Der komplexeste Rohrvortrieb der Welt - Nodig-Bau.de

Grabenloses Bauen
Rohrvortrieb
Der komplexeste
Rohrvortrieb der Welt
Rohrvortriebe von mehr als 1000 m
Länge, selbst mit Kurvenfahrten, sind
längst nichts Außergewöhnliches mehr.
Der bis dato längste Rohrvortrieb der
Welt, das Projekt Europipe in Norddeutschland
mit einem Innendurchmesser
von 3000 mm, wurde 1993 erfolgreich
durchgeführt. Auf der 2535 m langen
Strecke wurde eine Vertikalkurve gefahren.
Verglichen damit wirkt der im März
2003 abgeschlossene Rohrvortrieb in Seo
Cho, Seoul, Südkorea mit „nur“ 800 m fast
schon unspektakulär. Jedoch ist er auf
Grund des außergewöhnlichen Streckenverlaufs
und der daraus resultierenden
Komplexität in der Welt des Rohrvortriebs
einzigartig. Bei diesem Vortrieb mit Stahlbetonrohren
mit 2600 mm Innen- und
3040 mm Außendurchmesser wurden
gleich fünf Kurven verschiedener Radien
aufgefahren,der kleinste Radius davon betrug
nur 200 m.
Der komplexe Streckenverlauf war
nicht das einzige Problem,das das örtliche
Bauunternehmen Tuksu Engineering &
Construction Ltd. zu meistern hatte. Weitere
Schwierigkeiten lagen in den geologischen
Bedingungen, da der gesamte Vortrieb
im Hartgestein aufgefahren werden
1 Plan des Vortriebs in Seo Cho
10 tis 10/2003
Bei dem im März 2003 abgeschlossenen Rohrvortrieb in Seo Cho, Seoul,
Südkorea, mit Stahlbetonrohren von 2600 mm Innen- und 3040 mm
Außendurchmesser wurden fünf Kurven verschiedener Radien aufgefahren,
der kleinste Radius davon betrug nur 200 m.
James D. Broomfield, Herrenknecht (Asia) Ltd.
musste, sowie im 45 m tiefen Zugangsschacht.
Da kein Platz für den Zielschacht
vorhanden war, endete der Vortrieb in einem
Gebäudekeller, sodass die Vortriebsmaschine,
eine an den Rohrinnendurchmesser
von 2600 mm angepasste, aufgedoppelte
Herrenknecht AVND 2400, nicht
auf konventionellem Weg in einem Zielschacht
geborgen werden konnte. Die
TBM musste in das fünfte Untergeschoss
gefahren werden. Dort wurde sie demontiert
und in bis zu 30 t schweren Teilen geborgen.
Die Koreanische Elektrizitätsgesellschaft
(Korean Electric Power Company,
KEPCO) wollte im Kellergeschoss des Gebäudes,
in dem der Vortrieb endete, eine
neue Umschaltstation einrichten. In der
dicht besiedelten Gegend von Seo Cho
wäre der Bau eines so tiefen Zielschachtes
nur mit der Vollsperrung einer Hauptverkehrsstraße
möglich gewesen. Und selbst
bei einem direkt an das Gebäude angrenzenden
Zielschacht hätte man immer
noch den Tunnel auf sichere Art mit dem
Keller des mehrgeschossigen Gebäudes
verbinden müssen.
Bei KEPCO gelangte man zu der Überzeugung,
dass der Kabeltunnel am besten
im Rohrvortrieb erstellt werde, da der Tunnel
somit in einem Arbeitsgang fertig gestellt
werden könne und hierdurch ein
qualitativ hochwertiges Bauwerk entstünde.
Mit dem Kauf einer Herrenknecht
AVND 2400 durch das örtliche Bauunternehmen
Dong Su 1997 nahm KEPCO allmählich
von dem Plan eines Tübbingausbaus
Abstand und interessierte sich in zunehmendem
Maße für eine Realisierung
des Kabeltunnels im Rohrvortrieb.Und die
Baufirma Tuksu, die das notwendige
Know-how für solch komplexe Rohrvortriebe
hat,bestätigt jetzt die Überzeugung
von KEPCO, dass der Rohrvortrieb die
beste Baumethode für den Bau ihrer Kabeltunnel
ist.
Um die Kurvenfahrt mit einem Radius
von 200 m beim Rohrvortrieb zu ermöglichen,
arbeitete die für die Tunnelplanung
zuständige Beraterfirma Chungsuk
Engineering Co.Ltd.streng nach den Empfehlungen
für Tunnelplanung der Gesellschaft
für Rohrvortrieb (Pipe Jacking Association,
PJA) in England. Man entschied
sich für eine Rohrlänge von 1,5 m, um die
Öffnung an den Rohrverbindungen in einem
zulässigen Bereich zu halten, sodass
die Vortriebskräfte auch durch die Kurven

2 Blick in den 45 m tiefen Startschacht
übertragen werden konnten. Selbst bei
einer Rohrlänge von 1,5 m und dementsprechend
doppelt so vielen Rohrverbindungen
im Tunnel war diese Methode
dem Tübbingausbau überlegen. Bei
6 Tübbingen pro Tunnelmeter hätte es ca.
2,5-mal so viele Verbindungsstellen gegeben.
Bauausführung
Jeweils zwei Rohre wurden an der
Oberfläche zusammengebaut, um bei der
Rohrinstallation im 45 m tiefen Schacht
Zeit zu sparen. Die zusammengebauten
Rohre passten mit einer Länge von 3,0 m
zu den Abmessungen des Pressenrahmens
mit einer Leistung von 3,5 m Hub
und 1400 t.
Die Bereitstellung der Vortriebsrohre
verursachte zeitweise Verzögerungen. Die
3 Die Herrenknecht AVND 2400 wird auf der
Baustelle angeliefert
7,0 t schweren Rohre wurden ca. 400 km
von Seoul entfernt produziert. Wegen des
Platzmangels im Bereich des Startschachts
mussten sie „just in time“ geliefert
werden. Ingenieure von KEPCO überprüften
die Rohre bei Anlieferung auf der
Baustelle und verweigerten aus Qualitätsgründen
gelegentlich die Annahme, was
den Vortrieb zusätzlich verzögerte.
Obwohl die Vortriebsarbeiten fast
rund um die Uhr im Gange waren, fiel ein
Teil der Vortriebszeit mitten in den strengen
koreanischen Winter. Da die Temperaturen
fast immer unter dem Gefrierpunkt
lagen,musste der Speise- und Förderkreislauf
genau überwacht werden, um ein Gefrieren
während der Stillstandszeiten zu
vermeiden.
Weitere Schwierigkeiten entstanden
während des Vortriebs im Spülkreislauf
auf Grund der äußerst hohen Abrasivität
4 Um Zeit zu sparen, wurden zwei Vortriebsrohre
an der Oberfläche vormontiert
tis 10/2003 11

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Rohrvortrieb
5 200 m Kurvenradius: In einigen Kurvenbereichen lag die Sichtweite unter 40 m
Abbildung u. Fotos: Herrenknecht
des hauptsächlich aus Granit bestehenden
abgebauten Gesteins. Der Verschleiß
der Stahlrohre des Spülkreislaufs war sehr
hoch, ebenso bei den Hochleistungsförderpumpen.
Dort mussten Verschleißplatten
und Laufräder häufig ersetzt werden.
Insgesamt wurden mehr als 6000 m 3
Hartgestein abgebaut. Das entspricht ca.
15 000 t. Ähnlich verhielt es sich bei den
Ringdisken (Ø 356 mm).Auf Grund der hohen
Abrasivität des Gesteins mussten die
Disken wesentlich öfter ausgewechselt
werden als vorgesehen.Hierfür verfügt die
Herrenknecht AVND 2400 über eine Personenschleuse
mit Zugang zur Ortsbrust
und ermöglicht somit den Wechsel der
Disken.Trotz des hohen Grundwasserspiegels
konnte bei allen Diskenwechseln auf
Druckluft verzichtet werden, was eine
Zeitersparnis bedeutete.
Zudem bremste das koreanische Beschäftigungssystem
Fortschritte auf der
Baustelle. Dort ist es üblich, Hilfsarbeiter
auf Tagesbasis einzustellen, sodass ständig
wechselndes Personal auf der Baustelle
arbeitete. Immer wieder mussten neue
Mitarbeiter eingewiesen werden. In einer
solchen Situation ist es unmöglich, optimale
Vortriebsleistungen durch eine
routinierte Arbeitsweise der Mannschaft
zu erreichen. Dementsprechend lag die
höchste innerhalb von 24 Stunden erreichte
Vortriebsleistung bei 14,5 m. Die
Bauarbeiten wurden während der gesam-
12 tis 10/2003
ten Vortriebszeit durch ständig anwesende
Mitarbeiter von Herrenknecht überwacht.
Die Baustellenreporte gingen per
E-Mail an die zuständige Niederlassung
nach Bangkok.
Herrenknecht lieferte für dieses Projekt
eine komplette Tunnelvortriebsanlage
inklusive Hauptpressenstation und
Dehnerstationen,Förderpumpen,Vermessungssystem
und automatischem Bentonitschmiersystem.
Das SLS-RV Vermessungssystem
wurde von der Herrenknecht-Tochter
VMT GmbH geliefert. So
war das gesamte Computersystem aufeinander
abgestimmt und es gab keine
Inkompatibilitätsprobleme.
Normalerweise sieht man von jedem
beliebigen Punkt in einem Rohrvortriebstunnel
entweder den Schacht oder
die TBM oder beides. In diesem Tunnel
hingegen konnte man über weite
Strecken weder die TBM noch den Schacht
sehen. In einigen Kurvenbereichen lag
die Sichtweite sogar unter 40 m. Ohne
das Vermessungssystem hätte dieser
komplexe Rohrvortrieb nicht verwirklicht
werden können. Das System arbeitete zuverlässig,
sodass es keine größeren Unterbrechungen
für Vermessungstätigkeiten
gab.
Insgesamt wurden 9 Dehnerstationen
eingebaut. Durch das automatische Bentonitschmiersystem
der Anlage wurden
die Rohrreibung und somit auch die
Pressendrücke so gering gehalten, dass
nur 4 Dehnerstationen verwendet werden
mussten.
Gegen den ausdrücklichen Rat von
Herrenknecht unterbrach Tuksu bei 660 m
Vortriebsstand die Arbeiten für 3 Tage
wegen des Chinesischen Neujahrsfestes.
Hier zeigten sich wieder einmal die Vorzüge
des automatischen Bentonitschmiersystems:
Es sorgte dafür, dass der Ringraum
rund um die Vortriebsrohre auch
während des langen Stillstandes optimal
geschmiert wurde. So konnte der Vortrieb
nach den Feiertagen wieder problemlos
aufgenommen werden.
Zusammenfassung
Derart komplexe Rohrvortriebe können
nur dann verwirklicht werden, wenn
folgende Faktoren stimmen: disziplinierte
Arbeit auf der Baustelle, niedrige Pressenkräfte,
detaillierte Planung, um Verzögerungen
zu vermeiden, und schließlich die
Auswahl der passenden Maschine zur Bauausführung.
Tuksu Engineering & Construction Ltd.
ist im Bereich Grund- und Fundamentbau
seit langem erfolgreich, im Rohrvortrieb
aber erst seit einiger Zeit tätig. Die erste
TBM wurde 1999 geliefert. Tuksu hat mithilfe
von Herrenknecht ein Projekt erfolgreich
durchgeführt,an das sich viele erfahrene
Baufirmen möglicherweise nicht
herangewagt hätten. Mit drei Herrenknecht-Mikrotunnelling-Anlagen
und den
in diesem Projekt gewonnenen Erfahrungen
ist Tuksu für künftige Pionierprojekte
bestens gerüstet.
Der Autor hat schon viele Rohrvortriebe
betreut, häufig mit 2 Kurven oder
einer „S“-Kurve (Beachtung von Eigentums-
und Nutzungsrechten, Umfahrung
von Brückenpfeilern usw). Nach seinem
Wissen ist dieser komplexe Vortrieb jedoch
der erste seiner Art.
Besuchen Sie tis
auch im Internet:
www.tis-online.info