesten Restaurants vermuten würde. Aber Carme, die<br />
mit einer bäuerlichen Küche groß geworden ist, hätte ja auch nie<br />
gedacht, dass sie eine der weltbesten Köchinnen werden würde:<br />
„Ich erfi nde nichts, ich bin kein Experte, aber ich lerne von allem<br />
und von jedem, und ich bin Autodidaktin.“ Studieren wollte sie