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Tätigkeitsbericht 2007 - Weiße Rose Stiftung eV

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anderer Deutscher auch wusste. Und<br />

sie besaßen ethische Maßstäbe, aus<br />

denen sie den verbrecherischen Charakter<br />

des Regimes ableiteten. Maßstäbe,<br />

die sie nicht zuletzt auf Grund<br />

ihrer Gespräche mit dem katholischen<br />

Publizisten Carl Muth, dem Gründer<br />

und Herausgeber der Zeitschrift<br />

Hochland, die trotz ihrer betont katholischen<br />

Haltung erstaunlicherweise bis<br />

1941 erscheinen konnte, und mit dem<br />

Philosophen und Musikwissenschaftler<br />

Prof. Kurt Huber, der am Ende zu<br />

einer zentralen Figur der <strong>Weiße</strong>n <strong>Rose</strong><br />

wurde, als unverrückbar ansahen.<br />

Aber was gab ihnen die Kraft, dann<br />

auch demgemäß zu handeln und sogar<br />

den Tod nicht zu scheuen? Eine<br />

Kraft, die nur wenige aufbrachten.<br />

Wenn ich es richtig sehe, war es die<br />

sittliche Empörung, das Gefühl, einem<br />

höheren Gebot, vielleicht sogar der<br />

Verantwortung vor Gott, folgen zu<br />

müssen. Wahrscheinlich wollten sie<br />

auch für den Fall des Scheiterns ein<br />

Zeichen setzen. Deshalb schrieben sie<br />

in ihrem fünften Flugblatt ‚Zerreißt den<br />

Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr<br />

um Euer Herz gelegt habt. Entscheidet<br />

Euch, eh’ es zu spät ist.‘ Mich jedenfalls<br />

erfüllt diese ihre Haltung und<br />

der Prozess, in dem sie zustande kam,<br />

noch heute mit tiefem Respekt.<br />

2. Was folgt daraus für uns in der<br />

Gegenwart? Ich meine, wir müssen<br />

zunächst einmal gerade in diesem<br />

Hause die konkrete Konfrontation in<br />

Erinnerung halten, von der ich vorhin<br />

sprach. Und uns vor Augen führen,<br />

wo es endet, wenn Recht zu Unrecht<br />

wird und die Gerichte sich nur noch als<br />

Instrumente eines Führerwillens ansehen,<br />

dem keine Grenzen gesetzt sind.<br />

Deshalb nämlich ist Erinnerungs arbeit<br />

notwendig. Nicht, um kollektive<br />

Schuldkomplexe zu konservieren.<br />

Schuld ist ohnehin ein individueller Begriff<br />

und niemand kann von den Nachgeborenen<br />

verlangen, dass sie sich für<br />

Taten schuldig fühlen, die Angehörige<br />

früherer Generationen begangen haben.<br />

Auch nicht, um hin und wieder<br />

ein Betroffenheitsritual zu zelebrieren,<br />

weil das politisch korrekt erscheint.<br />

Nein – wir sollten uns und die Nachfolgenden<br />

auch außerhalb dieses Saales<br />

an die finsterste Phase unserer Geschichte<br />

– übrigens ohne Ungleiches<br />

gleich zu setzen auch an die zweite<br />

Diktatur auf deutschem Boden – erinnern,<br />

weil diejenigen, die nicht wissen,<br />

wie leicht Menschen sich verführen<br />

oder zumindest zur Passivität bringen<br />

lassen; die nicht wissen, wessen<br />

Menschen in ihrem Fanatismus und in<br />

ihrer Mordlust fähig sind, diejenigen,<br />

die auch die Warnzeichen nicht erkennen,<br />

die auf drohendes Unheil hinweisen,<br />

neuerlichen Gefahren gegenüber<br />

48<br />

weniger wachsam und weniger widerstandsfähig<br />

sind als diejenigen, denen<br />

die Verbrechen der Vergangenheit und<br />

die Katastrophen unserer jüngeren Geschichte<br />

vor Augen stehen. Erinnern in<br />

diesem Sinn heißt also – und das hat<br />

kein Geringerer als Gotthold Ephraim<br />

Lessing schon vor über 200 Jahren<br />

so formuliert – nicht das Gedächtnis<br />

zu belasten, sondern den Verstand zu<br />

erleuchten! Zu erleuchten auch durch<br />

die Befassung mit den Ursachen der<br />

Katastrophe, die weit vor 1933 zurückreichen.<br />

Da meine ich gerade auch den<br />

auf christlichen Traditionen beruhenden<br />

teils latenten, teils ganz offenen Antisemitismus,<br />

den es schon im späteren<br />

19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

gab und der in bestimmten Gebieten<br />

und in bestimmten Schichten<br />

lange vor den Anfängen des Nationalsozialismus<br />

wirksam wurde. Oder<br />

die ablehnende Haltung gegenüber<br />

der Demokratie und der Republik von<br />

Weimar vor allem im Lager der deutschen<br />

Rechten. Eine Ablehnung, die<br />

bald in offene Feindseligkeit überging<br />

und sich gegenüber der Republik und<br />

der sie vor allem tragenden Sozialdemokratie<br />

auch in der bezeichnenden<br />

Schmähung als ‚Judenrepublik‘ und<br />

als ‚verjudete Partei der Novemberverbrecher‘<br />

äußerte. Dann die obrigkeitsstaatliche<br />

Tradition aus der Zeit<br />

des Kaiserreichs, der Gehorsam als<br />

eine absolute Tugend und Zivilcourage<br />

eher als etwas Undeutsches erschien.<br />

Damit einher ging die Verherrlichung<br />

des Krieges als eine Bedingung, ja<br />

als eine Notwendigkeit ‚existentieller<br />

Menschheitsverwirklichung‘, wie sie<br />

beileibe nicht erst nach 1933 von nicht<br />

wenigen renommierten Philosophen<br />

und Erziehungswissenschaftlern propagiert<br />

wurde. Erinnert werden muss<br />

aber gerade an dieser Stelle auch an<br />

die republikfeindliche Haltung weiter<br />

Teile der Justiz während der Weimarer<br />

Zeit.<br />

An neuen Warnzeichen fehlt es ja<br />

nicht. Wer ihnen gegenüber gleichgültig<br />

bleibt, wer nur andere auffordert,<br />

etwas dagegen zu tun, verfehlt das<br />

Beispiel, das die <strong>Weiße</strong> <strong>Rose</strong> uns gegeben<br />

hat. Denn deren Angehörige<br />

haben gehandelt, als das ungeheuren<br />

Mut erforderte. Wir Heutigen brauchen<br />

keinen Mut, um das Notwendige<br />

zu tun. Und um der Mahnung derer<br />

gerecht zu werden, die hier vor über<br />

sechzig Jahren verurteilt wurden. Der<br />

Mahnung, die da lautet ‚Nicht noch<br />

einmal! Nie wieder!‘. Oder wie es die<br />

<strong>Weiße</strong> <strong>Rose</strong> in ihrem vierten Flugblatt<br />

formulierte ‚Wir schweigen nicht, wir<br />

sind Euer böses Gewissen; die <strong>Weiße</strong><br />

<strong>Rose</strong> lässt Euch keine Ruhe!‘ Das<br />

möge auch für uns gelten!“

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