Paragraf§Praxis Nr. 1/2012 - deutscherueck.de
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Paragraf § Praxis<br />
No 1|12<br />
Aktuelle Rechtsprechung<br />
Auswirkungen auf die Risiko- und Leistungsprüfung in <strong>de</strong>r Lebens- und<br />
Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
Inhalte dieser Ausgabe sind:<br />
1. Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
• Erbringt <strong>de</strong>r Versicherer trotz eines gebotenen<br />
Leistungsanerkenntnisses die vertraglich ge-<br />
schul<strong>de</strong>te Berufsunfähigkeitsrente aus bloßer<br />
Kulanz, so ist die einzelvertragliche Vereinba-<br />
rung wie ein unbefristetes Anerkenntnis zu be-<br />
han<strong>de</strong>ln (mit Kommentar). OLG Koblenz, Urteil<br />
vom 04.03.2011 (10 U 469/10)<br />
• Der Verzicht auf eine Gesundheitsprüfung lässt<br />
<strong>de</strong>n Einwand einer mitgebrachten Berufsunfä-<br />
higkeit nicht entfallen (ohne Kommentar). OLG<br />
Nürnberg, Beschluss vom 28.06.2011 (8 U<br />
2330/10)<br />
• Zuletzt ausgeübter Beruf bei vorübergehen<strong>de</strong>r<br />
Elternzeit (mit Kommentar). BGH, Urteil vom<br />
30.11.2011 (IV ZR 143/10)<br />
• Verweisbarkeit eines angestellten Malers und<br />
Lackierers auf die Tätigkeit als Schulhausmeis-<br />
ter (mit Kommentar). OLG Karlsruhe, Urteil vom<br />
30.12.2011 (12 U 140/11)<br />
• Eine durch die Rentenversicherung gewährte<br />
Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rungsmaßnahme berechtigt<br />
nicht zur konkreten Verweisung (ohne Kommen-<br />
tar). OLG Nürnberg, Urteil vom 23.01.<strong>2012</strong> (8 U<br />
607/11)<br />
2. Versicherungsvertragsrecht<br />
• Zur Beweislastverteilung bei <strong>de</strong>r Auge- und Ohr-<br />
Thematik (mit Kommentar). OLG Hamburg, Ur-<br />
teil vom 30.09.2011 (9 U 184/10)<br />
• Die vorvertragliche Anzeigepflicht von beste-<br />
hen<strong>de</strong>n (Vor)Erkrankungen bleibt trotz eines<br />
durchgeführten Gentests bestehen (mit Kom-<br />
mentar). OLG Saarbrücken, Beschluss vom<br />
20.10.2011 (5 W 220/11-98)<br />
• Zur Anzeigepflicht von außerhalb <strong>de</strong>s Abfrage-<br />
zeitraums behan<strong>de</strong>lter Vorerkrankungen (ohne<br />
Kommentar). OLG Karlsruhe, Urteil vom<br />
20.12.2011 (12 U 132/11)<br />
3. Prozessrecht<br />
• Verwertbarkeit personenbezogener Daten bei<br />
fehlen<strong>de</strong>r (zeitlich begrenzter) Schweigepflicht-<br />
entbindung im To<strong>de</strong>sfall (mit Kommentar). BGH,<br />
Beschluss vom 21.09.2011 (IV ZR 203/09)
2 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
1. Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
• Erbringt <strong>de</strong>r Versicherer trotz eines gebotenen<br />
Leistungsanerkenntnisses die vertraglich ge-<br />
schul<strong>de</strong>te Berufsunfähigkeitsrente aus bloßer<br />
Kulanz, so ist die einzelvertragliche Vereinba-<br />
rung wie ein unbefristetes Anerkenntnis zu be-<br />
han<strong>de</strong>ln (mit Kommentar). OLG Koblenz, Urteil<br />
vom 04.03.2011 (10 U 469/10)<br />
Leitsatz: Für diese Entscheidung wur<strong>de</strong> kein amtli-<br />
cher Leitsatz veröffentlicht.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Der Kläger machte En<strong>de</strong> März 2003 Leistun-<br />
gen auf Beitragsbefreiung aus zwei mit <strong>de</strong>m Beklag-<br />
ten abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-<br />
Zusatzversicherungen geltend. Aufgrund von epilep-<br />
tischen Anfällen und <strong>de</strong>r hiermit verbun<strong>de</strong>nen Ge-<br />
fahr an laufen<strong>de</strong>n Maschinen zu arbeiten, sei er nicht<br />
in <strong>de</strong>r Lage, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als an-<br />
gestellter Schreiner auszuüben. Im Hinblick auf eine<br />
durch <strong>de</strong>n Kläger in <strong>de</strong>r Folge geplante Umschulung<br />
zum Immobilienkaufmann bot <strong>de</strong>r Beklagte <strong>de</strong>m<br />
Kläger per einzelvertraglicher Vereinbarung an,<br />
zunächst die Leistungen ohne Anerkennung einer<br />
Rechtspflicht bis zum 1. Februar 2006 zu erbringen.<br />
Die Fragen <strong>de</strong>r Berufsunfähigkeit und <strong>de</strong>r Verweis-<br />
barkeit <strong>de</strong>s Klägers ließ <strong>de</strong>r Beklagte in <strong>de</strong>r Verein-<br />
barung dabei ausdrücklich offen. Der Kläger nahm<br />
die Vereinbarung an.<br />
Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kläger die Umschulung erfolgreich<br />
abgeschlossen und eine Tätigkeit als selbständiger<br />
Kaufmann im Juni 2006 aufgenommen hatte, lehnte<br />
<strong>de</strong>r Beklagte im November 2007 weitere über die<br />
Vereinbarung hinausgehen<strong>de</strong> Leistungen mangels<br />
nachgewiesener Berufsunfähigkeit für die Tätigkei-<br />
ten als Schreiner und <strong>de</strong>s Immobilienkaufmanns ab.<br />
In <strong>de</strong>r Folge stellte <strong>de</strong>r Beklagte gegenüber <strong>de</strong>m<br />
Kläger am 1. Juli 2008 per Schriftsatz dar, dass er<br />
diesen auf die aufgenommene Tätigkeit konkret<br />
verweise.<br />
Der Kläger ist <strong>de</strong>r Ansicht, dass weiterhin Berufsun-<br />
fähigkeit besteht. Die mit <strong>de</strong>m Beklagten geschlos-<br />
sene Vereinbarung benachteilige ihn und sei <strong>de</strong>s-<br />
halb unwirksam. Auf die neue Tätigkeit könne er<br />
nicht verwiesen wer<strong>de</strong>n, da er hier wesentlich weni-<br />
ger verdiene.<br />
Das LG hat <strong>de</strong>r Klage weitgehend stattgegeben. Die<br />
Berufung <strong>de</strong>s Beklagten hatte nur teilweise Erfolg.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Nach Ansicht <strong>de</strong>s OLG steht<br />
<strong>de</strong>m Kläger bis zum 1. September 2008 ein An-<br />
spruch auf Beitragsbefreiung zu. Die bis zu diesem<br />
Zeitpunkt durch <strong>de</strong>n Kläger erbrachten Beiträge hat<br />
<strong>de</strong>r Beklagte zurückzuerstatten.<br />
Die zwischen <strong>de</strong>m Kläger und <strong>de</strong>r Beklagten ge-<br />
schlossene einzelvertragliche Vereinbarung ist un-<br />
wirksam. Die Vereinbarung benachteiligt <strong>de</strong>n Kläger<br />
dahingehend, dass die Frage <strong>de</strong>r Berufsunfähigkeit<br />
für die Tätigkeit als Schreiner trotz einem gebotenen<br />
Leistungsanerkenntnis völlig offen bleibt. Einzelver-<br />
tragliche Vereinbarungen setzen eine unklare Sach-<br />
und Rechtslage voraus, welche vorliegend nicht<br />
gegeben ist. Der Beklagte war und ist nach Ansicht<br />
<strong>de</strong>s gerichtlich bestellten Sachverständigen auf-<br />
grund <strong>de</strong>r unkontrollierten epileptischen Anfälle in<br />
<strong>de</strong>r Tätigkeit als Schreiner berufsunfähig. Durch die<br />
zum damaligen Zeitpunkt unterlassene Prüfung <strong>de</strong>r<br />
Berufsunfähigkeit wird <strong>de</strong>m Kläger nun aufgrund<br />
einer zwischenzeitlich eingetretenen Anfallsfreiheit<br />
<strong>de</strong>r Nachweis einer Berufsunfähigkeit nach Ablauf<br />
<strong>de</strong>r einzelvertraglichen Vereinbarung wesentlich<br />
erschwert. Über diese nachteilige Beweislast, welche<br />
bei einem Leistungsanerkenntnis <strong>de</strong>n Beklagten im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r Nachprüfung getroffen hätte, hat <strong>de</strong>r<br />
Beklagte <strong>de</strong>n Kläger in <strong>de</strong>r Vereinbarung im Unkla-<br />
ren gelassen. Die Vereinbarung ist somit durch ein<br />
unbefristetes Leistungsanerkenntnis zu ersetzen.<br />
Von diesem Leistungsanerkenntnis kann sich <strong>de</strong>r<br />
Beklagte nur im Wege <strong>de</strong>r Nachprüfung lösen. Die<br />
formellen und materiellen Anfor<strong>de</strong>rungen an eine<br />
solche Leistungseinstellung hat <strong>de</strong>r Beklagte erst<br />
mit <strong>de</strong>m Schriftsatz vom 1. Juli 2008 erfüllt, in<strong>de</strong>m
3 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
er <strong>de</strong>n Kläger konkret auf die selbständig ausgeübte<br />
Tätigkeit als Immobilienkaufmann verwies. Der Be-<br />
klagte ist somit bedingungsgemäß erst zum 1. Sep-<br />
tember 2008 leistungsfrei gewor<strong>de</strong>n.<br />
Der konkreten Verweisung steht auch nicht <strong>de</strong>r Ein-<br />
wand eines geringeren Verdienstes entgegen. Denn<br />
nach Auffassung <strong>de</strong>s Gerichts darf nicht das Gehalt<br />
in <strong>de</strong>r Gründungsphase <strong>de</strong>s Betriebes als Ver-<br />
gleichsgrundlage dienen, son<strong>de</strong>rn das langfristig<br />
erzielbare durchschnittliche Einkommen eines selb-<br />
ständigen Immobilienkaufmanns. Dieses steht <strong>de</strong>m<br />
Gehalt eines angestellten Schreiners nicht nach.<br />
Auswirkungen auf die Praxis: Die Anfor<strong>de</strong>rungen an<br />
die Wirksamkeit einer mit <strong>de</strong>m Versicherungsnehmer<br />
geschlossenen einzelvertraglichen Vereinbarung<br />
steigen (s. a. P§P No 3/11). Der Abschluss von einzel-<br />
vertraglichen Vereinbarungen ist zwar weiterhin in<br />
<strong>de</strong>r Leistungsregulierung möglich, jedoch darf <strong>de</strong>r<br />
Versicherer seine überlegene Sach- und Rechts-<br />
kenntnis nicht ausnutzen. Der Versicherungsnehmer<br />
muss transparent über <strong>de</strong>n Inhalt und die Folgen <strong>de</strong>r<br />
Vereinbarung durch <strong>de</strong>n Versicherer aufgeklärt wer-<br />
<strong>de</strong>n. Im Hinblick auf die hohen Anfor<strong>de</strong>rungen an<br />
eine solche Vereinbarung sollte diese daher nur bei<br />
einer unklaren Sach- und Rechtslage abgeschlossen<br />
wer<strong>de</strong>n. Denn wird ein gebotenes Leistungsaner-<br />
kenntnis durch eine Vereinbarung umgangen, be-<br />
steht die nicht unerhebliche Gefahr, dass diese bei<br />
einer gerichtlichen Überprüfung durch ein unbefriste-<br />
tes Leistungsanerkenntnis ersetzt wird. Wie im vor-<br />
liegen<strong>de</strong>n Fall geschehen, kann ein solches Vorgehen<br />
zu einer erheblichen Mehrleistung <strong>de</strong>s Versicherers<br />
führen. Denn über die Frage hinaus, ob die Vereinba-<br />
rung wirksam ist o<strong>de</strong>r nicht, hatte <strong>de</strong>r Versicherer<br />
eine hilfsweise Leistungseinstellung im Wege <strong>de</strong>r<br />
Nachprüfung aus <strong>de</strong>n Augen verloren.<br />
• Der Verzicht auf eine Gesundheitsprüfung lässt<br />
<strong>de</strong>n Einwand einer mitgebrachten Berufsunfä-<br />
higkeit nicht entfallen (ohne Kommentar). OLG<br />
Nürnberg, Beschluss vom 28.06.2011 (8 U<br />
2330/10)<br />
Leitsatz: Für diese Entscheidung wur<strong>de</strong> kein amtli-<br />
cher Leitsatz veröffentlicht.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Der Kläger machte Leistungen aus einer mit<br />
<strong>de</strong>r Beklagten mit Wirkung zum 01.11.2008 abge-<br />
schlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung<br />
geltend. Die Beklagte hatte nach durchgeführter<br />
Leistungsprüfung <strong>de</strong>n Leistungsanspruch aufgrund<br />
von vorvertraglicher Berufsunfähigkeit gestützt auf<br />
die <strong>de</strong>m Versicherungsvertrag zu Grun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n<br />
Bedingungen abgelehnt. Der Kläger war unstreitig<br />
bereits seit <strong>de</strong>m 19.02.2008 aufgrund einer Darm-<br />
krebserkrankung nicht mehr in <strong>de</strong>r Lage, seiner<br />
Tätigkeit als Inhaber eines Glasvere<strong>de</strong>lungsbetrie-<br />
bes nachzugehen.<br />
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung <strong>de</strong>s<br />
Klägers hat das OLG mangels Aussicht auf Erfolg<br />
zurückgewiesen.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Nach Auffassung <strong>de</strong>s Ge-<br />
richts steht unstreitig fest, dass beim Kläger bereits<br />
ca. acht Monate vor Versicherungsbeginn Berufsun-<br />
fähigkeit eingetreten ist. Eine Leistungsverpflich-<br />
tung trotz vorvertraglich bestehen<strong>de</strong>r Berufsunfä-<br />
higkeit wür<strong>de</strong> das Grundverständnis eines Versiche-<br />
rungsverhältnisses und die daran anknüpfen<strong>de</strong>n<br />
gesetzlichen Regelungen auf <strong>de</strong>n Kopf stellen. Es ist<br />
nicht ausreichend, dass <strong>de</strong>r Versicherungsfall sich<br />
bis in <strong>de</strong>n versicherten Zeitraum hinein fortsetzt. Die<br />
Gefahrtragung wird erst mit Versicherungsbeginn in<br />
Gang gesetzt.<br />
Der Einwand <strong>de</strong>s Klägers, dass er bei Antragstellung<br />
(08.10.2008) nicht davon ausgegangen sei, dauer-<br />
haft berufsunfähig zu sein, son<strong>de</strong>rn angenommen<br />
habe aufgrund <strong>de</strong>r Krebserkrankung vorzeitig zu<br />
versterben o<strong>de</strong>r aber wie<strong>de</strong>r zu gesun<strong>de</strong>n, über-
4 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
zeugt nicht. Denn alleine entschei<strong>de</strong>nd ist, ob vor<br />
Versicherungsbeginn bereits tatsächlich Berufsun-<br />
fähigkeit eingetreten ist.<br />
Auch <strong>de</strong>r Vorhalt <strong>de</strong>s Klägers, dass die Beklagte bei<br />
Vertragsabschluss eine Gesundheitsprüfung we<strong>de</strong>r<br />
durch Übersendung eines Fragebogens noch durch<br />
eine ärztliche Untersuchung durchgeführt hat, ver-<br />
mag <strong>de</strong>n Leistungsausschluss <strong>de</strong>r mitgebrachten<br />
Berufsunfähigkeit nicht auszuräumen. Die von <strong>de</strong>r<br />
Beklagten verwen<strong>de</strong>ten Bedingungen sehen keiner-<br />
lei Verpflichtung zur Durchführung einer Gesund-<br />
heitsprüfung bei Antragstellung vor.<br />
• Zuletzt ausgeübter Beruf bei vorübergehen<strong>de</strong>r<br />
Elternzeit (mit Kommentar). BGH, Urteil vom<br />
30.11.2011 (IV ZR 143/10)<br />
Leitsatz: Der für diese Entscheidung veröffentlichte<br />
amtliche Leitsatz steht zu <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>s zuletzt aus-<br />
geübten Berufs bei vorübergehen<strong>de</strong>r Elternzeit in<br />
keinem Kontext und wird daher nicht angeführt.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Die Klägerin hat bei <strong>de</strong>r Beklagten eine Be-<br />
rufsunfähigkeitsversicherung am 05.02.2002 bean-<br />
tragt und mit Wirkung zum 01.04.2002 abgeschlos-<br />
sen. Sämtliche Gesundheitsfragen wur<strong>de</strong>n im Antrag<br />
verneint. Lediglich eine Routineuntersuchung ohne<br />
Befund wur<strong>de</strong> durch die Klägerin angegeben. Bis<br />
1994 war die Klägerin als Erzieherin tätig. Daraufhin<br />
begab sie sich aufgrund <strong>de</strong>r Geburt von drei Kin<strong>de</strong>rn<br />
in Elternzeit. Während dieser war sie jeweils kurzzei-<br />
tig als „Springer“ in ihrem Beruf tätig. Nach Ablauf<br />
<strong>de</strong>r letzten Elternzeit mel<strong>de</strong>te sich die Klägerin im<br />
März 2002 arbeitssuchend. Im Januar 2004 machte<br />
die Klägerin gegenüber <strong>de</strong>r Beklagten geltend, ihren<br />
Beruf aufgrund von Depression, Panikstörung und<br />
sozialer Phobie seit März 2003 nicht mehr ausüben<br />
zu können. Seit Mai 2008 ist die Klägerin mit zehn<br />
Wochenarbeitsstun<strong>de</strong>n in ihrem Beruf teilzeitbe-<br />
schäftigt.<br />
Die Beklagte lehnte die Leistungserbringung man-<br />
gels nachgewiesener Berufsunfähigkeit ab und er-<br />
klärte zu<strong>de</strong>m wegen vorvertraglicher Anzeigepflicht-<br />
verletzung <strong>de</strong>n Rücktritt vom Vertrag. Die Klägerin<br />
habe bereits vor Antragstellung an Depressionen<br />
gelitten. Zu<strong>de</strong>m sei die Klagefrist nach § 12 Abs. 3<br />
VVG-alt abgelaufen.<br />
Das LG hat <strong>de</strong>r Klage stattgegeben. Die Berufung <strong>de</strong>r<br />
Beklagten hatte keinen Erfolg. Die gegen das Beru-<br />
fungsurteil eingelegte Revision hatte nun vor <strong>de</strong>m<br />
BGH ebenfalls in Bezug auf <strong>de</strong>n zuerkannten Leis-<br />
tungsanspruch keinen Erfolg.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Der BGH ist <strong>de</strong>r Begründung<br />
<strong>de</strong>r Vorinstanzen hinsichtlich <strong>de</strong>r zuletzt ausgeüb-<br />
ten Tätigkeit gefolgt (s. a. P§P No 4/10). Die nur<br />
vorübergehen<strong>de</strong> aufgrund von Erziehungsurlaub<br />
bedingte Haushaltstätigkeit <strong>de</strong>r Klägerin stellt kein<br />
hinreichen<strong>de</strong>s Anzeichen für eine bewusste Aufgabe<br />
<strong>de</strong>s erlernten Berufes dar. Die Klägerin hat sich<br />
unmittelbar im Anschluss an die letzte Erziehungs-<br />
zeit arbeitssuchend gemel<strong>de</strong>t und war zu<strong>de</strong>m mehr-<br />
fach als „Springerin“ in ihrem erlernten Beruf tätig.<br />
Dies sind <strong>de</strong>utliche Indizien gegen eine bewusste<br />
Berufsaufgabe. Dem steht auch <strong>de</strong>r Zeitablauf seit<br />
1994 nicht entgegen.<br />
Auswirkungen auf die Praxis: Dass die gesetzliche<br />
Elternzeit grundsätzlich als vorübergehen<strong>de</strong>s Aus-<br />
schei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Berufsleben in <strong>de</strong>r Leistungsprü-<br />
fung zu bewerten ist, wur<strong>de</strong> nun durch <strong>de</strong>n BGH bes-<br />
tätigt. In dieser Frage, welche in <strong>de</strong>n Bedingungswer-<br />
ken bereits teilweise umgesetzt wur<strong>de</strong>, besteht nun<br />
Rechtssicherheit.
5 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
• Verweisbarkeit eines angestellten Malers und<br />
Lackierers auf die Tätigkeit als Schulhausmeis-<br />
ter (mit Kommentar). OLG Karlsruhe, Urteil vom<br />
30.12.2011 (12 U 140/11)<br />
Leitsatz: Zur Verweisung eines Handwerksgesellen<br />
auf <strong>de</strong>n Beruf eines Hausmeisters, wenn die Bedin-<br />
gungen vorsehen, dass auf eine an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>r Ausbil-<br />
dung und Erfahrung sowie bisherigen Lebensstel-<br />
lung entsprechen<strong>de</strong> Tätigkeit verwiesen wer<strong>de</strong>n<br />
kann.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Der Kläger, welcher in seinem ursprünglich<br />
ausgeübten Beruf als angestellter Maler und Lackie-<br />
rer berufsunfähig ist und nun als Hausmeister in<br />
einer Schule tätig ist, begehrt weiterhin Leistungen<br />
aus einer mit <strong>de</strong>r Beklagten abgeschlossenen Be-<br />
rufsunfähigkeitsversicherung. Die Beklagte hatte<br />
zunächst die Leistungen anerkannt, diese jedoch im<br />
Nachprüfungsverfahren per konkreter Verweisung<br />
auf die Tätigkeit als Schulhausmeister eingestellt.<br />
Das LG hat <strong>de</strong>r Klage stattgegeben. Die Berufung <strong>de</strong>r<br />
Beklagten hatte vor <strong>de</strong>m OLG keinen Erfolg.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Nach Überzeugung <strong>de</strong>s OLG<br />
konnte die Beklagte <strong>de</strong>n Kläger nicht mit leistungs-<br />
befreien<strong>de</strong>r Wirkung auf die Tätigkeit als Schul-<br />
hausmeister verweisen. Nach <strong>de</strong>n zugrun<strong>de</strong>liegen-<br />
<strong>de</strong>n Bedingungen ist eine konkrete Verweisung nur<br />
zulässig, wenn <strong>de</strong>r Versicherte eine an<strong>de</strong>re seiner<br />
„Ausbildung und Erfahrung“ entsprechen<strong>de</strong> Tätig-<br />
keit ausübt. Darauf, dass die bisherige Ausbildung<br />
<strong>de</strong>n Kläger befähigt, <strong>de</strong>n Verweisungsberuf zu be-<br />
wältigen, kommt es nicht an.<br />
Die ursprüngliche Tätigkeit <strong>de</strong>s Klägers war insbe-<br />
son<strong>de</strong>re von qualifizierten handwerklichen Tätigkei-<br />
ten geprägt. Diese fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>r aktuell ausge-<br />
übten Hausmeistertätigkeit nur im geringen Umfang<br />
wie<strong>de</strong>r. Der Kläger ist hauptsächlich mit <strong>de</strong>r Ausga-<br />
be von Krei<strong>de</strong>, Schwamm und Lappen, <strong>de</strong>r Beaufsich-<br />
tigung <strong>de</strong>s Hofdienstes, <strong>de</strong>r Verrichtung von Boten-<br />
gängen, <strong>de</strong>m Leeren von Mülleimern, <strong>de</strong>m Rasen-<br />
mähen und <strong>de</strong>m Unkraut jäten betraut. Handwerkli-<br />
chen Tätigkeiten, wie <strong>de</strong>m Wechseln von Leuchtmit-<br />
teln o<strong>de</strong>r kleineren Reparaturen an Türgriffen fallen<br />
nur geringes Gewicht zu. Diese könnten nach An-<br />
sicht <strong>de</strong>s Gerichts zu <strong>de</strong>m auch von einem Laien<br />
bewältigt wer<strong>de</strong>n. Eine handwerkliche Ausbildung<br />
ist hierfür nicht erfor<strong>de</strong>rlich. Insoweit ist eine Ver-<br />
weisung bereits allein aus diesem Grund nicht mög-<br />
lich.<br />
Auswirkungen auf die Praxis: Ein weiteres negati-<br />
ves Urteil zur Frage <strong>de</strong>r Rechtmäßigkeit einer durch<br />
<strong>de</strong>n Versicherer vorgenommenen konkreten Verwei-<br />
sung (s. a. P§P No 4/09 und No 2/10).<br />
Trotz <strong>de</strong>ssen, dass das Gericht in seiner Entschei-<br />
dungsbegründung die soziale Vergleichbarkeit <strong>de</strong>r<br />
bei<strong>de</strong>n Berufe (Maler/Schulhausmeister) explizit<br />
bejaht und die wirtschaftliche Vergleichbarkeit erst<br />
gar nicht geprüft hat, wur<strong>de</strong> die Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r<br />
konkreten Verweisung verneint. Eine Ten<strong>de</strong>nz, dass<br />
die Gerichte sich neben <strong>de</strong>r wirtschaftlichen/sozialen<br />
Vergleichbarkeit nun vermehrt auf <strong>de</strong>n Ausbildungs-<br />
inhalt <strong>de</strong>s Ursprungsberufs im Rahmen <strong>de</strong>r Verwei-<br />
sung konzentrieren, wäre beunruhigend, da dies eine<br />
erfolgreiche und rechtssichere Verweisung in <strong>de</strong>r<br />
Praxis wesentlich erschwert.<br />
Zwar stellt das OLG in <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Entscheidung<br />
heraus, dass sich die Tätigkeitsbil<strong>de</strong>r bei einer kon-<br />
kreten Verweisung nicht vollumfänglich gleichen<br />
müssen, ein beträchtlicher Umfang <strong>de</strong>r zuvor ausge-<br />
übten Teiltätigkeiten bzw. die Ausbildungsinhalte<br />
<strong>de</strong>s Ursprungsberufs sollten sich jedoch im Verwei-<br />
sungsberuf wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n.<br />
Um die Leistungen per Verweisung rechtssicher ein-<br />
stellen zu können, ist es daher sehr wichtig das ge-<br />
naue Tätigkeitsbild <strong>de</strong>s Ursprungs- und Verwei-<br />
sungsberufs in <strong>de</strong>r Leistungsprüfung aufzuklären.
6 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
• Eine durch die Rentenversicherung gewährte<br />
Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rungsmaßnahme berechtigt<br />
nicht zur konkreten Verweisung (ohne Kommen-<br />
tar). OLG Nürnberg, Urteil vom 23.01.<strong>2012</strong> (8 U<br />
607/11)<br />
Leitsatz: 1. Eine von <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversi-<br />
cherung getragene, auf höchstens sechs Monate<br />
angelegte Beschäftigungsmaßnahme zur Wie<strong>de</strong>r-<br />
einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s berufsunfähigen Versicherungs-<br />
nehmers an seiner bisherigen Arbeitsstelle ist keine<br />
die frühere Lebensstellung wahren<strong>de</strong> Verweisungs-<br />
tätigkeit im Rahmen einer privaten Berufsunfähig-<br />
keitsversicherung. 2. Sehen die Bedingungen einer<br />
privaten Berufsunfähigkeitsversicherung nur die<br />
Möglichkeit einer konkreten Verweisung vor, so<br />
kann <strong>de</strong>r berufsunfähige Versicherungsnehmer auch<br />
dann nicht verwiesen wer<strong>de</strong>n, wenn er die von ihm<br />
aufgenommene an<strong>de</strong>re Tätigkeit nach seinen ge-<br />
sundheitlichen Verhältnissen zwar vollschichtig<br />
ausüben könnte, sie tatsächlich aber nur in einem so<br />
geringen Umfang verrichtet, dass er eine die bishe-<br />
rige Lebensstellung wahren<strong>de</strong> Vergütung nicht<br />
erzielt.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Der Kläger macht weiterhin Ansprüche aus<br />
einer mit <strong>de</strong>r Beklagten abgeschlossenen Berufsun-<br />
fähigkeits-Zusatzversicherung geltend. Die Beklagte<br />
hatte zunächst die Leistungen anerkannt, diese<br />
jedoch im Nachprüfungsverfahren per konkreter<br />
Verweisung eingestellt. Der Kläger hatte eine durch<br />
die Deutsche Rentenversicherung finanzierte Wie-<br />
<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rungsmaßnahme im ursprünglichen<br />
Beruf begonnen, welche er jedoch in <strong>de</strong>r Folge ab-<br />
brach. Die Beklagte begrün<strong>de</strong>te die Leistungsein-<br />
stellung mit einem eingeholten ärztlichen Gutach-<br />
ten, welches belege, dass <strong>de</strong>r Kläger die Tätigkeit<br />
vollschichtig ausüben könne. Eine vermin<strong>de</strong>rte Aus-<br />
übung bzw. die Nichtausübung <strong>de</strong>r Tätigkeit stehe<br />
einer Leistungseinstellung nicht entgegen.<br />
Das LG hat <strong>de</strong>r Klage stattgegeben. Die Berufung <strong>de</strong>r<br />
Beklagten hatte vor <strong>de</strong>m OLG keinen Erfolg.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Die Beklagte konnte die<br />
Leistungen mangels wirksamer Verweisung nicht<br />
gegenüber <strong>de</strong>m Kläger einstellen. Die stufenweise<br />
Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rungsmaßnahme stellt keine Ver-<br />
weisungstätigkeit dar. Es han<strong>de</strong>lt sich hierbei nicht<br />
um eine normale Beschäftigung auf <strong>de</strong>m freien Ar-<br />
beitsmarkt, welche durch einen Arbeitgeber vergü-<br />
tet wird. Ein staatlich finanzierter Arbeitsversuch ist<br />
für eine Verweisungstätigkeit nicht ausreichend.<br />
Auch entspricht diese Tätigkeit nicht <strong>de</strong>r erworbe-<br />
nen Lebensstellung.<br />
Ob <strong>de</strong>r Kläger <strong>de</strong>n Ursprungsberuf vollschichtig<br />
ausüben könnte, kann dahinstehen. Die Beklagte<br />
hatte die Möglichkeit einer abstrakten Verweisung<br />
vertraglich ausgeschlossen.<br />
2. Versicherungsvertragsrecht<br />
• Zur Beweislastverteilung bei <strong>de</strong>r Auge- und Ohr-<br />
Thematik (mit Kommentar). OLG Hamburg, Ur-<br />
teil vom 30.09.2011 (9 U 184/10)<br />
Leitsatz: Für diese Entscheidung wur<strong>de</strong> kein amtli-<br />
cher Leitsatz veröffentlicht.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Die Klägerin, welche zuletzt als Altenpflegerin<br />
tätig war, macht aufgrund einer psychischen und<br />
orthopädischen Erkrankung Ansprüche aus einer mit<br />
<strong>de</strong>r Beklagten im Jahr 2004 abgeschlossenen Beruf-<br />
sunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend. Die Be-<br />
klagte hatte gegenüber <strong>de</strong>r Klägerin <strong>de</strong>n Rücktritt<br />
vom Versicherungsvertrag wegen vorvertraglicher<br />
Anzeigepflichtverletzung erklärt und die Leistungen<br />
verweigert. Die Klägerin habe bei Antragstellung<br />
sämtliche Gesundheitsfragen verneint, obwohl sie<br />
im abgefragten Zeitraum mehrfach wegen Belas-<br />
tungsreaktionen, Halswirbelsäulenbeschwer<strong>de</strong>n<br />
sowie einer Distorsion im Knie arbeitsunfähig er-<br />
krankt war.
7 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
Die Klägerin wen<strong>de</strong>t hiergegen ein, dass die Ge-<br />
sundheitsfragen im Antragsgespräch nicht im vollen<br />
Umfang durch <strong>de</strong>n Versicherungsagenten <strong>de</strong>r Be-<br />
klagten gestellt wur<strong>de</strong>n. Er habe die Antragsanga-<br />
ben direkt per Laptop aufgenommen und gegenüber<br />
<strong>de</strong>r Klägerin in einer frei formulierten allgemein<br />
gehaltenen Frage abgefragt, ob diese an schweren<br />
Erkrankungen, wie Herzproblemen o<strong>de</strong>r Bandschei-<br />
benvorfällen, in <strong>de</strong>n letzten 5 Jahren erkrankt gewe-<br />
sen sei.<br />
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung <strong>de</strong>r<br />
Klägerin hatte vor <strong>de</strong>m OLG Erfolg.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Das LG hatte <strong>de</strong>n Einwand<br />
<strong>de</strong>r Klägerin, im Rahmen <strong>de</strong>r Auge- und Ohr-<br />
Rechtsprechung die Beklagte über ihren vorvertrag-<br />
lichen Gesundheitszustand aufgeklärt zu haben,<br />
verworfen. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass<br />
sie gegenüber <strong>de</strong>m Agenten <strong>de</strong>r Beklagten zwar<br />
einen Schnupfen, nicht jedoch die psychischen und<br />
orthopädischen Beschwer<strong>de</strong>n erwähnte.<br />
Nach erneuter Befragung <strong>de</strong>r Klägerin und <strong>de</strong>s<br />
Agenten über <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>s Antragsgesprächs<br />
sowie <strong>de</strong>r Befragung eines medizinischen Sachver-<br />
ständigen ist das OLG <strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>s LG nicht ge-<br />
folgt.<br />
Nach gängiger Rechtsprechung muss <strong>de</strong>r Versiche-<br />
rer beweisen, dass <strong>de</strong>m Versicherungsnehmer sämt-<br />
liche Fragen nach gefahrerheblichen Umstän<strong>de</strong>n im<br />
Antragsgespräch gestellt wur<strong>de</strong>n. Dies ist <strong>de</strong>r Be-<br />
klagten vorliegend nicht gelungen. Der Agent <strong>de</strong>r<br />
Beklagten hat zwar in seiner Vernehmung u. a. aus-<br />
geführt sämtliche Gesundheitsfragen vorgelesen zu<br />
haben, das Gericht ist jedoch von dieser Schil<strong>de</strong>rung<br />
nicht überzeugt. Denn auf weitere Befragung hat<br />
dieser angegeben, eine selbständige Auswahl <strong>de</strong>r<br />
einzutragen<strong>de</strong>n Antworten vorzunehmen. So wür<strong>de</strong><br />
er eine Gesundheitsfrage trotz angegebener ge-<br />
sundheitlicher Beschwer<strong>de</strong>n verneinen, wenn dies-<br />
bezüglich keine ärztlichen Behandlungen stattge-<br />
fun<strong>de</strong>n hätten o<strong>de</strong>r diese ausgeheilt seien. Diese<br />
eigenständige Interpretation <strong>de</strong>r Antragsangaben<br />
lässt <strong>de</strong>n Schluss zu, dass <strong>de</strong>r Agent <strong>de</strong>r Beklagten<br />
gegenüber <strong>de</strong>r Klägerin lediglich allgemein gehalte-<br />
ne und frei formulierte Gesundheitsfragen gestellt<br />
hat. Insoweit hat die Beklagte <strong>de</strong>n Nachweis einer<br />
vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung vorlie-<br />
gend nicht sicher erbracht.<br />
Der durch das Gericht beauftragte medizinische<br />
Sachverständige hat das Vorliegen von Berufsunfä-<br />
higkeit aufgrund eines komplexen psychopathologi-<br />
schen Syndroms mit rezidivieren<strong>de</strong>n Episo<strong>de</strong>n kom-<br />
biniert mit einer posttraumatischen Belastungsstö-<br />
rung bestätigt. Den durch die Beklagte geäußerten<br />
Einwand fehlen<strong>de</strong>r objektiver Befun<strong>de</strong> ließ das Ge-<br />
richt nicht zu, da dies bei psychischen Erkrankungen<br />
in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Sache liege.<br />
Auswirkungen auf die Praxis: Eine weitere Ent-<br />
scheidung zur Auge- und Ohr-Thematik (s. a. BGH,<br />
Beschluss vom 09.03.2011 (IV ZR 130/09) in P§P No<br />
4/11).<br />
Auch in diesem Rechtsstreit kam es auf die Glaub-<br />
würdigkeit <strong>de</strong>s Vermittlers an. Denn trägt <strong>de</strong>r Versi-<br />
cherungsnehmer <strong>de</strong>n Vorwurf <strong>de</strong>r “Auge- und Ohr-<br />
Thematik“ substantiiert vor, ist <strong>de</strong>r Versicherer in <strong>de</strong>r<br />
Beweispflicht. Diese kann regelmäßig nur durch eine<br />
glaubhafte, entkräften<strong>de</strong> Aussage <strong>de</strong>s Vermittlers im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r Beweisaufnahme vor Gericht erfüllt<br />
wer<strong>de</strong>n. Dass die Würdigung <strong>de</strong>r Zeugenaussage vor<br />
Gericht dabei unterschiedlich ausfallen kann, zeigen<br />
vorliegend die unterschiedlichen Entscheidungen<br />
bei<strong>de</strong>r Instanzen nur allzu <strong>de</strong>utlich.
8 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
• Die vorvertragliche Anzeigepflicht von beste-<br />
hen<strong>de</strong>n (Vor)Erkrankungen bleibt trotz eines<br />
durchgeführten Gentests bestehen (mit Kom-<br />
mentar). OLG Saarbrücken, Beschluss vom<br />
20.10.2011 (5 W 220/11-98)<br />
Leitsatz: Krankheitszeichen, die für das Vorliegen<br />
von Chorea Huntington sprechen und ihre Bestäti-<br />
gung durch einen diagnostischen Gentest erfahren,<br />
sind auf die Gesundheitsfragen anzugeben.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Der Kläger macht Ansprüche aus einer mit <strong>de</strong>r<br />
Beklagten im Juni 2000 abgeschlossenen Berufsun-<br />
fähigkeits-Zusatzversicherung geltend. Er ist seit<br />
<strong>de</strong>m Jahr 2006 aufgrund von Morbus Huntington<br />
erwerbsunfähig. Im Rahmen <strong>de</strong>r Leistungsprüfung<br />
hatte die Beklagte <strong>de</strong>n Versicherungsvertrag wegen<br />
arglistiger Täuschung En<strong>de</strong> Dezember 2009 ange-<br />
fochten. Der Kläger hatte im Versicherungsantrag<br />
eine Man<strong>de</strong>lentzündung sowie eine Zahnarztbe-<br />
handlung angegeben. Aus <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Leistungsprü-<br />
fung angefor<strong>de</strong>rten Unterlagen ergab sich jedoch,<br />
dass <strong>de</strong>r Kläger im abgefragten Zeitraum bereits an<br />
neurologisch bedingten Defiziten, wie einer Wesen-<br />
sunruhe, Hyperkinesen sowie einem beginnen<strong>de</strong>n<br />
hirnorganischen Psychosyndrom gelitten hat. Eine<br />
auf Morbus Huntington gestellte Verdachtsdiagnose<br />
wur<strong>de</strong> daraufhin En<strong>de</strong> Januar 2000 durch einen<br />
Gentest bestätigt.<br />
Der Kläger behauptet, keine Falschangaben gemacht<br />
zu haben. Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Antragstellung sei er<br />
noch nicht erkrankt gewesen. Die im Gentest festge-<br />
stellte genetische Disposition hat er aufgrund <strong>de</strong>r<br />
Selbstverpflichtungserklärung <strong>de</strong>r Versicherungs-<br />
wirtschaft als eine nicht anzeigepflichtige Erkran-<br />
kung bewertet. Den Gentest habe er nicht aufgrund<br />
von Symptomen, son<strong>de</strong>rn aufgrund seiner positiven<br />
Familienanamnese durchführen lassen.<br />
Die Parteien haben <strong>de</strong>n Rechtsstreit durch einen<br />
gerichtlichen Vergleich been<strong>de</strong>t. Der Kläger hat<br />
unter Aufhebung <strong>de</strong>s Versicherungsvertrages eine<br />
Vergleichssumme von 15.000 EUR erhalten. Die<br />
Kosten für <strong>de</strong>n Rechtsstreit hat das LG <strong>de</strong>m Kläger<br />
auferlegt. Die hiergegen eingelegte sofortige Be-<br />
schwer<strong>de</strong> hat das OLG nach einer hypothetischen<br />
Prüfung <strong>de</strong>s Prozessausgangs abgewiesen.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Nach Bewertung <strong>de</strong>s OLG<br />
hat <strong>de</strong>r Kläger die Beklagte bei Antragstellung arg-<br />
listig getäuscht, so dass die erklärte Anfechtung<br />
rechtmäßig gewesen ist.<br />
Auf <strong>de</strong>n Einwand <strong>de</strong>s Klägers, dass die durch <strong>de</strong>n<br />
Gentest, welcher aus Sicht <strong>de</strong>s Gerichts ein<strong>de</strong>utig als<br />
diagnostisch einzustufen ist, ermittelte genetische<br />
Disposition keine Erkrankung darstellt und somit<br />
nicht anzeigepflichtig ist, kommt es nicht an. Denn<br />
selbst wenn man annimmt, dass zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r<br />
Antragstellung bereits die Selbstverpflichtungser-<br />
klärung <strong>de</strong>r Versicherungswirtschaft zum Umgang<br />
mit genetischen Untersuchungen o<strong>de</strong>r gar das in <strong>de</strong>r<br />
Folge verabschie<strong>de</strong>te Gendiagnostikgesetz in Kraft<br />
getreten wäre, hätte <strong>de</strong>r Kläger die neurologischen<br />
Beschwer<strong>de</strong>n und Symptome anzeigen müssen.<br />
Denn ein durchgeführter Gentest schließt die Anga-<br />
be von Vorerkrankungen nicht aus. Dies verstößt<br />
we<strong>de</strong>r gegen die Menschenwür<strong>de</strong>, noch wird <strong>de</strong>r<br />
pathologische Gene tragen<strong>de</strong> Versicherungsnehmer<br />
diskriminiert. Er wird wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Versiche-<br />
rungsnehmer behan<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r gefahrerhebliche Be-<br />
schwer<strong>de</strong>n, Untersuchungen und Behandlungen<br />
offen zu legen hat.<br />
Dass <strong>de</strong>r Kläger im Wissen seiner schlechten Ge-<br />
sundheitssituation <strong>de</strong>n Versicherungsvertrag abge-<br />
schlossen und somit die Beklagte arglistig ge-<br />
täuscht hat, ist aus Sicht <strong>de</strong>s Gerichts sehr wahr-<br />
scheinlich. Hierfür sprechen u. a. sowohl die An-<br />
tragsangaben (Man<strong>de</strong>lentzündung, Zahnarztbe-<br />
handlung) als auch das unmittelbar vor Abschluss<br />
<strong>de</strong>s Versicherungsvertrages erhalten<strong>de</strong> positive<br />
Gentestergebnis.<br />
Die Kosten <strong>de</strong>s Rechtsstreits in Höhe von 12.011,60<br />
EUR sind daher vom Kläger zu tragen.
9 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
Auswirkungen auf die Praxis: Die vorstehen<strong>de</strong> Ent-<br />
scheidung, welcher ein Versicherungsvertragsab-<br />
schluss aus <strong>de</strong>m Jahr 2000 zu Grun<strong>de</strong> lag, kann auf<br />
die heutige Gesetzeslage übertragen wer<strong>de</strong>n. Seit<br />
<strong>de</strong>m 01.02.2010 gilt das neue Gendiagnostikgesetz.<br />
Danach gilt gemäß § 18 Abs. 2 GenDG, dass<br />
(Vor)Erkrankungen, welche in <strong>de</strong>n im Versicherungs-<br />
antrag abgefragten Zeitraum fallen, trotz eines durch<br />
einen Gentest festgestellten Gen<strong>de</strong>fektes, anzuzeigen<br />
sind. Auf die Frage, ob ein prädiktiver o<strong>de</strong>r diagnosti-<br />
scher Gentest durchgeführt wur<strong>de</strong>, kommt es dabei<br />
nicht an.<br />
Ob ein prädiktiver o<strong>de</strong>r diagnostischer Gentest vor-<br />
liegt muss nur dann entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, wenn die<br />
Frage <strong>de</strong>r Verwertbarkeit <strong>de</strong>s Gentestergebnisses im<br />
Raum steht. Danach können gemäß § 18 Abs. 1<br />
GenDG diagnostische Gentestergebnisse grundsätz-<br />
lich in <strong>de</strong>r Risiko- und Leistungsprüfung verwertet<br />
wer<strong>de</strong>n. Prädiktive Gentestergebnisse hingegen erst<br />
ab einer Versicherungsleistung von mehr als 300.000<br />
EUR bzw. einer versicherten Jahresrente von mehr als<br />
30.000 EUR. Bei <strong>de</strong>r Verwertung <strong>de</strong>r Gentestergeb-<br />
nisse ist jedoch weiterhin das in § 4 GenDG geregelte<br />
allgemeine Benachteiligungsverbot zu beachten.<br />
Denn Niemand darf aufgrund seiner genetischen<br />
Disposition unangemessen benachteiligt wer<strong>de</strong>n.<br />
• Zur Anzeigepflicht von außerhalb <strong>de</strong>s Abfrage-<br />
zeitraums behan<strong>de</strong>lter Vorerkrankungen (ohne<br />
Kommentar). OLG Karlsruhe, Urteil vom<br />
20.12.2011 (12 U 132/11)<br />
Leitsatz: Für diese Entscheidung wur<strong>de</strong> bislang kein<br />
amtlicher Leitsatz veröffentlicht.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Der Kläger begehrt eine Invaliditätsrente aus<br />
einer mit <strong>de</strong>r Beklagten abgeschlossenen Unfall-<br />
Zusatzversicherung. Die Beklagte hatte <strong>de</strong>n Versi-<br />
cherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung ange-<br />
fochten. Der Kläger hatte bei Antragstellung (Mai<br />
2008) falsche Angaben zu seinem Gesundheitszu-<br />
stand gemacht. Die im Versicherungsantrag gestell-<br />
ten Fragen, „Bestehen o<strong>de</strong>r bestan<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n letzten<br />
5 Jahren bei Ihnen Krankheiten o<strong>de</strong>r Beschwer-<br />
<strong>de</strong>n?“, „Haben in <strong>de</strong>n letzten 10 Jahren Kranken-<br />
haus-, Rehabilitations-, Kuraufenthalte o<strong>de</strong>r ambu-<br />
lante Operationen stattgefun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r sind solche<br />
<strong>de</strong>rzeit empfohlen o<strong>de</strong>r beabsichtigt?“, hatte <strong>de</strong>r<br />
Kläger verneint. Im Rahmen <strong>de</strong>r Leistungsprüfung<br />
stellte die Beklagte jedoch fest, dass <strong>de</strong>m Kläger im<br />
Jahr 1992 bei<strong>de</strong> Augenlinsen aufgrund einer durch<br />
ein Marfan-Syndrom bedingten Linsentrübung ent-<br />
fernt wur<strong>de</strong>n, welche in <strong>de</strong>r Folge im März 1998<br />
durch Implantate erfolgreich ersetzt wer<strong>de</strong>n konn-<br />
ten.<br />
Der Kläger ist <strong>de</strong>r Ansicht, dass die Anfechtung un-<br />
wirksam ist. Das Marfan-Syndrom hat er als nicht<br />
gefahrerhebliche Augenerkrankung eingestuft. Zu-<br />
<strong>de</strong>m ist dieses lediglich vor <strong>de</strong>m im Antrag abgefrag-<br />
ten Zeitraum behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n.<br />
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung <strong>de</strong>s<br />
Klägers hatte vor <strong>de</strong>m OLG keinen Erfolg.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Das OLG ist <strong>de</strong>r Entschei-<br />
dung <strong>de</strong>s LG gefolgt. Die Beklagte hat <strong>de</strong>n Vertrag<br />
wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten.<br />
Nach durchgeführter Beweisaufnahme ist das Ge-<br />
richt davon überzeugt, dass sich <strong>de</strong>r Kläger <strong>de</strong>r<br />
Schwere <strong>de</strong>r Erkrankung durchaus bewusst war und<br />
diese bei Antragstellung arglistig verschwiegen hat.<br />
Auf die Frage, ob das Marfan-Syndrom in <strong>de</strong>n letzten<br />
fünf Jahren vor Antragstellung keine Beschwer<strong>de</strong>n<br />
verursacht und somit ärztliche Behandlungen aus-<br />
blieben, kommt es vorliegend nicht an. In <strong>de</strong>n Ge-<br />
sundheitsfragen wer<strong>de</strong>n ausdrücklich Krankheiten<br />
und Beschwer<strong>de</strong>n nebeneinan<strong>de</strong>r abgefragt. Erkran-<br />
kungen sind somit auch dann anzugeben, wenn im<br />
abgefragten Zeitraum trotz bestehen<strong>de</strong>r Grun<strong>de</strong>r-<br />
krankung keine Symptome auftreten.
10 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
3. Prozessrecht<br />
• Verwertbarkeit personenbezogener Daten bei<br />
fehlen<strong>de</strong>r (zeitlich begrenzter) Schweigepflicht-<br />
entbindung im To<strong>de</strong>sfall (mit Kommentar). BGH,<br />
Beschluss vom 21.09.2011 (IV ZR 203/09)<br />
Leitsatz: Für diese Entscheidung wur<strong>de</strong> kein amtli-<br />
cher Leitsatz veröffentlicht.<br />
Tatbestand und Prozessgeschichte in verkürzter<br />
Form: Die Klägerin macht als Bezugsberechtigte<br />
Ansprüche aus einer zwischen <strong>de</strong>r Beklagten und<br />
<strong>de</strong>m Verstorbenen im Februar 2002 abgeschlosse-<br />
nen Risikolebensversicherung geltend. Die Beklagte<br />
hatte im Wege <strong>de</strong>r Leistungsprüfung durch Anfor<strong>de</strong>-<br />
rung ärztlicher Berichte und Unterlagen festgestellt,<br />
dass <strong>de</strong>r Verstorbene bei Antragstellung u. a. einen<br />
stationär behan<strong>de</strong>lten Suizidversuch im Frühjahr<br />
2001 verschwiegen hatte. Das Anfor<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r ärztli-<br />
chen Unterlagen war zuvor durch die Klägerin per<br />
Einverständniserklärung genehmigt wor<strong>de</strong>n. Die bei<br />
Antragstellung unterzeichnete Schweigepflichtent-<br />
bindungserklärung <strong>de</strong>s Verstorbenen war zu diesem<br />
Zeitpunkt aufgrund von Zeitablauf (3 Jahre nach<br />
Vertragsannahme) bereits ungültig gewor<strong>de</strong>n. Die<br />
durch die Beklagte im Oktober 2006 erklärte Anfech-<br />
tung <strong>de</strong>s Vertrages wegen arglistiger Täuschung<br />
hält die Klägerin für rechtsunwirksam. Sie ist u. a.<br />
<strong>de</strong>r Auffassung, dass die durch <strong>de</strong>n Verstorbenen<br />
unterzeichnete allgemeine Schweigepflichtentbin-<br />
dung unwirksam ist. Die durch die Beklagte vorge-<br />
legten ärztlichen Unterlagen seien aufgrund <strong>de</strong>r<br />
zeitlich beschränkten Schweigepflichtentbindung<br />
gerichtlich nicht verwertbar. Der Verstorbene sei in<br />
seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.<br />
Das LG hat <strong>de</strong>r Klage stattgegeben. Die hiergegen<br />
eingelegte Berufung <strong>de</strong>r Beklagten war vor <strong>de</strong>m OLG<br />
erfolgreich. Die gegen das Berufungsurteil eingeleg-<br />
te Revision hatte vor <strong>de</strong>m BGH keinen Erfolg.<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong>: Nach Ansicht <strong>de</strong>s BGH hat<br />
das OLG die bei Antragstellung unterzeichnete<br />
Schweigepflichtentbindungserklärung <strong>de</strong>s Verstor-<br />
benen ohne Rechtsfehler ausgelegt. Die En<strong>de</strong> 2001<br />
in Lauf gesetzte Dreijahresfrist ist abgelaufen. Die<br />
Beklagte durfte nur to<strong>de</strong>sursächliche Erkrankungen<br />
im Wege <strong>de</strong>r Datenerhebung in <strong>de</strong>r Leistungsprü-<br />
fung abklären. Die über <strong>de</strong>n Suizidversuch erlangten<br />
Kenntnisse sind somit nicht mehr von <strong>de</strong>r Schwei-<br />
gepflichtentbindung ge<strong>de</strong>ckt. Der Verstorbene hat<br />
bei Antragstellung jedoch arglistig über seinen<br />
wahren Gesundheitszustand getäuscht. Vorliegend<br />
wur<strong>de</strong> somit von bei<strong>de</strong>n Seiten ein Rechtsverstoß<br />
begangen. Insoweit war eine Güterabwägung durch-<br />
zuführen, ob das Interesse <strong>de</strong>r Klägerin, die Beklag-<br />
te an <strong>de</strong>r Verwendung <strong>de</strong>s rechtswidrig erlangten<br />
Wissens zu hin<strong>de</strong>rn, hinter <strong>de</strong>m Interesse <strong>de</strong>r Be-<br />
klagten, sich von <strong>de</strong>m Vertrag per Anfechtung zu<br />
lösen, zurückbleibt. Diese Abwägung hat das OLG<br />
zutreffend zu Gunsten <strong>de</strong>r Beklagten entschie<strong>de</strong>n.<br />
Unzutreffend ist jedoch die zur weiteren Begrün-<br />
dung durch das OLG getroffene Annahme, dass im<br />
Fall eines arglistigen Verhaltens <strong>de</strong>s Versicherungs-<br />
nehmers das Schutzbedürfnis an <strong>de</strong>r Geheimhaltung<br />
<strong>de</strong>r personenbezogenen Daten regelmäßig entfällt.<br />
Denn dies wür<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>m Anreiz führen, dass <strong>de</strong>r<br />
Versicherer im Leistungsfall ohne Rücksicht auf das<br />
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung<br />
Gesundheitsdaten mit <strong>de</strong>m Ziel erhebt, ein arglisti-<br />
ges Verhalten beim Versicherungsnehmer nachzu-<br />
weisen.<br />
Auswirkungen auf die Praxis: Die Entscheidung <strong>de</strong>s<br />
OLG Saarbrücken, Urteil vom 09.09.2009 (5 U<br />
510/08-93), s. a. P§P No 4/09, wur<strong>de</strong> nun durch <strong>de</strong>n<br />
BGH bestätigt. Das durch das Berufungsgericht er-<br />
zielte Güterabwägungsergebnis wur<strong>de</strong> auch durch<br />
die Revision geteilt.<br />
Die Ansicht <strong>de</strong>s BGH geht jedoch dahingehend weiter,<br />
dass bei einem arglistigen Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>s Versiche-<br />
rungsnehmers nicht generell die Abwägung zu Guns-<br />
ten <strong>de</strong>s Versicherers ausfallen soll. Diese Aussage<br />
wi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>m Grundsatz, dass <strong>de</strong>r arglistig Täu-<br />
schen<strong>de</strong> grundsätzlich nicht zu schützen ist. Die<br />
Begründung, dass ansonsten <strong>de</strong>r Versicherer in <strong>de</strong>r
11 | Deutsche Rück – Paragraf § Praxis No 1|12<br />
Leistungsprüfung ohne Rücksicht auf „Verluste“ ein<br />
arglistiges Verhalten beim Versicherungsnehmer<br />
nachweisen wür<strong>de</strong>, überzeugt nicht. Denn zum einen<br />
wird die Überprüfung einer arglistigen Täuschung<br />
außerhalb <strong>de</strong>r Frist <strong>de</strong>s § 21 Abs. 3 VVG nicht ohne<br />
Anhaltspunkt auf „gut Glück“ durch <strong>de</strong>n Versicherer<br />
im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis zum Kun-<br />
<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n erheblichen Kosten sowie <strong>de</strong>n hohen Anfor-<br />
<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Nachweis eines arglistigen Han-<br />
<strong>de</strong>lns erfolgen. Zum an<strong>de</strong>ren haben die Versicherer<br />
bereits die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsge-<br />
richtsbeschlusses zur Schweigepflichtentbindung<br />
bzw. die Voraussetzungen <strong>de</strong>s § 213 VVG umgesetzt.<br />
Die vorliegen<strong>de</strong> Schweigepflichtentbindungserklä-<br />
rung bzw. die hieraus resultieren<strong>de</strong> Datenverwertung<br />
war je<strong>de</strong>nfalls bereits vor Bekanntgabe <strong>de</strong>r Entschei-<br />
dung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts aus <strong>de</strong>m Jahr<br />
2006 abgeschlossen.<br />
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