Infobrief Sanierungsrecht I/2013 - Schultze & Braun GmbH
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Editorial<br />
Ein erfolgreiches Jahr <strong>2013</strong>!<br />
Inhalt<br />
1. Blick in die Wirtschaft 1<br />
2. Berliner Splitter 4<br />
3. Beraterpflichten in der Krise 7<br />
4. Aktuelle Entwicklungen<br />
im Internationalen Insolvenzrecht 10<br />
5. Newsticker 13<br />
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
Die Durchsicht der Materialien zu diesem <strong>Infobrief</strong> war eine schweißtreibende Arbeit: der Sammler war prall<br />
gefüllt mit Material – die Reformer überschlagen sich mit Entwürfen und wohin man schaut, nur Krise. Nur<br />
Krise? Die Insolvenzzahlen zumindest sprechen eine andere Sprache – erneut sind die Insolvenzzahlen von Unternehmen<br />
in Deutschland im Jahresvergleich um 2,2 % gesunken.<br />
Auch der Ausblick für <strong>2013</strong> ist verhalten positiv – die Gefahr des Auseinanderbrechens der Euro-Zone scheint<br />
fürs Erste gebannt und zumindest Deutschland soll trotz der Krise in der Eurozone ein, wenn auch geringes<br />
Wirtschaftswachstum aufweisen.<br />
In dieser Ausgabe des <strong>Infobrief</strong>es schauen wir im „Blick in die Wirtschaft“ in die Welt nach dem „September der<br />
Entscheidungen“ und gehen der Frage nach, ob die Krise ihrem Ende zugeht. Den ungebrochenen Reformeifer<br />
nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel beleuchten wir in den „Berliner Splittern“. Zum Abschluss unserer<br />
kleinen Serie zu Verantwortlichkeiten von an der Sanierung beteiligten Personen gehen wir heute auf die verschiedenen<br />
Berater ein. Sozusagen als internationalen Newsticker kommentieren wir diverse Entscheidungen<br />
nationaler und internationaler Gerichte zu grenzüberschreitenden Sanierungen und Insolvenzen. Abgerundet<br />
wird dieser <strong>Infobrief</strong> vom – diesmal rein nationalen – Newsticker.<br />
Wie immer wünschen wir dem geneigten Leser eine angenehme Lektüre.<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M., Rechtsanwalt, Registered European Lawyer (London)<br />
Dr. Peter de Bra, Rechtsanwalt<br />
Nationaler und internationaler<br />
Newsticker<br />
1. Blick in die Wirtschaft<br />
Der vollmundig angekündigte „September der Entscheidungen“,<br />
mit dessen potentiellen Folgen wir<br />
uns im letzten <strong>Infobrief</strong> auseinandersetzten, ist zwar<br />
längst nicht so martialisch abgelaufen, wie es die<br />
Ankündigungen Glauben machen wollten – aber es<br />
ist seitdem doch etwas passiert: Der „Grexit“ ist nicht<br />
nur ausgeblieben, sondern es hat sogar ein neues<br />
Hilfspaket für Griechenland gegeben (der Bundestag<br />
stimmte Ende November zu, haben Sie es bemerkt?),<br />
ohne dass ein großer Aufschrei durch das Volk ging.<br />
Statt „Entscheidungen“ also ein weiteres „Durchwursteln“?<br />
Angesichts der in diesem Jahr bevorstehenden<br />
Bundestagswahl wohl schon, Ruhe ist die erste Politikerpflicht.<br />
1
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
Und ist diese Politik „auf Sicht“ nicht erfolgreich? Es<br />
ist vordergründig Ruhe eingekehrt in der Eurozone,<br />
derzeit sind Schlagzeilen über einen „Grexit“ Mangelware<br />
und auch das gegen Ende des Jahres in den Fokus<br />
der Presse gerückte Frankreich wird zumindest derzeit<br />
nicht als ernste Bedrohung für die Stabilität der<br />
Währungszone gesehen. Unstreitig dürfte sein, dass<br />
Draghi’s Bazooka gewirkt hat – Spekulationen gegen<br />
den Euro scheinen etwas aus der Mode gekommen zu<br />
sein.<br />
Auch dürfte der kontinuierliche Druck auf den<br />
Finanzsektor zu einer Beruhigung im Finanzbereich<br />
führen: So hat die Rating-Agentur Fitch noch Mitte<br />
Dezember mehrere global agierende Großbanken<br />
(u.a. die Deutsche Bank) herabgestuft. Nicht nur die<br />
Aktivitäten der Deutschen Bank werden immer häufiger<br />
von Ermittlungsbehörden hinterfragt, gerade im<br />
Rahmen der Aufklärung des Libor-Skandals scheint<br />
keine global agierende Großbank unbeteiligt zu sein.<br />
Auch nehmen die Pläne für die Einführung der sog.<br />
„Tobin-Steuer“ in der Eurozone konkrete Formen<br />
an. Die Banken beugen sich diesem Druck und dem<br />
Druck sinkender Margen und schrumpfen. Die Commerzbank<br />
wird 6.000 Mitarbeiter entlassen, Royal<br />
Bank of Scotland löst gerade ihren M&A-Bereich auf.<br />
War es das also?<br />
Nein, beileibe nicht. Die Krise läuft weiter, in Zeitlupe<br />
und teilweise unbemerkt, aber die Probleme auf volkswirtschaftlicher<br />
Ebene sind nicht kleiner geworden,<br />
nur schwerer auszumachen und vielfältiger, wie die<br />
nachfolgend dargestellten Aspekte zeigen.<br />
Gesamtwirtschaftlicher Überblick<br />
Zwar dürften die endgültigen Zahlen erst in ein paar<br />
Monaten feststehen, aber es ist davon aus zugehen,<br />
dass die globale Wirtschaft im Jahr 2012 um ca. 3,3 %<br />
gewachsen ist. Diese positive Entwicklung wird aber<br />
gerade in dieser Höhe nur durch die Schwellenländer<br />
getragen. Denn während das BIP des Euroraums<br />
zum Ende des Jahres 2012 um 0,4 % geschrumpft sein<br />
dürfte, die USA auch lediglich ein Wachstum von<br />
2,2 % zu verzeichnen hatten, legten China wohl um<br />
die 7,5 % und Indien um mehr als 6 % zu, Russland<br />
immerhin noch um 3,4 %.<br />
Die Weltbank hat aber im Januar ihre Wachstumserwartungen<br />
für die globale Wirtschaft für das Jahr<br />
<strong>2013</strong> von zuletzt 3,0 % auf nunmehr magere 2,4 %<br />
heruntergeschraubt. Während der Euro-Zone eine<br />
Schrumpfung um ein weiteres Prozent vorhergesagt<br />
wird, werden die Schwellenländer danach in <strong>2013</strong> um<br />
5,5 % zulegen.<br />
Die Preise insbesondere von in der Fertigung benötigten<br />
Rohstoffen sind auch im letzten Jahr zum Teil wieder<br />
im zweistelligen Prozentbereich gestiegen. Silber,<br />
aber auch Öl, führen die Liste der Preistreiber des Jahres<br />
2012 an, auch wenn sie im letzten Quartal billiger<br />
zu haben waren. Es ist eine Binsenweisheit, dass ein<br />
übermäßiger Anstieg der Rohstoffpreise – unabhängig<br />
davon, ob er von Händlern oder durch den Rohstoffhunger<br />
der sich schnell entwickelnden Welt getrieben<br />
wird – das globale Wirtschaftswachstum früher oder<br />
später bremsen wird.<br />
USA<br />
Die wirtschaftliche Lage in den USA verbessert sich<br />
langsam aber stetig, auch wenn die US-Wirtschaft<br />
im letzten Quartal 2012 überaschend um 0,1 %<br />
geschrumpft ist. Denn im Jahresdurchschnitt wuchs<br />
die Wirtschaft immer noch um 1,5 %. Auch wurden<br />
nach neuesten Erhebungen im Dezember 2012<br />
192.000 neue Jobs geschaffen, so dass die Arbeitslosenquote<br />
weiter sinken dürfte.<br />
Problematisch ist jedoch die überbordende Verschuldung<br />
der USA, die auf Grund der Blockademöglichkeit<br />
der oppositionellen Republikaner im Repräsentantenhaus<br />
nach wie vor einer Lösung harrt. Zwar<br />
konnte das sog. „Fiscal Cliff “ zu Jahresanfang durch<br />
einen Kompromiss erst einmal umschifft werden, aber<br />
gelöst wurde das Problem immer noch nicht.<br />
Auf Grund der mit der Staatsverschuldung verbundenen<br />
Unwägbarkeiten ist jegliche Prognose über die<br />
wirtschaftliche Entwicklung in den USA mit Vorsicht<br />
zu genießen. Derzeit liegen die Schätzungen für <strong>2013</strong><br />
bei 1,8-2,2 % Wachstum.<br />
Europäische Union<br />
Nach noch nicht abschließend festgestellten Zahlen<br />
ist die Wirtschaft in der gesamten EU (EU 27) um<br />
0,3 %, in der Euro-Zone um 0,4 % geschrumpft.<br />
Schätzungen über die Auswirkungen der in verschiedenen<br />
Ländern der Eurozone eingeführten Konsolidierungsmaßnahmen<br />
zufolge, könnte das BIP in der<br />
Zeit von <strong>2013</strong> bis 2016 in der gesamten Eurozone um<br />
weitere 3,5 % zurückgehen, in Italien, Portugal und<br />
Spanien um jeweils 5-8 % und in Griechenland und<br />
Irland um 10 %.<br />
Während das zwischenzeitlich als weiterer Krisenkandidat<br />
identifizierte Frankreich sich wahrscheinlich<br />
mit einem Wachstum von 0,2 % über das Jahr 2012<br />
„rettet“, kommt das Vereinigte Königreich nicht aus<br />
den negativen Zahlen heraus: Zwar konnte die Wirtschaft<br />
im dritten Quartal ein kleines Wachstum von<br />
2
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
rund 0,2 % verbuchen, im dritten Quartal fiel das<br />
Land jedoch wieder in die Rezession („Triple-Dip“)<br />
und schrumpfte um 0,3 %. Insgesamt, so wird prognostiziert,<br />
soll die Wirtschaft Großbritanniens 2012<br />
um 0,2 % geschrumpft sein.<br />
Am Ende des Jahres und zu Beginn <strong>2013</strong> kam es auch<br />
zu einer als „Blutbad“ bezeichneten Insolvenzwelle<br />
im Retail-Bereich, als nämlich die Comet-Kette, die<br />
Sportbekleidungskette JJB Sports und zuletzt die<br />
Musik-Einzelhandelskette HMV in Insolvenz fielen.<br />
Die sich seit Jahren hinziehende Krise des britischen<br />
Einzelhandels hat damit weitere prominente Opfer<br />
gefordert. Die Krise des britischen Einzelhandels ist<br />
quasi der Kristallisationspunkt der allgemeinen Misere<br />
der britischen Wirtschaft.<br />
Deutschland<br />
Nachdem das BIP im letzten Quartal 2012 um 0,5 %<br />
geschrumpft ist, dürfte das Wachstum der deutschen<br />
Wirtschaft in 2012 nicht über 0,7 % hinausgekommen<br />
sein. Gemessen an einem Wachstum von 3 % in<br />
2011 ist der Wirtschaftsaufschwung damit deutlich<br />
gebremst worden. Für <strong>2013</strong> sieht es eher noch schlechter<br />
aus: Selbst die Bundesregierung hat – bislang ohne<br />
viel Aufsehen – die Wachstumsprognose für Deutschland<br />
von vormals 0,7 % auf nur noch 0,4 % nach unten<br />
korrigiert. Andere Ökonomen sehen ein Wachstum<br />
von bis zu einem Prozent als möglich an. Damit kann<br />
sich die deutsche Wirtschaft dem allgemeinen Negativtrend<br />
der EU nicht entziehen.<br />
Da auf Grund der starken Vorjahresgewinne die<br />
Steuer quellen noch einmal richtig sprudelten, konnten<br />
die öffentlichen Haushalte insgesamt in 2012 erstmals<br />
seit 2007 wieder einen Haushaltsüberschuss von 0,1 %<br />
erzielen. Die Quelle dürfte in <strong>2013</strong> aber versiegen.<br />
Die Arbeitslosenquote in Deutschland ist auf den<br />
tiefsten Stand seit 1991 gesunken und betrug 6,8 %.<br />
Allerdings hat sich die Abnahme der Arbeitslosigkeit<br />
zuletzt verlangsamt, so dass auf Grund der nur geringen<br />
Wachstumserwartungen nicht von einem signifikanten<br />
weiteren Absinken auszugehen ist.<br />
Auch die Insolvenzen folgten dem allgemeinen<br />
Abwärtstrend: In 2012 gingen 29.619 Unternehmen<br />
insolvent, wie die Wirtschaftsauskunftei Bürgel mitteilte.<br />
Das entspricht einem Rückgang um 2,2 % im<br />
Vergleich zum Vorjahr. Dies ist der zweitniedrigste<br />
Wert der vergangenen zehn Jahre. Auf Grund der<br />
geringen Wachstumserwartung für die deutsche Wirtschaft,<br />
aber auch auf Grund der verhaltenen weltweiten<br />
Wachstumsaussichten wird allgemein von leicht steigenden<br />
Insolvenzzahlen ausgegangen. Trotz sinkender<br />
Insolvenzen ist der Gesamtschaden der Insolvenzen in<br />
2012 allerdings von 31 Mrd. Euro im Vorjahr auf über<br />
38 Mrd. Euro in 2012 gestiegen. Dieser Umstand wird<br />
vor allen Dingen zahlreichen Großinsolvenzen, wie<br />
Schlecker oder Neckermann zugeschrieben.<br />
Blick in einzelne Bereiche / Branchen<br />
Bei der Einzelbetrachtung konzentrieren wir uns<br />
diesmal auf zwei Bereiche des öffentlich-rechtlichen<br />
Sektors, um die durch die positiven Zahlen des letzten<br />
Jahres ein wenig verdeckten strukturellen Probleme<br />
dieses Sektors in den Vordergrund zu rücken.<br />
Diese Faktoren werden deutliche Auswirkungen auf<br />
die finanziellen Spielräume der Regierungen in den<br />
nächsten Jahren haben.<br />
Länder und Kommunen<br />
Seit 2012 wird der Länderfinanzausgleich nur<br />
noch von drei Ländern, nämlich Bayern, Baden-<br />
Württemberg und Hessen getragen – alle übrigen Länder<br />
sind Nehmerländer. Nach einer aktuellen Studie<br />
von PwC wird sich die Lage der Nehmerländer aber<br />
eher noch verschlechtern, so dass sie nicht in der Lage<br />
sein werden, die Schuldenbremse einzuhalten und im<br />
Jahr 2020 ohne weitere Kredite auszukommen.<br />
Aber auch die Kommunen sind in ihrer Gesamtheit<br />
finanziell schlecht aufgestellt. Auch wenn die Gewerbesteuereinnahmen<br />
als Haupteinnahmequellen der<br />
Gemeinden in 2012 auf ein Rekordhoch gestiegen<br />
sind und man sogar davon ausgeht, dass die Kommunen<br />
im Schnitt ab 2014 einen ausgeglichenen Haushalt<br />
vorlegen können, so ist nicht zu übersehen, dass<br />
der Geldsegen ungleich verteilt ist. So wird eine Stadt<br />
wie Bochum, der demnächst der Opel-Standort abhanden<br />
kommen wird, kaum zu den Gewinnern bei der<br />
Gewerbesteuer zählen. Diese Erkenntnis wird auch<br />
durch aktuelle Studien großer Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
bestätigt, wonach jede dritte Kommune<br />
nicht in der Lage sein wird, die Schulden aus eigener<br />
Kraft zurückzuzahlen.<br />
Krankenhäuser<br />
Die zuvor beschriebene Finanzkrise der Kommunen<br />
wird auch direkte Auswirkungen auf die Finanzierung<br />
von Krankenhäusern haben, von denen sich noch fast<br />
die Hälfte in kommunaler Hand befinden. Seit der<br />
Einführung der gesetzlichen Regelung über die sog.<br />
„Fallpauschalenfinanzierung“ im Jahr 2009 verschärft<br />
sich für Krankenhäuser die finanzielle Situation<br />
immer weiter. Dementsprechend sieht auch der<br />
Krankenhaus-Rating-Report für 2012 eine Steigerung<br />
der im „roten Bereich“ befindlichen Krankenhäuser<br />
um 50 % gegenüber 2010.<br />
3
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
Auf Grund von zwei aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen<br />
dürfte der Druck auf die Krankenhäuser<br />
in den nächsten Jahren weiter zunehmen: Zum einen<br />
greifen (oder werden greifen) die Schuldenbremse des<br />
Bundes und der Länder. Dies wird indirekt (oder direkt<br />
über kommunale Schuldenbremsen) auch auf kommunale<br />
Haushalte Auswirkungen haben. Zahlreiche<br />
öffentliche Träger werden aufgrund ihrer angespannten<br />
Finanzlage und der Schuldenbremse die Defizite<br />
ihrer Krankenhäuser künftig nicht mehr ausgleichen<br />
können. Nach dem Krankenhaus-Rating-Report 2012<br />
ist fast jedes fünfte kommunale Krankenhaus in seiner<br />
jetzigen Form nicht überlebensfähig – besonders kleinere<br />
Einrichtungen sehen schweren Zeiten entgegen.<br />
Kostensteigerungen im Bereich Personal, Strom und<br />
Haftpflichtversicherungen werden zudem den Verlust<br />
von kommunalen Krankenhäusern bis 2014 auf bis zu<br />
440 Mio. Euro steigen.<br />
Zum anderen versichern in Deutschland nur noch<br />
zwei Haftpflichtversicherer überhaupt Krankenhäuser.<br />
Nach dem Rückzug der Zurich Insurance Group<br />
müssen deren ehemalige Versicherungsnehmer mit<br />
einer Kostensteigerung von bis zu 100 % rechnen.<br />
Diese Kostensteigerung dürfte weitere finanzielle Probleme<br />
für die Krankenhäuser mit sich bringen.<br />
Dementsprechend häufen sich auch die Meldungen<br />
über Krankenhäuser in finanziellen Schwierigkeiten<br />
– sogar bei privaten Betreibern. Die Kommunen als<br />
Betreiber werden aber dauerhaft nicht in der Lage<br />
sein, defizitäre Krankenhäuser zu finanzieren, so dass<br />
der Krankenhausbereich in den nächsten Jahren verstärkten<br />
Konsolidierungsmaßnahmen ausgesetzt sein<br />
dürfte.<br />
Resümee<br />
Die im gesamtwirtschaftlichen Überblick und im<br />
Blick in den öffentlichen Bereich dargestellten Statistiken<br />
und Prognosen ergeben zusammenfassend ein<br />
Bild, dass von einem noch immer recht dynamischen<br />
globalen Wachstum ausgeht, an dem die Länder der<br />
Europäischen Union jedoch nicht partizipieren werden.<br />
Vielmehr wird die europäische Wirtschaft insgesamt<br />
und damit auch ihr Anteil an der Weltwirtschaft<br />
weiter sinken. Auch die deutsche Wirtschaft wächst<br />
bereits im Vergleich zur US-Wirtschaft, erst recht aber<br />
im Vergleich zur Weltwirtschaft, nur sehr verhalten.<br />
Auch das Schrumpfen des Finanzsektors (zumindest<br />
was die Mitarbeiterzahl, wohl aber auch, was Umsatz<br />
und Ertrag angeht) wird weitere negative Auswirkungen<br />
auf das Wirtschaftswachstum haben. Die hier vollzogene<br />
Schrumpfung müsste anderweitig kompensiert<br />
werden – die Frage ist nur wodurch. Die Zukunftsbranche<br />
der alternativen Energien ist durch Subventionen<br />
so verhätschelt worden, dass sie erst nicht selber gehen<br />
konnte und jetzt von asiatischen Konkurrenten aus<br />
der Manege gerollt wurde. Fällt also wohl als Wachstums-<br />
und Jobmotor aus. IT? Ja, aber – außerhalb von<br />
Spezialgebieten – ist Europa und Deutschland von<br />
den Schwellenländern und den USA längst abgehängt<br />
worden. Außer SAP gibt es da wenig Leuchttürme<br />
oder würden Sie glauben, dass Zalando mit Amazon<br />
mithalten kann? Die deutsche Autoindustrie, das Aushängeschild!?<br />
Wird seine Werke in die Regionen der<br />
Welt verlegen, in denen auch Autos gekauft werden,<br />
also nach China und nach (Süd-)Amerika.<br />
Die Aufgabe der Politik wird es also sein, einerseits<br />
die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren und<br />
andererseits nachhaltiges Wachstum zu kreieren –<br />
ohne Subventionsspritze und ohne einen Einbruch<br />
bei der Basisversorgung der Bevölkerung. Dazu reichen<br />
weder Reformen im Insolvenzrecht noch das<br />
politische Mantra der „Wettbewerbsfähigkeit“. Apple<br />
hat neue, innovative Produkte entwickelt, die neue<br />
Märkte begründeten. So etwas sollte der Maßstab für<br />
die wirtschaftspolitische Agenda sein.<br />
4<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M.<br />
Rechtsanwalt<br />
Registered European Lawyer (London)<br />
Berlin<br />
VBeissenhirtz@schubra.de<br />
Stud. jur. Marlies Mundstock, Berlin<br />
MMundstock@schubra.de<br />
2. Berliner Splitter<br />
Die Legislaturperiode des Deutschen Bundestages<br />
nähert sich ihrem Ende und man hat den Eindruck, dass<br />
der Gesetzgeber gerade im Bereich des Insolvenz rechts<br />
zum Endspurt ansetzt: Die bisher befristete Neuregelung<br />
des Überschuldungstatbestandes nach § 19<br />
InsO wurde für die Fachwelt eher überraschend entfristet<br />
und die Bundesregierung begnügt sich nicht<br />
mit der Vorstellung des Entwurfs zur Reform des
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
Verbraucherinsolvenzrechts, sondern legt durch das<br />
BMJ – vor der EU-Kommission – den Entwurf eines<br />
Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen<br />
vor. Scheinbar lässt sich die EU von<br />
diesem emsigen Treiben anstecken: Die Kommission<br />
legte Mitte Dezember einen Entwurf zur Reform der<br />
sog. Europäischen Insolvenzverordnung vor, die nun<br />
auch Regelungen zu Konzerninsolvenzen enthalten<br />
soll.<br />
Nachfolgend soll der Versuch unternommen werden,<br />
diese und andere Reformvorhaben kurz zu skizzieren<br />
und aufzuzeigen, wo Reformen (wieder) Not tun<br />
könnten.<br />
Die Überraschung – § 19 InsO „entfristet“<br />
Noch im Begleitschreiben zum letzten <strong>Infobrief</strong> Mitte<br />
September hatten wir den „Flurfunk“ aus Berliner<br />
Regierungszirkeln wiedergegeben, wonach die bisher<br />
für die Überschuldungsprüfung geltende Befristung<br />
bis zum 31. Dezember <strong>2013</strong> um weitere fünf Jahre verlängert<br />
werden sollte. Der Gesetzgeber hat sich dann<br />
aber doch ein Herz gefasst und – wahrscheinlich unter<br />
Berücksichtigung der Ergebnisse der Studie der Uni<br />
Mannheim, wonach sich insgesamt 57 % der Befragten<br />
für eine (zeitweise oder dauerhafte) Beibehaltung<br />
des zweistufigen Überschuldungsbegriffs aussprachen<br />
(vertiefend hierzu <strong>Infobrief</strong> III/2012) – sich für die<br />
„Entfristung“ und damit dauerhafte Integration der<br />
jetzigen Überschuldungsprüfung entschieden. Auf<br />
Grund der Zeitknappheit hat er dabei rechtstechnisch<br />
wieder ein eher untypisches Gesetz gewählt – nämlich<br />
das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung<br />
im Zivilprozess – und die Entfristung „aufgesattelt“.<br />
Der Bundestag hat das Gesetz am 5. Dezember<br />
2012 beschlossen, es ist am Tag nach seiner Verkündung<br />
am 11. Dezember 2012, also am 12. Dezember<br />
2012, in Kraft getreten.<br />
Die Überschuldung als Insolvenzgrund dürfte nun als<br />
Antragsgrund weiter in den Hintergrund treten. Die<br />
Prüfung der Insolvenzgründe wird sich vielmehr im<br />
Bereich der Zahlungsfähigkeitsprognose abspielen.<br />
Reformen – die Zweite / Klappe 3<br />
Die Verbraucherinsolvenz<br />
Der Bundestag hat sich in erster Lesung am 29. November<br />
2012 mit dem von der Bundesregierung am<br />
31. Oktober 2012 verabschiedeten Gesetzentwurf zur<br />
Reform der Verbraucherinsolvenz beschäftigt. Nachdem<br />
bereits der Bundesrat in seiner Stellungnahme<br />
vom 21. September 2012 insbesondere die ersatzlose<br />
Streichung des gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens<br />
bei gleichzeitiger Öffnung der Regelungen<br />
des Insolvenzplanverfahrens auch für Verbraucher<br />
kritisiert hatte, wurden in der Bundestagsdebatte<br />
auch kritische Stimmen zur Mindestbefriedigungsquote<br />
von 25 % laut. In dieser Regelung sehen einige<br />
Abgeordnete eine Privilegierung von Schuldnern mit<br />
vermögenden Verwandten. Dies auch gerade unter<br />
Bezugnahme auf die Begründung des Regierungsentwurfes,<br />
wonach der Schuldner zur Erreichung der<br />
Mindestquote für eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode<br />
ja auf Darlehen von Familienmitgliedern<br />
zurückgreifen könne.<br />
Zwar zeigen sich alle Fraktionen verhandlungsbereit,<br />
allerdings dürfte es angesichts der bestehenden Opposition<br />
gegen den jetzt bestehenden Regierungsentwurf<br />
schwer werden, das Reformvorhaben noch in dieser<br />
Legislaturperiode umzusetzen. Dieser Reformentwurf<br />
droht somit dasselbe Schicksal zu teilen, wie der Vorentwurf<br />
aus dem Jahre 2007, der auf Grund der Bundestagswahl<br />
2009 dem Diskontinuitätsgrundsatz zum<br />
Opfer fiel.<br />
In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt<br />
bleiben, dass Irland sich entschlossen hat, die Restschuldbefreiung<br />
nunmehr bereits nach drei Jahren<br />
zu gewähren – und nicht, wie bisher, erst nach zwölf.<br />
Allerdings sieht der Gesetzentwurf die Möglichkeit<br />
vor, das schuldnerische Einkommen bis zu fünf Jahre<br />
nach der Restschuldbefreiung für die Gläubiger zu vereinnahmen.<br />
Auch in Irland konnte sich der Gesetzgeber<br />
also bislang nicht zu einer wirklichen Verkürzung<br />
der Restschuldbefreiungsphase durchringen. Aber<br />
es zeichnet sich eine Harmonisierung der Fristen zur<br />
Restschuldbefreiung ab.<br />
Reformen – die Dritte / Klappe 1<br />
Konzerninsolvenzrecht<br />
Noch vor Abschluss der zweiten Stufe der Reformen<br />
nimmt das BMJ die Arbeiten an der dritten Stufe –<br />
nämlich dem Konzerninsolvenzrecht auf. Ob diese<br />
Schnelligkeit dem nahen Ende der Legislaturperiode,<br />
der Vorbereitung des Wahlkampfes oder – wie beim<br />
Restrukturierungsgesetz für Banken – angesichts der<br />
vorhersehbaren Bestrebungen auf EU-Ebene, einen<br />
„Pflock“ deutschen Rechts zu setzen geschuldet war,<br />
ist nicht eindeutig zu erkennen. Trotz dieser möglicherweise<br />
vorhandenen taktischen Erwägungen ist<br />
dem BMJ dafür zu danken, dass es die jahrelange Diskussion<br />
über Konzerninsolvenzen aufgenommen und<br />
in einen Gesetzentwurf gefasst hat.<br />
Dem Entwurf liegt die Überlegung zu Grunde, dass<br />
das gegenwärtige Insolvenzrecht die bis zur Insolvenz<br />
des Konzerns (häufig zentral) ausgeübte Konzern-<br />
5
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
leitungsmacht durch Einleitung isolierter Verfahren<br />
dezentralisiert. Hierdurch wird die wirtschaftliche<br />
Einheit des Konzerns zerschlagen und es kann zu Ineffizienzen<br />
bei Betriebsfortführung und Abwicklung<br />
kommen, die in eine suboptimale Gläubigerbefriedigung<br />
münden können. Ziel des Entwurfes ist es somit,<br />
die im Falle einer Konzerninsolvenz zu eröffnenden<br />
Einzelverfahren über die Vermögen konzernabhängiger<br />
Unternehmen besser aufeinander abzustimmen.<br />
Dies soll geschehen durch die Schaffung allgemeiner<br />
Kooperationsrechte und -pflichten, die Einführung<br />
von Koordinationsverfahren, die Einführung eines<br />
Konzerngerichtsstandes und eine einheitliche Verwalterbestellung.<br />
Damit geht der Entwurf des BMJ nicht den (US-amerikanischen)<br />
Weg der (möglichen) Konsolidierung<br />
der Haftungsmassen, sondern begnügt sich mit einer<br />
Koordinierung der einzelnen Insolvenzverfahren.<br />
Reaktionen aus der Praxis sind bislang noch rar,<br />
was aber nicht verwundert, da der Entwurf erst am<br />
3. Januar <strong>2013</strong> an interessierte Kreise versandt wurde.<br />
Es steht aber zu erwarten, dass Insolvenzrichter und<br />
-verwalter den ihnen durch die bevorstehende Reform<br />
auferlegten Kooperations- und Koordinationspflichten<br />
eher kritisch gegenüberstehen werden.<br />
Reformen – die europäische Ebene<br />
EUInsVO<br />
Im Rahmen einer turnusmäßigen Revision der<br />
EUInsVO hat die EU-Kommission am 12. Dezember<br />
2012 einen Reformvorschlag vorgelegt, der noch<br />
durch das EU-Parlament und den Rat angenommen<br />
werden muss.<br />
Neben einer erstmaligen gesetzlichen Definition des<br />
Center of Main Interest („COMI“) enthält der Entwurf<br />
auch Regelungen zum Umgang mit Konzerninsolvenzen.<br />
Dies ist auch deswegen bedeutend, weil der<br />
Entwurf einer eigenständigen Konzernrichtlinie bereits<br />
2006 scheiterte. Während der deutsche Entwurf einen<br />
zentralen Konzerngerichtsstand vorsieht, nimmt der<br />
Kommissionsentwurf hiervon Abstand und beschränkt<br />
sich auf Regelungen zur weitgehenden Koordinierung<br />
der Insolvenzverfahren über Konzerngesellschaften.<br />
Eine Konsolidierung der Haftungsmassen ist ebenfalls<br />
nicht vorgesehen.<br />
Im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzen kam es<br />
immer wieder zu Problemen bei der Eröffnung von<br />
Sekundärinsolvenzverfahren, da diese lediglich als<br />
Liquidationsverfahren betrieben werden konnten, also<br />
eine Sanierung des Unternehmensträgers ausgeschlos-<br />
sen war. Diese Regelung will der Entwurf kippen und<br />
allgemein sogar sog. vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren<br />
in den Anwendungsbereich aufnehmen.<br />
Schließlich sieht der Entwurf umfassende Publikationspflichten<br />
für die Mitgliedsstaaten vor. So soll ein<br />
elektronisches Register eingeführt werden, in das die<br />
Mitgliedsstaaten alle relevanten Gerichtsentscheidungen<br />
in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren<br />
einzustellen haben. Daneben sollen auch einheitliche<br />
Formulare für Forderungsanmeldungen eingeführt<br />
werden.<br />
Auch angesichts der Erfahrungen mit der gescheiterten<br />
Konzernrichtlinie bleibt abzuwarten, was am<br />
Ende der Reform von diesem ersten – doch recht progressiven<br />
– Entwurf übrig bleibt. Die Befürchtungen<br />
der kontinentaleuropäischen Länder vor einer Dominanz<br />
der englischen Gerichte bei der Sanierung von<br />
Konzernen dürfte bei den Betrachtungen ebenso eine<br />
Rolle spielen wie die knappen öffentlichen Kassen, die<br />
zumindest bei den Publikationsobliegenheiten in die<br />
Pflicht genommen würden.<br />
Nach der Reform ist vor der Reform –<br />
oder: die neuen Baustellen nach ESUG<br />
Weniger als ein Jahr nach Inkrafttreten des ESUG<br />
und gefühlten 200 Schutzschirmverfahren werden die<br />
ersten Unzulänglichkeiten der Reform offenbar. Die<br />
teilweise unsachliche Kritik in der Literatur und die<br />
teilweise sehr ablehnende Haltung einiger Gerichte<br />
gegenüber den neuen Regelungen geht jedoch über<br />
einen etwaigen Nachbesserungsbedarf hinaus und<br />
scheint eher von persönlichen Motiven geprägt als<br />
von einem wirklichen Willen zur optimalen gemeinschaftlichen<br />
Befriedigung der Gläubiger, wie sie<br />
§ 1 InsO als Ziel des Insolvenzverfahrens nach wie vor<br />
vorgibt.<br />
Neben den teilweise weit über den Gesetzestext hinausgehenden<br />
Anforderungen einiger Insolvenzgerichte an<br />
die Person des „Bescheinigers“ nach § 270 b InsO (vertiefend<br />
hierzu <strong>Braun</strong>) sind vor allen Dingen die Fälle<br />
hervorzuheben, in denen die Insolvenz gerichte die<br />
Entscheidung der Gläubigergremien zur (vorläufigen)<br />
Eigenverwaltung zu unterminieren versuchen. Derweil<br />
wirft der VID den Banken und anderen „Profi-<br />
Gläubigern“ pauschal einen Missbrauch der durch das<br />
ESUG den Gläubigern eingeräumten Rechte vor. Es<br />
bleibt zu hoffen, dass sich diese Grabenkämpfe durch<br />
eine häufige und erfolgreiche Nutzung der Instrumentarien<br />
des ESUG von selbst erledigen und die verbleibenden<br />
Unzulänglichkeiten des Verfahrens sachlich<br />
und zielorientiert angegangen werden.<br />
6
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
Denn nach der Reform ist vor der Reform:<br />
Zum einen ist nicht geklärt, ob die Anordnung eines<br />
Schutzschirmsverfahren überhaupt veröffentlicht werden<br />
muss. So geht das AG Göttingen nicht von einer<br />
Pflicht zur Veröffentlichung aus, sieht vielmehr nur<br />
eine pflichtgemäße Ermessensprüfung als erforderlich<br />
an. So könne von einer öffentlichen Bekanntmachung<br />
insbesondere dann abgesehen werden, wenn nur drohende<br />
Zahlungsunfähigkeit vorliege und damit keine<br />
Antragspflicht besteht. Demgegenüber gehen andere<br />
Stimmen in der Literatur davon aus, dass sehr wohl<br />
eine Veröffentlichungspflicht bestehe, da es kein<br />
„geheimes“ Insolvenzverfahren geben dürfe. Unabhängig<br />
davon, zu welcher Meinung man tendiert, ist<br />
eine Entscheidung des Gesetzgebers über diese Frage<br />
relevant, da mit der Bekanntmachung von Entscheidungen<br />
auch relevante Fristen und Zurechnungstatbestände<br />
in Gang gesetzt werden. Ohne ausdrückliche<br />
Regelung besteht die Gefahr, dass sich – auch<br />
auf Grund der Streichung der Möglichkeit der weiteren<br />
Beschwerde nach § 7 InsO – eine uneinheitliche<br />
Rechtsprechung zu diesem Thema entwickelt und<br />
Rechtsunsicherheiten über Fristen und Zurechnungstatbestände<br />
entstehen.<br />
Zum anderen weist Karsten Schmidt darauf hin, dass<br />
man bei Einführung des sog. „Debt-Equity-Swaps“<br />
möglicherweise das Kind mit dem Bade ausgeschüttet<br />
habe: Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die<br />
Sanierung im Fall Pfleiderer und die „Sanieren oder<br />
Ausscheiden“ Rechtsprechung des BGH führt er<br />
aus, dass der Gesetzgeber mit der Entscheidung, im<br />
Insolvenzplan eine Kapitalherabsetzung auf Null und<br />
Bezugsrechtsausschluss der Altgesellschafter zuzulassen,<br />
über die vom BGH gesetzte Prämisse hinausgegangen<br />
sei, wonach sich der Gesellschafter entweder<br />
an der Sanierung beteiligen oder ausscheiden müsse<br />
und diese durch die Prämisse „Sanieren durch Rausschmiss“<br />
ersetzt habe.<br />
Man kann in der Betrachtung der Konsequenzen noch<br />
weiter gehen als Karsten Schmidt, der beim ESUG<br />
lediglich eine Inkonsistenz zwischen dem Bestreben,<br />
Gesellschafter und Geschäftsführer einerseits zu einer<br />
frühen Antragstellung zu bewegen und andererseits<br />
der Möglichkeit sieht, den Gesellschafter gegen seinen<br />
Willen – und trotz seines potentiellen Willens, sich<br />
auch finanziell an der Sanierung zu beteiligen – aus<br />
der Gesellschaft „rauszuwerfen“. Man könnte nämlich<br />
gerade in der Möglichkeit des Bezugsrechtsausschlusses<br />
den entscheidenden Schritt zu viel – nämlich den<br />
zur Verletzung von Art. 14 GG, der Eigentumsgarantie<br />
– sehen. Bedenkt man, dass bei Einführung der<br />
InsO unter Verweis auf Art. 14 GG ein Eingriff in die<br />
Gesellschafterrechte bewusst unterblieb, so dürfte es<br />
nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Gesellschafter, der<br />
die „Sanierung durch Rausschmiss“ an den eigenen<br />
Gesellschaftsanteilen erlebt hat, vor das Bundesverfassungsgericht<br />
zieht. Deswegen sollte der Gesetzgeber<br />
darüber nachdenken, diese „überschießende Tendenz“<br />
bei der „Einbindung“ der Gesellschafter in den Insolvenzplan<br />
zurückzustutzen, zum Beispiel, indem er<br />
dem Gesellschafter eine Zeichnung von neuen Gesellschaftsanteilen<br />
gegen Bareinlage ermöglicht.<br />
Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im<br />
Zivilprozess, BGBl., Teil I 2012 Nr. 57, 2418,<br />
(siehe auch weiterführend Newsletter)<br />
RegE eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens<br />
und zur Stärkung der Gläubigerrechte,<br />
BT-Drucks. Drucksache 17/11268,<br />
(siehe auch weiterführend Newsletter)<br />
DiskE (BMJ) eines Gesetzes zur Erleichterung der<br />
Bewältigung von Konzerninsolvenzen,<br />
(siehe auch weiterführend Newsletter)<br />
European Commission, Proposal for a Regulation of<br />
the European Parliament and of the Council amending<br />
Council Regulation (EC) No. 1346/2000 on insolvency<br />
proceedings, 2012/0360 (COD),<br />
(siehe auch weiterführend Newsletter)<br />
AG Göttingen, Beschluss vom 12. 11. 2012 - 74 IN<br />
160/12<br />
Karsten Schmidt, Schöne neue Sanierungswelt: Die<br />
Gläubiger okkupieren die Burg, ZIP 2012, 2085<br />
Dr. Eberhard <strong>Braun</strong>, Das Gegenteil der (Rechtsanwendungs-)<br />
Kunst ist gut gemeint, Editiorial NZI <strong>2013</strong>,<br />
Heft 1<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M., Berlin<br />
VBeissenhirtz@schubra.de<br />
3. Beraterpflichten in der Krise<br />
Einführung<br />
Zum Abschluss unserer kleinen Serie zu Pflichten von<br />
Beteiligten in der Unternehmenskrise, sollen nunmehr<br />
die Pflichten der diversen Berater in der Krise<br />
ausgeleuchtet werden. Unbestritten gehört es zu den<br />
Hauptpflichten der Berater, egal ob Steuerberater/<br />
Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder Unternehmensberater,<br />
den Mandanten vor Schaden zu bewahren.<br />
Wie weit aber diese Pflichten in der Unterneh-<br />
7
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
menskrise tatsächlich gehen, soll nachfolgend näher<br />
betrachtet werden.<br />
Steuerberater/Wirtschaftsprüfer<br />
Generelle Warnpflichten des Steuerberaters/<br />
Wirtschaftsprüfers in der Krise<br />
Grundsätzlich haben sowohl der Steuerberater als<br />
auch der Wirtschaftsprüfer regelmäßig Einblick in<br />
wirtschaftlich relevante Daten eines Unternehmens.<br />
Beide Personenkreise haben somit auch auf Grund<br />
ihrer fachlichen Ausbildung und Erfahrung häufig vor<br />
der Geschäftsführung eine Einschätzung darüber, in<br />
welcher wirtschaftlichen Lage sich das Unternehmen<br />
wirklich befindet.<br />
Die Rechtsprechung hat aus dieser Konstellation eine<br />
umfassende Beratungs- und Belehrungspflicht für den<br />
Steuerberater/Wirtschaftsprüfer im Falle der Krise des<br />
Unternehmens „kraft überlegenen Wissens“ (LG Saarbrücken)<br />
abgeleitet. So ist es zwar nach OLG Celle<br />
originäre Aufgabe der Geschäftsführer einer <strong>GmbH</strong><br />
selbst, eine etwaige Überschuldung des Unternehmens<br />
im Auge zu behalten und rechtzeitig Insolvenzantrag<br />
zu stellen. Erkennt der Steuerberater im Rahmen seiner<br />
regulären steuerberatenden Tätigkeit allerdings<br />
eine bilanzielle Überschuldung, muss er auch ungefragt<br />
auf diese hinweisen und die Prüfung der insolvenzrechtlichen<br />
Überschuldung anregen. Unterlässt<br />
er eine derartige Belehrung und/oder unterstützt der<br />
Steuerberater die Geschäftsführerin der Gesellschaft<br />
wissentlich und willentlich dabei, die gebotene Stellung<br />
des Insolvenzantrags hinauszuzögern, liegt nach<br />
einer Entscheidung des LG Stuttgart nicht nur eine<br />
Verletzung des Beratungsvertrages, sondern sogar eine<br />
Berufspflichtverletzung vor.<br />
Keine Warnpflicht bei fehlender Belehrungswürdigkeit<br />
des Mandanten<br />
Wie der BGH (im Anschluss an eine Entscheidung<br />
des LG Saarbrücken) hervorhebt, hat der Steuerberater/Wirtschaftsprüfer<br />
grundsätzlich von der Belehrungsbedürftigkeit<br />
seines Auftraggebers auszugehen.<br />
Dies gelte selbst gegenüber rechtlich und wirtschaftlich<br />
erfahrenen Personen. Ganz auszuschließen dürfte<br />
diese umfassende Belehrungsbedürftigkeit nur dann<br />
sein, wenn der Mandant die Insolvenzreife positiv<br />
kennt.<br />
Drittschutzwirkung des Beratungsvertrages<br />
Wird der Steuerberater/Wirtschaftsprüfer gesondert<br />
mit der Prüfung der Insolvenzreife des Unternehmens<br />
beauftragt, können hieraus nach einer neueren Entscheidung<br />
des BGH aus Juni 2012 weitere Verpflichtungen<br />
entstehen.<br />
Der BGH unterscheidet weiter zwischen der allgemeinen<br />
steuerberatenden Tätigkeit und sonstigen freiwilligen<br />
Prüfungen, die grundsätzlich von „jedermann“<br />
und damit auch von Steuerberatern erbracht werden<br />
können. Der BGH ordnet derartige Prüfungen, unter<br />
die auch die Prüfung von Insolvenzgründen fällt, als<br />
Werkvertrag ein. Der Abschluss eines solchen Werkvertrages<br />
kann stillschweigend auch über den bereits<br />
bestehenden Steuerberatungsvertrag hinaus angenommen<br />
werden, wenn der Mandant die Frage stellt, ob er<br />
unter den gegebenen Umständen einen Insolvenzantrag<br />
stellen muss und der Steuerberater/Wirtschaftsprüfer<br />
sich hierzu äußert.<br />
Die Brisanz der BGH-Entscheidung ergibt sich aus<br />
dem Umstand, dass das Gericht den mit einem Steuerberater<br />
geschlossenen Prüfungsvertrag zur Feststellung<br />
der Insolvenzreife der Gesellschaft als grundsätzlich<br />
drittschützend ansieht und die Einbeziehung von<br />
Geschäftsführer und Gesellschaftern in den Schutzbereich<br />
dieses Vertrages zulässt. Damit erweitert sich der<br />
Kreis der zu Schadenersatzforderungen im Falle einer<br />
Falschberatung berechtigten Personen erheblich.<br />
Die Drittschutzwirkung wird vom BGH dann bejaht,<br />
wenn sich die Gesellschafter in der gleichen wirtschaftlichen<br />
Situation hinsichtlich der finanziellen<br />
Interessen befinden, wie ein möglicher Käufer, der<br />
seine Entscheidung vom Bericht des Steuerberaters<br />
abhängig macht. In die Schutzwirkung des Prüfvertrages<br />
ist ein Geschäftsführer hinsichtlich der drohenden<br />
Haftungsfolgen bei Missachtung der Insolvenzantragspflicht<br />
ebenfalls mit einbezogen.<br />
Rechtsanwalt<br />
Allgemeiner Pflichtenkreis<br />
Die Rechtsprechung zu den Pflichten des Rechtsanwalts<br />
in der Unternehmenskrise stimmt weitestgehend<br />
mit den oben ausführlich dargelegten Prinzipien<br />
für die Steuerberater / Wirtschaftsprüfer überein. So<br />
ist nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH der<br />
Rechtsanwalt, soweit der Mandant nicht eindeutig zu<br />
erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten<br />
Richtung bedarf, zur allgemeinen, umfassenden<br />
und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers<br />
verpflichtet. Insbesondere soll ein Rechtsanwalt<br />
kraft des Anwaltsvertrages auch verpflichtet sein, die<br />
Interessen seines Auftraggebers nach jeder Richtung<br />
und umfassend wahrzunehmen. Er muss dementsprechend<br />
den Mandanten auch über konkrete wirtschaftliche<br />
Gefahren der beabsichtigten Vorgehensweise<br />
und die erforderlichen Vorsichtsmaßregeln aufklären.<br />
Auch der Rechtsanwalt hat grundsätzlich von der<br />
8
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
Belehrungsbedürftigkeit des Mandanten auszugehen.<br />
Eine solche Belehrungsbedürftigkeit ist nur dann<br />
nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt erkennt, dass<br />
der Mandant die Risiken des Geschäfts oder der beabsichtigten<br />
rechtlichen Gestaltung kennt und er diese<br />
auch bei einer Belehrung auf sich nehmen würde.<br />
Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht trifft<br />
allerdings den Rechtsanwalt die Beweislast dafür, dass<br />
der Mandant tatsächlich rechtskundig ist.<br />
Der Rechtsanwalt in der Unternehmenskrise<br />
Wird ein Rechtsanwalt in einer Krise eines Unternehmens<br />
hinzugezogen, um bspw. Vergleichsverhandlungen<br />
mit Gläubigern zu führen, ist es nach einem Urteil<br />
des BGH aus dem Jahr 2000 seine Pflicht, die Mandantschaft<br />
über die Pflicht, bei Vorliegen der Insolvenzgründe,<br />
über die Insolvenzantragspflicht und ein<br />
etwaiges Zahlungsverbot zu belehren.<br />
Drittschutzwirkung<br />
Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf aus<br />
dem Jahre 2010 kann der Rechtsanwalt vom Insolvenzverwalter<br />
nur in Regress genommen werden, wenn die<br />
vertraglich geschuldete Beratung einen Schaden der<br />
Insolvenzgläubiger vermieden hätte. Die Insolvenzgläubiger<br />
selbst sind demnach allerdings nicht in den<br />
Schutzbereich des Anwaltsdienstvertrages einbezogen,<br />
der die Beratung des Mandanten wegen drohender<br />
Insolvenz bezweckt.<br />
Unternehmensberater<br />
Allgemeiner Pflichtenkreis<br />
Für den Unternehmensberater ergeben sich Pflichten<br />
nicht aus den standesrechtlichen Regelungen, sondern<br />
vielmehr aus dem jeweiligen Beratungsvertrag. Unternehmensberatungen<br />
liegen entweder einem Dienst-<br />
oder Werkvertrag zu Grunde, aus denen sich die konkreten<br />
Rechte und Pflichten ergeben.<br />
Auch der Unternehmensberater haftet für Schäden,<br />
die sein Vertragspartner durch eine den Beratungsvertrag<br />
verletzende Falschberatung erleidet. Es ist<br />
grundsätzlich der gesamte durch die Falschberatung<br />
entstandene Schaden zu ersetzen.<br />
Der Unternehmensberater in der Unternehmenskrise<br />
Die OLGs Celle (2003) und Köln (2009) haben die<br />
Maßstäbe konkretisiert, die bei Unternehmensberatern,<br />
die in der Sanierung eines Unternehmens agieren,<br />
anzulegen sind. Auch wenn die Rechtsprechung<br />
die sog. IDW-Standards zur Sanierung nicht explizit<br />
akzeptiert, so dürften sie dennoch als einzuhaltende<br />
Standards bei Unternehmenssanierungen gelten – die<br />
Rechtsprechung übernimmt weitestgehend die im<br />
IDW-Standard vorgesehenen Prüfungs- und Empfehlungspunkte.<br />
Drittschutzwirkung<br />
Enthält dieses Sanierungsgutachten unbrauchbare<br />
Ausführungen, so birgt dies das Risiko eines Haftungsanspruches<br />
eines Dritten: Die Unternehmensberatung<br />
kann demnach gegenüber dem Dritten haften,<br />
wenn dem Unternehmen auf Grund des zugrunde<br />
gelegten Konzepts eine Sanierung nicht gelingt und<br />
wenn ein Dritter darauf vertraut hat (und vertrauen<br />
konnte), dass die zugrunde gelegten Daten und Prognose<br />
auf fundierten und nachvollziehbaren Erkenntnissen<br />
beruhen.<br />
Exkurs: Sanierungsgeschäftsführer / CRO<br />
Bereits mit Einführung der InsO, erst Recht aber<br />
nach Inkrafttreten des ESUG hat es sich eingebürgert,<br />
dass (ehemalige) Insolvenzverwalter und andere<br />
Sanierungsberater als Organe des zu sanierenden<br />
Unternehmens bestellt werden. Sie werden häufig als<br />
Sanierungsgeschäftsführer oder “Chief Restructuring<br />
Officer“ (CRO) bezeichnet. Durch die Bestellung als<br />
Organ soll die Sanierung erleichtert und im Falle eines<br />
Insolvenzverfahrens häufig die Chancen auf Anordnung<br />
der Eigenverwaltung erhöht werden. Der Berater<br />
wechselt damit die Stellung und wird Organ.<br />
Der Sanierungsgeschäftsführer in der Krise<br />
Als Organ der Gesellschaft unterliegt der Sanierungsgeschäftsführer<br />
denselben gesellschafts- und insolvenzrechtlichen<br />
Pflichten und Haftungsrisiken wie die<br />
übrigen Organe. Er hat im eigentlichen Sinne keine<br />
Beratungspflichten, sondern originäre Organpflichten<br />
zu beachten. Verstößt er hiergegen, ist er grundsätzlich<br />
zum Schadenersatz nach den einschlägigen Regelungen<br />
verpflichtet.<br />
Drittschutz<br />
Daneben kann nach einer Entscheidung des BGH<br />
aus dem Jahre 1990 ein Sanierungsgeschäftsführer,<br />
der bei Vertragsverhandlungen, die er als Vertreter des<br />
Unternehmens mit Dritten führt, auf seine früheren<br />
Sanierungserfolge hinweist, besonderes persönliches<br />
Vertrauen in Anspruch nehmen und deswegen bei<br />
Pflichtverletzungen selbst aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen<br />
haften.<br />
9
Praxistipp:<br />
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
Ein Steuerberater/Wirtschaftsprüfer, der mit der laufenden<br />
Buchführung und/oder dem Jahresabschluss<br />
beauftragt ist und damit die detaillierte wirtschaftliche<br />
Situation kennt, hat die Pflicht, sich die Frage<br />
zu stellen, ob eine Fortführung des Unternehmens<br />
gegeben ist. Sollte er Anhaltspunkte sehen, die gegen<br />
einen „going-concern“ sprechen, hat er, resultierend<br />
aus seinen vertraglichen Nebenpflichten, dafür Sorge<br />
zu tragen, dass der Geschäftsführer genauestens<br />
da rüber aufgeklärt wird, welche Folgen sich ergeben,<br />
wenn dieser keinen Insolvenzantrag stellt.<br />
Werden Berater – gleich ob Steuerberater, Wirtschaftsprüfer,<br />
Rechtsanwalt oder Unternehmensberater<br />
– dagegen in der Unternehmenskrise mit der<br />
Beratung konkret in Bezug auf die Krise beauftragt,<br />
so ergeben sich weitere Pflichten, die sogar drittschützende<br />
Wirkung haben können.<br />
Zur Minimierung des Haftungsrisikos sollten bei<br />
der Sanierungsberatung die einschlägigen Standards<br />
(IDW S 6) und die strengstmöglichen Belehrungspflichten<br />
zu Grunde gelegt werden.<br />
BGH, Urt. v. 14.06.2012 – IX ZR 145/11<br />
BGH, Urt. v. 09.06.2011 – IX ZR 75/10<br />
BGH, Urt. v. 27.11.1997 – IX ZR 141/96<br />
BGH, Urt. v. 03.04.1990 – XI ZR 206/88<br />
OLG Celle, Urt. v. 06.04.2011 – 3 U 190/10<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.02.2010 – I-24 U<br />
100/09<br />
OLG Köln, Urt. v. 24.09.2009 – 18 U 134/05<br />
OLG Celle, Urt. v. 23.10.2003 – 26 U 199/02<br />
LG Saarbrücken, Urt. v. 28.11.2011 – 9 O 261/10<br />
LG Stuttgart, Urt. v. 16.07.2010 – 14 StL 3/10<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M., Berlin<br />
VBeissenhirtz@schubra.de<br />
Stud. jur. Marlies Mundstock, Berlin<br />
MMundstock@schubra.de<br />
10<br />
4. Aktuelle Entwicklungen im<br />
internationalen Insolvenzrecht<br />
In der jüngeren Vergangenheit sind zahlreiche Entscheidungen<br />
zum internationalen Insolvenzrecht<br />
ergangen, die wir nachfolgend in einem kurzen Überblick<br />
darstellen und würdigen möchten.<br />
EuGH<br />
1. Rastelli, Urt. v. 15.12.2011 – Az.: C - 191/101<br />
(Vgl. dazu: Newsletter von <strong>Schultze</strong> & <strong>Braun</strong> vom<br />
08.03.2012)<br />
Im Urteil vom 15. Dezember 2011 entschied der<br />
EuGH über die Frage, ob das Gericht eines Mitgliedsstaates,<br />
das das Hauptinsolvenzverfahren gegen eine<br />
Gesellschaft eröffnet hat, die ihren Mittelpunkt der<br />
hauptsächlichen Interessen in diesem Mitgliedsstaat<br />
hat, das Insolvenzverfahren auf eine weitere Gesellschaft,<br />
die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat<br />
hat, erweitern kann.<br />
Im Ausgangsverfahren hatte der Insolvenzverwalter<br />
eines französischen Unternehmens, über dessen Vermögen<br />
das Insolvenzverfahren in Frankreich eröffnet<br />
wurde, beantragt, das Insolvenzverfahren auf ein anderes<br />
Unternehmen mit satzungsmäßigem Sitz in Italien<br />
zu erweitern. Als Grund nannte er die Vermischung<br />
der Vermögensmassen der beiden Unternehmen. Die<br />
Erweiterung wäre nach französischem Insolvenzrecht<br />
zulässig.<br />
Der EuGH entschied, dass das Gericht eines Mitgliedsstaates<br />
unter Anwendung einer innerstaatlichen<br />
Vorschrift nur dann das Insolvenzverfahren auf eine<br />
zweite Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen<br />
Mitgliedsstaat hat, erweitern kann, wenn nachgewiesen<br />
wird, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen<br />
Interessen der zweiten Gesellschaft im<br />
erstgenannten Mitgliedsstaat befindet (hier also in<br />
Frankreich). Zudem stellte der EuGH klar, dass die<br />
Feststellung allein, dass eine Vermischung der Vermögensmassen<br />
der beiden Gesellschaften vorliegt,<br />
nicht für den Nachweis ausreicht, dass sich der Mittelpunkt<br />
der hauptsächlichen Interessen der von der<br />
Klage betroffenen Gesellschaft ebenfalls in diesem<br />
Mitgliedsstaat befindet.<br />
Der EuGH stärkt mit dieser Entscheidung die Ausschließlichkeit<br />
des in Art. 3 I EuInsVO gegebenen<br />
Gerichtsstandes, der sich nach dem Mittelpunkt der<br />
hauptsächlichen Interessen richtet. Da eine Gesellschaft<br />
immer nur einen Mittelpunkt der hauptsächlichen<br />
Interessen haben kann, führt dies zu einer Ein-
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
heitlichkeit der Anknüpfung für die Zuständigkeit.<br />
Darüber hinaus wird durch diese Entscheidung auch<br />
eine größere Rechtssicherheit für potentielle Insolvenzschuldner<br />
realisiert, da sie die Gewissheit haben,<br />
nur an dem in Art. 3 EuInsVO normierten Gerichtsstand<br />
einem Verfahren unterworfen zu werden. Im<br />
Übrigen folgt diese Entscheidung auch zwangsläufig<br />
aus dem Vorrang der EuInsVO vor nationalem Insolvenzrecht.<br />
2. Jadecloud-Vilma,<br />
Urteil vom 19.04.2012 – Az.: C - 213/10<br />
Zur Frage der Abgrenzung von EuGVVO und<br />
EuInsVO hat der EuGH entschieden, dass sich die<br />
Zuständigkeit für eine Insolvenzanfechtungsklage aus<br />
abgetretenem Recht nach Art. 1 EuGVVO richtet<br />
und diese demnach als Zivil- und Handelssache anzusehen<br />
ist.<br />
Der Insolvenzverwalter eines deutschen Unternehmens<br />
hatte alle Ansprüche der Insolvenzschuldnerin<br />
an die einzige Gläubigerin, ein lettisches Unternehmen,<br />
abgetreten. Darunter war auch ein Anspruch<br />
aus Anfechtungsrecht gegen eine ehemalige litauische<br />
Vertragspartnerin ( Jadecloud-Vilma) des deutschen<br />
Unternehmens. Diese hatte trotz Zahlungsunfähigkeit<br />
weiter Zahlungen der nunmehrigen Insolvenzschuldnerin<br />
empfangen. Diesen Anfechtungsanspruch gegen<br />
das litauische Unternehmen machte nun die Abtretungsempfängerin<br />
und einzige Gläubigerin im Insolvenzverfahren<br />
klageweise geltend.<br />
Eine Zuständigkeit gem. Art. 3 I EuInsVO lehnte der<br />
EuGH ab. Hierzu hatte er im Urteil bezüglich Deko<br />
Marty Belgium NV (Az.: C - 339/07) im Februar<br />
2009 festgelegt, dass eine internationale Zuständigkeit<br />
im Eröffnungsstaat sich nur für Klagen ergebe,<br />
die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens<br />
ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen.<br />
Dies hatte er für die vom Insolvenzverwalter selbst<br />
erhobene Anfechtungsklage bejaht.<br />
Diesen engen Zusammenhang sahen die entscheidenden<br />
Richter in diesem Fall jedoch nicht mehr.<br />
Zur Begründung führten sie aus, dass die Klägerin<br />
hier nicht als Insolvenzverwalter handle, sondern als<br />
Zessionarin einer Forderung. Zunächst sei sie deswegen<br />
nicht zur Einziehung der Forderung verpflichtet.<br />
Anders als der Insolvenzverwalter handle sie zudem<br />
ausschließlich im eigenen Interesse und zu ihrem persönlichen<br />
Vorteil, da der Erlös aus der Klage Bestandteil<br />
ihres Vermögens wird.<br />
11<br />
Der EuGH hat damit den Anwendungsbereich von<br />
Art. 3 I EuInsVO begrenzt. Er stellt hier zur Beurteilung<br />
der Frage nicht auf den geltend gemachten<br />
Anspruch ab, der zweifelsohne im Zusammenhang mit<br />
dem Insolvenzverfahren steht. Vielmehr macht er die<br />
Entscheidung von der Person der Klägerin abhängig.<br />
Praktische Folge dieser Entscheidung ist, dass zum<br />
einen dem Zessionar bewusst sein muss, dass sich die<br />
Zuständigkeit für seine Klage nach der EuGVVO<br />
richtet. Danach ist der Beklagte grundsätzlich im dem<br />
Mitgliedsstaat zu verklagen, in dem er seinen Wohnsitz<br />
hat (Art. 2 EuGVVO). Das kann bedeuten, dass der<br />
Zessionar möglicherweise im Ausland klagen muss.<br />
Zudem kann der Insolvenzverwalter, wenn EuInsVO<br />
und EuGVVO zu verschiedenen Gerichtsständen<br />
führen, durch Abtretung zu einem günstigeren Forum<br />
verhelfen.<br />
3. Urteil vom 05.07.2012 – Az.: C - 527/10<br />
In seinem Urteil vom 05.07.2012 beschäftigte<br />
sich der EuGH mit der Anwendbarkeit von Art. 5<br />
EuInsVO. Danach bleibt das dingliche Recht eines<br />
Gläubigers an Gegenständen, die sich zum Zeitpunkt<br />
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in<br />
einem anderen Mitgliedsstaat befinden, von der<br />
Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt.<br />
Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob dieser<br />
Artikel auch auf einen Rechtsstreit angewendet<br />
werden muss, bei dem sich die Vermögensgegenstände,<br />
die Gegenstand des dinglichen Rechts<br />
sind, in einem Staat befinden, der zum Zeitpunkt<br />
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht<br />
Mitglied der EU war, jedoch zum Zeitpunkt der<br />
Erhebung der Klage beigetreten war. Dies hat der<br />
EuGH nun bejaht.<br />
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde. Eine<br />
ungarische Bank gewährte zunächst einem Unternehmen<br />
mit Sitz in Österreich ein Akkreditiv,<br />
das dieses Unternehmen an verschiedene Banken<br />
abtrat, welche dann die Zahlung des Akkreditivbetrages<br />
von der ungarischen Bank verlangten.<br />
Das österreichische Unternehmen, das Anteile an<br />
der Bank hielt, bestellte der ungarischen Bank im<br />
Jahr 2003 zur Sicherheit ein Pfandrecht an diesen<br />
Anteilen. Im Dezember 2003 wurde über das<br />
Vermögen des österreichischen Unternehmens<br />
das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Rahmen dessen<br />
kaufte der ungarische Staat die Anteile an der<br />
ungarischen Bank und hinterlegte den Geldbetrag<br />
der zuvor dematerialisierten Anteile, bei Gericht.
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
Sodann begehrte die ungarische Bank im Jahr 2006<br />
gerichtlich die Feststellung des Pfandrechts an dem<br />
hinterlegten Geldbetrag.<br />
Der EuGH argumentiert, dass zunächst die österreichische<br />
Rechtslage maßgeblich sei, da hier das<br />
Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. In Ungarn<br />
gehe es dann nur noch um die Anerkennung der<br />
Rechtswirkungen des österreichischen Verfahrens<br />
auf in Ungarn belegene Gegenstände. Er führt weiter<br />
aus, dass seit dem Beitritt Ungarns zur Europäischen<br />
Union am 1. Mai 2004 die Bestimmungen<br />
der EuInsVO in diesem Staat anwendbar seien. Die<br />
vorgenommene Auslegung des Art. 5 EuInsVO sei<br />
ferner geboten, um die Kohärenz des durch die<br />
EuInsVO geschaffenen Systems und die Effizienz<br />
des Insolvenzverfahrens zu wahren. Voraussetzung<br />
sei demnach nur, dass sich die Vermögensgegenstände,<br />
an denen das betreffende dingliche Recht<br />
bestünde, am 1. Mai 2004 in Ungarn befunden hätten.<br />
Das Urteil hat weitgehende praktische Bedeutung.<br />
Das Problem des unterschiedlichen zeitlichen<br />
Anwendungsbereiches tritt bei zahlreichen<br />
europäischen Verordnungen auf und es wird auch<br />
durch die Aufnahme weiterer Mitgliedsstaaten in<br />
Zukunft weiter auftreten. Auch wenn die Entscheidung<br />
nicht auf jeden Einzelfall ohne Einschränkung<br />
Anwendung finden wird, so lässt sich doch<br />
der Trend des EuGH erkennen, die Begründung<br />
der internationalen Zuständigkeit erst im Laufe<br />
des Rechtsstreites grundsätzlich ausreichen zu lassen.<br />
Dies ist im Sinne der Prozessökonomie sicherlich<br />
begrüßenswert.<br />
4. Vale, Urteil vom 12.07.2012 – Az.: C - 378/10<br />
In dem Urteil vom 12.07.2012 hatte der EuGH entschieden,<br />
dass eine grenzüberschreitende Umwandlung<br />
einer Gesellschaft und eine inländische<br />
Umwandlung gleich zu behandeln seien. Er konkretisiert<br />
damit seine Rechtsprechung in Sachen<br />
Daily Mail (Urteil vom 27.09.1988 - C-J008/87),<br />
Centros (Urteil vom 09.03.1999 - C-J021/97),<br />
Überseering (Urteil vom 05.11.2002 - C-J02/00),<br />
Inspire Art (30.09.2003 - C-J016/01), SEVIC<br />
Systems (Urteil vom 13.12.2005 - C-411/03) sowie<br />
Cartesio (Urteil vom 16. 12. 2008 - C-210/06).<br />
Dem lag die Situation zugrunde, dass eine italienische<br />
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Vale)<br />
im Jahr 2006 beschlossen hatte, ihren Sitz nach<br />
Ungarn zu verlegen und deswegen bereits einen<br />
Gesellschaftsvertrag als Gesellschaft mit beschränk-<br />
12<br />
ter Haftung ungarischen Rechts geschlossen hatte,<br />
um ihre Eintragung in das ungarische Handelsregister<br />
zu erwirken. Dort sollte die italienische<br />
Gesellschaft als Rechtsvorgängerin eingetragen<br />
werden. Dieser Eintragungsantrag wurde zunächst<br />
zurückgewiesen.<br />
Zur Begründung seines Urteils verweist der EuGH<br />
vorab auf seine Entscheidung vom 13.12.2005 im<br />
Fall SEVIC Systems (Az.: C – 411/03), in dem<br />
er entschieden hatte, dass Umwandlungen von<br />
Gesellschaften grundsätzlich zu den wirtschaftlichen<br />
Tätigkeiten gehören, wegen derer die Mitgliedsstaaten<br />
die Niederlassungsfreiheit beachten<br />
müssen.<br />
Er führt dann aus, dass die Niederlassungsfreiheit<br />
in den Art. 49, 54 AEUV einer mitgliedsstaatlichen<br />
Vorschrift vorgehe, die zwar die Möglichkeit<br />
einer innerstaatlichen Umwandlung einer Gesellschaft<br />
vorsieht, jedoch die Umwandlung einer dem<br />
Recht eines anderen Mitgliedsstaates unterliegenden<br />
Gesellschaft in eine inländische Gesellschaft<br />
nicht zulässt.<br />
Der Aufnahmemitgliedsstaat sei laut EuGH zwar<br />
befugt, das innerstaatliche Recht für die Umwandlung<br />
festzulegen, jedoch verbiete es der Äquivalenzgrundsatz<br />
eine grenzüberschreitende Umwandlung<br />
anders zu behandeln als eine innerstaatliche.<br />
Die Eintragung der italienischen Gesellschaft als<br />
„Rechtsvorgängerin“ im Handelsregister dürfe<br />
nicht verweigert werden, da dies bei einer innerstaatlichen<br />
Umwandlung vorgesehen sei. Zudem<br />
sei es dem Effektivitätsgrundsatz geschuldet, dass<br />
der aufnehmende Mitgliedsstaat sich nicht weigern<br />
dürfe, den vom Herkunftsmitgliedsstaat ausgestellten<br />
Dokumenten im Verfahren zur Eintragung<br />
gebührend Rechnung zu tragen.<br />
Zwar seien bezüglich der Gründung und der Funktionsweise<br />
der Gesellschaft nationale Vorschriften<br />
anzuwenden, sodass der Mitgliedsstaat dadurch auch<br />
die Anknüpfung für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit<br />
bestimmen kann. Allerdings betreffe<br />
die Pflicht, eine Umwandlung zuzulassen diese<br />
Befugnisse nicht. Sofern nämlich eine nationale<br />
Vorschrift die Möglichkeit der Umwandlung einer<br />
innerstaatlichen Gesellschaft vorsieht, diese jedoch<br />
für eine Gesellschaft, die dem Recht eines anderen<br />
Mitgliedsstaates unterliegt, nicht erlaubt, fällt dies in<br />
den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit.<br />
Der EuGH entschied hier wiederum im Sinne
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
einer weitgehenden Mobilität für Unternehmen im<br />
Gebiet der Mitgliedsstaaten. Im obiter dictum zur<br />
Cartesio-Entscheidung aus dem Jahr 2008 (Az.:<br />
C-210/06), hatte er entschieden, dass das Recht<br />
eines Mitgliedsstaates aufgrund der Niederlassungsfreiheit<br />
die Verlegung des Verwaltungssitzes<br />
einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedsstaat<br />
zulassen muss. Mit dem nunmehrigen Urteil stellt<br />
er nun eindeutig klar, dass nicht nur die Verlegung<br />
des Verwaltungssitzes sondern auch ein grenzüberschreitender<br />
„Formwechsel“ zulässig sein muss.<br />
BGH<br />
Beschluss vom 08.03.2012 – Az.: IX ZB 178/11<br />
In seinem Beschluss vom 08.03.2012 hatte sich der<br />
BGH mit der Frage der Zulässigkeit eines Sekundärinsolvenzverfahrens<br />
beschäftigt und entschieden, dass es<br />
dafür gem. Art. 3 II EuInsVO allein darauf ankommt,<br />
ob der Schuldner eine inländische Niederlassung hat.<br />
Im zugrundeliegenden Fall war der Schuldner Notar<br />
mit Amtssitz in Nordrhein-Westfalen gewesen.<br />
Im Dezember 2008 kündigte die Gläubigerin die<br />
Geschäftsverbindung und verlangte eine Rückzahlung<br />
von über drei Millionen Euro. Mitte des Jahres 2009<br />
wurde er aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
und der Art seiner Wirtschaftsführung seines Amtes<br />
als Notar vorläufig enthoben und hierfür ein Notariatsverwalter<br />
eingesetzt. Die endgültige Amtsenthebung<br />
erfolgte dann im Januar 2011. Bereits zuvor<br />
hatte er in Birmingham (England) ein Gewerbe als<br />
Sportfotograf angemeldet. Dort wurde im Jahr 2010<br />
das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet.<br />
Die Gläubigerin beantragte die Eröffnung eines<br />
Sekundärinsolvenzverfahrens über das inländische<br />
Vermögen des Schuldners. Ihr Antrag blieb jedoch<br />
erfolglos. Seine Entscheidung begründete der erkennende<br />
Senat damit, dass der Schuldner zur Zeit der<br />
Antragstellung keine Niederlassung mehr im Inland<br />
hatte. Denn dafür sei gemäß der Legaldefinition in<br />
Art. 2 h EuInsVO eine wirtschaftliche Tätigkeit nötig,<br />
die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten<br />
voraussetze. Es sei ein Mindestmaß an Organisation<br />
und eine gewisse Stabilität erforderlich. Das reine<br />
Vorhandensein von Bankkonten oder Vermögenswerten<br />
im Inland genüge grundsätzlich nicht. Aufgrund<br />
der vorläufigen Enthebung des Schuldners und der<br />
Bestellung des Notariatsverwalters konnte und durfte<br />
der Schuldner keine Amtshandlungen als Notar mehr<br />
wahrnehmen. Infolgedessen erzielte er auch keinerlei<br />
Einkünfte mehr mit seiner Tätigkeit. Mit dieser Entscheidung,<br />
die aufgrund des eindeutigen Wortlauts<br />
des Art. 3 II EuInsVO nicht überraschend ist, macht<br />
der BGH die Unterschiede zwischen EuInsVO und<br />
den Regeln der InsO deutlich. So erklärt § 354 InsO<br />
13<br />
ein Partikularverfahren allein aufgrund des Vorhandenseins<br />
von Vermögen im Inland für zulässig.<br />
Dr. Volker Beissenhirtz, LL.M., Berlin<br />
VBeissenhirtz@schubra.de<br />
Stud. jur. Jana Lübbecke, Berlin<br />
JLuebbecke@schubra.de<br />
5 . Newsticker<br />
1. BGH zur Vorsatzanfechtung bei sog. Druckantrag<br />
Erlangt ein Gläubiger mehrere Mandate nach einem<br />
von ihm gegen den Schuldner gestellten Insolvenzantrag<br />
durch diesen Befriedigung seiner Forderung und<br />
nimmt er anschließend den Antrag zurück, kann die<br />
Vorsatzanfechtung unter dem Gesichtspunkt einer<br />
inkongruenten Deckung durchgreifen.<br />
Von einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit<br />
kann nicht ausgegangen werden, wenn sich der<br />
Schuldner durch die Befriedigung seiner gegenwärtigen<br />
Gläubiger der Mittel entäußert, die er zur Begleichung<br />
seiner künftigen, alsbald fällig werdenden Verbindlichkeiten<br />
benötigt.<br />
BGH, Urt. v. 25. Oktober 2012 – IX ZR 117/11<br />
Siehe auch Newsletter S&B vom 03.12.12,<br />
RA Dr. Dirk Pehl<br />
2. BGH zur Insolvenzanfechtung bei nahestehender<br />
Person/hier: Steuerberater<br />
Werden vor dem gesetzlichen Dreimonatszeitraum<br />
Deckungshandlungen des Insolvenzschuldners gegenüber<br />
einer ihm nahestehenden Person angefochten,<br />
braucht der Anfechtungsgegner nicht zu beweisen,<br />
dass ihm ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger<br />
zu benachteiligen, unbekannt war. Bei Prüfung dieser<br />
Kenntnis hat der Tatrichter die Nähe zum Schuldner<br />
im Vornahmezeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung<br />
aber als Indiz zu würdigen.<br />
Eine Person kann einer juristischen Person oder Gesellschaft<br />
ohne Rechtspersönlichkeit auch nahestehen,<br />
wenn ihr als freiberuflicher oder gewerblicher Dienst-
<strong>Infobrief</strong> Restrukturierung, Sanierung & Insolvenz<br />
Berlin I/<strong>2013</strong><br />
leister alle über die wirtschaftliche Lage des Auftraggebers<br />
erheblichen Daten üblicherweise im normalen<br />
Geschäftsgang zufließen, so dass sie über den gleichen<br />
Wissensvorsprung verfügt, den sonst ein mit der Aufgabe<br />
befasster leitender Angestellter des Schuldnerunternehmens<br />
hätte (ausgelagerte Buchhaltung).<br />
Ist der Anfechtungsgegner von dem Insolvenzschuldner<br />
als externer Helfer mit der Führung seiner Bücher<br />
und internen Konten beauftragt, kann er nicht als<br />
nahestehende Person angesehen werden, wenn zum<br />
Vornahmezeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung<br />
der Zufluss von Buchungsunterlagen aus dem<br />
betreuten Unternehmen länger als ein Vierteljahr<br />
stockte.<br />
BGH, Urt. v. 15. November 2012 – IX ZR 205/11<br />
3. BGH zur Haftung des <strong>GmbH</strong>-GF bei Zahlungen<br />
an Gesellschafter in der Krise<br />
Die Zahlungsunfähigkeit wird durch eine Zahlung<br />
an den Gesellschafter nicht im Sinn des § 64 Satz 3<br />
<strong>GmbH</strong>G verursacht, wenn die Gesellschaft bereits<br />
zahlungsunfähig ist.<br />
Bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach § 64<br />
Satz 3 <strong>GmbH</strong>G ist eine fällige Forderung des Gesellschafters<br />
in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen.<br />
Im Fall des § 64 Satz 3 <strong>GmbH</strong>G kann die Gesellschaft<br />
die Zahlung an den Gesellschafter verweigern.<br />
BGH, Urt. v. 9. Oktober 2012 – II ZR 298/11<br />
Siehe auch Newsletter S&B vom 13.12.12,<br />
RA Dr. Peter de Bra<br />
4. BGH zu Voraussetzungen und Erfüllungswirkung<br />
des sog. Hin- und Herzahlens im Rahmen<br />
einer Kapitalerhöhung<br />
Zahlt der Gesellschafter den Einlagebetrag (hier: aus<br />
einer Kapitalerhöhung) nach Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses<br />
ein zweites Mal an die Gesellschaft<br />
verbunden mit der Anweisung, die Zahlung an ihn<br />
zur Tilgung seiner Bereicherungsforderung aus einem<br />
ersten fehlgeschlagenen Erfüllungsversuch zurück zu<br />
überweisen, liegt darin eine verdeckte Sacheinlage in<br />
Form des Hin- und Herzahlens.<br />
BGH, Beschl. v. 10. Juli 2012 – II ZR 212/10<br />
Siehe auch Newsletter S&B vom 25.10. 12,<br />
RA Dr. Peter de Bra<br />
14<br />
5. BAG zum Wechsel zu „Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft“<br />
als Umgehung der Rechtsfolgen<br />
eines Betriebsübergangs<br />
Wechseln Arbeitnehmer durch einen dreiseitigen Vertrag<br />
vom Betriebsveräußerer zu einer Beschäftigungs-<br />
und Qualifizierungsgesellschaft, so ist diese Vereinbarung<br />
unwirksam, wenn es für den Arbeitnehmer<br />
klar erschien, dass alsbald seine Neueinstellung durch<br />
einen Betriebserwerber erfolgen werde.<br />
BAG, Urt. v. 25. Oktober 2012 – 8 AZR 572/11<br />
6. OLG Koblenz zur bewusst unwahren Behauptung<br />
der Zahlungsunfähigkeit einer Gesellschaft<br />
Wer als Gläubiger gegenüber einem Insolvenzgericht<br />
wider besseres Wissen behauptet, sein Schuldner sei<br />
zahlungsunfähig, kann sich wegen falscher Verdächtigung<br />
strafbar machen. Dies gilt auch, wenn der<br />
Schuldner eine juristische Person ist.<br />
OLG Koblenz, Urt. v. 15. Oktober 2012 – 2 Ss 68/12<br />
7. OLG Düsseldorf zur Haftung der Aufsichtsratsmitglieder<br />
wegen Zahlungen des Vorstands trotz<br />
Insolvenzreife<br />
Stellt der Aufsichtsrat fest, dass die AG insolvenzreif<br />
ist, muss er darauf hinwirken, dass der Vorstand rechtzeitig<br />
einen Insolvenzantrag stellt und keine Zahlungen<br />
leistet, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen<br />
und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht vereinbar<br />
sind; erforderlichenfalls muss er ein ihm unzuverlässig<br />
erscheinendes Vorstandsmitglied abberufen.<br />
Trotz Insolvenz sind Zahlungen zulässig, die masseneutral<br />
sind (wertdeckende Gegenleistung) oder die<br />
erbracht werden müssen, um Sanierungsbemühungen<br />
innerhalb der Frist des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO nicht<br />
von vornherein zum Scheitern zu verurteilen. Mit<br />
der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften<br />
Geschäftsleiters vereinbar sind auch Zahlungen, die<br />
zur Vermeidung sonst drohender strafrechtlicher Verfolgung<br />
geleistet werden, insbesondere an die Sozialkassen<br />
auf deren fällige Forderung.<br />
Die Gesellschaft muss im Streitfall lediglich darlegen<br />
und beweisen, dass ihr durch ein möglicherweise<br />
pflichtwidriges Verhalten des Organmitglieds ein Schaden<br />
entstanden ist. Das Aufsichtsratsmitglied muss darlegen<br />
und beweisen, dass es seine Pflicht erfüllt hat oder<br />
dass es an der Nichterfüllung kein Verschulden trifft.<br />
OLG Düsseldorf, Urt. v. 31. Mai 2012 – I-16 U 176/10<br />
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