Magazin 09, 05/06.08 - bei ElfenauPark
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Konzertvorschau<br />
Kammerorchester Elfenau.<br />
Vorschau zum Konzert vom 14. und 15. Juni 2008.<br />
von Erika Derendinger<br />
Johann Sebastian Bach (1685-1750)<br />
Zum Verständnis des kaum bekannten<br />
Konzertes für Flöte, Streicher<br />
und Basso continuo in e-moll<br />
ist einerseits zu bedenken, dass<br />
grosse Teile des Gesamtwerks von<br />
Johann Sebastian Bach verloren<br />
gegangen sind, an instrumentalen<br />
Werken vermutlich sogar sehr viele.<br />
Anderseits ist eine besondere Eigenheit<br />
von Bachs Ar<strong>bei</strong>tsweise die<br />
Wiederverwendung, Neubear<strong>bei</strong>tung,<br />
Umgestaltung seiner eigenen<br />
Kompositionen. In vielen Fällen<br />
zeigen erhaltene Urfassungen, Untersuchungen<br />
der Handschrift sowie<br />
stilistische Überlegungen, dass Bach<br />
oft bereits existierende Konzerte für<br />
ein anderes Instrument bear<strong>bei</strong>tet<br />
hat. Einzelsätze von Konzerten<br />
kommen daneben als instrumentale<br />
Einleitungssätze von Kantaten<br />
vor - und umgekehrt. Dies erschwert<br />
heute die Übersicht und verdunkelt<br />
die Chronologie. Aber auf diese<br />
Weise blieb auch manches „Verlorene“<br />
versteckt erhalten. Die Musikwissenschaft<br />
versucht zunehmend,<br />
vermutete Urfassungen wieder herzustellen.<br />
In diesen Zusammenhang<br />
gehört unser Konzert in e-moll, das<br />
Winfried Radeke aus zwei späteren<br />
Werken Bachs als Flötenkonzert<br />
rekonstruiert hat: die eine Vorlage<br />
ist ein Fragment eines Cembalokonzertes<br />
in d-moll (Bach-Werke-<br />
Verzeichnis 1<strong>05</strong>9), mit der Bezeichnung<br />
„Cembalo solo, una Oboe,<br />
due Violini, Viola, e Continuo“. Die<br />
zweite ist die Kantate 35 („Geist und<br />
Seele wird verwirret“), die einen<br />
18 Kultur & Manuelstiftung<br />
Instrumentalsatz mit genau dieser<br />
Besetzung als Einleitungs-Sinfonia<br />
des zweiten Teils enthält. Es wurde<br />
vermutet, dass diese <strong>bei</strong>den Stücke<br />
die Ecksätze eines früheren Konzerts<br />
sein könnten. Und in der Eingangsarie<br />
für Altstimme derselben Kantate<br />
sehen einzelne Forscher den dazugehörigen<br />
langsamen Mittelsatz. Der<br />
Tonumfang der einzelnen Teile legt<br />
nahe, dass Bach ein ursprüngliches<br />
Oboenkonzert wiederverwendet hätte.<br />
Ein langsamer Satz für Oboe und<br />
Streicher in passender Tonart ist auch<br />
als Einleitungssatz zu Kantate 156 zu<br />
hören und würde gut in das Werk<br />
passen; hier könnte es sich vielleicht<br />
sogar um den originalen Mittelsatz<br />
handeln. Doch all das sind Vermutungen.<br />
Gesichert bleibt bloss, dass<br />
die erklingende Musik dieses rekonstruierten<br />
Konzertes so oder so von<br />
Johann Sebastian Bach stammt.<br />
Jacob Unico Willem van Wassenaer<br />
(1692-1766)<br />
Auch das Concerto in G-Dur für<br />
4 Violinen, Viola, Violoncello und<br />
Basso continuo hat eine verwickelte,<br />
fast krimihafte Geschichte. 1740 erschien<br />
in Den Haag ein Druck „VI<br />
Concerti armonici a quattro Violini<br />
obbligati, Alto Viola, Violoncello<br />
obbligato e Basso continuo“,<br />
gewidmet dem Grafen Bentinck<br />
von seinem „untertänigen Diener<br />
Carlo Ricciotti“. In der italienischsprachigen<br />
Widmung erklärt Ricciotti,<br />
diese Ar<strong>bei</strong>t stamme von einer<br />
„erlauchten Hand“, die er aus Rücksichtnahme<br />
nicht nenne. Daraus<br />
ergibt sich, dass Ricciotti nicht der<br />
Komponist, sondern der Herausgeber<br />
der Konzerte war. Über den Geiger<br />
und Impresario (1681-1756) ist<br />
auch kaum etwas bekannt. Wer aber<br />
ist wohl der geheimnisvolle „Täter“?<br />
Zwischen 1755 und 1760 erschienen<br />
in London weitere Ausgaben der<br />
Concerti. Eine davon betitelt sie als<br />
„6 Septetti ... dal F. G. Handel“. Dieser<br />
Titel wurde durch einen anderen<br />
überklebt, der die Stücke als „6 Concertini<br />
... del Pergolesi“ bezeichnete.<br />
Die berühmten Namen sollten wohl<br />
den Verkauf fördern. Bis weit ins 20.<br />
Jahrhundert galt Giovanni Battista<br />
Pergolesi (1710-1736) als Komponist<br />
der Werke. Dann wurde er von der<br />
Musikwissenschaft aus stilistischen<br />
Gründen als Autor ausgeschlossen;<br />
die Konzerte wurden unter Ricciottis<br />
Namen aufgeführt.<br />
Das Geheimnis lüftete sich, als<br />
1979 der niederländische Musikwissenschafter<br />
Alfred Dunning das<br />
Originalmanuskript der Concerti<br />
armonici mitsamt einem Vorwort<br />
entdeckte und damit die lange<br />
umstrittene Urheberschaft klären<br />
konnte: als Komponist wurde eindeutig<br />
der holländische Graf Jacob<br />
Unico Willem van Wassenaer identifiziert,<br />
der laut Vorwort die Werke<br />
gemeinsam mit seinen Freunden<br />
auch gespielt hat: darunter waren<br />
u.a. auch Ricciotti sowie der Widmungsträger,<br />
Graf Willem van Bentinck<br />
(1704-1774).<br />
Jacob Unico Willem van Wassenaer<br />
wurde am 2. November 1692 in<br />
Delden als siebtes Kind in eine der<br />
ältesten und höchstrangigen Adelsfamilien<br />
Hollands hineingeboren.<br />
Er studierte Jura an der Universität<br />
Leiden, wurde Mitglied der Admiralität<br />
und einer der Direktoren der<br />
Niederländischen Ostindien-Kompanie<br />
sowie Botschafter in Paris<br />
und Köln. Im Deutschritterorden<br />
stieg er bis zum Landcommandeur<br />
auf. Nach dem Tod des Vaters erbte<br />
er das Familienanwesen, Schloss<br />
Twickel <strong>bei</strong> Delden, in dessen Bibliothek<br />
der Forscher Dunning das<br />
Manuskript der Concerti armonici<br />
fand. Es gibt keine Unterlagen darüber,<br />
ob Wassenaer jemals Musik<br />
studierte, allerdings hatte er auf Reisen<br />
Begegnungen mit Corelli, Ariosti<br />
und Händel, und aus der Hofbibliothek<br />
Düsseldorf kennt man<br />
seine Abschriften von zahlreichen<br />
Instrumentalmusikwerken grosser<br />
Zeitgenossen. Er starb – als Komponist<br />
unbekannt, da er aus welchen<br />
Gründen auch immer seine Identität<br />
nicht preisgab, aber als Politiker<br />
und Staatsmann hochgeschätzt –<br />
am 9. November 1766 in Den Haag.<br />
Die sechs 1725-1740 entstandenen<br />
Concerti armonici zeugen<br />
von echter Originalität und zählen<br />
zum Stammrepertoire der Streichorchester.<br />
Die Struktur der Konzerte<br />
entspricht dem Muster der Kirchensonate(langsam-schnell-langsamschnell).<br />
Die Melodik lässt in Anklängen<br />
bereits das Zeitalter der<br />
Empfindsamkeit vorausahnen.<br />
Friedrich der Grosse (1712-1786)<br />
Den ersten Musikunterricht erhielt<br />
Friedrich als Kronprinz von<br />
Preussen im siebenten Lebensjahr.<br />
1728 lernte er in Dresden den Flötisten<br />
Johann Joachim Quantz<br />
(1697-1773) kennen, dessen Spiel<br />
ihn so beeindruckte, dass er ihn<br />
sich zum Lehrer erwählte. Mit seinem<br />
Regierungsantritt als König<br />
Friedrich II. am 31. Mai 1740 zog ein<br />
neuer Geist am preussischen Hof<br />
ein. Gleich 1740 wurde Carl Philipp<br />
Emanuel Bach als 1. Cembalist angestellt,<br />
1741 trat auch Quantz unter<br />
glänzenden Bedingungen ganz<br />
in die Dienste des Hofes. Mehrmals<br />
am Tag griff der König zur<br />
Flöte, sogar während der Feldzüge<br />
führte er sie sowie ein Reiseklavier<br />
mit sich. Friedrich der Grosse musizierte<br />
nicht nur selbst, sondern<br />
komponierte auch bis etwa 1756.<br />
Seine Werke sind, abgesehen von<br />
einer Ausnahme, im homophonen<br />
Stil gehalten; gegen die Polyphonie<br />
hegte er Antipathie. In den Konzerten<br />
und Sonaten für Flöte, die im<br />
Mittelpunkt seines Schaffens stehen,<br />
hält sich Friedrich formal an<br />
das Vorbild seines Lehrers Quantz.<br />
Seine Flöten-Kompositionen, die er<br />
ausschliesslich für den eigenen Gebrauch<br />
schrieb, wurden zu seinen<br />
Lebzeiten nicht gedruckt oder gar<br />
öffentlich zu Gehör gebracht. Soweit<br />
bekannt, musizierte Friedrich<br />
nur seine eigenen Kompositionen<br />
sowie diejenigen seines Lehrers<br />
Quantz, der mindestens 296 Flötenkonzerte<br />
für ihn geschrieben hat.<br />
Friedrich selber werden unter anderem<br />
121 Sonaten für Flöte und Cembalo<br />
zugeschrieben, sowie 4 Konzerte<br />
für Flöte, Streicher und Cembalo, von<br />
denen das 3. in C-Dur auf unserem<br />
Programm steht. Das Beispiel des Flöte<br />
blasenden Königs trug wesentlich<br />
zur Verbreitung der Querflöte <strong>bei</strong>.<br />
Edward William Elgar (1857-1934)<br />
Edward Elgar wurde am 2. Juni<br />
1857 in Broadheath <strong>bei</strong> Worcester<br />
geboren und starb am 23. Februar<br />
1934 in Worcester. Er wuchs als<br />
Sohn eines Musikalienhändlers<br />
und Organisten an der römischkatholischen<br />
St. Georgskirche in<br />
Worcester auf und wurde zunächst<br />
vom Vater musikalisch unterrichtet.<br />
Schon im Alter von 12 Jahren komponierte<br />
er kleine Hausmusiken.<br />
Das Komponieren erar<strong>bei</strong>tete er sich<br />
autodidaktisch. Nach der Schulzeit<br />
fand er Ar<strong>bei</strong>t in einer Notariats-<br />
kanzlei, die er aber bald zugunsten<br />
der Musik verliess. 1885 wurde Elgar<br />
Nachfolger seines Vaters als Organist,<br />
unterrichtete, dirigierte und<br />
komponierte. 1889 heiratete er seine<br />
Geigenschülerin Caroline Alice<br />
Roberts, die Tochter eines hohen<br />
Offiziers, die von Beginn an unerschütterlich<br />
an ihn glaubte. Die offiziell<br />
bestellte Festkomposition zur<br />
Feier des 60-jährigen Regierungsjubiläums<br />
der Königin Victoria 1897<br />
brachte dem nunmehr 40-jährigen<br />
den ersten Erfolg in der Landeshauptstadt.<br />
Auf seine zahlreichen<br />
weiteren Werke folgten bald viele<br />
musikalische Ehrungen, so Ehrendoktorate<br />
von 8 Universitäten; 1904<br />
verlieh ihm König Edward VII. den<br />
persönlichen Adel und 1911 dessen<br />
Sohn Georg V. den Order of Merit.<br />
1924 wurde Elgar Master of the<br />
Kings Musick. Er erhielt damit de<br />
jure die Ehrenstellung eines Hofkomponisten,<br />
die er de facto schon<br />
seit 1897 innegehabt hatte. 1925<br />
verlieh ihm die Royal Philharmonic<br />
Society ihre goldene Medaille und<br />
1931 der König den erblichen Adel<br />
(Baronetcy) sowie weitere höchste<br />
Auszeichnungen, wie sie seit Purcell<br />
keinem Komponisten Englands zuteil<br />
geworden sind.<br />
Die Serenade in e-moll für<br />
Streichorchester op. 20 vollendete<br />
Elgar 1892 als Geschenk für seine<br />
Gattin zum Hochzeitstag. Sie gilt als<br />
sein frühestes Werk, das sich einen<br />
Platz im Standardrepertoire eroberte,<br />
zugleich als erstes, das seinen eigenen<br />
Ansprüchen genügte, und als<br />
sein liebstes. Neben jugendlichem<br />
Charme enthält die Serenade besonders<br />
im Larghetto vieles, was später<br />
für den reifen Komponisten charakteristisch<br />
ist: grosse melodische, melancholische<br />
Bögen, eine gelungene<br />
Kombination von Klassizismus und<br />
Romantik, was ihn als bedeutenden<br />
Spätromantiker ausweist.<br />
<strong>ElfenauPark</strong> magazin Kultur & Manuelstiftung 19