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Rathenau erzählen Betrachtungen zum 90. Todestag

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omantischer Poesie, kurz - der moderne Franziskus v. Assisi, das paradoxeste aller<br />

paradoxen Lebewesen des alten Deutschlands“. 8<br />

<strong>Rathenau</strong> als personifizierten Zwiespalt zu lesen, half nicht nur distanzierten<br />

Zeitbeobachtern. Die Attentäter, die <strong>Rathenau</strong> im Juni 1922 im Rahmen einer<br />

gegenrevolutionären Putschstrategie ermordeten, standen vor dem Problem, ihren<br />

weitgesteckten und bis in die Reichswehr reichenden Hochverratsplan auch nach<br />

seinem Scheitern dauerhaft geheim halten zu müssen, um ihrem weiterverfolgten<br />

politischen Umsturzziel nicht zu schaden und sich nicht der Femedrohung ihrer<br />

Gesinnungsgenossen auszusetzen. Übrig blieb ein sinnentleertes Attentat, das der<br />

Leipziger Staatsgerichtshof in seinem Urteil gegen die überlebenden Tatbeteiligten<br />

notdürftig mit einem „blinden Judenhass“ zu erklären versuchte, was allen voran<br />

Ernst von Salomon in seinen autobiographischen Schriften empört als entwürdigende<br />

Trivialisierung seiner nationalen Befreiungsabsichten von sich wies. Aus dem<br />

Dilemma eines Mords ohne Motiv half ihm die Interpretation des Attentats als<br />

Ausdruck einer Beziehung zwischen Tätern und Opfer, die sich auf <strong>Rathenau</strong>s<br />

eigener Polarisierung von Mutmensch und Furchtmensch bezog und sich auf den<br />

Gegensatz von jüdischen Internationalismus und deutschen Nationalismus<br />

ausweitete. Der Mordanschlag wurde in Salomons <strong>Rathenau</strong>erzählung zu einem<br />

Stück, in dem beide Seiten in ihren gleichrangigen Exponenten Walther <strong>Rathenau</strong><br />

und sein Verfolger Erwin Kern ihr Bestes geben: „<strong>Rathenau</strong> sprach im<br />

Volksbildungsheim. Es gelang Kern und mir nicht, im überfüllten Saale einen<br />

anderen Platz zu erhalten als einen Stehplatz an einer Säule, drei Meter vom<br />

Rednerpult entfernt. Aus der Menge der schwarzberockten Herren, die den<br />

Vorstandstisch umlagerten, sonderte der Minister sich durch die Noblesse seiner<br />

Erscheinung sofort heraus. Als er ans Pult trat, als über dem blanken Holz der<br />

schmale, edle Schädel mit der zwingend aufgebauten Stirn erschien, erstarb das<br />

geschäftige Gemurmel der Versammlung, und er stand sekundenlang im Schweigen,<br />

unendlich gepflegt, mit dunklen, klugen Augen und einer leichten Lässigkeit der<br />

Haltung. Dann begann er zu sprechen. [...] Aber was er in seiner Verkündung scheu<br />

zu verschleiern suchte, das trat ans Licht im Tone seiner Stimme, in der Gebärde<br />

seiner Hand, im Suchen seiner Augen; das nämlich, wem seine Liebe gehörte. Sie<br />

gehörte dem Furchtmenschen. (-) Und dies begreifend, zog ich unwillkürlich den<br />

Blick von diesem Manne und wandte mich zu Kern. Der stand, die Arme vor der<br />

8 Die Republik, 19.12.1918.<br />

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