Heidelberger Forschungsprojekt "Pidgin-Deutsch" Zur Sprache ...
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106 <strong>Heidelberger</strong> <strong>Forschungsprojekt</strong> „<strong>Pidgin</strong>-Deutsch"<br />
In der konkreten Kontaktsituation, bei der bereits Deutsche aktiv involviert sind,<br />
wird die Struktur komplexer. Der Deutsche hat meist vorgängige Erfahrungen mit<br />
Ausländern, ausländischen Arbeitern bzw. mit Angehörigen der entsprechenden<br />
sozialen Schicht und zeigt somit ein vorstrukturiertes Verhaltensmuster. Wir müssen<br />
mehrere Typen von Situationen und Kontaktpartnern unterscheiden: Arbeitsplatz,<br />
Behörde bzw. Verwaltung, öffentliche Plätze und Orte (Bahnhof, Straße,<br />
Kneipe), die häusliche Szene und die Nachbarschaft. Bei den Kontaktpartnern muß<br />
man zwischen institutionell gleichrangigen Partnern (Arbeitskollegen, Sportkameraden;<br />
siehe allerdings die Einschränkungen in Abschnitt 3.2.1.) und den in asymmetrischer<br />
Beziehung stehenden Partnern (in der Hauptsache Vorgesetzten, Amtspersonen,<br />
Angehörige sozial dominanter Schichten) unterscheiden. Eine besondere<br />
Kategorie von Kontaktpersonen sind die sogenannten ,,Weisen", also Personen, die<br />
vermittelnd zwischen den Gruppen stehen, soziale Institutionen, Arbeitsdolmetscher,<br />
aber auch deutsche Intimpartner und Ehefrauen (bzw. -männer). 23<br />
Ein Charakteristikum der Kontaktkommunikation ist ihr weitgehend analoger Charakter<br />
im Sinne von Watzlawick u. a. (1967:62f.):<br />
Der Unterschied zwischen digitaler und analoger Kommunikation wird vielleicht etwas klarer,<br />
wenn man sich vor Augen hält, daß bloßes Hören einer unbekannten <strong>Sprache</strong>, z. B. im Radio,<br />
niemals zum Verstehen dieser <strong>Sprache</strong> führen kann, während sich oft recht weitgehende Informationen<br />
relativ leicht aus der Beobachtung von Zeichensprachen und allgemeinen Ausdrucksgebärden<br />
ableiten lassen, selbst wenn die sie verwendende Person einer fremden Kultur<br />
angehört.<br />
Es wäre allerdings unrichtig, die Kontaktkommunikation als nichtverbal zu klassifizieren;<br />
beim Menschen (im Gegensatz zu Tieren) ist in den meisten Bereichen verbale<br />
Kommunikation mit im Spiel; sie dient allerdings in unserem Fall primär der<br />
Definition der Situation und der Beziehung zwischen den in Kontakt tretenden Personen:<br />
In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß alle Analogiekommunikationen<br />
Beziehungsappelle sind, d. h. Anrufungen bestimmter Beziehungsformen. Nach der Definition<br />
Batesons sind sie daher Vorschläge über die künftigen Regeln der Beziehung. Durch mein<br />
Verhalten, führt Bateson aus, kann ich Liebe, Haß, Kampf usw. erwähnen oder vorschlagen,<br />
aber es ist Sache meines Partners, diesen Vorschlägen positive oder negative Gültigkeit zuzuschreiben.<br />
Es braucht kaum darauf verwiesen zu werden, daß dies eine Quelle unzähliger Beziehungskonflikte<br />
ist. (Ebd. 98)<br />
Auch der Versuch eines Partners, keinen Kontakt herzustellen, stellt eine Beziehung<br />
her und definiert eine Situation. „So macht die Unmöglichkeit nicht zu kommunizieren<br />
alle Zwei-oder-mehr-Personen-Situationen zu zwischenpersönlichen,<br />
kommunikativen; der Beziehungsaspekt solcher Kommunikation umreißt diesen<br />
Umstand noch enger." (Ebd. 71) Die Situation der Kontaktvermeidung bzw. der<br />
Nichtkommunikation tritt in der Umgebung des ausländischen Arbeiters besonders<br />
häufig auf.<br />
23 „Weise Personen sind die Grenzpersonen, vor denen das Individuum mit einem Fehler<br />
weder Scham zu fühlen noch Selbstkontrolle zu üben braucht, weil es weiß, daß es trotz seines<br />
Mangels als gewöhnlicher anderer gesehen wird" (vgl. Goffman, 1975:40).<br />
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