Das Fassadenproblem der franzosischen Fruh- und Hochgotik
Das Fassadenproblem der franzosischen Fruh- und Hochgotik
Das Fassadenproblem der franzosischen Fruh- und Hochgotik
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<strong>Das</strong> <strong>Fassadenproblem</strong><br />
<strong>der</strong> franzôsischen<br />
Früh- <strong>und</strong> <strong>Hochgotik</strong><br />
Inaugural - Dissertation<br />
zur Erlangung <strong>der</strong> Doktorwùrde<br />
<strong>der</strong> hohen philosophischen Fakultât<br />
<strong>der</strong> Kaiser Wilhelms- Universitât zu Straf3burg<br />
vorgelegt von<br />
Hans Kunze.<br />
r- -<br />
Leipzig<br />
Druck von Oscar Brandstetter<br />
Document<br />
1912<br />
il il il il il M 1111 il Ili 11111111<br />
0000005776702
Von <strong>der</strong> philosophischen Fakultât genehmigt am 24. Juli 1909.<br />
Die Abhandlung erscheint in bedeutend erweiterter Gestalt <strong>und</strong><br />
mit zahireichen Textabbildungen <strong>und</strong> Tafein unter dem Titel ,,<strong>Das</strong><br />
<strong>Fassadenproblem</strong> <strong>der</strong> Gotik bis zum StraBburger Münster" in den<br />
von Johannes Ficker herausgegebenen ,,Studien über Christiiche<br />
Denkmâler" Leipzig, Dieterich'scher Verlag (Th. Weicher). Auf diese<br />
Ausgabe beziehen sich die Hinweise auf Abbildungen <strong>und</strong> auf d i e<br />
Seitenzahlen, die über 75 hinausgehen.
Abkirzungen.<br />
V. BEZOLD = G. V. BazoLo, Die Entstehung <strong>und</strong> Ausbildung <strong>der</strong> gotischen<br />
Baukunat in Frankreich. (Zeitschrift fbr Bauwesen, 1891; auch in Separatabdruck<br />
ersehieneu.)<br />
Bail. arch. du comité Bulletin archéologique du comité des travaux historiques<br />
et scientifiques. Paris.<br />
Bull. mon. = Bulletin monumental. Paris et Caen.<br />
Cathédrales de Franco A. DE BAUDOT & A. PEBRAULT-DÂBOT, Les cathédrales<br />
de France. Paris (ohne Jahreszahl: ungefhr zwischen 1905 <strong>und</strong> 1910 erschienen).<br />
Congrès areh. = Congrès archéologique de France. Paris et Caen.<br />
I). & y. B. = (I. DERIO <strong>und</strong> G. y. BEZOF.D, Die kirchiiche Baukunst des<br />
Abendlandes. Stuttgart 1884-1901.<br />
G.IIEABAu» -= JULES GAILHAI3AUD, L'architecture du V au XV1I siècle<br />
et les arts qui on dépendent. 4 Bhnde Tafein mit erkl.rendcm Tait in 40.<br />
(Zuweilen sind die Foliotafeln, um nicht gebrochen su werden, in einem beson<strong>der</strong>en<br />
5. Bande in 1 0 vereinigt.) Paris 1858.<br />
Mx HASAK, Die romanisehe <strong>und</strong> die gotisehe Baukunst, Der<br />
Ktrchenbau. (.Handbuch <strong>der</strong> Arehitektur II, 4, a. %, Stuttgart 1902.<br />
KIEU --= TILOIAS H. Knw, The study-book of inediaeval architecture and<br />
art. London 1868.<br />
Mon. hist. = A. DE BAUDOT et A. PEREAULT-DAnOT, Archives de la commission<br />
(les monuments historiques. Paris c'a. 1900. ('Cher die Groflfolioausgabe<br />
siehe S. 17, Anm. 1.)<br />
VILLARD DE HoNNEcou1T = J. B. A. LASSOS et A. DAECEL, Album de<br />
V. DE H. Paris 1858.<br />
V.-a.-D. = M. VIOLLET-LE-DUC, Dictionnaire raisonné de l'architecture française<br />
du XIs au Xvi. siècle. Paris 1858-1868.
Bemerkung.<br />
Zur bequeinen Bezeichnung <strong>der</strong> einzelnen Punkte in komplizierten Gr<strong>und</strong>rissen<br />
legen wir dnrch die Figur ein Netz von Koordinaten, indem wir von <strong>der</strong><br />
Vierung ans nack allen vier Richtungen ziihien, wie es beistehende Figur veranschaulicht.<br />
fl2 fl1 fl S 81 82<br />
E11<br />
E1<br />
N111 N11 N1 Vicrung SI S1,<br />
=<br />
w»<br />
flj n 8<br />
w1v<br />
-- - ,.-. w4<br />
Die Koordinaten, die sich in den Vierungspfeilern schneiden, erhalten keinen<br />
Index, weil in Ubereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch das erste<br />
Pfeilerpaar 1m Langhausc, Chore <strong>und</strong> Querhause au.f die Koordinate mit dem Index 1<br />
fallen soU. Aile Puukte fassen wir ais Kreuzung zweier Koordinaten auf. Die<br />
Joche betrachten wir ais Streifeji zwischen zwei Koordinaten <strong>und</strong> zahien sie<br />
ehenfails von <strong>der</strong> Vierung aus mit den eutsprechenden groden Bnchstaben, <strong>und</strong><br />
zwar so, daB w1, also z. B. das Pfeilerpaar nw1 <strong>und</strong> 8W1, auf dus Joch TV1 folgt.<br />
L<br />
e2<br />
e1<br />
le<br />
J w1
- VII -<br />
Ein Setenschiffsjoch wird ais Deeknngsfl.che zwcier Streifen aufgefaBt <strong>und</strong> dciiicntsprehend<br />
bezeichnet, also z. B. das nird1ichste Joch des westlichen Seitenschiffes<br />
im Querhausc ais N j1W1, des zum Langhausmittelschiffsjoch W 7 gehrige<br />
nrd1iche Seiteuchiffsjoch ais N1 TVj , Wenn nur vom Langhause o<strong>der</strong><br />
Chore die Rede ist, genUgt zur Bezeichnung eines ganzen Joches die romisehe Ziffer.<br />
Di Turmstrebepfeiler bezeichnen wir nach folgendem Schema (vgl. S. 8):<br />
m m n
A. 1 .<br />
-<br />
4<br />
• .<br />
I . .
Die Lisung <strong>der</strong> Probleme, die die Anpassung <strong>der</strong> Fassade au<br />
(las Langbaus einer gotischen Kirche stelit, nehmen die gotischen<br />
Batimeister erst in Angriif, ais <strong>der</strong> neue Stil allen an<strong>der</strong>en Tdilen<br />
des Gebiudes seinen Stempel aufgedriickt hat. Ebenso hat sicli<br />
die Kunstgeschichte mit. den Fassaden sptr nur wenig be1iftigt.<br />
Beides ist ganz natiirlich. Denu die <strong>der</strong>en Lsung die<br />
Umwandlung des romanischen Baustils zrnn gotisclien herbeifiihren,<br />
stelit nicht <strong>der</strong> Fassadenbau, sic stelit viemehr <strong>der</strong> die kompliziertesten<br />
Gewiilbeformen erfor<strong>der</strong>nde Chorumgaug mit Kapellenkranz<br />
<strong>und</strong> das mit ekiaBig wi<strong>der</strong>lagert.en KreuzgewMben zu<br />
iiberspannende Hochschiff des basilikalen Aufbaus.') Diese beiden<br />
Aufgaben erzeugen den gotischen Stil 2) <strong>und</strong> ihre vo1kommene<br />
1) Die Ûberwilbung trapezftirmiger iirid dreieekiger Gr<strong>und</strong>risse (letztcre<br />
heson<strong>der</strong>s in den Chiiren von Notre-Dame in Châlons, Paris <strong>und</strong> Bourges in frilhgotiseher<br />
<strong>und</strong> dom Ohor <strong>der</strong> Kathedrale von Le Mans in hochgotischer Zeit) orzog<br />
zu groller Freiheit in <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>riBhiiung. Sehr bald hatte man an dieen<br />
komplizierten Gowl1ben eine <strong>der</strong>artige Feiide, daB man sie ohne Notwendigkeit<br />
aueh auf au<strong>der</strong>e Riume Ubertrug. Vgi. ais ein sehr friihes Beispiel das<br />
Gew1be eincs Kapitolsanies im Skizzenbuche des VxanÀuu DE HONECOURT,<br />
Taf, XL (librigens cin Gewiilbe, das ans <strong>der</strong> Znsainmenstellung von Dreiecken,<br />
wie sie sich bei den genaunten Chorumgngen von sclbst ergabeu, gebildet ist,<br />
das aber nich4 mit den spteren - Sterngewdlben zu tun bat). Die
-2-<br />
Lisung bringt ihu zur Reife, aile an<strong>der</strong>en Neubildungen sind gewissermal3en<br />
mir Nebenprodukte. ,,<strong>Das</strong> ÀuBere ist in <strong>der</strong> gotischen<br />
Phantasie das sekullddre Eeiini; es erreicht we<strong>der</strong> die logische<br />
Konsequenz noch die stimmungsvolie Einheit des Innenbaus."')<br />
Eine deutsche romanisehe Basilika im geb<strong>und</strong>eneri System bietet<br />
fir den Fassadenentwurf keine Schwierigkeiten. Die Gr<strong>und</strong>riBgestaltung<br />
ist sehr einfach: die Tiirme haben ein Quadrat von <strong>der</strong><br />
Gr&e eines Seitenschiffsjoches zur Basis, <strong>der</strong> Mittelbau ein halbes<br />
Mittelschiffsquadrat. <strong>Das</strong> geb<strong>und</strong>eiie Sytm behe.rr9ht also auch den<br />
Fassadengr<strong>und</strong>riss Dci 1 itw urf de Aufi iss hI3t dem Baumeister<br />
grol3e Freiheit. Vieifach nirnmt die Siockwerkeinteilung <strong>der</strong> unteren<br />
Turmgeschosse keinerlei Riic1icht auf die des Mittelbaues, ja hiufig<br />
wird eme beson<strong>der</strong>s gunstige -. Wir ung dadurch er, ie1t, dafl die<br />
Tiirme bis zur Mitte1sehiifshhe iiberhaupt nicht he<strong>der</strong>t <strong>und</strong> nur<br />
das Mittelsttick <strong>der</strong> Fassade <strong>und</strong> die oberen Turmgeschosse mit<br />
Fenster&fnungen <strong>und</strong> Dekorationen versehen sind. Die massigen,<br />
festungsturrnartigen Unterbaute <strong>der</strong> Tdme kontrastieren in diesem<br />
Falie sowohi mit dciii oft y ch'Vfisch dekorierten Mittelbau<br />
ais auch mit den selir leicht behandeiten freien Turrngeschossen:<br />
ein echt ron?aniehs Motiv. Durcli denGr<strong>und</strong>riB wie durch den<br />
Auhifl ist sehhef3lich cmi aut3eist gunsige Verteilung <strong>der</strong> Massn<br />
beit, die den SiIiJ zweitiirmigen Fassade zu voiler Ge1ti<br />
bringt. Deun da die TtÏie nur haib so breit sind wie <strong>der</strong> Mittelbau,<br />
doniiniert dieser eMc'hiéden, die TUrme sind nur seine TrC-'<br />
banten. Ans demselbenGr<strong>und</strong>e braucht <strong>der</strong> Mittelbau nicht liber<br />
die MitteischiffshLihe lii iisgef(ihrt zu werden; denn die Tiirme lassen<br />
sich auf so schmaler Basis auch bei miif3iger Hhenentwick1nng<br />
geniigend-ch1ank bilden, so daB sic nicht durcli ib'miil1e Hbhe<br />
ans <strong>der</strong> Proportion fallen. Eine doppeltiirmige Fassade des romanischen<br />
Stils ist also cia sehr kiares architektonisches Gebilde,<br />
sic stelit nichts weiter dar, ais den von zwei rIliij.mefl flankierteri<br />
Querschnitt des Mittelschiffs, d. h. des Hauptraumes <strong>der</strong> Basilika.<br />
Die franzisischen Fassaden <strong>der</strong> vorgotischen Zeit sind selten so<br />
gut proportioniert. Die schinste mir (allerdings nur nach Abbildungen)<br />
bekannte Fassade ist die <strong>der</strong> Kathedrale von Angers.<br />
portance que 1e8 architectes gothiques attachaient aux voûtes, élément générateur<br />
de leur style tout entier, ainsi que l'ont très bien compris ceux qui<br />
ont pénétré l'esprit de ce style, et surtout Viollet-le-Duc et Quicherat." C. ENLÂRT,<br />
L'art gothique et la Renaissance eu Chypre, t. I S. 278. Vgl. L. Dawsoze, La<br />
cathédrale de Reims imul1. mou. 190, S. 24f.<br />
1) D. & y. B. II S.163.
-3—<br />
Sie schlieft ein einschiffiges Langhaus ab. Deshaib kann das Verhltnis<br />
des Mitteistiickes zu den Turmen ganz beliebig grh1t<br />
werden. Die Fassaden basilikaler Anlagen haben aile zu dicke<br />
Tiirme, ihre Basis it )reiter ais ein Seitenschifï. <strong>Das</strong> Mittelstiick<br />
wird daller fast è rr cCkt. Dagegen sind oft auch die unteren<br />
Turmgeschosse von Ôffnungen durcbbrochen, die sich in <strong>der</strong>selben<br />
Stockwerkzahl wie die des Mitteistiickes bauen. Auch zeigen<br />
sich hier ud da schon ieichte Eckverstrebungen. Aber iin wesentlichen<br />
bsehe' doch die unteren Turmgeschosse ans g1attet Mauern<br />
mit geriiigen Durchbrechungen.<br />
<strong>Das</strong> ailes muf sich in <strong>der</strong> gotischen Zeit ân<strong>der</strong>n. Es ist<br />
nicht môglich, vor ein Langhaus mit eiiiern zur Sch gesteliten<br />
Strebewerk Tiirme zu setzen, <strong>der</strong>en untere 11dM te ans wenig durchbrocherien<br />
Mauern besteht; ilire Ecken miissen vielmehr ebenfails<br />
mit kritftig ausladenden Verstrebungeu 'eise1ien werden. Nachdem<br />
man aber diesen Eckstrebepfeilern die Aufgabe zigeesen hat,<br />
rfurmgeschosse zu er-<br />
die vorher die massigen \Vdnde <strong>der</strong> unteren<br />
f iillen hatteri, nmlich das Langhaus an seinem Eiide zu verstreben<br />
<strong>und</strong> die Obergeschosse <strong>der</strong> Tiirme zu tragen, bat es keinen Sinn<br />
mehr, die groBen Mauerflichen stehen zu lassen, ikiâi da jetzt die<br />
Fassade nicht mehr durch den Kontrast zwischen ungegIie<strong>der</strong>te'<br />
Tiirmen <strong>und</strong> reichgeglie<strong>der</strong>tem Mittelba9, / son<strong>der</strong>u durch die vier<br />
weitausladenden Strebepfeiler ihr Gepritge erhalt. Der Bequemlichkeit<br />
halber bezeiclinen wir die das Mittelsttick <strong>der</strong> Fassade einrahmenden<br />
Strebepfeiler stets mit m, die âufleren an <strong>der</strong> Stirnseite<br />
<strong>der</strong> Fassade liegeriden mit n, die nach dem Schitfe zugekehrten<br />
entsprechend mit u <strong>und</strong> y, <strong>und</strong> die, die an den einan<strong>der</strong> abgekehrten<br />
Seiten <strong>der</strong> Tiirme liegen, mit o (s. S. VII). Eine Durchbrechung<br />
<strong>der</strong> Turmwdnde zieht aber weitere Konsequenzen: die Ôffnungen<br />
miissen zu dem Aufbau des Langhauses <strong>und</strong> des Fassadenmittelstiickes<br />
in Bifng gesetzt werden. Es ergeben sich also neue<br />
Probleme f dr die Gr<strong>und</strong>rll3- <strong>und</strong> Aufrif3gestaltung. Die Aufgabe<br />
wird noch dadurch erschwert, dag <strong>der</strong> ganze Westbau in den<br />
Innenraum <strong>der</strong> Kirche einbezogen wird. Infolge dessn muB die<br />
eine Ecke <strong>der</strong> Tiirme auf einen Freipfeiler zu stehen kommen, <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Aufbau des Mitteistiickes mufi mit dem Stm des banghanses<br />
in Eiig gebraclit werden. Die Â1n <strong>der</strong> Turin-<br />
4<br />
wiinde erfa'ei't eine Versre.ung <strong>der</strong> Tiirme nicht nur an <strong>der</strong><br />
Fassadenseite <strong>und</strong> den einaner abgekehrten Seiten, son(Iern auch<br />
nacli dem Langhause zu <strong>und</strong> an den einan<strong>der</strong> zugekehrteii Seiten.<br />
Gegeneinan<strong>der</strong> kann man die Tiirme sehr leicht durch starke<br />
1.
4<br />
Gurtbigen mit Übermauerun crep yerspannen, so daB sich hier ihr<br />
Seitenschub aufhebt. dagegen stbBt man bei ihrer Wi<strong>der</strong>lagerung<br />
nach dem Larighuse zu auf gani ci heb1fhe Schwierigkeiten Die<br />
Hochschiffsgew1be Uben nattirlich einen geriugeren Schub aus ais<br />
die in ensp'recheii<strong>der</strong> Hihe liegenden, mit den Freigeschossen <strong>der</strong><br />
Tiirme belasteten Turmgesehosse, <strong>und</strong> die an den Seitenschiffswinden<br />
liegenden Turmecken erhalten im zweiten Geschot3 liberhaipt<br />
keinen Gegenschub. An dem einen Punkte befinden sich<br />
als 'o die chiid1ic.hen, einan<strong>der</strong> entgegenwirkenden Krf te nicht im<br />
Gleichgewicht, sie heben sich daher nicht auf, <strong>und</strong> <strong>der</strong> einen muB<br />
durch eine Verstrebung, die hier wegen des Gegensehubes <strong>der</strong> Hochschiffswand<br />
et.was schwitcher ais an deii an<strong>der</strong>en Ecken sein kann,<br />
entgegengewirkt werden, am ande.rn Pullkte ist eine ebenso starke<br />
Verstrebung wie an den vI1ig freiliegenden Turmecken eîôi1erlich.<br />
Diese 'ireift in die Seitenschiffswand ein <strong>und</strong> verdeckt ein<br />
Seitenschiffsfenster ganz o<strong>der</strong> teilweise, jene kann iîberhaupt nicht<br />
bis zum Erdboden heruntergefiihrt, soi<strong>der</strong>n mufi durci die erste<br />
Langhausarkade abgefangen werden. 1m Hochschiff verdeckt sie<br />
ebenfails ein Fenster. Die Freipfeiler <strong>der</strong> Tlirme miissen wegen<br />
ihrer starkeren Belastung dicker gebildet werden ais die chiffspfeiler.<br />
Pas entspricht nicht dem Ideal; deun dieses veiIangt ja,<br />
daB die durch den Westbau gebildete Travee im Innern lediglich<br />
ais ein Scbiffsjoch erscheint. <strong>Das</strong> System miiBte also ohiie jede<br />
Unterbrechung bis an die Fassadenwand fortgefiihrt werden. Die<br />
dickeren Turmpfeiler bilden daher eine sehr stark in die Augen<br />
springende Unterbiechtrng des Systems, die so lange noch ertrglich<br />
bieibt, ais man im Mittelschiff sechsteilige Gewlilbe <strong>und</strong> einen<br />
Wechsel von stiirkeren <strong>und</strong> schwacheren Stiitzen auwendet. Die<br />
stiirkeren Schiffspfeiler siiid zwar immer noch bedeutend schwLcher<br />
ais die Turmpfeiler, aber die diir1 den Stiitzenwechsel erzeugte<br />
Gruppierung <strong>der</strong> Schiffsjoche errdtèrt die Bildung eines an<strong>der</strong>s<br />
gearteten abschiieflenden Joches, un1a1 da dieses aueh mir die<br />
halbe Breite eines Schiffsdoppeljoches hat <strong>und</strong> also deshalb schon<br />
zu den Ubrigen Jochen in einem gewissen Kontraste steht. Sobald<br />
aber das einfache rechteckige Kreuzgewlilbe im Hochschiff zur Anw'eMung<br />
gelangt <strong>und</strong> die unter sich vl1ig gleichen Stiitzen eine<br />
forUaufende Reihe bilden. verursacht das letzte, dickere Pfeilerpaar<br />
eine empfindliche Dissonanz.<br />
Zu diesen rein technischen Schwierigkeiten in <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>riBgestaitung<br />
<strong>der</strong> Ti.irme gesellen sich Schwierigkeiten <strong>der</strong> Aufrit3komposition.<br />
Die Gotik iibernimmt vom Romanismus das Rad-
-5---<br />
fenster, die sog. Rose, ais Hauptfenster <strong>der</strong> Fassae. Wtihrend aber<br />
im i'omanischen Stil die Rose fur die Innenwirkung kaum in Betracht<br />
kommt, da sie zur Beleuchtung <strong>der</strong> über <strong>der</strong> gesehiossenen Vorhalle<br />
liegeiiden Empore dient, beherrscht die gotische Rose auch<br />
im Inneru die von obeu bis unten ait durchgeftihrte Fassadenwarid.<br />
Soll full die Fassade in ihrem Aufbau mit dem System des<br />
Langliauses in Eii1fl'ig gebracht werden, so inacht die Rose<br />
Schwierigkeit. ihr Durchmesser ist durch die Langhausbreite bestimmt,<br />
<strong>und</strong> durcli ihre Gri13e wird. wie<strong>der</strong>um die Hhe des Roserigeschosses<br />
festgelegt; dasheiBt: dessen Hihe ist nicht abhitngig von <strong>der</strong><br />
vertikalen Aûsdéhhuig eines BauÏ"i'i'è'des des Langhauses, son<strong>der</strong>n<br />
von semer horizontalen. Je breite.r das Mittelschiff des Langhanses<br />
ist, desto grtil3er ist die Rose un desto hiher ist das Rosengeschol3;<br />
vermin<strong>der</strong>t sich mit z 1ïreidèrr Vertikalismus <strong>der</strong> Gotik<br />
die Breite des Langliauses 1m Verliaitnis zu semer H]ie, so verliert<br />
auch das Rosengesehoil an (ewiclifJ Jede neue, an<strong>der</strong>s proportionierte.<br />
gotische Basilika stelit also f tir die Komposition <strong>der</strong><br />
Fassadensto1ke neue Probleme.<br />
Die zweite Schwierigkeit <strong>der</strong> AufriBgestaltung bietet die Proportionierung<br />
<strong>der</strong> Massen. Durch die weit ausladenden Strebepfeiler,<br />
(beson<strong>der</strong>s die Pfeiler o) wird die Masse <strong>der</strong> Tiirme betriic1itlich<br />
vermehrt, so dafl ihnen gegeniiber das Mittelstiiek an Gewicht zu<br />
verlieren droht. Es giit also, ehi Mittel zu finden, das das btioIt<br />
Gleichgewicht wie<strong>der</strong> herzustellen ermigiicht.<br />
Die Fassadeii <strong>der</strong> fruïhgotischen Kirchen.<br />
Betrachten wir nuii die historisclie Entwicklung <strong>der</strong> gotischen<br />
Fassaden. Beim ,,ersteri Monument <strong>der</strong> Gotik", <strong>der</strong> Abteikirche<br />
von St. Denis, sind die neten Probleme teils noch gar nicht<br />
kannt., teils werden sie ùgen. Die Turmh1le tffnet sich beÇts<br />
nacli dem Schiff <strong>der</strong> Kirche, die Fassade e'r'1t ihr diirch<br />
die vier mtichtigenStretepfeiler, die Mauermassen zwischen den<br />
Streben sind stark <strong>Das</strong> ist das Neue. <strong>Das</strong> Problem des<br />
Anschlusses dieses Turmbaues au das Langhaus wird dagegeii noch<br />
uûigaien. <strong>Das</strong> frtihgotische Langhaus besteht ans vier Doppeljochen<br />
von je einem Mittelschiffsquadrat mit sechsteiligem Kreuzgewblbe<br />
<strong>und</strong> zwei Seitenschiffsquadraten. 1) <strong>Das</strong> westlichste Doppeljoch<br />
schliel3t aber niclit unmittelbar an die Tiirme an, son<strong>der</strong>u an cm<br />
durchgehendes Joch von <strong>der</strong> halben Breite eines Doppeljochs. Dieses<br />
1) Siehe die Rekonstru1tion des Gruadrisses bei D. & y. B. TaL 146.<br />
y
-6-<br />
vom TJmbau des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts verschonte Joch bat lediglich<br />
konstruktive Bedeut 'ung. Es erfUflt an <strong>der</strong> Ostseite <strong>der</strong> Turmhalle<br />
dieselbe Aufgabe, die den Strebepfeilern an den freistehen<strong>der</strong>i Seiten<br />
<strong>der</strong> Tiirme obliegt Da die Basis <strong>der</strong> rilûrme breiter ist ais ein<br />
Seitenschiff, so f allen die Verstrebungen y neben die Seitenschiffsrnaueri<br />
irnd verdecken diese in dem erste Joeh. Durci die Einftifig<br />
dieses Halbjochs wird das Eiiis1çjden <strong>der</strong> Purmverstrebungen<br />
in das westlichste Doppeljoch ven 'ieden, das eigentliche,<br />
erst hinter diesem Strebejoch" beginnende System des , Langhauses<br />
bleibt also frei von je<strong>der</strong> ljnregelmiiBigkeit. Alrdins ist auf<br />
diese Weise das Problem nic.ht gc1st, son<strong>der</strong>u umgangen worden<br />
(s. Fig. 1).<br />
Wie sich <strong>der</strong> AufriB <strong>der</strong> Fasac1e minSystem des Langhauses<br />
verhalten bat, liil3t sich olme gellaue Aufnahmen <strong>der</strong> Kircht, nicht<br />
feststellen. 1) Einen Fehier jedoch bat <strong>der</strong> Meister uic.ht vhieden.<br />
Da die Tiirme breiter sind ais die Seitenschiffe, <strong>und</strong> ihre Masse<br />
durch die Strebepfeiler o erheblich vermehrt wird, erhalten sic ein<br />
zu groBes Ûbergwfht über das Mittelstiick.<br />
,,Die ersten, die sich St. Denis schuhnL13ig anschlossen, waren<br />
die Kathedralen von Senlis <strong>und</strong> Noyon".') <strong>Das</strong> FassadeTiproblem<br />
lsen beide iii durchaus versehiedener Weise. In Seuils bat die<br />
Basis <strong>der</strong> Tiirme die Grif3e eines Seitenschiffsquadrates. Die Verstrebungen<br />
r werden durch Wndeltreppei gebiidet, die das erstç<br />
Seitenschiffsjoch verdecken. Bei jz sind keine Verstrebungen<br />
lianden; dafiir ist aber die çrste Schiffsarkade bedeutend strker<br />
gebaut ais aile aii<strong>der</strong>en. 3) Die Tiirme sind sehr sch1hk, <strong>und</strong> das<br />
Mittelstiick dominiert enEs1jïeden, Fur die Portalanlage sind<br />
aber diese Proportioneii hichst ungiinstig. Wenn aile drei Portale<br />
den gauzen llaqm zwischen den Strebepfeilern einnehmen soilen -<br />
<strong>und</strong> das ver1gt das gotische Prinzip -, so wird das Mittelportal<br />
nicht nur viel breiter, son<strong>der</strong>n auch entspec1ied 1iiher ais die<br />
Seitenportale. 1m Aufbau <strong>der</strong> Tiirme eiitsptchen die beiden ersten<br />
Geschosse den Seitenschiffen <strong>und</strong> den Ernporeii, das dritte, von je<br />
zwei Blendarkaden gebildete, dem Obergaden. <strong>Das</strong> Mittelstiick<br />
nimmt keine Riicksicht auf das System des Langhauses; es besteht<br />
ans dem grof3en Portai <strong>und</strong> einem Spitzbogenfenster. llhiler dem<br />
dritten GeschoB des Mittelstiicks (gleich dem vierten <strong>der</strong> Tiirme)<br />
1) Die âsthetische Wiirdigung <strong>der</strong> Fassaile siehe bei D. & y. B. I S. 636.<br />
2) D. & v. B. II S. 58. Aufnahinen von Senlis in Mon. hist. I, Taf. 32-34<br />
<strong>und</strong> Kin III 69-74.<br />
3) AIso eine âhnliclle Liisung wie in St Denis.
- I<br />
lag das Dach des frtihgotischen, in spttestgotiseher Zeit umgebauten<br />
<strong>und</strong> erhhten Hochschiffes. Dieses Gesehol) bildet ein horizontales<br />
Bad, dits die drei Telle <strong>der</strong> Fassade oben noch einmal<br />
zusamrnensphuieft, ehe sich die seibsUindigen Turmgeschosse eutckiiY<br />
In Noyon haben die Tiirme wie<strong>der</strong> wie in St. Denis fast die<br />
Breite des Mittelsehiffes, wolil den Portaleii zuliebe. Zwischen den<br />
Strebepfeilern i <strong>und</strong> den Seitenschiffswndell bleibt noch Raum fur<br />
Wendeltreppen. In den Obergaden einsc1ineiende Verstrebungen (u)<br />
fehien gnzlich. Infolge <strong>der</strong> beinahe gleichen Breite haben die<br />
drei Portale auch die gleiche Hhe'), <strong>und</strong> zwai sind sic hther ais<br />
die Seiteschifie. 1m Aufril3 ist also ein Anch1iii3 <strong>der</strong> an<br />
die Ab1eii nicht môglich. <strong>Das</strong> Innere <strong>der</strong> Tiirme iffnet sich bis<br />
zur JIhe des Hochschiffsgesimses nach dem Mitteistiick <strong>und</strong> bildet<br />
mit diesem gewisserma0en ein westliches Querhaus 2), in das das<br />
MitteIschiff, die Seitenschiffe <strong>und</strong> die Emporen des Larighauses<br />
münden,'ein auBerordentiich gliickiicher G edanke, <strong>der</strong> lei<strong>der</strong> nicht<br />
wie<strong>der</strong> aufgenommen wurde. Die untere Hi%lfte des Auf risses dieses<br />
,,Querhauses" nimmt das Portalgeschol3 cm, die obere eine Reille<br />
von drei Fenstern. 3) Es ergeben sich also durchgehend Horizontallinien,<br />
wie sie in St. Denis <strong>und</strong> Senlis nicht vor ande' n sind. tber<br />
deii beiden Hauptgeschossen zieht sich, wie in Senlis, eine den<br />
Hochschiffsgiebel verdeckende Blendgalerie hin. Diese Galerie,<br />
wohl eine 1',-inbi1iung des entsprechenden Gescliosses <strong>der</strong> Fassade<br />
von Senlis, hat e.ine sehr wichtige Roue zu spielen. Per Meister<br />
<strong>der</strong> Fassady ou Noyon hatte wohl das oben an <strong>der</strong> Fassade von<br />
St. Denis gerte Mi13erhiiitnis <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong> Tiirme zur Masse<br />
des Mitteistuckes empfun(ien Mit <strong>der</strong> Breite wachs naturlich auch<br />
die Hôlie <strong>der</strong> Tbrme. Sie erhiiltn aiso in doppelter Beziehung das<br />
TJbergewicht über das Mittelsttick, so daB dieses gewisserinaBen<br />
nur noch die Brücke zwischen den beiden Ttirmen bildet <strong>und</strong> jede<br />
seibstiindige o<strong>der</strong> gar dominierende Bedeutting verliert. Diesen<br />
1) <strong>Das</strong> mittiere Portai ist von einem Bo-en iiberw51bt, <strong>der</strong> noch fast cinen<br />
Halbkreis bildet, die beiden scitiiehen zeigen eine stiirkere Znspitzimg. In<br />
St. Denis haben aile drei Portale noch den reinen R<strong>und</strong>bogen .bei verschiedener<br />
Breito <strong>und</strong> Robe <strong>der</strong> Portale. In Noyon maeht es die Àdwndnng eines Spitzbogens<br />
mglich, die gleiche Scheitelhthe trotz versehiedener Breito <strong>und</strong> gleieher<br />
Kimpferhiho zu erreichen.<br />
2) G. UNGEWITTER, Lehrbuch <strong>der</strong> gotischen Konstruktionen Leipzig 1859<br />
bis 1864, S.564.<br />
8) <strong>Das</strong> mittlere wurde spter umgestaltet, auch die Vorhalle ist nachtrg-<br />
Jich angefiigt worden.
-8---<br />
Eindruck vermehrt die stark betonte Glie<strong>der</strong>ung durcli die Strebepfeiler.<br />
Denn das Auge sieht nebeneinan<strong>der</strong> drei deutlich voneinau<strong>der</strong><br />
ge&ennte Teile in ihrer ganzen vertikalen Aiisd1nmg:<br />
den iinken Turm von <strong>der</strong> Basis bis zum Heim, das Mittelsttick von<br />
<strong>der</strong> Basis bis zuni Giebel, den rechten Turrn von <strong>der</strong> Basis bis<br />
zum Heim. Die Fassade zerf1lt also in drei voneinan<strong>der</strong> unabliitngige<br />
Teile, da infolge <strong>der</strong> Kleinlieit des Mittelstiicks 1on , einer<br />
Untei'ordi'iuiig 'zweier G-lie<strong>der</strong> unter ein drittes iiichts zu iiiiist.<br />
Diesen Fehier vermied <strong>der</strong> Meistei' von Noyon dadurch, daB er den<br />
Mittelschiffsgiebei durci ein drittes (-'yeschot3 in Gestalt einer Blendgalerie<br />
verdeckte <strong>und</strong> so die Masse des Mittelstticks nui die Hhe<br />
dieses Gesehosses verinehrte.. Denn ein Mittelschiffs gi e bel erscheint<br />
dem Auge mir ais die Kriiiiuug, das dwch. die Galerie gebildete<br />
Rechteek rechnet man aber uiiwillkiirlicli zwn Krper des<br />
Mittelstiicks. Die Galerie zieht sich zwar auch um die r1i1.me<br />
herum, wird aber von den trebepfeilern in iTeile zernite&<br />
Die durchgehenden Hoiizontallinien haben berup ha eine se wachere<br />
Bildung ais die séhkréciiten Teilungslinien, die Strebepfeiler.<br />
Wir kommen nun zu eineru Bau mit giinzlich an<strong>der</strong>n Baumproportionen,<br />
ais sie die (Irei bisher besprochenen Kirclie.n liaben,<br />
zur Kathedrale von Sens.') Sens lie-t, siidistiich von Paris in <strong>der</strong><br />
Hochchampagne, unwei <strong>der</strong> Grenze dieser Landschaft gegen Barg<strong>und</strong>.<br />
\Tieileieht erhr 4 die Nachharschaft <strong>der</strong> burg<strong>und</strong>ischen<br />
Baateu die breiten Raumproportionen, vielleicht ergaben sie sicli<br />
ledigiich ails <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>benutznng alter F<strong>und</strong>amente. 2) <strong>Das</strong> Mitteischiif<br />
hat eine Achsenweite von 15m <strong>und</strong> eine Hbhe von 25 in.<br />
Lei<strong>der</strong> steht von <strong>der</strong> Fassade des 12. JaIu'h. mir noci <strong>der</strong><br />
n$rd1iclie Turm. Der siidiiche sttirzte mi Jahre 1267 eiii <strong>und</strong><br />
wurde saint dem Mittelstiick <strong>der</strong> Fassade <strong>und</strong> <strong>der</strong> SUdwestecke des<br />
Schiffes in hochgotischeiFormen wie<strong>der</strong> aufgefUhrt. Unsere Keuntnis<br />
<strong>der</strong> Baudaten ist -1iienhat. l5ie Kathedraie wurde miter dem<br />
Trzbischof HENni U SANGLIER (1122 bis 1143) begonnen <strong>und</strong> wurde<br />
mit Ausnahrne <strong>der</strong> Fassade 1168 vollendet. 1m AiischluB au den<br />
Neubau des Slldturmes erhielt das IJochschiff hihere Fenster, ui<br />
die von <strong>der</strong> Hochwand zum Gelhecheit'et ansteigenden i!eit<br />
<strong>der</strong> sechsteiligen Gewôlbe wiirden durch neue mit \s1'flMn<br />
1) Zur Baugcschichte <strong>der</strong> Kathedrale von Sens vgl. CHARLES PoaÉi-, Sens<br />
<strong>und</strong> Les architectes et la construction de la cathédrale de Sens auf S. 209 if. <strong>und</strong><br />
559 if. im Congrès ar&h. 1907. Tinsere Fig. .5 nach dem Gr<strong>und</strong>rifi von LEF:VRE-<br />
PoN'r&nIs hinter S. 210 mi Congrès arch. 1907.<br />
2) P0aÉE S. 562.
Scheitel ersetzt. <strong>Das</strong> in <strong>der</strong> Achse des Seitenschiffes liegende Portai<br />
wurde ebenfails erst im 13. Jahrh. durchgebiochen.1) Pen Aufril3<br />
<strong>der</strong> alteil Fassade i8t uns noch die Stockserk11iii<br />
des Nordturmes ahuen. Über dem Portai foigt eine Blendgaierie,<br />
dann ein Gesims, das sich urspring1ic1i in gleicher Hihe liber<br />
dem Hauptportal fortsetzte. Dieses Gesims liegt in <strong>der</strong> Hthe<br />
des FuBbdens des Triforiums. Den Raum des Triforiums <strong>und</strong><br />
Oberi ninimt an <strong>der</strong> Fassade cia FenstergeschoB ein. Die<br />
offene Z' iaierie, die am Langhause vor <strong>der</strong> Erneuerung <strong>der</strong><br />
Fenster <strong>und</strong> <strong>der</strong> dazugehirigen Gew1bekappen die HShendifferenz<br />
zwischen <strong>der</strong> Hochschiffswarid <strong>und</strong> dem G ewOlbescheitel ausglich,<br />
setzt sich am Nordturm iii Forai einer kleinen Blendgalerie<br />
fort <strong>und</strong> lief wohl ursprUnglich auch liber das MittelstUck <strong>der</strong> Fassade<br />
weiter. Hier am Mittelstiick entspracfi den Seitenschiff en das<br />
Portai, dem Obergaden saint Triforium ein Fenster. Aberiè sali'<br />
dieses Fenster aus? War es cia schlankes Spitzbogenfenster<br />
zwischen zwei Blenden wie an den TUrmen? Wohi kauni. Die<br />
dieimalige Aieiidung desselben Motivs hutte gar zu i 'tfig geii'kt.<br />
O<strong>der</strong> ein breiteres Spitzbogenfenster, wie an dem Neuban<br />
des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts? Es Mtte dann seine Parallelen in Senlis<br />
<strong>und</strong> Noyon gehabt. Aber an diesen beiden Fassaden ist das Feld<br />
schlanker, wubred in Sens im 13. Jahrhun<strong>der</strong>t dm Gesims liber<br />
dem Portai tiefer g1egt werden muBte, damit ein Fenster von<br />
einigermaf3en éxtruichen Verhuiitnissen Platz erhieit. Die annuhernd<br />
quadratische Form des Feldes liber dem Portai iegt es<br />
nahe, eine Rose ais Hauptfenster <strong>der</strong> Fassade anzunehmen. Vielleicht<br />
war die Blendgalerie liber dem Fenstergeschol3 <strong>der</strong> Tiirme<br />
beim flbergang zum Mittelstiick <strong>der</strong> Fassade etwasaufwiirts<br />
kripft, wie an <strong>der</strong> Westfassade <strong>der</strong> Kathedraie von Laon. Dama<br />
wure die Rose von einem reinen Quadrat ùinia1init gewesen. Don<br />
gieichen Fassadenaufrif3, ein den Seitenschiffen entsprcchendes Untei'geschoB,<br />
dariber eine Rose, finden wir an <strong>der</strong> Kirche St. Yved in<br />
Braisne wie<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Quersclinitt etwas schlanker ais <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Kathedrale in Sens ist. Da die drei Fassaden in Braisne turmios<br />
sind steilten sie kein beson<strong>der</strong>es. Problem.<br />
À<br />
Der Gr<strong>und</strong>riB <strong>der</strong> Tirme paB ich, im Inneru den Seitenseluflen<br />
ni <strong>der</strong> Breite genau an AiiBen spi ingen die Turme ubci<br />
die Fiùclit <strong>der</strong> Seitenschiffswande nicht bèthûicli or. Am<br />
Nordturin hat daher die nOrdiiche, am Siidturm hatte die siidii(-he<br />
1) POEE S. 223.
- 10 -<br />
Wand 1) eine Stitrke von 5 1/.m. Trotzdem hat man es f lir ntig<br />
gehalten, sie in <strong>der</strong>selben Stitrke ais Strebepfeiier soweit nach Osten<br />
fortzusetzen, daB das 1 erste Seitenschiffsjoch verdeckt wird. An<br />
den dem Mittelschiff zugIehrten Ecken rûh 'eh die Tiirme auf Freipfeilern.<br />
lJiese haben zwar ebenfails eine bedeutende Stitrke, sind<br />
aber im Vergleich zu den dicken Turmwitnden <strong>und</strong> fur die Last<br />
<strong>der</strong> oberen, mir durci kleine Ôffnungen , er1eihterten Turmgeschosse,<br />
immer noch zu schwach. Der Eiisturz âes Siidturmes hat daf tir<br />
den Iewe'is ge1iefert.2)<br />
Wann entstand nun <strong>der</strong> Entwurf zu dieser Fassade? In Angriif<br />
genommen worden ist sie erst am Ende des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts.3)<br />
Dagegen ist <strong>der</strong> Chor <strong>der</strong> Kathedrale sicher vor 1143 begonnen<br />
worden. Aber um diese Zeit kann <strong>der</strong> AufriB noch nicht in allen<br />
Teilen so augese1ien haben, wie <strong>der</strong> zur Aufiihiûng geÏangte Bau.<br />
Die offenen Strebebtgen waren damais noch unbekannt. 4) Vielmehr<br />
machen es die im VerhLitnis zuni Gesanitquerschnitt bedeutende<br />
llhe <strong>der</strong> Seitenschiffe <strong>und</strong> die gring Hbhe <strong>der</strong> Hochschiffsgewtilbe-<br />
.ipferwahrs(heinlich, daB <strong>der</strong> erste Etwurf nur mit einer<br />
Wi<strong>der</strong>lagerùng <strong>der</strong> Hochschiffsgewiilbe dureli Ubermauerung <strong>der</strong><br />
Seitenschiffsgurte gerechiiet hat. An<strong>der</strong>seits legt die Beobachtung,<br />
1) Bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung im 13. Jahrh. sparte man eine Nische aus.<br />
2) )ber die Zeit <strong>der</strong> Erbanung <strong>der</strong> Fassade berichtet <strong>der</strong> gegen des Ende<br />
des 13. Jahrli. schreibende Chronist GF.OFvROY DE CounoN nichts. Er erziihlt<br />
aber vom Erzbischof SEvIN (Ende des 10. Jahrh.) Tabulam argenteam et auream<br />
ante altare S. Stephani construxit, de qua postea ante majorem ecclesiam facta<br />
est turris mire et famose altitudinis." PORÉE (S. 546 f.) will unter diesem<br />
Turme den eingestilrzten Sildturm verstanden wissen, <strong>der</strong> im il. Jahrh. <strong>der</strong> Kirche<br />
des 10. Jahrhun<strong>der</strong>ts angefligt wordeu sei. L'ignorance où paraît être le chroniqueur<br />
à ce sujet nous la ferait plutôt attribuer à une époque assez éloignée de<br />
celle où il écrivait, c'est-à-dire au XIe siscle. Quoiqu'il en soit, la hauteur<br />
excessive de cette tour fut la cause de sa ruine. Dicser SchiulI ist etwas gewagt.<br />
Denu f Urs erste ist es zweifeuiaft, ob hier Uberhaupt von eincm Turnie<br />
<strong>der</strong> heute noch stehenden Kathedrale die Rode ist. Auch von einem spiiteren<br />
Einsturz dieses Tannes wird nic.hts gesagt. Zweitens fragt es sich, ob man<br />
miter turris wirklich nur einen Turrn verstehen muf3 o<strong>der</strong> uicht vielmehi die<br />
ganze Fassade. Drittens braucht <strong>der</strong> am Ende des 13. Jahun<strong>der</strong>ts schxeibende<br />
Chronist nichts von den Baudaten einer Fassade des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts zu wissen;<br />
die Gr<strong>und</strong>sein1egung, von dey er weuigstens berichtet, miter welchem Erzbischof<br />
sic stattgef<strong>und</strong>en bat, <strong>und</strong> die Weihc <strong>der</strong> dom Kultus dienenden Toile <strong>der</strong> Kirche<br />
waren wiehtigerc Ereignisse ais <strong>der</strong> Beginu o<strong>der</strong> die Vollendung <strong>der</strong> Fassade.<br />
Er erwiihnt ja auch den ,,Turm von wun<strong>der</strong>barer Hôhe" nur, mn einen MaBstab<br />
fur den Wert des Antependiums zu geben, ans dessen Erkis or erbaut worden ist.<br />
3) PoaÉz S. 564.<br />
4) D. & y . B. 1 S. 428 if.
- 11 -<br />
daB eine soiche unter den Seitenschiffsdichern liegende Verstrebung<br />
noch die (;ew]bekampfer erreiclien wiirde, deii SchluB nahe, daB<br />
<strong>der</strong> Qtierschnitt des muera in seinea jetzigen Abmessungen scion<br />
durci den ersten Entwurf festgelegt. war. Nur die offenen Strebebôgen<br />
wren dana ein spterer Zuskit Daraus foigt mit gro3er<br />
Wahrscheiniichkeit, daB <strong>der</strong> Entwurf <strong>der</strong> Fassade wenigstens in<br />
den Hauptiinien dem ersten Gesamtplan angeh4rt, daB die Fassade<br />
also gleickzeitig o<strong>der</strong> friher ais die von St. Denis entworfen<br />
wordea ist.<br />
Die erste gotische Kirche, bei <strong>der</strong>en Bau das Problem, die<br />
Fassade. sowohi im Gr<strong>und</strong>ril3 wie im AufriB dem Langhause genau<br />
aiizupassen, wirklich geliist worden ist., ist die Koilegiatkirche von<br />
Mantes.') Pie unteren Turmgeschosse haben genan die Dimensionen<br />
eines Seitenschiffsjoches <strong>und</strong> fiihren also die Seitenschiffe bis zur<br />
Fassade fort. Die Schiffsfenster nehmen in Mantes noch nicht den<br />
ganzen Raum zwischen zwei Strebepfeilern ein. Daher verdeckt<br />
die Verstrebung r auf <strong>der</strong> Nordseite das Seitenschiffsfenster nicht;<br />
au <strong>der</strong> Sidseite liegt eine Wendeltreppe vor dem Fenster. Bei u<br />
sind keine Strebepfeiler vohanden. Die Freipfeiler <strong>der</strong> Tiirme sind<br />
zwar im Vergleich zu den Schiffspfeilern immer noch sehr stark.<br />
Da aber das aus vier Boppeijochen bestehende Langhaus Stiïtzenwechsel<br />
<strong>und</strong> sechsteilige Kreuzgewibe hat, ren sie den Rhythmus<br />
des Systems nicht; denu das oblonge Joch<strong>der</strong> Turmhalie charakterisiert<br />
sich schon durch seine Gr<strong>und</strong>riBesiItung ais ein beson<strong>der</strong>es,<br />
zu den unter sicli gleichartigen Abteiiungen des Langhauses<br />
kontrastierendes Giied. 2) Auch <strong>der</strong> Aufbaru <strong>der</strong> Fassade<br />
entspricht dem des Langliauses <strong>und</strong> zwar im Mitteischiff wie in<br />
den TUrmen. Bas UntergeschoB liat die Hhe <strong>der</strong> Seitenschiffe,<br />
das zweite GeschoB liegt in Emporenhôhe, das Rosengeschof3 eutspricht<br />
dem Obergaden. Pas System besitzt kein Triforium. Der<br />
Raum zwischen Empore <strong>und</strong> Obergaden wird iiur durch einen<br />
Blendbogen geglie<strong>der</strong>t, <strong>der</strong> die drei Arkaden eines Emporenjoches<br />
zusammenfaBt <strong>und</strong> das luinter <strong>der</strong> Wand liegende transversale<br />
TonnengewL1be andeutet. Bern Meister war also f iir die Abgreii-'<br />
zung des zweiten <strong>und</strong> dritten Fassadengeschosses ein ziemlich weiter<br />
Spielraum gelassen. Er zieht deshaib auch den grôl3ereu Teil<br />
dieses Raumes im Aufril3 <strong>der</strong> Fassade zum zweiten Geschol3, um<br />
diesem nicht den Charakter eines Zwischengliedes, son<strong>der</strong>n eines<br />
1) Mou. hist. I Taf. 16. Xna III 89-91.<br />
2) Vgl. S. 4.
- 12<br />
se1bststndigen, den beiden an<strong>der</strong>n gleichwertigen Geschosses zu<br />
geben.<br />
Wir haben gesehen, daB in Senlis die Beschnkung <strong>der</strong> Tuniibasis<br />
auf die Breite eines Seitenschiffes einen recht fiih1bren<br />
Grôl3enunterscliied <strong>der</strong> drei Portale bedingte. Die Folge wai <strong>der</strong><br />
Verz!cbt. auf jede reïite, durchgeheiide Teilungslinie. Die<br />
Tiirme sc1iÏosen sich in ihrein Aufhau den Abseiten an. Iii Noyon<br />
batte ii'rng'ek€1t die Anjssung <strong>der</strong> Seitenportale an das Mittelportai<br />
den , Verzicht auf den Ansehhill <strong>der</strong> Tiirme an den Aufbau<br />
<strong>der</strong> Abse.tei ziir Folge gehabt. Der Meister von Mantes verbindet<br />
die Vorziige bei<strong>der</strong> Fassaden, indem er sich eines aul3erordentlich<br />
klihuien Mittels liient. Die Strebepfeiler m siiid im Gr<strong>und</strong>riB<br />
etwas vrschiebbar, da sic dicker sind ais die Mittelschiffswaiid,<br />
<strong>der</strong>en Schub sic abzuinén haben. Sie werden aiso soweit \vie<br />
miiglich aus <strong>der</strong> Achse <strong>der</strong> Schiffspfeiler gschobeit <strong>und</strong> einan<strong>der</strong><br />
genilhert, d. h. die Tiirme werdeii aiif Kosteii des Mitteistiickes<br />
verbreitert. Fur den Aufbau bringt diese Versdiiebung dei Strebepfeiler<br />
groBe Vorteille. lin breiteres Mittelpoital hiltte eiue<br />
grtiBere Hôhe erlialten miissen; die FuBlinie des zweiten Fassadengesehosses<br />
wilre also hôher ais <strong>der</strong> EmporenfuBboden zu liégèn<br />
gekominen. An<strong>der</strong>erseits wilren schmilere Seitenportale iiiedriger<br />
geworden, die kahie Mauerf1che liber ihnen wiire also gewachsen,<br />
zumal bei grôBerer Hiihe des ersten Geschosses, wie sic<br />
ein grôBeres Mittelportal beding .l liatte. Derselbe lJleistand lutte<br />
sich im dritten GeschoB wie<strong>der</strong>holt. Bei grôf3erem AI) tand <strong>der</strong><br />
Strebepfeiler hutte <strong>der</strong> Durchmesser <strong>der</strong> Rose <strong>und</strong> mit ihrn die<br />
vei'tikale Aiisdehnung des dritten Gesehosses zugenommen. Die<br />
Ko teh <strong>der</strong> VergriiBerung hutte wie<strong>der</strong>uiii das zweite zu tragen;<br />
denn das Hdherlegen des dritteii Gesehosses witre mit Schwierigkeiten<br />
verb<strong>und</strong>en, da <strong>der</strong> Scheitel <strong>der</strong> Rose nicht über den Hochschiffsgewôlben<br />
liegen sou. Den lJnterschied zwischen einem FassadenanfriB<br />
ohue Vrschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler m <strong>und</strong> einem mit<br />
Verschiebung <strong>der</strong>selben macheii die Figuren 2 n <strong>und</strong> 2b anscliaulieh.<br />
Durch die Verschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler m gelirigt es also deiii<br />
Meister, die drei Portale zueinan<strong>der</strong> in ein aimessenes Grôfienverhilltnis<br />
zu setzen <strong>und</strong> zugleich die Hôhe des ersten <strong>und</strong> dritten<br />
Geschosses soweit zu verringérn, daB fur cm <strong>der</strong> Empore des Langhauses<br />
entsprechendes GeschoB Raum bleibt.')<br />
1) Fig. 6 a zeigt in schematiseher Foim don Aufrili <strong>der</strong> Fassade von Mantes,<br />
wie er sich bei normaler Lage <strong>der</strong> Strebepfeiler ni ergeben h.tte. Fig. 6b stellt<br />
die Folgen <strong>der</strong> \Terschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler dar. Zum Vergleich sind in 6c
- 13 -<br />
Pas vierte Gescho(3 kommt f tir uns nicht in Betracht; es ge-<br />
Iiiirt einer sptteren Bauperiode <strong>und</strong> einem an<strong>der</strong>ei Meister an.<br />
Pas System <strong>der</strong> Koilegiatkirehe voii Mantes war vorbildlich gewesen<br />
fir die Notre-Dame in Paris'), das vierte FassadengesclioB<br />
ist eine N.ahmung desselben Bauteis <strong>der</strong> Panser Kathedrale,<br />
<strong>und</strong> zwar eine sinn1os Naobalimung. Die ganze<br />
Fassade ersheint durch dieses Gesc.ho13 gleichsam mit Gewait in<br />
die Hhe grrt. In Paris ist dieses Bauied wie in Noyon absolut<br />
notwendig, hier wirf t es die ganze Fassade ans <strong>der</strong> Proportion<br />
2)<br />
,,Die Fassade von Notre-]Mie zu Paris, begonnen um 1218,<br />
wird in Frankreich hrkiinmlicherweise ais ,Kinigin <strong>der</strong> gotisehen<br />
Fassaden' gepriesen. Wir kiinnen, sobald das Wort gotiscli betoit<br />
wird, diesem Ifl nicht zsfiien. Pas mo<strong>der</strong>ne Gefiihi<br />
erkennt in ihr Eigenschaften wie<strong>der</strong>, zu <strong>der</strong>en Schitt.zung es durch<br />
die Antike <strong>und</strong> Renaissance erzogen ist - Ruhe <strong>der</strong> Massenwirkung<br />
irnd Ebinii3 <strong>der</strong> planimetrischen Verhitltnisse - Eigenschaften,<br />
die ais Erzeugnis des gotisclien Formensystems so wenig<br />
gelten ki3nnen, daf3 sie durch dessen konsequente Fortentwicklung<br />
vielmehr ausgeschlossen wurden. So ist denn, die Wahrheit zu<br />
sagen, die Fassade <strong>der</strong> Notre-Dame in <strong>der</strong> ailgemeinen Intention<br />
viel weniger gotisch. ais es jene von St. Deuis schon gewesen war.<br />
ie verleilit <strong>der</strong>wageiichten Lgerung des \ufbaues einen Iach-<br />
1ruck, <strong>der</strong> es gauz begreifiich macht, daB rfahrungsgmitB ebendasselbe<br />
mo<strong>der</strong>ne Gefiihrdie Nichtvollendung <strong>der</strong> rfiïrme, obgieich<br />
ihre Kriinung durch sehr hoch <strong>und</strong> schlank zu denkende Helme<br />
zweifellos zum Plane gehrt bat, ûifan( ,.rweise garnicht ais<br />
.sthetischeii Mae1 eipfiuidet." )<br />
Die Fassade von Notre-Dame bedeutet also, entwicklungsgeschichtlich<br />
betraclitet, einen RUickschnitt. Da sie aber, fur sich<br />
betrachtet, ein Werk allerersten Ranges ist, mflssen wir uns die<br />
Frage voniegen: wie ist dieser Riickfall zu erki.ren? Whrend<br />
<strong>und</strong> 8 d die Fassaden von Noyon irnd Paris skizziert. Die Proportionen des Mittelschiffes,<br />
das ja die Hdhe <strong>und</strong> Breite des Fassadeninitteistiiekes bestimmt, sind<br />
in alleu drei Kirchen anniihernd gleich, in Noyon ist das Mittelsehiif etwas<br />
niedriger.<br />
1) D. & y . B. II S. 66.<br />
2) DaB die beiden oberen Gesehosse friihestens erst im S. Jahrzehnt des<br />
13. Jahrhun<strong>der</strong>ts zur Ausfdhrung gekommen sind, beweist auUer <strong>der</strong> Gestaltnng<br />
des 4. Gesehosses das Mallwerk <strong>der</strong> Rose. Es âhnelt dem <strong>der</strong> westliehen Rose<br />
in Laon, die ebenfails erst dieser Zeit angeliOrt.<br />
S) D. & y . B 11 97f.
- 14 -<br />
das Langhaus eine Weiterbiidung - desselben Bauteiles in Mantes<br />
ist, geht die Fassade auf das Vorbild von Noyon zurilck. <strong>Das</strong><br />
ftinfschifflge Langhaus zwingt dazu. Es verlangt bedeutend<br />
dickere Turme ais die Kirche in Mantes, weil ein Turin zwei<br />
Seitenschif[e zu verdecken hat. Den Gr<strong>und</strong>rif3 <strong>der</strong> Tiirme bildet<br />
daher ein Quadrat, dessen Seite <strong>der</strong> Breite zweier Seitenschiffe<br />
gleichkommt. Die Strebepfeiler y dienen zugeicli dem ersten<br />
Seitensehiffsjoch ais Auflenwand. Die Turmfreipfeiler sind sehr<br />
dick. Trotzdem ist ihr Achsenabstand vom ersten Schiffspfeiier<br />
<strong>der</strong>seibe wie in allen Mrigen Schiffsjochen. Infolgedessen hat die<br />
erste Arkade eiue geringere lichte Weite ais die an<strong>der</strong>en, <strong>und</strong> die<br />
Empore des ersten Joches hat nur zwei Offiiungen an Stelie <strong>der</strong><br />
drei in den an<strong>der</strong>en Jochen.') Die Strebepfeiler laden so wenig<br />
ans, daB sie we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Empore noch fin Obergaden eine Offnung<br />
verdecken 2). Die Strebepfeiler m liegeii normaier Weise in<br />
<strong>der</strong> Achse <strong>der</strong> Schiffspfeiler. Die westliciie H1fte des Mittelsttckes<br />
wird von einer Empore eiienommen, die sich in halber<br />
Htihe <strong>der</strong> Schiffsemporen auf einem flachen Bogen von einen1 Turm<br />
zum an<strong>der</strong>en hiniïberspannt <strong>und</strong> die Verbindung zwischen den<br />
zweiten Geschossen <strong>der</strong> Tiirme herstellt. 1m ersten Joche <strong>der</strong><br />
Schiffsemporen f ihren flache Treppen zum zweiten PurmgesclioB<br />
Iiinauf 3). Der Gedanke des Meisters von Noyon, ein westliches<br />
Querhaus anzulegen, ist also nicht wie<strong>der</strong> aufgenommen worden.<br />
Da die Portale den gauzen Raum zwischen den Strebepfeilern<br />
einuehmen, silld sie so grol3, daB sie über den Fuf3boden <strong>der</strong> Empore<br />
hinausragen. An<strong>der</strong>erseits ist <strong>der</strong> Rosendurchmesser <strong>und</strong> damit<br />
die vertikale Au t3 des iosengeschosses so ro13, daB<br />
dieses Geschol3 unter den Scheitel <strong>der</strong> Emporen hinabreicht Eme<br />
Korrektur durch die Veisciiicbun( y <strong>der</strong> Strebepfeiler m wie in<br />
Mantes war nattirlich nicht mig1ich; deun eine Verkleinerung des<br />
Mittelstiicks mufite in Paris gerade vermieden werden, weil<br />
die Tiirme noch dicker <strong>und</strong> die Seitenportaie grôl3er ais das Mitte.1portai<br />
geworden waren. <strong>Das</strong> mittiere GeschoB von Mantes schiuiipt<br />
aiso zu eiuem Zwischengeschofl zusammen. Von diesem Horizontalgliede<br />
abgesehen, ist die Stockwerkeinteilungungefhr dieseibe<br />
wie in Noyon'). Damit dem Bèschauer die Nichtlibereinstimmung<br />
1) Lssus et VIouET-LE-Duc, Monographie de Notre-Dame de Paris, Taf. 48<br />
<strong>und</strong> 49, 19 <strong>und</strong> 20, 56 <strong>und</strong> 57.<br />
2) L&ssus et VIohI,ET-LE.Duc Taf. 50 <strong>und</strong> 51, 52 <strong>und</strong> 53, 54.<br />
3) LASSUS et VIOLL.wr-u-Duc Taf. 54, 56 <strong>und</strong> 57.<br />
') Wie schon in Anrn. 1 auf S. 12 erwàhnt, sind die Mittelsehiffsproportionen<br />
in Paris dieselben wie in Noyon <strong>und</strong> Mantes.
- 15 -<br />
des Fassadenaufbaues mit dem System des Schiffes nicht zum Bewul3tsein<br />
kommt, haben die Nord- <strong>und</strong> Siidseite <strong>der</strong> Turme keine<br />
Glie<strong>der</strong>ung durch Horizontale erhalten. Ihre Mitte nimmt cia<br />
dicker Treppenturm ei.n. Den Giebel des Hochsehiffdaches verdeckt<br />
eine auch uni die Tiirme herumiaufende offene Galerie, die dieselbe<br />
Aufgabe wie die Blendgalerie in Noyon zu erfUllen hat. Aber sie<br />
erfiliit ihre Aufgabe volikommener. In Noyon wird sie durci die<br />
Strebepfeiler in drei Teile zerschuitten. In Paris lauft sic um die<br />
Strebepfeiler herum <strong>und</strong> fafit so noch einmal, bevor sich die Tirme<br />
villig freimaclien, die drei nebeneinan<strong>der</strong> stehenden Teile <strong>der</strong><br />
Fassade zusammen. Weiter unten hat schon dem Zwischengeschot3,<br />
<strong>der</strong> sogenannten Knigsgaierie, dieselbe Aafgabe obgelegen.') Sic<br />
ist ebenfails um die Strebepfeiler herumgekriipft). Dieser ,,Horizontalismus"<br />
<strong>der</strong> Panser Fassade hat also den Zweck, delL Besciiauer<br />
zu zwingen, die Tiirme <strong>und</strong> das Mittelschiff nicht nebeneinan<strong>der</strong>,<br />
jedes Glied f tir sich, in semer gauzen Hôhenentwicklung,<br />
ins Auge zu fassen, son <strong>der</strong>n die beiden Gescliosse sarnt den beiden<br />
Galerien in ihrem Aufbau ilbereinan<strong>der</strong> zu betrachteii. Die Folge<br />
davon ist, daB man nicht den ganzen Kiiper <strong>der</strong> Tiirme mit <strong>der</strong><br />
Masse des Mittelschiffs vergleicht, son<strong>der</strong>a daB man ailes unter <strong>der</strong><br />
obersten Galerie Liegride ais eine einheitliche Masse auffal3t, die<br />
nun nattirlich das eishidene tbergewicht über die Thrme er-<br />
1) Über dem nirdlichen, etwas kicineren Seitenportaie erhebt eich ein Wimperg.<br />
Nattiriich wolite <strong>der</strong> Meister 1 <strong>der</strong> dieses Portai ausgefihrt bat, anchuber<br />
den beiden an<strong>der</strong>en Portalen cinen Wimperg anbringen. Eine <strong>der</strong>artige Uberhiihung<br />
des Mittelportales, auch wenn es etwas kleiner zu denken ware ais das<br />
zux Ansfuhrung e!ante, lutte fur die Kl$nigsgalerie keinen Platz gelassen. Es<br />
sind also zwei Entwürfe zu unterscheiden. Auf welche Vorbil<strong>der</strong> sie zuruckzufuhren<br />
sind, werden wir sputor (S. 90 <strong>und</strong> S. 98) sehen. Vor diesen beiden<br />
Entwiirfen bestand das erste Fassadenprojekt, das dem Gesamtpian <strong>der</strong> Kathedraie<br />
ans dem Jahre 1160 angehi5rt bat. Es wird noch mehr ais die ausgefiihrte<br />
Fassade <strong>der</strong> Fassade <strong>der</strong> Kathedraie von Noyon hhnlich gewesen sein. Die im<br />
12. Jahrhun<strong>der</strong>t gearbeiteten SkuIpturen des slldiichen Seitenportala, <strong>der</strong> Porte<br />
Sainte-Anne, <strong>und</strong> die von YIoET-LE-Duc gef<strong>und</strong>enen Bruclistucke beweisen, daB<br />
mail cine Fassade nach diesem ProjekLe begunnen hat. (Vgi. W. VouE, Die Au-<br />
Mage des monumentalen Stiles im Mitt&alter, Strafiburg 1894, S. 153 if.)<br />
2) Da ein soiches Horizontalband in Noyon an <strong>der</strong> eutspreehenden Stelle<br />
fehit <strong>und</strong> die Strebepfeiler ohne Unterbrechung bis zum Hochschiifsgesims aufsteigen,<br />
miissen sie auch die groLle Blendgalerie durehschneiden. Denu çs ijissen<br />
entwe<strong>der</strong> die Vertikalen o<strong>der</strong> die Horizontalen betont werden. Eine pl6tzliche,<br />
unten nicht vorbereitete Durchschneidung <strong>der</strong> Vertikaien in <strong>der</strong> Hiihe des llochschiifsdaches,<br />
wie sie in Mantes (infolge des Abweichens vom urspriinglichen<br />
Entwurfe) eintritt, wirkt gschmak1os.
- 16 -<br />
langt, da man diese ais Tùrme erst von dem Punkte an betraclitet,<br />
an dem sie sdbstindig werden').<br />
So erklltrt sich also die auf den ersten Blick merkwiirdig<br />
erscheinende Tatsache, daB die Gotik, die im Innen- <strong>und</strong> ABenbau<br />
<strong>der</strong> Schiffe die vertikaien Glie<strong>der</strong> auf s strkste etônt, 'an<br />
einigen Fassaden die 1-Iorizontalen so krftig hervorhebt, wie es<br />
seibst <strong>der</strong> romanische Stil nie getan batte. Aber es sind eben<br />
doch nur einige Fassaden, die die V ii1a'ang dazu gegeben<br />
haben, von dem Horizontalismus <strong>der</strong> gotisehen Fassaden Frankreichs"<br />
zu sprechen. tïberblickt man die Gesamtheit <strong>der</strong> auf<br />
unsere Zeit gekommenen frtih- <strong>und</strong> hochgotischen Fassaden in<br />
Frankreich, so ergibt sich, daB ein en'tschiedener Vertikalismus<br />
wie in <strong>der</strong> Ranmgestaltung so auch in <strong>der</strong> Fassadenkomposition<br />
das Ideal <strong>der</strong> franz5sisc1ien Gotiker ist, ein Ideal, das man schon<br />
in St. Denis erstrebt bat. Die <strong>Hochgotik</strong> wird, zumal in einigen<br />
viel zu wenig bekaunten o<strong>der</strong> nicht geniigend, gewiirdigten Quersçhifîsfassaden,<br />
Beispiele f ir einen ausgesprochenen Vertikalismus<br />
lifer'n. A1lrdiugs wre es einem Knst1er <strong>der</strong> klassischen Zeit<br />
unrng1ich gewesen, eine Fassade wie die des Kiiner Domes zu<br />
ent'veifeii, nur aus Libe zum gotischen Prinzip. Die franz$sischen<br />
Gotiker verzfciiïen vielmehr ohne Bedenken auf den Vertikalismus<br />
in <strong>der</strong> Fassade, sobald die Tiirme so dick wurden, daB<br />
sic das MitteistUck zu eidrUckeu diohen. Man kann also folgendes<br />
Gesetz aufstellen: Die gotisehen F'assaden in Frarikreich zeigen<br />
einen entschiedenen Vertikalismus, wenn die. Tiirme eine so kie.ine<br />
Basis <strong>und</strong> dementsprechend eine so geringe H6he haben, daB<br />
sic sich dem Mittelstiick unterordnen, daB sie es aiso nur flankieren.<br />
Die franzisischen G'otiker tragen aber kein Bedenken,<br />
einen je nach Beâarf mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> stark betonten Horizontalismus<br />
im Aufbau <strong>der</strong> Fassaden anzuwenden, sobal4 ohne diesen<br />
Horizontalismus die Tiirme das MittelstUck èrdriiken wiirden.<br />
1m ersten Falle ist die Fassade nichts weiter ais <strong>der</strong> mit architektonischern<br />
Detail ausgestattete <strong>und</strong> an seinen Ecken mit ieichten<br />
Tiirmen gekrtnte Querschnitt <strong>der</strong> hinter ihr liegenden Schiif e, also<br />
eine wirkiiche Fassacle zu dem dazu ge1irigen Bau; im zweiten<br />
1) Die von VI0LI.IT-LE-Duc in seinen Entretiens sur l'architecture (Atlas<br />
Taf. 14) versuchte Rekonstruktion <strong>der</strong> Tnrmbekriinungen ist hcht unwahrscheinlich.<br />
Durci das zwischen die quadratischen Tiirme <strong>und</strong> die Helmo cmgeschaltete<br />
Oktogon erh,altcn die Tiirme eine <strong>der</strong>artige Hohe, daB sie die feinen<br />
Proportionen <strong>der</strong> Fassade wie<strong>der</strong> vcrnichteu. Siehe D. & y. B. II S. 106 Aani.<br />
<strong>und</strong> HASAa S. 196. Bci HÂSAX aucli eine Abbildung <strong>der</strong> Rekonstruktion von<br />
VIoLIr-LE-Duc.
- 17 -<br />
Falle ist sie ein mehr o<strong>der</strong> weniger selbst.iidiges, mit dem Aufbau<br />
<strong>der</strong> Schiffe in keinem o<strong>der</strong> doch nur lockerem Zusammenhange<br />
stehendes SchaustUck.<br />
Seinen Hhepnnkt erreicht <strong>der</strong> friihgotische Fassadenbau in<br />
Laon. Die Kathedrale von Laon') hat aul3er <strong>der</strong> turmiosen<br />
Fassade des platt gesehiossenen Chores drei fast gleichmiLBig behandelte<br />
doppeltiirmige Fassaden an den beiden Enden des Querschiffes<br />
<strong>und</strong> dem westlichen Ende des Langhauses. Da die Ostseite<br />
des Querhauses <strong>und</strong> die ersten Joche des Chores den ititesten<br />
Teil <strong>der</strong> Kathedrale bilden - <strong>der</strong> urspriingiich mit einem Haibr<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Umgang schliel3ende Chor wurde nach 1200 verliingert -,<br />
sind auch die Querhausfassaden titer ais die Westfassade. Diese<br />
steht kiinstlerisch bei weitem am hichsten. Ihr Meister hat sich<br />
die beim Ban <strong>der</strong> Querschiffsfassaden gesammelten Erfahrungen zu<br />
Nutze gemacht <strong>und</strong> manclierlei Verbesserungen vorgenommen.<br />
Aile drei Fassaden éMii3en sich in ihrem Aufbau dem <strong>der</strong><br />
Schiffe an. <strong>Das</strong> RosengeschoB nimmt den Raum von Obergaden<br />
<strong>und</strong> Triforium ein, das mitUere GeschoB entspricht <strong>der</strong> Empore -<br />
an <strong>der</strong> Westfassade wird es allerdings zum Teil von den Portaibedachungen<br />
iiberschnitten; das PortalgeschoB hat genan die<br />
Hi1ie <strong>der</strong> Seitenscitiffe. Die Querschiffsfassaden geben aiso durch<br />
ihre Stockwerkeinteilung ein getreues BiId des Aufbaues <strong>der</strong><br />
Schiffe; in <strong>der</strong> iliihe des Hochschiffsdaches krnt eine Galerie die<br />
Fassaden. Uiikehi nimmt <strong>der</strong> Àuiiil3 <strong>der</strong> Schiif e auf die<br />
Fassaden Ricksicht, <strong>und</strong> zwar bei <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong> HoehschiffsgewLilbe.<br />
Seit <strong>der</strong> Einfiihrung <strong>der</strong> Kreuzrippen, des Spitzbogens<br />
<strong>und</strong> des iiul3eren Strebewerkes hatte man keinen Gr<strong>und</strong><br />
mehr, die Gewi1be mit Stich zu konstruieren. Demi die Rippen<br />
stien infolge <strong>der</strong> Aivehdung spitzbogiger Itappen aueh ohne<br />
' Sticli sEeÏ genug auf, <strong>und</strong> es empfahl sich, den gesamten Gewolbeschub<br />
auf die Verstrebungen zu konzentrieren, um die schwachen<br />
Sciiildmauern womiiglich gitnzlich zu entiasten. Die Gotik konstruierte<br />
darum ,auch sehr bald ausschliefluieh GewLibe mit wagerechtem<br />
SclieiteL Um so auffiliger ist es, dali die Hochschiffs-<br />
1) Mon. hist. I Taf. 47-49. KING III 33-42. Die genauesten Aufnahmen<br />
in <strong>der</strong> Grodfolio-Ansgabe <strong>der</strong> Mon. hist. von 1855-72, im 1. Baud ,,Architecture<br />
antique et religieuse". Diese Ausgabe hat keine Seiteuzahien. Per zn<br />
den einzelnelL Denkiniilern gehi3rigc Text ist ,jedesmal fUr sich paginiert. Flir<br />
die Kathedrale von Laon hat ihn BOESWILuW&LD, <strong>der</strong> seit 1853 die Wie<strong>der</strong>hersteUungsarbeiten<br />
an dieser Kirche goleitet hat, geschrieben. Wir zitieren ihn<br />
im folgenden mit: BoEswuwALD.<br />
2<br />
Kuoze, Dao Faadenprob1em.
- 18 -<br />
gewtilbe <strong>der</strong> Kathedrale von Laon eine Ausnahme machen. Die<br />
in <strong>der</strong> Richtung <strong>der</strong> Liingsaclise des Lang- <strong>und</strong> Querhauses laufenden<br />
Kappenscheitel bilden zwar fast vL11ig waerchte Linien,<br />
aber von den Schildwinden steigen die Kappen ziemlich sieil zum<br />
Schluf3stein <strong>der</strong> seclisteiligen Kreuzgew1be hinauf. Dementsprechend<br />
liegt <strong>der</strong> Scheitel <strong>der</strong> Gurtbgen 1iiher ais <strong>der</strong> <strong>der</strong> SchiIdbigen.<br />
Der Ur<strong>und</strong> hierfur kann meines Erhtens nur <strong>der</strong> sein, daf3 die<br />
GewilbescIieite1 des Hochschiffs die Hôhe des Rosenscheitels erreichen<br />
sollen. Ein hiherer Obergaden hittte zwar zu demselben<br />
Ziel gefiïhrt, aber er hittte vielleicht die Proportionen des Systems<br />
gestirt. Der starke Stich <strong>der</strong> Gew1be dagegen bot ein beuemes<br />
Mittel, den Hhenunterschied auszugleichen, sodafi dem Meister<br />
freier Spielraum f lir die Gestaltung des Schiffsystems <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Fassade blieb.<br />
Diese Konstruktion dei' HochscIiiffsgewi1be legt den Schluf3<br />
nahe, daB die Kathedrale von Laon in <strong>der</strong> Gestalt, in <strong>der</strong> wir sie<br />
noch heute sehen, mit Ausnahme des langen, piattgeschiossenen<br />
Chores <strong>und</strong> <strong>der</strong> .Mibauten des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts ein Werk aus<br />
einem Gu13 ist, trotz einer Bauzeit von 75 Jahren. Denn da<br />
scion <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong> noch vorhandenen Joche des alteil Chores<br />
die beschriebene Gewilheform aiigewandt hat, so wird er auch die<br />
Fassaden im wesentlichen so geplant haben, wie sie spitter ansgefuhrt<br />
worden sind. Wir haben hier das erste Beispiel dafiir, daB<br />
<strong>der</strong> Fassadenaufrifl den Querschnitt des Mittelschiffs beeinfiuBt.<br />
Wir werden sehen, daB die Kathedrale von Laon in diesem<br />
Punkte vorbildlich wurde fur die beiden folgenden hochgotischen<br />
Kathedralen, die von Chartres <strong>und</strong> Reims, wie sie auch die erste<br />
war, die ein dreischifflges Querbaus mit doppeltiirmigen Fasden<br />
erhielt, <strong>der</strong>eii vier rrjjrflle mit dem Vierungsturrn eine sehr wirkungsvoile<br />
Gruppe bilden. Diese <strong>der</strong> franziisischen Baukunst frernde, vom<br />
nie<strong>der</strong>rheinischen Romanismus ilbernommene Turmgruppierung blieb<br />
niclit ohne EinfluI3 auf die Gest.altung <strong>der</strong> Fassaden. Sie nitigte<br />
zu einer verschiedenen Behandiung <strong>der</strong> Querhaus- ami Langhausfassaden,<br />
wenn man eine Eintnigkeit, wie sie eine dreimalige<br />
Ausfiihrnng desseiben Fassadenentwurfs mit sich gebracht hittte,<br />
vermeiden wolite. Die kiînstierische Wirkung <strong>der</strong> Westfassade<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Querscliiffsfassadeii ' unterliegt a tdei ganz verschiedenen<br />
Bedinungen. Die Westfassade hat den Abschlut3 des Langhauses<br />
zu bilden <strong>und</strong> ist, von Westen ans betrachtet, ein Stiick fUr sich.<br />
Es kommt aiso bei ihr vor allem auf da.s Verliitltnis <strong>der</strong> Turme<br />
zum Mittelstiick an. Ganz an<strong>der</strong>s liegt die Sache bei den Quer-
- 19 -<br />
schifl'sfassaden'). Ihre Tiirme bilden mit dem Zentralt.urm eine<br />
Gruppe, sic nitissen also auch zu ihm iii Beziehung gesetzt werden.<br />
Lei<strong>der</strong> besteht bei keiner <strong>der</strong> gotischen Kathedralen <strong>der</strong> Vierungsturm<br />
noch in semer urspriïnglichen Gestalt. Deslialb konnen wir<br />
uns kein ansehauliches Bild von <strong>der</strong> Turmgruppe machen. Ebenso<br />
wissen wir nicht mehr, wie sich <strong>der</strong> ciste Meister von Laon das<br />
Gri5f3enverhltnis <strong>der</strong> Westtiirme zu den Querschiffsttirmen gedaclit<br />
hat. Der kleinere Maf3stab <strong>der</strong> West- (<strong>und</strong> Siid-)Fassadentiirme<br />
kann n&m1ich, wie wir sehen werden, auch in technisehen Bedenken<br />
seinen Gr<strong>und</strong> haben. Au!erdem liatte es <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong><br />
Westtiirme mit einem Gebitude von ganz an<strong>der</strong>er Lngenausdehnung<br />
zu tun, ais <strong>der</strong> erste Meister, <strong>der</strong> nur einen kurzen Chor aufgefihrt<br />
hatte. Ware dieser Chor erhalten gebiieben, so Iitte <strong>der</strong><br />
Vierungsturrn mit seinen vier Tr'abantén beinahe deii AbschluB des<br />
gauzen Geb.udes im Osten gebildet. Ein dem riei Vierungsturm<br />
die Wage haitendes Gegengewicht in Gestalt mglichst grot3er<br />
Westtiirme wire aso am Ende des Langliauses sehr wohl môglich,<br />
wenu auch nicht erfM&iIih ewesen 2). Nach <strong>der</strong> Erbauung des<br />
neuen Langchores hatte sicli aber die Sachiage gen<strong>der</strong>t. Jetzt<br />
bildete <strong>der</strong> Vierungsturm fast genau clic Mitte des auflergewi5hnlich<br />
langen Gebudes. Die Mitte war also beson<strong>der</strong>s zu ItdnU <strong>und</strong><br />
das West.ende dem Ostende miiglichst entsprechend zu gestalten.<br />
Daher waren die Westtiirme schoii nus âsthetischen Rucksichtcn -<br />
von den technischen ganz abgesehen - in kicinerem Mal3stabe<br />
auszufiihren ais die Querschiffstiirme. Einen entsprechenden Ab-<br />
1) Man ergiinze sich an <strong>der</strong> nrd1ichen Querschiffsfassade den fehienden<br />
Ostturm <strong>und</strong> die Turmhelme. <strong>Das</strong> Mittelstilck verliert (lann mehr an Gewicht,<br />
ais es eine gute Proportionierung er)aubt.<br />
2) Die Turmgruppierung von Laon wurde in Frankreich an den Kathedralen<br />
von Chartres <strong>und</strong> Reims wie<strong>der</strong>lioit. Von dem Groenverhaltnis <strong>der</strong> einzeinen<br />
Tllrme au diesen beiden Banten wird spater die Rede sein. In Deutschland<br />
folgten die Meister von Magdeburg <strong>und</strong> Limburg a. d. L. dem Beispiel von<br />
Laon. In Magdeburg kain <strong>der</strong> erste Meister, <strong>der</strong> zweifellos cinen Vierungsturm <strong>und</strong><br />
doppeltiirmige Qnerschiffsfassaden beabsiehtigte. uicht bis zur Fuiidamentierung<br />
<strong>der</strong> Westtilrxne. Erst <strong>der</strong> Meister 1 <strong>der</strong> die Seitenschiffe breiter atisgefUhrt bat,<br />
ais sie ursprUnglieh geplant waren, begann mit dem Bau des Nordturmes <strong>der</strong><br />
Westfassade. Wir kônnen uns also kein Bild mehr von dem GrÔBenverh1tnis<br />
<strong>der</strong> Ostiichen Turmgruppe zu den Westtïrrnen des ersten Entwurfes machen.<br />
In Limburg dirninieren die WesttUrme entschiedcn, wenfl sie auch von dem<br />
steileri (Ubrigens erst 1774 an die Stelle eines stumpferen gesetzten) Hel me des<br />
Vierungsturmes iiberragt werden. Allerdings war (lem gotisehen Meister keine<br />
Freiheit mehr gelassen. Er war gezwungcn scilicil Ban einem bis auf den Chor<br />
schon bestehenden romaniachen Erdgescho anfzu pfropfen.<br />
2*
- 20<br />
scliluB im Osten vermifit man librigens sehr. Sein Fehien macht<br />
sich beson<strong>der</strong>s deshaib so unangenehm bemerkbar, weil die Lage<br />
<strong>der</strong> Kathedrale einen Gesamtiiberblick liber die utirdiiche Ligsseite<br />
gestattet').<br />
Die Querschiffsfassaden gehuiren dem letzten Viertel des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
an. Die Anlage dreier Portale bot Schwierigkeiten. Die<br />
Seitenportale h.tten zwar in den ersten Turmgeschosseu gut Platz<br />
gehabt, aber das Mittelportal w.re entwe<strong>der</strong> zu groB geworden<br />
o<strong>der</strong> Mtte den Baum zwischen den Strebepfeilern nicht ausgefliult.<br />
Per Meister verzichtete daher auf die tibliche Portalanlage irnd<br />
versah die unteren Turmgeschosse mit Fenstern <strong>und</strong> das Mittelschiif<br />
mit zwei Portalen. Die Ttirme sind bedeutend breiter ais<br />
die Seitenschiffe. Die Verstrebungen y verdecken das erste Seitenschiffsjoch.<br />
Die Turmpfeiler sind zwar dicker ais ein Schiffspfeiler,<br />
aber doch fur die schweren TUrme viei zu schwach. Wie man<br />
noch heute sehen kann, sind sie nach dem Schiffe zu ausgewichen<br />
<strong>und</strong> haben das erste Querschiffsjoch zusamrnengedriickt, so daB die<br />
Schiffspfeiler <strong>und</strong> Triforiumsiiu1chen schief stehen. Schon am Ende<br />
des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts war man gezwungen die unteren Turmgeschosse<br />
auf allen Seiten zu sciilieBen <strong>und</strong> sogar im ersten Joch die Empore<br />
<strong>und</strong> das Triforium mit Mauerwerk auszuftillen, um ein Wi<strong>der</strong>ager<br />
fUr die Tiirme zu schaffen.') Die SUdfassade ist <strong>der</strong> Nordfassade<br />
sehr ilhnlich gewesen. Nur die Ttirme sied, vielieicht schon<br />
1) Auch fur die Tnnenwirknng bedeutet die Verliingerung des Chores <strong>und</strong><br />
sein glatter AbschluB keinen Gowinn (w. BEZOLD, S. 172).<br />
2) Es trat hier also sehon ungefiLhr cia Jahrhun<strong>der</strong>t nach <strong>der</strong> Vollendung<br />
des Bancs dieselbe Katastrophe ein wie in Straburg vor einigen Jahren. Wir<br />
geben daher die Ausflihrungen BOESWILLWALDS (S. 5) wie<strong>der</strong>: En effet il n'est pas<br />
douteux que peu d'années après la construction des clochers ouest du transept,<br />
la surcharge, produite par la surélévation des deux étages, provoqua des ruptures<br />
et des écrasements dans les maçonneries et, en particulier, dans les piliers trop<br />
faiblement établis au XIIe siècle, et formant la base de ces surélévations. Vers<br />
la fin du XIlI e siècle, lesdésordres survenus dans ces constructions étaient<br />
arrivés au point que, pour prévenir une ruine immédiate, on dut à la hte<br />
maçonner les baies du triforium entièrement déversé de la première travée du<br />
transept, celles de la grande galerie, et boucher les baies des deux clochers. O<br />
reprit ensuite à neuf, jusqu'à la hauteur des grandes voûtes, les piliers d'angle<br />
du transept, complètement ruinés. • lin Quersehiif stehen die Triforiensulchen<br />
nocli humer sehief. <strong>Das</strong> zut Verstrcbung <strong>der</strong> Querschiffst Orme in die Arkaden des<br />
Triforiums <strong>und</strong> <strong>der</strong> Empore eingefugte Mauerwerk war in Jahre 1908 noch nieh<br />
beseitigt. DaI3 man im Mittelalter Pfeiler, wie hier in Laon ira Qnerhaus anszuwechseln<br />
imstande war, zeigen z. B. die im 14. Jahrhun<strong>der</strong>t ausgeweehselten<br />
Pfeiler <strong>der</strong> westlichen Joehe des stidiichen Seitenschiffes ira Langchor <strong>der</strong> Notre-<br />
Dame-Kirche zu Paris. Vgl. VIoILET-Lx-Duc, Diet. V S. 832 if.
- 21 -<br />
in <strong>der</strong> richtigen Erkenntnis, daB sie fur die schwachen Freipfeiler<br />
zu schwer wiirden, bei gleicher Hôhe von <strong>der</strong> Basis an schlanker<br />
gebildet. Trotz<strong>der</strong>n traten dieselben Ilngliicksfiille ein wie an <strong>der</strong><br />
Nordfassade. Sie zogen auch die grol3e Rose in Mitleidenschaft,<br />
so daB sie uni 1300 durch ein bis fast zu deii Portalen herabreichendes<br />
Spitzbogenfenster ersetzt werden muBte.') Per Meister,<br />
<strong>der</strong> nach 1200 die Freigeschosse <strong>der</strong> Tiirme ausgefiîhrt hat, scheint<br />
schon die M.n gel <strong>der</strong> Konstruktion erkannt za haben <strong>und</strong> hat<br />
wohl deshalb nur die rfiirne an <strong>der</strong> Westseite des Querschift'es<br />
vollsti%ndig ausgebaut. 2) Eine zu starke Belastung <strong>der</strong> unteren 0eschosse<br />
<strong>der</strong> ôstlichen Tirme wâre noch gefhrlicher gewesen; denu<br />
sic sind bis zur }Ihe des Hochschiffsgesimses auf drei Seiten durchbrochen,<br />
da an ihrer Ostseite polygonale Nebenchire liegen.<br />
Beim Ban <strong>der</strong> Westfassade war man vorsiclitiger. Die Freipfeiler<br />
<strong>der</strong> Turme wurden strker gebildet. Sie erhielten genau<br />
denselben Querschnitt wie die Vierungspfeiler. 3) Die 'Pi'>ime haben<br />
denselben Gr<strong>und</strong>riil wie die Siidtirrne, sind aber immer noch breiter<br />
ais ein Seitenschiff. Die Strebepfeiler r verdecken das erstc Seiten-<br />
1) An <strong>der</strong> Nordfassade let ein iihnliches Fenster in Angriif genommen<br />
worden. Man kam aber zum Gliick nur dazu, (lie westliche Laibung auszufuhren.<br />
Die in den Anfhngen stecken gebliebene Arbeit bietet ein interessantes Beispiel<br />
fur die Art <strong>und</strong> Weise, in <strong>der</strong> man soicho Umbauten vornahm. Siehe die Abbildung<br />
in den Mon. hist.<br />
2) En même temps que l'on procédait à l'agrandissement du choeur, on<br />
élevait la façade principale avec ses deux clochers couronnées de flèches en<br />
pierre, et l'on poursuivait l'achèvement des quatre clochers du transept, arrêtés,<br />
vers la fin du XII 6 siècle, a la hauteur de la corniche de la nef. Cette <strong>der</strong>nière<br />
opération fut d'abord menée de front pour les quatre clochers; mais arrivé a<br />
la base des deux <strong>der</strong>niers étages, soit que les fonds vinssent à manquer, soit<br />
plutôt dans la crainte de provoquer des accidents (crainte fondée du reéle), en<br />
élevant à la fois sur les piles d'angle des transepts la surcharge considérable des<br />
deux <strong>der</strong>niers étages de clochers, on prit le parti de n'achever qu'un clocher â<br />
la fois. Celui nord-ouest fut terminé le premier, et l'on retrouve dans cette<br />
oeuvre des dispositions identiques à celles des clochers de la façade principale.<br />
L'achèvement du clocher sud-ouest est postérieur de plusieurs années. Son avant<strong>der</strong>nier<br />
étage, modifié en plan, est lourd, et l'ensemble n'a plus les proportions<br />
du clocher nord'ouest. Lew clochers est ne furent pas continués. (BoEswIu.-<br />
WALD, S. 4 f.'>.<br />
Die Baniberger Westtttrme sch1ieen sich am engsten an den Sidwestturm<br />
des Querschiffes in Laon an. <strong>Das</strong> bekamite Turmmodell im nird1iehen Seitenehiffe<br />
zu Bamberg gibt in semer obereii Halfte diesen Turrn, in semer unteren<br />
die an<strong>der</strong>en Ttirme von Laon wie<strong>der</strong>. Siehe Orro Avriouu, Der Dom zu Bamberg,<br />
Mfinchen 1898, Taf. 5 <strong>und</strong> 33.<br />
) Nur in <strong>der</strong> Grofo1io-Ausgabe <strong>der</strong> Mon. hist. in genligen<strong>der</strong> GrBe dargestelit.
22<br />
schiffsjoch. Der Aufbau <strong>der</strong> Fassade schlieSt sich, wie schon bemerkt,<br />
im Innern dem System <strong>der</strong> Schiffe genan an, die Empore<br />
wird wie an den Querschiffsenden auch an <strong>der</strong> Westwand herumgefïihrt.<br />
1m ÂuBeren freilicli sind die Geschosse nicht so scharf<br />
voneinan<strong>der</strong> geschieden wie an den Querschiffsfassaden. Die Diicher<br />
<strong>der</strong> Portalvorhallen, beson<strong>der</strong>s am groflen Mittelportal, schneiden<br />
in das zweite GeschoB ein <strong>und</strong> verdecken teilweise die Emporenfenster,<br />
so da g das zweite Geschol3 fUr die Aut3enwirkung nicht<br />
ais ein den beiden an<strong>der</strong>n gleichwertiges in Betracht kommt. Per<br />
Meister <strong>der</strong> Westfassade wolite offenbar nicht, wie sein Vorgnger,<br />
auf die monumentale Anlage dreier Portale verzichten. Aber sofort<br />
steilten sich die an <strong>der</strong> Nord- <strong>und</strong> SUdfassade gliicklich vermiedenen<br />
Schwierigkeiten ein. Es gait, die drei Portale zueinan<strong>der</strong><br />
in das richtige GrtBenverhiUtnis zu setzeii, obgleich ihre Breite<br />
durch die Stellung <strong>der</strong> vier Strebepfeiler festgelegt war. Da die<br />
Tiirme zie.mlich schlank sind, war das Breitenverhuiitnis <strong>der</strong> drei<br />
Vertikaiabschnjtte <strong>der</strong> Fassade fiÎr die Portalanlage nicht ginstig.<br />
AuBerdem wire ein Mittelportai, das den gauzen Raum zwischen<br />
den Strebepfeilern voli ausgenutzt Mtte, so hoch geworden, daB es<br />
untei' <strong>der</strong> Empore keinen Platz gehabt hLtte. Der Meister <strong>der</strong><br />
Fassade von Mantes war dieser Schwierigkeiten durch eine geringe<br />
Verschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler m Herr geworden. Freilich hatte<br />
er dadurch die Tiirme in ihrer ganzen Hihe auf Kosten des Mittelsttickes<br />
verbreitert. <strong>Das</strong> aber muBte in Laon gerade vermieden<br />
werden, um die ohnedies schon schweren TUrme, die ja im wesentlichen<br />
den Querschiffstiirmen entsprechend gestaltet werden mu3teii,<br />
nicht noch schwerer werden zu lassen <strong>und</strong> um den Durchmesser<br />
<strong>der</strong> Rose nicht zu verringern, da eine kleinere, die Oberkante des<br />
Emporengeschosses tangierende Rose den Gewt1bescheite1 nicht erreicht<br />
lutte. Per Querschnitt des Hochscliiffes war ja, wie schon<br />
(lie Untersuchung <strong>der</strong> Querschiffsfa.ssaden ergab, auf eine Rose von<br />
<strong>der</strong> Grt3e <strong>der</strong> Querhausrosen berechnet. Per Meister de y Westfassade<br />
nahm daher zu einem nocli kiihneren Mittel, ais es in<br />
Mantes angewandt worden war. seine Zihlicht. Er verscbob nicht,<br />
wie es dort geschehen war, die ganzen Strcbepfeiler ni ans dei'<br />
Achse <strong>der</strong> Hoehschiffsw<strong>und</strong>e, son<strong>der</strong>n nur ihr unteres Ende bis zur<br />
Kimpferhihe <strong>der</strong> Portallaibungen. Um demi oberen Teil <strong>der</strong> Strebepfeiler<br />
eine Basis zu geben, errichtete er vor den drei Portalen<br />
Vorhalien <strong>und</strong> ilberwtilbte sie mit sdhweren Tonnengew1ben. Diese<br />
\roI.hallen erfùllen einen doppelten Zweck: einmal dienen die dem<br />
Mittelportal zugekehrten Gewô1beiiicken den Strebepfeilern ni ais
- 23 -<br />
Aufiager, sodann verdecken sie, da sie sehr weit aus <strong>der</strong> Fassadenfluiche<br />
heraustreten, f tir das Auge des Beschauers den Ilick <strong>der</strong><br />
Strebepfeiler rn in çler Vertikalen. Heute wirken die Vorhallen,<br />
beson<strong>der</strong>s inr Scliritgansicht, nieht sehr gi1istig.') Ilire gi.tteii,<br />
ùhgegfiêdèrten" <strong>und</strong> sich weit in die Tief e erstreckenden Witnde<br />
<strong>und</strong> Tonnengewdibe machen einen tunnelartigen Eindrack. EJrspriinglich<br />
waren die TF ungswnde von kleinen Doppelarkaden<br />
durchbrochen, <strong>und</strong> infolgedessen waren die Vorliailen fast so leicht<br />
<strong>und</strong> elegant wie die von Chartres gewesen. Am Ende des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
trat aber an dei' Westfassade dieselbe Katastrophe wie<br />
an den Querschiffsfassaden cm. Die Freipfeiler <strong>der</strong> Tiirme, obwohl<br />
strker ais die <strong>der</strong> schwereren Querschiffstllrrne, <strong>und</strong> die Verstrebungen<br />
p erwiesen sieh ais zu schwach, <strong>und</strong> die Ttirme begannen<br />
die erste Àrkade des Langhauses zusarnmenzupressen. Die<br />
Tiirsfiuî'ze <strong>und</strong> Bogeufeldei <strong>der</strong> Seitenportale barsteii tinter dem<br />
Druck <strong>der</strong> mit den Strebepfeilern m belasteten rronnenge\\.i1be.2)<br />
1) Dabei ist die Fassade lei<strong>der</strong> nur in <strong>der</strong> im a1gemeinen ja recht gbnstig<br />
wirkenden Schrgansicht., von <strong>der</strong> rue Châtelaine ans, vollstitndig zu iibersehen.<br />
Siehe Tafel.<br />
2) Par suite de l'emploi de matériaux de médiocre qualité, du peu d'expérience<br />
que l'on avait de la résistance des diverses natures de pierres, et de la<br />
hdte avec laquelle les constructions avaient été élevées, les linteaux des baies<br />
transversales des trois porches, qui, sur une portée de plus de 2 mètres, n'avaient<br />
que 23 centimètres de hauteur, s'étaient vers la fin du XlI e, siècle, rompus sous<br />
la charge des berceaux des porches qu'ils soutenaient et sous la pression produite<br />
par le tassement des maçonneries des clochers, dont les contreforts s'appuyaient,<br />
du côté de la façade, en porte à faux sur l'extrémité de ces couvertes<br />
(à fizux in kunstruktiveui Sinne; ans den oben angefiîhrten âsthotischen GrUnden<br />
lieB sich aber dieses technisehe Waguis nicht vermeiden). La rupture de ces<br />
linteaux provoqua un écartement dans les maçonneries des berceaux et les passages<br />
ménagés à la hauteur des galeries à travers les contreforts. Ceux-ci,<br />
n'étant plus reliés par la base, se déchirèrent à leur tour sous les poussées<br />
de la grande voûte et des arcs-doubleaux des clochers, lesquels se déformèrent et<br />
et menacèrent ruine.<br />
Ces tassements avaient réagi sur l'ensemble de la façade et provoqué la<br />
brisure des tympans des porches. Afin d'arrêter ce mouvement on se pressa de<br />
fermer les baies transversales arec de la maçonnerie en pierre de taille et de<br />
soutenir les tympans des porches au moyen d'arcs surbaissés, à claveaux sculptés,<br />
On pensa ainsi avoir assuré la stabilité de l'édifice .......<br />
Dans les travaux de consolidation et de conservation faits à la façade<br />
principale à la fin du £1116 ou au commencement du XlVd siècle, on n'avait<br />
pas pris les précautions voulues, pour rétablir l'équilibre entre les diverses parties<br />
de cette façade. On avait malheureusement négligé de relier les maçonneries des<br />
bouche,nents des baies avec les assises des montants des ouvertures. Il résulta<br />
de là un in nuee,ncnt de dii 'uatint j n'n ihle mais continu qui. Se pvU es rivant
24 -<br />
Man sah sich daher gezwirngen, die Durchbrechungen <strong>der</strong> Vorhallenwiinde<br />
zuzumauern.') Ber Meister <strong>der</strong> Westfassade war also<br />
dans ces constructions pendant plusieurs siècles, détacha, malgré des réparations<br />
partielles, les clochersde la façade centrale, et produisit les déversements et des<br />
dégradations telles qu'a la fin du <strong>der</strong>nier siècle il n'existait plus que l'une des<br />
flèches de la façade, laquelle dut être déposée à son tour au commencement du<br />
siècle présent. (<strong>Das</strong> Fehien <strong>der</strong> Turmhelme gereicht allerdings hier wie in Paris<br />
<strong>der</strong> Fassade mir aiim Vorteil. Die htchste Ancrkennung verdient es, dad sicli<br />
BOESWILLWALD trotz <strong>der</strong> ihm zur Verfiigung stehenden reichen Mittel die Beschriinkung<br />
auferlegt bat, die Turmhelme, fur <strong>der</strong>en Konstrukt ion er einen Auhait<br />
in einer Skizze des VLL.&RD na HONreECOURT. Taf. XVIII, gehabt hhtte, nicht<br />
wie<strong>der</strong> aufzubaneii.) En 1853, les clochers se trouvaient détachés de plus<br />
de vingt centimètres de la façade centrale; la maçonnerie de leurs contreforts<br />
était déchirée de ta base au faite; la grande rose s'était affaissée de quatrevingt<br />
centimètres, les piliers intérieurs étaient broyés, les arcs et voûtes déformés,<br />
les escaliers rompus sur toute la hauteur de l'édifice, les contreforts extrêmes<br />
affaissés sur un sol sans fondations. La situation du monument était telle<br />
qu'une ruine totale était imminente." BOESW1LLWALD, S. 5 f.<br />
1) Lei<strong>der</strong> bat BOSBWILLWALD, <strong>der</strong> die Kathedrale in sonst so mustcrghltiger<br />
Weise restauriert bat, diese Offnungen nicht wie<strong>der</strong>hcrgestcllt. Und das wiire<br />
doch wohl mit Hilfe von eisernen Tragern mg1ich gewesen. Wie bedeutend<br />
sonst allein die technische Leistung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung lot, zeigt folgen<strong>der</strong><br />
Bericlit: «Grâce à la sollicitude du gouvernement, la restauration de ce montsment,<br />
poursuivie depuis 1853, a permis de relever la cathédrale de Laon de ses<br />
ruines, et de rendre à la façade, non-seulement son ancienne physionomie, mais<br />
encore une durée de plusieurs siècles.<br />
La situation de la cathédrale de Laon est aujourd'hui, 1872 (Boswii-<br />
WÀLI) bat die Arbeiten noch bis 1897 geleitet), la suivante:<br />
La façade principale, ses trois porches avec leur statuaire et leur sculpture<br />
(sauf le tympan du fond), et les deux clochers sont entièrement rétablis.<br />
A l'intérieur on a reconstruit les gros piliers qui portent les clochers depuis<br />
le sous-sol jusqu'à hauteur du dessus de la galerie, restauré le surplus des<br />
piliers, rétabli les arcs et murs de ces clochers, et étrésilloné ceux-ci au moyen<br />
d'un grand arc surbaissé formant la limite de la tribune des orgues.<br />
On a remplacé ensuite les colonnes broyées et déversées des premaière.s travées<br />
de la nef, repris les faisceaux de piliers dégradés, et refait à neuf les<br />
voûtes des bas-côtés de la galerie et des quatre premières travées de la grande<br />
nef. Les autres voûtes ont été réparées et nettoyées, le dallage de ces travées<br />
refait à neuf.<br />
A l'extérieur, les fenêtres en pierre usée des galeries et de la nef ont éte<br />
remises en état; les arcs-boutants, mal établis, déversés, et trop faibles pour résister<br />
à la poussée de la voûte, ont été remplacés par des arcs-boutants plus<br />
forts, dont les têtes sont disposées aux points réels de la poussée. Cette opération<br />
permit de supprimer les énormes tirants en fer qui, depuis six cents ans,<br />
traversaient la nef.<br />
On pose en ce moment les <strong>der</strong>niers arcs-boutants de La nef, travail qui<br />
sera suivi du rétablissement de la chat-pente et de la couverture. BoEswa.L-<br />
WALD, S. û t.<br />
A
- 23 -<br />
ebenso wie seine Vorgiinger ein schleehter Ingenieur, sein technisches<br />
Knnen stand nicht im Einklang mit seinem kiinstierisehen<br />
Woflen. Kitnstleriseh aber sprach er das Schlul3wort f tir die Fassadengestaltung<br />
<strong>der</strong> friihgotischen Epoche. ,,Der Vergleich mit<br />
<strong>der</strong> Panser Fassade wird das beson<strong>der</strong>e Wesen <strong>der</strong> von Laon am<br />
schnellsten verstndlic1i machen. In Paris liegen die Mauerffltchen<br />
in nahezu <strong>der</strong>selben senkrechten Ebene, <strong>und</strong> ans dieser treten die<br />
Strebepfeiler mit mitl3igem Relief hervor. In Laon hingegen ist<br />
<strong>der</strong> Rïicksprung von GeschoB zu Geschol3 sehr bedeutend (vgl. das<br />
Profil auf Tafel 416 in D. & y. B.)" Er wird zum gr2ten Teil<br />
bedingt durc die tiefen Portalvorhallen. Deren Giebel <strong>und</strong> Pinakel<br />
II mn maleriseb freier Weise in clas erste Fenstergeschof3<br />
ein <strong>und</strong> stempein es dadurch zu einem blol3en Mezzaniiigeschofl;<br />
"alles hiichst origineil gedacht <strong>und</strong> hichst wirkungsvoll in den<br />
kriiftigen Gegensdtzen von Licht <strong>und</strong> Schatten, von Einzelheiten<br />
Wir haben in dieser <strong>und</strong> den vorhergehenden Anmerkungcn BO1SWILLWÂLD<br />
ans drei Griinden so ausfiihrlich zu Worte kommen lassen. Einmal, weil BoRs-<br />
ILLWALD hier, soweit es sich darum handelte, den Tiirmcn wie<strong>der</strong> cine feste<br />
Basis zu geben, einc âhnlicbe Aufgabe zu isen hatte, wie sic jetzt das Stra&burger<br />
MUnster stelit. Sodanu, uni cinen Begriff zu geben von <strong>der</strong> Notwendigkeit<br />
<strong>der</strong> griindiichen IRestaurierung <strong>der</strong> Kathedralc <strong>und</strong> <strong>der</strong> vorbildiichen Art, in<br />
<strong>der</strong> die Arbeiten durchgefOhrt worden sind. Freilicli aile, die sich nur an <strong>der</strong><br />
Romantik altersgraucn Gesteins begeistenu kiinnen, werden sich angesichts <strong>der</strong><br />
vielen nenon Steune entsetzen. Aber es handelte sich nicht danum, eine Ruine<br />
zu restaurieren, sondorn ein noch heute deni urspriunglichen Zweck dienendes<br />
Gebaude von viIligem Untergauge zu bewahrcn. Pas wurde erreicht durch eine<br />
technische Leistung crsten Ranges. Trotz des groBen lJmfanges dieser Arbeit<br />
ist sic doch keinc ,,Restaurierung" mm ilbien Sinne des Wort.cs, son<strong>der</strong>a nur eine<br />
reconsolidation, wie die Franzosen zuwoilen f un restauration sagen. Drittens<br />
liefern die AusfOhruingen BOESWILLWALDS einen wichtigen Beitrag zu <strong>der</strong> Frage:<br />
Wic stand es mit <strong>der</strong> Statik <strong>der</strong> Bauwerke mm Nittetalter? Konnte man z. B.<br />
die Lest eines Turmes theoretisch berechnen, <strong>und</strong> wuBte man, wie viel ein<br />
Pfeiler von bestimintem Querschnitt <strong>und</strong> ans bcstimmtem Stein zu tragen vermochte?<br />
Die Gcschichte <strong>der</strong> Kathedrale von Laon, <strong>der</strong> Einsturz des Sudturmes<br />
<strong>der</strong> Kathedrale von Sens, die Katastropho des Chores <strong>der</strong> Kathedralc<br />
von Beauvais geben ni. E. cine deutiichere Antwort ais die von HA5ÂK<br />
(S. 220) herangezogenen Quellcn, die so lange ohue Wert bleiben, bis es wenigstens<br />
gelïngt, aie verstiindlich zu iibersetzen. Was ist miter onus <strong>und</strong> pondus<br />
<strong>der</strong> Gewilbc zu verstehen? HAsx itbersetzt (S. 221) ,,Gewicht" <strong>und</strong> Last".<br />
fat etwa Druck nnd Schub genieint? DaB ein Gewblbe Druck <strong>und</strong> Schub nustibte,<br />
wulito man naturiich; danuin gab maui ihm ja Pfeiler <strong>und</strong> Widonlager.<br />
Aber den gtinstigsten Angniffspunkt fUr dits Wi<strong>der</strong>lager enmittelte min erst nach<br />
l.ngorcr Praxis. Zur Zeit, ais min die Kathedralo von Laon entwarf, war er<br />
noeh nieht bekannt. Vgl. dcii vorletzten Abschnitt <strong>der</strong> oben zitierten AnsfUhru<br />
ogen BOESWJLLWALPS.
- 26 -<br />
<strong>und</strong> Masse. Es folgen im Hauptgeschofl, wie<strong>der</strong> in breite, durch<br />
tber\vÔ1bung des Raumes zwischen den Strebepfeilern entstehende<br />
Nisehen eingeschlossen, die grof3en Lichtffnungen. Die Rose<br />
wirkt nocli beherrschen<strong>der</strong>, noch zentralisieren<strong>der</strong> ais in Paris, <strong>und</strong><br />
indem sie sich mit ihrem Scheitel über die Seitenfenster hinaus<br />
erhebt, motiviert sic die Brechung <strong>der</strong> SchluBgalerie in eine hôhere,<br />
mittiere <strong>und</strong> zwei nie<strong>der</strong>e seitiiche Stufen, womit dasselbe, mir ungleich<br />
volikommener, erreicht ist, was dem Meister <strong>der</strong> Fassade<br />
von St. Denis orgeschwebt hatte: rechtzeitige Vorbereitung auf<br />
das Freiwerden <strong>der</strong> TUrme, leicht pyramidales Ansteigen <strong>der</strong> Gruppe<br />
gegen die Mitte, hind entend au.f den steigenden Rhythmus im<br />
Querschnitt <strong>der</strong> hinter ihr liegenden Schiffsriiume." Au <strong>der</strong> nôrdlichen<br />
Querschiffsfassade liegen aile drei Abschnitte dieser Galerie<br />
über deni Rosenseheitel, sic ist aiso ais ungebroehene Horizontale<br />
durchgetUhrt. Eine Brechung erscliien hier iibe deii wagerechten<br />
Glie<strong>der</strong>n unmotiviert; an <strong>der</strong> Westfassade wiede'hoIt die Galerie<br />
das Auf <strong>und</strong> Ab <strong>der</strong> Vorhallengiebel. Die Ferister des dritten<br />
Turmgeschosses <strong>der</strong> Nordfassade reichen nur bis zur Hôhe des<br />
Hochschiffsgesimses, so dag zwischen ilinen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Galerie eine<br />
leere Fhiche bleibt. An <strong>der</strong> Siidfassade vermied man dieses kahie<br />
Mauerstuck dadurch, dafi man die Galerie nur auf das Mittelstiick<br />
setzte <strong>und</strong> die seibstâridigen Tiirmgeschosse schon in <strong>der</strong> Hôhe des<br />
Hochschiffsgesimses beginnen ]iel3. TJm trotzdem mit den SUdtUrmen<br />
bis zur Hôhe <strong>der</strong> Nordtiirme hinaufzukornmeu, inuBte man<br />
ihren Aufbau au<strong>der</strong>s gestalten <strong>und</strong> schob deshalb unter iir letztes<br />
HauptgeschoB ein ZwischengesclioB. Per Meister <strong>der</strong> Westfassade<br />
fand die volikomnienste Lôsung. Er liefi zur Ausgleichung <strong>der</strong><br />
Hôhendiffereuz zwisclien Rosenscliejtel <strong>und</strong> Turmfensterschejtel die<br />
horizontale Galerie auf- <strong>und</strong> absteigen <strong>und</strong> erzielte damit die bereits<br />
geschul<strong>der</strong>ten Wirkuiigen. Zugleich gewann er dadurch einen guten<br />
Anschlul3 <strong>der</strong> TÎirme an das Hochschiff. Da die Galerie an den<br />
Tiirmen tiefer liegt ais am Mittelsttick, ist <strong>der</strong> Hôhenunterschied<br />
zwischen dem Hochschiff <strong>und</strong> dem dritten Turmgeschol3 nur unbedeutend,<br />
<strong>und</strong> dieser geringe }{ôhenunterschjed erzeugt hier cine<br />
gewisse Lebendigkeit, eretont das Aufwrtsstreben <strong>der</strong> Tiirme.<br />
Bas Hochschiffsgesinis kiettèrt also gewissermaflen auf zwei Stufen<br />
zuni Rosenschejtel empor: vom Hochschiff zum dritten TurrngeschoB,<br />
von hier zur groBen Rose. Auf diese Weise wird ein vorztiglicher<br />
Anschluf3 <strong>der</strong> Tiirme <strong>und</strong> <strong>der</strong> ganzen Fassade an das Langhaus<br />
- trotz einer Differenz von ca. 2 1 z m zwischen dem Hoclisehiifsgesimse<br />
<strong>und</strong> dem Rosenscheitel - <strong>und</strong> eine starke rliytliiiiische
- 27<br />
Bewegung erzielt. ,,Mag die PariserFassade in <strong>der</strong> Schinheit <strong>der</strong><br />
geometrischen Proportion en iibr1egen sein, die von Laon ist organischer;<br />
sie ist auch, durch die sU&rkere Brechung <strong>der</strong> Massen,<br />
spezifiseher gotisch. Von <strong>der</strong> wohltemperierten Eleganz <strong>der</strong> kiassischen<br />
Gotik weif3 sie aber noch nichts; <strong>der</strong> sie erdachte, war,<br />
wenn man wil, ein iioch mit einem Restchen von Barbarentum<br />
behaftetes Genie, aber ein Genie ganz <strong>und</strong> gar, voil Urspriinglichkeit<br />
<strong>und</strong> freudiger Kilinheit, sicher ein besserer Interpret <strong>der</strong> vita<br />
activa ais <strong>der</strong> vita contemplativa".')<br />
Wir sind am Ende <strong>der</strong> fiihgotischen Zeit angelangt. in ihrer<br />
Asfthrung gehren die Fassaden von Senlis, Paris, Mantes <strong>und</strong> die<br />
Westfassade von Laon schon in die Zeit <strong>der</strong> <strong>Hochgotik</strong>. Fassen wir kurz<br />
zusammen, was die bedeiitendsten Meister <strong>der</strong> Frïihzeit zurFir<strong>der</strong>ung<br />
des Problems geleistet haben. In Mantes war <strong>der</strong> best.e ÀnscliluB <strong>der</strong><br />
Tiirme an das Langhaus lin Gr<strong>und</strong>riB erreiclit worden. Die Turuibasis<br />
bat die Gri13e eines Seitenschiffsjoches. 2;ur Verbesserung <strong>der</strong> Proportionen<br />
hatte sich <strong>der</strong> Yeister <strong>der</strong> Ne lii;tupug <strong>der</strong> Strebepfeiler rn<br />
bedient. In Laon a13t' sich <strong>der</strong> AufriB <strong>der</strong> Fassaden am voilkommensten<br />
dem Aufbau <strong>der</strong> Schiffe an, ja, schon <strong>der</strong> erste Meister<br />
<strong>der</strong> Kathedrale hatte beim Entwurf des Mittelschiffsquerschnittes<br />
im Quer- <strong>und</strong> Langhause auf den AnschluB <strong>der</strong> Fassaden Riicksicht<br />
genommen. Per Meister <strong>der</strong> Westfassade erfand in den Vorhaflen<br />
ein Mittel, das das Griil3eriverhitltnis <strong>der</strong> drei Portale zueinan<strong>der</strong><br />
unabMngig von den Proportionen <strong>der</strong> Horizontal- <strong>und</strong><br />
Vertikalabschnitte <strong>der</strong> Fassade zu gestalten erm5g1icht. Die Panser<br />
Westfassade bot mit ihren beiden stark betonten Galerien ein Beispiel,<br />
wie man auch bei dem ungiinstigsten Gr13enverhdtnis <strong>der</strong><br />
Turme zum MittelstUck durcli Tberhiihung des Mittelstiicks <strong>und</strong><br />
durci Zusammenfassen <strong>der</strong> drei senkrechten Fassadenabschnitte<br />
mittels honizontaler Biin<strong>der</strong> das Gleichgewicht wie<strong>der</strong>herstellen<br />
konnte. Nicht erreicht hatte man, ohne die iii das erste Seitenschiffsjoch<br />
einschneidenden Verstrebungen y <strong>und</strong> ohne VersuLrkung<br />
<strong>der</strong> Turmfreipfeiler auszukommen. Der <strong>Hochgotik</strong> blieb also vor<br />
allem ein technisches Problem zu bisen.<br />
Die Fassaden <strong>der</strong> hocligotischen Kirchen.<br />
Die <strong>Hochgotik</strong> beginnt mit dem Neubau <strong>der</strong> Kathedrale von<br />
Chartres im Jahre 1194. Die Begriffe Frtih- <strong>und</strong> <strong>Hochgotik</strong> wer-<br />
') D. & y . B. U S. 99.
- 28 -<br />
den allerdings meist ganz willkiirlich gebraucht. Deutsche Ardutekten<br />
<strong>und</strong> Kunsthistoriker nennen Bauten des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
hochgotisch <strong>und</strong> aile friiheren in Frankreich <strong>und</strong> Deutschland fruhgotisch,<br />
seibst <strong>der</strong> Choi' des Ki1ner Domes wird zuweilen zur <strong>Fruh</strong>gotik<br />
gerechnet. Demgegeniiber hat DEUI0 nachgewiesen, daB die<br />
Zeit, die die Franzosen ais die ,,Epoche <strong>der</strong> grof3en Kathedraieii"<br />
bezeichnen, die Zcit <strong>der</strong> efe, die kiassisehe Epoche ist.') Da,<br />
was man hitufig <strong>Hochgotik</strong> nennt, biidet in Wahrheit schon die<br />
erste Phase <strong>der</strong> Sptgotik, den ,,doktrinaren Stil".') Von den voilst.ndig<br />
zur Ausfiihrung gelangten ,,groIen Kathedralen" zeigt die<br />
von Amiens ohne Zweifei den gotischen Stil in semer Reife. Sie<br />
ist du Monument, ,,dans lequel cet art a manifesté la plénitude de<br />
son système et de ses ressources, où il s'est le plus rapproché de son<br />
idéal, où les <strong>der</strong>nières solutions décisives ont été trouvées, celui, où<br />
finit le progrès et après lequel commence l'exagération et la décadence."")<br />
Steht nun die Kathedrale von Chartres <strong>der</strong> von Amiens<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> von Laon nher? Betrachtet man du Detail, so wird<br />
man sagen miissen: <strong>der</strong> von Laon. Stelit man aber das rein Architektonische<br />
in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, so ist nicht zu bestreiten, dal3 mit<br />
<strong>der</strong> Kathedrale von Chartres etwas Neues beginut, dal <strong>der</strong> Fortschritt<br />
von Laon bis Chartres viel grtBer ist ais von Chartres<br />
liber Reims bis Amiens.<br />
,,Auf die Erfahrungen zweier unerhôrt regsamer Menscheitalter<br />
fuBend, war man jetzt des neuen Konstruktionssystems vôilig<br />
Meister; zu je<strong>der</strong> Rauingestaltung, so wie <strong>der</strong> Geist sie for<strong>der</strong>te,<br />
fiihite man sicli Mhig; ebenso war die Formensprache, durcit<br />
manche Metamorpiiosen hindurch, mit dem neuen Inhait endlich in<br />
flbereinstimmung gebracht, ein fiuissiges ausdrucksvolies, nunmehr<br />
liberail auch von den Laien verstandenes Idiom. M lle hutte da<br />
du Verlangen ausbleiben knnen, mit dem ais grenzeiilos eiupfuiidenen<br />
Konnen frei sich auszunirken Durch rnchts geh€mmt, du<br />
ganz Grol3e <strong>und</strong> gleichmuiMig Volikommene zu erstreheii? Mit<br />
uliniichen Empfindungen geht wohl <strong>der</strong> Meister von Chartres ans<br />
Werk. Er unterzieht gewissermatlen ailes bishr Erreichte einer<br />
scharf en Kritik <strong>und</strong> wirft mit volistem Bwut3tsein fur die<br />
Tragweite semer Neuerungen ailes, was nur noch aus Tradition<br />
1) D. & y. B. II S. 106f. <strong>und</strong> 125f.<br />
2) D. & V. B. II S. 179 f.<br />
8) GaonoEs DURÂND, Monographie de l'église Notre-Daine cathédrale d'Amiens.<br />
Amiens <strong>und</strong> Paris 1901, I. Teitband, S. IL<br />
4) D. & y . B. II S. 106 f.
- 29<br />
mitgeschleppt worden ist <strong>und</strong> dem Stande <strong>der</strong> Entwicklung, beson<strong>der</strong>s<br />
auf konstruktivem Gebiete, niât rnehr entspricht, rUcksichtslos<br />
beiseite, er bildet mit grof3em Geschick die errtwieklungsfithigen<br />
Elemente ans <strong>der</strong> vorangehenden Epoclie weiter<br />
<strong>und</strong> nimmt die Verbesserung alles dessen, was an den frUheren<br />
Bauten die tsthetîsche Kritik herusfor<strong>der</strong>t, mit gliickiicher Hand<br />
in Angrif. Die Emporen wurden, da sic ans konstruktiven Granden<br />
nicht mehr erfor<strong>der</strong>lich sind'), ausgeschaltet <strong>und</strong> die sechsteiligen<br />
GewÈilbe, die dem vom Roinanismus ererbten geb<strong>und</strong>enen<br />
System" zuliebe') beibehalten worden waren, werden aufgegeben.<br />
In Chartres ist das neue System im Prinzip fertig, es erleidet<br />
eine wesentliche Ân<strong>der</strong>ung erst mit <strong>der</strong> Durchbrechung <strong>der</strong> Auflenmauer<br />
des Triforiums." 3) Der Au[3enbau, <strong>der</strong> bisher zu kurz<br />
gekommen war, erfiihrt in allen Teilen eine erhebliche Fiirde-<br />
1) Die Emporen hatten in gotiseher Zeit nui einen konstruktiven Zweek.<br />
Sie wurden sofort aufgegeben, ais <strong>der</strong> ituBere Strebeapparat so weit ausgebildet<br />
war, daB er die Funktion <strong>der</strong> Emporen iibernehmen konute. Hâtten sic eincr<br />
grol3eu Zahi von Mensehen Platz gewithren sollen, so hiLtte man z. B. in Reims<br />
niclit auf sic verzichtet, trotz des Vorbiides von Chartres. Denn gerade die<br />
Krdiiungskathedraie <strong>der</strong> frauz1sischen Kdnige inuBte doch cine groBe Mensehenmenge<br />
aufnehmeu kiinnen. Allerdings gab es schon vor Chartres gotische Kirchen<br />
ohnc Emporen, wie die Kathedrale von Sens <strong>und</strong> St. Yved in Braisne.<br />
Aber diese Kirehen zeigen cin an<strong>der</strong>es Ranmgefubl. In Nordfrankreich dagegen<br />
lautete bei gro&n Bauten das Problem: Wie lassen sich Steingew$Ibe mit<br />
Hoehrâumigkeit verbinden?" (D. & r. B. II S. 498.)<br />
2) Sie hatten nur noch einen Sinn in Verbindung mit Stittzenwechsel<br />
[St. Denis (?), Senlis, Noyon, Mantes]; hier wie<strong>der</strong>hoit <strong>der</strong> Rhythmus <strong>der</strong> Decke<br />
den Rhythmus <strong>der</strong> Sttitzen. Eine ununterbrochene Folge von R<strong>und</strong>pfeilern muBte<br />
sehr haId zur einfachen Travec mit oblongem KrenzgewlIbe fiiliren; die Beibehaitung<br />
<strong>der</strong> seehsteiligen Gew1be (Laon, Paris, Bourges) ist cine Inkonsequenz,<br />
(lie nui aus <strong>der</strong> Ocwiihnung au dicse Gewd1beform zu erkliiren ist.<br />
) V. BEZOLD, S. 188. Pas Verdienst, die Bedeutung des Meisters <strong>der</strong> Kathedraie<br />
von Chartres zuerst erkannt vu haben, gebuhrt dem Architekten F1uNz<br />
MEnTENS. Vgl. seine Aufsâtze Paris baugeschichtlieh im Mittelalter" im 8. <strong>und</strong><br />
12. Jahrgange <strong>der</strong> von LuiwIG FRsTEa herausgegebenen Ailgeineinen Bauzeitung<br />
(Wien 1843 <strong>und</strong> 1847), beson<strong>der</strong>s S. 76f. im 12. Jahrgang. Lei<strong>der</strong> sorgte <strong>der</strong><br />
Chauvinismus hUben wie drilben dafur, daB MERTENS mit seinen Forschungen<br />
wduig Anerkennung fand In Frankreich sali man es nicht gern, daô ein Deutscher<br />
zu so wiehtigen Ergebnissen in <strong>der</strong> Erfoîsà1"àuÏ <strong>der</strong> franz1sischen Kunst<br />
gekommen war, <strong>und</strong> in Deutschland batte man an dem Nachweis, daB dia ,,aitdeutsche"<br />
Kunst in Frankreichenanten ist, keine Frende. Nachdem MJRTENB<br />
1897 verbittert <strong>und</strong> im Elend gesturbeii war, bat ncuerdings die KUnigliche<br />
Akademie des Bauwesens in Berlin HASAK mit <strong>der</strong> Herausgabe <strong>der</strong> ,,Zeittafeln<br />
<strong>der</strong> DenkmJer mittelalteriicher Bnukunst von FRANZ MEBTENS" beanftragt. Sic<br />
sind 1910 in Berlin ersehienen.
- 30 -<br />
rung. So wird das Strebesystem, in frtihgot.ischer Zeit eine rohe<br />
Hilfskonstruktion, hier zu einer Kunstform'); <strong>der</strong> Chor mit Umgang<br />
<strong>und</strong> Kapellenkranz, desseil Wirkung die Frthgoti1 im, Unterschiede<br />
vom romaiischen Stil Westfrankreichs IJg1Yh? f tir die<br />
Innenansicht fruchtbar gemacht hat, ist in <strong>der</strong> Auf3enansicht <strong>der</strong><br />
schnste aller gotischen Chre 2). Die Liisùn" des Fassaden- <strong>und</strong><br />
Turmproblems ist im Gr<strong>und</strong>rifi <strong>und</strong> Aufrif3 die konsequenteste, die<br />
sich iiberhaupt denken HLI3t, <strong>und</strong> bleibt f tir die nâchsten hochgotischen<br />
Bauten maf3gebend, wenn sie auch von keinem in <strong>der</strong><br />
Konsequenz erreiclit wird 3). Die unteren Turmgeschosse bilden je<br />
em Seitenschiffsjoch, das sich durch nichts von den an<strong>der</strong>en miterscheidet<br />
4). Die Puriufreipfeiler sind nicht strker ais, die tibrigen<br />
Schiffspfeiler, so daB das System von je.<strong>der</strong> Dissonauz freibleibt.<br />
Selbst die Strebepfeiier o sind nicht sUi.rker <strong>und</strong> laden nicht<br />
weiter ans ais die Strebepfeiler des Langhauses, ja, <strong>der</strong>en<br />
auflergewihu1iche Stiirke erklart sich daraus, daB <strong>der</strong> Meister<br />
auch im Aut3eubau eine absolute Gleichheit aller Strebepfeiler erstrebte.<br />
Dies hatte weiter zur Folge, dafi die Seitenschiffe des<br />
Lang- <strong>und</strong> Querhauses im Gegensatze zu denen des Chores nui<br />
einfache, schmale Fenster erhalten konnten 6). Die Turmverstrebungen<br />
a fehien gtnz1ich, sodaB kein Hochscbiffsfenster verdeckt wird.<br />
Die Strebepfeiler r sind nur in Hoclisciiiffshihe vorhanden <strong>und</strong><br />
laden (ebenso wie die Strebepfeiler m, n <strong>und</strong> o im 2. Gescho3) so wenig<br />
aus, daB sie nieht liber die Seitenschiffsfenster zu stehen koinmen<br />
Da keiner <strong>der</strong> Ttirme zur Ausftihrung gelangt ist, knnen wir uns<br />
keine Vorstellurig von <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> oberen rrurmgeschosse inachen.<br />
Es ist aiso nicht mig1ich, die Mehrbelastung <strong>der</strong> Turmfreipfeiler<br />
1) D. & 'r. B. 11 S. 145 f.<br />
2) D. & 'r. B. II S. 119f.<br />
3) Auch in <strong>der</strong> Fassadcngestaltung crwcist sich also die Kathedrale von<br />
Chartres ais die ,,hochgotische Mutterkathedrnie" (D. & 'r. B. II S. 124).<br />
') Monographie de la cathédrale de Chartres, publiée par les soins du<br />
ministre de l'instruction publique, Paris 1867 (bearbeitet von DIDRON, LASSOS et<br />
Duvsi.), Taf, 1 (die ersten Tafein sind faisch paginiert).<br />
) Der funfschiffige Chor verlangt freilich ein leichteres Strebesystem.<br />
Denn die Strebepfeiler, die auf den Freipfeiicrn zwischen dem iiueren <strong>und</strong><br />
inneren Seitensehifi stehen, diirfen nicht zu sehwer sein. Ein so kolossales Strebesystem,<br />
wie das des Lang- <strong>und</strong> Querhauses wtirde auch in <strong>der</strong> Verdoppeiung<br />
hiifflich wirken, zumal da die ueren Strebepfeiler sich uicht bis zu dcrselben<br />
Hbhe wie an einer dreischiffigen Anlage entwickeln knnen. Ans demaelben<br />
Gr<strong>und</strong>e geniigt freilieh cine geringere Sr.rke; denn die inneren Strebepfeiler<br />
finden ein Wi<strong>der</strong>iager in den au<strong>der</strong>en Strebebgen, <strong>und</strong> diese wirkeu am an<strong>der</strong>en<br />
Ende auf eineu kiirzeren Uebelarm ais die Strebebbgen am Lang- <strong>und</strong> Querhanse.
- 31<br />
im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en Schiffspfeilern <strong>und</strong> die Strke<br />
des Seitenschubes, den die TUrme im Hochschiff auf den<br />
ersten Gurtbogen <strong>und</strong> die Schildbôgen des zweiten Joches ansilben,<br />
zu berechnen. Wir wisseii auch niât, ob die Berechnungen<br />
des Meisters von Chartres richtig waren o<strong>der</strong> ob die Ausfthrung<br />
seines Entwurfes àlinliche Ung1flcksflle wie in Laon zur Folge<br />
gehabt hiitte. Jedenfalis miissen wir annehmen, dafi er das 0ewicht<br />
<strong>der</strong> Tlirme auf das tuf3erste Minimum beschriinkt Mt,te. Wir<br />
werden nicht fehigehen, wenn wir sie uns den Querschifïstiirmen<br />
<strong>der</strong> Reimser Kathedrale âhnlich denken. Diese existieren zwar<br />
auch nicht mehr - sie sind im Jahre 1481 einer Feuersbrunst<br />
zum Opfer gefallen -, aber die am westlichen Turm <strong>der</strong> Sudquerschiffsfassade<br />
noch vorhandenell Anstze lassen erkennen, daB es<br />
sich um eine auBerordentlieh leichte Konstruktion, wie man sic<br />
heute in Eisen o<strong>der</strong> Stahi ausfiihren wiirde, gehandeit hat. Soweit<br />
die technische Seite des Fassa<strong>der</strong>i- <strong>und</strong> Turmproblems.<br />
Über den urspriinglich geplanten Aufbau <strong>der</strong> Fassaden etwas<br />
sagen zu wolien, erscheint auf den ersten Blick unmig1ich. Demi<br />
keine <strong>der</strong> drei Fassaden existiert so, wie sic <strong>der</strong> erste Meister geplant<br />
hat. Die Querschiffsfassaden sind spitter umgebaut worden,<br />
die Vvrestfassade ist tberhaupt nicht zur Ausfiihriing gekomm en;<br />
man hat sich schliel3lich damit begnhigt, die alten Westtiirme, so<br />
gut es ging, in den Neubau hineinzuziehen <strong>und</strong> das Mittelstiick um<br />
die groBe Rose zu erhôhen'). Trotzdem ist es mii glich, den AufkD<br />
1) Die drei westlichen Joche des Langhauses hben eine geringere Breite<br />
ais die librigen, ein Zeichen, da man sich erst im letzten Augenblick zur Beibehaltung<br />
<strong>der</strong> alten Westfassade entsehloli. Der Aehsenabstand ist nicht in<br />
jedem <strong>der</strong> drei Joche <strong>der</strong> gleiche, son<strong>der</strong>n er nimmt von Ost nach West ab, wohl<br />
mit Riicksicht auf die Rosen <strong>der</strong> Hochschiffsfenster. Waren diese in den drei<br />
westlichen Jochen gleich, 80 wiirde die Tangente, die man beim Bctrachten <strong>der</strong><br />
Iiochschiffswand un'willkiirlich von Fuilpunkt zu Fupuukt <strong>der</strong> einzelnen Rosen<br />
zieht, einen p15tzIiehen Knick nach oben machen, whrend sie se - bei ailmithuieher<br />
Verringerung des Achsenabstandes <strong>und</strong> des Rosendiirehmessers - in<br />
eiue leicht gekrlmmte, nach den aufstrebenden Ilirmen ansteigende Kurve ilber.<br />
geht. DaB <strong>der</strong> erste Meister <strong>der</strong> hochgotischen Kathedrale mit dem Abbrnch<br />
<strong>der</strong> alten Tiirine rechnete, ist liber jeden Zweifel erbaben. Er batte sieh, wie<br />
wir sehen wcrden, die volikominenste Lbsnng des <strong>Fassadenproblem</strong>s fUr die Westseite<br />
aufgespart. Es ist anch v51iig <strong>und</strong>enkbar, daB ein Meister, <strong>der</strong> wie or<br />
auf die vollendete Harmonie aller Teile seines gewaltigen Werkes ansging, sich<br />
mit einer Fassade batte begnùgen sollen, die we<strong>der</strong> im AufriB noch im GrandriB<br />
zu den Abmessungen des in alleu Binzelheiten fein berechneten Neubaus<br />
paBt <strong>und</strong>, Air sich betrachtet, présente un défaut d'harmonie ' (LEvB-PoN-<br />
TALIS). Man hitte sich sicher entschlossen, die miichtigen, noeh nicht ein Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
alten Tllrine abzubrechen, wie man es spitter in Reims getan hat, wenn
32<br />
ril3 <strong>der</strong> drei Fassaden zti rekonstruieren. Da <strong>der</strong> Meister die<br />
Tiirme im Grandril3 <strong>und</strong> Aufrif den Schiffen genau angepaf3t hat,<br />
so Iiegt die Annahme nahe, daB nach seinem Entwurfe auch <strong>der</strong><br />
Aufbau <strong>der</strong> Fassadenmittelstilcke dem <strong>der</strong> Mitte1schile genau eutspreclien<br />
soute. Beson<strong>der</strong>s f tir die Inneawirkiing war in ein harmonischer<br />
Aisch1u13 <strong>der</strong> Fassadeuwand an das System <strong>der</strong> Schiffe<br />
von grH3ter Bedeutung. Wir mtissen uns also das Triforium an<br />
alleu drei Fassaden herumgefiihrt denken. Dann entsprichen die<br />
maii nicht dureh Geidmangel - die Obergeschosse <strong>der</strong> sechs neuen Tiirme <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Vierungstnrm wnrden tiherhaupt nicht in Angriif genommen - <strong>und</strong> durch<br />
den Wunsch, das Gebaude m{iglichst bald vi11ig unter Dach au bringen, zur<br />
Beibehaltung <strong>der</strong> alten Fassade geniltigt geweseit w.re. Zur Geschichtc <strong>der</strong><br />
Westfassade vgl. E. LEFÊVRE-POcFALIS, Les façades successives de la cathédrale de<br />
Chartres au Me et an XII e siècle, im Congrès arch. 1900, 437e session, S. 256-307<br />
<strong>und</strong> Les fondations des façades de la cathédrale de Chartres im Bull. mon.<br />
1901, t. LXV, S. 263-283. Nach deni Brande von 1134, jedenfalls vor 1160, so<br />
fiilirt LBFÊVEE-P0NTALIS ans, waren die drei Portale sarnt den Fenstern uber<br />
ihuen vollendet. Aber sie standen iistlieh <strong>der</strong> Ostwand <strong>der</strong> Titrme <strong>und</strong> biideten<br />
die Fassado einer Vorhalle mit dariiber liegen<strong>der</strong> Empore. <strong>Das</strong> Bitn <strong>der</strong><br />
Fuudamentmauer gab den A à,'-die Fassade abzubrechen <strong>und</strong> aie in <strong>der</strong> Flucht<br />
<strong>der</strong> Westwand <strong>der</strong> TUrme wie<strong>der</strong> aufzubauen, wobei es nieht ohne cinige Gowaitsainleiten<br />
<strong>und</strong> die Erneucrung <strong>der</strong> bcschltdigten StOcke abging. LaFÈVRE-<br />
PONTALIS fiihrt S. 291-302 verschiedene Griinde dafdr an, dai3 diese Versetzung<br />
<strong>der</strong>, Fassde ioch vor 1194 vorgenommen sein muB. Dabei hat er einen nicht<br />
uiiw'khfgeii tibersehc. Über den beiden seitiichen Fenstern haben sich nâmlieh<br />
die Reste des Eiisttmgsbogens erhalten, <strong>der</strong> fruher den Giebel <strong>der</strong> Fassade<br />
trug. Sein Scheitel hat <strong>der</strong> grotien Roc Platz niachen mussen. Batte man die<br />
Fassade crst zu <strong>der</strong> Zeit vsètzt, ais schon <strong>der</strong> Querschnitt <strong>der</strong> neuen Kathedraie<br />
<strong>und</strong> dcmentsprechend die Erh5hung <strong>der</strong> aiten Fassade um ein Rosenfeuster<br />
festgelegt war, so hdtte man nicht einen Entlastungsbogen wie<strong>der</strong> zu banen<br />
begonnen, von dem man wuBte, daB man ihn nieht wrde schiieBen kdnnen. Ja,<br />
man hutte das ganze zweite GeschoB nicht in semer urspriinglicheii HOhe wie<strong>der</strong><br />
aufgebaut. Denn fur die Rose blicb kaum nocli Piatz. Ihr Scheitel liegt bedeutenti<br />
hUher ais <strong>der</strong> <strong>der</strong> Hochschiffsgewdlbe, Vom Chorliaupte ans ist aie<br />
gerade noch vollstndig zu sehen, beini B]ick ans <strong>der</strong> datiichen Chorkapelle<br />
treten schonÛberschncidungen durch die Gurtbogen des Hochsehiffs ein. <strong>Das</strong><br />
hutte sicli bequem vermei1en lassen, w.enn man, beim Wie<strong>der</strong>aufbaucn <strong>der</strong> Fassade<br />
im zwciten Gcschol3 einige Qùerscliichten weggeiassen hutte. Daim wUrde<br />
auch <strong>der</strong> Knick in <strong>der</strong> Mittelachse, <strong>der</strong> dadurch entsteht, daB die Achse <strong>der</strong><br />
nenen Kathedrale mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> aiten nicht genau zusammonfitllt, nicht sa in die<br />
Augen springen, well dann nicht das AbschluBgesims des zweiten Geschosses augleich<br />
den Scheitelpunkt des mittieren Fensters <strong>und</strong> den FuBpunkt <strong>der</strong> ans <strong>der</strong><br />
Achse gesehobenen Rose tangieren wiixde. Nimmt man also mit LErÈvna-P0N-<br />
TALIB cine Versetznng <strong>der</strong> Portale samt don Fenstern ver 1194 an, so werden<br />
dainit die youDEmo (D. & y. B. II S. 96) gegen die Versetzung <strong>der</strong> Portale erhobenen<br />
Eitiwinde hinrallig. - 1507-1512 haute JEAN DE BaaucE don nOrdlichen<br />
Turm ans.
- 33 -<br />
Portalgesehosse den Seitenschiffen, das iiiittlere Glied wire an den<br />
Fassaden <strong>und</strong> in den Hochschiffen dasselbe, den Hochschiffsfenstern<br />
entspriichen die Fassadenrosen, o<strong>der</strong> vieimehr umgekehrt, den<br />
Fassadenrosen die Hochschiffsfenster. Denn diese sind so gestaltet,<br />
daf3 sicli das Motiv <strong>der</strong> Fassadenrose im Langhaus, Querhaus <strong>und</strong><br />
Langehor fortsetzt. Die urspriinglicheii Fassadenrosen im Querschiif<br />
haben wir uns den Querschiffsrosen von Laon âlinlich zu<br />
deuken, sodaB sic also besser ais die jetzt vorhandenen zu den<br />
Fensterrosen <strong>der</strong> Hochschiffe passen wiirden 1). Pas Radfenster<br />
<strong>der</strong> Fassade war ein Erbsttick, das die Gotik vont Rom anismus<br />
ibernommeii hatte <strong>und</strong> das sic wegen semer grol3artigen Wirkung<br />
niclit aufgeben wolite. <strong>Das</strong> groBe Radfenster gibt viel melir ais<br />
ein Spitzbogenfenster dent Mitte1stick in <strong>der</strong> Fassade eine domi -<br />
nierende Steilung. Die konsequente Weiterentwicklung des gotisehen<br />
Stiles dr&ngte aber zu einer gieichftrmigen Gestaltung <strong>der</strong> Fenster<br />
im Hochscliiff <strong>und</strong> iii den Fassadeuwiinden, sic for<strong>der</strong>te also auch<br />
f lir das Hauptfeiister <strong>der</strong> Fassade den Spitzbogen. Trotzdeni belijeit<br />
<strong>der</strong> Meister von Chartres die Fassadenrose bei; denn das Hhen -<br />
<strong>und</strong> Breitenverhaitnis des Raumes zwischen Triforium irnd Hochschiffsgewiilbe<br />
war fur ein Spitzbogenfenster nicht giinstig. Es<br />
blieh aiso nichts an<strong>der</strong>es iibrig, ais die Hochschiffsfenster den<br />
Fassadenfenstern anzupassen. Daher wurde in jede Schildwand<br />
des Hochschiffes eine Rose eingesetzt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Raum, <strong>der</strong> zwisehen<br />
ilirem FuBpunkt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Triforiumsoberkante blieb, durch zwej<br />
Spitzbogenfenster ausgefdllt.. Die Schildbiigen erhielteii die Form<br />
von stark gestelzten R<strong>und</strong>bogen, wie sic z. B. noch gegen Ende<br />
des 12. .Jahrhun<strong>der</strong>ts im Hochschiff <strong>der</strong> Kathedrale von Noyon <strong>und</strong><br />
im Chore <strong>der</strong> Abteikirche von Montier-en-Der (Haute-Marne) über<br />
Zwiiiingsfenstern angewandt worden waren.<br />
Der hier ausgesprochenen Hypothese aber die urspring1jche<br />
Gestalt <strong>der</strong> Fassadenmittelstucke scheint es zu wi<strong>der</strong>sprechen,<br />
daB die Querschiffsfassadenrosen - die ursprLinglichen haben wir<br />
uns an <strong>der</strong>selben Stelle <strong>und</strong> mit demselben Radius zu denkeii wie<br />
die jetzigen, ihre Bogenlaibungen haben sich noch erhalten -<br />
nicht bis zur Oberkante des Triforiums hinabreichen. Rekonstru-<br />
1) Die Rose <strong>der</strong> Westfassade zeigt noeh eiiien Zusammenhang mit den<br />
Querschiffsrosen von Laon. Sie besteht ans eincm rornanischen Rade, du ein<br />
Kranz von zwiilf kicinen ibsen umgibt. VILLÂRD DE HONKECOCflT hat sic mit<br />
einigen Veriin<strong>der</strong>ungen im Siiine einer stârkeren Durclibrochung, also im Sinne<br />
einer stilistischen Weiterbildung, in einer Skizze wie<strong>der</strong>gegeben (Taf. XXIX;<br />
vgl. Taf. LXXI).<br />
K u u z e. Daa Faeadenprob!em. f (g,<br />
I<br />
(tU 4)<br />
\Ô Q- /
- 34<br />
ieren wir uns aber die nicht zur Ausfiihrung gelangte Westfassade,<br />
so ergibt sich folgendes: Da das Mittelschiff des Langhauses<br />
ca. 22/3 m breiter ist ais das des Querhauses (Achsenabstand ca. 16/ 3 m<br />
<strong>und</strong> 13 m), so wiLchst auch <strong>der</strong> Rosendurchmesser um 2 / m.<br />
Die Hhenlage <strong>der</strong> stidiichen <strong>und</strong> <strong>der</strong> nirdlichen Rose differiert<br />
inerkwiirdigerweise um 2/3 M. Je nachdem wir die Scheiteihôhe<br />
<strong>der</strong> siidiichen o<strong>der</strong> nrd1ichen Rose ais ma0gebend annehmen, f âllt<br />
<strong>der</strong> FuBpunkt <strong>der</strong> westlichen etwas tinter o<strong>der</strong> über die Oberkante<br />
<strong>der</strong> Soh1bankschrge <strong>der</strong> Hochschiffsfenster, jedenfails aber noch<br />
aber die Oberkante des Triforiums, d. h. also: an <strong>der</strong> Westfassade<br />
wiirde sich <strong>der</strong> Aufbau des Mitteistiickes dem<br />
System des Schiffes genau anpassen'). Über den Gr<strong>und</strong>,<br />
weshalb diese gitnstigste Ltsung fur die Westfassade aufgespart<br />
bleiben soute, ktinnen wir itur Vermutungen aufstellen. Es ist ja<br />
hiichst auffitflig, da6 das Querhaus, das wie das Langhaus dreischiffig<br />
gestaltet ist, in alleu drei Schiffen bedeutend schniJer ist,<br />
zumal da hierdurch fur deti Vierungsturm, <strong>der</strong> zweifeiios gepiant<br />
war, ein rechteckiger Gr<strong>und</strong>rifi bedingt wird. lier Grand kann<br />
ein zwiefacher gewesen sein. Da sich die drei Fassaden 1m GrandriB<br />
wie im Aufril3 den Schiffen genau anpassen soilten, so hitten<br />
sich bei gleichen Lang- <strong>und</strong> Querhausmaflen drei gleiche<br />
Fassaden <strong>und</strong> sechs gleiche Tiirme ergeben. In Laon war es<br />
mg1ich gewesen, die G]eichfôrmigkeit <strong>der</strong> drei Fassaden durch<br />
Varilerung des Turmgr<strong>und</strong>risses zu umgehen; in Chartres war<br />
durci die Seitenschiffsbreite die Gril3e des Gr<strong>und</strong>ril3quadrates <strong>der</strong><br />
Tiirme festgelegt. Mati muBte also dessen GrôBe vern<strong>der</strong>n, <strong>und</strong><br />
das konnte nur dadurch geschehen, daf3 man den Seitenschiffen<br />
des Lan ghauses eine an<strong>der</strong>e Breite ais denen des Querliauses gab.<br />
Der Meister von Chartres wolite seine Kathedrale, die âhnlich wie<br />
die von Laon durch ibre Lage die ganze Stadt beherrscht, aul3er<br />
mit einem michtigen Vierungsturm mit acht Tiirmen schmiicken.<br />
Er hatte offenbar in Laon die Herstellung des 'Gleichgewichtes<br />
durch ein Turmpaar am Ostende des langen Chores vermifit.<br />
Trotz <strong>der</strong> verhaltnismABig geringen Lange des Chores in Chartres<br />
ordnete er liber dem ëstlichen Joche <strong>der</strong> âuBeren Seitenschiffe des<br />
flinfschiffigen Langchores ein Paar Tiirme an. Es latte, sich aiso<br />
bei einer Ausfiihrung des urspriïnglichen Planes fogende Turm-<br />
1) Genan; denn ein Spielraum von 2/3 m bat bei einem Dnrchmeser von<br />
en. 13 in nichts zu bedeuten. Er konnte durch den Winkel <strong>und</strong> die Tiefe <strong>der</strong><br />
Rosenlaibung, fur <strong>der</strong>en Gestaltung ebenfails keine aI1u engen (3renzen gezogen<br />
waren, unschid1ich gemacht werden.
-- -<br />
gruppierung ergeben: zwei grof3e Tiirme an <strong>der</strong> Westfassade (allerdings<br />
mit schmLlerer ]3asis ais die jetzigen), in <strong>der</strong> Mitte die<br />
Gruppe <strong>der</strong> vier schlankeren Querhaustiirme <strong>und</strong> des Vierungsturmes,<br />
am Ubergange zur Chorr<strong>und</strong>ung wie<strong>der</strong>um zwei Tiirme von<br />
etwas kleineren 3laf3en ais die <strong>der</strong> Querhausfassaden.<br />
Einen an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong> f tir den Unterschied in den Breitenmaf3en<br />
des Lang- <strong>und</strong> Querhauses kann man in den versehiedenen<br />
perspektivischen Bedingungen sehen, denen die Iirnenansicht <strong>der</strong><br />
West- <strong>und</strong> <strong>der</strong> Querschiffsfassaden unterliegt. Walirend die lochschiffsfenster<br />
auf den Arkaden des Triforiums, also auf semer<br />
Innenwand aufsitzen, sitzen die Fassadenrosen auf <strong>der</strong> AuBenwand<br />
des Triforiums, da dieses an <strong>der</strong> Fassade nicht nach aulien vorspringen<br />
kann. Die Abdeckung des Triforiums springt also nach<br />
innen vor <strong>und</strong> schneidet f lir das Auge des untenstehenden Beschauers<br />
eiu Sttick des Obergadens weg, <strong>und</strong> zwar an den Querschiffsfassaden<br />
mehr ais an <strong>der</strong> Westfassade, da <strong>der</strong> Beschauer un<br />
Querhause hchstens bis zur gegentiberliegenden Fassade zurucktreten<br />
kann, wtihrend die Wirkung <strong>der</strong> Westfassade fur den Biick<br />
vom Cliore ans berechnet ist. An den Querhausfassaden <strong>der</strong> nach 1231<br />
erneuerten Abteikirche von St. Denis <strong>und</strong> den um 1257 umgebauten<br />
Querhausfassaden von Notre-Dame in Paris ist die Perspektive bei<br />
<strong>der</strong> Anordnung <strong>der</strong> Rosen nicht beriicksichtigt worden. Die Oberkante<br />
<strong>der</strong> AuBenwand des Triforiums biidet hier die Tangente <strong>der</strong><br />
Rose, sodaB lei<strong>der</strong> f tir die Innenansicht ein Sttick <strong>der</strong> sonst so<br />
schin komponierten Rose abgeschnitten wird. Da3 dies schon von<br />
den Zeitgenossen ais ein Ûbelstand einpf<strong>und</strong>en wurde, wird uns<br />
<strong>der</strong> erste 1iitwurf zur StraBburger Miinsterfassade zeigen. Bei<br />
<strong>der</strong> B et^aéhtùng <strong>der</strong> Kathedraie von Reims werden wir auf die<br />
Griinde fur die verschiedene Gestaltung des Lang- <strong>und</strong> Querhauses<br />
zurtickkommen.<br />
Wenn <strong>der</strong> Meister von Chartres, wie es uns wahrscheinlich<br />
ist, scion beim Entwurfe des Gr<strong>und</strong>risses <strong>der</strong> Kathedrale auf<br />
die Fassadengestaltung Riicksicht geilommen bat, so ist es f tir dcii<br />
Aufrif3 von vonnherein vie! wahrscheiniicher. Schon <strong>der</strong> erste<br />
Meister von Laon batte es ja getan. Dehio bat in seinen ,,Untersuchungen<br />
liber das gleichseitige Dreieck ais Norm gotiseher Bauproportionen"<br />
nachgewiesen, daf3 die Hauptpunkte des Querschnittes<br />
<strong>der</strong> hochgotischen Kathedralen durch ehi System von gleicliseitigen<br />
Dreiecken festgelegt sind. In Chartres betragt die Hbhe <strong>der</strong><br />
Mitte1schiffskmpfer 2F, die dci' Seitenschiffskampfer 2F'. (W lichte<br />
Weite des Mittelschiffs, w ihre Hàlfte; die daraus gebildeten Drei-<br />
3*
- 36 -<br />
ecke D <strong>und</strong> d; <strong>der</strong>en Perpendickel P <strong>und</strong> p, die analogen Hiifskonstruktionen<br />
<strong>der</strong> Seitenschiffe W', D', P', usw. Dehio, S. 11.)<br />
Dagegen: ,,Der innerhalb des Gew5lbes liegende Abschnitt steht<br />
we<strong>der</strong> zu P no-ch zu p in einem rationellen Verli<nis." Der<br />
Gr<strong>und</strong> dtirfte darin zu suchen sein, da g <strong>der</strong> Meister mit dem<br />
Hochschiffsgew r lbesclieite1 nicht liber den Scheitel <strong>der</strong> Fassadenrose<br />
liinausgehen wolite. Aul3er<strong>der</strong>n inuBte ein stark ,,unterspitzer"<br />
Spitzbogen 1) fur die Hochschiffsgurte schon ans dem Gr<strong>und</strong>e gewahlt<br />
werden, damit die an die Fassadenwnde anschlieBenden<br />
Gewilbe liber <strong>der</strong> Rose einen haibr<strong>und</strong>en Schildbogen ohue allzu<br />
starke Steizung erhalten konnten.<br />
Fur die Portalanlage waren die Proportionen <strong>der</strong> Fassaden<br />
hchst ungiinstig. Ein Mittelporta, das den ganzen Raum zwischen<br />
den mittieren Strebepfeilern m ausgefUllt Mtte, hutte in gar<br />
keineni Verhiltnis zu den Seitenportalen gestanden <strong>und</strong> hutte unter<br />
dem Triforium keinen Platz gehabt. Es blieben dalier auf beideit<br />
Seiten des Mittelportales schmale Mauerflchen stehen. Spter<br />
haif man sich wie in Laon: es wurde eine dreifache 'Vorhalle vor den<br />
Portalen angeordnet, freiich nicht in <strong>der</strong>selben, technisch bedenklichen<br />
Weise. Vielmehr kamen die Trennungsw<strong>und</strong>e <strong>der</strong> drei Vorhallen<br />
genau vor die Strebepfeiler m zu stehen, <strong>und</strong> die Breite <strong>der</strong> Mittelhalle<br />
wurde durch die Einschaltung von zwei schmalen Zwischenarkaden<br />
reduziert, die den dahinter liegenden Mauerfliuchen entsprechen<br />
2). Diese Vorhallen sind das einzige Bauglied, das eine<br />
durchgehende Horizontale bildet; aul3er ihnen wirkt nichts dem<br />
entschiedenen Vertikalismus <strong>der</strong> Fassaden, <strong>der</strong> durch die<br />
ausgefuihrten Tiirme nattirlich noch viel strker betont worden<br />
wre, entgegen. Die kleine Galerie liber <strong>der</strong> Rose verinehrt nur<br />
das Gewicht des Mitteistiickes, sie urnklarnmert aber nicht die<br />
Tiirme <strong>und</strong> ihre Strebepfeiler 3). Die Tiirme sind nichts weiter<br />
1) ,,Zur Unterscheidung <strong>der</strong> Arten des Spitzbogens schiagen wir folgende<br />
Bezeichnung vor: ,normal', wenn dei Bogen ein gleichscitiges Dreieck umschreibt,<br />
,unterspitz', wenn or niedriger ah ein soiches ist, ,tibcrspitz', wenn or hoher ist."<br />
(D. & y. B. ii S. 81 Anm.)<br />
2) E. LEPÈVR-PONTÂLIS lBt aie gegen 1240 begonnen sein. Vg1. Les architectes<br />
et la construction des cathédrale, de Chartres in den Mémoires de la<br />
société nationale des antiquaires de France, 1905, t. LXIV S. 112; auch in Separatabdruck<br />
erachienen. Wir werden allerdings etwas weiter hinaufgehen inUssen, da<br />
<strong>der</strong> Stil <strong>der</strong> Skulpturen in den Vorhalleu nicht erlaubt, sic zeitlich allzuweit von<br />
den Skulptureu in den Portallaibungen abznriicken. Die Portale aber sind bald<br />
nach 1210 begonnen wordeu. Vgl. S. 40, Anm. 2.<br />
3) Siehe Fig. 8.
- 37 -<br />
ais die Bekrinung des âuBersten Seitenschiffsjoches. Sie ordnen<br />
sicli <strong>der</strong> Stirnwand des Mit.telschiffes unbedingt unter.<br />
Gegen die hier vorgetragene Theorie liber die vom ersten<br />
Meister geplante Westfassade <strong>und</strong> ihr GrifienverhUtnis zu den<br />
Querhausfassaden kinnte man dreierlei einwenden. Erstens, die<br />
Kathedrale sei 1m Westen begonnen worden <strong>und</strong> <strong>der</strong> erste Meister<br />
habe von Anfang an damit gerechnet, die alte Fassade heizubehalten.<br />
Zweitens, die geringeren Breitenmafle des Querliauses seien ans <strong>der</strong><br />
Wie<strong>der</strong>benutzung <strong>der</strong> aiten Substruktionen zu erklren, <strong>und</strong> drittens,<br />
die Seitenschiffsjoche des Langhauses seien nicht quadratiscb,<br />
son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Querachse gestreckt, die Tiirme htten daher am<br />
Westende des Langhauses nicht wie am Querhause eine quadratische,<br />
son<strong>der</strong>n eine recliteckige Basis erhaiten. Den ersten Einwand<br />
miifite man wirklich erhehen, wenn LEFÈVRE-PONTALIS') mit<br />
<strong>der</strong> Annahme Recht hitte, dafi das Strebewerk des Chores eirien<br />
jiingeren Stil zeige ais das des Langhauses. Die auf den Pfeilern<br />
des doppelten Chorumgaiiges stehenden Zwischenstrebepfeiler mit<br />
ihrem kreuzfrmigen Gr<strong>und</strong>rifi scheinen in <strong>der</strong> Tat fur ein sptes<br />
Datum zu sprechen. Sie kehren in dieser Gestalt erst am Chore<br />
<strong>der</strong> Kathedrale von Troyes wie<strong>der</strong>. Aber sic waren schon an<br />
einem friiheren Bau vorhanden, <strong>und</strong> zwar an Notre-Dame zu Paris.<br />
Die grofien Strebebiigen, die jetzt den Schub <strong>der</strong> HochschiffsgewMbe<br />
<strong>der</strong> Panser Kathedrale unmittelban auf die tuBeren Strebepfeiler<br />
ilbertragen, gehiren erst dem mi 13. Jahrhun<strong>der</strong>t ausgeftihrten Unibau<br />
des Hochschiffes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Emporen an. Sie sind an die Steile<br />
von je zwei kleiiieren Strebebiigen getreten, die auf einem Zwischenstrebepfeiler<br />
riihten, <strong>und</strong> dieser batte bereits einen kreuzfirmigen<br />
Gr<strong>und</strong>riB, wie die Rekonstruktion von VI0LLET-LE-Duc') zeigt. An<br />
<strong>der</strong> Hichtigkeit dieser Rekonstruktion ist nicht zu zweifeln; demi<br />
die Strebepfeiler knnen gai keinen an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>rifi gehabt haben,<br />
weil sic auf einer kreuzfôrrnigem Basis stehen, die durch die von<br />
den groflen Eniporenfenstern übriggelassenen Reste <strong>der</strong> Schildwand<br />
<strong>und</strong> die tuflere <strong>und</strong> innere Wandvorlage gebiidet wird. 3) Infoige<br />
dieser Gestalt <strong>der</strong> Zwischenstrebepfeiler kinnen auch die urspriinglichen<br />
Strebebgen schon in Paris niclit breiter gewesen sein ais<br />
am Chore in Chartres. <strong>Das</strong> Strebewerk gibt also keinen Anhaitspunkt<br />
fur die I)atierung des Ohores. - Mehr Berechtigung scheint<br />
1) Les architectes et la construction des cathédrales de Chartres S. 102 <strong>der</strong><br />
Mémoires de la société . . . 1905.<br />
2) Dict, II S. 289.<br />
3) Monographie de Notre-Dame de Paris, 'Paf. 43, 50 <strong>und</strong> 51.
- 38 -<br />
<strong>der</strong> zweite Einwancl zu haben, daB sich die geringere Breite des<br />
Querhauses ans <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>benutzung <strong>der</strong> alten Substruktionen erkire.')<br />
Zweifellos haben diese Substruktionen, die im Querhause<br />
schmliler sind, den AnlaB dazu gegeben, dat) Mittelschiff des ueuen<br />
Querhauses ebenfails sehmiiler auzuiegen. Aber sie waren nur <strong>der</strong><br />
willkommene Anlaf3, nicht mehr. Wir miifiten sonst annehmen,<br />
dafi auf den Entwurf <strong>der</strong> nitchsten groBen Kathedrale, <strong>der</strong> Reimser,<br />
zufliig auch ein frliuierer Bau mit schmlerem Querhausmittelschiff<br />
eingewirkt habe, whrend sich zeigen wird, das dort dasselbe Fassadenprobiem<br />
wie in Chartres zu lôsen war, <strong>und</strong> dat) deshaib das<br />
Mittelschiff des Querhauses schmaler ais das des Langhauses angelegt<br />
wurde. AuBerdem wlirden die alten Substruktionen nur die<br />
geringere Breite des Mittelsehiffes, niclit aber <strong>der</strong> Seitenschiffe des<br />
Querhauses erklaren. Denu bei den Seitensc1iiffswnden kam die<br />
Beibehaltung <strong>der</strong> alten F<strong>und</strong>ameiite kaum in Betracht; das kostspieiigste<br />
war hier die Fuiidarnentierung <strong>der</strong> Strebepfeiler, die in<br />
jedem Fail neii auszufiihren war. Und ans <strong>der</strong> geringeren Breite<br />
des Querhausmitteischiffes folgt keineswegs mit Notwendigkeit auch<br />
eine geringere Breite <strong>der</strong> Seiterischiffe, wie ans ebenf ails die Reimser<br />
Kathedrale zeigen wird. Ja, wir miissen im Gegenteil die Frage<br />
aufwerfen: Waram silld die Seitensehiffe im Querhause nicht breiter<br />
ais im Langhause? Dann hutte sich docli eine breitere Basis fur<br />
die Querhaustiirme <strong>und</strong> damit ein tbergewicht <strong>der</strong> uni Vierung<br />
gelagerten Turmgruppe liber die Westtïirme wie in Laon ergeben.<br />
Eine Antwort auf diese Frage erhaiten wir bei <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>iegung<br />
des dritten Einwandes, dafl die neuen Westttirme wegen <strong>der</strong> oblongea<br />
Gestalt <strong>der</strong> Seitenschiffsjoche des Langhauses keine quadratische<br />
Basis erhaiten hhtten. Die Querhaustiirme haben eine quadratisclie<br />
Basis, wuhrend die Seitensehiffsjoche des Langhauses<br />
oblong sind. Warum? Nach dent Plane des ersten Meisters soilten<br />
die Querhausfassaden sicher nur e.in Mittelschiffsportal erhalt.en, wie<br />
au den vorhergehendeu <strong>und</strong> folgenden groBen Kirchen mit dreischiffigem<br />
Querhause, den Kathedralen von Laon, Amiens <strong>und</strong><br />
Beauvais <strong>und</strong> den Abteikirchen St. Denis bei Paris <strong>und</strong> St. Nicaise<br />
in Reims. An <strong>der</strong> Reimser Kathedrale hatte sogar <strong>der</strong> erste Meister<br />
tiberhaupt kein Querhausportal vorgesehen. Den EntschluB, das<br />
Querhaus von Chartres auf je<strong>der</strong> Seite mit drei Portalen auszustatten,<br />
faBte man erst, ais man den Plan einer neuen Westfassade<br />
batte fallen lassen. Nehmeri wir also an, daB die Quer-<br />
1) Monographie de la cathédrale de Chartres, Taf. 3.
- 39<br />
haustiirme ursprUnglich auch nach <strong>der</strong> Fassadenseite lin Erdgeschol3<br />
ein Fenster erhalten soilten, se wiirden die Strebepfeiler n <strong>und</strong> m<br />
genau so weit wie die Strebepfeiler o ausladeu. Ais man sicli daun<br />
zur Anlage <strong>der</strong> Seitenportaie entsch1o, konnte man ihre Laibungen<br />
nicht mehr in <strong>der</strong> Mauer unterbringen, son<strong>der</strong>n inuf3te sie zwiseheu<br />
die Strebepfeiler in n veriegen. An <strong>der</strong> vôn uns angenom<br />
menen Westfassade aber httten die Strebepfeiler rn <strong>und</strong> n ebenso<br />
weit ausladen kônnen wie die Strebepfeiler o, <strong>und</strong> die Portailaibungen<br />
htten trotzdem Platz gehabt. Denn die westlichsteii<br />
Seitenschiffsjoche hatten ja im Westen eine strkere Wand erhaltell<br />
miissen ais 1m Norden <strong>und</strong> Siiden, wenn die Basis quadratisch<br />
werden soilte. Wir werden aise umgekehrt f oigern kônnen: Weil<br />
die westlichsten Seitenschifi'sjoche des Langhauses den Portailaibungen<br />
Piatz lassai muBten, mul3ten sie <strong>und</strong> darnit aile tibrigen<br />
Joche in <strong>der</strong> Nord-Siid-Richtung gestreckt werden; das ôstlichste<br />
Joch des J4anghauses bestimrnt aber die Breite <strong>der</strong> Querhausseitenschiffe.<br />
<strong>und</strong> darum mufiten diese schmitler ais die Seitenschiffe des<br />
Langhauses <strong>und</strong> die Querhaustiirme schiauker ais die Westtiirme<br />
werden. Die Achsenweite <strong>der</strong> drei Joche <strong>der</strong> Querliausarme nimmt<br />
ailmiihiicli nach den Fassaden ah, <strong>und</strong> die Querhaustiirme stehen<br />
daher ebenfails auf einer quadratischen Basis. Waren die Seitenschiffsportaie<br />
1m ursprtinglichen Plane vorgesehen gewesen, so htte<br />
niclits nher geiegen, ais die Jochweite in noch staikerem Grade<br />
abnehmen zu lassen, damit auch die Portailaibuiigen nocii muerhaib<br />
<strong>der</strong> âuflersten Joche 1itten Platz fiuden kônnen, um so rnehr,<br />
ais auch fur die mittieren Joche <strong>der</strong> Querhausarme cille geringere<br />
Achsenweite erwiinscht gewesen ware, weil dadurch die âul3eren<br />
Seitenschiffe des Chores schmiiier geworden wàren <strong>und</strong> infolgedessen<br />
besser an den Kapelienkranz angeschiosseri htten.') Die<br />
Richtigkeit unserer Beobachtungen wird am besten auf die Weise<br />
zu prufen sein, daB wir UIIS ilberiegen, wie <strong>der</strong> G-esanitentwurf <strong>der</strong><br />
Kathedrale ausgesehen haben wiïrde, wenn das Querliaus wie in<br />
L) Da <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>riS des Chorhauptes durch die alte Krypta gegeben war,<br />
mullte <strong>der</strong> Meister die Wiinde <strong>der</strong> Seitenschiffe des Laiigchores iiach Qresten<br />
divergieren lassen, um einen AusehluB des Langchores an das Chorhaupt <strong>und</strong><br />
das Querhaus uberhaupt mg1ich zu machen. (Vgi. ais Gegenbeispiel das Querhaus<br />
<strong>der</strong> Kathedrale von Amiens, S. 95) Diese 1 -nrege1mtBigkeit ist nur au<br />
den Aufnahmen von LÂssus, GAILHABAUD <strong>und</strong> KING zu erkeunen. Der Gr<strong>und</strong>riB<br />
in den Cathédrales de France <strong>und</strong> bei V. L. D., Dict. H, S. 312, lBt die Seitenwnde<br />
des Lang'hures parallel laufen. Infolgedessen aind die mittieren Querhausjoche<br />
zu s,hnial. KING gibt das sudliehste loch des Querhauses zu breit<br />
wie<strong>der</strong>.
- 40 -<br />
Laon dickeie Ttirme erhalten hatte ais das Langhaus. Die Seitenschiffe<br />
hi%tten in diesem Falle im Querhause breiter ais im Langhause<br />
angelegt werden mtissen. Es htten sicli also im Langhause<br />
in <strong>der</strong> Ost -West -Riehtung gestreckte Seitenschifl'sjoche ergeben,<br />
<strong>und</strong> diese Streckung wre gerade am westlichsten Joche durch<br />
die Portallaibungen noch gesteigert worden, so daB die Westtiirme<br />
eine stark oblonge Basis erhalten Idtten. Ans dieser Beobachtung<br />
folgt, daB <strong>der</strong> Meister von Chartres auf das tYbergewicht <strong>der</strong> um die<br />
Vierung gela gerten Tu]mgruppe verzichten muBte. Gleichsam um<br />
diesen nicht zu vermeidenden Fehier zu korrigiereii, bot er den<br />
Westti.irmen ein Gegengewicht in Gestalt <strong>der</strong> beiden Ttirme am<br />
Beginn des Chorhauptes. Die Turmpaare in) Westen <strong>und</strong> Osten<br />
soilten die Turnigruppe an <strong>der</strong> Vierung in die Mitte iiehmen <strong>und</strong><br />
ilir das tbergewicht, das sie durch die Verringerung des Volumens<br />
<strong>der</strong> Querhaustiirme zu verlieren drohte, durch die Betonung <strong>der</strong><br />
zentralen Stelluiig wie<strong>der</strong>geben. Ans diesem Grande sollte die<br />
Kathedrale von Chartres auBer dem Vierungsturm acht Tiirnie erhaiten,<br />
wil.hrend aile an<strong>der</strong>u vie1tirmigen Kirchen <strong>der</strong> G-otik nur<br />
auf sechs FassadentUrme angelegt sind.<br />
Es bleibt uns schlieuilich noch iibrig, unsere Hypothese mit<br />
den Daten <strong>der</strong> Baugeschichte in Einklang zu bringen. 1194 brannte<br />
die karolingische Kathedrale bis auf die Westfassade ab. Sptestens<br />
1224 war <strong>der</strong> Neubau vollendet; denn GUILLAUME Li BRETON<br />
sagt in semer zwischen 1218 <strong>und</strong> 1224 gedichteten Philippide, daB<br />
die voi1stndig gewUibte Kirche gegen Feuersgefahr gesichert sei.2)<br />
Ein im Jahre 1214 o<strong>der</strong> 1215 gestorbener Kmmerer setzte eine<br />
Summe fUr einen Pfeiler aus;') also war um diese Zeit <strong>der</strong> Ban<br />
an einem Ende noch niclit über die F<strong>und</strong>amente hinaus gediehen.<br />
KUnig Philipp August spendete 1210 zweihun<strong>der</strong>t Livres <strong>und</strong> spter<br />
fUr das Nordportal einen jhr1ichen Beitrag. 2) <strong>Das</strong> sind aile uns<br />
1) Les architectes et la construction des cathédrales de Chartres S. 103f.<br />
<strong>der</strong> Mémoires de la société . . . 1905. In drei Jahrzchnten ist also <strong>der</strong> ganse<br />
riesige Bau, mit Ausnahme <strong>der</strong> Portalvorhailen voilendet worden. Die Schnelligkeit<br />
dieser Banfilhrung ist lin Mittelalter nirgends auch nur anniihernd<br />
erre iclit worden.<br />
2) BULTEAU schreibt in semer Monographie de la cathédrale de Chartres,<br />
. Aut 1887, Bd. i S. 119 von Philipp August: En 1210, lillustrc vainqueur de<br />
Bouvines, vint à Chartres, passa avec une humble dévotion SOUS l#3 sainte Chdsse<br />
(devote et humiliter transitum faciens) et offrit deux cents livres (30000 francs)<br />
pour la construction de l'église'; ainsi s'exprime une pièce officielle du temps.<br />
(Anm. 1: Cartulaire de Notre-Daine de Chartres, tome 11, pag. 59.) Cc prince<br />
généreux fit d'autres dons dans la suite et fournit, chaque année, la somme né-
- 41 -<br />
bekannten 1)aten. Fur die Frage, ob <strong>der</strong> Ban im Westen o<strong>der</strong><br />
Osten begonnen worden sei, sind wir daher lediglich auf das, was<br />
uns das Geb.ude selbst sagt, angewiesen. Die Strebesysteme des<br />
Chores <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schiffe verhalten sieh, wie 'rfr gesehen habert, in<br />
dieser Frage neutral. Die Versehiedenheit zwischen beiden ist tatsiichlich<br />
nur durch die Annahme zu erk1ren, daB <strong>der</strong> Meister die<br />
Strebepfeiler an den Schiffen mit Riicksicht auf die rfulmstrebe<br />
pfeiler stLrker bildete ais am Cliore.') 1)agegen beweist das Triforium<br />
unwi<strong>der</strong>leglich, daB die Kathedrale das Werk zweier Meister<br />
ist. Es ist im Chore <strong>und</strong> Querhause fflnf-, im Lallghause vierteilig.<br />
2) Aber welche Form ist die 1tere? lst etwa das Langhaus<br />
das Werk des ersteii, das Querhaus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Chor das Werk<br />
des zweiten Meisteis? <strong>Das</strong> ist rnmiig1ic1i; deuil keinesfalls kann<br />
die Kat.hedrale mit dem Langhause begormen worden sein. Man<br />
hui.tte sonst die Strecke zwischen <strong>der</strong> alten \Vestfassade <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Vierung in sieberi gleiche Teile geteilt <strong>und</strong> hatte nieht mit drei<br />
schmiileren, nicht einmal unter sich gleichen Jochen begonnen<br />
(vgl. S. 31 Anm. 1). O<strong>der</strong> bat etwa <strong>der</strong> erste Meister (las Querhaus<br />
mit einem fiinfteiligen Triforium erbaut, <strong>der</strong> zweite das Laiighans<br />
mit eiiiem vierteiligen, <strong>und</strong> vielieicht ein dritter Meister den<br />
Chor wie<strong>der</strong> mit eiuem fiinfteiligen? <strong>Das</strong> ist rnehr ais unwahrscheinlich;<br />
daher bleibt nur die Reihenfolge Chor, Querhaus, Langhans.<br />
Zn demselben Ergebnis gelangen wir, weiin wir die Entwicklung<br />
des Triforiums betrachten. In <strong>der</strong> frtiligotischen Zeit<br />
war das r1.jforjt1m in den einzelnen Schiilen verschieden behandeit<br />
worden. In St. Denis (?), Senlis <strong>und</strong> Mantes hatte man auf ein<br />
Zwischenglied zwischen Empore <strong>und</strong> Obergaden verzichtet, in Paris<br />
cessaire pour le travail annuel (lu porche septentrional; ,il favorisa toujours<br />
cette sainte église de Chartres', dit le Nécroloye, ,il l'entoura d'un amour privilégié<br />
dons il ne cessa de lui donner des marques singulières'. (Aiun. 2: Cartulaire<br />
de Notre-Dame de Chartres, tome III, pag. 13$.) Beim Tode Phulipp<br />
Angusts (1223) muC also schon mehreic Jahre an dem nirdlichen Portai gobant<br />
worden sein.<br />
1) VgJ. S. 30 Anm. 5.<br />
2) Der Horizontalschnitt auf Taf. 2 <strong>der</strong> Monographie gibt das Triforium in<br />
allen Teilen des Baus richtig wie<strong>der</strong>. (<strong>Das</strong> Joch ist1ieh <strong>der</strong> Vierung bat zwar<br />
aueh ein vierteiliges Triforium, aber die lichte Jocliweite ist hier wegen <strong>der</strong><br />
grolleren Starke <strong>der</strong> Vierungspfeiler geringer ais im librigen Langchor). Der<br />
Lmtngsschnitt dagegen sohematisiert <strong>und</strong> gibt im Chore nach Analogie des Langhauses<br />
ein vierteiliges Triforium an. Danach ist das von D. & y. B. II S.] 31,<br />
am Anfang des kleingedruckten Abschnittes, liber Chartres Ausgefithrte zu<br />
korrigieren.
waren Radfenster vor deni Dachraum <strong>der</strong> - mpore angeordnet worden.<br />
1m dreitei1igii Aufbau <strong>der</strong> Kathedrale von Sens bat das Triforium<br />
fast den Charakter einer Empore. 1m Sfldtransept <strong>der</strong> Kathedrale<br />
von Soissons, in Laon <strong>und</strong> Noyon hatte man es ais ein von den<br />
drei an<strong>der</strong>en G-escliossen vI1ig unabhngiges Horizontalband behandeit.<br />
Die Schule <strong>der</strong> Champagne, St. Remi in Reims, Notre-<br />
Dame in ('hâlons, Orbais, hatte das Triforium mit den Hochschiffsfeiistern<br />
zusammengezogen <strong>und</strong> aiso ein Mittelding zwischen dem<br />
dreiteiligen Aufbau (Seitenschiffe, Empore, Hochschiff) <strong>und</strong> dem vierteiigen<br />
(Seitenscliiffe, Empore, Triforium, Hochschiff) gesehaffen.<br />
1m hochgotischen dreiteiiigen System erhielt uatargemJ das Triforium<br />
cinen stitrkeren Accent ais im vierteiligen frUligotisehen.<br />
,.Es war zur Herstelinng des Dreikianges, zur Vermittliing zwischen<br />
ErdgeschoB <strong>und</strong> ObergeschoB formai notwendig. In <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ung<br />
seines Aufrisses bat es einerseits die G-lie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Fenster vorzubereiten,<br />
an<strong>der</strong>erseits darf es ein gewisses eigeries Existenzrecht<br />
nicht aufgeben. Die feine Empfindung fUr diese IJoppeinatur ist<br />
ein Kennzeichen <strong>der</strong> klassischen Schule."') Am stàrksten wurde<br />
die Selbstiindigkeit des Triforiums <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dreikiang des Aufbaus<br />
in den drei ersten hochgotischen Kathedralen betont. in Chartres,<br />
Soissons <strong>und</strong> Reims. Pas Triforium bildet hier ein horizontales<br />
Band, das ans aneinan<strong>der</strong>gereihteii, nicht zu Gruppeti zusamniengefafiten<br />
Arkaden besteht, <strong>und</strong> uiiter den Seitenschiffsfenstern befindet<br />
sich keine den Dreikiang beeintrachtigende Blendarkatur.2)<br />
Auf <strong>der</strong> zweiten Stufe, in den Kathedralen von Amiens irnd ChOElons,<br />
wurden die Arkaden des Triforiums gruppiert rnid so zu den Hochseliiffsfenstern<br />
in Beziehung gesetzt. SchIie11ich trat beim Umbau<br />
von St. Denis ait die Stelle des dreiteiligen Aufbaues ein zweiinal-<br />
1) D. & y. B. 11 S. 131.<br />
2) Diese Arkatur fehit auch in den Seitenschiffen <strong>der</strong> Katiiedrale von Metz<br />
Aber W. SCHMITZ. Dombauineister <strong>und</strong> Konservator <strong>der</strong> historisehen Denkin.1er<br />
in Lothringeri, traut offenbar sich mehr Geschniack zu ais dein ersten Meister<br />
<strong>der</strong> Kathedrale <strong>und</strong> ,,beiebV' daher jctzt die Wand dureh kleine Nisehen. tberhaupt<br />
muG es sich das ehrwilrclige Gebude seit dem ,Meister Tornow" vgl.<br />
S. 10) gefallen lassen, i1a man mit ihm eizien galiz unveraiitwortlichen Mutwillen<br />
treibt. Su hat z. B. <strong>der</strong> Chor an dem "eugotisclien Hochaltar noeh nicht<br />
genug ,,Schmuck", er muil noch dureh Uhorschranken ,,versehOnert" werdeu, damit<br />
man ja nieht mehr den herriichen Blick vom Umgang ins Langhaus geniel3en<br />
kaun. (Ich konrite im Oktober 1911 noch den alten Zustand mit <strong>der</strong> ,,Verbesserung"<br />
vergleicheu: Zur Rechten hinter dem Hochaltar mul3te ich mieh mit einertt<br />
Bliek durcit ein KUfiggitter begniigen, zur Linken bot sieh meinen Augen nocli<br />
die glI1ze Sehiinheit des Lanhanses dar, ungetrUbt (Iurch Resta nratorenabeiwitz.)
- 43 -<br />
zweiteiliger: in den Seitenseliiffen die Fenster <strong>und</strong> unter ilinen eine<br />
Blendarkatur. im Hoclischiff die Oberfenster <strong>und</strong> ein mit ihnen zusamniengezogelieS<br />
Triforium mit vergiaster Riickwand. In Reims<br />
ktïndigt sich schou <strong>der</strong> tJbergang von <strong>der</strong> ersten zur zweiten Stufe<br />
durcli die etwas stii.rkere Bildung des rnittleren Siiulchens des vierteiligen<br />
Triforiums an. Gehen wir also die Stufenleiter <strong>der</strong> Entwicklung<br />
rtckvirts, so ergibt sich folgen<strong>der</strong> Weg: St. Denis,<br />
Chlons, Amiens, Reims, Soissons, Chartres. In Reims ist das Triforium<br />
vierteilig mit stitrkerer Mittelsitule. in Soissons <strong>und</strong> ira<br />
Langhause von Chartres vierteilig ohne Betonung dei' mittieren<br />
S.ule, 1m Chor <strong>und</strong> Querhause von Chartres ist es fnfteilig <strong>und</strong><br />
kontrastieit also aufs stiirkste mit den zweiteiigen Hochschiffsfenstern.<br />
1) Pas f tiiifteilige Triforium wird daher auf den ersten<br />
Meister zurLckgehen, <strong>und</strong> wir werden deshalb den Chor <strong>und</strong> das<br />
Querhaus ais sein Werk betrachten miissen. Danii aber ergibt sich<br />
folgende Baugeschichte: <strong>der</strong> erste Meister bat dcii Chor <strong>und</strong> das<br />
Querliaus mit Ausnahme <strong>der</strong> Fassaden erbaut <strong>und</strong> die vier istlichen<br />
Joche des Langhauses, dei-en Achsenweite nocli keine Rffcksicht<br />
auf den AnschluB an die alte Fassade nimrnt, miiidestens<br />
f<strong>und</strong>amentiert, viefleicht sogar bis zu den Seitenschiffsgewilheii ausgefiihrt.<br />
Per zweite bat auf diese Seitenschiffsjoche das vierteilige<br />
Triforium <strong>und</strong> das Hoclisehiif gesetzt <strong>und</strong> die drei westlichen Langhausjoche<br />
von G-r<strong>und</strong> ans erbaut; demi die p1itz1iche Abnahme <strong>der</strong><br />
Jochweite zeigt, daf3 man erst VOil hier ab die Beibehaltung <strong>der</strong><br />
alten Fassade ins Auge gefal3t hat. Diese drei Joche kinnen erst<br />
nach 1214 o<strong>der</strong> 1215 in Angriif genommen worden sein, da um diese<br />
Zeit <strong>der</strong> erwhnte Kmmerer seine Stiftung fur einen Pfeiler maehte.<br />
Ungefhr uni Zeit o<strong>der</strong> etwas friiher, vielleicht sciion wahrend<br />
o<strong>der</strong> vor <strong>der</strong> AusfiÎhrung des Hoclischiffes in den vier tstlichen<br />
Jochen wird <strong>der</strong> zweite Meister die Querhausportale begonnen<br />
haben. Ihre â1testen Skulpturen weiseii auf die Zeit von<br />
1210 bis 1220, <strong>und</strong> zu ihrem Ban bat Philipp August erst nach<br />
1210 eineii jiihr1ichen Beit.rag ausgesetzt. Sptestens 1224 war<br />
die Kathedrale so, wie wir sic jetzt sehen, luit Ausnahme <strong>der</strong> beiden<br />
1) Ein fUnf-, im Turmjoch siebenteiliges Triforium bat auch das Langhaus<br />
<strong>der</strong> Nikolauskirche in Blois. das auch sonst aufflillig mit <strong>der</strong> Kathedrale von<br />
Chartres ilbereinstimmt. Vg!. Mon. hist. III. Taf. 24 <strong>und</strong> 25. In Reixus ist das<br />
Triforium im westlichsten Joche des Chores <strong>und</strong> ira bstlichsteu des Langhauses<br />
aucli f Unfteilig. Es ist hier aber dureli die grere Breite dieser Joche motiviert.<br />
Penn in den noeh breiteren Turmjoehen - im Querhause <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Westfassade<br />
- ist es sogar aechsteilig <strong>und</strong> bat eine sttLrkere MittelsiLuie.
41 -<br />
oberen Geschosse des Nordturmes, <strong>der</strong> Vorhalien <strong>und</strong> <strong>der</strong> GlasgemiUde,<br />
vollendet.<br />
Die Beliandiung <strong>der</strong> Kathedrale VOil Soissons, die <strong>der</strong> von Chartres<br />
zeitlich folgt., verschieben wir auf eineii spitteren Abschnitt,<br />
<strong>und</strong> gehen zum n gchsten Bau mit drei zweiti!rmigen Fassaden Über,<br />
zur Kathedrale von Reluis. Ihr Aufrif3 <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rit3 geben dieselben<br />
Fragen auf, die wir in Chartres zu llsen hatten. Jedoch<br />
empfiehlt es sich hier, zuerst (lie aligerneine Baugeschiclite') <strong>und</strong><br />
dann das <strong>Fassadenproblem</strong> zu behandein.<br />
Die Kathedrale dci' karolingischen Erzbischfe EBBO <strong>und</strong><br />
HINKM wurde gegen Ende des 10. Jahrhun<strong>der</strong>ts unter Erzbischof<br />
ADALBERO um zwei Joche verlaiigert; im Jahre 1152 fi!gte Erzbisehof<br />
SÂMSON noch drei Joche <strong>und</strong> zwei Fassadentiirme an. Über<br />
die Lage dieser Kathedrale sind wir auf Vermutungen angewiesen.<br />
Weil auf <strong>der</strong> Portalschwelle ihrer Vorgitngerin, an <strong>der</strong> Steile, die<br />
von <strong>der</strong> r fravee V (s. Fig. 9)2) <strong>der</strong> gotischen Kathedrale eingenon-imen<br />
wird, Bischof NICASLUS den Mitrtyrertod durch die Vandaie1l erlitten<br />
haben s01, 3) nirnint DENAISON an,) daf3 Enno die Westfassade seines<br />
Neubaus an <strong>der</strong>selben, durcli das Martyrium geheiIigten Steile errichtet<br />
<strong>und</strong> den Chor nach Osten vorgesehoben hat. Jedenf ails<br />
miissen ADALBERO <strong>und</strong> SAMSON fir ihre Erweiterungsbauten mmdestens<br />
demi Baum, den ungefithr die Joche VI—ViEl des heutigen<br />
Bancs einnehmen. zur Verfiigung gehabt haben. Denn 1880 fand<br />
man an demi F<strong>und</strong>amenten ([es Nordturmes dci' jetzigen Westfassade<br />
5) die Substruktionen <strong>der</strong> ha1bkreisfrmigen Apsis einer Ka-<br />
1) Wir legen unseen Ausfuhrungen folgende Untersuchungen von Louis<br />
DiÀisON, Archivar in Reims, zugr<strong>und</strong>e: Les architectes de la cathédrale de<br />
Remis. Bu!!. arch. du comité 1894 p.3-40. - .Nouveaux renseignements sur<br />
les architectes de la cathédrale de Reims. Bu!!. areh. du comité 1898 p. 40-48. -<br />
Communication de M. Demaison sur l'histoire de la construction de la cathédrale<br />
de Reims. Bali. arch, du comité 1901 p. LIX—LXI. - La cathédrale carolingienne<br />
de Reims et ses transformations au XIJe siècle. Bu]!. arch. du comité 1007 p. 41-57.<br />
- 1m Bali. mon. 1902 t. LXVI p. 3-59: La cathédrale de Reims. Son histoire, les<br />
dates de sa construction. - Eine wichtige Ergitnzung lieferte ANTHYMS SAINT-<br />
PAUL: La cathédrale de R.eim,s anXIIIe siècle. Bull. mon. 1906 t. LXX p. 28-328.<br />
2) Wir ziihien stets von <strong>der</strong> Vierung ans. VgI. S. VI.<br />
3) Bull. arch. du comité 1907 p- 46.<br />
4) Bu!], arch. du comité 1907 p. 56.<br />
5) Bei <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> F<strong>und</strong>amente beging man die Unvorsichtigkeit,<br />
sic withrend des Winters bios liegen za lassen. <strong>Das</strong> eingedrungene Wasser gefror<br />
<strong>und</strong> sprengte das Mauerwerk. Die Folge war, dae die Fassaile chien breiten<br />
Rie erhielt, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Kdnigsgalerie bis zum westlichsten Langhausjoch reichte.<br />
S. Bull. mon. 1881 t. XLVII p. 601.
- 45 -<br />
pelle, die auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> stilkritischen Untersuchung des MusaikfuBbdens<br />
<strong>und</strong> eines Kapiteils iii die Zeit kurz vor 1200 zu setzen<br />
ist') <strong>und</strong> darum erst nach <strong>der</strong> Ver1ngerung <strong>der</strong> Kathedrale erbaut<br />
worden sein kann. Die Tiirme SAMSONS, <strong>der</strong> ein Fre<strong>und</strong> des Abtes<br />
SUGEi <strong>und</strong> ein Zeuge <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>steinlegung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Weihe <strong>der</strong><br />
Abteikirche von St. Denis war, werden wir uns groB <strong>und</strong> prclttig<br />
zu denken haben, vielleicht denen âbiilieli, die im Lauf e des<br />
12. Jahrliun<strong>der</strong>ts in Chartres <strong>der</strong> karolingischen Kathedrale angefiigt<br />
wurden, 2) Aber trotz dieses neuen Schmuckes wurde die<br />
Reimser Kathedrale allnuihlich von ihren Schwesterbauten in<br />
Thérouaune, 3) Arras,) Soissons, Laon, Senlis <strong>und</strong> Noyon, den SuTfraganbistUmern<br />
des Erzbisturns Reims,) iiberflugelt. Da zersttirte<br />
sic im Jahre 1210 eine Feuersbrunst, <strong>und</strong> schon im folgenden<br />
Jahre wurde <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>steiii zu einem Neubau gelegt. ANTHYME<br />
SAINT-PAUL mchte annehrnen,daf3 <strong>der</strong> Erzbischof ALBÊRIC DE HUMBEBT<br />
mit eigener Hand das Feuer angelegt habe, um mit einem Schlage<br />
alle Schwierigkeiten ans dent Wege zu rumen, die sich sonst eineni<br />
') On y a reconnu les ruines de la chapelle St. .Nicolas de l'Hôtel-Dieu,<br />
bâtie vers 1200 environ, peu d'années avant le commencement des travaux de<br />
reconstruction de la cathédrale. (DEMAIsON, Bull. arch. du oomité 1907 p. 57.)<br />
1m Bull. mou. 1902 t. LXVI p. 52 liatte DEMAISON die Kapelle auf 1170-80<br />
datiert.<br />
2) Man truc ais'; ein Jahrzehnt - viel!eicht anch erst drei bis vier Jahrzehiite<br />
(vgl. 8.71) - spitter kein Bedenken eineu Neubau zu entwerfen, dessen<br />
Ausftihrung uur rn5glich war nach dent Àbbrneh nicht nur <strong>der</strong> ein halbes Jahrhuitilert<br />
alten Tllrme, son<strong>der</strong>n auch einer soebeit erst vollendeten Kapelle. Ebensowenig<br />
aber wie mais es in Reims tat, wird <strong>der</strong> erste Meister <strong>der</strong> gotisehen<br />
Kathedrale in Chartres dainit gerechnet haben, die Wettiirrne des 12. Jahrh.<br />
beizubehalten.<br />
3) 1m Jahre 1553, wiihrenil tics Krieges mit Heinrich II., machte Karl V.<br />
die Stadt Thérouanne saint <strong>der</strong> Kathedrale dem Erdbudeii gleich. Die Skulpturen<br />
des Hanptportals wurden sp.ter nach St. Orner geschafft (C. ENLART,<br />
Manuel dArchéologie, t. I, p. 80, n. 1), naclidem hier 1559 unter Philipp II. bei<br />
<strong>der</strong> kirchuiehen Neucinteilung <strong>der</strong> spanisoheis Nie<strong>der</strong>lande eiu Bistum errichtet<br />
worden war. (1566 wurde ans dem auf franzsischem Boden gelegenen Gebiet<br />
des ehemaligen Bistums Thérouanne das Bistum Boulogne geschaffen.)<br />
4) 1m •labre 1797 abgetragen (C. ENLAIST, Manuel t. I p. 485 u. 3), A. DE<br />
BAUDOT behauptet in don Cathédrales de France, p. 22. das Bistum Ai-ras sei<br />
erst wiihren(1 <strong>der</strong> Revolution errichtet wordce. Es hat in Wahrheit seit dem<br />
frllhen Mittelalter ijestanden <strong>und</strong> ist anch niclit zeitweise aufgehoben gewesen.<br />
Vgl. Gallia christiana, t. III, p. 319-453.<br />
5) Die Ubrigen Suffragaubistiimer folgten mit Nenbantesi: Amiens 1220,<br />
Beauvais 1225, Châlons-sur-Marne en. 1230. In Cambrai beguligtc man sich 1227<br />
mit einem neuen Chor (dm gauze Gebude wiihrend <strong>der</strong> Revolutiou abgebrochen),<br />
ebenso, doch erst ein voll(,s Jahrhnn<strong>der</strong>t spiiter, in Tournai.
- 46 -<br />
mit den Bauten semer Suffragaribischôfe wetteifernden Neuhau entgegengestelit<br />
htten.') Wir lassen diese Hypothese auf sic beruhen<br />
<strong>und</strong> halten uns an die tberlieferung. Am 6. Mai 1211 legte<br />
ALBÉRIC DE HUMBERT den Gr<strong>und</strong>stein zur neuen Kathedrale, <strong>und</strong><br />
am 7. Setember 1241, wiihrend einer Sedisvakanz des erzbischiflichen<br />
Stuhies, nahm das Domkapitel vom neuen Chore feierlich<br />
Besitz. ,,Hoc anno, in vigilia Nativitatis Beate Marie Virginis, intravit<br />
capitulum Renense chorum suunz novum," so berichtet die<br />
im 13. Jahrhun<strong>der</strong>t geschriebene Chronik <strong>der</strong> Abtei St. Nicaise in<br />
Reims, 2) <strong>und</strong> eirie Bestâtigung dieser Nachriclit geben die Glasgemalde<br />
des Hohen Chores. Auf <strong>der</strong> rechten Wilfte des ôstiichsten<br />
Fensters befindet sicli unter einem Crucifixus (las Bild des Erzbischofs<br />
IIs.uui DE BRAISNE - ANuIcus nennt ihn die Beischrift -,<br />
auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en H.lfte, iinter einem Bilde <strong>der</strong> Heiligen Jungfrau<br />
ais <strong>der</strong> Patronin des Erzstifts, ist die Reimser Kirche durcli eine<br />
gotisclie Fassade angedeutet. Die Fenster zur Rechten <strong>und</strong> zur<br />
Linken enthalten die Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bisciiiife <strong>der</strong> Kirchenprovinz Reims<br />
samt ihren Kathedralen. Der Sinn dieser Bil<strong>der</strong>reilie ist kiar:<br />
HENnI DE BEAISNE, <strong>der</strong> seit 1227 auf (lem erzbischoflichen Stuhie<br />
saf3, hatte gehofît, unter Assistenz semer Suffragane die Weihe des<br />
Chores voliziehen zu kônnen, <strong>und</strong> die Glasgemiilde soliten den feierlichen<br />
Akt <strong>der</strong> Nachwelt iiberliefern. Da ereilte am 6. Juli 1240<br />
<strong>der</strong> Tod den Erzbischof, <strong>und</strong> das Domkapitel mufite ohne ihn in<br />
den neuen Chor einziehen.<br />
Diese beiden Daten, 1211 <strong>und</strong> 1241, sind die einzigen, die den<br />
Beginii irnd die Vollendang eines bestimmten Bauteiles festiegen.<br />
Die Datierung aller an<strong>der</strong>en Teile <strong>der</strong> Kathedrale w.i'e allein durch<br />
die Stilkritik môglich, wenn nicht DEMAISON durch seine archivalischen<br />
Forsehungen über die Meister <strong>der</strong> Kathedraie âufierst wertvoiles<br />
Material fur eine Geschic.hte dieser Bauteile geliefert Mtte.<br />
Wir geben die Ergebnisse dieser Forschungen in Kiirze wie<strong>der</strong>.<br />
Um 1300 war in den Mosaikfuflboden des Mittelschiffs, im dritten<br />
<strong>und</strong> vierten Joche st1ich <strong>der</strong> Westfassade, ein Labyrinth cmgelassen<br />
worden, dessen Verschlingungen (lie BuBfertigen, unter<br />
Gebeten auf den Knien rutschend, zu folgen hatten. AIs sich aber<br />
im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t MuiBiggiinger die Ait damit vertrieben, zu Fuf<br />
das Labyrinth zu durchwan<strong>der</strong>n, beschloB das Domkapitel, diesem<br />
die Andacht <strong>der</strong> Domherrn stôrenden Unfug durci Beseitigung des<br />
1) BulI. mou. 1906 t. LXX p. 291-297.<br />
2) Monuinenta Germaiiiae. Scriptores t. XIII p. 857.
47 -<br />
Labyrinths ein Ende zu machen. Glick1icherweise besitzen wir<br />
eine Zeichnung ans dom 16. Jahrhun<strong>der</strong>t, die die Anlage des Labyrinths<br />
<strong>und</strong> die in semer Mitte <strong>und</strong> an seinen Ecken dargesteliten<br />
Figuren wie<strong>der</strong>gibt. Den Text, <strong>der</strong> unter diesen Figuren stand,<br />
bat <strong>der</strong> Kiinstier lei<strong>der</strong> nicht iïberliefert. Aber ein Kanoniker aus<br />
<strong>der</strong> ersteii HâJf te des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts, COCQtA1JLT, bat ihn, so weit<br />
er damais nocli zu entziffern war, aufgezeichiiet, <strong>und</strong> die 1778 noch<br />
lesbaren Bruchstcke wurden 1779 in den ,,Affiches rémoises" piibliziert.<br />
Dadurch haben wir die Miiglichkeit, die Aufzeichnungen des<br />
Kanonikers ans dem 17. Jahrhun<strong>der</strong>t zu kont.rollieren. 1m folgenden<br />
sind beide Ûber1iefrungen 1) nebeneinan<strong>der</strong>gestellt.<br />
Co c qua u 1 t:<br />
Autant y en a aux quatre coingts<br />
d'iceluy dédale, ne sont représentations<br />
et escriture: premier en celuy qui est<br />
près de la chaiere du prédicateur en<br />
la dicte église, qui est en entrant à<br />
main gauche, est l'image d'un maistre<br />
Jehan Le Loup qui fut maistre des<br />
ouvrages d'iceUe église l'espace de seize<br />
ans et commencea les portaux d'icefle.<br />
En l'autre, du mesme costé, est<br />
l'image d'un Gaucher de Reims qui<br />
fut mai8tre des ouvrages l'espace de<br />
huict ans, qui ouvra aux vossures et<br />
portaulx.<br />
En l'autre, qui est d'autre co8té,<br />
sis à vis et opposite de ceste cy, est<br />
l'image d'un Bernard de Soisson<br />
qui fit cincq voûtes et outra à Vo,<br />
maistre de ses ouvrages l'espace de<br />
trente-cinq ans.<br />
En la <strong>der</strong>nière, qui est à l'opposite<br />
de la dicte chai.ere du prédicateur, est<br />
l'image d'un Jehan d'Orbais, maistre<br />
des dits ouvrages, qui enconlmencea la<br />
coiffe de l'église.<br />
Affiches rémoises:<br />
(S1e gehen von ciner an<strong>der</strong>o Ecke des Labyrinths<br />
ans <strong>und</strong> bringcn die Meleter in andrvr<br />
Iteihenfolge ais Cocquault. 111cr sind die Insehritten<br />
<strong>der</strong> bessern t)bericbt1iChkeit halber in<br />
<strong>der</strong> Ordnung von Cocquault aufgcfflhrt. Diu eLngekiammerten<br />
Worte sind naeh CocuauIt erganzt.)<br />
Autour de ta quatrième à main<br />
gauche par haut: . . . . (Jean Loups)<br />
qui fut maître de l'èglise de céans seize<br />
ans et encŒmmença . . . . (le portail).<br />
Autour de la seconde à main gauche:<br />
(Gaucher de Reims) qui fut<br />
maître de l'église de céans sept [offenbar<br />
VII statt VIII gelesenj ans et ouvra<br />
a vosures . . . dor . . . [wohl faiscli gclesener<br />
Rest von portaulx].<br />
On lit autour de la première figue,<br />
à main droite en entrant: Cette image<br />
est en remembrance de maître Bernard<br />
de Soissons qui fut maître de<br />
l'église de céans .....t cinq voutes.<br />
Autour de la troisième à main droite<br />
par haut: . . . . Cette image est en remembrance<br />
de maître Jean d'Orbais<br />
qui fut maitre de l'église de céans<br />
Nur von drei Meistern ist uns also die Dauer ibrer Ttigkeit<br />
iber1iefert, von keinem ein absolutes Datum, <strong>und</strong> liber ihre Reihenfolge<br />
ist auch nichts gesagt. Aber ,,Jean d'Orbais encommencea la<br />
coiffe de l'église", so heil3t es, <strong>und</strong> da unter coiffe das Chorhaupt<br />
zu verstehen <strong>und</strong> die Kirche mit dem Chore begonnen worden ist,<br />
1) Bull. aTCh. du comité 1894, p. 15-20.
- 48 -<br />
so ist er <strong>der</strong> erste Meister <strong>der</strong> Kathedrale, <strong>der</strong> den Plan fUr den<br />
ganzen Bau entworfen hat. 1) Besttigt wird diese TYber1ieferïmg<br />
durch die Tatsache, dat) <strong>der</strong> (Jhor <strong>der</strong> Klosterkirche von Orbais<br />
abhangig von St. Remi ist <strong>und</strong> in einigen Punkten den Chor <strong>der</strong><br />
Kathedrale von Reims beeinflul3t hat (s. S. 71). Der letzte <strong>der</strong> vier<br />
Meister ist BERNARD DE SolssoNs. Er arbeitete am O", cl. h. an<br />
<strong>der</strong> grot3en Rose <strong>der</strong> Westfassade, irnd ftihrte f iinf voûtes, d. h.<br />
Traveen ans (S. 1, Anrn. 2). 1m Jahre 1287 lebte er noch; DEMASON<br />
bat seinen Namen in ciller Steuerlist.e <strong>der</strong> Pfarrei von St. Denis<br />
gef<strong>und</strong>eu. 2) Von den heiden tibrigbleibenden ist JR&1 LE Loup<br />
<strong>der</strong> Mtere, demi er begann die Portale", wUlirend von GAUCHER<br />
DE REIMS nur berichtet wird, daB er an ilinen arbeitete. Es ergibt<br />
sich also die hier schematisch dargesteilte Reihenfolge:<br />
L JEAN LE Loue 'RBAIS J<br />
GAUCHER DE REIMS f J BERNARD DE SoIssoNs<br />
Die Verteilung <strong>der</strong> Figuren auf die vier Ecken des Labyrinths<br />
folgte dem liturgischen Branche. am Chorende <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Epistelseite<br />
zu beginnen. Die Inschrift unter <strong>der</strong> Figur in <strong>der</strong> Mitte des<br />
Labyrinths hat schon COCQUAULT nicht mehr lesen k3nnen. Hat<br />
1) 1642 fand COCQTJAULT an <strong>der</strong> Sildseite des (hores, zwischen zwei Strebepfeilern,<br />
ein (3rabmal mit <strong>der</strong> Aufsehrift: Ycy gist maistre Adams qui fut mai.stre<br />
de l'œure. COCQUAULT war <strong>der</strong> Ansicht, (laB dieser Meister an dom von JEAN<br />
D'ORBAIS begonnenen Chore weitergebaut habe. Aber dann rniiLlte or im Labyrinth<br />
seinen Platz zwischen JEAN D'ORBAIS <strong>und</strong> JEAN LE Loup crhalten haben.<br />
Soute or aber mir 80 kurze Zeit tittig gewesen sein, daIl man ibm uielit den<br />
an<strong>der</strong>n Meistern gleichstellen woflte, so witre es unbegreiflich, wanum man ihu<br />
au su hervorragen<strong>der</strong> Stalle bestattet bat. DEXAISON 1lst die Schwierigkeit durch<br />
die Annahme, CocQtrAuLT habe ADANS stat.t JEHANS gelesen, ,,Le jambage du J,<br />
joint au reste d'un E capital, a pu fort bien être pris pour un A; et la boucle<br />
d'un H majuscule gothique se confond plus aisément encore avec la panse d'un D."<br />
Bull. arch. du comité 1898 p. 46. COCQUAErLT hatte dam (las Grab des JEAN<br />
D'ORBAXS gef<strong>und</strong>en.<br />
2) .,Maistres Bernars de Nostre-Damme." (Cahier de L'assise de la taiUe<br />
1287, paroisse Saint Denis, Archives communales de Reim8, Sacre des roi8, liasse 1<br />
n. 2.) Meister BEBNRAIuD batte 5 sous zu dcii Krlinurigsfeierlichkeiten PnTLTPPS<br />
DES SOHÔNEN zn zahien. Bull. arch. du comité 1898 . 47.
49<br />
die Figur einen fitnften Architekten dargestelit, etwa ROBERT<br />
DE COUCY, <strong>der</strong> lange Zeit ais <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong> Kathedrale gegolten<br />
li at? Man hat es behauptet, aber dann hlLtte ein Meister den<br />
Ehrenplatz erhalten, <strong>der</strong> 1311 gestorben ist') <strong>und</strong> nur ein Werk<br />
vollendet hat, dessen Plan in allen Einzelheiten lin-st feststand<br />
<strong>und</strong> auch scion in alleu wesentlichen Teilen ausgefiihrt war. 1m<br />
Labyrinth <strong>der</strong> Kathedrale von Amiens war neben den drei ersten<br />
Architekten <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kathedrale, Bischof EVRARD DE FolIrLnoy<br />
abgebildet. 2) Also wird die Mittelfigur des Reimser Labyrinths den<br />
Erzbischof AiÉRIc DE HUMBERT dargestellt haben. Die Zeichnung<br />
des Labyrinths aus dem 16. Jahrhun<strong>der</strong>t litl3t auch noch den Umril3<br />
einer Figur erkennen, die an<strong>der</strong>s ais die Figuren in den vier<br />
Ecken gekleidet war. Es sind deutlich lange weite Gewiin<strong>der</strong>, wohl<br />
die Kiei<strong>der</strong> eines Geistiichen, zu sehen.<br />
Die Reihenfolge <strong>der</strong> Meister ist also bestimmt, doch ist lei<strong>der</strong><br />
die Dauer <strong>der</strong> Tiitigkeit des ersten Meisters nicht liberliefert. Aber<br />
wir wissen wenigstens, dal3 BERNARD DE SoissoNs 1287 noch lebte<br />
trnd 1311 sciion seit einiger Zeit tot war, da in diesem Jahre schon<br />
ROBERT DE COUCY starb. Trotzdem bleibt uns fur die Fixierung<br />
des Datums seines Todes ein immer noch ziemlich weiter Spielraum.<br />
Wir mUssen damit rechnen, daB ihm ROBERT DE Coucv o<strong>der</strong><br />
ein an<strong>der</strong>er Meister, von dem uns nichts ilberliefert ist, scion 1288<br />
gefoigt sein kann; an<strong>der</strong>erseits ist es aber auch migIich, daB er<br />
erst wenige Jahre vor 1311 gestorben ist, denn wir haben keine<br />
Nachricht, daB ROBERT DE Coucy lange Zeit Meister gewesen sel<br />
o<strong>der</strong> wichtige Teile des Banes ausgefiihrt habe. Sein Rulim ist<br />
sehr jungen Datums <strong>und</strong> erklitrt sicii allein daraus, daB man seit<br />
dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t die Inschriften des Labyrinths kaum noch<br />
lesen konnt.e, whrend sein Grabstein bis zur Revolution im Kreuzgange<br />
<strong>der</strong> Abtei St. Denis vor aller Augen stand. Nachdem <strong>der</strong><br />
Grabstein verschw<strong>und</strong>en war, wuchs sogar sein Rulim; denu man<br />
verga2 sein Todesdatum <strong>und</strong> liel3 un bald zum ersten Meister <strong>der</strong><br />
Kathedrale aufriicken.<br />
1) 1m Kreuzgange <strong>der</strong> whrend <strong>der</strong> Revolution abgebrochenen Abtei St. Denis<br />
befand sich sein Grabstein mit <strong>der</strong> Aufschrift: cy git Robert de Coucy, maistre<br />
de Nostre Dame et de Saint Nicaise, qui tnspassa l'an MCCCXI. (ROBERT<br />
I)e COUCY war also wie BERNARD I)E SoJSSONS bei St,. Denis eingepfarrt.)<br />
2) Bull. areh. du comité 1894 p. 23; 1886 p.366-72. Abb. deâ Labyrinths<br />
<strong>der</strong> Kathedrale von Amiens bei DURÂND, Monographie, Textband I, Fig. 127 <strong>und</strong> 130.<br />
Die mittelste Steiuplatte mit don 4 Figuren befindet sich un Museum von Amiens.<br />
Vgl. DUR.&ND I S. 23, 460 <strong>und</strong> 465.<br />
K i n e. <strong>Das</strong> Fsadenprobem
50 -<br />
DEMAISON sucht den Spielraum fur Meister BERNARDS Todesdatum<br />
durch die Datierung des Labyrinths zu verringern.') Er<br />
glaubt es ungefkhr um 1290 ansetzen zu diirfen, da das Labyrinth<br />
in Amiens, wie die inschrift sagt, ans dem Jahre 1288 stainmt.<br />
Dadurcli wre dreierlei gewonnen. <strong>Das</strong> Jahr 1290 wre <strong>der</strong> terminus<br />
ante quem erstens f lir BERNA1DS Tod <strong>und</strong> zweitens f tr die<br />
Vollendung <strong>der</strong> westlichsteii Langhausjoche, da das Labyrintli, das<br />
den FuBboden <strong>der</strong> Joche VII <strong>und</strong> VIII bildete, nur nach <strong>der</strong>en<br />
EinwLSlbung angelegt worden sein kann. Drittens stiinde fest, daB<br />
die ftnf von BERNARD gebauten, 1m Text des Labyrinths nicht<br />
nher bezeichneten Joche die fluif westliehsten wren. Aber es<br />
ist nicht einzusehen, warum das Reimser Labyrinth nicht ebensogut<br />
ein paar Jahrzehnte jUnger sein kônnte, ja ein Vergleich mit<br />
dem von Amiens niacht dies sogar hchst. wahrscheiiilicli. 2) Es<br />
kommt hinzu, daB die Joche VI—x nicht von BERNARD erbaut<br />
worden sein knnen. Denn zwischen den Jochen VI <strong>und</strong> Vil zeigt<br />
sich eine von oben bis unten durchgehende Naht, die das Langhaus<br />
in zwei technisch <strong>und</strong> stilistisch verschiedene Teile scheidet 3) Da<br />
also die fiinf Joche Il—VI zusammengehren <strong>und</strong> da von keinem<br />
dei' drei ersten Meister bericht.et wird, daL er einen Teil des Langhanses<br />
gebaut habe, so muissen wir in diesen fiinf Jochen das Werk<br />
BERNARDS sehen, es sei demi, daf3 <strong>der</strong> Gegenbeweis zu f iihren wire.<br />
DEMAISON versucht, wie gesagt, diesen Beweis f Urs erste durch die<br />
Datierung des Labyriiiths zu liefern <strong>und</strong> glaubt die stiistischen<br />
<strong>und</strong> technisehen Versehiedenheiten im Joch VI <strong>und</strong> in den Jochen VII<br />
bis X durch dcii Zuzug neuer Steinmetzen erklaren zu kônnen.<br />
Aber zugegeben, <strong>der</strong> Meister Mtte hier seinen Leuten sowohi in<br />
<strong>der</strong> Wahl des dekorativen Details ais auch in <strong>der</strong> Ausfiihrung des<br />
Verbandes <strong>der</strong> Dienste mit <strong>der</strong> Wand freie Hand gelassen, so ware<br />
docli eine Teilung in die beiden Bauabschnitte Joch VI <strong>und</strong> Joch VII<br />
bis X mehr ais unwahrscheiniich. Man bat wohi bei grof3en Kirchen<br />
das Langhaus in zwei o<strong>der</strong> drei Abschnitten erbaut, aber niemals<br />
Joch fUr Joch vom FuBboden bis zum Gewolbe ausgefi.ihrt. <strong>Das</strong><br />
wre zu schwierig <strong>und</strong> zu kostspielig geworden, weil an <strong>der</strong> freiliegenden<br />
Seite eines jeden neuen Joches provisorische Verstrebungen<br />
1i.tten angebracht werden mùssen; <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewunn hittte in keinem<br />
Verhaltnis zu don Schwierigkeiten gestanden, da <strong>der</strong> jedesmal gewonnene<br />
Raum fur den Gottesdienst kaum in Betracht kommen<br />
1) Bull. arcli. du comité 1894 p. 23.<br />
2) Â-rii.r S.&INT-PAtI, Bull. mon. 1906, t. LXX p. 321.<br />
8) ANTHYM SADIT-PAUL, Bull. mon. 1906, t. LXX p. 318.
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konnte. Aber DEMAISON glaubt noch einen an<strong>der</strong>en Beweis fur die<br />
Ausfuihrnng <strong>der</strong> ftinf westlichen Joche durch BEItNAED gef<strong>und</strong>en zu<br />
haben. Eine Urk<strong>und</strong>e ans dem Jalire 1299 soU dartun, daB man<br />
um diese Zeit schon die Freigeschosse <strong>der</strong> Tiirme begonnen habe,<br />
<strong>und</strong> dal3 man aiso mit den Jochen VII—x bereits fertig gewesen<br />
sei. DaB die in arabisehen (1) Ziffern an dem Turmgescho13 neben<br />
<strong>der</strong> Rose <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Kinigsgaierie angebrachten ,,Daten" wertlos<br />
sind, weist DEMAISON tiberzeugend nach. 1) Ob aber ans <strong>der</strong> Urk<strong>und</strong>e<br />
von 1299 <strong>der</strong> SchluÏ3 zu ziehen ist, daB in diesem Jahre<br />
die Tiirme begonnen worden sind, ist mehr ais fraglich. In jener<br />
Urk<strong>und</strong>e 2) erlaubt <strong>der</strong> Erzbischof auf dem Hofe seines Palastes;<br />
d. h. im Siiden <strong>der</strong> Kathedrale, einen Werkplatz abzustecken a<br />
cono rilerii turris anterioris ecclesie Remensis usque ad cnum pz"<br />
(eine jetzt zugemauerte-lerii<br />
ostii quod respic-U rotellam S. Kichasii<br />
Morte in <strong>der</strong> Siidwand des Joches V, vor <strong>der</strong> ein Denkmal des<br />
Nikasius lag), ut ibidem exe'rceantur et fiant opera et alia o'pportun4<br />
fabri ce ecclesie memorate".<br />
DEMAIs0N ist <strong>der</strong> Ansicht, daB auf diesem Werkpiatze di<br />
Steine f tir den stidiichen Turm <strong>der</strong> Westfassade hergerichtet werden<br />
soilten. Aber brauchte man denn f tir die Tiirme einen neuen Werkplatz?<br />
Wir miissen doch annehmen, 4a13 vor <strong>der</strong> Fassade schon<br />
einer angeiegt worden war, ais man die Portale begann, <strong>und</strong> daB<br />
er auch vom Meister BERNARD bei <strong>der</strong> Ausfiihrung <strong>der</strong> Rose benutzt<br />
worden war. Dieser Werkplatz hittte auch die girnstigste Lage<br />
fur die Arbeiten an <strong>der</strong> Tiirmen gehabt. Nun wiLre es ja deiikbar,<br />
dal3 man mit Rhcksicht auf eine lange Bauzeit <strong>der</strong> Tiirme den<br />
Platz vor den Hauptportalen lutte freimachen woilen. Die Werkstttcke<br />
.fiir die Tlirme hutten sicli freilich audh ntirdlich <strong>und</strong> sudlich<br />
<strong>der</strong> westlichsten Joche herstellen lassen. Doch wozu hier einen<br />
neuen_Werkpiatz abstecken? Gerade hier miii3te ja schon Meister<br />
BERNARD einen angelegt haben, wenn er wirklich die Joche Vi—X<br />
erbaut hti.tte. Wir miissen deshalb mit ANTIIYIuI: SAINT-PAUL annelunen,<br />
daB <strong>der</strong> Werkplatz fur die Joche VI—X angelegt worden<br />
ist, <strong>und</strong> daB diese von ROBERT DE Couc y erbaut worden siiid.<br />
Derseibe Meister wird die groï3e Rose vollendet 3) <strong>und</strong> die<br />
Turmgeschosse neben ihr begonnen haben. In stetiger, weiin auch<br />
') Bull. mon. 1902, t. LXVI p. 27-30 et 36.<br />
2) DEMAIs0N, Bull. mon. 1902, t. LXVI p. 30. ANTHYM SAflT-PAUL, Bull,<br />
mon. 1906, t. LXX p. 322.<br />
8) ,,Bernard de Soissons . . . . ouvra d Z'o" hies es im Labyrinth. Er hat<br />
also die Rose nicht vollstitndig ausgeflihrt.<br />
4*
- 52 -<br />
langsamer Bauftihrung weiden die Kiinigsgalerie, die Balustrade<br />
des Hochschiffs <strong>und</strong> die Freigeschosse <strong>der</strong> rUjirme augefiihrt worden<br />
sein.') Die He)me sind nie vollendet worden; in <strong>der</strong> zweiten H1fte<br />
des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts werden die Arbeiten zum Abschlu3 gelangt<br />
sein .2)<br />
Wir wenden uns jetzt einer an<strong>der</strong>en Qattung von Urk<strong>und</strong>en<br />
zu, <strong>der</strong>en Wert f tir die Baugeschichte merkwiirdigerweise 1ngst<br />
nicht geniigend gewtirdigt ist, den Skizzen des VILLARD DE I-TONNE-<br />
1) Die Balustrade ist, wie die au den Westtitrmen erhaltenen Anstze<br />
zeigen (GAILnAu1 I), baid nach 1300 in den Formen <strong>der</strong> Knigsgalerie ausgefiihrt<br />
worden. Bei dem Brande <strong>der</strong> Ditcher im Jahro 1481 ging sie zugr<strong>und</strong>e.<br />
Zwischen 1506 <strong>und</strong> 1515 wurde sic in beinahe denselben Formeii erneuert; nur<br />
ibre, vielleiclit damais eret hinzugefllgten Fialen zeigen den Stil <strong>der</strong> spteSten<br />
Gotik. (Photographie TROMPETTE. Reims, Place du Parvis 28. Catalogue des<br />
photographies de la cathédrale, Nr. 182.) In den siebziger Jahrcn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
ist sic durci ein gauz abseheuliches, von MILLET begonnenes <strong>und</strong> von<br />
Rup icu-Ror volleudetes Machwcrk ersetzt worden, das sich 1en Stil <strong>der</strong><br />
Schiffe besser anpassen 3ollte. I)as batte freilich die alte Balustrade niclit getan.<br />
Dafiir batte sic aber auf die Formeusprache <strong>der</strong> obercu Turrngeschosse vorbereitet<br />
<strong>und</strong> so 'm Verein mit <strong>der</strong> Kdnigsgalerie die cia Jahrhun<strong>der</strong>t auseinan<strong>der</strong>liegenden<br />
Bauteile vom Querhause bis zu den WesttUrmen zusammeugefat. Die<br />
Neuschtpfung tut we<strong>der</strong> das chie noch das au<strong>der</strong>e. Ein Meister des 13. .Jalirhun<strong>der</strong>ta<br />
wiirde an ihr nicht den Stil semer Zeit wie<strong>der</strong>erkennen, son<strong>der</strong>n wahrscheinlich<br />
beim Anblick dieser neuen ,,Bekrminung" des majestiltischeu Baus davonaufen.<br />
Vgl. ANTIIYME SAur-PÀuL, Le cas de la cathédrale de Reims, Bull- mon.<br />
1881, t. XLVII, p. 689-699: Timeo Danaos et dona ferentes. ,,C'est chacune de<br />
nos cathédrales qui, empruntant le sens du vers de Virgile, pourrait s'écrier<br />
aujeurdhui: je crains l'Etat, surtout quand il me comble de ses dons.'<br />
2) <strong>Das</strong> Maf3werk in dem Wimperg ilber dem gro&n Fenster des obersteu<br />
Geschosses des Nordturmes, ciii mit zwei Fischblasen gefuilter Kreis, siheint fUr<br />
cine sehr spte Zeit zu sprechen. Aber wir finden es in Amiens an dem Strebepfeiler<br />
wie<strong>der</strong>, <strong>der</strong> um 1375 zur Verstitrkung des Nordoststrebepfeilers des nUrdlichen<br />
Turmeà <strong>der</strong> Kathedrale errichtet wurde. S. DURAND, Monographie Taf. III<br />
<strong>und</strong> Textband I S. 482f. Zeitlich weiter zurUck fuhrt uns das Mawerk an <strong>der</strong><br />
entsprechenden Stelle des Stidtuzines. Ans den beiden unteren Spitzen des Wimperges<br />
wachsen zwei fisehblasenahnuiche Gebilde hervor, <strong>der</strong>en Kdpfe aber dem<br />
Scheitel des Fensters zusammenstol3en. <strong>Das</strong>seibe Motiv ist schon angewandt<br />
wordcn am Siidturm des Straliburger MUnsters, <strong>und</strong> zwar ail <strong>der</strong> Balustrade <strong>der</strong><br />
Westseite des z'weiten Geschosses, <strong>und</strong> in dem Wimperg uber deiii westlichen<br />
Doppelfenster des Turines <strong>der</strong> Marienkirche in Reutiingen (Monographie Tuf. 5).<br />
In StraUburg ist die Voflendung des zweiten Turmgeschosses tiicht gcnau zu<br />
datieren; des dritte wurde an beiden Turinen 1365 abgeschiosseu. In Reutlungen<br />
war man 1343 mit dem Turme fertig (Monographie S. 18), also wird die Maswerkform<br />
in Straburg etwas friiher <strong>und</strong> in Reins wie<strong>der</strong>um noch friiher ais in<br />
8traburg anzusetzen sein. Per Reimser Siidtnrm wird dalier im zweiten, <strong>der</strong><br />
Nordturm ira Viertel des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts ausgefiilirt worden sein.
- 53<br />
couirr (Taf. XIX <strong>und</strong> LIX—LXIIT). Es sind Skizzen, keine genauen<br />
Aufnahmen. Daher gilt es zunichst, an den kontrollierbaren<br />
Stiicken den (rad ihrer Genauigkeit zu erniittein. Die Skizzen<br />
<strong>der</strong> Chorkapellen sind, abgesehen von <strong>der</strong> Zeichnrnig des Innen<strong>und</strong><br />
Aul3ensockels, genau; die jetzt vorhandene Krnung durch eine<br />
Balustrade wird ursprtinglich nicht beabsichtigt gewesen sein. Die<br />
Horizontalschnitte durch Pfeiler, Fensterpfosten irnd -laibungen sind<br />
ebenfalis genau. Beson<strong>der</strong>s interessant ist <strong>der</strong> Schnitt durci einen<br />
kantonierten R<strong>und</strong>pfeiler. Er 1J3t den Verband <strong>der</strong> Dienste mit<br />
dem Kern bei Vermeidung sichtbarer Sto!3fugen erkennen. Dieser<br />
Verband ist im Chor <strong>und</strong> Querschiff angewandt worden (s. Fig. 9.')<br />
Dagegen zeigt die Skizze vom System des Langhauses sehr bedeutende<br />
Abweichuugen. Der Sockel <strong>der</strong> Seitenschiffswand <strong>und</strong> die<br />
Pfeilersockel sind in demselben Sinne vern<strong>der</strong>t wie die Sockel <strong>der</strong><br />
Ohorkapellen. Die Seitenschiffswand ist unterhalb <strong>der</strong> Fenster durch<br />
eine Blendarkatur geglie<strong>der</strong>t. Gibt hier VILLARD DE HONNECOURT<br />
den ersten Entwurf wie<strong>der</strong>? Keinesf ails. Denn scion das Querhaus<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Langehor haben keine Arkatur unter den Seitenschiffsfenstern,<br />
nur die Chorkapellen sind damit geschniiickt. 2) Den<br />
mitteisten Pfosten des vierteiligen Triforiums, <strong>der</strong> in Wirklichkeit<br />
nur ganz wenig sti'ker ist ais die beiden an<strong>der</strong>en, zeichnet VILLARD<br />
bedeutend stârker. Wie sind diese Abweichungen zu erklâren?<br />
\\rjr haben zu <strong>der</strong> Skizze <strong>der</strong> Fassadenrose von Chartres bemerkt<br />
(S. 33, Aiim. 1), daB VILLARD trotz semer ausdriicklichen Beischrift<br />
ista est fenestra in templo Sce Marie Garnoti hier Vern<strong>der</strong>ungefl<br />
im Sinne <strong>der</strong> Weiterentwieklung des Stiles vorgenommen bat. Passelbe<br />
wird er bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabe des Reimser Langhaussystems<br />
getan liaben. Deun wie wir oben (S. 42) gesehen haben, wurde<br />
allmiihlich <strong>der</strong> dreiteilige Aufbau durci einen zweimalzweiteiligell<br />
1) Derselbe Verband war sehon bei den Pfeilern <strong>der</strong> Katiiedrale von Chartres<br />
angewandt worden. VILLARD DE HONNECOURT hat ihn auf demselben Blatte (XXIX)<br />
dargcstellt, das clic Skizze <strong>der</strong> Rose von Chartres enthitit, alicrdings ohne anzugeben,<br />
woher er sein Beispiel fUr den ,.Vcrband mit nusichtbaren Stofugen'<br />
bat. LÂssus <strong>und</strong> DARCEL glaubten (S. 126) in dieser Skizze den Querschnitt eines<br />
Tteimser Pfeilers sehen Yu mUssen. Aber <strong>der</strong> Soekel beweist, daB es sich, worauf<br />
schon die Zusammensteilung mit <strong>der</strong> Rose hindeutet, um einen Pfeiler von<br />
Chartres handeit. Vgl. XÏNO HI Taf. 57 (= VIu..ARD XXIX) mit Xio UI Taf. 81<br />
(= Vruuw LXII).<br />
2) Die Kapellen sind offenbar ais kieine, in sieli abgeschlossene Raume gedacht.<br />
Man darf daher aus ihrer Konstruktion keiiie Sehilisse net den Ubrigen<br />
Bau zichen. In Noyon besteht librigens dasselbe Verhiiltnis zwischen Chorkape)ien<br />
<strong>und</strong> Langchor.
- 5<br />
abgelt3st. Zur Zeit, ais VILLARD sein Skizzenbuch aniegte, batte<br />
sicli dieser Umschwung bereits volizogen. - Es bleibt noch die<br />
Skizze des Chorstrebewerkes iibrig. Hier sirici die Abweichungen<br />
nui bedeutendsten, <strong>und</strong> es lige daber nahe, sie ebenso zu erkliren,<br />
wie in <strong>der</strong> Skizze des Langhaussystems. Aber es lâfit sich beweisen,<br />
dat3 VILLARD hier den urspriingiichen Plan bewahrt bat.<br />
Der tuBere Strebepfeiler nimiich, dessen Schlanklieit allerdings<br />
wohl uibertrieben sein diirfte, ist genau so geglie<strong>der</strong>t wie die Pinakel<br />
neben dem Ostgiebel <strong>und</strong> neben dem mittieren Wimperg <strong>der</strong> Westfa.ssade<br />
<strong>der</strong> Kathedrale von Laon, <strong>und</strong> diese Pinakel gehren Banteilen<br />
an, die in die Zeit zwischen 1210 <strong>und</strong> spttestens 1230 failen.<br />
Wir sind ferner in <strong>der</strong> Lage, die Genauigkeit <strong>der</strong> Skizze des Chorstrebewerks<br />
durch die Skizzen des Larighausjoches <strong>und</strong> <strong>der</strong> Chorkapellen<br />
zu kontrollieren. Nach <strong>der</strong> Skizze des Langhausjoches<br />
soliten in den Zwickeln zwischen deii Hochschiffsfenstern des Langhauses<br />
über dem Angriffspunkte <strong>der</strong> oberen Strebebigen Engel angebracht<br />
werden, die mit iliren ausgebreiteten Fitigein die Zwickel<br />
gefiilit Mtten. Dieseben Engel stehen jetzt - <strong>und</strong> damit stimmt<br />
die Skizze von VILLARD iiberein - in den Zwickeln zwisehen den<br />
Fenstern <strong>der</strong> Ohorkapeflen unter einern Baldachin. Über dem oberen<br />
Strebebogen des Chores gibt VILLARD ebenf ails einen Baldachin an,<br />
Jetzt sjtzen aber in den Zwickeln des Hoclichores <strong>und</strong> -schiffes<br />
Atlanten, die das Dacligesims tragen. UrsprUnglich also soute<br />
<strong>der</strong>en Platz iiberall von Engein eingenommen werden; denn unter<br />
den von VILLARD am Hochchor gezeichneten Baidachin konnte<br />
natitrlich kein Atlas gesetzt werden. Ais dann aber, wie wir<br />
selien werden, JEAN LE Loup das Motiv <strong>der</strong> mit Freifiguren geschmiickten<br />
Pinakel von den Fassaden auch auf das Strebewerk<br />
iibertrug, steilte er die Engel in die Pinakel <strong>und</strong> setzte an den<br />
ilinen von JEAN D'OnBÂIs zugewiesenen Platz Atlanten, um die<br />
Wie<strong>der</strong>hoiung desseiben Motivs zu vermeiden. 1) Wir werden also<br />
umgekehrt den Schiufi ziehen diirfen, daB JEAN n'ORnAIs, <strong>der</strong> die<br />
Zwickei durcli Engelfigtu'en f tillen wolite, das Strebewerk ohne<br />
figiiriichen Schmuck gepiant hat. Daraus folgt weiter, dal3 die<br />
Skizze des Chorstrebewerks tats.chIich sein Projekt wie<strong>der</strong>gibt.<br />
Demi die Skizzen des Langhausjoches <strong>und</strong> des Chorstrebewerks ergitnzen<br />
sich aufs vollkommenste. Angenommen, VILLARD 1i.tte auf<br />
<strong>der</strong> Langhausskizze willkiirlich Atianten durci Engel, wie et , sie<br />
I) Es kam hinzu, dag die VOfl JEAN LE Loup hher angeordneten Strebebi;geu<br />
fUr die Engelsfignren keinen ausreichenden Platz lieBen. Vg1. S. 62.
- 55 -<br />
an den Chorkapellen sali. ersetzt, so htte er docli kaum daran<br />
gedacht, bei <strong>der</strong> Skizzierung des Chorstrebewerks einen Baldachin<br />
f ir die Engelsfigur einzuzeichnen, wenn nicht wirklich <strong>der</strong> Originalbaurifi<br />
hier einen Baldachin angegeben hatte. DaB VILLARD das<br />
eine Mal nur den Engel <strong>und</strong> das aii<strong>der</strong>e Mal nur den Baldachin<br />
zeichnet, ist leicht zu erkliren. Am Langhausjoch lM3t er den<br />
Baldachin weg, weil er das Gesims nicht mehr mitzeichuet, an dem<br />
<strong>der</strong> Baldachin angebracht werden soUte; dagegen war die Engelsfigur<br />
mit den ausgebreiteten Fiilgehi sehr wichtig, weil es darauf<br />
ankam, ihre gliickiiche Einpassung in die Zwickel zu zeigen. Auf<br />
<strong>der</strong> Skizze des Chorstrebewerks ist das Gesims <strong>und</strong> infoigedessen<br />
auch <strong>der</strong> Baldachin mitgezeichnet, die Profilansicht des Engels aber<br />
ais unwichtig weggelassen worden.<br />
Doch nun zu dem Ban selbst. Es empliehit sich hier einmal<br />
vom Aufbau statt vom G-r<strong>und</strong>rifl auszugehen. Ohor <strong>und</strong> Querschiff<br />
bilden den im Jahre 1241 geweihten Teil <strong>der</strong> Kathedrale. Man begann<br />
mit dem Ban des Querhauses. Die Hehne <strong>der</strong> Pinakel vor<br />
den Strebepfeilern <strong>der</strong> Tiirme sind, wie auf <strong>der</strong> Skizze des Chorstrebewerkes<br />
von VILLARD, noch nicht geschlitzt. <strong>Das</strong> tinter ihuen<br />
in H3he des Triforiums liegende StUck des Strebepfeilers ist ungeglie<strong>der</strong>t.<br />
1m Erdgeschofl mLgen Chor <strong>und</strong> Querschiff gleichzeitig<br />
in Angriif genommen worden sein, dann fiffirte man zuerst das<br />
Querhaus saint dem zweiten Gescho6 <strong>der</strong> Tiirme in die llhe. Diese<br />
Teile sind das Werk des JEAN D'ORBAIS. JEANLE Loup baute<br />
den Hochchor mit einem neuentworfenen Strebewerk. Wie wir oben<br />
geselien haben, hat <strong>der</strong> Erzbischof HENRI DE BRAXSNE (1227-40)<br />
in den Glasgemilden des Hohen Chores den Weiheakt <strong>der</strong> Nachwelt<br />
iiberliefern wolien. Er wird kaum unmittelbar nach semer<br />
Thronbesteigung, son<strong>der</strong>n erst, ais <strong>der</strong> Ban sich <strong>der</strong> Vollendung<br />
naherte, den Befehi zur Anfertigung dieser Fenster gegeben haben.<br />
Also erlauben uns auch die G-lasgemiilde den Ilohen Chor in das<br />
ietzte Jahrzehnt vor 1240, vieileicht sogar in die Jalire 1235-40<br />
zu setzen. Die Strebepfeiler miissen vor <strong>der</strong> EinwIbung errichtet<br />
worden sein, <strong>und</strong> zwar vom Dachgesims <strong>der</strong> Kapeilen an nach dem<br />
neuen Entwurf. Da dieser dem zweiten Meister zuzuschreiben ist,<br />
werden wir den Meisterwechsei sptestens in die Zeit uni<br />
verlegen miissen. An<strong>der</strong>erseits kinnen wir, wie sicli spi%ter (S. 90)<br />
zeigen wird, auch niclit liber 1231 hinaufgehen. Halten wir aiso<br />
einmal am Jahre 1235 fest, so ergibt sich folgende Chronologie:<br />
JEAN D'ORBAIS . . . (ca. 24 Jahre) 1211-235<br />
JEAN LE Loup . . (16 ,, ) 1235-1251
56 -<br />
GAUCHER DE REIMs . ( 8 Jahre) 1251-1259<br />
BERNARD DE S0ISSONS . (35 ,, ) 1259_12941)<br />
Warum aber ffihrte JEAN LE Loup das Strebewerk des Ohores<br />
nicht nach dem ursprîingliehen Entwurf aus, <strong>der</strong> ja eine konstruktiv<br />
viel richtigere LLsung vorschrieb? Nach diesem Entwurf soilten<br />
die aul3eren Strebebgen die inneren Strebepfeiier an den Anfailspunkten<br />
<strong>der</strong> inneren Strebebôgen stiitzen, w.hrend sie jetzt bedeutend<br />
hher angreifen <strong>und</strong> nach au8en den Schub auf einen<br />
1ngeren Hebelarm iibertragen. 2) Aber es kam dem zweiten Meister<br />
gerade darauf an, diesen Hebelarm, d. h. den Auf3eren Strebepfeiler,<br />
zu verlitngern, nicht ans konstruktiven, son<strong>der</strong>n aus âsthetischen<br />
Griinden. Er wolite die âul3eren Chorstrebepfeiler in ihren Hiihenmal3en<br />
mit den librigen Strebepfeilerii in tJbereinstimmung bringen.<br />
Pas Gesims, das an <strong>der</strong> Querhausfassade du RosengeschoB von<br />
dem Triforium trennt, wurde um das ganze Chorstrebewerk herumgefiihrt,<br />
<strong>und</strong> die Pinakel erhielten dieselben Mafle wie an den Querhansfassaden.<br />
Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daIs JEAN LE Loup<br />
dieses Gesims <strong>und</strong> auch die Pinakel in <strong>der</strong>selben Hhe auch uni<br />
die iibrigen Teile des Baues herumfiiiiren wolite. Verfolgen wir<br />
also du Gesims weiter bis zur Westfassade. Es liegt dort heute<br />
tiefer ais an den Querhausfassaden, nm1ich genan in <strong>der</strong> Hihe <strong>der</strong><br />
Oberkante des Triforiums. Um die Wichtigkeit dieser Hihendifferenz<br />
zu erkennen, miissen wir uns die verschiedene ffiihenlage<br />
<strong>der</strong> Grenzlinie zwischen Triforium <strong>und</strong> Hochwerk im Inneren <strong>und</strong><br />
Àufieren <strong>der</strong> einzelnen Bauteile kiarmaChen. Es sind folgende<br />
Hôhenlagen, von unten nach oben gezih1t, zu unterscheiden:<br />
Hôhenlage I: Deckplatte des Triforiums (innen ais Gesims)<br />
a) aut3en <strong>und</strong> innen unter den Hockschiffsfenstern im Langhans,<br />
Chor <strong>und</strong> Querhaus,<br />
1) ANTHYME SAINT-PAUL indchte, allerdings ohne sich an biiiden, auf Gr<strong>und</strong><br />
dey S. 51 erwhnten Urk<strong>und</strong>e 1298 aIs Todesjahr BENNARDS annehmen. Bull.<br />
mon. 1906, t. LXX p. 300. Aber jene lrk<strong>und</strong>e gibt, vorausgcsetzt, dab ihre Deutung<br />
durch SAINT-PAUL unbedingt richtig ist, nur einen terminus ante quem <strong>und</strong><br />
erlaubt uns daher weiter hinaufzugehen.<br />
2) Da die inneren <strong>und</strong> àuileren Bigen den inneren Stebepfeiler an verschiedenen<br />
Punktcn treffen, mute dieser massiv ausgefuhrt werden, damit er<br />
eincr Durchbiegung Wi<strong>der</strong>stand Icisten kaun. Nach dem ersteu Plane soute er<br />
unter <strong>und</strong> über dan gemeinsamen Angriffspunkten <strong>der</strong> inneren <strong>und</strong> iLulleren Bigen<br />
durchbrochen werden. Die Annahme von Ltsus <strong>und</strong> DARCEL (Album S. 217),<br />
dali die iiineren Strebepfeiler in ihrer heutigen (lestait erst nacli dem Brande<br />
von 1481 ausgefbhrt worden seien, entbehrt <strong>der</strong> Begriindung.
5<br />
b) aul3en iiiid innen an <strong>der</strong> Westfassade <strong>und</strong> an allen Seiten<br />
<strong>der</strong> Westtiirme, s. Fig. 13.<br />
Hilien1age II: Hochschiffsfensterbank abziiglich <strong>der</strong> Schriige<br />
a) auf3en an den Querhausfassaden <strong>und</strong> -tiirmen <strong>und</strong> am<br />
Chorstrebewerk, s. Fig. 13,<br />
b) innen an <strong>der</strong> Fassadenwand des Q,uerhauses (das Gesims<br />
über dem Triforium ist beim t)bergarig von dei' Hochschiffswand<br />
zur Fassadenwand von <strong>der</strong> Hiilienlage I in die<br />
Wihenlage II 1iinaufgekripft), s. Fig. 14.<br />
Hôhenlage III: Gesims unter den Pinakein <strong>der</strong> Langhausstrebepfeiler<br />
(<strong>der</strong> Funktion nach dem Gesims Ha an Chor <strong>und</strong><br />
Querhaus entsprechend), s. Fig. 15.<br />
Denken wir uns tinter <strong>der</strong> Rose <strong>der</strong> Westfassade an <strong>der</strong> Auflenseite<br />
das Gesims von <strong>der</strong> H1ie I in die Hôlie il verlegt, so wûrde<br />
es den Fu[3punkt <strong>der</strong> Rose genau tangieren. Ans dieser Beobachtung<br />
sind zwei Folgerungen zu zieheti, eine fir die Meisterfrage<br />
<strong>und</strong> eine f tr den Gesaintentwiirf des JEAN D'ORBAIS. Erstens ist<br />
es nim1ich kiar, dal3 <strong>der</strong> Meister, <strong>der</strong> sich die Mihe gemaeht hat,<br />
das Gesims lia selbst unter ungiinstigen konstruktiven Bedingungen<br />
um das Chorstrebewerk 1ierumzufihren, es nicht an <strong>der</strong> Westfassade<br />
tiefer gelegt haben kann; deun hier htte es ohne Schwierigkeit<br />
unter <strong>der</strong> Rose Platz gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> hatte die Einfiigung des<br />
kahien <strong>und</strong> unorgaiiisch wirkenden Mauerstreifens Uberilissig gemacht.<br />
An einer Kopie <strong>der</strong> Reimser Westfassade, an St. Jean des<br />
Vignes iii Soissons (s. Fig. 20) tangiert auch tatschuicIi das entsprechende<br />
G-esirns die Rose. Also ist es erst GAUCnER DE REIMS<br />
o<strong>der</strong> BERNARD gewesen, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Westfassade das Gesims Il in<br />
die Lage I herabgedriickt hat, offenbar in <strong>der</strong> Absicht, das Turingeschof3<br />
neberi <strong>der</strong> Rose schlanker bilden zu kinnen. Ans demselben<br />
Gr<strong>und</strong>e wurde spter dieses Geschof3 etwas liber die H1ie<br />
des Hochschiffsgesirnses hinaufgeftihrt. Vergleichen wir mit dieser<br />
Beobachtung tien Text des Labyi'inths. ,,Jean Le Loup . . commencea<br />
les portaux,' DEMAIS0N will unter diesen Portalen die<br />
beiden an dci' nird1ichen Querliausfassade verstanden wissen. Dagegen<br />
bemerkt ANTHYME SAINT-PAUL mit Redit, daB man uni. 1300<br />
von den Portalen nur im Sùrne <strong>der</strong> Portale par excellence, <strong>der</strong><br />
Westportale, sprechen konnte. Diese waren es, die JEAN LE Loup<br />
begann. Gaucher de Reims . . . ouvra aux voss'ures et portaux',<br />
d. h. <strong>der</strong> dritte Meister vollendete die Portalgewande <strong>und</strong> arbeitete<br />
scion an den Bogenlaibungen, die mit dem Ausdruck vossures ge-
- 5 -<br />
meint sein miissen. <strong>Das</strong> Fassadentriforiuni ist darum auch nach<br />
<strong>der</strong> Uberlieferung des Labyrint.hs mindestens schoii ein Werk des<br />
dritten Meisters.<br />
Die zweite, wichtigere Folgerung betrifft den ersten Gesamtentwurf<br />
fui' die Kathedrale. Es ist nattirlich kein Zufali, da g da.s<br />
Gesims in Wihe 11 gerade so Iiegt, dafi es die Rose <strong>der</strong> Westfassade<br />
tangiereil wiirde.. JEAN D'ORBÂIS hatte hier dieselbe Absicht<br />
wie nach unserer }Iypothese <strong>der</strong> erste Meister <strong>der</strong> Kathedrale<br />
voit er wolite die drei Fassaden verschieden ausfiihren<br />
<strong>und</strong> die ideaiste Liisung f iir den westlichen Abschluf3 vorbehalten.<br />
1m Tnnern wurde auc.h spiLter nocli die Westrose nach dent urspriinglichen<br />
Entwurfe ausgefiihrt. Der Ansehlul3 <strong>der</strong> Fassadenwand<br />
ist <strong>der</strong> denkbar volikommenste. <strong>Das</strong> Gesims liber dent Triforium<br />
(Hiihe T) ist in <strong>der</strong>selben Hiilie uni Westwand herumgefiihrt,<br />
darUber folgt eût Mauerstreifen, <strong>der</strong> dem senkrechten Stlick<br />
<strong>der</strong> F'ensterbank entspricht,') <strong>und</strong> die Stelle <strong>der</strong> Fensterbanksclirige<br />
nimmt die Roserilaibung ein. Nur die Durchbrechung <strong>der</strong> unteren<br />
Zwickel lag nicht im urspriinglichem Plane, wie ein Vergleich mit<br />
den Querschiffsrosen zeigt. Der Aufbau <strong>der</strong> Fassade in Reims ist<br />
also genau <strong>der</strong>selbe wie in Chartres: das erste GeschoE entspricht<br />
den Seitenschiffen, daim folgt das Triforium, den Sehlut3 biidet die<br />
Rose, o<strong>der</strong> vielinehr, da ihr Scheitelpunkt infolge <strong>der</strong> schlankei'en<br />
Quei'schnittsproportionen den Gew5lbesclieite1 nicht erreichen wtirde,<br />
ein Spitzbogenfenster, in dits eine Rose eingesetzt ist, <strong>der</strong>en iDurchmesser<br />
gleich <strong>der</strong> Breite des Spitzbogenfensters ist <strong>und</strong> <strong>der</strong>en wagerechte<br />
Achse in <strong>der</strong> Kitmpferht3he des Spitzbogens liegt. Die Rose<br />
sitzt hier also ais Maf3werk in einem Spitzbogenfenster. Durch<br />
diese Umwandlung des Fassadenfensters in einen Spitzbogen mit<br />
Maflwerkfiillung koiinte JEAN D'ORBAIS den Aufrif3 <strong>der</strong> Fassaden<br />
dent <strong>der</strong> Schiffe iioch volikommener anpassen ais <strong>der</strong> Meister<br />
voit In Chartres waren die Fenster des gesamten Obergadens<br />
mit Ausnahine. <strong>der</strong> Chorr<strong>und</strong>ung dadurch den Fassadenrosen<br />
angepa3t worden, dafi sie ais ans Zwillingsfenstern <strong>und</strong> Rosen bestehende<br />
Gruppenfenster gebildet worden waren. An <strong>der</strong> Chorr<strong>und</strong>ung<br />
muBte man aber wegen <strong>der</strong> geringen Breite <strong>der</strong> Schildwande<br />
auf diese Fensterbildung verziehten, da die Zwillingsfenster<br />
zu schlank <strong>und</strong> die Rosen zu klein geworden w gren. Dieses M13-<br />
1 ) Dieser fehit in Chartres im Hochschiff <strong>und</strong> wiirde also auch an <strong>der</strong> Fassade<br />
gefehit haben. Auf unserer Rekonstruktion (Fig. 7) tangiert daher die<br />
Rose unniittelbar das Gesims über dem Triforium.
- 59 -<br />
verhltnis wi&re beim Vergleich <strong>der</strong> Chorfenster mit den iibrigen<br />
Fenstern iioch mehr in die Augeil gesprungen. Aul3erdem htte<br />
sich beim ZusammenstoB <strong>der</strong> Cliorr<strong>und</strong>ung mit dciii Langchor <strong>der</strong>selbe<br />
Ûbelstand ergeben, den man spter, ais man gezwungen war<br />
am Weststande des Langliauses die Achsenabstiinde zu verringern,<br />
nur durch chien a11miIi1ichen tïbergang zu immer schm1eren Joehen<br />
abzuschwchen gewu6t hat (vgi. S. 31, Anni. 1). Dem Reimser<br />
Meister aber ermôglichte das Ma1werk in allen Fenstern mit Sechspssen<br />
von annihernd <strong>der</strong>seiben Gri13e auszukomrnen. 1) In die<br />
1) Da13 die Behandiung <strong>der</strong> Rose ais )Ial3werk eines Spitzbogenfensters<br />
mm ersten Male an demselben Ban vorkommt, dessen Chorkapel]en des friiheste<br />
MaBwerk aufweisen, gibt mu denken. Wir milasen uns zwei Tatsachen vor Augen<br />
haiten. Einmai, sobald dus MaBwerk erf<strong>und</strong>en worden war, war ein gotiseher<br />
Ban ohne dieses ueue Element kaum noeh deiikbar. Es ist, ais hutte man etwas<br />
lange Gesuchtes eudlich gef<strong>und</strong>en. Au<strong>der</strong>erseits miissen wir uns, wenn wir rtickschanend<br />
die Entwicklung des gotisehen Baustiles (iberbiieken, wuri<strong>der</strong>n, daô dus<br />
Mal3werk nicht schon friiher erf<strong>und</strong>en worden ist. Die Zwilliugs- <strong>und</strong> Drillingsfenster<br />
mit Okulus im Zwickei <strong>der</strong> Sehild-, Blend- o<strong>der</strong> EntIastnngsbigen, eiue<br />
Fenstergruppierung, die wiUireud <strong>der</strong> ganzen fruhgotischen Zeit beliebt war,<br />
drngten ja flirmlich zur Mawerkbi1dung. Wie kam es also, daâ gerade JEAN<br />
D'OEBAIs, <strong>der</strong> sont keine Neigung zur Massenverringerung <strong>und</strong> zur Anwendung<br />
leichter Fornien zeigt, des Maliwerk erfinden mullte? Es kaun kein Zweifel bestehen,<br />
dafi gerade er sich noch mit <strong>der</strong> iiberlieferteii Fensterforrn begnllgt<br />
h.tte - im Erdgeschoe <strong>der</strong> Fassadenrnittelstiicke tut er es aueh - wenn er<br />
nicht an einer Stelle seines Bancs mur Ertindung einer neuen Feusterform gezwuugen<br />
gewesen wtre. Diese Stelle war dus oberste Fenster <strong>der</strong> Fassade. Der<br />
Okuliis eines Zwillings- o<strong>der</strong> die mittiere Offnung eines Drill in gsfensters chieheii<br />
sich infoige ihrer geringen Breite in den die Fensterruppe zusammenschuie1enden<br />
Spitzbogen fast bis mu dessen Scheitelpunkt hinein, so da g die Reste des<br />
Zwickeis, die zwischen dem Okulus <strong>und</strong> dem Zwillingsfenster tibrig bleiben, kaum<br />
noch ais Fiitche empf<strong>und</strong>en werden. Der Zwickel über den Fassadenrosen ist<br />
aber so gros, dag er unmdgiich ais Wandflche liber dem R<strong>und</strong>feiister steheu<br />
bieiben konnte. Die Wand wurde daher bis auf den letzten Rest beseitigt <strong>und</strong><br />
dnrch Glas crsetzt. Dieses zuerst beini Entwurfe <strong>der</strong> Fassaden gef<strong>und</strong>ene Prinzip<br />
tibertrug JEAN n'ORNAIs anS die an<strong>der</strong>en Fenster. Damit tut er den entacheidenden<br />
Sehritt: er verdritngte die Fenstergruppe durch des Einheitsfenster. Deun<br />
<strong>der</strong> weseutiiche Unterschied zwischen beiden besteht darin, daB bei <strong>der</strong> Fenstergruppe<br />
die weun aneh nocli so kleinen Zwickel, die sieh zwischen den Spitzbigen<br />
<strong>und</strong> Kreisen ergebesi, geschlossen bleiben, wiihrend sic beim Einheitsfenster<br />
durchbrocheu sind. In Laon <strong>und</strong> Chartres bestehen die Rosen ans Stempiatten,<br />
ans deneii wie<strong>der</strong> kicine Kreise ausgesiigt sind, ein im Priiizip an die<br />
Antike erinneru<strong>der</strong> FensterversehiuL Liiste man aber die Flitche liber <strong>der</strong> Rose<br />
auf, so mul3te man aucli die klcinste Fihche innerhalb <strong>der</strong>selben aufidsen, soust<br />
hutte <strong>der</strong> durchsichtige Zwiekei bu Gegensatz mu <strong>der</strong> teilweise <strong>und</strong>urchsichtigen<br />
Steiiiplatte ais Loch gewirkt. FUr (lie Fassadenrosen griif daher <strong>der</strong> Meister auf<br />
des roinanische Radfeuster zuruck. Die ,.P.sse" <strong>der</strong> librigen Fenster erweisen
- -<br />
schmalen Fenster des Chorhauptes setzte er einen Sechspal3, <strong>der</strong><br />
die gesamte Breite <strong>der</strong> Fenster einnimmt, in die iibrigen, breitereri<br />
Fenster einen weiter in das Bogenfeld hineingeschobenen Sechspaf3.<br />
J1N D'ORBAIS erweist sich also in <strong>der</strong> Lsung des Fassadeii -<br />
problems ais einen Schiiler des Meisters von Chartres. Obwohl er<br />
aus <strong>der</strong> Champagne starnmte, <strong>und</strong> obwohl er die Lokaltradition<br />
(s. S. 82) niclit verleugnen kann, sind seine Konstruktionen so robust<br />
wie in Chartres. Eine LTntersuchung des Strebewerkes macht seine<br />
AbMngigkeit von Chartres noch deutiicher. Vergieichen wir den<br />
Querschnitt des Chores <strong>und</strong> des Langhauses, so MUt sofort auf,<br />
da!3 die obere Hitlfte (les Strebepfeilers am (Jhor an<strong>der</strong>s ais am<br />
Langhaiise auf <strong>der</strong> unteren Hàifte aufsitzt (s. Fig. 14). Am Chor<br />
liegt die nach innen gekehrte Seite des iu13eren Strebepfeilers in<br />
einer Ebene mit <strong>der</strong> Wandvorlage im Innern des Chorumganges.<br />
am Langhause mit <strong>der</strong> Innenf1.che <strong>der</strong> Seitenschiffswand. Die<br />
Konstruktion am Chor ist dieselbe wie in Chartres, ja es ist, eutwickhingsgeschichtiich<br />
betraclitet, nocli dieselbe Konstruktion wie<br />
an den Kirchen mit vierteiligem Aufbau. Dort ergibt es sich von<br />
seibst, daB die Wandvor]age <strong>der</strong> Empore auf die des Erdgeschosses<br />
zit stehen kommt. Nach Ausschaltung <strong>der</strong> Gew5ibe <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schildwnde<br />
<strong>der</strong> Empore behieit die obere HJfte des Strebepfeilers denselben<br />
Piatz, den vorher Strebepfeiler <strong>und</strong> Wandvorlage <strong>der</strong> Empore<br />
zusammen eingenommen hatten. Es ist se1bstverstnd1ic1i, daB<br />
die beiden ersten Reimser Meister auch f ir das Langhaus die alte<br />
Konstruktionsart gewihlt htten. Schieben wir daher einmal die<br />
obere Hitlfte <strong>der</strong> Langhausstrebepfeiler bis in die Fluchtlinie <strong>der</strong><br />
Wandvorlagen in den Seitenschiffen! Daim wllrden sich die Strebebgen<br />
verkieinern, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anfalispunkt <strong>der</strong> irnteren wirde am<br />
sich aber ais Abkmm1inge <strong>der</strong> Rosen von Chartres. In den Chorkapellen <strong>und</strong><br />
an <strong>der</strong> R<strong>und</strong>ung des Hochehores ist sogar die Anordnnng <strong>der</strong> Fenstergruppen<br />
von Chartres beibehalten: Zwillingsfenster <strong>und</strong> ehi die ganze Breite <strong>der</strong> Schildwand<br />
einuehrnen<strong>der</strong> Sechspa, darliher aber kein r<strong>und</strong>or Schildbogen, sou<strong>der</strong>n cm<br />
spitzer, <strong>der</strong> Zwiekel zwischen Sechspaâ <strong>und</strong> Schildbogen geliffuet. Die Folge<br />
war, daâ auch die Zwickcl innerhalb des Sechspasses <strong>und</strong> zwisehen ibm <strong>und</strong> den<br />
beiden kleinen Spitzbtgen geiiffnet werden mnUten, so daâ nur noch Trennungsstbe<br />
iibrig blieben. Diesem ,,MaBwerk" entspricht unteji das ans eineni ilittel<strong>und</strong><br />
zwei Wandpfosten gebildete ,,Stabwerk', dessen Stelle noeh in Chartres ein<br />
schichtenweise aufgeinauerter Pfosten, also ein schmales Stiick 'SVand, eingenommen<br />
batte. In den breiteren Fenstern <strong>der</strong> Sebiffe tritt eine Verschiebung<br />
des Verhiiltnisses von Stab- <strong>und</strong> MaBwerk ein. Da ein die ganzc Fensterbreite<br />
einnehmen<strong>der</strong> SecbspaB den beiden spitzbogigeii Ôffnungen unter ibm zu wenig<br />
Platz gelassen hutte, erhielt er ungefuhr die Gr8e, die man cinem Okulus über<br />
einem Zwillingsfenster gegeben hutte.
- 61 -<br />
Strebepfeiler hinaufrticken. Der Strebebogen, <strong>der</strong>, vielleicht noch<br />
von JEAN LE Loup, von Joch I nach dem Strebepfeiier y <strong>der</strong> westlichen<br />
Querhaustirme hiniibergespannt ist, hat seinen Fufpunkt in<br />
Hhe II. Er ist stark gestelzt. Bei den folgenden Strebeb5gen ware<br />
die Steizung nicht notwendig gewesen, weii <strong>der</strong> Abstand <strong>der</strong> folgenden<br />
Strebepfeiler von <strong>der</strong> Hochschiffswand etwas grBer geworden<br />
ware. Der rpijrlflstrebepfejler y steht nitrniich schon zur Hiilfte auf<br />
4cm Seitenscliiffsgurtbogen. 1) Also auch voit aus kommen wir<br />
zu <strong>der</strong> Erkenntnis, daB JEAN LE Lou p das Gesims in Hihe II uni<br />
den (ranzen Ban in <strong>der</strong>selben Ebene htte herumfihren kônnen.<br />
Dann hatte auch die Einteilung des eigentlichen Strebepfeilers mit<br />
dent Pinakel tibereingestimmt, wiihrend BERNARD den<br />
grLU3eren Strebebogen weiter herunterfûhren (iioch tinter Hihe I)<br />
<strong>und</strong> den Pinakel so weit Iiochziehen mul3te, dafi er noch den Rucken<br />
des oberen Strebebogens deckt. So ergab sicli fur den Fuflpunkt<br />
des Pinakels die Wihe HI. Die Strebebôgen des JEAN LE Loue<br />
waren etwas steil geworden, <strong>und</strong> das mag <strong>der</strong> Grand gewesen sein,<br />
weshalb BERNARD die Strebepfeiler vont. Hochschiff abriickte. Er<br />
erhielt dadurcli f tir den Bogen eine konstruktiv giinstigere <strong>und</strong><br />
.st1ietisch gefllligere Kurve. Fur das Strebesystem des ersten<br />
Meisters hitte sich ebenf ails eine giinstigere Kurve ergeben. Denn<br />
die Langhausskizze des VILLARD lflt erkennen, dafi JEAN n'ORBÂIS<br />
die Angriftspurikte <strong>der</strong> Strebebôgen am Hochschiff tiefer legen wollte.<br />
Es ist freilich nicht mtgIich, auf Grand einer Skizze die Angriifspunkte<br />
genau zu fixiereii. DaI3 sie aber tiefei ais lieute liegen<br />
soliten, beweist unwi<strong>der</strong>ieglich die Existeuz <strong>der</strong> lingel in den<br />
Fensterzwickeln. <strong>Das</strong> mir Ausfiihrung gelangte Strebesystem idf3t<br />
fur Engel, die so grol3 sind, daB sie dcii Zwickel einigermaflen<br />
f ililen - <strong>und</strong> das soilten sie hier so gut wie an den Chorkapeileii -<br />
keinen Platz. Die Engel sind nur dann mgIicb, wenn <strong>der</strong> IRUcken<br />
des oberen Strebebogens nicht liber den Fuf3punkt <strong>der</strong> Archivolte,<br />
die den Fensterbogen einrahmt, hinausgeht. Ziehen wir nun wie<strong>der</strong><br />
die Skizze des Chorstrebewerks, die uns schon einmal zut- Kontrolle<br />
<strong>der</strong> Langhausskizze gedient liat, zum Vergieich lieran, so scheint<br />
hier zwar auf den ersten Blick <strong>der</strong> obere Strebebogen so hoch<br />
wie <strong>der</strong> ausgefiihrte anzugreifen. Bei genanerer Betrachtung er-<br />
2) Desbalb mutdn in Reims aile Seitenschiffsgurtbigen uugewihniich breit<br />
ausgefiihrt werden; ,,sehon in Chartres war cine geringere Stiirke fUr zu1ssig<br />
gehalten, ebenso in Amiens usw." (D. & y. B. II S. 133 Aiim. 1). Der Gr<strong>und</strong> ist<br />
darin zu suchen, daG in keiner an<strong>der</strong>en Kirche die Gurtbiigen in irgendeinem<br />
Joche <strong>der</strong> Seitenschiffe durch Strebepfeiler belastet werdeu.
- 62<br />
gibt sich aber, daB VILLÂ1D die ganze Fensterlaibung, soweit sie<br />
serikrecht ist, zu hocli gezogen hat. Zwischen den Fensterkapitellen<br />
<strong>und</strong> dem Gesims bleibt kein Platz ftr einen Fensterbogen. Ein<br />
soicher Fehier konnte bei einer Skizzierung des Querschnitts leicht<br />
vorkommen, whrend er bei einer Skizze en face ausgeschlossen ist.<br />
1m Verht1tnis zur Fensterlaibung greift <strong>der</strong> obere Strebebogen nach<br />
<strong>der</strong> Cborskizze die Wand an <strong>der</strong>selben Stelle an wie nach <strong>der</strong><br />
Langhausskizze; das Kapiteli des Sii.ulcliens <strong>der</strong> ituBeren Wandvorlage<br />
unter dem oberen Strebebogen sitzt etwas unter dem<br />
Kmpferpunkte des Fensters, <strong>der</strong> RUcken des Bogens Uber diesem<br />
Punkte etwa am Fu13 <strong>der</strong> Rahmenarchivolte. Per untere Strebebogen<br />
greift am Karnpfer <strong>der</strong> Gewilbe an. <strong>Das</strong> hei8t aber nichts<br />
an<strong>der</strong>es ais, dali nach dem ersten Plan die beiden Strebebgen genau<br />
an denselben Stellen angreifen soliten wie die entsprechenden<br />
in Chartres. Per dritte Strebebogen, <strong>der</strong> in Chartres am Gesims<br />
angreift, ist in Reims weggelassen. In Chartres liegt die lJeckplatte<br />
des Gewilbekapite1ls <strong>und</strong> des Kapiteils <strong>der</strong> Wandsihile unter den<br />
unteren Strebebogen genau in gieicher Hohe, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Rlcken des<br />
oberen Bogens trifft den FuBpunkt <strong>der</strong> Fensterarchivolte. Lassen<br />
wir also den unteren Strebebogen in dei' Kiirnpferhhe des G-ewôlbes<br />
angreifen, so wiirde er, wenn die Kurve eine %hn1iche<br />
Krimniung erhielte wie in Chartres, den in die ursprlinglich geplante<br />
Stellung geschobenen Strebepfeiler in Hhe II treffen. Auch<br />
die Rekonstruktion des urspriinglichen Strebewerks fiilirt also zu<br />
dem Schlul3, daB JEAN DORBAIS das Gesims unter <strong>der</strong> Rose um<br />
den ganzen AuBenbau mit Ausnahme des fUnfscliiffigen Choies,<br />
dessen Strebewerk ja auch in Chartres von dem <strong>der</strong> Schiffe abweicht,<br />
in Hôhe II herumfilliren wolite. Auch JEAN LE Loup hielt<br />
diese Hhe des Gesimses fest, riickte aber die Angriffspunkte bei<strong>der</strong><br />
Strebebgen hôher. Es ist mtiglich, daB ilin dazu lediglich <strong>der</strong><br />
SVunsch veranlaBt hat. die Pinakel an den Strebepfeilern <strong>der</strong> Fassade<br />
auf das Strebesystem des ganzen Geb.udes zu Ubertragen.<br />
Aber auch in koristiuktiven Bedenken kann <strong>der</strong> Grurid zu suchen<br />
sein. Die Stelle eines Bogens, die voi' allem <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>lagerung<br />
bedarf, ist nicht <strong>der</strong> Kiimpfer, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Punkt, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Hôhe<br />
des ersten Drittels des Bogensehenkels liegt. Zur Zeit des JEAN<br />
LE Loup war das den gotisehen Meistern bekannt, vie ein ais<br />
Palimpsest erhaltener RiB beweist, von dem spitter (S. 85) noch<br />
ausf'tihrlich die Rede sein wird.<br />
Tnsere These, daB JEAN D'ORBAIs das Strebewerk von Chartres<br />
kopieren wolite, erMit schliei3lich eine weitere StUtze durch cine
63 -<br />
steinerne TTrk<strong>und</strong>e, die uns ein Bildhauer hinterlassen bat. Es ist<br />
das Muttergottesbild im Tympanon des kleinen Portais an <strong>der</strong><br />
nrd1ichen Querhausfassade (s. Fig. 10). Die Jungfrau site hier<br />
unter einem kleeblattfrmigen Baldachin, <strong>der</strong> dem Querschnitt einer<br />
gotisehen Basilika assimiliert ist.. Fur uns ist das wichtigste am<br />
Bilde das Strebewerk. Es besteht aus den beiden groBen, durch<br />
radial gesteilte Arkaden verb<strong>und</strong>eiieu Strebebcigeri <strong>der</strong> Kathedrale<br />
von Chartres. Daraus folgt erstens, daB in Reims die Kathedrale<br />
von Chartres genau bekanut gewesen ist, <strong>und</strong> zweitens, daB jenes<br />
Relief nicht schon um 1180 ,1) son<strong>der</strong>n erst nach 1194 entstanden<br />
sein kann. Der Stil <strong>der</strong> Figur erlaubt uns sogar, bis in die Zeit<br />
nach 1211 herunterzugehen <strong>und</strong> in ihr ein Werk zu sehen, das fUr<br />
die neue Kathedrale ausgeftihrt worden ist. Dann aber ist die<br />
- 1) 1m 46. Jahrgange <strong>der</strong> Gazette des Beaux-Arts, 1904, S. 177-199. bat<br />
Lomsx PILLION einen Aufsatz liber ,,<strong>Das</strong> rom anisehe Portai <strong>der</strong> Kathedrale von<br />
Reims" veriiffeutlieht, in dem sie nachweist, daI3 die r<strong>und</strong>bogigc Archivolte <strong>und</strong><br />
die beiden skulpierten Pfeiler die Reste chies Wandgrabes ans <strong>der</strong> alten Kathedraie<br />
sind, wie es in âhnlicher Gestalt mit noch erlialtener Tumba in <strong>der</strong> Kathedraie<br />
von Rouen zu sehen jet. Die beiden Engel liber <strong>der</strong> Archivolte fiiliten (lie<br />
Zwickei des ehemals rechteckigen Wandfeldcs <strong>und</strong> ein noch ebenfalls erhaltenes<br />
Gesims schloil es oben ab. Die Gesimsstbcke, die den Kampfer <strong>der</strong> r<strong>und</strong>bogigeu<br />
Archivolte mit dem <strong>der</strong> spitzbogigen verbinden, <strong>und</strong> die Kapitelle dieser spitzbogigen<br />
Archivolte sind bei <strong>der</strong> Versetznng <strong>der</strong> Fragmente nachgearbeitet worden.<br />
Aber wie steht es mit dam Madoniienbi1de Louisz PJwON nimmf eS auch ter<br />
das Grabmal in Anspruch <strong>und</strong> weist auf ein jetzt verschw<strong>und</strong>enes, in einer Zeichnung<br />
tiberliefertes Grabmal in Saint-Père in Chartres hiii, in dessen Bogenfeld<br />
eine Madonna - iibrigens ohne Baldachin - sitzt. Aber dieses Grabmal ist<br />
liber 100 Jahre jiinger. An dem im 12. Jahrhun<strong>der</strong>t crrichteten Grabmal in<br />
Rouen fehit die Madonna, ebenso noch an dem Wandgralie des Bisehofs Gérard<br />
de Conchy, das bald nach 1257 in <strong>der</strong> Kathedrale von Amiens im westlichsten<br />
Joch des nrd1iehen Chorumganges errichtet wnrde. (S. die Abbildung bei<br />
C. GURLITT; Die Baukuust Frankreichs, Taf. 104 <strong>und</strong> bei E. Duan, Monographie,<br />
Textband II, S. 531. Ver Beweis, daLl sie in Reims zum Grabmal gehi5rt<br />
htte, knnte also nur dnrch die Stilkritik geflihrt werdcu. LoulsE PILLION<br />
glanbt ihn gefùhrt zu haben; meines Erachtens mit Unrecht. Dali die Eiigel in<br />
den Zwickeln, die Figuren in den Archivolten <strong>und</strong> die Geistiichen an den Pfeilern<br />
stiiistich <strong>und</strong> kompositioneil zusammengehôreu, ist zweifellos. Die Madonna<br />
jedoch zeigt einen entwiekelteren Stil auch ais die von L. P. auf S. 195 ahgebildeten<br />
Figuren. Entsclieidend ist aber, was man bisher vollstndig libersehen<br />
bat, dal3 am Baidachin das Strebewerk von Chartres nachgebiidet iet. F<br />
bliebe freilieli noch zu erwilgen, oh ein i%hnliches Strebewerk nicht schon an<br />
cinein friiheren, untergegangcnen Ban angewandt worden sein kiinnte. Aber<br />
das ist mehr ais uawahrscheinlich, da cia se ,,nnvergieichlich wuchtiges" Strebewerk<br />
nur an einem 80 groen <strong>und</strong> kraftvollen Bau wie <strong>der</strong> Kathedrale von<br />
Chartres denkbar ist. Also bleibt auf jeden Fali das Jahr 1194 <strong>der</strong> âuBerste<br />
terminus post qm.
04 -<br />
Frage aufzuwerfen: was soll die Sancta Maria Remensis in deni<br />
Modeil <strong>der</strong> Kathedrale von Chartres? Um diese Zeit mul3ten ja<br />
die Pline <strong>und</strong> das Modeli fur die Reimser Kathedrale ausgefiïhrt<br />
<strong>und</strong> den Bildhauern bekannt gewesen sein. Warum setzte man das<br />
Muttergottesbild nicht in eine kleine Reimser Kathedrale? Es<br />
bleibt mir <strong>der</strong> Sch]uI iîbrig: dieses Relief schiieSt sich an das<br />
Proekt des JEAN D 1ORBAIS flir die Kathedrale von Reims an. Aber<br />
spricht nicht die Skizze von VILLArn, die das Strebewerk des<br />
(hores wie<strong>der</strong>gibt, dagegen? Keineswegs. Demi fr den (2hor kaiin<br />
JEAN D'OaBAIs ans dem Gr<strong>und</strong>e die Verbindung <strong>der</strong> Strebebgen<br />
durch radial gesteilte Arkaden iiabeii unterlassen wolien, weii sic<br />
entwe<strong>der</strong> nur fur die inneren o<strong>der</strong> nur f lir die àufleren Strebebôgen<br />
môgiich gewesen wre. Die Arkadensituichen zwischen den tuBeren<br />
Strebebgen kbnnen nicht nach demseiben Mittelpunkte zusammen -<br />
laufen wie die SuIclien zwischen den aul3eren Strebebgen, da die<br />
Strebebgen nicht konzentrisch sind <strong>und</strong> <strong>der</strong> inuere Strebepfeiler<br />
die Reihe <strong>der</strong> Arkadensu1chen ais Sekante rob durchschnejden<br />
wUrde. Ans diesem Gr<strong>und</strong>e hatte auch <strong>der</strong> Meister von Chartres<br />
nur den oberen <strong>der</strong> beiden inneren (1iortrebebôgen durch chien<br />
iuf3eren Strebebogen aufgefaiigen. Wolite man aber beide innere<br />
Bôgen bis zum âufleren Strebepfeiler fortfflhren, so durite man<br />
we<strong>der</strong> die innereii noch die iiuf3eren Bgen durch eine radial gestelite<br />
Arkatur verbjnden. - Nachdem wir auch durch die Tintersuchung<br />
des Strebewerks dcii Anteil <strong>der</strong> einzeinen Meister am. Bau<br />
bestimmt <strong>und</strong> die Abhngigkeit des JEAN D'ORBAIS vom Meister<br />
<strong>der</strong> Kathedrale von Chartres bewiesen haben, gehen wir dazu liber,<br />
die urspriinglich geplanten Fasaden <strong>und</strong> Tiirme <strong>und</strong> ihre Einwirkung<br />
auf den Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Aufril3 des ersten Gesanitentwurfs zu betrachten.<br />
<strong>Das</strong> Querhaus <strong>der</strong> Reimser Kathedraje hat breitere Seitenschiffe<br />
ais das Langhaus. Die Foige ist cille kleine Unregelmiilligkeit<br />
mi Langhause, nmlich die grôflere Breite des ist1ichen Joches.<br />
Flir die grtere Breite <strong>der</strong> Querhausseitenschjffe kann kaum cm<br />
an<strong>der</strong>er Gr<strong>und</strong> bestimmend gewesen sein ais die Absicht, dcii Querhaustiirinen<br />
eine breitere Basis zu geben. <strong>Das</strong> Iegt den Gedanken<br />
nahe, dal3 die Westtflrme nach dem ersten Plane ein Seitenschiffsjocli<br />
des Langhauses ais Basis erhalten soilten: denn wenn schoii<br />
ursprtungiicli die WesttUrme so weit liber die Seitenschiffswiinde<br />
htten ausladen sollen, wie es jetzt <strong>der</strong> Fa11 ist, so h.tte sich ja<br />
cime Variation im Aufrit3 <strong>der</strong> drei Fassaden von selbst ergeben,<br />
auch wenn das istlichste Larighausjoch dieselbe Achseu- o<strong>der</strong> wenigstens<br />
Arkadeiiweite erhalten hatt,e wie die tibrigen Langhausjoche
- 65 -<br />
Verfolgen wir diesen Gedauken weiter <strong>und</strong> werfen wir zunchst<br />
einen Blick auf den Querschnitt des Langhauses! Da drii.ngt sich<br />
uns sofort die Frage auf: erlaubt dieser Querschnitt die Anlage<br />
dreîer Portale, die in einem angemessenen Gri13enverhiltnis zu<br />
einan<strong>der</strong> stehen? Wir hatten bel <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> Fassaden<br />
<strong>der</strong> frihgotischen Kirchen gesehen, dafi die Proportionen eluer Fassade<br />
mit schlanken Tirnien fur eine dreiteilige Portalanlage ungiinstig<br />
sind (Seuils, Mantes). In Senlis hatte mati deshalb ein<br />
gro6es Mittelportal <strong>und</strong> zwei kleine Nebenttiren angelegt. Die<br />
Folge war <strong>der</strong> Verzicht auf plastisehen Schmuck <strong>der</strong> kleinen Portale<br />
<strong>und</strong> auf einen Anschlut3 des Fassadenauf risses an das Langhans<br />
gewesen. Ein soicher Verzicht war in Reims unmiglich. Die<br />
Querhausfassaden passen sich dem Aufbau <strong>der</strong> Schiffe an, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Querschnitt des Hochschiffes im Langhause ist, wie wir S. 58 gesehen<br />
haben, ebenfails auf die Weiterfthrung des Triforiums <strong>und</strong><br />
die Einfiigung eines Rosenfensters von dem Durchmesser des jetzigen<br />
in den oberen Teil des Mitte]schiffes angelegt. In Mantes haif mati<br />
sich, ungeMhr am dieselbe Zeit, ais in Reims die Kathedrale begonnen<br />
wurde, durci Verschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler m. Auch diese<br />
Lisung war in Reims unmg1ich; denn die Folge ware eine Verkleinerung<br />
des Rosendurchmessers gewesen, <strong>und</strong> damit wre eine<br />
volikommene Anpassung des Rosengescliosses an das T-Iochschiff unmôglich<br />
geworden. Es mul3ten also drei ungefahr gleich hohe, mit<br />
Figuren geschmckte Portale zwischen den durcit die Hoehschiffs<strong>und</strong><br />
Seitenscliiffsw%nde festgelegten Strebepfeilern untergebracht <strong>und</strong><br />
mit ihnen <strong>der</strong> Raum bis zum Fut3gesirns des Triforiums gefiillt<br />
werden. In Chartres war <strong>der</strong> Querschnitt <strong>der</strong> Seitenschiffe fur die<br />
Nebenportale gEnstig gewesen (s. Fig. 7), im Mittelstiick ware<br />
rechts ami links vom Hauptportal ein Stiick Mauer stehen geblieben,<br />
das man wohl aucli an <strong>der</strong> Westfassade durcli B1endbgen geglie<strong>der</strong>t<br />
hutte, wie es an den Querhausfassaden geschehen ist. In<br />
Reims dagegen wiirde sich umgekehrt das Hauptportal gut in das<br />
MittelstUck eingefUgt haben, wuhrend die Anpassung <strong>der</strong> Nebenportale<br />
an dcii Querschnitt <strong>der</strong> Seitenschiffe Schwierigkeiten gemacht<br />
hatte. Es gait also hier elle vilhig neue Lôsung zu finden,<br />
<strong>und</strong> d as war nur durch Variierung des Laibungswinkels am Hauptportai<br />
<strong>und</strong> an den Seitenportalen miglich, wie sic in âhulicher<br />
Weise auch an <strong>der</strong> jetzigen Fassade darchgefiihrt worden ist. <strong>Das</strong><br />
Mittelportal Mtte den normalen Laibungswinkel von 450 erhalten<br />
kiinnen, wuhrend fur die Seitenportale ein bedeutend steilerer, am<br />
besten von 900 , hittte gewuhit werden misseii.<br />
5<br />
onze, Dag Fau&dnprobIem.
66<br />
Diese Erwgungen batte ich angestelit, ais ici auf die beiden<br />
Portale an <strong>der</strong> n5rd1ichen Querhausfassade aufmerksam wurde.<br />
Denn das ôstliche hat tatsiichlich einen Laibungswinkel von 900,<br />
whrend das ins Mittelsehiif fiihrende den normaien Laibungswinkei<br />
von 450 bat. DaB diese Portale erst spiter an die Querhausfassade<br />
angefilgt worden sind, ist auf den ersten Blick kiar. Ich hatte sie<br />
deshalb zuerst, im Einkiang mit <strong>der</strong> frUheren Forschung, ais eine<br />
im erstell Plane nicht vorgesehene <strong>und</strong> darum fur den Gesamtentwurf<br />
bedeutungslose Zutat angesehen. Aber wenn wir genauer<br />
zusehen, so bemerken wir, daB hier zwei fertige, fur einen ganz<br />
an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>rifi bestimmte Portale versetzt worden sud. Die<br />
Strebepfeiler e <strong>und</strong> e1 muflten an ibrer Stirnseite um ca. 1 m, <strong>der</strong><br />
Strebepfeiler w an <strong>der</strong> dem Portai zugekehrten Seite um ca. 81 4 in<br />
abgestemmt werden, damit die beiden Portale tiberhaupt an die<br />
Querhausfassade angefiugt werden konnten. flatte es sich nur darum<br />
gehandeit, eunzehne, urspriunglich fUr die Westfassade bestimmt gewesene<br />
Figuren zu verwerten, so htte nichts gehin<strong>der</strong>t, die MaI3e<br />
fUr die Portale so zu withien, daB sic sich ohue Schwierigkeit <strong>der</strong><br />
Querhausfassade hitten anpassen lassen. Folglich waren nicht nur<br />
die Gewndestatuen, sondenn auch, ganz o<strong>der</strong> wenigstens zum griifiten<br />
Teile, die Laibungen <strong>und</strong> die die Portaibreite bestimmenden Tympana<br />
ausgefUhrt. Die Laibungen bei<strong>der</strong> Portale waren fUr eue<br />
geringere Tiefe <strong>und</strong> das Mittelportal fUr ein breiteres Schiif berechnet.<br />
Man wird aiso zu <strong>der</strong> Frage gedr.ngt: Sind die beiden<br />
Portale etwa ais das Bnuchstuck einer Westfassade anzusehen, die<br />
sich, wie es unsere Theorie veriangt, <strong>der</strong> Breite <strong>der</strong> Langhausschiffe<br />
angepaBt hutte? In Fig. 11 haben wir die beiden Portale an das<br />
Westende des Langhauses versetzt. <strong>Das</strong> Mittelportal hat hier<br />
zwischen den Strebepfeiienn Platz <strong>und</strong> das Seitenportal fugt sich<br />
<strong>der</strong> lichten Weite des Seitenschiffes genau cm, so daB im Innern<br />
zu beiden Seiten gerade noch Platz fur die GewUibedienste bleibt,<br />
w.hrend im ëstlichen. Querhausseitenschiffe das Portai von dcii Dienstbi<strong>und</strong>ein<br />
durcli schmaie Mauerstreifen getrennt ist, <strong>der</strong>en Summe<br />
<strong>der</strong> Differenz zwischen dcii Seitenschiffen des Langhauses <strong>und</strong> den<br />
breiteren des Querliauses gleicht. Die Ausladung <strong>der</strong> Strebepfeiler<br />
rn <strong>und</strong> n <strong>und</strong> also auch <strong>der</strong> Strebepfeiler o ist genau gleich <strong>der</strong><br />
Ausiadung aller Strebepfei]er des Langliauses <strong>und</strong> Chores. <strong>Das</strong><br />
heifit: Der Turmgr<strong>und</strong>rifl wUrde in allen Einzelheiten, in<br />
<strong>der</strong> lichten Weite wie in <strong>der</strong> Stitrke <strong>der</strong> Strebepfeiler,<br />
so gestaltet sein, wie wir es a priori schon fur die Westfassade<br />
<strong>der</strong> Kathedrale von Chartres angenommen liaben,
- 67 -<br />
Wenn unsere Rekonstruktion richtig ist, so muB sicli das auch<br />
durch die Ikonographie beweisen lassen. Da f tir das Querhaus im<br />
ersten Plane keine Portale vorgesehen waren, mufite die Westfassade<br />
das volisttindige ikonographische Programm einer Kathedrale des<br />
13. Jahrhun<strong>der</strong>ts bieten, Die Figuren des ausgefiihrten Seitenportais<br />
stelien das Jtingste Gericht dar; am Mitteiportai haben die<br />
Lokaiheiligen Platz gef<strong>und</strong>en, das dritte Portai hittte ein Marienportai<br />
werden miissen. Es ist tatsichlich, wenn auch nicht voliendet,<br />
so doch begonnen worden. Am rechten Gewânde des sudlichen<br />
Portais <strong>der</strong> heutigen Westfassade stehen namlich sechs<br />
Figuren, die ulter sind ais aile iibrigen <strong>und</strong> die maii deshalb scion<br />
im Jahre 1851 ais Bruchstiicke einer aiten Westfassade in Anspruch<br />
genommen hat. Es sind Propheten, vie sic zu einem Marienportai<br />
gehren, den sechs Apostein des Gerichtsportais eiitsprechend.<br />
Aber hutte es riicht aller Regel wi<strong>der</strong>sprochen, den Ma.rienzyklus<br />
<strong>und</strong> das Jtingste Gericht an den Seitenportaleii darzusteilen? An<br />
<strong>der</strong> Fassade in Amiens nimmt das Gerichtsportal die Mitte, das<br />
Marienportal die redite <strong>und</strong> das Portai mit den Lokaiheiligen die<br />
linke Seite eh. Und in Reims htitten Sixtus, Nikasius <strong>und</strong> Reniigius<br />
den Ehrenplatz erhalten sollen? <strong>Das</strong> wiire allerdings hchst<br />
auffallend. Aber es wiire niciit die einzige Ausnahme, die die<br />
Reimser Kathedraie in <strong>der</strong> Ikonographie machte. In den G-lasgemiliden<br />
des Hochschiffes sind die franztsischen Knige samt den<br />
Erzbischfen, die die KrLnung volizogen haben, dargestelit.. Die<br />
Kinigsgaierie enthiUt über <strong>der</strong> Rose die Taufe Chiodwigs, <strong>und</strong> man<br />
wird daher den Schlut3 ziehen miissen, daB wir in den tibrigen<br />
Figuren seine Nachfolger <strong>und</strong> nicht wie in <strong>der</strong> Panser Ktinigsreihe<br />
die Vorfahren Christi zu selien haben. Notre-Dame de Reims est<br />
ta cathédrale nationale; les autres sont catholiques, c'est-à-dire universelles,<br />
elle seule est française.') Sie ist die Krnungskathedraie<br />
<strong>und</strong> durci ihr Hauptportal zog <strong>der</strong> Kinig zur Krtnung cm. Er<br />
htte also beim Einzuge zu semer Rechten am Gewtinde den Erzbischof<br />
Remigius <strong>und</strong> unmittelbar liber sich, auf <strong>der</strong> rechten Huifte<br />
des untersten Tympanonstreifens, die Taufe Chiodwigs gehabt. Am<br />
linken Oewgnde ist <strong>der</strong> heiiige Nikasius mit semer Schwester<br />
Eutropia, auf <strong>der</strong> iinken Hilfte des unteren Tympanonstreifens das<br />
Martyrium bei<strong>der</strong> dargestelit. Auch das rechtfertigten die beson<strong>der</strong>en<br />
VerhJtnisse: Biscliof Nikasius war saint semer Schwester<br />
auf <strong>der</strong> Schwelle des Hauptportals <strong>der</strong> ersten Kathedraie nie<strong>der</strong>-<br />
1) E. MALE, L'art religieux du XIII' siècle en France. Paris 1902, p. 434.<br />
51.
-<br />
gehauen worden. Noch die heutige Westfassade zeigt, wie ungern<br />
man die Heiligen vom Hauptportal verdrngt <strong>und</strong> wie man sie dafur<br />
gewissermaflen entschtidigt hat. Die Kônigsgaierie entha!t, wie<br />
scion bemerkt, statt <strong>der</strong> jiidischen die franzsischen Kinige, <strong>und</strong><br />
an <strong>der</strong> Innenseite des Portalpfeilers steht die Statue des Nikasius.<br />
Eine Schwierigkeit f tir unsere Hypothese knnte man in einigen<br />
Unstiminigkeiten am Gewi%nde <strong>der</strong> alten Portale sehen. Die Portale<br />
in Amiens sind in <strong>der</strong> Anlage einheitlich, die heutigen \Vestportale<br />
in Reims ebenfalis. Die Figuren an beiden GewiLndeii des Heiigeiiportais<br />
<strong>und</strong> die drei Apostel am rechten Gewi<strong>und</strong>e des Gerichtsportais<br />
stehen dagegen auf Postamenten, die sich auf einer gemeinsamen<br />
Sockelbank erheben, wiilirend die drei Apostel am linkeu<br />
Gewinde des Gerichtsportals <strong>und</strong> die fur das Marienportal bestimmten<br />
Propheten von kieinen, ausgekragten Figuren getragen<br />
werden. Die Hifte <strong>der</strong> Gewhndestatuen, nLin1ic1i die sechs am<br />
Heiigenportal <strong>und</strong> die drei iinken am Gerichtsportal haben Nimbeii,<br />
die an<strong>der</strong>en nicht. <strong>Das</strong> Mittelportal ist a!so einheitlieh (F'iguren<br />
auf Postamenten <strong>und</strong> mit Nimben), das Marienportal wre ebenfails<br />
einheitiicli geworden Figuren oline Postamente <strong>und</strong> ohne Nimben),<br />
das Gerichtsportal zeigt ein Schwanken (die drei Apostel ohne<br />
Nimben stehen auf Postamenten, die drei mit Nimben auf kleinen<br />
Kragfiguren, d. h. die Gruppe, die sich in <strong>der</strong> einen Beziehung dem<br />
Mittelportal anschlief3t, folgt in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en dem Marienportai). <strong>Das</strong><br />
Marienportal, von dem nur die Gewàndestatuen zur Ausfiihrung gekommen<br />
sind, ist natiirlich das jiingste, <strong>und</strong> das Heiligenportal ist<br />
infoigedessen das alteste. Es zeigt sich aiso kein planloses Durcheinan<strong>der</strong>,<br />
soil<strong>der</strong>il eine Entwickiung vont Heiligen- zum Marientportal.<br />
Schliefilich ist noch die Frage aufzuwerfen, ob <strong>der</strong> Stil <strong>der</strong><br />
Figuren erlaubt, sie zeitlich vor die Figuren <strong>der</strong> Westfassade zu<br />
setzen. Denu, wenn unsere Ilypothese richtig sein sou, miissen<br />
die Portale vor dem Entwurf f tir die neue Westfassade voilendet<br />
gewesen sein. Wi<strong>der</strong>spricht dieser Datierung nicht <strong>der</strong> Stil dci'<br />
Christusfigur anti Pfeiler des Gerichtsportals? In <strong>der</strong> Tat, diese<br />
Figur ist jtinger o<strong>der</strong> zum mindesten nicht Luter ais z. B. die Heimsuchungsgruppe<br />
an <strong>der</strong> Westfassade. Aber es wLure cia hôchst<br />
merkwtirdiger Zafali, wenn zur Zeit des Wechseis in <strong>der</strong> Bauleitung<br />
zwei Portale <strong>der</strong> alten Westfassade genau bis auf die letzte Figur<br />
<strong>und</strong> die letzte Qua<strong>der</strong> fertig gewesen wiiren. Ist <strong>der</strong> Meisterwechsel<br />
aber in dem Augenblick eingetreten, ais sich das Gericlitsportai<br />
<strong>der</strong> Voilendung nLuherte <strong>und</strong> das Marienportai eben erst in
Angriff genomnien war, so konnte JEAN LE Loue den sechs Prophetenstatuen<br />
einen Platz in seinem neuen Fassadenentwurf anweisen,<br />
whrend er die schon in gril3eren <strong>und</strong> wichtigeren Teilen<br />
ausgefïihrten beiden an<strong>der</strong>en Portale vorlâufig liegen lasseii mul3te.<br />
Denn die dringendste Aufgabe, die semer harrte, war die Voliendung<br />
des Chores, trnd erst ais nach ihrer Ltsung im Jahre 1241<br />
Steinmetzen in gentigen<strong>der</strong> Zahi frei geworden waren, kounten die<br />
Portale an ihren heutigen Platz versetzt werden, da diese Arbeit<br />
ziemlich zeitraubende Eingriffe in das konstruktive Gerippe <strong>der</strong><br />
nôrdiicheil Querhausfassade ntig maclite. Vorher miiften nattirlicli<br />
die fehienden Stiicke nachgearbeitet werden. Die stiikritische<br />
Untersuchung dieser Stiicke kaun deshalb nur feststellen, wie lange<br />
nach 1241 die Versetzung <strong>der</strong> Portale vorgenommen worden ist.<br />
Bis zur eiidgiiltigen Aufsteilung <strong>der</strong> alten Portale batte sich <strong>der</strong><br />
Stil an <strong>der</strong> neuen Westfassade, die gerade so wie jene zunachst<br />
mehr Bildhaiier- ais Steinrnetzenarbeit erfor<strong>der</strong>te <strong>und</strong> daher sogieich,<br />
scion vor dei Vollendung des Chores, in Angriif genommen werden<br />
konnte, weiter entwickeit, <strong>und</strong> darum kaun man, ohne Schaden fur<br />
unsere Hypothese, einige Figuren <strong>der</strong> Westfassade zwischen die<br />
iiltere Hauptmasse <strong>und</strong> den jiXngeren Rest <strong>der</strong> Skuipturen an den<br />
Qnerhausport.alen zeitlich einreihen, ja, die Annahme eines Wechsels<br />
des Fassadenprojektes <strong>und</strong> einer vorilUifigen ZurUckstellung <strong>der</strong><br />
beiden alten Portale gibt allein eine einleuchteiide Erkliirung fur<br />
die Tatsache, daf einzelne Telle des Gerichtsportals junger sind<br />
ais die iitesteii F'iguren in dem neuen Zykius <strong>der</strong> heutigen Westfassade.<br />
\Vir kehren jetzt zum Gesamtentwurf des JEAN D'ORBAIS zurilek.<br />
In Chartres batte man auf das tJbergewicht <strong>der</strong> Querhaustiirme<br />
verzichten miissen, •weil die Seitenschiffsjoche des Larighauses wegen<br />
<strong>der</strong> Laibung <strong>der</strong> Westportale in <strong>der</strong> Nord-Siid-Richtung gestreckt<br />
werden rnu&en (vgi. S. 39). Die Portallaibungen <strong>der</strong> ersen Reimser<br />
Fassade waren aber nicht in die Wand des westlichen Joches,<br />
son<strong>der</strong>a zwischen die Strebepfeiler gefalien. Deshalb rnul3ten die<br />
Seitenschiffsjoche quadratisch angelegt werden; denn sonst htten<br />
die Westtiirme eine oblonge, iii <strong>der</strong> Ost-West-Richtung gestreekte<br />
Basis ei'halten. Wire nul die Jochweite bis zur Vierung durchgefiihrt<br />
worden, so wmire durch das iistlichste Langhausjoch f iir das<br />
Querhaus dieselbe Seitenschiffsbreite <strong>und</strong> darnit dieseibe Turmbasis<br />
festgelegt worden. Da aber gerade das vermieden werden soute,<br />
wie die Kathedraieii von Laon <strong>und</strong> Chartres zeigen, so war beim<br />
istiichsten Langhausjoch eine kleine TJnrege1rn.13igkeit nicht zu w -
TU -<br />
gehen; es mu6te schmLIer o<strong>der</strong> breiter werden. Eine Verringerung<br />
des Achsenabstandes witre aus einem doppelten Gr<strong>und</strong>e unzweckmiiBig<br />
gewesen, erstens, weil daim die Querhaustirme kleiner ais<br />
die Westtûrme geworden wâren, <strong>und</strong> zweitens, weil die lichte Weite,<br />
die schon bei gleichem Achsenabstande wegen <strong>der</strong> grM3eren Strke<br />
<strong>der</strong> Vierungspfeiler geringer ist ais in den tbrigen Jochen, allzu<br />
kiein geworden ware. Es blieb also nur eine Verbreiterung <strong>der</strong> Querhausseitenseliiffe<br />
ubrig. 1m Chore gelang es iîbrigens dem Meister,<br />
aus <strong>der</strong> Not eine Tugend zu inachen, indem er den Achsenabstand<br />
<strong>der</strong> drej Joche ailmiihijeli von West nacli Ost abnehmen <strong>und</strong> schlieBlich<br />
die Halfte eines regeimtl3igen Zehuecks mit noch etwas geringerer<br />
Achsenweite folgen lieB. Dadurch wurde zugleich ein guter<br />
Anschiufl des halben Zehnecks an den Langchor erreicht, Denn<br />
die Gewiilbekappen eines reguliiren 6/ 10-Chores mlissen mit dem eew1be<br />
des istlichen Joches zusammengezogen werden, weil sonst ihr<br />
SchiuBstein auf den ôstliclisten Giirt fallen <strong>und</strong> ibn in wagerechter<br />
Richtung durchdriicken wiirde. Hat min das ëstlichste Joch dieselbe<br />
Breite wie die an<strong>der</strong>en .Toche, wie z. B. in Soissons <strong>und</strong> Troyes,<br />
so bilden die Diagonairippen seines mit dem Chorbaupte zusammengezogeneii<br />
Gew61bes mit dem Gurtboden einen grf3eren Winkel ais<br />
die Rippen <strong>der</strong> librigen Gew&be. Durch die Reduktion <strong>der</strong> Joclibreite<br />
ist min erreicht worden, daB das halbe Krenzgev1be auch<br />
mir ein Joch von etwas mehr ais lialber Breite zu decken hat, <strong>und</strong><br />
daB infolgedessen die Rippen mit deni Gurt anniihernd denselben<br />
Winkel bilden wie im benachbarten Joch. Hand in Hand mit <strong>der</strong><br />
Abnahme <strong>der</strong> Jochbreite geht die Abnahme <strong>der</strong> Pfeilerstarke. Sie<br />
scheint also iediglich âsthetisch begriindet zu sein, in Wahrheit<br />
sirid die stitrkeren Pfeiler konstruktiv notwendig. Denn die Pfeller<br />
n 1 (w, e, e1 ) <strong>und</strong> s (w, e, e1) tragen die Querhaustdrine. Den Pfeilern<br />
n 1 e1 <strong>und</strong> s e1 zuliebe haben aber auch die Pfeiler n e 1 <strong>und</strong> s e1 den<br />
gleichen Durchmesser erhalten. Es ergibt sich also folgeude Reihe:<br />
Vierurigspfeiler n e <strong>und</strong> se (Pfeilerstarke 1); Joch E1, Pfeilerreihe e1<br />
(Pfeilerstarke lI = Querhausturmpfeiler); Joch E11 in dci' Breite<br />
eines Langhausjoches, Pfeilerreihe e2 (Pfeilerstiirke III = Langhauspfeiler);<br />
Joch E111 ungefahr in <strong>der</strong> Breite einer Arkade des Chorhauptes,<br />
Pfeilerreihe e3 (Pfeilerstarke 1V == Apsispfeiler). Die Verstarkung<br />
<strong>der</strong> Pfeiler im Querhause (n 1 w <strong>und</strong> n 1 e, s w <strong>und</strong> s e)<br />
war âsthetisch deshaib m6g1icii, weil die Querhausarme auf zwei<br />
Joche beschrankt sind. Infolgedessen stehen die Turmpfeiler im<br />
Querhause nicht mit schiaukeren Pfeilern in einer Reihe. Es ist<br />
also die Rficksicht auf die verschiedenen Pfeilerstarken gewesen,
71 -<br />
die den Meister JEAN D'OnBAIs gezwnngen hat, den Chor <strong>und</strong> du<br />
Querhaus kurzer anzulegen ais in alleu an<strong>der</strong>en Kathedralen. Denn<br />
die Einfigung eines einzigen Joches httte aile feinen Berechnungen<br />
über den Hanfen geworfen. AuBerdem brachte die Reduktion des<br />
Querhauses noch einen an<strong>der</strong>en Vorteil mit sich: die Strebepfeiler<br />
m, n <strong>und</strong> o konnten an den Querhaustiirmen stitrker gebildet weiden,<br />
da an <strong>der</strong> Ost- <strong>und</strong> Westseite des Querliauses sonst; keine Strebepfeiler<br />
angebracht zu werden brauchten, die zum Vergleich mit den<br />
Turmstreben herausfor<strong>der</strong>ten, <strong>und</strong> die Verstrebungen y, die nicht<br />
bis zum Erdboden herunterreichen, erhalten durch die Strebebigen<br />
über w 1 <strong>und</strong> e1 einen Gegenschub. Auch die unschne Durchkreuzung<br />
<strong>der</strong> Strebewerke des Lang- <strong>und</strong> Querhauses bei n 1 w17 s w1, 81e1<br />
<strong>und</strong> n 1 e1 fâlit weg.<br />
Die stark zentralisierende Tendenz <strong>der</strong> Ostpartie wird durch<br />
das langgestreckte Schiif abgesc1iwtcht., <strong>und</strong> es dringt sicli daher<br />
die Frage auf, ob das Schiif nach dem Plan des ersten Meisters in<br />
dieser L.nge beabsichtigt war. <strong>Das</strong> Langhaus <strong>der</strong> gleichzeitigen<br />
Bauteii, <strong>der</strong> Kathedralen von Chartres <strong>und</strong> Amiens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Abteikirche<br />
von St. Nicaise in Reims ist bedeutend kiirze.r; es zaiiit in<br />
den beiden zuletzt geuannten Kirchen sieben Joche. Bedenken wir<br />
ferner, daB an <strong>der</strong> Stelle des Nordturmes <strong>der</strong> heutigen Westfassade<br />
eine um 1200 erbaute Kapelle stand (vgl. S. 44 f.), so liegt die Vermutung<br />
nahe, daB man ursprflnglich nicht mit dem Abbruch dieses<br />
erst vor kurzem voliendeten Baues gerechnet bat. Wenn schon<br />
JEAN D'ORBAIS die Kathedrale in ihrer heutigen Ausdehnung geplant<br />
hutte, bitte er den Chor weiter nach Osten vorsehieben<br />
knnen, wie es spiiter in eineni i.1iniichen FaI]e in Amiens geschehen<br />
ist. Nun bat man schon seit langer Zeit versucht, die<br />
Frage durch die bei w6 bemerkbare Naht zu Ibsen'). Dabei ist aber<br />
libersehen worden, daB diese Naht nur im Hocnschiff die Joche VI<br />
<strong>und</strong> VII trennt. In den Seitenschiffen befindet aie sich um ein<br />
Joch weiter westlich, a]so bei w7. Bis hierher bat das Wandsockeiprofil<br />
eine Hohlkehle, in den Jochen VIII—x nicht. An den<br />
Pfeilerbasen im Mitteisohiif k3nnen wir die Hohlkehle nui bis W6<br />
vez'folgen. Also hat bei w7 die erste Westfassade gestanden. Die<br />
Portale passen ja, wie wir gesehen haben, genau in den Querschnitt<br />
des Langhauses. <strong>Das</strong> Heiligenportal wird bereits vollstandig aufgeftïhi't<br />
gewesen sein, von den beiden Seiteuportaien werden die<br />
Laibungen gestanden haben 2).<br />
1) VgI. z. B. die schon bei D. &. y. B. II, S. 155, wi<strong>der</strong>legte H.\pothce.<br />
) Vom Gerichtsportal waren au&rdem Teile des Tympanons <strong>und</strong> <strong>der</strong> Archi-
Aber bat demi iiberhaupt JEAN D'OREAIs sehoii das Langhaus<br />
begonnen? Der Text des Labyrinths bericlitet nichts davon, <strong>und</strong><br />
darum stelit es auch ANTHYME SAINT-PAUL in Abrede.') Trotzdem<br />
niiissen wir auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> stilkritischen Untersuchung den<br />
Schiufi ziehen, daB JEAN D'ORBÂIS die Kathedrale in ihrem ganzen<br />
Umfange, vom Chore bis zur Fassade, in Angriff genommen <strong>und</strong> sich<br />
erst spitter auf die HochfUhrung des Querliauses <strong>und</strong> Chores beschrii.nkt<br />
bat. Die Kapitelle <strong>der</strong> Pfeiler <strong>und</strong> Wandpfeiler stehen im Langhausse<br />
bis w8 auf <strong>der</strong>selben Stiistufe wie im Chore. Noch wiclitiger sind<br />
die Basen. Sic bestehen im ganzen Erdgeschof3 - einschliel3lich<br />
<strong>der</strong> Querhausportaie! - an den Pfeilern bis w5, am Sockel <strong>der</strong> Seitenschiffswitnde<br />
bis w7 ans Wulst, Kehie <strong>und</strong> 'Wulst, ebenso im Triforium<br />
bis W,, abgesehen von <strong>der</strong> westlichsten freistehenden <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> mit den Pfeilern w 1 verb<strong>und</strong>enen StuIe. An den Basen <strong>der</strong><br />
Ma[3werksu1chen in den Fenstern des Querhauses <strong>und</strong> Hochehores<br />
fehlt dagegen die Kehie; also bat sich noch unter JEAN D'ORBAIs<br />
<strong>der</strong> Wechsel in <strong>der</strong> Basenform volizogen. Daraus folgt weiter, dafi<br />
JEAN D'ORRAIS die Seitenschiffe des Langhauses vor dem Hochschiff<br />
des Querhauses ausgeftihrt bat.<br />
Nacli seinem Projekte soliten die Strebepfeiier w5 <strong>und</strong> w7 <strong>und</strong><br />
die Pfeiler w5 die Westtiirme tragen. Alierdings ist DEMAISON <strong>der</strong><br />
Ansicht, die Pfeiler seien zu schwach fur die Last <strong>der</strong> Turme').<br />
<strong>Das</strong> ist jedoch ein Irrtum; denn die Westttirrne wiren icichter geworden<br />
ais die Quer1iaustÎirme, da sic sich ja liber einer schmieren<br />
Basis erheben soliten. Deshalb darf man, wenn man die Tragfiihigkeit<br />
<strong>der</strong> Pfeiler vergleichen will, niclit die Pfeiler w6 nit den<br />
ubrigen Langhauspfeilern vergieichen - denn diese konnten ja ans<br />
sthetischen G-rlinden ein Plus an Stiirke erhalten haben -, son<strong>der</strong>n<br />
man muB fragen: Hitte das Gewicht <strong>der</strong> TUrme in demselben<br />
VerMituis gestanden, vie die Tragfhigkeit <strong>der</strong> Turmpfeiler, aiso<br />
<strong>der</strong> Pfeiler im Langhause einer- <strong>und</strong> im Querhause an<strong>der</strong>erseits?<br />
Die Tragfhigkeit <strong>der</strong> Pfeiler ist bei gleicher Hôhe <strong>und</strong> gleichem<br />
Material dem Quadrate ihrer Durchmesser direkt proportionai. <strong>Das</strong><br />
Gewicht dey Tiirme ist uns, da sic ja nicht ausgefiihrt worden<br />
sînd, nicht genau bekannt. Aber wir werden nicht fehigehen, wenn<br />
voiten voilendet. Aber sie knnen nur im Atelier gelegen haben, da <strong>der</strong> Pfeiler<br />
mit <strong>der</strong> Christusstatue erst unmittelbar vor <strong>der</strong> Veretzung des Portais an die<br />
Querhausfassade ausgefdhrt worden ist (vgl. S. 68 f.).<br />
1) Bull. mon. 1906, LXX, S. 311.<br />
2) Be. mon. 1902, LXVI, S. 351.<br />
-
vir ajinelimen, daB die Westtlirme nicht nur schlanker, son<strong>der</strong>n<br />
auch. wie in Laon, niedriger ais die Querliausttirme werden soliten,<br />
<strong>und</strong> zwar ungefiLhr uni vie], daB die Hihen in demselben VerhiLltnis<br />
gestanden hktten, wie die Seiten <strong>der</strong> Basis. i)ann wflrden<br />
sich die Gewichte <strong>der</strong> Tiirme zueinan<strong>der</strong> verhaken wie die Kuben<br />
<strong>der</strong> Basisseiten. Bezeiclinen wir die Pfeilerdurchmesser mit a <strong>und</strong> fi,<br />
die Seiten <strong>der</strong> Turmbasen mit a <strong>und</strong> b, so ergibt sich die Gleiclmng:<br />
2 : fi2 = a3 : b3 . Lei<strong>der</strong> eriaubt <strong>der</strong> Ma(3stab <strong>der</strong> mir zur<br />
Verffigung stehenden Aufnahmen nicht, den Durchmesser <strong>der</strong> Pfeiler<br />
mit geiiligen<strong>der</strong> Sicherheit zu messen. Aber ungefhr ergibt die<br />
Messung sowohi fur c, 2 : fll ais auch fr a-1 -b 3 das Verhiltnis 3:4.<br />
Wenn also die Pfeiier im Querhause fur die Querhaustirme stark<br />
genug sind, so htten aucli die Pfeiler w6 die von JEAN DORBAIS<br />
geplanten Westtiirme zu tragen vermocht. Die Berechnung <strong>der</strong><br />
Tragfahigkeit <strong>der</strong> Pfeiler best.tigt dalier im Verein mit <strong>der</strong> stilkritischen<br />
Untersuchung des Langhauses die Richtigkeit unserer<br />
scion fur die Kathedrale von Chartres über dus VerMitnis <strong>der</strong><br />
Fassaden <strong>und</strong> Tiirme zum Gesamtaufril3 <strong>und</strong> -gruiidri8 aufgestellten<br />
Hypothese auch in dem Punkte, daB die Pfeiier <strong>der</strong> Ttirme im<br />
Innern ais soiclie gar nicht bemerkt wer<strong>der</strong>i soilten.<br />
Per Auflenbau hutte eine streng zeritral komponierte Gruppe<br />
ergeben: in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> den ganzen Ban beherrschende Vierungstiirm,<br />
an den Fassaden <strong>der</strong> sehr kurz gehaltenen Querhausarme<br />
vier groile Tiirme, die mit dem Vierungsturm eine Gruppe gebildet<br />
hitten, am Ende des Langhauses zwei kleinere, <strong>der</strong> ôstlicheu Gruppe<br />
untergeordnete Fassadentiiime. Die Durchbrechung <strong>der</strong> streng zentraleii<br />
Komposition <strong>der</strong> Ostpartie durch einen Bingeren Westarm<br />
war ans praktischen Griinden unvermeidlich. Aber dus Langhaus<br />
durfte doch eine gewisse Lunge nicht iiberschreiten, wenn das Prinzip<br />
<strong>der</strong> Subordination aller Fassadentiirme unter den Vierungsturrn<br />
nicht aufgegeben werden soute. Deshalb zog <strong>der</strong> zweite Meister, ais<br />
er sich zur Verlungerung des Langhauses uni. drei Joche entsclilossen<br />
hatte, ans dieser Àn<strong>der</strong>ung des Grutidrisses die Konsequenzen fur den<br />
Aufrif3: aristatt die tibrigen Tirme dem Vierungsturin unterzuordnen,<br />
schuf er <strong>der</strong> ustiichen Turmgruppe ein Gegengewicht in Gestalt von<br />
zwei groBen Westtih'men. Damit war das Prinzip <strong>der</strong> Subordination<br />
durci das Prinzip <strong>der</strong> Koordination abgeldst. Jetzt waren auch sturkere<br />
r1urmpfejler notwendig; daher erliielten die Pfeiler w9 die Sturke <strong>und</strong><br />
die Gestalt <strong>der</strong> Vierungspfeiler. <strong>Das</strong> Joch Wjx wurde ais ,,Strebejoch"<br />
wie in St. Denis (S. 6) ausgebildet, indem die Riickwand des<br />
Triforiums dicker <strong>und</strong> das Ma6werk <strong>der</strong> Hochschiffsfenster starker<br />
j
ausgefOEhrt <strong>und</strong> den Pfeilern w8 1) die Stàrke <strong>der</strong> Querhauspfeiler<br />
gegeben wurde. Die Vergrôf3erung <strong>der</strong> Turmbasis zog fur den Aufriil<br />
<strong>der</strong> Fassade eine weitere Konsequenz nach sich; denn sie batte<br />
dieseiben Schwierigke.iten heraufbeschworen wie in Noyon <strong>und</strong> Paris<br />
(S. 7 f. <strong>und</strong> 14 if.). Deshalb wurde liber dein Rosengeschofl ein breites<br />
horizontales Band angeordnet: die Kinigsga1erie. <strong>Das</strong> MitteistUck<br />
vom Scheitel des Hauptportales bis zum Rosenscheitei behielt im<br />
Entwurf des JEAN LE Loup dieseibe Gestalt wie bei JEAN D'ORBAIS,<br />
erst BERNARD DE SOISSONS riickte das Gesims liber dem Triforium<br />
tiefer <strong>und</strong> das Gesims liber <strong>der</strong> Rose hi5her, um den Turrnfenstern<br />
neben <strong>der</strong> Rose eine grôflere Hhe zu geben (vgi. S. 57). Er wird<br />
es auch gewesen sein, <strong>der</strong> an Stelle eines breiten zwei schmaie<br />
Fenster gesetzt hat.<br />
Ais Gr<strong>und</strong> f iir die Verlangerung des Langhauses hat niaii angegeben,<br />
daI3 sich die Kathedrale f tir die Krônungsfeierlichkeiten<br />
ais zu kiein erwiesen habe. 2u Aber diese Erkiarung geht von <strong>der</strong><br />
Annahme ans, dag die heutige Westfassade ursprunglich bei w6<br />
nach <strong>der</strong> Voliendung <strong>der</strong> Joche W1—W 1 errichtet <strong>und</strong> urigefahr<br />
um 1300 an ihre heutige Stelie versetzt worden sei. Mir haben<br />
aber gesehen, daB <strong>der</strong> Planweclisel mit dem Meisteiweclisel zusammenhing<br />
<strong>und</strong> dag er zu <strong>der</strong> Zeit eintrat, ais vom Langhause<br />
nus die Seitenschiffe <strong>und</strong> von <strong>der</strong> ersten Fassade nur zwei Portais<br />
- <strong>und</strong> zwar bei w 7, nicht bei w6 - vollendet waren, aiso zu einer<br />
Zeit, ais von <strong>der</strong> Benutzung des Langhauses noch nicht die Rede<br />
sein konnte. Wir werdeii aiso eine an<strong>der</strong>e ErkHiruiig suciien mtissen.<br />
Erinnern wir uns (vgi. S. 45, Aam. 5), daB baid, nach<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>stein<br />
zur Reimser Kathedrale gelegt worden war, zwei Suffragane<br />
des Erzbischofs, <strong>der</strong> Bischof von Arnicas im Jahre 1220 <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Bischof von Beauvais im Jahre 1225, den Neubau ihrer Kathedraie<br />
in grdiisrem Mafistabe begannen ais ihr Metropoiit, so begreifen<br />
wir, daB um 1235 <strong>der</strong> iieue Meister dem neuen Bauherrn,<br />
<strong>der</strong> seit 1227 auf dem erzbischf1ichen Stuhie safi, cia iieues Projekt<br />
unterbreiten kounte, das in <strong>der</strong> Grôfle mit deni Unternehuien<br />
<strong>der</strong> beiden Suffraganbischiife zu wetteifern <strong>und</strong> durch die Euttaitung<br />
eines ungeheuren Reichtums an Skuipturen ailes bisher ge.<br />
leistete in den Schatten zu steilen vermochte. Es war ein ghicklicher<br />
Zufail, daB JEAN I)'OnBAIs sein Werk erst soweit ausgeftihrt<br />
1) Bei GAILIIABAUD falsch, bei RING <strong>und</strong> in den ,,Cathédrales de France'<br />
richtig dargestdllt.<br />
2) D. & y . B. II S. 155.
73<br />
hatte, daf3 eine Umarbeitung seines Entwurfes durcli JEAN LE Lot<br />
noch mg1ich war. Es ergaben sicli keinerlei Unstimmigkeiten,<br />
son<strong>der</strong>u die Komposition, wie wir sie heute nocli vor uns sehen,<br />
erscheint wie ans einem Gu13. Nur die beiden Westportale des<br />
JEAN D'ORBAIS, mit denen sein Nachfolger nichts anfangen konute,<br />
<strong>und</strong> die Skizzen, in denen VILLARD DE HONNECOURT uns den<br />
Entwurf des ersten Meisters fur das Langhaus <strong>und</strong> dem Hochchor<br />
Uberliefert bat, geben uns den Anstot3, nach dem urspriinglichen<br />
Gesamtprojekte zu forschen. Dieses bat JEAN LE Loup mit<br />
<strong>der</strong>selben Genialitat umgebildet, mit <strong>der</strong> MIcHELANGELO den Plan<br />
BRAMANTES fur St. Peter in Rom zu Ende gefi.ihrt hat.<br />
1/10<br />
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Lebensiauf.<br />
Am 8. November 1882 bin ich, HANs CARL KUNZE, in Magdeburg<br />
gehoreîi. Von Ostern 1889 an besuchte ich drei Jahre lang<br />
die Biirgerschuic in Magdeburg-Neustadt. Osterin 1892 trat ich in<br />
das stdtische Kônig Wilheims-Gymnasium in Magdeburg ein. Von<br />
Ostern 1901 bis Ostern 1902 studierte ich in Halle, im Sommersemester<br />
1902 in Marburg, bis zum Herbst 1904 wie<strong>der</strong> in Halle<br />
evaugelische Theologie. lch hôrte Vorlesungen bei den I-lerre.n Professoren<br />
<strong>und</strong> Dozenten ÀÀLI,, CLnrnIx, CONRAD, GERUARD FIcEEIt,<br />
GOLDSCHMIDT, HATIPT t, HERING, HERRMAIÇN, HOIJLMANN, ,JtLICHER,<br />
KiHLEB, EMIr KAUTZSCII f . KRAETiSCJIMAR f, KIRCIIUOYF j-, Looi's,<br />
LiTGERT, MInET, HEISCULE f, ROBERT, ROTUSTEIN. SCUWARZ, So1j MER-<br />
LAI), STAMMLER, STEUERNAGEL, UPIILES, VAIHINOER. WARNECK f.<br />
1m 1)ezember 1905 besta.nd ich das Examen pro licentia concionandi.<br />
1m Januar 1906 bezog ich die Universitiit zu Straflburg i. E..<br />
uni christiiche Archo1ogie <strong>und</strong> Kunstgeschichte zu studieren. Meine<br />
Lehrer waren hier die Hei'ren Professoren <strong>und</strong> Dozenten DEIII0,<br />
.TOJ{ANNES FICKER, HARTMANN, MI0HAELIS f1 POLACZEK, SP1EGEL-<br />
13ER& WINTEII. Theologisehe Voriesungen hrte ich noch bei Herrn<br />
Lic. Dr. SCHWEITZER. Am 24. Juif 1909 bestand ich das philosophische<br />
Doktorexamen. Vom 1. Oktoher 1909 bis zum 30. Semptember 1010<br />
genhigte ich meiner mi1itrischen Dienstpfiicht im Badischeii Fufiartillenieregiment<br />
Nr. 14 in Stral3burg i. E. Seitdem bin icli mit <strong>der</strong><br />
Erweiterung meiner Doktorarbeit <strong>und</strong> mit einigen kleineren baugeschiclitlichen<br />
Untersuchungen besch&ftigt.<br />
Allen meinen verehrten Lehrern bin ich zu grol3em Danke verpfiichtet,<br />
ebenso Herrn Prof essor Dr. WILHFLM VOUE in Freiburg i. B.<br />
fur das iebhafte Interesse, das er nieiner Arbeit entgegengebracht<br />
hat, <strong>und</strong> f ir seine vielfach bewiesene Hilfsbereitsc.haft.