Testinformationen - Testzentrale
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Sonderdruck 52 aus: Testinformation Diagnostica, 51, Heft 1, 52–54, © Hogrefe Verlag Göttingen 2005<br />
Inkongruenzfragebogen (INK) von Martin Grosse Holtforth,<br />
Klaus Grawe und Özgür Tamcan (2004). [Göttingen:<br />
Hogrefe, Testmappe komplett € 49.– ].<br />
Katrin Rockenbauch und Uwe Berger<br />
1. Testart<br />
Der Inkongruenzfragebogen (INK) ist ein Verfahren zur<br />
Ermittlung von Inkongruenzen zwischen der wahrgenommenen<br />
Realität und den motivationalen Zielen bei Psychotherapiepatienten.<br />
Der Fragebogen kann sowohl in der<br />
Therapieplanung und Therapieevaluation, als auch in wissenschaftlichen<br />
Untersuchungen eingesetzt werden.<br />
Der INK basiert wie der Fragebogen zur Analyse motivationaler<br />
Schemata (FAMOS; Grosse Holtforth & Grawe,<br />
2002) auf der Konsistenztheorie von Grawe (1998).<br />
2. Testmaterial<br />
Der INK besteht aus einem Testmanual (TM, 112 Seiten),<br />
10 Fragebögen der Langform, 10 Fragebögen der Kurz-<br />
Tabelle 1. Inhalt und Aufbau der Skalen des INK<br />
<strong>Testinformationen</strong><br />
form, 10 Auswertungsbögen, 10 Auswertungsprofilen<br />
und einer Mappe. Zusätzlich wird ein Schreibgerät benötigt.<br />
3. Testgliederung<br />
Annäherungsziele Vermeidungsziele<br />
Der INK umfasst in seiner Langform 94 Items, die inhaltlich<br />
zwei Blöcken zuordenbar sind: Annäherungsziele und<br />
Vermeidungsziele (Tabelle 1).<br />
Die Items sind als Aussagesätze mit dem jeweils identischen<br />
Beginn „In der letzten Zeit ...“ (z.B. „kann ich auf<br />
mich selbst vertrauen.“) formuliert und fünfstufig skaliert<br />
(„viel zu wenig“ bis „völlig ausreichend“ bzw. „trifft<br />
überhaupt nicht zu“ bis „trifft sehr stark zu“). Die Items<br />
können 14 Skalen zu Annäherungszielen, sowie 9 Skalen<br />
zu Vermeidungszielen zugeordnet werden. Die Antwortkategorien<br />
sind alle in eine Richtung gepolt.<br />
Die Kurzversion des INK umfasst 23 Items, wobei 14<br />
den Annäherungszielen und 9 den Vermeidungszielen zugeordnet<br />
werden. Skalierung und Polung entsprechen der<br />
Langversion. Die Auswertung erfolgt in diesem Fall direkt<br />
Skalierung: Skalierung:<br />
In der letzten Zeit ... „viel zu wenig“ In der letzten Zeit ... „trifft überhaupt<br />
bis „völlig ausreichend“ nicht zu“ bis „trifft sehr stark zu“<br />
(5-stufig) (5-stufig)<br />
1. Intimität/Bindung 15. Alleinsein/Trennung<br />
2. Geselligkeit 16. Geringschätzung<br />
3. Anderen helfen 17. Erniedrigung<br />
4. Hilfe bekommen 18. Vorwürfe/Kritik<br />
5. Anerkennung/Wertschätzung 19. Abhängigkeit/Autonomieverlust<br />
6. Überlegensein/Imponieren 20. Spannungen mit anderen<br />
7. Autonomie 21. Sich verletzbar machen<br />
8. Leistung 22. Hilflosigkeit/Ohnmacht<br />
9. Bildung/Verstehen 23. Versagen<br />
10. Kontrolle haben<br />
11. Glauben/Sinn<br />
12. Das Leben auskosten<br />
13. Selbstvertrauen/Selbstwert<br />
14. Selbstbelohnung<br />
Gesamtwerte:<br />
Inkongruenz Inkongruenz<br />
Annäherungsziele Vermeidungsziele<br />
Gesamtinkongruenz
auf dem Fragebogen. Angaben zu Alter, Geschlecht und<br />
Name sowie Code-Nummer werden bei beiden Versionen<br />
auf dem Deckblatt bzw. zu Beginn erhoben.<br />
4. Grundkonzept<br />
Der INK baut auf der Konsistenztheorie von Grawe (1998)<br />
auf. Innerhalb dieser nimmt die Inkongruenz eine zentrale<br />
Rolle bei der Erklärung der Genese und Behandlung psychischer<br />
Störungen ein.<br />
Es wird davon ausgegangen, dass innerhalb eines Individuums<br />
gleichzeitig viele Prozesse zur internen und<br />
externen Systemregulation ablaufen. Je konsistenter diese<br />
Prozesse sind, desto erfolgreicher kann die Auseinandersetzung<br />
mit der Umwelt erfolgen und desto eher werden<br />
Grundbedürfnisse einer Person befriedigt. Die Grundbedürfnisse<br />
beziehen sich auf vier Bereiche: 1. Orientierung<br />
und Kontrolle, 2. Bindung und Anschluss, 3. Selbstwerterhöhung<br />
und Selbstwertschutz sowie 4. Lustgewinn und<br />
Unlustvermeidung. Die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse<br />
erfolgt individuell unterschiedlich und ist abhängig<br />
von genetischer Bereitschaft und Präferenz, gesellschaftlichen<br />
und kulturellen Lebensbedingungen sowie konkreten<br />
Sozialisationsbedingungen in der jeweiligen Gesellschaft.<br />
Die konkreten individuellen Ziele und Mittel zur<br />
Umsetzung der Grundbedürfnisbefriedigung werden als<br />
motivationale Schemata bezeichnet und stellen die individuellen<br />
Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung dar.<br />
Wird die Grundbedürfnisbefriedigung wiederholt frustran<br />
erlebt, so bilden sich so genannte Vermeidungsschemata<br />
heraus, welche die Minimierung der bedürfnisverletzenden<br />
Erfahrungen zum Inhalt haben. Annäherungs- wie<br />
auch Vermeidungsschemata sind gleichzeitig aktiv ablaufende<br />
Regulierungsprozesse.<br />
Ist ein gleichzeitiges Erreichen unterschiedlicher Inhalte<br />
der Schemata nicht möglich, so wird dies innerhalb<br />
der Konsistenztheorie als Diskordanz bezeichnet. Werden<br />
Annäherungs- bzw. Vermeidungsziele nicht erreicht und<br />
stimmt daher die Wahrnehmung der Realität nicht mit den<br />
Zielen überein, so bezeichnet man das als Inkongruenz.<br />
Geht es im FAMOS (2002) u.a. darum, Inkonsistenzen in<br />
Form von Diskordanzen zu ermitteln, so steht beim INK<br />
die Analyse der Inkongruenz im Mittelpunkt.<br />
5. Durchführung<br />
Alter: ab 18 Jahre<br />
Dauer: in Abhängigkeit von Leseflüssigkeit zwischen 10<br />
und 20 Minuten, keine Zeitbeschränkung.<br />
Formen: Langform (INK, 94 Items) und Kurzform (K-INK,<br />
23 Items); Einzel- wie auch Gruppenuntersuchung möglich;<br />
Paper-Pencil-Version.<br />
6. Auswertung<br />
Die Auswertung beansprucht etwa 10 Minuten. Die Antworten<br />
der Probanden werden skalenweise als Zahlenwerte<br />
auf den Auswertungsbogen übertragen, diese werden<br />
addiert und durch die Anzahl der Items geteilt (Mittelwert-<br />
Testinformation<br />
53<br />
bildung). Der Skalenwert der Annährungsziele errechnet<br />
sich durch die Subtraktion des Mittelwertes von 6, die<br />
Skalenwerte der Vermeidungsziele entsprechen den errechneten<br />
Mittelwerten. Zusätzlich werden Gesamtwerte<br />
für die Inkongruenz bezüglich der Annäherungs- und Vermeidungsziele<br />
sowie die Gesamtinkongruenz errechnet.<br />
Die ermittelten Skalenwerte können anhand der im TM<br />
aufgeführten Tabellen je nach Geschlecht und Alter in<br />
T-Werte transformiert oder direkt als Mittelwerte in das<br />
Auswertungsprofil eingetragen werden, auf dem Normwerte<br />
bereits markiert sind.<br />
Fehlen einzelne Antworten einer Skala, so erfolgt die<br />
Mittelwertbildung durch die Teilung mit der tatsächlich<br />
beantworteten Itemanzahl, wenn insgesamt mindestens<br />
drei Items pro Skala vorhanden sind.<br />
7. Gütekriterien<br />
7.1 Objektivität. Hohe Durchführungs- und Auswertungsobjektivität<br />
des INK können durch die Standardisierung<br />
des Fragebogens und die ausführliche Anleitung angenommen<br />
werden. Die Interpretationsobjektivität ist gesichert<br />
durch Normwerte und ein Interpretationsbeispiel<br />
(TM, S. 33–41).<br />
Die Verzerrung der Selbsteinschätzungsdaten durch<br />
sozial erwünschte Antworten kann nicht ausgeschlossen<br />
werden, allerdings zeigten sich nur bei drei Skalen (Geselligkeit<br />
r = .24, Alleinsein/Trennung r = .23, Geringschätzung<br />
r = .21; N = 106) signifikante Korrelationen mit der<br />
Skala zur sozialen Erwünschtheit.<br />
7.2 Reliabilität. Das TM enthält Angaben zur internen<br />
Konsistenz (Cronbachs Alpha) der Skalen der Langform<br />
(S. 55). Die Werte liegen zwischen .44 und .92. Insgesamt<br />
ist die interne Konsistenz der Skalen, bis auf wenige Ausnahmen,<br />
als gut zu bewerten.<br />
Die Test-Retest-Reliabilitäten wurden an einer Stichprobe<br />
von 80 Studierenden berechnet, wobei fast 3/4 der<br />
Befragten weiblich waren. Sie liegen nach einer Woche für<br />
die Annäherungsziele zwischen .42 und .91 bei einem Mittelwert<br />
von .68. Für die Vermeidungsziele schwanken sie<br />
zwischen .54 und .79 mit einem Mittelwert von .64.<br />
7.3 Validität. Wie auch beim FAMOS sind die Skalen des<br />
INK inhaltlich valide, wobei bei der Vielfalt möglicher<br />
menschlicher Motive nicht davon ausgegangen werden<br />
kann, alle zu erfassen (Heckhausen, 1989). Durch die Rückmeldung<br />
von Patienten und Psychotherapeuten zum<br />
FAMOS konnte aber der INK entsprechend überarbeitet<br />
werden. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass<br />
die erfragten Motive inhaltlich die Bandbreite des zu erfassenden<br />
Konzeptes wiedergeben.<br />
Die Annahme, dass sich Psychotherapiepatienten in<br />
den Inkongruenzwerten von „normalen“ Personen unterscheiden,<br />
konnte mit teilweise sehr hohen Effektstärken<br />
nachgewiesen werden (TM, S. 59).<br />
Die zur Überprüfung der Konstruktvalidität durchgeführten<br />
Faktorenanalysen zeigten eine weitreichende
54 Testinformation<br />
Kongruenz mit der angenommenen Struktur. Des Weiteren<br />
konnte eine klare Zweiteilung in Annäherungs- und<br />
Vermeidungsziele nachgewiesen werden.<br />
Die Zusammenhänge zwischen FAMOS-Skalen und<br />
INK-Skalen sind klein aber erwartungskonform.<br />
Es konnte auch gemäß der Konsistenztheorie nachgewiesen<br />
werden, dass Personen mit starken Vermeidungszielen<br />
die Umsetzung von Annäherungszielen schlechter<br />
gelingt.<br />
Zusammenhänge mit anderen Konstrukten wie Lebenszufriedenheit<br />
und Wohlbefinden sowie psychopathologischen<br />
Symptomen wurden berechnet. Es ergaben<br />
sich starke Zusammenhänge zwischen Inkongruenz und<br />
Lebenszufriedenheit bzw. Wohlbefinden (erfasst mit FLZ<br />
(Fahrenberg et al., 2000) und BFW/E (Grob, 1995)), sowie<br />
zwischen Inkongruenz und psychopathologischer Symptombelastung.<br />
7.4 Normierung. Die Normierung des INK erfolgte an<br />
N = 707 „normalen“ Personen, die aus vier Gelegenheitsstichproben<br />
zusammengefasst wurden. Das mittlere Alter<br />
betrug 40.2 Jahre (SD = 15.1). Es liegen zudem Vergleichswerte<br />
von N = 125 stationären Patienten, N = 155 ambulanten<br />
Psychotherapiepatienten, N = 167 stationären Psychosomatikpatienten,<br />
sowie N = 123 ambulanten Psychotherapiepatienten<br />
vor. Der Anteil an befragten männlichen<br />
Personen liegt zwischen 47,2 und 22,0 Prozent, Männer<br />
sind somit unterrepräsentiert.<br />
8. Kritik<br />
8.1 Der INK ermöglicht eine Analyse der Inkongruenzen<br />
einer Person. Damit liegt ein weiteres Instrument zur Operationalisierung<br />
der Konsistenztheorie von Grawe vor,<br />
und eine klientennahe Therapie wird effizient möglich.<br />
8.2 Die Normierung des Fragebogens umfasst N = 1277<br />
Personen, davon 707 „normale“ Personen, mit einem starken<br />
Übergewicht an Frauen. Eine repräsentative Normierung<br />
wäre wünschenswert.<br />
8.3 Der INK könnte durch eine Auswertungsschablone<br />
noch effizienter werden.<br />
8.4 Die Auswertungsleitlinien der Kurzversion und die Interpretation<br />
der Kurzversions-Ergebnisse sind sehr knapp<br />
bzw. gar nicht beschrieben.<br />
8.5 Im Gegensatz zum FAMOS, der einige sprachlich nicht<br />
sehr leicht verständliche Items aufwies (z.B. „fremdbestimmt“)<br />
wurden diese Mängel beim INK behoben. Der<br />
INK ist daher leicht verständlich.<br />
8.6 Wer FAMOS und INK parallel einsetzen möchte,<br />
könnte über die Verschiebung der Itemnummern irritiert<br />
sein (so ist z. B. Item 88 im FAMOS Item 66).<br />
8.7 Die Auswertung des INK ist nicht ganz einfach. Bei<br />
der Errechnung der Annäherungsziele müssen die Mittelwerte<br />
in einen Skalenwert umgerechnet werden (6 – MW).<br />
Im Auswertungsprofil hingegen müssen die Rohwerte –<br />
damit sind hier die Mittelwerte gemeint – abgetragen werden.<br />
9. Empfehlung<br />
Der INK ist der zweite Test, der versucht, die Therapieforschung<br />
von Grawe auf testtheoretisch abgesicherte<br />
Grundlagen zu stellen. Der INK stellt zusammen mit dem<br />
FAMOS eine Basis für die neuere Psychotherapieforschung<br />
dar und ist daher empfehlenswert. Allerdings<br />
steht auch beim INK die Normierung an einer repräsentativen<br />
Stichprobe noch aus, und es wären weitere Beispiele<br />
zur Profilinterpretation wünschenswert.<br />
Literatur<br />
Fahrenberg, J., Myrtek, M., Schumacher, J. & Brähler, E. (2000).<br />
Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZ). Göttingen: Hogrefe.<br />
Grawe, K. (1998). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe.<br />
Grob, A. (1995). Subjektive well-being and significant lifeevents<br />
across life-span. Swiss Journal of Psychology, 54,<br />
3–18.<br />
Grosse Holtforth, M. & Grawe, K. (2002). FAMOS Fragebogen<br />
zur Analyse Motivationaler Schemata. Testhandbuch. Göttingen:<br />
Hogrefe.<br />
Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln (2. Aufl.). Berlin:<br />
Springer.<br />
Dipl.-Psych. Katrin Rockenbauch<br />
Universität Leipzig<br />
Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie<br />
und Medizinische Soziologie<br />
Stephanstraße 11<br />
04103 Leipzig<br />
E-Mail: katrin.rockenbauch@medizin.uni-leipzig.de<br />
Dr. phil. Dipl.-Psych. Uwe Berger<br />
Friedrich-Schiller-Universität Jena<br />
Institut für Medizinische Psychologie<br />
Steubenstraße 2<br />
07740 Jena<br />
E-Mail: uwe.berger@uni-jena.de<br />
DOI: 10.1026/0012-1924.51.1.52