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Rathenau erzählen Betrachtungen zum 90. Todestag

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Helden um ein drittes Narrativ, das <strong>Rathenau</strong> als historisches Lernbeispiel<br />

konfigurierte.<br />

Im Geschichtsbild der DDR diente <strong>Rathenau</strong>, wie viele Straßenbenennungen<br />

illustrieren, als Brückenheiliger einer doppelten Verständigung – nach außen<br />

zwischen Deutschland und Sowjetrussland und nach innen zwischen Bürgertum und<br />

Arbeiterklasse. Neben seinen gesellschaftstheoretischen Reformvorschlägen war es<br />

vornehmlich das deutsch-russische Ausgleichsabkommen von Rapallo, das den<br />

ostdeutschen <strong>Rathenau</strong> zu einem Kronzeugen der Völkerverständigung im Geiste<br />

des Fortschritts machte, zu einem „rühmliche[n] Beispiel friedlicher Koexistenz<br />

zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftssysteme“. 27<br />

Auch in der Bundesrepublik reifte <strong>Rathenau</strong> zu einem historischen Kronzeugen und<br />

in diesem Falle eines antitotalitären Konsenses, der zwischen rechtem und linkem<br />

Totalitarismus keinen Wesensunterschied machte. Jahrfünft um Jahrfünft erinnerten<br />

seit den frühen fünfziger Jahren Gedenkreden und –artikel an die Lehre des 24. Juni<br />

1922, die lautete, „jede[r] Form des Radikalismus - sei es von links oder rechts“ – zu<br />

widerstehen“. 28 Als nicht weniger geschmeidig und anpassungsfähig erwies sich die<br />

geschichtliche Verortung des politischen Vermächtnisses, das <strong>Rathenau</strong> hinterließ.<br />

Bis heute bitten die Ausrichter von staatlichen Jubiläumsveranstaltungen<br />

händeringend um die Übermittlung von Fundstellen aus <strong>Rathenau</strong>s gedanklichem<br />

Vermächtnis, die sich zur aufbauenden Belehrung der Gegenwart einigen.<br />

Besonderer Aufmerksamkeit erfreuen sich dabei Belegstellen, die <strong>Rathenau</strong><br />

zunächst als Wegweiser auf dem Weg zu einer nationalen Neubestimmung nach<br />

1945 und später zur europäischen Einigung zu <strong>erzählen</strong> erlauben. An <strong>Rathenau</strong>s<br />

1913 unterbreiteten Vorschlag einer europäischen Zollunion erinnerte 1987 die<br />

Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, um sich auf seine Idee einer<br />

wirtschaftlichen und politischen Verschmelzung Europas zu berufen: „Welche klare,<br />

vorausschauende Sicht! Aus unserer heutigen Perspektive ist es erstaunlich, mit<br />

welcher Deutlichkeit <strong>Rathenau</strong> schon <strong>zum</strong> damaligen Zeitpunkt die Möglichkeiten<br />

und Voraussetzungen für die Rolle Europas erkannte und seinen Blickwinkel über die<br />

27<br />

Martin Richter, Damit die Völker sich die Hände reichen [...] Vor 120 Jahren wurde Walther<br />

<strong>Rathenau</strong> geboren, in: Neues Deutschland, 39.9.1987.<br />

28<br />

Dorothee Wilms, Ansprache bei der Gedenkfeier aus Anlaß des 120. Geburtstages von Walther<br />

<strong>Rathenau</strong> am 29. September 1987 in Berlin, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen,<br />

Pressemitteilung 39/87, S. 5.<br />

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