Brandenburgisches Ärzteblatt Ausgabe 03/2006
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Fortbildung<br />
Eigene Erfahrungen zur Hochdosischemotherapie mit autologer<br />
Stammzelltransplantation bei fortgeschrittenen testikulären Keimzelltumoren<br />
mit schlechter Prognose<br />
M. May 1 , N. Peter 2 , S. Gunia 1 , H. B. Steinhauer 2 , B. Hoschke 1<br />
1 – Urologische Klinik des Carl-Thiem-Klinikums<br />
Cottbus (Chefarzt: Dr. B. Hoschke)<br />
2 – Zweite Medizinische Klinik des Carl-Thiem-Klinikums<br />
Cottbus (Chefarzt: Prof. Dr. H. Steinhauer)<br />
Zusammenfassung<br />
Hintergrund:<br />
Hodentumoren stellen das Paradigma einer<br />
heilbaren Krebserkrankung dar. Ca. 25 % aller<br />
Patienten sind jedoch refraktär gegenüber<br />
der Standardtherapie oder benötigen eine<br />
Behandlung, die über diese hinausgeht. Die<br />
Hochdosischemotherapie (HD-CT) ist für Patienten<br />
mit prognostisch ungünstigen Keimzelltumoren<br />
(KZT) eine vielversprechende Behandlungsform.<br />
Das Ziel dieser Untersuchung<br />
bildet die Evaluierung der Effizienz und Sicherheit<br />
einer HD-CT mit autologer Stammzelltransplantation<br />
bei Patienten mit fortgeschrittenem<br />
KZT im eigenen Krankengut.<br />
Material und Methode:<br />
Insgesamt 13 KZT-Patienten in der Primärindikation<br />
(n =6, Gruppe 1) oder als Salvagetherapie<br />
(n =7, Gruppe 2) wurden zwischen<br />
September 1997 und Juni 2004 durch die<br />
HD-CT mit autologer Stammzelltransplantation<br />
behandelt und retrospektiv ausgewertet<br />
(mittleres Follow-up: 18,4 Monate). Die Patienten<br />
wurden in sechs verschiedene HD-CT-<br />
Studien eingeschlossen, die stets platinhaltigen<br />
Therapieschemen wurden gemäß den<br />
Studienprotokollen appliziert. Primäre Endpunkte<br />
bildeten das mittlere Gesamt- und Ereignisfreie<br />
Überleben; die Bewertung der<br />
Remission und Toxizität erfolgte nach den<br />
Kriterien der WHO. Zur Prognoseabschätzung<br />
in der Rezidivindikation (Gruppe 2)<br />
wurde der Beyerscore herangezogen.<br />
Ergebnisse:<br />
Die Gesamtremissionsrate betrug 67% (Gruppe<br />
1: 83%, Gruppe 2: 50%). Mittleres Gesamt-<br />
und Ereignisfreies Überleben waren<br />
21,2 Monate respektive 16 Monate. Patienten<br />
der Gruppe 1 wiesen eine tendenziell längere<br />
Gesamtüberlebenszeit als Patienten der Gruppe<br />
2 auf (31,3 vs. 11 Monate; p=0,136). Die<br />
Unterteilung der Patienten mit Salvagetherapie<br />
gemäß ihres Beyerscores in eine Niedrig-/<br />
Intermediärrisikogruppe (Score 0–2) und eine<br />
Hochrisikogruppe (Score >2) ergab ein mittleres<br />
Gesamtüberleben von 14,6 vs. 6,3 Monaten<br />
(p=0,561).<br />
<strong>Brandenburgisches</strong> <strong>Ärzteblatt</strong> 3/<strong>2006</strong> 16. Jahrgang<br />
Zwei Patienten verstarben an den Behandlungsfolgen<br />
(davon einer ohne Remissionsbewertung).<br />
Hämatologische Grad 3/4-Toxizität<br />
war obligat. Periphere Neurotoxizität<br />
Grad 3 musste bei fünf Patienten (38 %) dokumentiert<br />
werden und bildete eine der relevantesten<br />
nichthämatologischen Nebenwirkungen.<br />
Schlussfolgerung:<br />
Die HD-CT mit autologer Stammzelltransplantation<br />
stellt eine Erweiterung des Therapiespektrums<br />
für Patienten mit fortgeschrittenem<br />
KZT dar. Trotz der durch die<br />
internationale Literatur bestätigten Remissionsraten<br />
von 50 bis 90 % und den daraus<br />
folgenden positiven Tendenzen müssen die<br />
Ergebnisse von prospektiv-randomisierten<br />
Studien abgewartet werden, um klare Therapieempfehlungen<br />
ableiten zu können.<br />
Keimzelltumorpatienten mit initial schlechter<br />
Prognose oder in Rezidivsituation sollten in<br />
geeigneten Zentren vorgestellt werden, die<br />
über eine Möglichkeit der interdisziplinären<br />
Kooperation zwischen Urologen, Onkologen<br />
und Strahlentherapeuten sowie die Option<br />
der HD-CT verfügen.<br />
Schlüsselwörter<br />
Hodentumor – Keimzelltumor – Hochdosischemotherapie<br />
– Überleben – Nebenwirkungen.<br />
Einführung<br />
Der testikuläre Keimzelltumor (KZT) stellt das<br />
Paradebeispiel einer durch interdisziplinäre<br />
Kooperation heilbaren soliden Krebserkrankung<br />
dar. Diagnostik und Therapie des Hodentumors<br />
gelten als beispielhaft standardisiert,<br />
darüber hinaus besitzt die S2-Leitlinie<br />
der Interdisziplinären Hodentumorgruppe<br />
der Deutschen Krebsgesellschaft internationale<br />
Anerkennung und bildet die Grundlage<br />
eines europäischen Konsensus auf der Basis<br />
einer evidenzbasierten Medizin [1]. Betrachtet<br />
man testikuläre KZT aller Krankheitsstadien,<br />
so können mit chirurgischen<br />
Maßnahmen sowie unter Nutzung der Chemo-<br />
und Strahlentherapie ca. 85 % aller Patienten<br />
von ihrer Erkrankung geheilt werden.<br />
Bei den Hodentumoren mit fehlender<br />
bzw. minimaler lymphogener Metastasierung<br />
(Stadien 1 – 2b) werden sogar Heilungsraten<br />
von mehr als 95 % erzielt [2,3].<br />
Fortgeschrittene Hodentumoren mit ungünstiger<br />
Prognose werden durch die International<br />
Germ Cell Cancer Colloborative Group<br />
(IGCCCG) im Vorliegen eines primär mediastinalen<br />
Keimzelltumors, in der hepatischen<br />
und/oder zerebralen Metastasierung sowie in<br />
sehr stark erhöhten Tumormarkern (AFP ><br />
10.000ng/ml oder HCG> 50.000U/l oder<br />
LDH>10x Normwertgrenze) definiert und<br />
können selbst durch interdisziplinäre, multimodale<br />
Therapieansätze in nur noch 50% geheilt<br />
werden [4]. Patienten mit einem Therapieversagen<br />
unter einem standarddosierten konventionellen<br />
Cisplatin-haltigen Chemotherapieregime<br />
bzw. Patienten mit einem Tumorrezidiv<br />
nach vorangegangener kompletter Remission<br />
unter herkömmlicher Chemotherapie weisen<br />
eine zusätzliche Kompromittierung der Prognose<br />
mit einem Langzeitüberleben um 20%<br />
auf [5]. Der Stellenwert der Hochdosis-Chemotherapie<br />
(HD-CT) mit autologer peripherer<br />
Stammzelltransplantation ist bei diesen Patientengruppen<br />
Gegenstand klinischer Studien.<br />
Zwei „Matched-pair“-Analysen zum Vergleich<br />
der Hochdosis- mit der Standardtherapie<br />
deuten an, dass eine Verbesserung der Überlebensraten<br />
um 15 bis 20% bei „Poor-prognosis“-Patienten<br />
bzw. um 10% in der Rezidivsituation<br />
durch die HD-CT erreichbar erscheint<br />
[6,7]. Die Ergebnisse dieser Analysen<br />
müssen jedoch noch durch die laufenden, randomisierten<br />
Studien bestätigt werden, bevor<br />
eine klar definierte Indikationsstellung für die<br />
HD-CT erarbeitet werden kann. Aus diesem<br />
Grund besteht die Forderung, auch weiterhin<br />
alle in Frage kommenden Patienten in die entsprechenden<br />
Studien einzuschließen (Übersicht<br />
siehe www.hodenkrebs.de).<br />
Seit Gründung der Urologischen Klinik in<br />
Cottbus konnte sich dort ein Referenzzentrum<br />
für die Therapie des testikulären KZT<br />
entwickeln, wobei alle modernen Therapiestrategien<br />
stadiengerecht zur Anwendung<br />
kommen. Darüber hinaus besitzt die Klinik<br />
eine Tumordatenbank mit prospektiv-konsekutiver<br />
Erfassung aller relevanten Patientenparameter<br />
der Diagnostik, der Therapie<br />
und des Follow-ups. Insgesamt konnte dadurch<br />
der Krankheitsverlauf von 493 Hodentumorpatienten<br />
lückenlos abgebildet werden<br />
(Stand vom 22.12.2004). Seit Mitte der<br />
90er Jahre verfügt die Onkologische Klinik<br />
in Cottbus über die Möglichkeiten einer HD-<br />
CT mit autologer Stammzelltransplantation,<br />
die dann vorerst bei aggressiven Formen der