Der ganze Gottesdienst zum Ausdrucken
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Evangelischer <strong>Gottesdienst</strong> aus der Kapelle im Markus-Krankenhaus<br />
in Frankfurt am Main<br />
Am 02.02. 2003 im ZDF um 9.30 Uhr<br />
Mit Pfarrer Dr. Kurt Schmidt<br />
Wahrheit macht frei<br />
<strong>Der</strong> Ablauf: Die Texte <strong>zum</strong> Mitsprechen und –singen. Änderungen vorbehalten.<br />
Vorspiel "Befiehl Du Deine Wege" (EG 361, 1.7.8; GL 888)<br />
Begrüßung<br />
Das Markus-Krankenhaus ist ein Ort, der das gesamte Leben umspannt: Auf der einen Station werden Kinder<br />
geboren. Auf einer anderen erleben Menschen schwere Krisen. Patienten werden geheilt und andere bleiben für<br />
immer krank und für wieder andere geht das Leben hier zu Ende. Ich begrüße Sie <strong>zum</strong> <strong>Gottesdienst</strong> in der<br />
Kapelle des Markus-Krankenhauses.<br />
Dies alles gehört <strong>zum</strong> Leben - zur Wahrheit des Lebens. Mit der modernen Medizin sind viele ethische Fragen<br />
verbunden: in der Fortpflanzungsmedizin, in der vorgeburtliche Diagnostik, in der Organtransplantation und in<br />
der Sterbehilfe. Das macht nicht nur Hoffnung, das verunsichert und beängstigt auch. Und es fragt sich: Wie<br />
können wir alle diese Fortschritte so nutzen, dass sie <strong>zum</strong> Wohle von uns Menschen sind? Eine ethische<br />
Grundfrage, die Menschen in vielen Krankenhäusern dieser Welt beschäftigt.<br />
Deshalb gibt es hier in diesem Krankenhaus seit 5 Jahren ein Zentrum für ethische Fragen in der Medizin. Ein<br />
Gesprächsangebot für Ärzte und Pflegende, aber auch für Patienten und ihre Angehörigen. Eine Unterstützung<br />
bei ethischen Fragen im Krankenhausalltag. Alle Mitwirkenden des heutigen <strong>Gottesdienst</strong>es, die Ärzte, die<br />
Pflegenden, die Unterrichtsschwester, die Seelsorgerin, wir alle haben in unserem Alltag mit der Lösung<br />
ethischer Fragen zu tun. Es ist oft nicht leicht zu wissen, was das Gute und Richtige ist. Aus der Vielzahl der<br />
ethischen Konflikte, die im Krankenhaus immer wieder eine Rolle spielen, haben wir für den heutigen<br />
<strong>Gottesdienst</strong> eine brennende Frage herausgegriffen: die Frage nach der Wahrheit im Angesicht einer<br />
Erkrankung. Hier ist das Jesus-Wort: "Die Wahrheit wird Euch frei machen!" eine echte Provokation.<br />
Anfragen von Ärzten und Pflegekräften zur Provokation:<br />
"Die Wahrheit wird Euch frei machen!"<br />
- "O, komm Du Geist der Wahrheit- Diese Bitte löst Widersprüche aus: Sie nimmt<br />
einem in Anspruch, in unterschiedlicher Weise. Sie trifft den <strong>ganze</strong>n Menschen: Ist die<br />
Wahrheit positiv, dann macht sie Hoffnung. Bedeutet eine Chance. Macht frei, weil<br />
die Ungewissheit an Bedeutung verliert. Wahrheit kann aber auch Angst machen -<br />
zornig – bitter weil wir sie nicht verstehen können - nicht verdient haben.<br />
- Kann ich einem Patienten die Wahrheit über seine unheilbare Krankheit eigentlich<br />
<strong>zum</strong>uten? In der Textstelle geht es doch bei der Wahrheit um die "gute Nachricht".<br />
Wie steht es aber mit einer bitteren Wahrheit?<br />
- Die Wahrheit über seinen Krankheitszustand will doch keiner so gerne hören. Oder?<br />
- Sind die medizinischen Fakten für sich bereits die <strong>ganze</strong> Wahrheit über einen<br />
Menschen?<br />
- Wie kann ich Hoffnung geben in einer Situation, in der es kaum noch Hoffnung gibt?<br />
Das sind Fragen, mit denen wir uns als Therapeuten, Pflegende und Ärzte hier im<br />
Markus-Krankenhaus beschäftigen müssen...<br />
Je mit Gemeindevers: "O komm, Du Geist der Wahrheit..." EG 136, 1<br />
O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne<br />
Trug und Schein. Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an, dass jeglicher getreuer<br />
den Herrn bekennen kann.
Votum und Eingangsvers<br />
Wir feiern diesen <strong>Gottesdienst</strong> im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen<br />
Geistes. Amen. <strong>Der</strong> Herr ist mein Licht und mein Heil vor wem sollte ich mich fürchten? <strong>Der</strong><br />
Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen? (nach Psalm 27,1.2)<br />
Gemeindelied: „Ach bleib mit deiner Gnade"; EG 347, 1.3.6<br />
Gemeinde: Ach bleib mit Deiner Gnade bei uns, Herr Jesu Christ, dass uns hinfort nicht<br />
schade des bösen Feindes List.<br />
Solo: Ach bleib mit deinem Glanze bei uns, du wertes Licht; dein Wahrheit uns umschanze,<br />
damit wir irren nicht<br />
Gemeinde: Ach bleib mit deiner Treue bei uns, mein Herr und Gott; Beständigkeit verleihe,<br />
hilf uns aus aller Not.<br />
Text: Josua Stegmann 1627 Melodie: Christus, der ist mein Leben (Nr. 516)<br />
Psalmlesung mit Meditation: Psalm 91<br />
Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,<br />
der spricht zu dem HERRN. Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!<br />
Nein, GOTT, Ich habe keine Vertrauen mehr, denn diese Wahrheit, die ich heute nach einer<br />
endlosen Reihe von Untersuchungen von den Ärzten erfahren habe, macht mich gar nicht frei.<br />
Denn er errettet Dich vor dem Strick des Jägers und von der verderblichen Pest. Er wird dich<br />
mit seinen Fittichen decken und Zuflucht wirst Du haben unter seinen Flügeln. Seine<br />
Wahrheit ist Schirm und Schild.<br />
Im Gegenteil! Diese Wahrheit sperrt mich ein ins Gefängnis meiner Angst. Einer bodenlosen<br />
und abgrundtiefen Angst, die mich verschlingt. Sie ist mir in Leib und Glieder gefahren, sie<br />
lähmt mein Denken, mein Fühlen, mein Handeln, mein Sprechen.<br />
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, dass Du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der<br />
Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen.<br />
Reglos liege ich da und starre an die Zimmerdecke. In mir ist es kalt und leer. Wie in dieses<br />
schneeweiße Bett, so versinke ich in den kalten Winter der Angst.<br />
Denn der Herr ist Deine Zuversicht, der Höchste ist Deine Zuflucht. Es wird Dir kein Übel<br />
begegnen, und keine Plage wird sich deinem Haus nahen.<br />
Nein GOTT, diese Wahrheit macht mich nicht frei. Sie sperrt mich ein in den gläsernen<br />
Schneewittchensarg meiner Angst.<br />
Denn ER hat seinen Engeln befohlen, dass sie Dich behüten auf allen Deinen Wegen, dass Du<br />
Deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.<br />
Sie meinen es gut mit mir, die Stimmen um mich herum, aber nur wie durch einen Nebel<br />
nehme ich sie wahr. Eine Wand aus Glas zwischen ihnen und mir. Dort sie - ich hier.<br />
Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,<br />
der spricht zu dem HERRN. Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!<br />
Nein GOTT, diese Wahrheit macht mich nicht frei. Sie sperrt mich ein in den gläsernen<br />
Schneewittchensarg meiner Angst. Nein, Herr, kein JA. Nein Herr, kein Amen.<br />
Solo "Hör o Vater" von Anton Dvorak, aus Biblische Lieder 6, Simrock-Verlag
Sündenbekenntnis<br />
Herr, wir kommen vor Dich und bitten um Vergebung:<br />
wenn wir für gute Botschaften nicht danken und dich wegen schlechter Botschaften anklagen<br />
wenn wir durch Zeitnot und Überlastung den Menschen, den wir betreuen, nicht mehr gerecht<br />
werden<br />
wenn wir die Signale nicht wahrnehmen, die ein Patient aussendet, um Zuwendung zu<br />
erhalten<br />
wenn wir vor dem Leid ausweichen in eine medizinische Welt der Maßnahmen und Fakten<br />
wenn wir Fragen ausweichen, um nicht Rede und Antwort stehen zu müssen<br />
wenn wir delegieren, wo wir selbst handeln sollten<br />
wenn wir manchmal die Klagen und Probleme der Patienten nicht mehr hören<br />
wenn wir Patienten nur über ihre Krankheit definieren und ihre anderen Bedürfnisse aus den<br />
Augen verlieren<br />
wenn wir Hoffnung zerstören, anstatt zu erhalten oder falsche Hoffnung nähren, anstatt<br />
Patienten auf ihre letzte Wegestrecke vorzubereiten.<br />
Herr, wir bekennen vor Dir: dass unser Verhalten oft unwahrhaftig ist, dass wir lieber etwas<br />
darstellen, anstatt authentisch zu sein, dass wir uns verbiegen, um in der Hierarchie bestehen<br />
zu können, dass wir uns an Missstände gewöhnt haben, anstatt sie zu verändern. Amen.<br />
Gnadenzusage<br />
Darin erfahren wir die Gnade Gottes, dass wir uns einem anderen Menschen öffnen können<br />
und es neben ihm aushalten. Dass Aussagen Klarheit schaffen, auch wenn sie schwer zu<br />
ertragen sind. Denn die auf den Herrn hoffen bekommen neue Kraft, dass sie auffahren mit<br />
Flügeln wie Adler. (nach Jesaja 40,31)<br />
Gemeindelied: "Von Gott will ich nicht lassen" EG 365, 1.3<br />
1.Von Gott will ich nicht lassen, denn er lässt nicht von mir, führt mich durch alle Straßen, da<br />
ich sonst irrte sehr. Er reicht mir seine Hand, den Abend und den Morgen tut er mich wohl<br />
versorgen, wo ich auch sei im Land.<br />
3. Auf ihn will ich vertrauen, in meiner schweren Zeit; es kann mich nicht gereuen, er wendet<br />
alles Leid. Ihm sei es heimgestellt, mein Leib, mein Seel, mein Leben sei Gott dem Herrn<br />
ergeben, er schafft's, wie's ihm gefällt.<br />
Text: Ludwig Helmbold 1563, Nürnberg 1569 Melodie: Lyon 1557; geistlich Erfurt 1563<br />
Lesung: Matthäus 8, 23-26<br />
Und er trat in das Schiff, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein großes<br />
Ungestüm im Meer, so dass auch das Schiff mit Wellen bedeckt ward. Und er schlief. Und die<br />
Jünger traten zu ihm und weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf uns, wir verderben! Da sagt<br />
er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und stand auf und bedrohte<br />
den Wind und das Meer. Da ward es ganz stille. Die Menschen aber wunderten sich und<br />
sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?
Dazu Bild „Die Sturmstillung“ von Bruegel<br />
Genauso kann es ein Arzt oder eine Schwester hier im Krankenhaus erleben: Wie in einem<br />
Sturm, scheinbar hilflos, ausgesetzt und allein. Wo bist Du Gott in all diesen Gesprächen, die<br />
wir Pflegende und Ärzte mit Patienten über ihre Wahrheit führen? Schläfst Du? Ich kann Dich<br />
nicht spüren! - Du hast mich verlassen!<br />
Dabei brauchte ich es so sehr, dass Du jetzt Deine Hände warm und fest auf meine Schultern<br />
legst. Dass Du mir Kraft gibst, die Reaktionen der Patienten zu ertragen. Ich habe<br />
unermessliche Angst, vom Ansturm des Schmerzes der Patienten überspült zu werden!<br />
Angst davor, selber einmal vor einer solchen Wahrheit zu stehen und nicht mehr klar zu<br />
kommen. Angst, falsche Wahrheiten zu vermitteln, nur um Patienten nicht zu enttäuschen!<br />
Meine Ohnmacht beschämt mich! Aber oft bin ich auch wütend auch Dich, Gott! Warum<br />
schläfst Du? Manchmal möchte ich nur noch fliehen! Aber wohin? Ich drohe zu ertrinken ....<br />
Predigt über die „Wahrheit, die befreit?!“<br />
Ganz plötzlich war er ins Krankenhaus gekommen. Er wollte es erst nicht, denn er stand kurz<br />
vor seinem 60. Geburtstag. Da passte der Krankenhausaufenthalt gar nicht in das Programm.<br />
Jetzt fühlt er sich besser und rechnet fest damit, dass er noch vor dem Wochenende entlassen<br />
werden kann. Und da erhält der Stationsarzt den Untersuchungsbefund, dass er doch schwer<br />
erkrankt ist. <strong>Der</strong> Arzt wird es ihm sagen müssen, aber dann stockt er: Soll er es ihm heute<br />
sagen? Heute am Freitag, so kurz vor seinem 60. Geburtstag? <strong>Der</strong> Arzt überdenkt den Befund:<br />
Es kommt bei seiner Erkrankung nicht auf 2-3 Tage an. Man wird in Ruhe alles besprechen<br />
müssen, die möglichen Therapien, die Aussichten, aber alles dies könnte auch in der nächsten<br />
Woche geschehen. Ja, das wäre die Lösung.<br />
Aber wäre das nicht eine Lüge? Jedenfalls <strong>zum</strong> Wohle des Patienten. Schließlich lautet das<br />
erste Prinzip der Medizin ›Du sollst nicht schaden‹. Und wäre es nicht gerade besonders<br />
menschlich, den Patienten noch zwei bis drei Tage in seiner derzeitigen guten Stimmung zu<br />
belassen? Soll der Arzt dem Patienten die Wahrheit sagen? Das ist eine ethische Frage. <strong>Der</strong><br />
Arzt muss sie beantworten, denn er muss reagieren. Was ich hier am Zentrum für Ethik tue,<br />
ist solche Fragen zu besprechen: in der Ausbildung von jungen Ärztinnen und Ärzten in der<br />
Krankenpflegeschule Wenn ich hier um Rat gefragt werde, dann geht es mir immer darum zu<br />
sehen, was für den Patienten jetzt das angemessene in dieser Situation ist. Ich finde es<br />
grundsätzlich gut und wichtig, dem Patienten die Wahrheit über seine Erkrankung zu sagen<br />
und dann offen dafür zu sein, wie viel der Patient hören will und wie viel er besprechen will.<br />
Ich finde der Patient hat ein Recht darauf zu erfahren, wie es um ihn steht, denn es ist sein<br />
Leben und er muss es weiterführen. Es war für mich ein einschneidendes Erlebnis, wie eine<br />
Patientin, der die Wahrheit über ihren Zustand nicht gesagt wurde, sich betrogen fühlte. Sie<br />
fühlte sich betrogen um ihre Lebenszeit, sie hatte das Gefühl dass man ihr wertvolle Zeit<br />
vorenthalten hatte, als man sie im Glauben ließ, sie sei gar nicht so krank. Jeder Patient, da<br />
waren wir uns in der Vorbereitungsgruppe einig, sollte die Wahrheit erfahren, er sollte sie<br />
angeboten bekommen. Aber was ist denn in dem konkreten Einzelfall?<br />
Nun, ich bin als Ethiker nicht der, der festlegt, was getan werden sollte. Als Ethiker versuche<br />
ich etwas, was wir Christen alle als unsere Aufgabe verstehen können, andere darin zu<br />
unterstützen, ihre Entscheidung zu treffen und zu verantworten. Wir heben nicht den<br />
moralischen Zeigefinger, sondern setzen auf das Gespräch, auf den Austausch. Und so erlebe<br />
ich es oft, dass alle nach einem solchen Gespräch anders herausgehen, mit mehr Aspekten und<br />
größeren Perspektiven.
Oft sind die Situationen hier im Krankenhaus so, gerade auf der Intensivstation, dass der<br />
Patient selbst durch seine Erkrankung oder einen Unfall gar nicht in der Lage ist, zu sprechen,<br />
er ist bewusstlos, nicht ansprechbar - und dann stellt sich immer wieder die Frage: Was würde<br />
der Patient jetzt sagen, was würde er wollen? Möchte er das alles medizinisch-mögliche für<br />
ihn getan wird? Oder möchte er an einer bestimmten Stelle eine Grenze ziehen?<br />
Die Bayerische Landeskirche hatte schon vor Jahren eine Patientenverfügung in ihr<br />
Gesangbuch hinten mit abgedruckt, sicher auch um zu zeigen, dass es für Christen kein<br />
Hindernis ist, sich über diese Dinge Gedanken zu machen. Es ist ein wichtiges Argument,<br />
wenn gesagt wird, dass niemand sich in gesunden Tagen so richtig vorstellen kann, wie es ist,<br />
wenn man schwer krank ist, und dass sich die Meinung sehr schnell ändern kann, wenn man<br />
spürt, wie das eigene Leben bedroht ist. Aber Sie und ich wissen, dass unser Leben begrenzt<br />
ist, wir alle wissen, dass unser Leben hier auf der Erde einmal zu Ende gehen wird. Und jeder<br />
zweite von uns wird sein Leben in einem Krankenhaus beenden. Das ist seit Jahren die<br />
Situation, und es ist das Bemühen von Ärzten und Pflegenden, dies angemessen zu gestalten.<br />
Dazu gehört aber auch zu wissen, wie jeder Einzelne behandelt werden möchte.<br />
Da werden Sehnsüchte und Erwartungen geweckt.<br />
Für mich ist in diesem Zusammenhang eines der eindrücklichsten Darstellungen das Bild von<br />
Lukas Cranach. Viele von Ihnen werden es kennen. Es heißt: ›<strong>Der</strong> Jungbrunnen‹ und obwohl<br />
es schon fast 450 Jahre alt ist, so zeigt es doch für mich in beindruckender Weise unsere<br />
Hoffnungen und Sehnsüchte, die wir mit der modernen Medizin verbinden: von links<br />
kommen alte und kranke Menschen, die <strong>zum</strong> Teil nicht mehr alleine laufen können, an den<br />
Jungbrunnen heran, steigen in das Wasser hinab und durchwaten das heilkräftige Wasser.<br />
Wenn Sie genau hinschauen werden Sie feststellen, dass die Menschen, die durch das Wasser<br />
waten und schwimmen immer jünger und gesünder werden. Dann steigen Sie am anderen<br />
Ende heraus, kleiden sich neu ein und genießen das Leben.<br />
Wenn Sie das Bild Hausärzten und Internisten zeigen, dann graust es sie oft, weil sich die<br />
frisch Gesundeten an keine ärztliche Anordnung mehr halten, nicht mehr auf Blutzucker und<br />
Cholesterinwerte achten, sondern alles essen und trinken, was ihnen schmeckt. Und wenn es<br />
uns wieder schlecht geht, dann können wir uns wieder auf der linken Seite anstellen, durch<br />
das Wasser der Diagnostik und Therapie hindurchwaten. Ein schier endloser Kreislauf, so<br />
scheint es. Und doch, es ist nur die halbe Wahrheit. <strong>Der</strong> Medizinhistoriker Dietrich von<br />
Engelhardt hat mir hier bei einem Vortrag einmal die Augen geöffnet, indem er auf die<br />
Perspektive hingewiesen hat: Schauen Sie sich einmal das Bild an und Sie werden sehen, dass<br />
die Bewegung des Bildes von links nach rechts geht.<br />
Wir lesen das Bild, wie wir ein Buch lesen, von links nach rechts. Es fehlt aber die Tiefe, es<br />
fehlt das oben und unten. Viele andere Bilder aus dem Mittelalter folgen einer anderen<br />
Richtung: Sie richten den Blick von unten nach oben auf etwas Höheres. Dadurch erfährt sich<br />
der Mensch ganz anders eingebunden: Er steht in der Welt, eingerahmt vom Schöpfergott.<br />
Auf diese Weise durchkreuzen sich zwei Sichtweisen, zwei Hoffnungen (und es entsteht ein<br />
Kreuz). Für mich ergibt sich daraus ein ganz neues Bild und ich verstehe das Jesuswort in<br />
diesem Zusammenhang ganz neu. "Wenn ihr bleiben werdet in meiner Rede (..) dann werdet<br />
ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird Euch frei machen." (Joh 8, 31-32)<br />
Die Wahrheit erkennen heißt für mich als Christ, den gesamten Zusammenhang des<br />
Weltlaufes zu erkennen, das Horizontale und das Vertikale. Das unser Leben aufgehoben ist<br />
in Christus. Diese Wahrheit macht mich nicht frei von Sorgen, sie verhindert nicht, dass ich<br />
krank werde, dass ich mir ein Bein breche und Krebs bekomme.
Aber diese Wahrheit kann mich frei machen, über meine Sorgen zu sprechen, mein Leben<br />
realistisch zu betrachten, als ein Leben, dass irgendwann einmal zuende gehen wird. Wenn<br />
wir eine Veranstaltung über Patientenverfügungen machen, dann höre ich öfter den Einwand<br />
von gläubigen Christen: Warum soll ich mir Gedanken machen, wie ich aufgeklärt werden<br />
möchte, wie ich behandelt werden möchte, wenn ich selbst nicht mehr entscheiden kann? Da<br />
lege ich alles in Gottes Hand und Gott wird es schon recht machen.<br />
Nun handelt Gott durch uns Menschen, und Ärzte und Pflegende fragen sich dann, auch in<br />
diesem <strong>Gottesdienst</strong>, ob Sie recht handeln, so wie es Gottes Auftrag entspricht und dem<br />
Willen des einzelnen Patienten. Ich glaube, dass die Stationen hier im Krankenhaus, vom<br />
Neugeborenen bis <strong>zum</strong> Sterbenden, dass diese Stationen uns zeigen, was jeder von uns<br />
Menschen im Kern ist: auf die Hilfe und Zuwendung anderer angewiesen. Darin zeigt sich das<br />
wahre Wesen des Menschen.<br />
Ich glaube wir Christen haben eine besondere Sicherheit, mit diesen Fragen umzugehen. Ich<br />
glaube, dass die Wahrheit, von der Jesus spricht, uns deutlich vor Augen führt, wie begrenzt<br />
unsere Möglichkeiten sind, wie begrenzt unser Leben ist, aber stets aufgehoben. Daraus ist für<br />
Christen immer schon eine Freiheit erwachsen, mit einem nächsten Angehörigen oder engen<br />
Vertrauten über diese Dinge zu sprechen, mit dem Arzt zu sprechen und mit Gott zu sprechen,<br />
was die Sorgen und Ängste sind, was wir befürchten.<br />
Diese Freiheit gilt auch für die Schwestern und Ärzte, mit denen wir diesen <strong>Gottesdienst</strong> hier<br />
vorbereitet haben. Diese Freiheit kann uns neue Wege eröffnen, offen anzusprechen, welche<br />
Sorgen und Hoffnungen wir haben. Wenn wir als Patienten wollen, dass in unserem Sinne<br />
entschieden wird, ist es doch gut, sich von der christlichen Freiheit tragen zu lassen und -<br />
vielleicht auch neue Wege zu gehen und etwas anzusprechen, was mir auf der Seele liegt.<br />
AMEN<br />
Gemeindelied: "Wir strecken uns nach Dir...", EG 625<br />
1. Wir strecken uns nach dir, in dir wohnt die Lebendigkeit. Wir trauen uns zur dir, in dir<br />
wohnt die Barmherzigkeit. Du bist, wie du bist: Schön sind deine Namen. Halleluja. Amen.<br />
Halleluja. Amen.<br />
2. Wir öffnen uns vor dir, in dir wohnt die Wahrhaftigkeit. Wir freuen uns an dir, in dir wohnt<br />
die Gerechtigkeit. Du bist, wie du bist, Schön sind deine Namen. Halleluja. Amen. Halleluja.<br />
Amen.<br />
3. Wir halten uns bei dir, in dir wohnt die Beständigkeit. Wir sehnen uns nach dir, in dir<br />
wohnt die Vollkommenheit. Du bist, wie du bist: Schön sind deine Namen. Halleluja. Amen.<br />
Halleluja. Amen.<br />
Text: Friedrich Karl Barth 1985 Musik: Peter Janssens 1985<br />
Fürbitten<br />
In unserer Kapelle gibt es ein Fürbittenbuch. Hier können Patienten und Angehörige ihre<br />
persönlichen Bitten niederlegen und diese werden dann in den <strong>Gottesdienst</strong>en mit einbezogen.<br />
Auch heute wollen wir dies tun, wir wollen als Ärzte, Schwestern, Pfleger und<br />
Seelsorgerinnen einige Anliegen aufnehmen und gemeinsam mit unseren persönlichen Bitten<br />
vor Gott bringen:
Eine Patientin schreibt: Zum ersten Mal sehe ich, wie viel Elend in einer Klinik zusammen<br />
kommt. Zum ersten Mal spüre ich, wie reich ein gesunder ist.<br />
Herr, lass uns Ärzte nicht in der täglichen Routine erstarren. Damit wir am Schicksal jedes<br />
Einzelnen Anteil nehmen und unseren Beruf auf Dauer so engagiert ausüben, wie zu Beginn<br />
unserer Berufstätigkeit.<br />
Herr, erhöre uns!<br />
Die Tochter eines Patienten schreibt: Ich wünsche mir, dass Vati von einer würdevollen Weise<br />
von dieser Welt scheiden kann. Mach ihm das Leben auf Erden nicht zur Hölle! Erlöse ihn<br />
von seinem Leid. Bitte lieber Gott, hilf auch mir und meiner Familie.<br />
Herr wir bitten Dich, begleite alle Menschen, deren Weg zu Ende geht und hilf uns, die wir<br />
ihnen zur Seite stehen, dass wir erkennen, was sie benötigen und gib uns den nötigen Raum<br />
und die Zeit, sie auf diesen letzten Lebensabschnitt zu begleiten.<br />
Herr, erhöre uns!<br />
Ein Patient schreibt: Vater unser, sage, dass du mich gehört hast und dass du mir helfen wirst.<br />
Es ist einfach zuviel auf einmal für mich. Ich kann nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr.<br />
Was soll ich tun? Bitte hilf mir!<br />
Herr wir bitten Dich für alle, deren Lage aussichtslos scheint und sich kraftlos fühlen.<br />
Schenke ihnen die Stärke, die sie benötigen um diese Situation zu bewältigen.<br />
Herr, erhöre uns!<br />
Eine Patientin schreibt: Herr, ich verstehe dich nicht. Du verweigerst mir, was ich bräuchte<br />
und was mir gut täte. Ich bin nervös bis <strong>zum</strong> "geht nicht mehr". Die Fliege an der Wand stört<br />
und nervt mich. Ich fühle mich einsam, einsam und verlassen.<br />
Gott schenke ganz besonders denen Deine Liebe, die verzweifelt und einsam sind. Öffne<br />
unser aller Herzen füreinander, damit wir im Kontakt miteinander Wärme und Ermutigung<br />
geben können.<br />
Herr, erhöre uns<br />
Ein Patient schreibt: Herr, ich kam <strong>zum</strong> Jubeln über den guten Ausgang der Untersuchungen.<br />
Über die Gelassenheit mit der ich die Diagnose entgegen nehmen konnte. Ich empfinde tiefe<br />
Ruhe für mein Weiterleben und das Hinnehmen dessen, was mein Leben ist. Du bist<br />
eigentlicher ein " unmöglicher Gott" und doch erfahrbar.<br />
Herr, wir möchten die Menschen in unsere Fürbitten einschließen, die in ungewisser<br />
Erwartung einer schweren Diagnose sind. Lass sie gewahr werden, dass Du Ihre Sorgen<br />
kennst und ihnen nahe bist. Gib ihnen Mut <strong>zum</strong> Gebet und lass sie zur Ruhe kommen.<br />
Herr, erhöre uns!<br />
Gemeinde jeweils: „Herr, erhöre uns“<br />
Vater Unser<br />
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille<br />
geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns<br />
unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in<br />
Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und<br />
die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Segen und Sendung<br />
<strong>Der</strong> Herr segne euch und behüte euch,. <strong>Der</strong> Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch und<br />
sei euch gnädig. <strong>Der</strong> Herr erhebe sein Angesicht über euch und schenke euch Frieden. Amen.<br />
Gemeindelied: "Bewahre uns Gott", EG 171, 1-4<br />
1. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns auf unsern Wegen. Sei Quelle und Brot in<br />
Wüstennot, sei um uns mit deinem Segen, sei Quelle und Brot in Wüstennot, sei um uns mit<br />
deinem Segen.<br />
2. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns in allem Leiden. Voll Wärme und Licht im<br />
Angesicht, sei nahe in schweren Zeiten, voll Wärme und Licht im Angesicht, sei nahe in<br />
schweren Zeiten.<br />
3. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns vor allem Bösen. Sei Hilfe, sei Kraft, die<br />
Frieden schafft, sei in uns, uns zu erlösen, sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft, sei in uns,<br />
uns zu erlösen.<br />
4. Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott, sei mit uns durch deinen Segen. Dein Heiliger Geist,<br />
der Leben verheißt, sei um uns auf unsern Wegen, dein Heiliger Geist, der Leben verheißt, sei<br />
um uns auf unsern Wegen.<br />
Text: Eugen Eckert (1985) 1987 Melodie: Anders Ruuth (um 1968) 1984 "La paz del señor"<br />
Nachspiel