Komm, wir reißen Zäune ein! - Landesarbeitsgemeinschaft ...
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Aufruf: Junge Flüchtlinge an<br />
Ferienfreizeiten beteiligen!<br />
Das Recht auf Freizeit und Erholung<br />
muss auch für Flüchtlingskinder gelten!<br />
Spiel, Spaß, Sport, sich erholen, nette Leute kennenlernen, Freundschaften<br />
schließen und neue Länder entdecken - für viele Kinder<br />
und Jugendliche ist die Teilnahme an Ferienfreizeiten <strong>ein</strong> selbstverständliches<br />
Jahreshighlight. Flüchtlingskindern stehen diese Erfahrungen<br />
jedoch nicht ohne weiteres offen.<br />
Nach der UN-Kinderrechtskonvention sollte beim Umgang mit<br />
minderjährigen Flüchtlingen das Kindeswohl an erster Stelle stehen.<br />
Nach Artikel 31 sind die Vertragsstaaten aufgefordert, das<br />
Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen<br />
Leben sowie auf Spiel, Erholung und Freizeitbeschäftigung<br />
zu fördern.<br />
Für Flüchtlingskinder gelten jedoch nach wie vor besondere aufenthaltsrechtliche<br />
Bestimmungen, die ihnen die Teilnahme an<br />
Freizeiten erschweren.<br />
Seit Ende 2010 ist in Nordrh<strong>ein</strong>-Westfalen die sogenannte „Residenzpflicht“<br />
aufgehoben. Flüchtlingskinder können sich nun zumindest<br />
im gesamten Gebiet des Bundeslands Nordrh<strong>ein</strong>-Westfalen<br />
erlaubnisfrei aufhalten. Die Einschränkungen gelten jedoch<br />
weiterhin für Reisen in andere Bundesländer und ins Ausland.<br />
Die Aktionsgem<strong>ein</strong>schaft Junge Flüchtlinge in NRW bittet daher<br />
alle Ausländerbehörden in NRW, sich auch in diesem Jahr offensiv<br />
für junge Flüchtlinge <strong>ein</strong>zusetzen und ihre Teilnahme an Ferienfreizeiten<br />
in andere Bundesländer und ins Ausland zu ermöglichen.<br />
Ausländerbehörden können auf Antrag im Einzelfall <strong>ein</strong>e<br />
für die Dauer der Reise befristete Aufenthaltserlaubnis erteilen.<br />
Dadurch <strong>wir</strong>d zum Ende der Auslandsfahrt die Wieder<strong>ein</strong>reise<br />
nach Deutschland möglich.<br />
Viele Jugendverbände, Ver<strong>ein</strong>e und Initiativen setzen sich jedes<br />
Jahr besonders dafür <strong>ein</strong>, dass junge Flüchtlinge die Chance erhalten,<br />
auf Ferienzeiten mitzufahren. Dafür ist ihnen besonders zu<br />
danken.<br />
Die Aktionsgem<strong>ein</strong>schaft Junge Flüchtlinge dankt ebenfalls allen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ausländerbehörden,<br />
die ihre Spielräume nutzen, um Flüchtlingskindern die Teilnahme<br />
an Ferienfreizeiten zu ermöglichen und das Engagement der Träger<br />
unterstützen.<br />
- 24 - - 25 -<br />
Mehmed aus <strong>ein</strong>em<br />
nordafrikanischen Land<br />
Ein Junge auf der Straße <strong>ein</strong>es<br />
nordafrikanischen Landes. Es<br />
gibt k<strong>ein</strong>e liebevollen Eltern,<br />
die ihm unter die Arme greifen,<br />
wenn es mal schwieriger <strong>wir</strong>d;<br />
nur das Gesetz der Straße. Mit<br />
neun Jahren geht er mit Bekannten<br />
los: nach Spanien. Er<br />
geht klauen, weil er Hunger hat.<br />
Schläft draußen, wo es gerade<br />
„passt“. Er weiß nicht wie lange<br />
er sich dort aufhält. Irgendjemand<br />
sagt ihm, in Frankreich<br />
sei es besser. Also: auf nach<br />
Frankreich. Aber dort findet er<br />
auch k<strong>ein</strong>en Anker. Er zieht weiter,<br />
gehetzt von den Ausländergesetzen<br />
des jeweiligen Landes.<br />
Als Mehmed zu uns in die<br />
Einrichtung kommt, ist er siebzehn.<br />
Er kommt mit <strong>ein</strong>em<br />
halbleeren Rucksack, die Augen<br />
voller Angst. Das Leben auf der<br />
Straße hat Spuren hinterlassen.<br />
Mehmed ist nicht nur mehrfach<br />
traumatisiert, s<strong>ein</strong>e Lebensumstände<br />
haben ihn psychisch<br />
völlig aus der Bahn geworfen.<br />
Er hat psychotische Erlebnisse:<br />
Er führt Selbstgespräche, er ist<br />
sprunghaft und unberechenbar.<br />
Eigentlich sind <strong>wir</strong> nicht die<br />
richtige Einrichtung für ihn, aber<br />
wohin mit <strong>ein</strong>em jungen Menschen,<br />
der k<strong>ein</strong> Deutsch spricht,<br />
mit <strong>ein</strong>em jungen Menschen,<br />
der aufgrund <strong>ein</strong>geschränkter<br />
kognitiver Fähigkeiten als nicht<br />
therapierbar <strong>ein</strong>gestuft <strong>wir</strong>d?<br />
Also versuchen <strong>wir</strong> ihn vor allem<br />
mit Wertschätzung und Empathie<br />
aufzufangen.<br />
Eigentlich hat Mehmed k<strong>ein</strong><br />
Vertrauen mehr darin, dass ihm<br />
hier, bei uns, tatsächlich geholfen<br />
<strong>wir</strong>d. Dass man ihn nicht<br />
wieder wegscheucht, wie <strong>ein</strong>en<br />
Straßenhund. Nur ganz langsam<br />
<strong>wir</strong>d er ruhiger, er kommt an. Er<br />
führt weniger Selbstgespräche,<br />
manchmal ersch<strong>ein</strong>t <strong>ein</strong> Lächeln<br />
in s<strong>ein</strong>em Gesicht.<br />
Inzwischen ist Mehmed achtzehn<br />
und lebt in unserem<br />
Verselbständigungs-Appartement.<br />
Damit ist er auf dem Weg<br />
in die Selbständigkeit. Der Sog<br />
hin zu <strong>ein</strong>er gewissen Regellosigkeit<br />
und zur „Freiheit auf<br />
der Straße“ ist noch sehr stark,<br />
aber er hat mittlerweile gelernt,<br />
immer pünktlich „nach Hause“<br />
zu kommen.<br />
Ja, Mehmed hat hier <strong>ein</strong> zu<br />
Hause. Das erste Mal in s<strong>ein</strong>em<br />
Leben.<br />
Quelle: „Der Text stammt aus der praktischen Arbeit der Paritätischen Mitgliedsorganisation - <strong>ein</strong>e<br />
Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Er wurde am Tag der Offenen Tür dieser Dortmunder<br />
Einrichtung am 30. September 2011 verlesen.“