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Heimzeitung 5-2013

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Die Porzellanmalerin<br />

von Eginhard Kranz<br />

In der kleinen Dachkammer sind die Fenster weit auf und zeigen eine<br />

Bergkulisse seltener Schönheit in herbstlichen Farben zwischen den<br />

größeren Fichtenbeständen. Ein lauer Luftzug dringt ohne Straßenlärm<br />

herein. Meine kleine Schwester – in Erinnerung damals – vielleicht als<br />

sechsjährige sitzt am Tisch, schmal dünn im Kattunkleidchen und wie ein<br />

Vorhang schiebt sich das lange blonde Haar vor das Gesicht.<br />

Der Pinsel wird mit dem kleinen schmallippigem Mund immer wieder<br />

gespitzt, geglättet. Wieder einmal soll sie eine Geburtstagskarte malen,<br />

da es daran in den frühen Nachkriegszeiten mangelt. Ein bisschen lustlos<br />

malt sie mit den einfachen Wasserfarben kleine Entchen und Kleeblätter<br />

mit feinem Strich. Zuweilen schaut sie auf die Berge und schmollt ein<br />

bisschen wie es kleine Kinder machen, wenn sie etwas nicht bekommen.<br />

Großmutters Porzellanvase steht vor ihr und beherbergt die<br />

verschiedenen Pinsel. Dabei schaut sie unentwegt auf das handgemalte<br />

mit feinem präzisem Strich aufgebrachte Blümchen, ein Vergissmeinnicht.<br />

Es sollten noch einige<br />

Jahre vergehen bis sie<br />

zur Vorstellung in der<br />

Porzellanfabrik eingeladen<br />

wurde. Sie wirkte<br />

verschlossen, wenn sie<br />

von Verwandten aufs<br />

höchste für Ihre Kartenmalerei<br />

gelobt wurde.<br />

Sie wandte sich ab und<br />

wollte darüber nichts<br />

hören. Zum Test in der<br />

Porzellanfabrik hatte sie<br />

ein Bekannter der Familie angemeldet und sie gehorchte den Eltern<br />

zunächst nur zögerlich. Sie saß mit einigen anderen Schülern, die<br />

ebenfalls den Beruf ergreifen wollten, in einer Fabrikhalle an klobigen<br />

Holztischen die über und über mit Farbe bekleckert waren. Zwei dünne<br />

Pinsel eine Farbauswahl und ein weißer Teller, der bemalt werden sollte,<br />

stand vor ihr. Als Motiv waren Blumenmuster angesagt.<br />

18<br />

Vor ihren geistigen Augen stand die vermutlich meisterlich gemalte Vase<br />

der Großmutter. Sie hörte nichts mehr und sah keine Umgebung mehr.<br />

So langsam ging die Schicht mit ihrem Lärm zurück. Die Lichter wurden<br />

ausgeschaltet. Ihre Mitbewerber hatten längst die Probeteller abgegeben.<br />

Schließlich entdeckte der Meister sie im fast dunklen Raum. Hör auf, du<br />

siehst doch nichts mehr. Er nahm ihr kurzerhand den Probeteller weg<br />

und so ging sie nach Hause in Gedanken ihres Berufes den sie<br />

sehnsüchtig ergreifen wollte.<br />

Anderen Tags bat der Direktor der Manufaktur die Eltern zum Gespräch.<br />

„Ihre Tochter scheint ein besonderes Talent zu haben“, und zeigte den<br />

erstaunten Eltern den Teller mit einem Vergissmeinnicht Blümchen, das<br />

auf dem großen Teller verloren wirkte. Kein Vermalen, ein Bild als würde<br />

das Blümchen frisch gepflückt auf dem schneeweißen Untergrund liegen.<br />

„Es hat eine ganze Zeitlang gedauert“, bemerkte der Direktor. „Doch eine<br />

meisterliche Malkunst bedarf der Zeit“.<br />

Die große Freude wurde in den nächsten Tagen zu einem nicht zu<br />

beschreibenden Jammer. Meine Schwester hatte nach einer ärztlichen<br />

Untersuchung einen Schatten auf der Lunge, der in einer<br />

Lungenheilanstalt auskuriert werden sollte. Dann kam die Ausreise in den<br />

Westen. Dort wurde sie als völlig gesund eingestuft. Einen Pinsel nahm<br />

sie lange nicht mehr in die Hand. Die Versicherungsfirma, in welcher sie<br />

unterkam, beauftragte sie mit der Ausmalung persönlicher Urkunden.<br />

Lustlos, wie damals mit ihrer Kartenmalerei, tat sie es jahrelang.<br />

Irgendwann fing sie an, ernsthafte Bilder zu malen. In einer kleinen<br />

Malschule gibt sie ihr Wissen weiter.<br />

Mit fast siebzig besuchte sie die damalige Manufaktur. Die<br />

Gegebenheiten waren den damaligen ähnlich. Die großen Fabrikfenster,<br />

die schweren Holztische. Gibt es eine Möglichkeit hier einen Teller zu<br />

bemalen, frug sie. Warum nicht. Und schon saß sie und malte ihr<br />

damaliges Muster. Als sie damit fertig war holte man den Direktor. Er sah<br />

sich das Bild genau an und ging hinaus. Zurück kam er mit einem Teller,<br />

darauf die Jahreszahl, ihr Name mit dem Vergissmeinnicht. „Ja, diesen<br />

Teller haben wir jahrzehntelang unseren Schülern gezeigt als Vorbild.<br />

Niemals später ist unseren Porzellanmalern eine solche Arbeit gelungen“.<br />

Meine Schwester, so glaube ich, hat zu diesem Zeitpunkt erst das vor<br />

langer Zeit zurückliegende schlimme Ereignis überwunden, als ihr<br />

sehnlichster Wunsch Porzellanmalerin zu werden, zunichte gemacht<br />

wurde.<br />

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