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Rathenau erzählen Betrachtungen zum 90. Todestag

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nationale Perspektive hinaus erhob.“ 29 Zehn Jahre später suchte prompt eine Studie<br />

die These zu untermauern, dass <strong>Rathenau</strong> schon vor 1914 den Gedanken einer<br />

notwendigen europäischen Einigung entwickelt“ 30 und „die Geschichte der<br />

europäischen Integration die Richtigkeit der Ausführungen <strong>Rathenau</strong>s erwiesen“<br />

habe. 31<br />

In der Tat gewann das Erzählmuster, das <strong>Rathenau</strong> als historischen Lernort<br />

verstand, seine Durchschlagskraft nicht zuletzt der oft bekundeten Sehergabe, die<br />

<strong>Rathenau</strong> schon im Verständnis seiner Zeitgenossen in gelegentlich unheimlicher<br />

Weise auszeichnete. Als die Welt um ihn im Glanz der wilhelminischen Epoche<br />

schwelgt und vor der wachsenden außenpolitischen Isolierung des Deutschen<br />

Reiches die Augen schließt, veröffentlichte <strong>Rathenau</strong> eine düstere Warnung vor der<br />

achtlosen Unbekümmertheit einer Welt am Abgrund, die ihr Gegenstück allenfalls in<br />

der poetischen Beschwörung kommenden Unheils in der zeitgleichen Lyrik von<br />

Georg Heym oder auch Georg Trakl hat: „Ich kämpfe gegen das Unrecht, das in<br />

Deutschland geschieht, denn ich sehe Schatten aufsteigen, wohin ich mich wende.<br />

Ich sehe sie, wenn ich abends durch die gellenden Straßen von Berlin gehe; wenn<br />

ich die Insolenz unseres wahnsinnig gewordenen Reichtums erblicke; wenn ich die<br />

Nichtigkeit kraftstrotzender Worte vernehme oder von pseudogermanischer<br />

Ausschließlichkeit berichten höre, die vor Zeitungsartikeln und<br />

Hofdamenbemerkungen zusammenzuckt. Eine Zeit ist nicht deshalb sorgenlos, weil<br />

der Leutnant strahlt und der Attaché voll Hoffnung ist. Seit Jahrzehnten hat<br />

Deutschland keine ernstere Periode durchlebt als diese“. 32<br />

Je länger der 1914 ausgebrochene Weltkrieg andauerte, desto düsterer zeichnete<br />

<strong>Rathenau</strong> das Bild der neuen Stadt, die „mehr Dynamos als Perlentore haben<br />

werde“. 33 Im Sommer 1918 dann war es <strong>Rathenau</strong>, der klarsichtig wie nur wenige die<br />

Folgen des Krieges abzuschätzen wusste: „Die Krise, die wir erleben, ist die soziale<br />

Revolution“, sie ist „der Weltbrand des europäischen Sozialgebäudes, das nie wieder<br />

29 Ebd.<br />

30<br />

So das Vorwort von Hildegard Hamm-Brücher, in: Hans F. Loeffler, Walther <strong>Rathenau</strong> – ein<br />

Europäer im Kaiserreich, Berlin 1997, S. 14.<br />

31<br />

Loeffler, <strong>Rathenau</strong>, S. 129.<br />

32<br />

Walther <strong>Rathenau</strong>, Staat und Judentum, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Berlin 1925, S.<br />

206.<br />

33<br />

Walther <strong>Rathenau</strong>, Brief an P.A., Himmelfahrt 1917, in: Ders., Briefe, 2. Bd., Dresden 1927, S. 280.<br />

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