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Wer wenn nicht wir - Schulmaterial - Thimfilm

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FILMPÄDAGOGISCHE<br />

BEGLEITMATERIALIEN:


Inhalt<br />

Stab, Besetzung, Filmpädagogik .................................................................................................................................. 2<br />

Aufbau und Ziel dieser Begleitmaterialien ............................................................................................................... 2<br />

Erbe und Aufbruch: Grundsteine für den deutschen Terrorismus ...................................................................... 4<br />

Die Handlung .................................................................................................................................................................. 6<br />

Die Figuren ...................................................................................................................................................................... 6<br />

Themen und Ausblick auf Arbeitsblätter .................................................................................................................. 8<br />

Thema 1: Umbruch und Aufbruch in den 1960er-Jahren ....................................................................................... 8<br />

Thema 2: Eine Generationengeschichte ..................................................................................................................... 10<br />

Thema 3: Drei Biografien ............................................................................................................................................. 12<br />

Thema 4: Fiktionalisierung und Authentizität ......................................................................................................... 13<br />

Thema 5: Möglichkeiten des Protests ......................................................................................................................... 13<br />

Aufgabenblock 1: Umbruch und Aufbruch in den 1960er-Jahren ........................................................................ 15<br />

Aufgabenblock 2: Eine Generationengeschichte ...................................................................................................... 18<br />

Aufgabenblock 3: Drei Biografien .............................................................................................................................. 22<br />

Aufgabenblock 4: Fiktionalisierung und Authentizität .......................................................................................... 27<br />

Aufgabenblock 5: Möglichkeiten des Protests .......................................................................................................... 29<br />

Literatur und Links ........................................................................................................................................................ 31<br />

Impressum ....................................................................................................................................................................... 31<br />

3


Erbe und Aufbruch: Grundsteine für den deutschen Terrorismus<br />

Wenn es aber tatsächlich so war, dass die Bilder vom Vietnamkrieg, vom erschossenen Benno Ohnesorg, vom Attentat<br />

auf Rudi Dutschke diese Generation so politisierten – warum waren es dann <strong>nicht</strong> Zehntausende, die in den<br />

Untergrund gingen? Warum war es dann nur eine Handvoll? Das heißt, neben den Bildern und Ereignissen dieser Zeit<br />

muss es noch etwas anderes gegeben haben, was diese Handvoll in den Untergrund getrieben hat. Um das<br />

herauszufinden, muss man aber früher ansetzen und in den Familienroman der Protagonisten reingehen.<br />

Andres Veiel<br />

Gudrun Ensslin und Andreas Baader – diese Namen stehen stellvertretend für die RAF und den deutschen<br />

Terrorismus in den 1970er-Jahren. Es sind die immergleichen Bilder, die ihre Biografie darstellen. WER<br />

WENN NICHT WIR erzählt nun die Vorgeschichte der RAF – aber aus einer anderen Perspektive. Denn in<br />

diesem Spielfilm werden <strong>nicht</strong> die bekannten Bilder nachinszeniert. Stattdessen steht im Kern eine<br />

Liebesgeschichte zweier junger Menschen zu Beginn der 1960er-Jahre. Wie viele Gleichaltrige wollen sie sich<br />

<strong>nicht</strong> abfinden mit dem Schweigen über die Vergangenheit. In ihren Familien erleben sie hautnah mit, welche<br />

Fehler die Eltern gemacht haben. Ihre Namen sind Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Ihre Beziehung<br />

zerbricht, als Gudrun Ensslin einen anderen Mann kennen lernt: Andreas Baader.<br />

Indem sich Andres Veiel in seinem Film auf die persönliche Beziehungsebene konzentriert – und das<br />

Sachbuch „Vesper, Ensslin, Baader“ von Gerd Koenen als Spielfilm adaptiert – gelingt ihm ein differenziertes<br />

Portrait der Figuren, deren Motive sich <strong>nicht</strong> mehr allein über die äußeren Ereignisse der 1960er-Jahre<br />

erfassen lassen, auch <strong>wenn</strong> diese sie in ihrer Haltung bestärken. Deutlich werden vor allem die ambivalenten<br />

Generationenbeziehungen, denn Vesper, Ensslin und Baader wenden sich <strong>nicht</strong> nur von ihren Eltern ab,<br />

sondern führen auf unterschiedliche Weise deren Erbe durchaus auch fort. Kontinuität und Wandel, Distanz<br />

und Nähe – beides findet gleichzeitig statt. So zeichnet der Film keine Entwicklung nach, die nur auf diese Art<br />

und Weise stattfinden konnte. Stattdessen bleibt über weite Strecken offen, wie sich die jungen Leute<br />

entscheiden werden; ihr Weg in den Terrorismus <strong>wir</strong>kt <strong>nicht</strong> vorherbestimmt.<br />

WER WENN NICHT WIR schneidet zahlreiche unterrichtsrelevante Themenfelder an, von der deutschen<br />

Geschichte der 1960er- und 1970er-Jahre bis hin zu Generationenbeziehungen, politischen Idealen und dem<br />

Wunsch, an der Gesellschaft teilzuhaben und diese zu verändern. Der Film eignet sich insbesondere für einen<br />

Einsatz im Schulunterricht ab der 10. Klasse in den Fächern Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Ethik/Religion<br />

und Kunst.<br />

4


Eine exemplarische Übersicht über Fächerbezüge finden Sie in der folgenden Tabelle.<br />

Schulfach Thema<br />

Deutsch Analysieren und Bewerten<br />

Argumentieren<br />

Figurenanalyse<br />

Mediale Darstellungen reflektieren<br />

Filmische Gestaltungsmittel analysieren<br />

Darstellung historischer Ereignisse durch die Bildberichterstattung und Wirkungen<br />

Geschichte Bedeutende gesellschaftspolitische Ereignisse in den 1960er-Jahren<br />

Sozialkunde Demokratie<br />

68er-Bewegung – Aus<strong>wir</strong>kungen auf Alltagskultur und politische Öffentlichkeit<br />

Weltbild und Weltdeutung<br />

Generationenverhältnis<br />

Fundamentalismus und Terrorismus<br />

Rolle der Massenmedien in der Demokratie<br />

Das politische System der BRD in den 1960er-Jahren<br />

Partizipation und politisches Engagement<br />

Ethik/Religion Weltbild und Weltdeutung<br />

Menschenbilder und Lebensentwürfe<br />

Partizipation<br />

Verantwortung und Grenzen<br />

Generationenverhältnis<br />

Kunst Bildgestaltung und Bild<strong>wir</strong>kung<br />

Filmische Gestaltungsmittel<br />

Bildanalyse<br />

Darstellung historischer Ereignisse durch die Bildberichterstattung und Wirkungen<br />

Medienvergleiche: Die Darstellung der RAF in verschiedenen Filmen<br />

5


Die Handlung<br />

1961 lernen sich Bernward Vesper und Gudrun Ensslin an der Universität Tübingen kennen und verlieben<br />

sich. Der Anfang ihrer Beziehung ist geprägt von Offenheit und Experimenten – zeitweise leben sie sogar in<br />

einer Dreierbeziehung mit Dörte, einer Freundin von Gudrun. Mit dieser Abkehr der traditionellen Regeln<br />

nehmen sie bereits die sexuelle Revolution vorweg und versuchen auch, in Beziehungen nach neuen Wegen<br />

zu suchen. Unter einem Vorwand ziehen sie „in wilder Ehe“ zusammen und gründen einen Verlag. Finanzielle<br />

Unterstützung für ihre Wunschprojekte erhoffen sie sich aus einem Nebengeschäft. Denn Bernward hat<br />

seinem Vater vor dessen Tod versprochen, seine <strong>Wer</strong>ke weiter zugänglich zu machen. Dass dessen Schriften<br />

aufgrund der nationalistischen Inhalte vor allem in NS-Kreisen beliebt waren, stört weder Bernward noch<br />

Gudrun zu diesem Zeitpunkt. Keinen Grund zur Kritik haben insbesondere die Eltern von Gudrun. Schließlich<br />

war auch ihr Vater, obgleich kritisch eingestellt, kein Widerstandskämpfer.<br />

Mit dem Umzug nach Berlin geraten die beiden 1964 mitten in die linke Schriftstellerszene. Was in den<br />

folgenden Jahren um sie herum passiert, ist mehr als enttäuschend: Der Vietnamkrieg beginnt, Deutschland<br />

feiert das Wirtschaftswunder und durch die Große Koalition fehlt plötzlich auch eine politische Opposition.<br />

Zunehmend belasten unterdessen im Privaten <strong>nicht</strong> nur die anderen Frauen in Bernwards Leben, die Gudrun<br />

still duldet, ihre Partnerschaft; es zeichnen sich auch unterschiedliche Meinungen ab: Während Bernward mit<br />

politischen Schriften die Welt verändern will, will Gudrun handeln.<br />

Zum endgültigen Bruch kommt es, kurz nachdem beide ein Kind, Felix, bekommen haben. Auf einem Treffen<br />

lernt Gudrun Andreas Baader kennen, einen wilden, entschlossenen jungen Mann, der gerade aus dem<br />

Gefängnis entlassen wurde. Zuvor hat dieser in München gelebt und ist dort aufgefallen – allerdings <strong>nicht</strong> im<br />

politischen Sinne. Gudrun trennt sich schließlich von Bernward, Felix bleibt bei ihm. Trotz aller Enttäuschung<br />

hält Bernward Gudrun die Treue. Sogar als diese für zwei Kaufhausbrände in Frankfurt am Main<br />

verantwortlich gemacht <strong>wir</strong>d und ins Gefängnis muss, bleibt er mit ihr in zahlreichen Briefwechseln in<br />

Kontakt. Mit der vorübergehenden Entlassung aufgrund einer Revision trennen sich ihre Wege. Ensslin flieht<br />

mit Baader zunächst nach Paris. Als Baader nach der Rückkehr nach Deutschland erneut inhaftiert <strong>wir</strong>d,<br />

beteiligt sie sich an seiner Befreiung. Bernward lässt unterdessen seinen Sohn zurück und tritt eine Reise<br />

durch Europa an – exzessive Drogenerfahrungen inklusive. Das literarische Produkt dieses Trips jedoch <strong>wir</strong>d<br />

von seinem Verlag abgelehnt. Als er die Kontrolle über sein Leben verliert, <strong>wir</strong>d er in eine psychiatrische<br />

Klinik eingeliefert.<br />

Die Figuren<br />

Die Darstellung bezieht sich auf die Filmhandlung. Kursiv gedruckte Passagen ereignen sich vor oder nach<br />

der Handlung von WER WENN NICHT WIR.<br />

Bernward Vesper<br />

Der Sohn des Dichters Will Vesper und angehende Schriftsteller beginnt in den frühen 1960er-Jahren, den<br />

nationalistischen literarischen Nachlass des Vaters zu verlegen, obwohl er sich stark von der Ideologie seiner<br />

Eltern abgrenzt. Gleichzeitig gründet er mit seiner Verlobten Gudrun Ensslin den Verlag „studio neue<br />

literatur“ und veröffentlicht einen Sammelband, in dem berühmte Schriftsteller vor Atomwaffen mahnen. Für<br />

den Voltaire Verlag konzipiert Vesper eine politische Flugschriftenreihe, um zeitnah auf aktuelle Themen<br />

reagieren zu können. Er will die Veränderung der Gesellschaft durch eine Veränderung des Bewusstseins<br />

erreichen. Die Flugschriften machen ihn vor allem im Umfeld der APO bekannt. Nach der Geburt des<br />

gemeinsamen Sohnes Felix verlässt ihn Gudrun Ensslin. Vesper stirbt 1971 durch eine Überdosis Tabletten in<br />

einer psychiatrischen Klinik. Posthum <strong>wir</strong>d sein Roman „Die Reise“ veröffentlicht, der mittlerweile als<br />

authentisches Zeugnis der 68er-Generation gilt. Vesper rechnet darin mit seinem autoritären Vater ab und<br />

schreibt über seine Drogenexperimente.<br />

6


Gudrun Ensslin<br />

Die Tochter einer protestantischen Pfarrersfamilie machte ihr Examen als Volksschullehrerin und begann eine<br />

Promotion über den Schriftsteller Hans Henny Jahnn. Gemeinsam mit ihrem Freund und Verlobten Bernward<br />

Vesper gibt sie zunächst die nationalistischen Schriften von dessen Vater heraus und gründet zugleich mit<br />

Vesper den Verlag „studio neue literatur“. Nach der Geburt ihres Sohnes Felix lernt sie Andreas Baader<br />

kennen und geht mit diesem eine Beziehung ein. Sie lässt ihren Sohn zurück. Baader und Ensslin werden<br />

verhaftet, nachdem sie in Frankfurt am Main zwei Kaufhäuser in Brand gesteckt haben, um damit gegen die<br />

gleichgültige Haltung zum Krieg in Vietnam zu protestieren. Während einer vorübergehenden Haftentlassung<br />

taucht Ensslin mit Baader unter. Als dieser nach der Rückkehr nach Deutschland inhaftiert <strong>wir</strong>d, ist Ensslin<br />

an seiner Befreiung beteiligt. Diese gilt als Gründungsstunde der RAF. In den folgenden Jahren taucht Ensslin<br />

unter. Sie lässt sich in Jordanien zum „bewaffneten Kampf“ ausbilden, ist an Banküberfällen und<br />

Sprengstoffanschlägen beteiligt. 1972 <strong>wir</strong>d sie gefasst. 1977 <strong>wir</strong>d Ensslin erhängt in ihrer Zelle im Gefängnis<br />

Stammheim aufgefunden.<br />

Andreas Baader<br />

Andreas Baader wächst bei seiner Mutter, Großmutter und Tante in München ohne Vater auf. Dieser kämpfte<br />

als Soldat der Wehrmacht und kehrte <strong>nicht</strong> zurück. Bis zum Umzug von München nach Berlin kommt Baader<br />

bereits häufig mit dem Gesetz in Konflikt, unter anderem durch Verkehrsdelikte und Diebstähle. In Berlin lebt<br />

er in der Wohnung einer Malerehepaars in einer offenen Beziehung und <strong>wir</strong>d Vater eines Kindes. Er verliebt<br />

sich in die fast drei Jahre ältere Gudrun Ensslin, <strong>wir</strong>d nach den Kaufhausbränden in Frankfurt am Main<br />

verhaftet, flieht während einer Haftentlassung und <strong>wir</strong>d nach der Rückkehr nach Deutschland erneut gefasst.<br />

Nach seiner Befreiung gilt er als einer der Köpfe der „Baader Meinhof Bande“. Er lässt sich unter anderem mit<br />

Ensslin in Jordanien zum „bewaffneten Kampf“ ausbilden, ist an Banküberfällen und Sprengstoffanschlägen<br />

beteiligt. 1972 <strong>wir</strong>d er in Frankfurt am Main nach einem Schusswechsel festgenommen. 1977 <strong>wir</strong>d Baader in<br />

seiner Zelle im Gefängnis Stammheim erschossen aufgefunden.<br />

Will Vesper<br />

Durch seine nationalistischen Romane <strong>wir</strong>d der Schriftsteller zum Sprachrohr für das NS-Regime und sogar<br />

als Festredner für die Bücherverbrennung 1933 in Dresden ausgewählt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sinken<br />

seine Auflagen; Vesper fühlt sich verkannt. Seine Hoffnung liegt trotz strenger autoritärer Erziehung auf<br />

seinem Sohn Bernward, an dessen Talent als Schriftsteller er glaubt. Will Vesper stirbt 1962.<br />

Helmut Ensslin<br />

Der Vater von Gudrun Ensslin ist Pfarrer. Im Zweiten Weltkrieg <strong>wir</strong>d er nach einer kritischen Predigt<br />

angezeigt, später meldet er sich freiwillig zur Front. Er hält seine älteste Tochter Gudrun an, es „besser zu<br />

machen“ als er.<br />

Walter Jens und Klaus Roehler<br />

Der promovierte Literaturhistoriker lehrt an der Universität Tübingen und ist Mitglied der „Gruppe 47“, die<br />

junge deutsche Autoren fördert. Bernward Vesper und Gudrun Ensslin besuchen seine Vorlesungen.<br />

Dieter Kunzelmann<br />

Der politische Aktivist ist ein Mitglied der Kommune 1, organisiert Happenings und ist an der Herausgabe<br />

von Flugblättern beteiligt – wie jenem, in dem gefordert wurde, „knisterndes Vietnam-Gefühl“ durch<br />

brennende Kaufhäuser nach Deutschland zu bringen.<br />

Stokely Carmichael<br />

Der US-amerikanische Bürgerrechtler ist Mitglied der radikalen Black Panther Bewegung. Bernward Vesper<br />

übersetzt seine Schriften und veröffentlicht diese unter dem Titel „Black Power – Ursache des Guerilla-<br />

Kampfes in den Vereinigten Staaten“ in Deutschland.<br />

7


Themen und Ausblick auf Arbeitsblätter<br />

Thema 1: Umbruch und Aufbruch in den 1960er-Jahren<br />

Von der Kuba-Krise über den Vietnamkrieg und die Bildung der Großen Koalition bis zum Tod von Benno<br />

Ohnesorg: überall <strong>wir</strong>d in den 1960er-Jahren um Macht, Gerechtigkeit und die Zukunft der Gesellschaft<br />

gestritten – mit oder ohne Waffen. Neben den politischen Ereignissen trägt die „neue“ Pop- und Rockmusik<br />

das Lebensgefühl der jungen Leute, die sich dadurch zunehmend von den Eltern distanzieren. Deren<br />

Lebensgewohnheiten sind ohnehin <strong>nicht</strong> mehr zeitgemäß. Mehr Freiheit bedeutet <strong>nicht</strong> nur eine Loslösung<br />

aus den starren überkommenen Strukturen, aus Spießer- und Kleinbürgertum, sondern auch neue<br />

Experimente – zum Beispiel in Beziehungen. Radikal führt die Kommune 1 diese öffentlich vor – denn die<br />

Entstehung des Faschismus <strong>wir</strong>d auch in der Kleinfamilie vermutet. Die Politisierung erreicht so<br />

grundlegende Lebensgewohnheiten.<br />

WER WENN NICHT WIR greift viele Ereignisse dieser Epoche auf, ohne diese plakativ in den Vordergrund zu<br />

stellen. In den Biografien von Bernward Vesper und Gudrun Ensslin spiegelt sich vielmehr die persönliche<br />

Reaktion auf diese gesellschaftlichen Umbrüche. Zugleich <strong>wir</strong>d durch die politische Sozialisation während<br />

dieser Zeit in Verbindung mit den jeweiligen Familienstrukturen im Fall von Vesper und Ensslin auch der<br />

Grundstein für die Radikalisierung gelegt, der schließlich zur Gründung der RAF führt.<br />

Arbeitsblätter: Umbruch und Aufbruch in den 1960er-Jahren<br />

> Deutsch, Geschichte, Sozialkunde<br />

Die Aufgaben dieses Blocks eignen sich insbesondere zur Vorbereitung auf den Kinobesuch. Im Film selbst<br />

<strong>wir</strong>d der historische Kontext kaum erläutert. Sequenzen mit Archivmaterial, zum Beispiel von<br />

Atombombentests, US-amerikanischen Soldaten in Vietnam oder dem Schah-Besuch in Berlin, streifen<br />

vielmehr kursorisch den Lauf der Geschichte und vermitteln eine Orientierung über die jeweiligen<br />

Zeitumstände. Eine Einordnung dieser Ereignisse jedoch ist wichtig für ein Verständnis der Biografien von<br />

Vesper und Ensslin, die häufig – manchmal auch nur beiläufig – in Dialogen oder Handlungen darauf Bezug<br />

nehmen. Ein Einblick in die starren Regeln der Zeit – wie zum Beispiel den „Kuppeleiparagraph“, macht<br />

zudem verständlich, warum die Vermieterin der ersten gemeinsamen Wohnung von Vesper und Ensslin diese<br />

kritisch beäugt: Weil diese unverheiratet waren, hätte sich die Vermieterin strafbar gemacht.<br />

8


In einer Tabelle finden die Schüler/innen ausgewählte Daten mit (gesellschafts-)politisch relevanten<br />

Ereignissen aus dem Zeitraum von 1960 bis 1970. In einem ersten Schritt wählen sie in Kleingruppen ein<br />

Ereignis aus und recherchieren, zum Beispiel in den kostenfreien Online-Archiven des Magazins Der Spiegel<br />

oder der Wochenzeitung Die Zeit, dessen Bedeutung oder Folgen.<br />

Datum Ereignis Bedeutung oder Folgen<br />

seit 1960 Ostermärsche gegen die militärische<br />

Nutzung von Atomenergie<br />

01.04.1961 Eichmann-Prozess beginnt in<br />

Jerusalem<br />

→ allmähliche Politisierung; immer mehr Menschen<br />

nehmen an den Ostermärschen teil<br />

Einer der Hauptverantwortlichen des NS-Regimes <strong>wir</strong>d zur<br />

Rechenschaft gezogen → öffentliche Aufarbeitung des<br />

Holocausts<br />

20.06.1963 Kuba-Krise → Der Kalte Krieg droht zum Atomkrieg zu werden.<br />

20.12.1963 Auschwitz-Prozess in<br />

Frankfurt/Main beginnt (bis<br />

19.08.1965)<br />

15.03.1965 Offensive der USA gegen<br />

Nordvietnam<br />

01.12.1966 Kurt Georg Kiesinger <strong>wir</strong>d zum<br />

Bundeskanzler gewählt; Große<br />

Koalition<br />

→ öffentliche Aufarbeitung des Holocausts vor Gerichten<br />

der BRD<br />

→ Studentendemonstrationen in den USA und in Europa;<br />

kritische Haltung gegen die USA nimmt zu<br />

Kiesinger ist aufgrund seiner ehemaligen Mitgliedschaft in<br />

der NSDAP höchst umstritten; durch die Große Koalition<br />

fehlt eine handlungsfähige Opposition → die APO gewinnt<br />

an Bedeutung<br />

01.01.1967 Gründung der Kommune 1 Versuch, neue Formen des Zusammenlebens jenseits der<br />

Kleinfamilie zu erproben → „Das Private ist politisch“<br />

02.06.1967 Schah-Besuch in Berlin Tod des Studenten Benno Ohnesorg → führt zu<br />

Demonstrationen und Ausschreitungen<br />

02.04.1968 Brandanschläge auf zwei<br />

Kaufhäuser in Frankfurt/Main<br />

Reaktion auf den andauernden Krieg in Vietnam sowie<br />

Protest gegen den blinden Konsumrausch<br />

11.04.1968 Attentat auf Rudi Dutschke Attentat auf einen zentralen Vertreter der<br />

Studentenbewegung durch einen jungen Mann aus dem<br />

rechtsextremistischen Milieu → Kritik an der<br />

Berichterstattung des Springer-Verlags (Bild) wächst<br />

30.05.1968 Bundestag beschließt<br />

Notstandsgesetze<br />

Abwehr innerer und äußerer Notlagen, zum Beispiel durch<br />

den Einsatz der Bundeswehr bei Unruhen in der BRD oder<br />

die Lockerung des Briefgeheimnisses → die Rechte der<br />

Bürger/innen werden eingeschränkt<br />

14.05.1970 Baader-Befreiung → gilt gleichzeitig als Gründungszeitpunkt der RAF<br />

Bei dieser Aufgabe sollte auch <strong>Wer</strong>t auf Bildmaterial gelegt werden. Die Berichterstattung über diese<br />

Ereignisse hat <strong>nicht</strong> zuletzt zu der stetigen Politisierung beigetragen und schließlich auch die Wahrnehmung<br />

dieser Ereignisse bis heute geprägt. Es sind zudem diese „Schlüsselbilder“ – wie etwa das Foto des toten Benno<br />

Ohnesorg – die immer wieder auftauchen und als Argumente eingesetzt werden. Dieser Macht der Bilder<br />

kommt eine besondere Bedeutung zu.<br />

Die Schüler/innen stellen in ihren Kleingruppen aus ihren Ergebnissen Infotafeln zusammen und präsentieren<br />

diese im Plenum. In diesem Schritt könne auch Querverweise und Verbindungslinien zwischen den<br />

unterschiedlichen Ereignissen dargestellt werden. Nach dem Kinobesuch werden die Infotafeln durch die<br />

Darstellung des Films ergänzt. Anhand eines Drehbuchauszugs <strong>wir</strong>d zudem die fließende Einbettung<br />

historischer Ereignisse in die Filmhandlung und die Dialoge veranschaulicht. So <strong>wir</strong>kt die Nachricht, das der<br />

protestierende Student (der Name Ohnesorg <strong>wir</strong>d <strong>nicht</strong> genannt) bei einer Demonstration erschossen wurde,<br />

beispielsweise für Gudrun Ensslin verstärkend: Sie zieht eine direkte Verbindung zwischen den Soldaten der<br />

Wehrmacht, die auf die Russen geschossen haben, und den Polizisten, die heute auf die eigene junge<br />

Bevölkerung schießen: eine Schlussfolgerung, die in ihrer Wahrnehmung das Handeln immer dringlicher<br />

macht und oft als wichtiges Erlebnis in ihrer Entwicklung zur Terroristin interpretiert <strong>wir</strong>d.<br />

9


Thema 2: Eine Generationengeschichte<br />

Ein kurzer Rückblick in die Kindheit von Bernward Vesper vermittelt einen bedrückenden Eindruck vom<br />

Leben im Nachkriegsdeutschland. Der Wunsch, ein geordnetes neues Leben zu führen, ist vor allem auch in<br />

einer autoritären Erziehung und in starren Rollenbildern zu spüren. Interessant ist, dass in WER WENN<br />

NICHT WIR dennoch <strong>nicht</strong> nur erzählt <strong>wir</strong>d, wie die nachwachsende Generation sich schließlich gegen ihre<br />

Eltern auflehnt und sie für die Duldung oder Mit<strong>wir</strong>kung an den Verbrechen des NS-Regimes verantwortlich<br />

macht. Denn Bernward Vesper führt zunächst das <strong>Wer</strong>k seines Vaters fort und ist sich scheinbar <strong>nicht</strong><br />

bewusst, wofür dieses steht. Sogar Gudrun Ensslin, Tochter einer protestantischen Pfarrersfamilie, sieht erst<br />

keine moralischen Bedenken, sich mit der Herausgabe von Schriften eines „Blut und Boden“-Dichters wie<br />

Will Vesper die Grundlage für die Herausgabe weiterer, persönlich wichtiger Schriften zu verdienen. Diese<br />

Ambivalenz ist eine eher unbekannte Facette dieser Personen.<br />

Zugleich grenzt sich Gudrun Ensslin klar von ihrem Vater ab und macht ihm Vorwürfe, weil er sich im<br />

Zweiten Weltkrieg <strong>nicht</strong> aufgelehnt hat. Deutlich <strong>wir</strong>d in diesen Dialogen ihre Wut auf den Vater. Im<br />

Gegensatz zu Will Vesper jedoch, der sich als ehemaliger nationalistischer, romantisierender Dichter nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg von der Öffentlichkeit <strong>nicht</strong> mehr verstanden fühlte, sieht Helmut Ensslin sein<br />

ethisches Versagen ein – und verbindet dies mit einer Aufforderung an seine Tochter: „Du kannst es besser<br />

machen.“ Mit diesem Wissen <strong>wir</strong>d die Motivation von Gudrun Ensslin neu interpretiert: Sie soll fortführen,<br />

was ihr Vater <strong>nicht</strong> geschafft hat. Wenn Gudrun erkennt, dass es gesellschaftliche Missstände gibt, dann darf<br />

sie <strong>nicht</strong> wegsehen, sondern muss handeln.<br />

1972, als Gudrun Ensslin untergetaucht ist, <strong>wir</strong>d Helmut Ensslin in einem im Spiegel veröffentlichten Artikel<br />

versuchen, die Motive für das Abgleiten seiner Tochter und der anderen RAF-Mitglieder in den Terrorismus<br />

zu erklären:<br />

Ich vermute, daß Sie mit mir die Meinung teilen können, daß der Erfolg des damaligen SDS die einzig bedeutende und<br />

ernsthafte Bewegung der Jugend in der BRD seit 1945 war. Sie hat sich sehr sozialistisch gebärdet.<br />

Das hätte aber einer Gesellschaft dennoch mehr, als geschehen, zu denken geben müssen. Sie hätte daran das<br />

Unbequeme, aber Unumgängliche ablesen können, was alles durch restauratives Denken unbewältigt und in<br />

Schulbüchern und anderswo überschwiegen hinter der Fassade des <strong>wir</strong>tschaftlichen Aufbaus verdrängt zugrunde lag.<br />

Die Studentenbewegung proklamierte zusätzlich zum Kollegheft die Aktion als den entscheidenden Lernprozeß (was<br />

nebenbei eine uralt christliche, biblisch fundierte Erkenntnis enthält).<br />

Helmut Ensslin:<br />

All jene Eltern..., in: Der Spiegel, 21.02.1972, S.46<br />

Auch er prangert darin das Verschweigen der Schuld der Elterngeneration an. Umso deutlicher zeigt sich<br />

seine Sympathie für die Studentenbewegung und den Drang zum Handeln – die Taten der RAF allerdings<br />

rechtfertigt er <strong>nicht</strong>.<br />

Arbeitsblätter: Eine Generationengeschichte<br />

> Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Ethik/Religion, Kunst<br />

Die erste Aufgabe bezieht sich auf eine Analyse der ersten Szene von WER WENN NICHT WIR, die auf der<br />

Website zum Film unter www.wer<strong>wenn</strong><strong>nicht</strong><strong>wir</strong>-film.de abrufbar ist. Sie eignet sich gut als Einstimmung<br />

auf den Kinobesuch, weil damit bereits ein Einblick in die Erzählweise gewonnen werden kann und<br />

Erwartungshaltungen geweckt werden.<br />

Die Szene ist dem Film als Prolog vorangestellt und spielt im Mai 1949. Nachdem Bernwards Katze die<br />

Nachtigallen im Garten des Vaters gefressen hat, erschießt dieser kurzerhand die Katze. Am Abend liest er<br />

seinem zehnjährigen Sohn eine pathetische Geschichte vor, die ihm dies als Naturgesetz erklären soll: „Weißt<br />

du, Katzen gehören einfach <strong>nicht</strong> zu uns. Sie stammen aus dem Orient, sie sind die Juden unter den Tieren.“<br />

Schweigsam und nachdenklich sitzt der Sohn neben dem Vater.<br />

10


Diese Szene vermittelt durch die statischen, teils zentralperspektivischen Einstellungen (Bild 1) und die<br />

gedämpften Farben einen guten Eindruck dieser Zeit. Nichts ist in Bewegung, das rassistische Gedankengut<br />

der NS-Zeit lebt fort, die Rollenbilder sind klar verteilt. An der patriarchalen Macht des Vaters bleibt – auch<br />

an der Sitzordnung – kein Zweifel. Und noch immer kann dieser über Leben und Tod entscheiden. Die<br />

beklemmende Enge <strong>wir</strong>d durch die dunklen Räume zudem verstärkt, etwa als Bernward in seinem Zimmer<br />

kauert und von draußen der Schuss des Vaters zu hören ist (Bild 2). Am Abend schließlich, als der Vater ihm<br />

vorliest, versinkt das Wohnzimmer nahezu im Halbdunkel – es gibt viele verborgene Ecken, in die endlich ein<br />

Lichtstrahl fallen müsste; hier bleibt noch vieles unausgesprochen und im Dunklen. Dennoch <strong>wir</strong>d Bernwards<br />

Vater <strong>nicht</strong> als lieblos gezeigt. Schon bei dem Vorlesen <strong>wir</strong>d deutlich, dass er sich auch um seinen Sohn<br />

kümmert, sich um ihn sorgt und ihm die Welt erklären will – aus seiner Weltsicht. Mit dieser bedrückenden<br />

Eröffnungsszene legt der Film zugleich den Grundstein für den Charakter von Bernward, der sich seinem<br />

Vater verbunden fühlt und später sogar sein Erbe annimmt, aber auch unter der autoritären Erziehung leidet.<br />

Anhand von Fragen analysieren die Schüler/innen diese Szene und diskutieren ihre Bedeutung für den<br />

weiteren Verlauf des Films.<br />

Eine andere Art im Umgang zwischen den Generationen zeigt sich in der Szene, in der Bernward zum ersten<br />

Mal das Elternhaus von Gudrun besucht. Auch diese Szene ist auf der oben genannten Website zum Film<br />

abrufbar. Hier zeigt sich ein anderes Bild: Die Räumlichkeiten <strong>wir</strong>ken zwar ebenso eng, aber die<br />

Geschlechterrollen in der Familie sind anders verteilt. Helmut Ensslin schweigt vielmehr, während seine Frau<br />

oder Gudrun das Wort ergreifen. Als seine Tochter Gudrun ihm vorhält, Mitläufer gewesen zu sein, macht<br />

seine Körperhaltung seine Gefühle deutlich: er hält den Kopf stetig gesenkt und fühlt sich schuldig. Die<br />

Tochter übernimmt – bekleidet mit einer leuchtend roten Jacke, dem einzigen auffallenden Kleidungsstück in<br />

dieser Szene – die Rolle der Anklägerin – und verteidigt damit, paradox genug, zugleich ihre Tätigkeit als<br />

Herausgeberin der <strong>Wer</strong>ke von Will Vesper. Das Erbe, das literarische Vermächtnis, um das Bernward sich nun<br />

nach dem Tod seines Vaters kümmern muss, erweist sich sowohl als Aufgabe als auch als Last – und steht<br />

damit symbolisch für die Last der gesamten nachwachsenden Generation.<br />

In einer Tabelle stellen die Schüler/innen die Haltungen von Vesper, Ensslin und Baader zu ihren Eltern<br />

stichpunktartig dar. In dieser Aufgabe kommt es einerseits darauf an, die ambivalenten Verhaltensweisen<br />

deutlich zu machen, andererseits die – im Falle von Ensslin und Baader – von den Eltern übertragenen<br />

Aufgabe, „es besser zu machen“.<br />

11


Thema 3: Drei Biografien<br />

Drei Biografien stehen in WER WENN NICHT WIR im Mittelpunkt: Bernward Vesper, Gudrun Ensslin und<br />

Andreas Baader. Der Film nimmt die Liebesgeschichte als Ausgangspunkt, um von ihrer allmählichen<br />

persönlichen und politischen Radikalisierung zu erzählen. Dabei bleibt er immer nahe an den Personen, zeigt<br />

ihre Entwicklung und verzichtet auf die Inszenierung großer Ereignisse – wie sie etwa in der Verfilmung von<br />

Stefan Austs Sachbuch DER BAADER MEINHOF KOMPLEX (2008) durch Uli Edel dargestellt werden. Die<br />

folgenden Arbeitsaufgaben regen zu einem Vergleich zwischen den realen Lebensläufen und der Darstellung<br />

der Personen im Film an.<br />

Arbeitsblätter: Drei Biografien<br />

> Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Kunst<br />

Die Schüler/innen bilden drei Gruppen, die sich je mit einer der drei Hauptfiguren beschäftigen. Jede Gruppe<br />

stellt zunächst in einem Dreischritt die Entwicklung der Person im Film dar und notiert „Stationen“, die im<br />

Film als biografisch relevant interpretiert werden. Die Schüler/innen charakterisieren die Figuren mit<br />

(sinngemäßen) Zitaten aus dem Film, stellen so ihre Veränderung im Laufe der Handlung dar und ergänzen<br />

diese Kurzportraits durch ein geeignetes Foto aus dem Film, das sie auswählen. Diese Strukturierung<br />

veranschaulicht die dramaturgische Entwicklung der Figur.<br />

In einem zweiten Schritt werden die aus dem Film abgeleiteten Portraits mit Originalquellen abgeglichen.<br />

Hier bietet sich wie in Aufgabenblock 1 eine Recherche in den Online-Archiven von Der Spiegel oder Die Zeit<br />

an. Bei einer intensiveren Beschäftigung oder im Rahmen eines Projektunterrichts kann auch auf das<br />

Sachbuch „Vesper, Ensslin, Baader“ von Gerd Koenen zurückgegriffen werden, das als Vorlage für das<br />

Drehbuch diente.<br />

Im Anschluss werden die Ergebnisse verglichen. Der Schwerpunkt sollte auf der Angemessenheit der<br />

filmischen Darstellung und der dramaturgischen Interpretation des Films liegen. In diesem Zusammenhang<br />

bieten sich auch Medienvergleiche an, zum Beispiel mit der Darstellung von Andreas Baader und Gudrun<br />

Ensslin in DER BAADER MEINHOF KOMPLEX.<br />

12


Thema 4: Fiktionalisierung und Authentizität<br />

Bislang arbeitete der Regisseur Andres Veiel vor allem als Dokumentarfilmer (BLACK BOX BRD, DIE<br />

SPIELWÜTIGEN). WER WENN NICHT WIR ist sein erster Spielfilm. In der Inszenierung treffen sich nun<br />

beide Ansätze. So unterbricht er die Spielfilmhandlung immer wieder durch Sequenzen mit (teils<br />

ungewöhnlichen) dokumentarischen Aufnahmen, die zum einen den Realitätsbezug herstellen und zum<br />

anderen die Rahmenbedingungen für die Veränderungen der Hauptfiguren bilden. Doch dieses<br />

Archivmaterial <strong>wir</strong>d <strong>nicht</strong> unkommentiert im Originalzustand gezeigt. Veiel unterlegt es mit bekannten Pop-<br />

und Rockliedern der damaligen Zeit und verleiht diesen dadurch eine andere Wirkung.<br />

Oft fällt der textliche Bezug zu den dargestellten Szenen auf wie etwa bei „Summer in the city“ von The<br />

Lovin' Spoonful zu den Bildern des Schah-Besuchs in Berlin im Juni 1967 – auch <strong>wenn</strong> die Texte durch die<br />

Bilder einen anderen Sinn erhalten. Insgesamt <strong>wir</strong>kt der Musikeinsatz kontrastiv, <strong>wenn</strong> die Bilder von<br />

dramatischen Ereignissen auf ausgelassen-fröhliche Musik oder neutrale Bilder auf romantisierende Musik<br />

treffen. So irritiert die Kombination von Archivmaterial und bekannten Liedern und fällt daher auf: Es<br />

entsteht etwas Neues – obwohl die Bilder in der Realität verwurzelt (und zum Teil sogar bekannt) sind.<br />

Arbeitsblätter: Fiktionalisierung und Authentizität<br />

> Deutsch, Kunst<br />

In diesen Arbeitsaufgaben beschäftigen sich die Schüler/innen mit der Wirkung von Filmmusik. Zunächst<br />

sehen sie sich die Vorspannszene des Film, die direkt auf den oben erwähnten Prolog folgt und ebenfalls auf<br />

der Website zum Film abrufbar ist, ohne Ton an. Sie äußern ihre Erwartungshaltung an die musikalische<br />

Untermalung und überprüfen diese im Anschluss. Auch bei dieser Szene ergibt sich eine ironisierende<br />

Wirkung: Patsy Clines „I fall to pieces“ <strong>wir</strong>d mit Aufnahmen von Atombombentests kombiniert; auch hier<br />

„geht etwas zu Bruch“. Die Schüler/innen beschreiben danach die Wirkung ausgewählter Musikstücke zu<br />

bestimmen Szenen in WER WENN NICHT WIR und diskutieren in Kleingruppen, wie sich diese durch<br />

alternative Lieder oder einen anderen Musikstil verändern würde.<br />

Eine besondere Bedeutung kommt in der Vorspannsequenz dem letzten Bild zu: Ein Atompilz ist zu sehen.<br />

Über diesen <strong>wir</strong>d der Filmtitel eingeblendet. Anhand eines Standfotos analysieren die Schüler/innen diese<br />

Bildgestaltung und überlegen, welche Erwartungshaltung der Film dadurch weckt. So nimmt diese<br />

Verbindung von Text und Bild bereits symbolisch die Sprengstoffanschläge der späteren RAF vorweg. Die<br />

rhetorische Frage „<strong>Wer</strong>, <strong>wenn</strong> <strong>nicht</strong> <strong>wir</strong>?“ stellt damit den Ausgangspunkt dar; die Explosion den Endpunkt.<br />

Thema 5: Möglichkeiten des Protests<br />

WER WENN NICHT WIR spielt in einer Zeit der Veränderungen, in der um die Zukunft der Gesellschaft<br />

gestritten <strong>wir</strong>d. Und darum, wie diese erreicht werden soll. Mit ihrer kritischen Haltung treffen die<br />

Protagonisten/innen des Films noch immer einen Nerv – und sprechen damit die Lebenserfahrung von<br />

Jugendlichen an. Dazu zählt zum einen die Aufgabe, sich von den Eltern zu lösen – was meist auch mit einer<br />

Ablehnung oder Kritik von deren Lebensgestaltung verbunden ist – und einen eigenen Weg zu finden, aber<br />

auch das Interesse, die Welt zu verändern. Dies treibt auch die Protagonisten/innen des Films an: Sie wollen<br />

<strong>nicht</strong> länger nur passiv sein, sondern mitgestalten. Nicht nur der persönliche Profit ist ihnen dabei wichtig,<br />

sondern gleich die Verbesserung der gesamten Welt.<br />

Bereits der Filmtitel drückt die Notwendigkeit zum Handeln aus und spricht die Zuschauer/innen direkt an –<br />

und macht sie durch die „Wir“-Form zugleich zu Komplizen. Die Schreibweise ohne Satzzeichen ist dabei eine<br />

künstlerische Entscheidung gegen eine korrekte Grammatik. „Wir haben uns gesagt, dass nach dem 'wer'<br />

keine Unterbrechung sein soll. Der Film erzählt von einem unbedingten Aufbruch, von Bernward Vesper und<br />

Gudrun Ensslin, die ganz viel wollen. Politisch, persönlich. Da stört so ein Komma. Deshalb auch kein<br />

Fragezeichen“, so der Regisseur Andres Veiel. Sicherlich: der Weg, den Vesper, Ensslin und Baader schließlich<br />

einschlagen, überschreitet Grenzen und ist – im Falle von Ensslin und Baader – moralisch keineswegs zu<br />

rechtfertigen. Zum Nachdenken regt allerdings ihre Haltung vor dem Abgleiten in den Terror an.<br />

13


Interessant ist WER WENN NICHT WIR auch, weil er lange Zeit offen hält, welchen Weg die<br />

Protagonisten/innen einschlagen werden. Daher steht nur das Jahrzehnt vor der Gründung der RAF im<br />

Mittelpunkt des Films – und damit die Jahre, in denen der Grundstein gelegt <strong>wir</strong>d für die Entwicklung einiger<br />

zu Terroristen/innen. Zunächst aber fordern Vesper und Ensslin nur in ihrer privaten Lebensführung die<br />

bisherigen Regeln heraus, ziehen unverheiratet zusammen, obwohl dies verpönt ist, sehen ihre Beziehung<br />

<strong>nicht</strong> als starre, geschlossene Struktur. Dass <strong>nicht</strong> jedes Experiment glückt, merken die beiden unmittelbar –<br />

etwa <strong>wenn</strong> die offene Beziehung und Bernwards zahlreiche Seitensprünge von seiner Partnerin <strong>nicht</strong> mehr<br />

ertragen werden können. Der Protest gegen die anerkannten Lebensweisen zeigt sich so zunächst im Kleinen<br />

– und <strong>wir</strong>d erst danach auf die Gesellschaft übertragen.<br />

Auch die Auseinandersetzung um die „richtige“ Methode zur Veränderung der Gesellschaft <strong>wir</strong>d in WER<br />

WENN NICHT WIR <strong>nicht</strong> auf eine abstrakte Ebene verlagert, sondern findet sich vielmehr konkret in der<br />

persönlichen Beziehung wider. Vesper und Baader vertreten dabei höchst unterschiedliche Ansichten:<br />

Während Vesper die Möglichkeiten der Literatur hervorhebt und darüber das Bewusstsein verändern will,<br />

will Baader handeln – und zwar aggressiv und unmissverständlich. Obwohl Ensslin zwischen den beiden<br />

Männern steht, folgt sie <strong>nicht</strong> blind deren Meinungen. Ihre Rolle darf keineswegs als passive Mitläuferin<br />

interpretiert werden. Der Wille zum Handeln zeigt sich auch bei ihr schon früh (in der Beziehung mit Vesper).<br />

Die Begegnung mit Baader macht diese Option des gewaltsamen Widerstands hingegen plötzlich aktuell und<br />

umsetzbar.<br />

Andres Veiel begründet seine Interpretation der Rolle von Ensslin wie folgt:<br />

Ich glaube, sie war jemand, die die Dinge intellektuell durchdringen konnte, aber einen ungeheuren Selbstzweifel hatte,<br />

woher auch immer. Sie brauchte jemanden, der diesen Zweifel konterkariert durch Unbedingtheit. Dieses Amalgam aus<br />

Skrupellosigkeit und intellektueller Schärfe war das zündende Gemisch für die gemeinsame Radikalisierung von<br />

Gudrun und Andreas. Beides für sich allein hätte <strong>nicht</strong> gezündet. Vorher bei Bernward war es die Unbedingtheit des<br />

Verlagsprojektes. Gudrun hätte das intellektuelle und auch das organisatorische Potential gehabt, zu führen, aber im<br />

entscheidenden Moment spricht sie sich die Legitimation ab. Und an dieser Stelle braucht es den Mann, der die Dinge<br />

vorantreibt.<br />

Arbeitsblätter: Möglichkeiten des Protests<br />

> Deutsch, Sozialkunde, Ethik/Religion<br />

Andres Veiel<br />

Eine Drehbuchszene aus WER WENN NICHT WIR zeigt in einem knappen Dialog exemplarisch die<br />

unterschiedlichen Einstellungen von Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Anhand dieser Szene stellen die<br />

Schüler/innen diese Ansichten und die sich daraus ableitenden Handlungsoptionen dar, recherchieren, wie<br />

diese später tatsächlich von Vesper und Ensslin umgesetzt wurden, und beurteilen, welche Protestform in<br />

welchem Maße vertretbar ist. Mit dem Einfluss von Vesper und Baader auf Ensslin setzen sie sich in der<br />

folgenden Aufgabe auseinander: Zwei Zitate verdeutlichen die gegensätzlichen Ansätze der beiden Männer.<br />

Interessant ist dabei die Frage, inwieweit diese Dreieckskonstellation auch den Radikalisierungsprozess<br />

verstärkt haben könnte.<br />

In einem kurzen freien Text versuchen die Schüler/innen, die aktuelle Bedeutung von WER WENN NICHT<br />

WIR zu erarbeiten. In dieser Aufgabe geht es <strong>nicht</strong> mehr um die konkrete Vorgeschichte der RAF, sondern<br />

vielmehr um Auslöser für gesellschaftliche Veränderungen. Dabei kann zum Beispiel auf problematische<br />

Entwicklungen in der Gegenwart eingegangen werden, aber auch auf Proteste, in denen mehr demokratische<br />

Entscheidungen und Bürgerbeteiligung eingefordert werden.<br />

14


Aufgabenblock 1: Umbruch und Aufbruch in den 1960er-Jahren<br />

Vor dem Kinobesuch: Die 1960er-Jahre<br />

In der folgenden Tabelle finden Sie ausgewählte (gesellschafts-)politisch relevante Ereignisse zwischen 1960<br />

und 1970.<br />

Datum Ereignis<br />

seit 1960 Ostermärsche gegen die militärische Nutzung von Atomenergie<br />

01.04.1961 Eichmann-Prozess beginnt in Jerusalem<br />

20.06.1963 Kuba-Krise<br />

20.12.1963 Auschwitz-Prozess in Frankfurt/Main beginnt (bis 19.08.1965)<br />

15.03.1965 Offensive der USA gegen Nordvietnam<br />

01.12.1966 Kurt Georg Kiesinger <strong>wir</strong>d zum Bundeskanzler gewählt; Große Koalition<br />

01.01.1967 Gründung der Kommune 1<br />

02.06.1967 Schah-Besuch in Berlin<br />

02.04.1968 Brandanschläge auf zwei Kaufhäuser in Frankfurt/Main<br />

11.04.1968 Attentat auf Rudi Dutschke<br />

30.05.1968 Bundestag beschließt Notstandsgesetze<br />

14.05.1970 Baader-Befreiung<br />

Wählen Sie in Kleingruppen je ein Ereignis aus, das Sie interessiert.<br />

• Recherchieren Sie in Archivquellen und erstellen Sie eine Infotafel über das Ereignis. Gehen Sie dabei<br />

auf die Bedeutung und die Folgen des Ereignisses ein.<br />

• Recherchieren Sie dabei auch nach „Schlüsselbildern“ dieses Ereignisses – nach Bildern die die<br />

Wahrnehmung in der Öffentlichkeit geprägt haben (und bis heute prägen). Ergänzen Sie damit –<br />

<strong>wenn</strong> möglich – Ihre Infotafel. Diskutieren Sie über die Bedeutung, die der Berichterstattung für das<br />

Ereignis wahrscheinlich zukam.<br />

• Stellen Sie Ihre Ergebnisse im Plenum vor. Stellen Sie im Anschluss Zusammenhänge zwischen den<br />

Ereignissen Ihrer Infotafeln her.<br />

Hinweis für die Recherche:<br />

Ausführliche Berichte finden Sie zum Beispiel in den kostenfreien Online-Archiven des Magazins Der Spiegel<br />

oder der Wochenzeitung Die Zeit, weitere Informationen und Bildmaterial zum Beispiel auf der Website des<br />

Deutschen Historischen Museums.<br />

15


Nach dem Kinobesuch: Schlüsselmomente<br />

Im Folgenden finden Sie einen Drehbuchauszug aus WER WENN NICHT WIR.<br />

• Auf welches Ereignis nimmt diese Szene Bezug? Stellen Sie an diesem Auszug dar, wie der Film WER<br />

WENN NICHT WIR bedeutsame Ereignisse in die Handlung um Vepser, Ensslin und Baader<br />

aufnimmt.<br />

• Erläutern Sie, welche Rolle der Film dem in der Drehbuchszene angesprochenen Ereignis für die<br />

Veränderung von Vesper und Ensslin zuschreibt.<br />

• Überlegen Sie sich in Kleingruppen eine alternative Szene, wie das Ereignis in WER WENN NICHT<br />

WIR aufgegriffen werden könnte. Stellen Sie Ihre Entwürfe im Plenum vor und diskutieren Sie deren<br />

mögliche Wirkungen.<br />

100 INNEN. WOHNUNG FRITSCHESTR. / ZIMMER GUDRUN (JUNI 1967) - TAG<br />

RUTH wickelt FELIX auf dem ebenerdigen Bett, GUDRUN beobachtet RUTH dabei und hilft ab und zu. Im Hintergrund<br />

trägt BERNWARD eine Umzugskiste in sein Zimmer.<br />

GUDRUN nickt stumm.<br />

GUDRUN reicht RUTH eine Creme.<br />

RUTH:<br />

(zu FELIX)<br />

Na, was sagste zu deinem Kindermädchen?<br />

GUDRUN:<br />

Wird schon noch Zeit für was anderes<br />

bleiben. Hast ja schließlich Ferien.<br />

RUTH:<br />

Papa hat gesagt, ich soll dafür sorgen,<br />

dass du deine Arbeit schreibst.<br />

GUDRUN:<br />

(hart)<br />

Seit wann nimmst du denn den ernst?!<br />

RUTH:<br />

Ist der jetzt eigentlich tot, der<br />

Student?<br />

RUTH: (WEITER)<br />

Vielleicht wollte der Polizist den gar<br />

<strong>nicht</strong> erschießen.<br />

GUDRUN:<br />

Ruhig dick auftragen. (nach einer Pause)<br />

Ich hab in die Gesichter von denen<br />

geschaut. Die hassen uns. Und was man<br />

hasst, das bringt man um. Das haben sie<br />

gelernt.<br />

Alle?<br />

RUTH:<br />

16


GUDRUN nickt.<br />

____________________<br />

GUDRUN:<br />

Früher hat man auf Russen geschossen.<br />

Heute schießen sie auf uns.<br />

RUTH:<br />

Aber viele würden so was nie tun. Papa<br />

zum Beispiel.<br />

GUDRUN:<br />

Der hat erkannt, dass es <strong>nicht</strong> richtig<br />

ist. Und trotzdem hat er als Soldat<br />

gekämpft. Das ist noch schlimmer. Und<br />

den Vorwurf will ich mir <strong>nicht</strong> mehr<br />

machen lassen.<br />

RUTH:<br />

Etwas erkennen und dann trotzdem <strong>nicht</strong>s<br />

tun?<br />

Auszug aus dem Drehbuch zu WER WENN NICHT WIR von Andres Veiel<br />

(Drehfassung vom 7. April 2010)<br />

Anmerkungen zum Aufbau eines Drehbuchs<br />

Die Zahl untergliedert das Drehbuch in Szenen. Diese werden auch „Bilder“ genannt. Diese Beispielszene ist „Bild 100“.<br />

Daneben steht in Großbuchstaben die so genannte Szenenüberschrift mit dem Schauplatz der Szene. Rechts am Rand<br />

stehen, ebenfalls in Großbuchstaben, weitere Angaben zu Schauplatz und Tageszeit. Unterschieden <strong>wir</strong>d zwischen<br />

INNEN und AUSSEN, also ob Szenen innerhalb oder außerhalb eines Gebäudes spielen. Bei Tageszeiten <strong>wir</strong>d in der<br />

Regel nur untergliedert in TAG und NACHT.<br />

Unter der Szenenüberschrift folgen ausführlichere Ortsbeschreibungen und Handlungsanweisungen für die Figuren.<br />

Diese werden in der Gegenwart formuliert. Manchmal werden dort auch Kamerabewegungen beschrieben.<br />

Die Dialoge stehen in der Mitte einer Seite. Der Name der sprechenden Personen <strong>wir</strong>d in Großbuchstaben geschrieben.<br />

Manchmal <strong>wir</strong>d der Text durch so genannte Dialog- oder Regieanweisungen ergänzt, zum Beispiel, <strong>wenn</strong> jemand laut<br />

oder leise sprechen soll.<br />

17


Aufgabenblock 2: Eine Generationengeschichte<br />

Vorbereitung auf den Kinobesuch<br />

Auf der Website zum Film unter www.wer<strong>wenn</strong><strong>nicht</strong><strong>wir</strong>-film.de ist die erste Szene von WER WENN NICHT<br />

WIR abrufbar.<br />

In dieser Szene <strong>wir</strong>d der spätere Protagonist des Films, Bernward Vesper, als zehnjähriger Junge vorgestellt.<br />

Sehen Sie sich die Szene bis zum Beginn des Vorspanns an.<br />

• Beschreiben Sie die drei Figuren, die in dieser Szene vorkommen. Was erfahren Sie über ihre<br />

Haltungen und Beziehungen zu einander?<br />

• Was erfahren Sie in dieser Szene über Geisteshaltungen, Familienstrukturen sowie das Verhältnis von<br />

Eltern und Kindern im Jahr 1949 in Deutschland?<br />

• Wie werden diese Zeitumstände in den Bildern gespiegelt? Beschreiben Sie die Stimmung dieser<br />

Eröffnungsszene und gehen Sie dabei insbesondere auf die Bildgestaltung ein:<br />

◦ Welche Wirkung hat es, dass Bernward in Szenenfoto 1 zentral und hinter einem Tisch zu sehen<br />

ist?<br />

◦ Welche Wirkung hat der Einsatz von Licht und Schatten in den Szenenfotos 2 und 3?<br />

• Nach dem Vorspann springt der Film ins Jahr 1961. Wie <strong>wir</strong>d sich Bernward Ihrer Meinung nach als<br />

junger Mann seinem Vater gegenüber verhalten? Welchen Einfluss könnten Erlebnisse wie die in<br />

dieser Szene geschilderten auf den jungen Mann gehabt haben?<br />

Nach dem Kinobesuch<br />

• Inwiefern war diese Szene wichtig für die Handlung des Films? Begründen Sie Ihre<br />

Meinung.<br />

1<br />

18


Das Erbe<br />

Auf der Website zum Film unter www.wer<strong>wenn</strong><strong>nicht</strong><strong>wir</strong>-film.de ist auch die Szene abrufbar, die den ersten<br />

Besuch von Bernward bei Familie Ensslin zeigt.<br />

2<br />

3<br />

• Vergleichen Sie die Familiensituation beim Essen in dieser Szene mit der Eröffnungsszene. Welche<br />

Ähnlichkeiten, welche Unterschiede stellen sie fest? Gehen Sie wie in der Analyse der<br />

Eröffnungsszene auch hier auf die Bildgestaltung ein.<br />

• Welche Rolle spielt Helmut Ensslin, der Vater von Gudrun, in dieser Szene? Gehen Sie dabei auf die<br />

Szenenbilder ein. Welches Verhältnis zu den Verbrechen der Nationalsozialisten verkörpert Helmut<br />

Ensslin?<br />

• Achten Sie auf die Kleidung von Gudrun Ensslin. Was fällt Ihnen auf?<br />

• Welches Verhältnis nimmt Bernward Vesper in dieser Szene zu seinem Vater ein? Wie positioniert<br />

sich Gudrun Ensslin gegenüber ihrem Vater? Welche Aufgaben leiten Bernward und Gudrun daraus<br />

für sich ab?<br />

• Welche Bedeutung hat Bernwards Aussage „Ich muss mich jetzt um alles kümmern: Erbe, Bücher“<br />

zum einen in dieser Szene, zum anderen für den gesamten Film?<br />

19


1<br />

2<br />

3<br />

20


Ablehnung und Fortführung<br />

Ablehnung der Elterngeneration oder Fortführung? – Welche Verhaltensweise übernimmt die nachwachsende<br />

Generation in WER WENN NICHT WIR für sich?<br />

Bernward Vesper<br />

Gudrun Ensslin<br />

Andreas Baader<br />

Ablehnung<br />

21<br />

◀▶<br />

Fortführung


Aufgabenblock 3: Drei Biografien<br />

Die Hauptfiguren im Kontext des Films und in historischen Quellen<br />

Dieser Aufgabenblock konzentriert sich auf die Entwicklung der drei zentralen Figuren aus WER WENN<br />

NICHT WIR: Bernward Vesper, Gudrun Ensslin und Andreas Baader.<br />

Bilden Sie drei Gruppen, die sich jeweils mit einer dieser Hauptfiguren beschäftigen. Bearbeiten Sie in jeder<br />

Gruppe die folgenden Aufgaben:<br />

Aufgabe 1: Die Entwicklung der Figuren in WER WENN NICHT WIR<br />

• Stellen Sie die Entwicklung der Figur anhand von drei Schritten dar:<br />

• Darstellung der Figur zu Beginn des Films<br />

• Veränderung der Figur im Laufe des Films<br />

• Darstellung der Figur gegen Ende des Films<br />

• Skizzieren Sie im Film angerissene biografische „Stationen“ in diesen Phasen anhand von<br />

Stichworten. Beziehen Sie sich dabei auf konkrete Filmszenen.<br />

• Schreiben Sie zu jeder Phase ein (sinngemäßes) Zitat aus dem Film, das die Haltung der Figur zu<br />

diesem Zeitpunkt besonders gut spiegelt. Dieses sollte aus der Perspektive der jeweiligen Person<br />

formuliert sein.<br />

• Wählen Sie ein Foto aus dem Pressesatz von WER WENN NICHT WIR aus, das die Figur Ihrer<br />

Meinung nach treffend charakterisiert (siehe Bildergalerie). Begründen Sie Ihre Auswahl in<br />

Stichworten.<br />

WER WENN NICHT WIR – Auswahl aus dem Presse-Fotosatz<br />

1 2<br />

3 4<br />

22


5 6<br />

7 8<br />

9<br />

11 12<br />

Anmerkung zu den Pressefotos:<br />

Pressefotos werden von einem Fotografen bei den Dreharbeiten geschossen. Die Fotos entsprechen daher weder exakt<br />

dem Bildausschnitt noch dem Moment, der tatsächlich im Film zu sehen ist.<br />

23<br />

10


Aufgabe 2: Vesper, Ensslin und Baader in historischen Quellen<br />

Recherchieren Sie die Darstellung der Person in historischen Quellen.<br />

• Notieren Sie in Stichpunkten, was Sie darin über die Haltung der Person zu der jeweiligen Zeit<br />

erfahren können.<br />

• Wählen Sie – falls möglich – ein aussagekräftiges Zitat der Person aus.<br />

• Ergänzen Sie Ihre Darstellung durch ein Foto der Person.<br />

Hinweis für die Recherche:<br />

Ausführliche Berichte finden Sie zum Beispiel in den kostenfreien Online-Archiven des Magazins Der Spiegel<br />

oder der Wochenzeitung Die Zeit, weitere Informationen und Bildmaterial zum Beispiel auf der Website des<br />

Deutschen Historischen Museums. Einen direkten Vergleich zum Film bietet vor allem das Sachbuch „Vesper,<br />

Ensslin, Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus“ von Gerd Koenen aus dem Jahr 2005, das als Grundlage<br />

für das Drehbuch diente.<br />

Aufgabe 3: Vergleich zwischen Film und Archivmaterial<br />

Stellen Sie die Ergebnisse Ihrer Gruppen im Plenum vor.<br />

• Diskutieren Sie gemeinsam, welche Ähnlichkeiten oder Abweichungen zwischen Filmbiografie und<br />

historischer Biografie Sie erkennen konnten und wie der Film die Entwicklung verdichtet.<br />

• Beurteilen Sie die Darstellung von Bernward Vesper, Gudrun Ensslin und Andreas Baader in WER<br />

WENN NICHT WIR.<br />

Medienvergleich<br />

Im Jahr 2008 wurde mit DER BAADER MEINHOF KOMPLEX das gleichnamige Sachbuch von Stefan Aust als<br />

Spielfilm verfilmt. Vergleichen Sie die Darstellung von Andreas Baader und Gudrun Ensslin in diesem Film<br />

mit WER WENN NICHT WIR.<br />

• Wie nähern sich die Regisseure Andres Veiel (WER WENN NICHT WIR) und Uli Edel (DER<br />

BAADER MEINHOF KOMPLEX) diesen historischen Figuren?<br />

• Welche Charaktereigenschaften werden betont und wie <strong>wir</strong>kt diese Darstellung auf Sie?<br />

• Welche Darstellung halten Sie für angemessener? Begründen Sie Ihre Meinung.<br />

24


Arbeitsblatt: Die Darstellung der Entwicklung von Vesper, Ensslin und Baader im Film und in historischen Quellen<br />

Person: _________________________________<br />

Filmhandlung 1961 |-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------> 1971<br />

Historische Quellen


Figuren-Cluster<br />

Stellen Sie die Beziehungen der nachfolgend genannten Personen, die in WER WENN NICHT WIR eine Rolle<br />

spielen, in einem Schaubild dar. Erläutern Sie die Beziehungen zwischen den Personen und/oder Gruppen<br />

durch Pfeile. Verwenden Sie rote Pfeile, um Konflikte, grüne Pfeile, um Gemeinsamkeiten darzustellen.<br />

Will Vesper Ruth Ensslin Walter Jens<br />

Bernward Vesper Helmut Ensslin Dieter Kunzelmann<br />

Gudrun Ensslin Andreas Baader Stokely Carmichael<br />

26


Aufgabenblock 4: Fiktionalisierung und Authentizität<br />

Die Titelsequenz: Archivmaterial und Musik<br />

Auf der Website zum Film unter www.wer<strong>wenn</strong><strong>nicht</strong><strong>wir</strong>-film.de ist die erste Szene von WER WENN NICHT<br />

WIR abrufbar.<br />

Nach dem Prolog, der ein prägendes Erlebnis aus der Kindheit von Bernward Vesper im Mai 1949 zeigt, folgt<br />

der Vorspann (ab 3:25). Sehen Sie sich diese Szene zunächst ohne Ton an.<br />

• Welches Ereignis <strong>wir</strong>d in diesem Archivmaterial dargestellt?<br />

• Welche Musik würde Ihrer Meinung nach zu dieser Szene passen? Schlagen Sie eine Stilrichtung oder<br />

Musikstimmung vor. Beschreiben Sie deren Wirkung und begründen Sie Ihre Wahl.<br />

Sehen Sie sich die Szene nun mit Ton an.<br />

• Welche Wirkung ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Archivmaterial und Musik?<br />

• Für wie angemessen halten Sie diese Kombination?<br />

• Welche Erzählhaltung lässt diese Musikauswahl für den kommenden Film erwarten?<br />

Bild – Text – Erwartung<br />

Auf dem folgenden Standfoto aus WER WENN NICHT WIR sehen Sie die Einblendung des Titels.<br />

• Welches Licht <strong>wir</strong>ft die Wahl dieses Bilds für die Einblendung des Titels auf die Handlung sowie die<br />

Aussage des Films?<br />

• Welches andere Motiv würde Ihrer Meinung nach gut zu der Titeleinblendung passen? Gehen Sie<br />

davon aus, dass dieses bereits die Handlung des Films kommentieren soll. Entwerfen Sie eine Skizze,<br />

stellen Sie diese vor und begründen Sie Ihre Wahl.<br />

27


Arbeitsblatt: Musik und Wirkung<br />

In der folgenden Tabelle finden Sie weitere Beispiele zum Musikeinsatz in WER WENN NICHT WIR.<br />

• Erläutern Sie in Stichworten den Bezug der Musik zu den Bildern des Archivmaterials.<br />

• Schlagen Sie in Kleingruppen alternative Lieder (oder Musikstile) für die jeweiligen Szenen vor. Begründen Sie Ihre Auswahl und erläutern Sie die Wirkung,<br />

die Sie damit erreichen möchten.<br />

Ereignis/Filmhandlung Musik Bezug und Wirkung<br />

Archivmaterial: Atombombentests Patsy Cline:<br />

I fall to pieces<br />

Archivmaterial: Kubakrise Booker T & The MGs:<br />

Green onions<br />

Bernward, Gudrun und Dörte gehen<br />

eine Dreierbeziehung ein<br />

Bernward und Gudrun fahren nach<br />

Berlin; Darstellung der geteilten Stadt<br />

Berlin; Kennedy-Rede „Ich bin ein<br />

Berliner“<br />

Archivmaterial: Vietnam; Napalm-<br />

Angriffe<br />

Archivmaterial: Schah-Besuch 1967 in<br />

Berlin; der Student Benno Ohnesorg<br />

<strong>wir</strong>d erschossen<br />

Python Lee Jackson:<br />

In a broken dream<br />

Spencer Davis Group:<br />

Keep on running<br />

Sam the Sham and The Pharaos:<br />

Wooly Bully<br />

The Lovin' Spoonful:<br />

Summer in the city


Aufgabenblock 5: Möglichkeiten des Protests<br />

Handlungsoptionen<br />

Die folgende Szene findet im Film direkt vor der ersten Begegnung mit Andreas Baader statt.<br />

101 INNEN/AUSSEN. STRASSE / NÄHE BISMARCKSTR. (JULI 1967) - NACHT<br />

BERNWARD am Steuer, GUDRUN auf dem Beifahrersitz, RUTH mit FELIX im Arm hinten. RUTH schäkert mit ihm.<br />

BERNWARD schaut sie irritiert an.<br />

____________________<br />

BERNWARD:<br />

Ich fahr nächste Woche nach London, da<br />

treffe ich Leute aus Amerika, Black<br />

Panther...<br />

RUTH:<br />

(bewundernd)<br />

Und wer zahlt sowas?<br />

BERNWARD:<br />

Das läuft alles über den Verlag. -<br />

Faschismus ist <strong>nicht</strong> nur ein deutsches<br />

Problem.<br />

GUDRUN:<br />

(unvermittelt)<br />

Wir müssen mehr machen als Bücher.<br />

BERNWARD:<br />

Erst muss ein neues Bewusstsein<br />

geschaffen werden.<br />

GUDRUN:<br />

(sarkastisch)<br />

Sich aus dem Geist der Literatur neu<br />

erfinden, ja?<br />

BERNWARD:<br />

(schaut sie kalt an)<br />

Warum musst du deine scheiß-moralische<br />

Überlegenheit immer so vor dir hertragen.<br />

Auszug aus dem Drehbuch zu WER WENN NICHT WIR von Andres Veiel<br />

(Drehfassung vom 7. April 2010)<br />

• Vergleichen Sie die Ansichten von Vesper und Ensslin und welche Handlungsoptionen sich daraus<br />

ableiten.<br />

• Informieren Sie sich über die Biografien von Bernward Vesper und Gudrun Ensslin nach 1967. Zeigen<br />

Sie an Beispielen auf, wie Vesper und Ensslin ihre Überzeugungen gelebt haben.<br />

• Ziehen Sie Grenzen: Welche Form des Widerstands halten Sie für (noch) akzeptabel? Wann sind<br />

Grenzen überschritten? Diskutieren Sie diese Fragen im Plenum.<br />

29


Eine Dreiecksbeziehung<br />

Beide Zitate stammen aus dem Drehbuch von Andres Veiel zum Film WER WENN NICHT WIR.<br />

Bernward Vesper Andreas Baader<br />

Ich schreibe nur nachts, so von zwei bis sechs.<br />

Da kommt das Unbewusste mit rein, alles<br />

ungefiltert, direkt. Schonungslos. Ich<br />

schreibe... also wie, wie... als <strong>wenn</strong> man mit<br />

der Faust in die Fresse der Gesellschaft haut!<br />

\ /<br />

Gudrun Ensslin<br />

Ich komm grad aus dem Knast. Da <strong>wir</strong>d die<br />

Sprache gesprochen, die die Schweine<br />

verstehen, da labert man <strong>nicht</strong> vom<br />

Widerstand. Da gibt's was auf die Fresse.<br />

• Stellen Sie die unterschiedlichen Möglichkeiten, gegen die politischen/gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

zu protestieren, an den Beziehungen zwischen Vesper, Ensslin und Baader dar.<br />

• Welche Rolle spielt Gudrun Ensslin Ihrer Meinung nach zwischen den Positionen von Bernward<br />

Vesper und Andreas Baader? Welche Rolle kommt nach dem Film Baader zu?<br />

• Zeigen Sie anhand der Darstellung im Film WER WENN NICHT WIR auf, welche Begegnungen,<br />

Erlebnisse oder Dialoge (in der Interpretation des Films) zu ihrer Radikalisierung führen.<br />

• In einer der letzten Szenen des Films äußert sich Helmut Ensslin gegenüber seiner Tochter Gudrun<br />

wie folgt: „Du sehnst den Faschismus ja richtig herbei. Was ist, <strong>wenn</strong> er gar <strong>nicht</strong> kommt?“ - Welche<br />

Bedeutung hat dieses Zitat im Hinblick auf die Entwicklung von Gudrun Ensslin? Wie <strong>wir</strong>d damit die<br />

„linke“ Ideologie kommentiert?<br />

<strong>Wer</strong>, <strong>wenn</strong> <strong>nicht</strong> <strong>wir</strong>?<br />

WER WENN NICHT WIR erzählt die Geschichte einer Radikalisierung, die durch ein wachsendes Interesse<br />

für politische und gesellschaftliche Fragen in den 1960er-Jahren angestoßen <strong>wir</strong>d. Der Film widmet sich somit<br />

einerseits der Vorgeschichte der RAF – aber er hat auch aktuelle Bezüge, indem er nach politischen<br />

Handlungsmöglichkeiten und nach den Ursachen für politisches Handeln im Allgemeinen fragt.<br />

Verfassen Sie einen kurzen Aufsatz über die Bedeutung, die der Film WER WENN NICHT WIR Ihrer<br />

Meinung nach gegenwärtig hat.<br />

Sie können dabei zum Beispiel auf die folgenden Aspekte eingehen:<br />

• die Bedeutung und den Aufforderungscharakter des Filmtitels<br />

• den Stellenwert von Politik für Ihre Generation<br />

• den gegenwärtigen Stellenwert von gesellschaftlichen Utopien oder Visionen<br />

• das Generationenverhältnis heute im Vergleich zum Generationenverhältnis in den 1960er-Jahren<br />

(zum Beispiel Vorwürfe oder Erwartungshaltungen)<br />

• Auslöser und Möglichkeiten des politischen Widerstands (am Beispiel aktueller Protestbewegungen)<br />

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