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Das Fassadenproblem der franzosischen Fruh- und Hochgotik

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<strong>Das</strong> <strong>Fassadenproblem</strong><br />

<strong>der</strong> franzôsischen<br />

Früh- <strong>und</strong> <strong>Hochgotik</strong><br />

Inaugural - Dissertation<br />

zur Erlangung <strong>der</strong> Doktorwùrde<br />

<strong>der</strong> hohen philosophischen Fakultât<br />

<strong>der</strong> Kaiser Wilhelms- Universitât zu Straf3burg<br />

vorgelegt von<br />

Hans Kunze.<br />

r- -<br />

Leipzig<br />

Druck von Oscar Brandstetter<br />

Document<br />

1912<br />

il il il il il M 1111 il Ili 11111111<br />

0000005776702


Von <strong>der</strong> philosophischen Fakultât genehmigt am 24. Juli 1909.<br />

Die Abhandlung erscheint in bedeutend erweiterter Gestalt <strong>und</strong><br />

mit zahireichen Textabbildungen <strong>und</strong> Tafein unter dem Titel ,,<strong>Das</strong><br />

<strong>Fassadenproblem</strong> <strong>der</strong> Gotik bis zum StraBburger Münster" in den<br />

von Johannes Ficker herausgegebenen ,,Studien über Christiiche<br />

Denkmâler" Leipzig, Dieterich'scher Verlag (Th. Weicher). Auf diese<br />

Ausgabe beziehen sich die Hinweise auf Abbildungen <strong>und</strong> auf d i e<br />

Seitenzahlen, die über 75 hinausgehen.


Abkirzungen.<br />

V. BEZOLD = G. V. BazoLo, Die Entstehung <strong>und</strong> Ausbildung <strong>der</strong> gotischen<br />

Baukunat in Frankreich. (Zeitschrift fbr Bauwesen, 1891; auch in Separatabdruck<br />

ersehieneu.)<br />

Bail. arch. du comité Bulletin archéologique du comité des travaux historiques<br />

et scientifiques. Paris.<br />

Bull. mon. = Bulletin monumental. Paris et Caen.<br />

Cathédrales de Franco A. DE BAUDOT & A. PEBRAULT-DÂBOT, Les cathédrales<br />

de France. Paris (ohne Jahreszahl: ungefhr zwischen 1905 <strong>und</strong> 1910 erschienen).<br />

Congrès areh. = Congrès archéologique de France. Paris et Caen.<br />

I). & y. B. = (I. DERIO <strong>und</strong> G. y. BEZOF.D, Die kirchiiche Baukunst des<br />

Abendlandes. Stuttgart 1884-1901.<br />

G.IIEABAu» -= JULES GAILHAI3AUD, L'architecture du V au XV1I siècle<br />

et les arts qui on dépendent. 4 Bhnde Tafein mit erkl.rendcm Tait in 40.<br />

(Zuweilen sind die Foliotafeln, um nicht gebrochen su werden, in einem beson<strong>der</strong>en<br />

5. Bande in 1 0 vereinigt.) Paris 1858.<br />

Mx HASAK, Die romanisehe <strong>und</strong> die gotisehe Baukunst, Der<br />

Ktrchenbau. (.Handbuch <strong>der</strong> Arehitektur II, 4, a. %, Stuttgart 1902.<br />

KIEU --= TILOIAS H. Knw, The study-book of inediaeval architecture and<br />

art. London 1868.<br />

Mon. hist. = A. DE BAUDOT et A. PEREAULT-DAnOT, Archives de la commission<br />

(les monuments historiques. Paris c'a. 1900. ('Cher die Groflfolioausgabe<br />

siehe S. 17, Anm. 1.)<br />

VILLARD DE HoNNEcou1T = J. B. A. LASSOS et A. DAECEL, Album de<br />

V. DE H. Paris 1858.<br />

V.-a.-D. = M. VIOLLET-LE-DUC, Dictionnaire raisonné de l'architecture française<br />

du XIs au Xvi. siècle. Paris 1858-1868.


Bemerkung.<br />

Zur bequeinen Bezeichnung <strong>der</strong> einzelnen Punkte in komplizierten Gr<strong>und</strong>rissen<br />

legen wir dnrch die Figur ein Netz von Koordinaten, indem wir von <strong>der</strong><br />

Vierung ans nack allen vier Richtungen ziihien, wie es beistehende Figur veranschaulicht.<br />

fl2 fl1 fl S 81 82<br />

E11<br />

E1<br />

N111 N11 N1 Vicrung SI S1,<br />

=<br />

w»<br />

flj n 8<br />

w1v<br />

-- - ,.-. w4<br />

Die Koordinaten, die sich in den Vierungspfeilern schneiden, erhalten keinen<br />

Index, weil in Ubereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch das erste<br />

Pfeilerpaar 1m Langhausc, Chore <strong>und</strong> Querhause au.f die Koordinate mit dem Index 1<br />

fallen soU. Aile Puukte fassen wir ais Kreuzung zweier Koordinaten auf. Die<br />

Joche betrachten wir ais Streifeji zwischen zwei Koordinaten <strong>und</strong> zahien sie<br />

ehenfails von <strong>der</strong> Vierung aus mit den eutsprechenden groden Bnchstaben, <strong>und</strong><br />

zwar so, daB w1, also z. B. das Pfeilerpaar nw1 <strong>und</strong> 8W1, auf dus Joch TV1 folgt.<br />

L<br />

e2<br />

e1<br />

le<br />

J w1


- VII -<br />

Ein Setenschiffsjoch wird ais Deeknngsfl.che zwcier Streifen aufgefaBt <strong>und</strong> dciiicntsprehend<br />

bezeichnet, also z. B. das nird1ichste Joch des westlichen Seitenschiffes<br />

im Querhausc ais N j1W1, des zum Langhausmittelschiffsjoch W 7 gehrige<br />

nrd1iche Seiteuchiffsjoch ais N1 TVj , Wenn nur vom Langhause o<strong>der</strong><br />

Chore die Rede ist, genUgt zur Bezeichnung eines ganzen Joches die romisehe Ziffer.<br />

Di Turmstrebepfeiler bezeichnen wir nach folgendem Schema (vgl. S. 8):<br />

m m n


A. 1 .<br />

-<br />

4<br />

• .<br />

I . .


Die Lisung <strong>der</strong> Probleme, die die Anpassung <strong>der</strong> Fassade au<br />

(las Langbaus einer gotischen Kirche stelit, nehmen die gotischen<br />

Batimeister erst in Angriif, ais <strong>der</strong> neue Stil allen an<strong>der</strong>en Tdilen<br />

des Gebiudes seinen Stempel aufgedriickt hat. Ebenso hat sicli<br />

die Kunstgeschichte mit. den Fassaden sptr nur wenig be1iftigt.<br />

Beides ist ganz natiirlich. Denu die <strong>der</strong>en Lsung die<br />

Umwandlung des romanischen Baustils zrnn gotisclien herbeifiihren,<br />

stelit nicht <strong>der</strong> Fassadenbau, sic stelit viemehr <strong>der</strong> die kompliziertesten<br />

Gewiilbeformen erfor<strong>der</strong>nde Chorumgaug mit Kapellenkranz<br />

<strong>und</strong> das mit ekiaBig wi<strong>der</strong>lagert.en KreuzgewMben zu<br />

iiberspannende Hochschiff des basilikalen Aufbaus.') Diese beiden<br />

Aufgaben erzeugen den gotischen Stil 2) <strong>und</strong> ihre vo1kommene<br />

1) Die Ûberwilbung trapezftirmiger iirid dreieekiger Gr<strong>und</strong>risse (letztcre<br />

heson<strong>der</strong>s in den Chiiren von Notre-Dame in Châlons, Paris <strong>und</strong> Bourges in frilhgotiseher<br />

<strong>und</strong> dom Ohor <strong>der</strong> Kathedrale von Le Mans in hochgotischer Zeit) orzog<br />

zu groller Freiheit in <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>riBhiiung. Sehr bald hatte man an dieen<br />

komplizierten Gowl1ben eine <strong>der</strong>artige Feiide, daB man sie ohne Notwendigkeit<br />

aueh auf au<strong>der</strong>e Riume Ubertrug. Vgi. ais ein sehr friihes Beispiel das<br />

Gew1be eincs Kapitolsanies im Skizzenbuche des VxanÀuu DE HONECOURT,<br />

Taf, XL (librigens cin Gewiilbe, das ans <strong>der</strong> Znsainmenstellung von Dreiecken,<br />

wie sie sich bei den genaunten Chorumgngen von sclbst ergabeu, gebildet ist,<br />

das aber nich4 mit den spteren - Sterngewdlben zu tun bat). Die


-2-<br />

Lisung bringt ihu zur Reife, aile an<strong>der</strong>en Neubildungen sind gewissermal3en<br />

mir Nebenprodukte. ,,<strong>Das</strong> ÀuBere ist in <strong>der</strong> gotischen<br />

Phantasie das sekullddre Eeiini; es erreicht we<strong>der</strong> die logische<br />

Konsequenz noch die stimmungsvolie Einheit des Innenbaus."')<br />

Eine deutsche romanisehe Basilika im geb<strong>und</strong>eneri System bietet<br />

fir den Fassadenentwurf keine Schwierigkeiten. Die Gr<strong>und</strong>riBgestaltung<br />

ist sehr einfach: die Tiirme haben ein Quadrat von <strong>der</strong><br />

Gr&e eines Seitenschiffsjoches zur Basis, <strong>der</strong> Mittelbau ein halbes<br />

Mittelschiffsquadrat. <strong>Das</strong> geb<strong>und</strong>eiie Sytm behe.rr9ht also auch den<br />

Fassadengr<strong>und</strong>riss Dci 1 itw urf de Aufi iss hI3t dem Baumeister<br />

grol3e Freiheit. Vieifach nirnmt die Siockwerkeinteilung <strong>der</strong> unteren<br />

Turmgeschosse keinerlei Riic1icht auf die des Mittelbaues, ja hiufig<br />

wird eme beson<strong>der</strong>s gunstige -. Wir ung dadurch er, ie1t, dafl die<br />

Tiirme bis zur Mitte1sehiifshhe iiberhaupt nicht he<strong>der</strong>t <strong>und</strong> nur<br />

das Mittelsttick <strong>der</strong> Fassade <strong>und</strong> die oberen Turmgeschosse mit<br />

Fenster&fnungen <strong>und</strong> Dekorationen versehen sind. Die massigen,<br />

festungsturrnartigen Unterbaute <strong>der</strong> Tdme kontrastieren in diesem<br />

Falie sowohi mit dciii oft y ch'Vfisch dekorierten Mittelbau<br />

ais auch mit den selir leicht behandeiten freien Turrngeschossen:<br />

ein echt ron?aniehs Motiv. Durcli denGr<strong>und</strong>riB wie durch den<br />

Auhifl ist sehhef3lich cmi aut3eist gunsige Verteilung <strong>der</strong> Massn<br />

beit, die den SiIiJ zweitiirmigen Fassade zu voiler Ge1ti<br />

bringt. Deun da die TtÏie nur haib so breit sind wie <strong>der</strong> Mittelbau,<br />

doniiniert dieser eMc'hiéden, die TUrme sind nur seine TrC-'<br />

banten. Ans demselbenGr<strong>und</strong>e braucht <strong>der</strong> Mittelbau nicht liber<br />

die MitteischiffshLihe lii iisgef(ihrt zu werden; denn die Tiirme lassen<br />

sich auf so schmaler Basis auch bei miif3iger Hhenentwick1nng<br />

geniigend-ch1ank bilden, so daB sic nicht durcli ib'miil1e Hbhe<br />

ans <strong>der</strong> Proportion fallen. Eine doppeltiirmige Fassade des romanischen<br />

Stils ist also cia sehr kiares architektonisches Gebilde,<br />

sic stelit nichts weiter dar, ais den von zwei rIliij.mefl flankierteri<br />

Querschnitt des Mittelschiffs, d. h. des Hauptraumes <strong>der</strong> Basilika.<br />

Die franzisischen Fassaden <strong>der</strong> vorgotischen Zeit sind selten so<br />

gut proportioniert. Die schinste mir (allerdings nur nach Abbildungen)<br />

bekannte Fassade ist die <strong>der</strong> Kathedrale von Angers.<br />

portance que 1e8 architectes gothiques attachaient aux voûtes, élément générateur<br />

de leur style tout entier, ainsi que l'ont très bien compris ceux qui<br />

ont pénétré l'esprit de ce style, et surtout Viollet-le-Duc et Quicherat." C. ENLÂRT,<br />

L'art gothique et la Renaissance eu Chypre, t. I S. 278. Vgl. L. Dawsoze, La<br />

cathédrale de Reims imul1. mou. 190, S. 24f.<br />

1) D. & y. B. II S.163.


-3—<br />

Sie schlieft ein einschiffiges Langhaus ab. Deshaib kann das Verhltnis<br />

des Mitteistiickes zu den Turmen ganz beliebig grh1t<br />

werden. Die Fassaden basilikaler Anlagen haben aile zu dicke<br />

Tiirme, ihre Basis it )reiter ais ein Seitenschifï. <strong>Das</strong> Mittelstiick<br />

wird daller fast è rr cCkt. Dagegen sind oft auch die unteren<br />

Turmgeschosse von Ôffnungen durcbbrochen, die sich in <strong>der</strong>selben<br />

Stockwerkzahl wie die des Mitteistiickes bauen. Auch zeigen<br />

sich hier ud da schon ieichte Eckverstrebungen. Aber iin wesentlichen<br />

bsehe' doch die unteren Turmgeschosse ans g1attet Mauern<br />

mit geriiigen Durchbrechungen.<br />

<strong>Das</strong> ailes muf sich in <strong>der</strong> gotischen Zeit ân<strong>der</strong>n. Es ist<br />

nicht môglich, vor ein Langhaus mit eiiiern zur Sch gesteliten<br />

Strebewerk Tiirme zu setzen, <strong>der</strong>en untere 11dM te ans wenig durchbrocherien<br />

Mauern besteht; ilire Ecken miissen vielmehr ebenfails<br />

mit kritftig ausladenden Verstrebungeu 'eise1ien werden. Nachdem<br />

man aber diesen Eckstrebepfeilern die Aufgabe zigeesen hat,<br />

rfurmgeschosse zu er-<br />

die vorher die massigen \Vdnde <strong>der</strong> unteren<br />

f iillen hatteri, nmlich das Langhaus an seinem Eiide zu verstreben<br />

<strong>und</strong> die Obergeschosse <strong>der</strong> Tiirme zu tragen, bat es keinen Sinn<br />

mehr, die groBen Mauerflichen stehen zu lassen, ikiâi da jetzt die<br />

Fassade nicht mehr durch den Kontrast zwischen ungegIie<strong>der</strong>te'<br />

Tiirmen <strong>und</strong> reichgeglie<strong>der</strong>tem Mittelba9, / son<strong>der</strong>u durch die vier<br />

weitausladenden Strebepfeiler ihr Gepritge erhalt. Der Bequemlichkeit<br />

halber bezeiclinen wir die das Mittelsttick <strong>der</strong> Fassade einrahmenden<br />

Strebepfeiler stets mit m, die âufleren an <strong>der</strong> Stirnseite<br />

<strong>der</strong> Fassade liegeriden mit n, die nach dem Schitfe zugekehrten<br />

entsprechend mit u <strong>und</strong> y, <strong>und</strong> die, die an den einan<strong>der</strong> abgekehrten<br />

Seiten <strong>der</strong> Tiirme liegen, mit o (s. S. VII). Eine Durchbrechung<br />

<strong>der</strong> Turmwdnde zieht aber weitere Konsequenzen: die Ôffnungen<br />

miissen zu dem Aufbau des Langhauses <strong>und</strong> des Fassadenmittelstiickes<br />

in Bifng gesetzt werden. Es ergeben sich also neue<br />

Probleme f dr die Gr<strong>und</strong>rll3- <strong>und</strong> Aufrif3gestaltung. Die Aufgabe<br />

wird noch dadurch erschwert, dag <strong>der</strong> ganze Westbau in den<br />

Innenraum <strong>der</strong> Kirche einbezogen wird. Infolge dessn muB die<br />

eine Ecke <strong>der</strong> Tiirme auf einen Freipfeiler zu stehen kommen, <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Aufbau des Mitteistiickes mufi mit dem Stm des banghanses<br />

in Eiig gebraclit werden. Die Â1n <strong>der</strong> Turin-<br />

4<br />

wiinde erfa'ei't eine Versre.ung <strong>der</strong> Tiirme nicht nur an <strong>der</strong><br />

Fassadenseite <strong>und</strong> den einaner abgekehrten Seiten, son(Iern auch<br />

nacli dem Langhause zu <strong>und</strong> an den einan<strong>der</strong> zugekehrteii Seiten.<br />

Gegeneinan<strong>der</strong> kann man die Tiirme sehr leicht durch starke<br />

1.


4<br />

Gurtbigen mit Übermauerun crep yerspannen, so daB sich hier ihr<br />

Seitenschub aufhebt. dagegen stbBt man bei ihrer Wi<strong>der</strong>lagerung<br />

nach dem Larighuse zu auf gani ci heb1fhe Schwierigkeiten Die<br />

Hochschiffsgew1be Uben nattirlich einen geriugeren Schub aus ais<br />

die in ensp'recheii<strong>der</strong> Hihe liegenden, mit den Freigeschossen <strong>der</strong><br />

Tiirme belasteten Turmgesehosse, <strong>und</strong> die an den Seitenschiffswinden<br />

liegenden Turmecken erhalten im zweiten Geschot3 liberhaipt<br />

keinen Gegenschub. An dem einen Punkte befinden sich<br />

als 'o die chiid1ic.hen, einan<strong>der</strong> entgegenwirkenden Krf te nicht im<br />

Gleichgewicht, sie heben sich daher nicht auf, <strong>und</strong> <strong>der</strong> einen muB<br />

durch eine Verstrebung, die hier wegen des Gegensehubes <strong>der</strong> Hochschiffswand<br />

et.was schwitcher ais an deii an<strong>der</strong>en Ecken sein kann,<br />

entgegengewirkt werden, am ande.rn Pullkte ist eine ebenso starke<br />

Verstrebung wie an den vI1ig freiliegenden Turmecken eîôi1erlich.<br />

Diese 'ireift in die Seitenschiffswand ein <strong>und</strong> verdeckt ein<br />

Seitenschiffsfenster ganz o<strong>der</strong> teilweise, jene kann iîberhaupt nicht<br />

bis zum Erdboden heruntergefiihrt, soi<strong>der</strong>n mufi durci die erste<br />

Langhausarkade abgefangen werden. 1m Hochschiff verdeckt sie<br />

ebenfails ein Fenster. Die Freipfeiler <strong>der</strong> Tlirme miissen wegen<br />

ihrer starkeren Belastung dicker gebildet werden ais die chiffspfeiler.<br />

Pas entspricht nicht dem Ideal; deun dieses veiIangt ja,<br />

daB die durch den Westbau gebildete Travee im Innern lediglich<br />

ais ein Scbiffsjoch erscheint. <strong>Das</strong> System miiBte also ohiie jede<br />

Unterbrechung bis an die Fassadenwand fortgefiihrt werden. Die<br />

dickeren Turmpfeiler bilden daher eine sehr stark in die Augen<br />

springende Unterbiechtrng des Systems, die so lange noch ertrglich<br />

bieibt, ais man im Mittelschiff sechsteilige Gewlilbe <strong>und</strong> einen<br />

Wechsel von stiirkeren <strong>und</strong> schwacheren Stiitzen auwendet. Die<br />

stiirkeren Schiffspfeiler siiid zwar immer noch bedeutend schwLcher<br />

ais die Turmpfeiler, aber die diir1 den Stiitzenwechsel erzeugte<br />

Gruppierung <strong>der</strong> Schiffsjoche errdtèrt die Bildung eines an<strong>der</strong>s<br />

gearteten abschiieflenden Joches, un1a1 da dieses aueh mir die<br />

halbe Breite eines Schiffsdoppeljoches hat <strong>und</strong> also deshalb schon<br />

zu den Ubrigen Jochen in einem gewissen Kontraste steht. Sobald<br />

aber das einfache rechteckige Kreuzgewlilbe im Hochschiff zur Anw'eMung<br />

gelangt <strong>und</strong> die unter sich vl1ig gleichen Stiitzen eine<br />

forUaufende Reihe bilden. verursacht das letzte, dickere Pfeilerpaar<br />

eine empfindliche Dissonanz.<br />

Zu diesen rein technischen Schwierigkeiten in <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>riBgestaitung<br />

<strong>der</strong> Ti.irme gesellen sich Schwierigkeiten <strong>der</strong> Aufrit3komposition.<br />

Die Gotik iibernimmt vom Romanismus das Rad-


-5---<br />

fenster, die sog. Rose, ais Hauptfenster <strong>der</strong> Fassae. Wtihrend aber<br />

im i'omanischen Stil die Rose fur die Innenwirkung kaum in Betracht<br />

kommt, da sie zur Beleuchtung <strong>der</strong> über <strong>der</strong> gesehiossenen Vorhalle<br />

liegeiiden Empore dient, beherrscht die gotische Rose auch<br />

im Inneru die von obeu bis unten ait durchgeftihrte Fassadenwarid.<br />

Soll full die Fassade in ihrem Aufbau mit dem System des<br />

Langliauses in Eii1fl'ig gebracht werden, so inacht die Rose<br />

Schwierigkeit. ihr Durchmesser ist durch die Langhausbreite bestimmt,<br />

<strong>und</strong> durcli ihre Gri13e wird. wie<strong>der</strong>um die Hhe des Roserigeschosses<br />

festgelegt; dasheiBt: dessen Hihe ist nicht abhitngig von <strong>der</strong><br />

vertikalen Aûsdéhhuig eines BauÏ"i'i'è'des des Langhauses, son<strong>der</strong>n<br />

von semer horizontalen. Je breite.r das Mittelschiff des Langhanses<br />

ist, desto grtil3er ist die Rose un desto hiher ist das Rosengeschol3;<br />

vermin<strong>der</strong>t sich mit z 1ïreidèrr Vertikalismus <strong>der</strong> Gotik<br />

die Breite des Langliauses 1m Verliaitnis zu semer H]ie, so verliert<br />

auch das Rosengesehoil an (ewiclifJ Jede neue, an<strong>der</strong>s proportionierte.<br />

gotische Basilika stelit also f tir die Komposition <strong>der</strong><br />

Fassadensto1ke neue Probleme.<br />

Die zweite Schwierigkeit <strong>der</strong> AufriBgestaltung bietet die Proportionierung<br />

<strong>der</strong> Massen. Durch die weit ausladenden Strebepfeiler,<br />

(beson<strong>der</strong>s die Pfeiler o) wird die Masse <strong>der</strong> Tiirme betriic1itlich<br />

vermehrt, so dafl ihnen gegeniiber das Mittelstiiek an Gewicht zu<br />

verlieren droht. Es giit also, ehi Mittel zu finden, das das btioIt<br />

Gleichgewicht wie<strong>der</strong> herzustellen ermigiicht.<br />

Die Fassadeii <strong>der</strong> fruïhgotischen Kirchen.<br />

Betrachten wir nuii die historisclie Entwicklung <strong>der</strong> gotischen<br />

Fassaden. Beim ,,ersteri Monument <strong>der</strong> Gotik", <strong>der</strong> Abteikirche<br />

von St. Denis, sind die neten Probleme teils noch gar nicht<br />

kannt., teils werden sie ùgen. Die Turmh1le tffnet sich beÇts<br />

nacli dem Schiff <strong>der</strong> Kirche, die Fassade e'r'1t ihr diirch<br />

die vier mtichtigenStretepfeiler, die Mauermassen zwischen den<br />

Streben sind stark <strong>Das</strong> ist das Neue. <strong>Das</strong> Problem des<br />

Anschlusses dieses Turmbaues au das Langhaus wird dagegeii noch<br />

uûigaien. <strong>Das</strong> frtihgotische Langhaus besteht ans vier Doppeljochen<br />

von je einem Mittelschiffsquadrat mit sechsteiligem Kreuzgewblbe<br />

<strong>und</strong> zwei Seitenschiffsquadraten. 1) <strong>Das</strong> westlichste Doppeljoch<br />

schliel3t aber niclit unmittelbar an die Tiirme an, son<strong>der</strong>u an cm<br />

durchgehendes Joch von <strong>der</strong> halben Breite eines Doppeljochs. Dieses<br />

1) Siehe die Rekonstru1tion des Gruadrisses bei D. & y. B. TaL 146.<br />

y


-6-<br />

vom TJmbau des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts verschonte Joch bat lediglich<br />

konstruktive Bedeut 'ung. Es erfUflt an <strong>der</strong> Ostseite <strong>der</strong> Turmhalle<br />

dieselbe Aufgabe, die den Strebepfeilern an den freistehen<strong>der</strong>i Seiten<br />

<strong>der</strong> Tiirme obliegt Da die Basis <strong>der</strong> rilûrme breiter ist ais ein<br />

Seitenschiff, so f allen die Verstrebungen y neben die Seitenschiffsrnaueri<br />

irnd verdecken diese in dem erste Joeh. Durci die Einftifig<br />

dieses Halbjochs wird das Eiiis1çjden <strong>der</strong> Purmverstrebungen<br />

in das westlichste Doppeljoch ven 'ieden, das eigentliche,<br />

erst hinter diesem Strebejoch" beginnende System des , Langhauses<br />

bleibt also frei von je<strong>der</strong> ljnregelmiiBigkeit. Alrdins ist auf<br />

diese Weise das Problem nic.ht gc1st, son<strong>der</strong>u umgangen worden<br />

(s. Fig. 1).<br />

Wie sich <strong>der</strong> AufriB <strong>der</strong> Fasac1e minSystem des Langhauses<br />

verhalten bat, liil3t sich olme gellaue Aufnahmen <strong>der</strong> Kircht, nicht<br />

feststellen. 1) Einen Fehier jedoch bat <strong>der</strong> Meister uic.ht vhieden.<br />

Da die Tiirme breiter sind ais die Seitenschiffe, <strong>und</strong> ihre Masse<br />

durch die Strebepfeiler o erheblich vermehrt wird, erhalten sic ein<br />

zu groBes Ûbergwfht über das Mittelstiick.<br />

,,Die ersten, die sich St. Denis schuhnL13ig anschlossen, waren<br />

die Kathedralen von Senlis <strong>und</strong> Noyon".') <strong>Das</strong> FassadeTiproblem<br />

lsen beide iii durchaus versehiedener Weise. In Seuils bat die<br />

Basis <strong>der</strong> Tiirme die Grif3e eines Seitenschiffsquadrates. Die Verstrebungen<br />

r werden durch Wndeltreppei gebiidet, die das erstç<br />

Seitenschiffsjoch verdecken. Bei jz sind keine Verstrebungen<br />

lianden; dafiir ist aber die çrste Schiffsarkade bedeutend strker<br />

gebaut ais aile aii<strong>der</strong>en. 3) Die Tiirme sind sehr sch1hk, <strong>und</strong> das<br />

Mittelstiick dominiert enEs1jïeden, Fur die Portalanlage sind<br />

aber diese Proportioneii hichst ungiinstig. Wenn aile drei Portale<br />

den gauzen llaqm zwischen den Strebepfeilern einnehmen soilen -<br />

<strong>und</strong> das ver1gt das gotische Prinzip -, so wird das Mittelportal<br />

nicht nur viel breiter, son<strong>der</strong>n auch entspec1ied 1iiher ais die<br />

Seitenportale. 1m Aufbau <strong>der</strong> Tiirme eiitsptchen die beiden ersten<br />

Geschosse den Seitenschiffen <strong>und</strong> den Ernporeii, das dritte, von je<br />

zwei Blendarkaden gebildete, dem Obergaden. <strong>Das</strong> Mittelstiick<br />

nimmt keine Riicksicht auf das System des Langhauses; es besteht<br />

ans dem grof3en Portai <strong>und</strong> einem Spitzbogenfenster. llhiler dem<br />

dritten GeschoB des Mittelstiicks (gleich dem vierten <strong>der</strong> Tiirme)<br />

1) Die âsthetische Wiirdigung <strong>der</strong> Fassaile siehe bei D. & y. B. I S. 636.<br />

2) D. & v. B. II S. 58. Aufnahinen von Senlis in Mon. hist. I, Taf. 32-34<br />

<strong>und</strong> Kin III 69-74.<br />

3) AIso eine âhnliclle Liisung wie in St Denis.


- I<br />

lag das Dach des frtihgotischen, in spttestgotiseher Zeit umgebauten<br />

<strong>und</strong> erhhten Hochschiffes. Dieses Gesehol) bildet ein horizontales<br />

Bad, dits die drei Telle <strong>der</strong> Fassade oben noch einmal<br />

zusamrnensphuieft, ehe sich die seibsUindigen Turmgeschosse eutckiiY<br />

In Noyon haben die Tiirme wie<strong>der</strong> wie in St. Denis fast die<br />

Breite des Mittelsehiffes, wolil den Portaleii zuliebe. Zwischen den<br />

Strebepfeilern i <strong>und</strong> den Seitenschiffswndell bleibt noch Raum fur<br />

Wendeltreppen. In den Obergaden einsc1ineiende Verstrebungen (u)<br />

fehien gnzlich. Infolge <strong>der</strong> beinahe gleichen Breite haben die<br />

drei Portale auch die gleiche Hhe'), <strong>und</strong> zwai sind sic hther ais<br />

die Seiteschifie. 1m Aufril3 ist also ein Anch1iii3 <strong>der</strong> an<br />

die Ab1eii nicht môglich. <strong>Das</strong> Innere <strong>der</strong> Tiirme iffnet sich bis<br />

zur JIhe des Hochschiffsgesimses nach dem Mitteistiick <strong>und</strong> bildet<br />

mit diesem gewisserma0en ein westliches Querhaus 2), in das das<br />

MitteIschiff, die Seitenschiffe <strong>und</strong> die Emporen des Larighauses<br />

münden,'ein auBerordentiich gliickiicher G edanke, <strong>der</strong> lei<strong>der</strong> nicht<br />

wie<strong>der</strong> aufgenommen wurde. Die untere Hi%lfte des Auf risses dieses<br />

,,Querhauses" nimmt das Portalgeschol3 cm, die obere eine Reille<br />

von drei Fenstern. 3) Es ergeben sich also durchgehend Horizontallinien,<br />

wie sie in St. Denis <strong>und</strong> Senlis nicht vor ande' n sind. tber<br />

deii beiden Hauptgeschossen zieht sich, wie in Senlis, eine den<br />

Hochschiffsgiebel verdeckende Blendgalerie hin. Diese Galerie,<br />

wohl eine 1',-inbi1iung des entsprechenden Gescliosses <strong>der</strong> Fassade<br />

von Senlis, hat e.ine sehr wichtige Roue zu spielen. Per Meister<br />

<strong>der</strong> Fassady ou Noyon hatte wohl das oben an <strong>der</strong> Fassade von<br />

St. Denis gerte Mi13erhiiitnis <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong> Tiirme zur Masse<br />

des Mitteistuckes empfun(ien Mit <strong>der</strong> Breite wachs naturlich auch<br />

die Hôlie <strong>der</strong> Tbrme. Sie erhiiltn aiso in doppelter Beziehung das<br />

TJbergewicht über das Mittelsttick, so daB dieses gewisserinaBen<br />

nur noch die Brücke zwischen den beiden Ttirmen bildet <strong>und</strong> jede<br />

seibstiindige o<strong>der</strong> gar dominierende Bedeutting verliert. Diesen<br />

1) <strong>Das</strong> mittiere Portai ist von einem Bo-en iiberw51bt, <strong>der</strong> noch fast cinen<br />

Halbkreis bildet, die beiden scitiiehen zeigen eine stiirkere Znspitzimg. In<br />

St. Denis haben aile drei Portale noch den reinen R<strong>und</strong>bogen .bei verschiedener<br />

Breito <strong>und</strong> Robe <strong>der</strong> Portale. In Noyon maeht es die Àdwndnng eines Spitzbogens<br />

mglich, die gleiche Scheitelhthe trotz versehiedener Breito <strong>und</strong> gleieher<br />

Kimpferhiho zu erreichen.<br />

2) G. UNGEWITTER, Lehrbuch <strong>der</strong> gotischen Konstruktionen Leipzig 1859<br />

bis 1864, S.564.<br />

8) <strong>Das</strong> mittlere wurde spter umgestaltet, auch die Vorhalle ist nachtrg-<br />

Jich angefiigt worden.


-8---<br />

Eindruck vermehrt die stark betonte Glie<strong>der</strong>ung durcli die Strebepfeiler.<br />

Denn das Auge sieht nebeneinan<strong>der</strong> drei deutlich voneinau<strong>der</strong><br />

ge&ennte Teile in ihrer ganzen vertikalen Aiisd1nmg:<br />

den iinken Turm von <strong>der</strong> Basis bis zum Heim, das Mittelsttick von<br />

<strong>der</strong> Basis bis zuni Giebel, den rechten Turrn von <strong>der</strong> Basis bis<br />

zum Heim. Die Fassade zerf1lt also in drei voneinan<strong>der</strong> unabliitngige<br />

Teile, da infolge <strong>der</strong> Kleinlieit des Mittelstiicks 1on , einer<br />

Untei'ordi'iuiig 'zweier G-lie<strong>der</strong> unter ein drittes iiichts zu iiiiist.<br />

Diesen Fehier vermied <strong>der</strong> Meistei' von Noyon dadurch, daB er den<br />

Mittelschiffsgiebei durci ein drittes (-'yeschot3 in Gestalt einer Blendgalerie<br />

verdeckte <strong>und</strong> so die Masse des Mittelstticks nui die Hhe<br />

dieses Gesehosses verinehrte.. Denn ein Mittelschiffs gi e bel erscheint<br />

dem Auge mir ais die Kriiiiuug, das dwch. die Galerie gebildete<br />

Rechteek rechnet man aber uiiwillkiirlicli zwn Krper des<br />

Mittelstiicks. Die Galerie zieht sich zwar auch um die r1i1.me<br />

herum, wird aber von den trebepfeilern in iTeile zernite&<br />

Die durchgehenden Hoiizontallinien haben berup ha eine se wachere<br />

Bildung ais die séhkréciiten Teilungslinien, die Strebepfeiler.<br />

Wir kommen nun zu eineru Bau mit giinzlich an<strong>der</strong>n Baumproportionen,<br />

ais sie die (Irei bisher besprochenen Kirclie.n liaben,<br />

zur Kathedrale von Sens.') Sens lie-t, siidistiich von Paris in <strong>der</strong><br />

Hochchampagne, unwei <strong>der</strong> Grenze dieser Landschaft gegen Barg<strong>und</strong>.<br />

\Tieileieht erhr 4 die Nachharschaft <strong>der</strong> burg<strong>und</strong>ischen<br />

Baateu die breiten Raumproportionen, vielleicht ergaben sie sicli<br />

ledigiich ails <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>benutznng alter F<strong>und</strong>amente. 2) <strong>Das</strong> Mitteischiif<br />

hat eine Achsenweite von 15m <strong>und</strong> eine Hbhe von 25 in.<br />

Lei<strong>der</strong> steht von <strong>der</strong> Fassade des 12. JaIu'h. mir noci <strong>der</strong><br />

n$rd1iclie Turm. Der siidiiche sttirzte mi Jahre 1267 eiii <strong>und</strong><br />

wurde saint dem Mittelstiick <strong>der</strong> Fassade <strong>und</strong> <strong>der</strong> SUdwestecke des<br />

Schiffes in hochgotischeiFormen wie<strong>der</strong> aufgefUhrt. Unsere Keuntnis<br />

<strong>der</strong> Baudaten ist -1iienhat. l5ie Kathedraie wurde miter dem<br />

Trzbischof HENni U SANGLIER (1122 bis 1143) begonnen <strong>und</strong> wurde<br />

mit Ausnahrne <strong>der</strong> Fassade 1168 vollendet. 1m AiischluB au den<br />

Neubau des Slldturmes erhielt das IJochschiff hihere Fenster, ui<br />

die von <strong>der</strong> Hochwand zum Gelhecheit'et ansteigenden i!eit<br />

<strong>der</strong> sechsteiligen Gewôlbe wiirden durch neue mit \s1'flMn<br />

1) Zur Baugcschichte <strong>der</strong> Kathedrale von Sens vgl. CHARLES PoaÉi-, Sens<br />

<strong>und</strong> Les architectes et la construction de la cathédrale de Sens auf S. 209 if. <strong>und</strong><br />

559 if. im Congrès ar&h. 1907. Tinsere Fig. .5 nach dem Gr<strong>und</strong>rifi von LEF:VRE-<br />

PoN'r&nIs hinter S. 210 mi Congrès arch. 1907.<br />

2) P0aÉE S. 562.


Scheitel ersetzt. <strong>Das</strong> in <strong>der</strong> Achse des Seitenschiffes liegende Portai<br />

wurde ebenfails erst im 13. Jahrh. durchgebiochen.1) Pen Aufril3<br />

<strong>der</strong> alteil Fassade i8t uns noch die Stockserk11iii<br />

des Nordturmes ahuen. Über dem Portai foigt eine Blendgaierie,<br />

dann ein Gesims, das sich urspring1ic1i in gleicher Hihe liber<br />

dem Hauptportal fortsetzte. Dieses Gesims liegt in <strong>der</strong> Hthe<br />

des FuBbdens des Triforiums. Den Raum des Triforiums <strong>und</strong><br />

Oberi ninimt an <strong>der</strong> Fassade cia FenstergeschoB ein. Die<br />

offene Z' iaierie, die am Langhause vor <strong>der</strong> Erneuerung <strong>der</strong><br />

Fenster <strong>und</strong> <strong>der</strong> dazugehirigen Gew1bekappen die HShendifferenz<br />

zwischen <strong>der</strong> Hochschiffswarid <strong>und</strong> dem G ewOlbescheitel ausglich,<br />

setzt sich am Nordturm iii Forai einer kleinen Blendgalerie<br />

fort <strong>und</strong> lief wohl ursprUnglich auch liber das MittelstUck <strong>der</strong> Fassade<br />

weiter. Hier am Mittelstiick entspracfi den Seitenschiff en das<br />

Portai, dem Obergaden saint Triforium ein Fenster. Aberiè sali'<br />

dieses Fenster aus? War es cia schlankes Spitzbogenfenster<br />

zwischen zwei Blenden wie an den TUrmen? Wohi kauni. Die<br />

dieimalige Aieiidung desselben Motivs hutte gar zu i 'tfig geii'kt.<br />

O<strong>der</strong> ein breiteres Spitzbogenfenster, wie an dem Neuban<br />

des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts? Es Mtte dann seine Parallelen in Senlis<br />

<strong>und</strong> Noyon gehabt. Aber an diesen beiden Fassaden ist das Feld<br />

schlanker, wubred in Sens im 13. Jahrhun<strong>der</strong>t dm Gesims liber<br />

dem Portai tiefer g1egt werden muBte, damit ein Fenster von<br />

einigermaf3en éxtruichen Verhuiitnissen Platz erhieit. Die annuhernd<br />

quadratische Form des Feldes liber dem Portai iegt es<br />

nahe, eine Rose ais Hauptfenster <strong>der</strong> Fassade anzunehmen. Vielleicht<br />

war die Blendgalerie liber dem Fenstergeschol3 <strong>der</strong> Tiirme<br />

beim flbergang zum Mittelstiick <strong>der</strong> Fassade etwasaufwiirts<br />

kripft, wie an <strong>der</strong> Westfassade <strong>der</strong> Kathedraie von Laon. Dama<br />

wure die Rose von einem reinen Quadrat ùinia1init gewesen. Don<br />

gieichen Fassadenaufrif3, ein den Seitenschiffen entsprcchendes Untei'geschoB,<br />

dariber eine Rose, finden wir an <strong>der</strong> Kirche St. Yved in<br />

Braisne wie<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Quersclinitt etwas schlanker ais <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Kathedrale in Sens ist. Da die drei Fassaden in Braisne turmios<br />

sind steilten sie kein beson<strong>der</strong>es. Problem.<br />

À<br />

Der Gr<strong>und</strong>riB <strong>der</strong> Tirme paB ich, im Inneru den Seitenseluflen<br />

ni <strong>der</strong> Breite genau an AiiBen spi ingen die Turme ubci<br />

die Fiùclit <strong>der</strong> Seitenschiffswande nicht bèthûicli or. Am<br />

Nordturin hat daher die nOrdiiche, am Siidturm hatte die siidii(-he<br />

1) POEE S. 223.


- 10 -<br />

Wand 1) eine Stitrke von 5 1/.m. Trotzdem hat man es f lir ntig<br />

gehalten, sie in <strong>der</strong>selben Stitrke ais Strebepfeiier soweit nach Osten<br />

fortzusetzen, daB das 1 erste Seitenschiffsjoch verdeckt wird. An<br />

den dem Mittelschiff zugIehrten Ecken rûh 'eh die Tiirme auf Freipfeilern.<br />

lJiese haben zwar ebenfails eine bedeutende Stitrke, sind<br />

aber im Vergleich zu den dicken Turmwitnden <strong>und</strong> fur die Last<br />

<strong>der</strong> oberen, mir durci kleine Ôffnungen , er1eihterten Turmgeschosse,<br />

immer noch zu schwach. Der Eiisturz âes Siidturmes hat daf tir<br />

den Iewe'is ge1iefert.2)<br />

Wann entstand nun <strong>der</strong> Entwurf zu dieser Fassade? In Angriif<br />

genommen worden ist sie erst am Ende des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts.3)<br />

Dagegen ist <strong>der</strong> Chor <strong>der</strong> Kathedrale sicher vor 1143 begonnen<br />

worden. Aber um diese Zeit kann <strong>der</strong> AufriB noch nicht in allen<br />

Teilen so augese1ien haben, wie <strong>der</strong> zur Aufiihiûng geÏangte Bau.<br />

Die offenen Strebebtgen waren damais noch unbekannt. 4) Vielmehr<br />

machen es die im VerhLitnis zuni Gesanitquerschnitt bedeutende<br />

llhe <strong>der</strong> Seitenschiffe <strong>und</strong> die gring Hbhe <strong>der</strong> Hochschiffsgewtilbe-<br />

.ipferwahrs(heinlich, daB <strong>der</strong> erste Etwurf nur mit einer<br />

Wi<strong>der</strong>lagerùng <strong>der</strong> Hochschiffsgewiilbe dureli Ubermauerung <strong>der</strong><br />

Seitenschiffsgurte gerechiiet hat. An<strong>der</strong>seits legt die Beobachtung,<br />

1) Bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung im 13. Jahrh. sparte man eine Nische aus.<br />

2) )ber die Zeit <strong>der</strong> Erbanung <strong>der</strong> Fassade berichtet <strong>der</strong> gegen des Ende<br />

des 13. Jahrli. schreibende Chronist GF.OFvROY DE CounoN nichts. Er erziihlt<br />

aber vom Erzbischof SEvIN (Ende des 10. Jahrh.) Tabulam argenteam et auream<br />

ante altare S. Stephani construxit, de qua postea ante majorem ecclesiam facta<br />

est turris mire et famose altitudinis." PORÉE (S. 546 f.) will unter diesem<br />

Turme den eingestilrzten Sildturm verstanden wissen, <strong>der</strong> im il. Jahrh. <strong>der</strong> Kirche<br />

des 10. Jahrhun<strong>der</strong>ts angefligt wordeu sei. L'ignorance où paraît être le chroniqueur<br />

à ce sujet nous la ferait plutôt attribuer à une époque assez éloignée de<br />

celle où il écrivait, c'est-à-dire au XIe siscle. Quoiqu'il en soit, la hauteur<br />

excessive de cette tour fut la cause de sa ruine. Dicser SchiulI ist etwas gewagt.<br />

Denu f Urs erste ist es zweifeuiaft, ob hier Uberhaupt von eincm Turnie<br />

<strong>der</strong> heute noch stehenden Kathedrale die Rode ist. Auch von einem spiiteren<br />

Einsturz dieses Tannes wird nic.hts gesagt. Zweitens fragt es sich, ob man<br />

miter turris wirklich nur einen Turrn verstehen muf3 o<strong>der</strong> uicht vielmehi die<br />

ganze Fassade. Drittens braucht <strong>der</strong> am Ende des 13. Jahun<strong>der</strong>ts schxeibende<br />

Chronist nichts von den Baudaten einer Fassade des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts zu wissen;<br />

die Gr<strong>und</strong>sein1egung, von dey er weuigstens berichtet, miter welchem Erzbischof<br />

sic stattgef<strong>und</strong>en bat, <strong>und</strong> die Weihc <strong>der</strong> dom Kultus dienenden Toile <strong>der</strong> Kirche<br />

waren wiehtigerc Ereignisse ais <strong>der</strong> Beginu o<strong>der</strong> die Vollendung <strong>der</strong> Fassade.<br />

Er erwiihnt ja auch den ,,Turm von wun<strong>der</strong>barer Hôhe" nur, mn einen MaBstab<br />

fur den Wert des Antependiums zu geben, ans dessen Erkis or erbaut worden ist.<br />

3) PoaÉz S. 564.<br />

4) D. & y . B. 1 S. 428 if.


- 11 -<br />

daB eine soiche unter den Seitenschiffsdichern liegende Verstrebung<br />

noch die (;ew]bekampfer erreiclien wiirde, deii SchluB nahe, daB<br />

<strong>der</strong> Qtierschnitt des muera in seinea jetzigen Abmessungen scion<br />

durci den ersten Entwurf festgelegt. war. Nur die offenen Strebebôgen<br />

wren dana ein spterer Zuskit Daraus foigt mit gro3er<br />

Wahrscheiniichkeit, daB <strong>der</strong> Entwurf <strong>der</strong> Fassade wenigstens in<br />

den Hauptiinien dem ersten Gesamtplan angeh4rt, daB die Fassade<br />

also gleickzeitig o<strong>der</strong> friher ais die von St. Denis entworfen<br />

wordea ist.<br />

Die erste gotische Kirche, bei <strong>der</strong>en Bau das Problem, die<br />

Fassade. sowohi im Gr<strong>und</strong>ril3 wie im AufriB dem Langhause genau<br />

aiizupassen, wirklich geliist worden ist., ist die Koilegiatkirche von<br />

Mantes.') Pie unteren Turmgeschosse haben genan die Dimensionen<br />

eines Seitenschiffsjoches <strong>und</strong> fiihren also die Seitenschiffe bis zur<br />

Fassade fort. Die Schiffsfenster nehmen in Mantes noch nicht den<br />

ganzen Raum zwischen zwei Strebepfeilern ein. Daher verdeckt<br />

die Verstrebung r auf <strong>der</strong> Nordseite das Seitenschiffsfenster nicht;<br />

au <strong>der</strong> Sidseite liegt eine Wendeltreppe vor dem Fenster. Bei u<br />

sind keine Strebepfeiler vohanden. Die Freipfeiler <strong>der</strong> Tiirme sind<br />

zwar im Vergleich zu den Schiffspfeilern immer noch sehr stark.<br />

Da aber das aus vier Boppeijochen bestehende Langhaus Stiïtzenwechsel<br />

<strong>und</strong> sechsteilige Kreuzgewibe hat, ren sie den Rhythmus<br />

des Systems nicht; denu das oblonge Joch<strong>der</strong> Turmhalie charakterisiert<br />

sich schon durch seine Gr<strong>und</strong>riBesiItung ais ein beson<strong>der</strong>es,<br />

zu den unter sicli gleichartigen Abteiiungen des Langhauses<br />

kontrastierendes Giied. 2) Auch <strong>der</strong> Aufbaru <strong>der</strong> Fassade<br />

entspricht dem des Langliauses <strong>und</strong> zwar im Mitteischiff wie in<br />

den TUrmen. Bas UntergeschoB liat die Hhe <strong>der</strong> Seitenschiffe,<br />

das zweite GeschoB liegt in Emporenhôhe, das Rosengeschof3 eutspricht<br />

dem Obergaden. Pas System besitzt kein Triforium. Der<br />

Raum zwischen Empore <strong>und</strong> Obergaden wird iiur durch einen<br />

Blendbogen geglie<strong>der</strong>t, <strong>der</strong> die drei Arkaden eines Emporenjoches<br />

zusammenfaBt <strong>und</strong> das luinter <strong>der</strong> Wand liegende transversale<br />

TonnengewL1be andeutet. Bern Meister war also f iir die Abgreii-'<br />

zung des zweiten <strong>und</strong> dritten Fassadengeschosses ein ziemlich weiter<br />

Spielraum gelassen. Er zieht deshaib auch den grôl3ereu Teil<br />

dieses Raumes im Aufril3 <strong>der</strong> Fassade zum zweiten Geschol3, um<br />

diesem nicht den Charakter eines Zwischengliedes, son<strong>der</strong>n eines<br />

1) Mou. hist. I Taf. 16. Xna III 89-91.<br />

2) Vgl. S. 4.


- 12<br />

se1bststndigen, den beiden an<strong>der</strong>n gleichwertigen Geschosses zu<br />

geben.<br />

Wir haben gesehen, daB in Senlis die Beschnkung <strong>der</strong> Tuniibasis<br />

auf die Breite eines Seitenschiffes einen recht fiih1bren<br />

Grôl3enunterscliied <strong>der</strong> drei Portale bedingte. Die Folge wai <strong>der</strong><br />

Verz!cbt. auf jede reïite, durchgeheiide Teilungslinie. Die<br />

Tiirme sc1iÏosen sich in ihrein Aufhau den Abseiten an. Iii Noyon<br />

batte ii'rng'ek€1t die Anjssung <strong>der</strong> Seitenportale an das Mittelportai<br />

den , Verzicht auf den Ansehhill <strong>der</strong> Tiirme an den Aufbau<br />

<strong>der</strong> Abse.tei ziir Folge gehabt. Der Meister von Mantes verbindet<br />

die Vorziige bei<strong>der</strong> Fassaden, indem er sich eines aul3erordentlich<br />

klihuien Mittels liient. Die Strebepfeiler m siiid im Gr<strong>und</strong>riB<br />

etwas vrschiebbar, da sic dicker sind ais die Mittelschiffswaiid,<br />

<strong>der</strong>en Schub sic abzuinén haben. Sie werden aiso soweit \vie<br />

miiglich aus <strong>der</strong> Achse <strong>der</strong> Schiffspfeiler gschobeit <strong>und</strong> einan<strong>der</strong><br />

genilhert, d. h. die Tiirme werdeii aiif Kosteii des Mitteistiickes<br />

verbreitert. Fur den Aufbau bringt diese Versdiiebung dei Strebepfeiler<br />

groBe Vorteille. lin breiteres Mittelpoital hiltte eiue<br />

grtiBere Hôhe erlialten miissen; die FuBlinie des zweiten Fassadengesehosses<br />

wilre also hôher ais <strong>der</strong> EmporenfuBboden zu liégèn<br />

gekominen. An<strong>der</strong>erseits wilren schmilere Seitenportale iiiedriger<br />

geworden, die kahie Mauerf1che liber ihnen wiire also gewachsen,<br />

zumal bei grôBerer Hiihe des ersten Geschosses, wie sic<br />

ein grôBeres Mittelportal beding .l liatte. Derselbe lJleistand lutte<br />

sich im dritten GeschoB wie<strong>der</strong>holt. Bei grôf3erem AI) tand <strong>der</strong><br />

Strebepfeiler hutte <strong>der</strong> Durchmesser <strong>der</strong> Rose <strong>und</strong> mit ihrn die<br />

vei'tikale Aiisdehnung des dritten Gesehosses zugenommen. Die<br />

Ko teh <strong>der</strong> VergriiBerung hutte wie<strong>der</strong>uiii das zweite zu tragen;<br />

denn das Hdherlegen des dritteii Gesehosses witre mit Schwierigkeiten<br />

verb<strong>und</strong>en, da <strong>der</strong> Scheitel <strong>der</strong> Rose nicht über den Hochschiffsgewôlben<br />

liegen sou. Den lJnterschied zwischen einem FassadenanfriB<br />

ohue Vrschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler m <strong>und</strong> einem mit<br />

Verschiebung <strong>der</strong>selben macheii die Figuren 2 n <strong>und</strong> 2b anscliaulieh.<br />

Durch die Verschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler m gelirigt es also deiii<br />

Meister, die drei Portale zueinan<strong>der</strong> in ein aimessenes Grôfienverhilltnis<br />

zu setzen <strong>und</strong> zugleich die Hôhe des ersten <strong>und</strong> dritten<br />

Geschosses soweit zu verringérn, daB fur cm <strong>der</strong> Empore des Langhauses<br />

entsprechendes GeschoB Raum bleibt.')<br />

1) Fig. 6 a zeigt in schematiseher Foim don Aufrili <strong>der</strong> Fassade von Mantes,<br />

wie er sich bei normaler Lage <strong>der</strong> Strebepfeiler ni ergeben h.tte. Fig. 6b stellt<br />

die Folgen <strong>der</strong> \Terschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler dar. Zum Vergleich sind in 6c


- 13 -<br />

Pas vierte Gescho(3 kommt f tir uns nicht in Betracht; es ge-<br />

Iiiirt einer sptteren Bauperiode <strong>und</strong> einem an<strong>der</strong>ei Meister an.<br />

Pas System <strong>der</strong> Koilegiatkirehe voii Mantes war vorbildlich gewesen<br />

fir die Notre-Dame in Paris'), das vierte FassadengesclioB<br />

ist eine N.ahmung desselben Bauteis <strong>der</strong> Panser Kathedrale,<br />

<strong>und</strong> zwar eine sinn1os Naobalimung. Die ganze<br />

Fassade ersheint durch dieses Gesc.ho13 gleichsam mit Gewait in<br />

die Hhe grrt. In Paris ist dieses Bauied wie in Noyon absolut<br />

notwendig, hier wirf t es die ganze Fassade ans <strong>der</strong> Proportion<br />

2)<br />

,,Die Fassade von Notre-]Mie zu Paris, begonnen um 1218,<br />

wird in Frankreich hrkiinmlicherweise ais ,Kinigin <strong>der</strong> gotisehen<br />

Fassaden' gepriesen. Wir kiinnen, sobald das Wort gotiscli betoit<br />

wird, diesem Ifl nicht zsfiien. Pas mo<strong>der</strong>ne Gefiihi<br />

erkennt in ihr Eigenschaften wie<strong>der</strong>, zu <strong>der</strong>en Schitt.zung es durch<br />

die Antike <strong>und</strong> Renaissance erzogen ist - Ruhe <strong>der</strong> Massenwirkung<br />

irnd Ebinii3 <strong>der</strong> planimetrischen Verhitltnisse - Eigenschaften,<br />

die ais Erzeugnis des gotisclien Formensystems so wenig<br />

gelten ki3nnen, daf3 sie durch dessen konsequente Fortentwicklung<br />

vielmehr ausgeschlossen wurden. So ist denn, die Wahrheit zu<br />

sagen, die Fassade <strong>der</strong> Notre-Dame in <strong>der</strong> ailgemeinen Intention<br />

viel weniger gotisch. ais es jene von St. Deuis schon gewesen war.<br />

ie verleilit <strong>der</strong>wageiichten Lgerung des \ufbaues einen Iach-<br />

1ruck, <strong>der</strong> es gauz begreifiich macht, daB rfahrungsgmitB ebendasselbe<br />

mo<strong>der</strong>ne Gefiihrdie Nichtvollendung <strong>der</strong> rfiïrme, obgieich<br />

ihre Kriinung durch sehr hoch <strong>und</strong> schlank zu denkende Helme<br />

zweifellos zum Plane gehrt bat, ûifan( ,.rweise garnicht ais<br />

.sthetischeii Mae1 eipfiuidet." )<br />

Die Fassade von Notre-Dame bedeutet also, entwicklungsgeschichtlich<br />

betraclitet, einen RUickschnitt. Da sie aber, fur sich<br />

betrachtet, ein Werk allerersten Ranges ist, mflssen wir uns die<br />

Frage voniegen: wie ist dieser Riickfall zu erki.ren? Whrend<br />

<strong>und</strong> 8 d die Fassaden von Noyon irnd Paris skizziert. Die Proportionen des Mittelschiffes,<br />

das ja die Hdhe <strong>und</strong> Breite des Fassadeninitteistiiekes bestimmt, sind<br />

in alleu drei Kirchen anniihernd gleich, in Noyon ist das Mittelsehiif etwas<br />

niedriger.<br />

1) D. & y . B. II S. 66.<br />

2) DaB die beiden oberen Gesehosse friihestens erst im S. Jahrzehnt des<br />

13. Jahrhun<strong>der</strong>ts zur Ausfdhrung gekommen sind, beweist auUer <strong>der</strong> Gestaltnng<br />

des 4. Gesehosses das Mallwerk <strong>der</strong> Rose. Es âhnelt dem <strong>der</strong> westliehen Rose<br />

in Laon, die ebenfails erst dieser Zeit angeliOrt.<br />

S) D. & y . B 11 97f.


- 14 -<br />

das Langhaus eine Weiterbiidung - desselben Bauteiles in Mantes<br />

ist, geht die Fassade auf das Vorbild von Noyon zurilck. <strong>Das</strong><br />

ftinfschifflge Langhaus zwingt dazu. Es verlangt bedeutend<br />

dickere Turme ais die Kirche in Mantes, weil ein Turin zwei<br />

Seitenschif[e zu verdecken hat. Den Gr<strong>und</strong>rif3 <strong>der</strong> Tiirme bildet<br />

daher ein Quadrat, dessen Seite <strong>der</strong> Breite zweier Seitenschiffe<br />

gleichkommt. Die Strebepfeiler y dienen zugeicli dem ersten<br />

Seitensehiffsjoch ais Auflenwand. Die Turmfreipfeiler sind sehr<br />

dick. Trotzdem ist ihr Achsenabstand vom ersten Schiffspfeiier<br />

<strong>der</strong>seibe wie in allen Mrigen Schiffsjochen. Infolgedessen hat die<br />

erste Arkade eiue geringere lichte Weite ais die an<strong>der</strong>en, <strong>und</strong> die<br />

Empore des ersten Joches hat nur zwei Offiiungen an Stelie <strong>der</strong><br />

drei in den an<strong>der</strong>en Jochen.') Die Strebepfeiler laden so wenig<br />

ans, daB sie we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Empore noch fin Obergaden eine Offnung<br />

verdecken 2). Die Strebepfeiler m liegeii normaier Weise in<br />

<strong>der</strong> Achse <strong>der</strong> Schiffspfeiler. Die westliciie H1fte des Mittelsttckes<br />

wird von einer Empore eiienommen, die sich in halber<br />

Htihe <strong>der</strong> Schiffsemporen auf einem flachen Bogen von einen1 Turm<br />

zum an<strong>der</strong>en hiniïberspannt <strong>und</strong> die Verbindung zwischen den<br />

zweiten Geschossen <strong>der</strong> Tiirme herstellt. 1m ersten Joche <strong>der</strong><br />

Schiffsemporen f ihren flache Treppen zum zweiten PurmgesclioB<br />

Iiinauf 3). Der Gedanke des Meisters von Noyon, ein westliches<br />

Querhaus anzulegen, ist also nicht wie<strong>der</strong> aufgenommen worden.<br />

Da die Portale den gauzen Raum zwischen den Strebepfeilern<br />

einuehmen, silld sie so grol3, daB sie über den Fuf3boden <strong>der</strong> Empore<br />

hinausragen. An<strong>der</strong>erseits ist <strong>der</strong> Rosendurchmesser <strong>und</strong> damit<br />

die vertikale Au t3 des iosengeschosses so ro13, daB<br />

dieses Geschol3 unter den Scheitel <strong>der</strong> Emporen hinabreicht Eme<br />

Korrektur durch die Veisciiicbun( y <strong>der</strong> Strebepfeiler m wie in<br />

Mantes war nattirlich nicht mig1ich; deun eine Verkleinerung des<br />

Mittelstiicks mufite in Paris gerade vermieden werden, weil<br />

die Tiirme noch dicker <strong>und</strong> die Seitenportaie grôl3er ais das Mitte.1portai<br />

geworden waren. <strong>Das</strong> mittiere GeschoB von Mantes schiuiipt<br />

aiso zu eiuem Zwischengeschofl zusammen. Von diesem Horizontalgliede<br />

abgesehen, ist die Stockwerkeinteilungungefhr dieseibe<br />

wie in Noyon'). Damit dem Bèschauer die Nichtlibereinstimmung<br />

1) Lssus et VIouET-LE-Duc, Monographie de Notre-Dame de Paris, Taf. 48<br />

<strong>und</strong> 49, 19 <strong>und</strong> 20, 56 <strong>und</strong> 57.<br />

2) L&ssus et VIohI,ET-LE.Duc Taf. 50 <strong>und</strong> 51, 52 <strong>und</strong> 53, 54.<br />

3) LASSUS et VIOLL.wr-u-Duc Taf. 54, 56 <strong>und</strong> 57.<br />

') Wie schon in Anrn. 1 auf S. 12 erwàhnt, sind die Mittelsehiffsproportionen<br />

in Paris dieselben wie in Noyon <strong>und</strong> Mantes.


- 15 -<br />

des Fassadenaufbaues mit dem System des Schiffes nicht zum Bewul3tsein<br />

kommt, haben die Nord- <strong>und</strong> Siidseite <strong>der</strong> Turme keine<br />

Glie<strong>der</strong>ung durch Horizontale erhalten. Ihre Mitte nimmt cia<br />

dicker Treppenturm ei.n. Den Giebel des Hochsehiffdaches verdeckt<br />

eine auch uni die Tiirme herumiaufende offene Galerie, die dieselbe<br />

Aufgabe wie die Blendgalerie in Noyon zu erfUllen hat. Aber sie<br />

erfiliit ihre Aufgabe volikommener. In Noyon wird sie durci die<br />

Strebepfeiler in drei Teile zerschuitten. In Paris lauft sic um die<br />

Strebepfeiler herum <strong>und</strong> fafit so noch einmal, bevor sich die Tirme<br />

villig freimaclien, die drei nebeneinan<strong>der</strong> stehenden Teile <strong>der</strong><br />

Fassade zusammen. Weiter unten hat schon dem Zwischengeschot3,<br />

<strong>der</strong> sogenannten Knigsgaierie, dieselbe Aafgabe obgelegen.') Sic<br />

ist ebenfails um die Strebepfeiler herumgekriipft). Dieser ,,Horizontalismus"<br />

<strong>der</strong> Panser Fassade hat also den Zweck, delL Besciiauer<br />

zu zwingen, die Tiirme <strong>und</strong> das Mittelschiff nicht nebeneinan<strong>der</strong>,<br />

jedes Glied f tir sich, in semer gauzen Hôhenentwicklung,<br />

ins Auge zu fassen, son <strong>der</strong>n die beiden Gescliosse sarnt den beiden<br />

Galerien in ihrem Aufbau ilbereinan<strong>der</strong> zu betrachteii. Die Folge<br />

davon ist, daB man nicht den ganzen Kiiper <strong>der</strong> Tiirme mit <strong>der</strong><br />

Masse des Mittelschiffs vergleicht, son<strong>der</strong>a daB man ailes unter <strong>der</strong><br />

obersten Galerie Liegride ais eine einheitliche Masse auffal3t, die<br />

nun nattirlich das eishidene tbergewicht über die Thrme er-<br />

1) Über dem nirdlichen, etwas kicineren Seitenportaie erhebt eich ein Wimperg.<br />

Nattiriich wolite <strong>der</strong> Meister 1 <strong>der</strong> dieses Portai ausgefihrt bat, anchuber<br />

den beiden an<strong>der</strong>en Portalen cinen Wimperg anbringen. Eine <strong>der</strong>artige Uberhiihung<br />

des Mittelportales, auch wenn es etwas kleiner zu denken ware ais das<br />

zux Ansfuhrung e!ante, lutte fur die Kl$nigsgalerie keinen Platz gelassen. Es<br />

sind also zwei Entwürfe zu unterscheiden. Auf welche Vorbil<strong>der</strong> sie zuruckzufuhren<br />

sind, werden wir sputor (S. 90 <strong>und</strong> S. 98) sehen. Vor diesen beiden<br />

Entwiirfen bestand das erste Fassadenprojekt, das dem Gesamtpian <strong>der</strong> Kathedraie<br />

ans dem Jahre 1160 angehi5rt bat. Es wird noch mehr ais die ausgefiihrte<br />

Fassade <strong>der</strong> Fassade <strong>der</strong> Kathedraie von Noyon hhnlich gewesen sein. Die im<br />

12. Jahrhun<strong>der</strong>t gearbeiteten SkuIpturen des slldiichen Seitenportala, <strong>der</strong> Porte<br />

Sainte-Anne, <strong>und</strong> die von YIoET-LE-Duc gef<strong>und</strong>enen Bruclistucke beweisen, daB<br />

mail cine Fassade nach diesem ProjekLe begunnen hat. (Vgi. W. VouE, Die Au-<br />

Mage des monumentalen Stiles im Mitt&alter, Strafiburg 1894, S. 153 if.)<br />

2) Da ein soiches Horizontalband in Noyon an <strong>der</strong> eutspreehenden Stelle<br />

fehit <strong>und</strong> die Strebepfeiler ohne Unterbrechung bis zum Hochschiifsgesims aufsteigen,<br />

miissen sie auch die groLle Blendgalerie durehschneiden. Denu çs ijissen<br />

entwe<strong>der</strong> die Vertikalen o<strong>der</strong> die Horizontalen betont werden. Eine pl6tzliche,<br />

unten nicht vorbereitete Durchschneidung <strong>der</strong> Vertikaien in <strong>der</strong> Hiihe des llochschiifsdaches,<br />

wie sie in Mantes (infolge des Abweichens vom urspriinglichen<br />

Entwurfe) eintritt, wirkt gschmak1os.


- 16 -<br />

langt, da man diese ais Tùrme erst von dem Punkte an betraclitet,<br />

an dem sie sdbstindig werden').<br />

So erklltrt sich also die auf den ersten Blick merkwiirdig<br />

erscheinende Tatsache, daB die Gotik, die im Innen- <strong>und</strong> ABenbau<br />

<strong>der</strong> Schiffe die vertikaien Glie<strong>der</strong> auf s strkste etônt, 'an<br />

einigen Fassaden die 1-Iorizontalen so krftig hervorhebt, wie es<br />

seibst <strong>der</strong> romanische Stil nie getan batte. Aber es sind eben<br />

doch nur einige Fassaden, die die V ii1a'ang dazu gegeben<br />

haben, von dem Horizontalismus <strong>der</strong> gotisehen Fassaden Frankreichs"<br />

zu sprechen. tïberblickt man die Gesamtheit <strong>der</strong> auf<br />

unsere Zeit gekommenen frtih- <strong>und</strong> hochgotischen Fassaden in<br />

Frankreich, so ergibt sich, daB ein en'tschiedener Vertikalismus<br />

wie in <strong>der</strong> Ranmgestaltung so auch in <strong>der</strong> Fassadenkomposition<br />

das Ideal <strong>der</strong> franz5sisc1ien Gotiker ist, ein Ideal, das man schon<br />

in St. Denis erstrebt bat. Die <strong>Hochgotik</strong> wird, zumal in einigen<br />

viel zu wenig bekaunten o<strong>der</strong> nicht geniigend, gewiirdigten Quersçhifîsfassaden,<br />

Beispiele f ir einen ausgesprochenen Vertikalismus<br />

lifer'n. A1lrdiugs wre es einem Knst1er <strong>der</strong> klassischen Zeit<br />

unrng1ich gewesen, eine Fassade wie die des Kiiner Domes zu<br />

ent'veifeii, nur aus Libe zum gotischen Prinzip. Die franz$sischen<br />

Gotiker verzfciiïen vielmehr ohne Bedenken auf den Vertikalismus<br />

in <strong>der</strong> Fassade, sobald die Tiirme so dick wurden, daB<br />

sic das MitteistUck zu eidrUckeu diohen. Man kann also folgendes<br />

Gesetz aufstellen: Die gotisehen F'assaden in Frarikreich zeigen<br />

einen entschiedenen Vertikalismus, wenn die. Tiirme eine so kie.ine<br />

Basis <strong>und</strong> dementsprechend eine so geringe H6he haben, daB<br />

sic sich dem Mittelstiick unterordnen, daB sie es aiso nur flankieren.<br />

Die franzisischen G'otiker tragen aber kein Bedenken,<br />

einen je nach Beâarf mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> stark betonten Horizontalismus<br />

im Aufbau <strong>der</strong> Fassaden anzuwenden, sobal4 ohne diesen<br />

Horizontalismus die Tiirme das MittelstUck èrdriiken wiirden.<br />

1m ersten Falle ist die Fassade nichts weiter ais <strong>der</strong> mit architektonischern<br />

Detail ausgestattete <strong>und</strong> an seinen Ecken mit ieichten<br />

Tiirmen gekrtnte Querschnitt <strong>der</strong> hinter ihr liegenden Schiif e, also<br />

eine wirkiiche Fassacle zu dem dazu ge1irigen Bau; im zweiten<br />

1) Die von VI0LI.IT-LE-Duc in seinen Entretiens sur l'architecture (Atlas<br />

Taf. 14) versuchte Rekonstruktion <strong>der</strong> Tnrmbekriinungen ist hcht unwahrscheinlich.<br />

Durci das zwischen die quadratischen Tiirme <strong>und</strong> die Helmo cmgeschaltete<br />

Oktogon erh,altcn die Tiirme eine <strong>der</strong>artige Hohe, daB sie die feinen<br />

Proportionen <strong>der</strong> Fassade wie<strong>der</strong> vcrnichteu. Siehe D. & y. B. II S. 106 Aani.<br />

<strong>und</strong> HASAa S. 196. Bci HÂSAX aucli eine Abbildung <strong>der</strong> Rekonstruktion von<br />

VIoLIr-LE-Duc.


- 17 -<br />

Falle ist sie ein mehr o<strong>der</strong> weniger selbst.iidiges, mit dem Aufbau<br />

<strong>der</strong> Schiffe in keinem o<strong>der</strong> doch nur lockerem Zusammenhange<br />

stehendes SchaustUck.<br />

Seinen Hhepnnkt erreicht <strong>der</strong> friihgotische Fassadenbau in<br />

Laon. Die Kathedrale von Laon') hat aul3er <strong>der</strong> turmiosen<br />

Fassade des platt gesehiossenen Chores drei fast gleichmiLBig behandelte<br />

doppeltiirmige Fassaden an den beiden Enden des Querschiffes<br />

<strong>und</strong> dem westlichen Ende des Langhauses. Da die Ostseite<br />

des Querhauses <strong>und</strong> die ersten Joche des Chores den ititesten<br />

Teil <strong>der</strong> Kathedrale bilden - <strong>der</strong> urspriingiich mit einem Haibr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Umgang schliel3ende Chor wurde nach 1200 verliingert -,<br />

sind auch die Querhausfassaden titer ais die Westfassade. Diese<br />

steht kiinstlerisch bei weitem am hichsten. Ihr Meister hat sich<br />

die beim Ban <strong>der</strong> Querschiffsfassaden gesammelten Erfahrungen zu<br />

Nutze gemacht <strong>und</strong> manclierlei Verbesserungen vorgenommen.<br />

Aile drei Fassaden éMii3en sich in ihrem Aufbau dem <strong>der</strong><br />

Schiffe an. <strong>Das</strong> RosengeschoB nimmt den Raum von Obergaden<br />

<strong>und</strong> Triforium ein, das mitUere GeschoB entspricht <strong>der</strong> Empore -<br />

an <strong>der</strong> Westfassade wird es allerdings zum Teil von den Portaibedachungen<br />

iiberschnitten; das PortalgeschoB hat genan die<br />

Hi1ie <strong>der</strong> Seitenscitiffe. Die Querschiffsfassaden geben aiso durch<br />

ihre Stockwerkeinteilung ein getreues BiId des Aufbaues <strong>der</strong><br />

Schiffe; in <strong>der</strong> iliihe des Hochschiffsdaches krnt eine Galerie die<br />

Fassaden. Uiikehi nimmt <strong>der</strong> Àuiiil3 <strong>der</strong> Schiif e auf die<br />

Fassaden Ricksicht, <strong>und</strong> zwar bei <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong> HoehschiffsgewLilbe.<br />

Seit <strong>der</strong> Einfiihrung <strong>der</strong> Kreuzrippen, des Spitzbogens<br />

<strong>und</strong> des iiul3eren Strebewerkes hatte man keinen Gr<strong>und</strong><br />

mehr, die Gewi1be mit Stich zu konstruieren. Demi die Rippen<br />

stien infolge <strong>der</strong> Aivehdung spitzbogiger Itappen aueh ohne<br />

' Sticli sEeÏ genug auf, <strong>und</strong> es empfahl sich, den gesamten Gewolbeschub<br />

auf die Verstrebungen zu konzentrieren, um die schwachen<br />

Sciiildmauern womiiglich gitnzlich zu entiasten. Die Gotik konstruierte<br />

darum ,auch sehr bald ausschliefluieh GewLibe mit wagerechtem<br />

SclieiteL Um so auffiliger ist es, dali die Hochschiffs-<br />

1) Mon. hist. I Taf. 47-49. KING III 33-42. Die genauesten Aufnahmen<br />

in <strong>der</strong> Grodfolio-Ansgabe <strong>der</strong> Mon. hist. von 1855-72, im 1. Baud ,,Architecture<br />

antique et religieuse". Diese Ausgabe hat keine Seiteuzahien. Per zn<br />

den einzelnelL Denkiniilern gehi3rigc Text ist ,jedesmal fUr sich paginiert. Flir<br />

die Kathedrale von Laon hat ihn BOESWILuW&LD, <strong>der</strong> seit 1853 die Wie<strong>der</strong>hersteUungsarbeiten<br />

an dieser Kirche goleitet hat, geschrieben. Wir zitieren ihn<br />

im folgenden mit: BoEswuwALD.<br />

2<br />

Kuoze, Dao Faadenprob1em.


- 18 -<br />

gewtilbe <strong>der</strong> Kathedrale von Laon eine Ausnahme machen. Die<br />

in <strong>der</strong> Richtung <strong>der</strong> Liingsaclise des Lang- <strong>und</strong> Querhauses laufenden<br />

Kappenscheitel bilden zwar fast vL11ig waerchte Linien,<br />

aber von den Schildwinden steigen die Kappen ziemlich sieil zum<br />

Schluf3stein <strong>der</strong> seclisteiligen Kreuzgew1be hinauf. Dementsprechend<br />

liegt <strong>der</strong> Scheitel <strong>der</strong> Gurtbgen 1iiher ais <strong>der</strong> <strong>der</strong> SchiIdbigen.<br />

Der Ur<strong>und</strong> hierfur kann meines Erhtens nur <strong>der</strong> sein, daf3 die<br />

GewilbescIieite1 des Hochschiffs die Hôhe des Rosenscheitels erreichen<br />

sollen. Ein hiherer Obergaden hittte zwar zu demselben<br />

Ziel gefiïhrt, aber er hittte vielleicht die Proportionen des Systems<br />

gestirt. Der starke Stich <strong>der</strong> Gew1be dagegen bot ein beuemes<br />

Mittel, den Hhenunterschied auszugleichen, sodafi dem Meister<br />

freier Spielraum f lir die Gestaltung des Schiffsystems <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Fassade blieb.<br />

Diese Konstruktion dei' HochscIiiffsgewi1be legt den Schluf3<br />

nahe, daB die Kathedrale von Laon in <strong>der</strong> Gestalt, in <strong>der</strong> wir sie<br />

noch heute sehen, mit Ausnahme des langen, piattgeschiossenen<br />

Chores <strong>und</strong> <strong>der</strong> .Mibauten des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts ein Werk aus<br />

einem Gu13 ist, trotz einer Bauzeit von 75 Jahren. Denn da<br />

scion <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong> noch vorhandenen Joche des alteil Chores<br />

die beschriebene Gewilheform aiigewandt hat, so wird er auch die<br />

Fassaden im wesentlichen so geplant haben, wie sie spitter ansgefuhrt<br />

worden sind. Wir haben hier das erste Beispiel dafiir, daB<br />

<strong>der</strong> Fassadenaufrifl den Querschnitt des Mittelschiffs beeinfiuBt.<br />

Wir werden sehen, daB die Kathedrale von Laon in diesem<br />

Punkte vorbildlich wurde fur die beiden folgenden hochgotischen<br />

Kathedralen, die von Chartres <strong>und</strong> Reims, wie sie auch die erste<br />

war, die ein dreischifflges Querbaus mit doppeltiirmigen Fasden<br />

erhielt, <strong>der</strong>eii vier rrjjrflle mit dem Vierungsturrn eine sehr wirkungsvoile<br />

Gruppe bilden. Diese <strong>der</strong> franziisischen Baukunst frernde, vom<br />

nie<strong>der</strong>rheinischen Romanismus ilbernommene Turmgruppierung blieb<br />

niclit ohne EinfluI3 auf die Gest.altung <strong>der</strong> Fassaden. Sie nitigte<br />

zu einer verschiedenen Behandiung <strong>der</strong> Querhaus- ami Langhausfassaden,<br />

wenn man eine Eintnigkeit, wie sie eine dreimalige<br />

Ausfiihrnng desseiben Fassadenentwurfs mit sich gebracht hittte,<br />

vermeiden wolite. Die kiînstierische Wirkung <strong>der</strong> Westfassade<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Querscliiffsfassadeii ' unterliegt a tdei ganz verschiedenen<br />

Bedinungen. Die Westfassade hat den Abschlut3 des Langhauses<br />

zu bilden <strong>und</strong> ist, von Westen ans betrachtet, ein Stiick fUr sich.<br />

Es kommt aiso bei ihr vor allem auf da.s Verliitltnis <strong>der</strong> Turme<br />

zum Mittelstiick an. Ganz an<strong>der</strong>s liegt die Sache bei den Quer-


- 19 -<br />

schifl'sfassaden'). Ihre Tiirme bilden mit dem Zentralt.urm eine<br />

Gruppe, sic nitissen also auch zu ihm iii Beziehung gesetzt werden.<br />

Lei<strong>der</strong> besteht bei keiner <strong>der</strong> gotischen Kathedralen <strong>der</strong> Vierungsturm<br />

noch in semer urspriïnglichen Gestalt. Deslialb konnen wir<br />

uns kein ansehauliches Bild von <strong>der</strong> Turmgruppe machen. Ebenso<br />

wissen wir nicht mehr, wie sich <strong>der</strong> ciste Meister von Laon das<br />

Gri5f3enverhltnis <strong>der</strong> Westtiirme zu den Querschiffsttirmen gedaclit<br />

hat. Der kleinere Maf3stab <strong>der</strong> West- (<strong>und</strong> Siid-)Fassadentiirme<br />

kann n&m1ich, wie wir sehen werden, auch in technisehen Bedenken<br />

seinen Gr<strong>und</strong> haben. Au!erdem liatte es <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong><br />

Westtiirme mit einem Gebitude von ganz an<strong>der</strong>er Lngenausdehnung<br />

zu tun, ais <strong>der</strong> erste Meister, <strong>der</strong> nur einen kurzen Chor aufgefihrt<br />

hatte. Ware dieser Chor erhalten gebiieben, so Iitte <strong>der</strong><br />

Vierungsturrn mit seinen vier Tr'abantén beinahe deii AbschluB des<br />

gauzen Geb.udes im Osten gebildet. Ein dem riei Vierungsturm<br />

die Wage haitendes Gegengewicht in Gestalt mglichst grot3er<br />

Westtiirme wire aso am Ende des Langliauses sehr wohl môglich,<br />

wenu auch nicht erfM&iIih ewesen 2). Nach <strong>der</strong> Erbauung des<br />

neuen Langchores hatte sicli aber die Sachiage gen<strong>der</strong>t. Jetzt<br />

bildete <strong>der</strong> Vierungsturm fast genau clic Mitte des auflergewi5hnlich<br />

langen Gebudes. Die Mitte war also beson<strong>der</strong>s zu ItdnU <strong>und</strong><br />

das West.ende dem Ostende miiglichst entsprechend zu gestalten.<br />

Daher waren die Westtiirme schoii nus âsthetischen Rucksichtcn -<br />

von den technischen ganz abgesehen - in kicinerem Mal3stabe<br />

auszufiihren ais die Querschiffstiirme. Einen entsprechenden Ab-<br />

1) Man ergiinze sich an <strong>der</strong> nrd1ichen Querschiffsfassade den fehienden<br />

Ostturm <strong>und</strong> die Turmhelme. <strong>Das</strong> Mittelstilck verliert (lann mehr an Gewicht,<br />

ais es eine gute Proportionierung er)aubt.<br />

2) Die Turmgruppierung von Laon wurde in Frankreich an den Kathedralen<br />

von Chartres <strong>und</strong> Reims wie<strong>der</strong>lioit. Von dem Groenverhaltnis <strong>der</strong> einzeinen<br />

Tllrme au diesen beiden Banten wird spater die Rede sein. In Deutschland<br />

folgten die Meister von Magdeburg <strong>und</strong> Limburg a. d. L. dem Beispiel von<br />

Laon. In Magdeburg kain <strong>der</strong> erste Meister, <strong>der</strong> zweifellos cinen Vierungsturm <strong>und</strong><br />

doppeltiirmige Qnerschiffsfassaden beabsiehtigte. uicht bis zur Fuiidamentierung<br />

<strong>der</strong> Westtilrxne. Erst <strong>der</strong> Meister 1 <strong>der</strong> die Seitenschiffe breiter atisgefUhrt bat,<br />

ais sie ursprUnglieh geplant waren, begann mit dem Bau des Nordturmes <strong>der</strong><br />

Westfassade. Wir kônnen uns also kein Bild mehr von dem GrÔBenverh1tnis<br />

<strong>der</strong> Ostiichen Turmgruppe zu den Westtïrrnen des ersten Entwurfes machen.<br />

In Limburg dirninieren die WesttUrme entschiedcn, wenfl sie auch von dem<br />

steileri (Ubrigens erst 1774 an die Stelle eines stumpferen gesetzten) Hel me des<br />

Vierungsturmes iiberragt werden. Allerdings war (lem gotisehen Meister keine<br />

Freiheit mehr gelassen. Er war gezwungcn scilicil Ban einem bis auf den Chor<br />

schon bestehenden romaniachen Erdgescho anfzu pfropfen.<br />

2*


- 20<br />

scliluB im Osten vermifit man librigens sehr. Sein Fehien macht<br />

sich beson<strong>der</strong>s deshaib so unangenehm bemerkbar, weil die Lage<br />

<strong>der</strong> Kathedrale einen Gesamtiiberblick liber die utirdiiche Ligsseite<br />

gestattet').<br />

Die Querschiffsfassaden gehuiren dem letzten Viertel des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

an. Die Anlage dreier Portale bot Schwierigkeiten. Die<br />

Seitenportale h.tten zwar in den ersten Turmgeschosseu gut Platz<br />

gehabt, aber das Mittelportal w.re entwe<strong>der</strong> zu groB geworden<br />

o<strong>der</strong> Mtte den Baum zwischen den Strebepfeilern nicht ausgefliult.<br />

Per Meister verzichtete daher auf die tibliche Portalanlage irnd<br />

versah die unteren Turmgeschosse mit Fenstern <strong>und</strong> das Mittelschiif<br />

mit zwei Portalen. Die Ttirme sind bedeutend breiter ais<br />

die Seitenschiffe. Die Verstrebungen y verdecken das erste Seitenschiffsjoch.<br />

Die Turmpfeiler sind zwar dicker ais ein Schiffspfeiler,<br />

aber doch fur die schweren TUrme viei zu schwach. Wie man<br />

noch heute sehen kann, sind sie nach dem Schiffe zu ausgewichen<br />

<strong>und</strong> haben das erste Querschiffsjoch zusamrnengedriickt, so daB die<br />

Schiffspfeiler <strong>und</strong> Triforiumsiiu1chen schief stehen. Schon am Ende<br />

des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts war man gezwungen die unteren Turmgeschosse<br />

auf allen Seiten zu sciilieBen <strong>und</strong> sogar im ersten Joch die Empore<br />

<strong>und</strong> das Triforium mit Mauerwerk auszuftillen, um ein Wi<strong>der</strong>ager<br />

fUr die Tiirme zu schaffen.') Die SUdfassade ist <strong>der</strong> Nordfassade<br />

sehr ilhnlich gewesen. Nur die Ttirme sied, vielieicht schon<br />

1) Auch fur die Tnnenwirknng bedeutet die Verliingerung des Chores <strong>und</strong><br />

sein glatter AbschluB keinen Gowinn (w. BEZOLD, S. 172).<br />

2) Es trat hier also sehon ungefiLhr cia Jahrhun<strong>der</strong>t nach <strong>der</strong> Vollendung<br />

des Bancs dieselbe Katastrophe ein wie in Straburg vor einigen Jahren. Wir<br />

geben daher die Ausflihrungen BOESWILLWALDS (S. 5) wie<strong>der</strong>: En effet il n'est pas<br />

douteux que peu d'années après la construction des clochers ouest du transept,<br />

la surcharge, produite par la surélévation des deux étages, provoqua des ruptures<br />

et des écrasements dans les maçonneries et, en particulier, dans les piliers trop<br />

faiblement établis au XIIe siècle, et formant la base de ces surélévations. Vers<br />

la fin du XIlI e siècle, lesdésordres survenus dans ces constructions étaient<br />

arrivés au point que, pour prévenir une ruine immédiate, on dut à la hte<br />

maçonner les baies du triforium entièrement déversé de la première travée du<br />

transept, celles de la grande galerie, et boucher les baies des deux clochers. O<br />

reprit ensuite à neuf, jusqu'à la hauteur des grandes voûtes, les piliers d'angle<br />

du transept, complètement ruinés. • lin Quersehiif stehen die Triforiensulchen<br />

nocli humer sehief. <strong>Das</strong> zut Verstrcbung <strong>der</strong> Querschiffst Orme in die Arkaden des<br />

Triforiums <strong>und</strong> <strong>der</strong> Empore eingefugte Mauerwerk war in Jahre 1908 noch nieh<br />

beseitigt. DaI3 man im Mittelalter Pfeiler, wie hier in Laon ira Qnerhaus anszuwechseln<br />

imstande war, zeigen z. B. die im 14. Jahrhun<strong>der</strong>t ausgeweehselten<br />

Pfeiler <strong>der</strong> westlichen Joehe des stidiichen Seitenschiffes ira Langchor <strong>der</strong> Notre-<br />

Dame-Kirche zu Paris. Vgl. VIoILET-Lx-Duc, Diet. V S. 832 if.


- 21 -<br />

in <strong>der</strong> richtigen Erkenntnis, daB sie fur die schwachen Freipfeiler<br />

zu schwer wiirden, bei gleicher Hôhe von <strong>der</strong> Basis an schlanker<br />

gebildet. Trotz<strong>der</strong>n traten dieselben Ilngliicksfiille ein wie an <strong>der</strong><br />

Nordfassade. Sie zogen auch die grol3e Rose in Mitleidenschaft,<br />

so daB sie uni 1300 durch ein bis fast zu deii Portalen herabreichendes<br />

Spitzbogenfenster ersetzt werden muBte.') Per Meister,<br />

<strong>der</strong> nach 1200 die Freigeschosse <strong>der</strong> Tiirme ausgefiîhrt hat, scheint<br />

schon die M.n gel <strong>der</strong> Konstruktion erkannt za haben <strong>und</strong> hat<br />

wohl deshalb nur die rfiirne an <strong>der</strong> Westseite des Querschift'es<br />

vollsti%ndig ausgebaut. 2) Eine zu starke Belastung <strong>der</strong> unteren 0eschosse<br />

<strong>der</strong> ôstlichen Tirme wâre noch gefhrlicher gewesen; denu<br />

sic sind bis zur }Ihe des Hochschiffsgesimses auf drei Seiten durchbrochen,<br />

da an ihrer Ostseite polygonale Nebenchire liegen.<br />

Beim Ban <strong>der</strong> Westfassade war man vorsiclitiger. Die Freipfeiler<br />

<strong>der</strong> Turme wurden strker gebildet. Sie erhielten genau<br />

denselben Querschnitt wie die Vierungspfeiler. 3) Die 'Pi'>ime haben<br />

denselben Gr<strong>und</strong>riil wie die Siidtirrne, sind aber immer noch breiter<br />

ais ein Seitenschiff. Die Strebepfeiler r verdecken das erstc Seiten-<br />

1) An <strong>der</strong> Nordfassade let ein iihnliches Fenster in Angriif genommen<br />

worden. Man kam aber zum Gliick nur dazu, (lie westliche Laibung auszufuhren.<br />

Die in den Anfhngen stecken gebliebene Arbeit bietet ein interessantes Beispiel<br />

fur die Art <strong>und</strong> Weise, in <strong>der</strong> man soicho Umbauten vornahm. Siehe die Abbildung<br />

in den Mon. hist.<br />

2) En même temps que l'on procédait à l'agrandissement du choeur, on<br />

élevait la façade principale avec ses deux clochers couronnées de flèches en<br />

pierre, et l'on poursuivait l'achèvement des quatre clochers du transept, arrêtés,<br />

vers la fin du XII 6 siècle, a la hauteur de la corniche de la nef. Cette <strong>der</strong>nière<br />

opération fut d'abord menée de front pour les quatre clochers; mais arrivé a<br />

la base des deux <strong>der</strong>niers étages, soit que les fonds vinssent à manquer, soit<br />

plutôt dans la crainte de provoquer des accidents (crainte fondée du reéle), en<br />

élevant à la fois sur les piles d'angle des transepts la surcharge considérable des<br />

deux <strong>der</strong>niers étages de clochers, on prit le parti de n'achever qu'un clocher â<br />

la fois. Celui nord-ouest fut terminé le premier, et l'on retrouve dans cette<br />

oeuvre des dispositions identiques à celles des clochers de la façade principale.<br />

L'achèvement du clocher sud-ouest est postérieur de plusieurs années. Son avant<strong>der</strong>nier<br />

étage, modifié en plan, est lourd, et l'ensemble n'a plus les proportions<br />

du clocher nord'ouest. Lew clochers est ne furent pas continués. (BoEswIu.-<br />

WALD, S. 4 f.'>.<br />

Die Baniberger Westtttrme sch1ieen sich am engsten an den Sidwestturm<br />

des Querschiffes in Laon an. <strong>Das</strong> bekamite Turmmodell im nird1iehen Seitenehiffe<br />

zu Bamberg gibt in semer obereii Halfte diesen Turrn, in semer unteren<br />

die an<strong>der</strong>en Ttirme von Laon wie<strong>der</strong>. Siehe Orro Avriouu, Der Dom zu Bamberg,<br />

Mfinchen 1898, Taf. 5 <strong>und</strong> 33.<br />

) Nur in <strong>der</strong> Grofo1io-Ausgabe <strong>der</strong> Mon. hist. in genligen<strong>der</strong> GrBe dargestelit.


22<br />

schiffsjoch. Der Aufbau <strong>der</strong> Fassade schlieSt sich, wie schon bemerkt,<br />

im Innern dem System <strong>der</strong> Schiffe genan an, die Empore<br />

wird wie an den Querschiffsenden auch an <strong>der</strong> Westwand herumgefïihrt.<br />

1m ÂuBeren freilicli sind die Geschosse nicht so scharf<br />

voneinan<strong>der</strong> geschieden wie an den Querschiffsfassaden. Die Diicher<br />

<strong>der</strong> Portalvorhallen, beson<strong>der</strong>s am groflen Mittelportal, schneiden<br />

in das zweite GeschoB ein <strong>und</strong> verdecken teilweise die Emporenfenster,<br />

so da g das zweite Geschol3 fUr die Aut3enwirkung nicht<br />

ais ein den beiden an<strong>der</strong>n gleichwertiges in Betracht kommt. Per<br />

Meister <strong>der</strong> Westfassade wolite offenbar nicht, wie sein Vorgnger,<br />

auf die monumentale Anlage dreier Portale verzichten. Aber sofort<br />

steilten sich die an <strong>der</strong> Nord- <strong>und</strong> SUdfassade gliicklich vermiedenen<br />

Schwierigkeiten ein. Es gait, die drei Portale zueinan<strong>der</strong><br />

in das richtige GrtBenverhiUtnis zu setzeii, obgleich ihre Breite<br />

durch die Stellung <strong>der</strong> vier Strebepfeiler festgelegt war. Da die<br />

Tiirme zie.mlich schlank sind, war das Breitenverhuiitnis <strong>der</strong> drei<br />

Vertikaiabschnjtte <strong>der</strong> Fassade fiÎr die Portalanlage nicht ginstig.<br />

AuBerdem wire ein Mittelportai, das den gauzen Raum zwischen<br />

den Strebepfeilern voli ausgenutzt Mtte, so hoch geworden, daB es<br />

untei' <strong>der</strong> Empore keinen Platz gehabt hLtte. Der Meister <strong>der</strong><br />

Fassade von Mantes war dieser Schwierigkeiten durch eine geringe<br />

Verschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler m Herr geworden. Freilich hatte<br />

er dadurch die Tiirme in ihrer ganzen Hihe auf Kosten des Mittelsttickes<br />

verbreitert. <strong>Das</strong> aber muBte in Laon gerade vermieden<br />

werden, um die ohnedies schon schweren TUrme, die ja im wesentlichen<br />

den Querschiffstiirmen entsprechend gestaltet werden mu3teii,<br />

nicht noch schwerer werden zu lassen <strong>und</strong> um den Durchmesser<br />

<strong>der</strong> Rose nicht zu verringern, da eine kleinere, die Oberkante des<br />

Emporengeschosses tangierende Rose den Gewt1bescheite1 nicht erreicht<br />

lutte. Per Querschnitt des Hochscliiffes war ja, wie schon<br />

(lie Untersuchung <strong>der</strong> Querschiffsfa.ssaden ergab, auf eine Rose von<br />

<strong>der</strong> Grt3e <strong>der</strong> Querhausrosen berechnet. Per Meister de y Westfassade<br />

nahm daher zu einem nocli kiihneren Mittel, ais es in<br />

Mantes angewandt worden war. seine Zihlicht. Er verscbob nicht,<br />

wie es dort geschehen war, die ganzen Strcbepfeiler ni ans dei'<br />

Achse <strong>der</strong> Hoehschiffsw<strong>und</strong>e, son<strong>der</strong>n nur ihr unteres Ende bis zur<br />

Kimpferhihe <strong>der</strong> Portallaibungen. Um demi oberen Teil <strong>der</strong> Strebepfeiler<br />

eine Basis zu geben, errichtete er vor den drei Portalen<br />

Vorhalien <strong>und</strong> ilberwtilbte sie mit sdhweren Tonnengew1ben. Diese<br />

\roI.hallen erfùllen einen doppelten Zweck: einmal dienen die dem<br />

Mittelportal zugekehrten Gewô1beiiicken den Strebepfeilern ni ais


- 23 -<br />

Aufiager, sodann verdecken sie, da sie sehr weit aus <strong>der</strong> Fassadenfluiche<br />

heraustreten, f tir das Auge des Beschauers den Ilick <strong>der</strong><br />

Strebepfeiler rn in çler Vertikalen. Heute wirken die Vorhallen,<br />

beson<strong>der</strong>s inr Scliritgansicht, nieht sehr gi1istig.') Ilire gi.tteii,<br />

ùhgegfiêdèrten" <strong>und</strong> sich weit in die Tief e erstreckenden Witnde<br />

<strong>und</strong> Tonnengewdibe machen einen tunnelartigen Eindrack. EJrspriinglich<br />

waren die TF ungswnde von kleinen Doppelarkaden<br />

durchbrochen, <strong>und</strong> infolgedessen waren die Vorliailen fast so leicht<br />

<strong>und</strong> elegant wie die von Chartres gewesen. Am Ende des 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

trat aber an dei' Westfassade dieselbe Katastrophe wie<br />

an den Querschiffsfassaden cm. Die Freipfeiler <strong>der</strong> Tiirme, obwohl<br />

strker ais die <strong>der</strong> schwereren Querschiffstllrrne, <strong>und</strong> die Verstrebungen<br />

p erwiesen sieh ais zu schwach, <strong>und</strong> die Ttirme begannen<br />

die erste Àrkade des Langhauses zusarnmenzupressen. Die<br />

Tiirsfiuî'ze <strong>und</strong> Bogeufeldei <strong>der</strong> Seitenportale barsteii tinter dem<br />

Druck <strong>der</strong> mit den Strebepfeilern m belasteten rronnenge\\.i1be.2)<br />

1) Dabei ist die Fassade lei<strong>der</strong> nur in <strong>der</strong> im a1gemeinen ja recht gbnstig<br />

wirkenden Schrgansicht., von <strong>der</strong> rue Châtelaine ans, vollstitndig zu iibersehen.<br />

Siehe Tafel.<br />

2) Par suite de l'emploi de matériaux de médiocre qualité, du peu d'expérience<br />

que l'on avait de la résistance des diverses natures de pierres, et de la<br />

hdte avec laquelle les constructions avaient été élevées, les linteaux des baies<br />

transversales des trois porches, qui, sur une portée de plus de 2 mètres, n'avaient<br />

que 23 centimètres de hauteur, s'étaient vers la fin du XlI e, siècle, rompus sous<br />

la charge des berceaux des porches qu'ils soutenaient et sous la pression produite<br />

par le tassement des maçonneries des clochers, dont les contreforts s'appuyaient,<br />

du côté de la façade, en porte à faux sur l'extrémité de ces couvertes<br />

(à fizux in kunstruktiveui Sinne; ans den oben angefiîhrten âsthotischen GrUnden<br />

lieB sich aber dieses technisehe Waguis nicht vermeiden). La rupture de ces<br />

linteaux provoqua un écartement dans les maçonneries des berceaux et les passages<br />

ménagés à la hauteur des galeries à travers les contreforts. Ceux-ci,<br />

n'étant plus reliés par la base, se déchirèrent à leur tour sous les poussées<br />

de la grande voûte et des arcs-doubleaux des clochers, lesquels se déformèrent et<br />

et menacèrent ruine.<br />

Ces tassements avaient réagi sur l'ensemble de la façade et provoqué la<br />

brisure des tympans des porches. Afin d'arrêter ce mouvement on se pressa de<br />

fermer les baies transversales arec de la maçonnerie en pierre de taille et de<br />

soutenir les tympans des porches au moyen d'arcs surbaissés, à claveaux sculptés,<br />

On pensa ainsi avoir assuré la stabilité de l'édifice .......<br />

Dans les travaux de consolidation et de conservation faits à la façade<br />

principale à la fin du £1116 ou au commencement du XlVd siècle, on n'avait<br />

pas pris les précautions voulues, pour rétablir l'équilibre entre les diverses parties<br />

de cette façade. On avait malheureusement négligé de relier les maçonneries des<br />

bouche,nents des baies avec les assises des montants des ouvertures. Il résulta<br />

de là un in nuee,ncnt de dii 'uatint j n'n ihle mais continu qui. Se pvU es rivant


24 -<br />

Man sah sich daher gezwirngen, die Durchbrechungen <strong>der</strong> Vorhallenwiinde<br />

zuzumauern.') Ber Meister <strong>der</strong> Westfassade war also<br />

dans ces constructions pendant plusieurs siècles, détacha, malgré des réparations<br />

partielles, les clochersde la façade centrale, et produisit les déversements et des<br />

dégradations telles qu'a la fin du <strong>der</strong>nier siècle il n'existait plus que l'une des<br />

flèches de la façade, laquelle dut être déposée à son tour au commencement du<br />

siècle présent. (<strong>Das</strong> Fehien <strong>der</strong> Turmhelme gereicht allerdings hier wie in Paris<br />

<strong>der</strong> Fassade mir aiim Vorteil. Die htchste Ancrkennung verdient es, dad sicli<br />

BOESWILLWALD trotz <strong>der</strong> ihm zur Verfiigung stehenden reichen Mittel die Beschriinkung<br />

auferlegt bat, die Turmhelme, fur <strong>der</strong>en Konstrukt ion er einen Auhait<br />

in einer Skizze des VLL.&RD na HONreECOURT. Taf. XVIII, gehabt hhtte, nicht<br />

wie<strong>der</strong> aufzubaneii.) En 1853, les clochers se trouvaient détachés de plus<br />

de vingt centimètres de la façade centrale; la maçonnerie de leurs contreforts<br />

était déchirée de ta base au faite; la grande rose s'était affaissée de quatrevingt<br />

centimètres, les piliers intérieurs étaient broyés, les arcs et voûtes déformés,<br />

les escaliers rompus sur toute la hauteur de l'édifice, les contreforts extrêmes<br />

affaissés sur un sol sans fondations. La situation du monument était telle<br />

qu'une ruine totale était imminente." BOESW1LLWALD, S. 5 f.<br />

1) Lei<strong>der</strong> bat BOSBWILLWALD, <strong>der</strong> die Kathedrale in sonst so mustcrghltiger<br />

Weise restauriert bat, diese Offnungen nicht wie<strong>der</strong>hcrgestcllt. Und das wiire<br />

doch wohl mit Hilfe von eisernen Tragern mg1ich gewesen. Wie bedeutend<br />

sonst allein die technische Leistung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung lot, zeigt folgen<strong>der</strong><br />

Bericlit: «Grâce à la sollicitude du gouvernement, la restauration de ce montsment,<br />

poursuivie depuis 1853, a permis de relever la cathédrale de Laon de ses<br />

ruines, et de rendre à la façade, non-seulement son ancienne physionomie, mais<br />

encore une durée de plusieurs siècles.<br />

La situation de la cathédrale de Laon est aujourd'hui, 1872 (Boswii-<br />

WÀLI) bat die Arbeiten noch bis 1897 geleitet), la suivante:<br />

La façade principale, ses trois porches avec leur statuaire et leur sculpture<br />

(sauf le tympan du fond), et les deux clochers sont entièrement rétablis.<br />

A l'intérieur on a reconstruit les gros piliers qui portent les clochers depuis<br />

le sous-sol jusqu'à hauteur du dessus de la galerie, restauré le surplus des<br />

piliers, rétabli les arcs et murs de ces clochers, et étrésilloné ceux-ci au moyen<br />

d'un grand arc surbaissé formant la limite de la tribune des orgues.<br />

On a remplacé ensuite les colonnes broyées et déversées des premaière.s travées<br />

de la nef, repris les faisceaux de piliers dégradés, et refait à neuf les<br />

voûtes des bas-côtés de la galerie et des quatre premières travées de la grande<br />

nef. Les autres voûtes ont été réparées et nettoyées, le dallage de ces travées<br />

refait à neuf.<br />

A l'extérieur, les fenêtres en pierre usée des galeries et de la nef ont éte<br />

remises en état; les arcs-boutants, mal établis, déversés, et trop faibles pour résister<br />

à la poussée de la voûte, ont été remplacés par des arcs-boutants plus<br />

forts, dont les têtes sont disposées aux points réels de la poussée. Cette opération<br />

permit de supprimer les énormes tirants en fer qui, depuis six cents ans,<br />

traversaient la nef.<br />

On pose en ce moment les <strong>der</strong>niers arcs-boutants de La nef, travail qui<br />

sera suivi du rétablissement de la chat-pente et de la couverture. BoEswa.L-<br />

WALD, S. û t.<br />

A


- 23 -<br />

ebenso wie seine Vorgiinger ein schleehter Ingenieur, sein technisches<br />

Knnen stand nicht im Einklang mit seinem kiinstierisehen<br />

Woflen. Kitnstleriseh aber sprach er das Schlul3wort f tir die Fassadengestaltung<br />

<strong>der</strong> friihgotischen Epoche. ,,Der Vergleich mit<br />

<strong>der</strong> Panser Fassade wird das beson<strong>der</strong>e Wesen <strong>der</strong> von Laon am<br />

schnellsten verstndlic1i machen. In Paris liegen die Mauerffltchen<br />

in nahezu <strong>der</strong>selben senkrechten Ebene, <strong>und</strong> ans dieser treten die<br />

Strebepfeiler mit mitl3igem Relief hervor. In Laon hingegen ist<br />

<strong>der</strong> Rïicksprung von GeschoB zu Geschol3 sehr bedeutend (vgl. das<br />

Profil auf Tafel 416 in D. & y. B.)" Er wird zum gr2ten Teil<br />

bedingt durc die tiefen Portalvorhallen. Deren Giebel <strong>und</strong> Pinakel<br />

II mn maleriseb freier Weise in clas erste Fenstergeschof3<br />

ein <strong>und</strong> stempein es dadurch zu einem blol3en Mezzaniiigeschofl;<br />

"alles hiichst origineil gedacht <strong>und</strong> hichst wirkungsvoll in den<br />

kriiftigen Gegensdtzen von Licht <strong>und</strong> Schatten, von Einzelheiten<br />

Wir haben in dieser <strong>und</strong> den vorhergehenden Anmerkungcn BO1SWILLWÂLD<br />

ans drei Griinden so ausfiihrlich zu Worte kommen lassen. Einmal, weil BoRs-<br />

ILLWALD hier, soweit es sich darum handelte, den Tiirmcn wie<strong>der</strong> cine feste<br />

Basis zu geben, einc âhnlicbe Aufgabe zu isen hatte, wie sic jetzt das Stra&burger<br />

MUnster stelit. Sodanu, uni cinen Begriff zu geben von <strong>der</strong> Notwendigkeit<br />

<strong>der</strong> griindiichen IRestaurierung <strong>der</strong> Kathedralc <strong>und</strong> <strong>der</strong> vorbildiichen Art, in<br />

<strong>der</strong> die Arbeiten durchgefOhrt worden sind. Freilicli aile, die sich nur an <strong>der</strong><br />

Romantik altersgraucn Gesteins begeistenu kiinnen, werden sich angesichts <strong>der</strong><br />

vielen nenon Steune entsetzen. Aber es handelte sich nicht danum, eine Ruine<br />

zu restaurieren, sondorn ein noch heute deni urspriunglichen Zweck dienendes<br />

Gebaude von viIligem Untergauge zu bewahrcn. Pas wurde erreicht durch eine<br />

technische Leistung crsten Ranges. Trotz des groBen lJmfanges dieser Arbeit<br />

ist sic doch keinc ,,Restaurierung" mm ilbien Sinne des Wort.cs, son<strong>der</strong>a nur eine<br />

reconsolidation, wie die Franzosen zuwoilen f un restauration sagen. Drittens<br />

liefern die AusfOhruingen BOESWILLWALDS einen wichtigen Beitrag zu <strong>der</strong> Frage:<br />

Wic stand es mit <strong>der</strong> Statik <strong>der</strong> Bauwerke mm Nittetalter? Konnte man z. B.<br />

die Lest eines Turmes theoretisch berechnen, <strong>und</strong> wuBte man, wie viel ein<br />

Pfeiler von bestimintem Querschnitt <strong>und</strong> ans bcstimmtem Stein zu tragen vermochte?<br />

Die Gcschichte <strong>der</strong> Kathedrale von Laon, <strong>der</strong> Einsturz des Sudturmes<br />

<strong>der</strong> Kathedrale von Sens, die Katastropho des Chores <strong>der</strong> Kathedralc<br />

von Beauvais geben ni. E. cine deutiichere Antwort ais die von HA5ÂK<br />

(S. 220) herangezogenen Quellcn, die so lange ohue Wert bleiben, bis es wenigstens<br />

gelïngt, aie verstiindlich zu iibersetzen. Was ist miter onus <strong>und</strong> pondus<br />

<strong>der</strong> Gewilbc zu verstehen? HAsx itbersetzt (S. 221) ,,Gewicht" <strong>und</strong> Last".<br />

fat etwa Druck nnd Schub genieint? DaB ein Gewblbe Druck <strong>und</strong> Schub nustibte,<br />

wulito man naturiich; danuin gab maui ihm ja Pfeiler <strong>und</strong> Widonlager.<br />

Aber den gtinstigsten Angniffspunkt fUr dits Wi<strong>der</strong>lager enmittelte min erst nach<br />

l.ngorcr Praxis. Zur Zeit, ais min die Kathedralo von Laon entwarf, war er<br />

noeh nieht bekannt. Vgl. dcii vorletzten Abschnitt <strong>der</strong> oben zitierten AnsfUhru<br />

ogen BOESWJLLWALPS.


- 26 -<br />

<strong>und</strong> Masse. Es folgen im Hauptgeschofl, wie<strong>der</strong> in breite, durch<br />

tber\vÔ1bung des Raumes zwischen den Strebepfeilern entstehende<br />

Nisehen eingeschlossen, die grof3en Lichtffnungen. Die Rose<br />

wirkt nocli beherrschen<strong>der</strong>, noch zentralisieren<strong>der</strong> ais in Paris, <strong>und</strong><br />

indem sie sich mit ihrem Scheitel über die Seitenfenster hinaus<br />

erhebt, motiviert sic die Brechung <strong>der</strong> SchluBgalerie in eine hôhere,<br />

mittiere <strong>und</strong> zwei nie<strong>der</strong>e seitiiche Stufen, womit dasselbe, mir ungleich<br />

volikommener, erreicht ist, was dem Meister <strong>der</strong> Fassade<br />

von St. Denis orgeschwebt hatte: rechtzeitige Vorbereitung auf<br />

das Freiwerden <strong>der</strong> TUrme, leicht pyramidales Ansteigen <strong>der</strong> Gruppe<br />

gegen die Mitte, hind entend au.f den steigenden Rhythmus im<br />

Querschnitt <strong>der</strong> hinter ihr liegenden Schiffsriiume." Au <strong>der</strong> nôrdlichen<br />

Querschiffsfassade liegen aile drei Abschnitte dieser Galerie<br />

über deni Rosenseheitel, sic ist aiso ais ungebroehene Horizontale<br />

durchgetUhrt. Eine Brechung erscliien hier iibe deii wagerechten<br />

Glie<strong>der</strong>n unmotiviert; an <strong>der</strong> Westfassade wiede'hoIt die Galerie<br />

das Auf <strong>und</strong> Ab <strong>der</strong> Vorhallengiebel. Die Ferister des dritten<br />

Turmgeschosses <strong>der</strong> Nordfassade reichen nur bis zur Hôhe des<br />

Hochschiffsgesimses, so dag zwischen ilinen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Galerie eine<br />

leere Fhiche bleibt. An <strong>der</strong> Siidfassade vermied man dieses kahie<br />

Mauerstuck dadurch, dafi man die Galerie nur auf das Mittelstiick<br />

setzte <strong>und</strong> die seibstâridigen Tiirmgeschosse schon in <strong>der</strong> Hôhe des<br />

Hochschiffsgesimses beginnen ]iel3. TJm trotzdem mit den SUdtUrmen<br />

bis zur Hôhe <strong>der</strong> Nordtiirme hinaufzukornmeu, inuBte man<br />

ihren Aufbau au<strong>der</strong>s gestalten <strong>und</strong> schob deshalb unter iir letztes<br />

HauptgeschoB ein ZwischengesclioB. Per Meister <strong>der</strong> Westfassade<br />

fand die volikomnienste Lôsung. Er liefi zur Ausgleichung <strong>der</strong><br />

Hôhendiffereuz zwisclien Rosenscliejtel <strong>und</strong> Turmfensterschejtel die<br />

horizontale Galerie auf- <strong>und</strong> absteigen <strong>und</strong> erzielte damit die bereits<br />

geschul<strong>der</strong>ten Wirkuiigen. Zugleich gewann er dadurch einen guten<br />

Anschlul3 <strong>der</strong> TÎirme an das Hochschiff. Da die Galerie an den<br />

Tiirmen tiefer liegt ais am Mittelsttick, ist <strong>der</strong> Hôhenunterschied<br />

zwischen dem Hochschiff <strong>und</strong> dem dritten Turmgeschol3 nur unbedeutend,<br />

<strong>und</strong> dieser geringe }{ôhenunterschjed erzeugt hier cine<br />

gewisse Lebendigkeit, eretont das Aufwrtsstreben <strong>der</strong> Tiirme.<br />

Bas Hochschiffsgesinis kiettèrt also gewissermaflen auf zwei Stufen<br />

zuni Rosenschejtel empor: vom Hochschiff zum dritten TurrngeschoB,<br />

von hier zur groBen Rose. Auf diese Weise wird ein vorztiglicher<br />

Anschluf3 <strong>der</strong> Tiirme <strong>und</strong> <strong>der</strong> ganzen Fassade an das Langhaus<br />

- trotz einer Differenz von ca. 2 1 z m zwischen dem Hoclisehiifsgesimse<br />

<strong>und</strong> dem Rosenscheitel - <strong>und</strong> eine starke rliytliiiiische


- 27<br />

Bewegung erzielt. ,,Mag die PariserFassade in <strong>der</strong> Schinheit <strong>der</strong><br />

geometrischen Proportion en iibr1egen sein, die von Laon ist organischer;<br />

sie ist auch, durch die sU&rkere Brechung <strong>der</strong> Massen,<br />

spezifiseher gotisch. Von <strong>der</strong> wohltemperierten Eleganz <strong>der</strong> kiassischen<br />

Gotik weif3 sie aber noch nichts; <strong>der</strong> sie erdachte, war,<br />

wenn man wil, ein iioch mit einem Restchen von Barbarentum<br />

behaftetes Genie, aber ein Genie ganz <strong>und</strong> gar, voil Urspriinglichkeit<br />

<strong>und</strong> freudiger Kilinheit, sicher ein besserer Interpret <strong>der</strong> vita<br />

activa ais <strong>der</strong> vita contemplativa".')<br />

Wir sind am Ende <strong>der</strong> fiihgotischen Zeit angelangt. in ihrer<br />

Asfthrung gehren die Fassaden von Senlis, Paris, Mantes <strong>und</strong> die<br />

Westfassade von Laon schon in die Zeit <strong>der</strong> <strong>Hochgotik</strong>. Fassen wir kurz<br />

zusammen, was die bedeiitendsten Meister <strong>der</strong> Frïihzeit zurFir<strong>der</strong>ung<br />

des Problems geleistet haben. In Mantes war <strong>der</strong> best.e ÀnscliluB <strong>der</strong><br />

Tiirme an das Langhaus lin Gr<strong>und</strong>riB erreiclit worden. Die Turuibasis<br />

bat die Gri13e eines Seitenschiffsjoches. 2;ur Verbesserung <strong>der</strong> Proportionen<br />

hatte sich <strong>der</strong> Yeister <strong>der</strong> Ne lii;tupug <strong>der</strong> Strebepfeiler rn<br />

bedient. In Laon a13t' sich <strong>der</strong> AufriB <strong>der</strong> Fassaden am voilkommensten<br />

dem Aufbau <strong>der</strong> Schiffe an, ja, schon <strong>der</strong> erste Meister<br />

<strong>der</strong> Kathedrale hatte beim Entwurf des Mittelschiffsquerschnittes<br />

im Quer- <strong>und</strong> Langhause auf den AnschluB <strong>der</strong> Fassaden Riicksicht<br />

genommen. Per Meister <strong>der</strong> Westfassade erfand in den Vorhaflen<br />

ein Mittel, das das Griil3eriverhitltnis <strong>der</strong> drei Portale zueinan<strong>der</strong><br />

unabMngig von den Proportionen <strong>der</strong> Horizontal- <strong>und</strong><br />

Vertikalabschnitte <strong>der</strong> Fassade zu gestalten erm5g1icht. Die Panser<br />

Westfassade bot mit ihren beiden stark betonten Galerien ein Beispiel,<br />

wie man auch bei dem ungiinstigsten Gr13enverhdtnis <strong>der</strong><br />

Turme zum MittelstUck durcli Tberhiihung des Mittelstiicks <strong>und</strong><br />

durci Zusammenfassen <strong>der</strong> drei senkrechten Fassadenabschnitte<br />

mittels honizontaler Biin<strong>der</strong> das Gleichgewicht wie<strong>der</strong>herstellen<br />

konnte. Nicht erreicht hatte man, ohne die iii das erste Seitenschiffsjoch<br />

einschneidenden Verstrebungen y <strong>und</strong> ohne VersuLrkung<br />

<strong>der</strong> Turmfreipfeiler auszukommen. Der <strong>Hochgotik</strong> blieb also vor<br />

allem ein technisches Problem zu bisen.<br />

Die Fassaden <strong>der</strong> hocligotischen Kirchen.<br />

Die <strong>Hochgotik</strong> beginnt mit dem Neubau <strong>der</strong> Kathedrale von<br />

Chartres im Jahre 1194. Die Begriffe Frtih- <strong>und</strong> <strong>Hochgotik</strong> wer-<br />

') D. & y . B. U S. 99.


- 28 -<br />

den allerdings meist ganz willkiirlich gebraucht. Deutsche Ardutekten<br />

<strong>und</strong> Kunsthistoriker nennen Bauten des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

hochgotisch <strong>und</strong> aile friiheren in Frankreich <strong>und</strong> Deutschland fruhgotisch,<br />

seibst <strong>der</strong> Choi' des Ki1ner Domes wird zuweilen zur <strong>Fruh</strong>gotik<br />

gerechnet. Demgegeniiber hat DEUI0 nachgewiesen, daB die<br />

Zeit, die die Franzosen ais die ,,Epoche <strong>der</strong> grof3en Kathedraieii"<br />

bezeichnen, die Zcit <strong>der</strong> efe, die kiassisehe Epoche ist.') Da,<br />

was man hitufig <strong>Hochgotik</strong> nennt, biidet in Wahrheit schon die<br />

erste Phase <strong>der</strong> Sptgotik, den ,,doktrinaren Stil".') Von den voilst.ndig<br />

zur Ausfiihrung gelangten ,,groIen Kathedralen" zeigt die<br />

von Amiens ohne Zweifei den gotischen Stil in semer Reife. Sie<br />

ist du Monument, ,,dans lequel cet art a manifesté la plénitude de<br />

son système et de ses ressources, où il s'est le plus rapproché de son<br />

idéal, où les <strong>der</strong>nières solutions décisives ont été trouvées, celui, où<br />

finit le progrès et après lequel commence l'exagération et la décadence."")<br />

Steht nun die Kathedrale von Chartres <strong>der</strong> von Amiens<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> von Laon nher? Betrachtet man du Detail, so wird<br />

man sagen miissen: <strong>der</strong> von Laon. Stelit man aber das rein Architektonische<br />

in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, so ist nicht zu bestreiten, dal3 mit<br />

<strong>der</strong> Kathedrale von Chartres etwas Neues beginut, dal <strong>der</strong> Fortschritt<br />

von Laon bis Chartres viel grtBer ist ais von Chartres<br />

liber Reims bis Amiens.<br />

,,Auf die Erfahrungen zweier unerhôrt regsamer Menscheitalter<br />

fuBend, war man jetzt des neuen Konstruktionssystems vôilig<br />

Meister; zu je<strong>der</strong> Rauingestaltung, so wie <strong>der</strong> Geist sie for<strong>der</strong>te,<br />

fiihite man sicli Mhig; ebenso war die Formensprache, durcit<br />

manche Metamorpiiosen hindurch, mit dem neuen Inhait endlich in<br />

flbereinstimmung gebracht, ein fiuissiges ausdrucksvolies, nunmehr<br />

liberail auch von den Laien verstandenes Idiom. M lle hutte da<br />

du Verlangen ausbleiben knnen, mit dem ais grenzeiilos eiupfuiidenen<br />

Konnen frei sich auszunirken Durch rnchts geh€mmt, du<br />

ganz Grol3e <strong>und</strong> gleichmuiMig Volikommene zu erstreheii? Mit<br />

uliniichen Empfindungen geht wohl <strong>der</strong> Meister von Chartres ans<br />

Werk. Er unterzieht gewissermatlen ailes bishr Erreichte einer<br />

scharf en Kritik <strong>und</strong> wirft mit volistem Bwut3tsein fur die<br />

Tragweite semer Neuerungen ailes, was nur noch aus Tradition<br />

1) D. & y. B. II S. 106f. <strong>und</strong> 125f.<br />

2) D. & V. B. II S. 179 f.<br />

8) GaonoEs DURÂND, Monographie de l'église Notre-Daine cathédrale d'Amiens.<br />

Amiens <strong>und</strong> Paris 1901, I. Teitband, S. IL<br />

4) D. & y . B. II S. 106 f.


- 29<br />

mitgeschleppt worden ist <strong>und</strong> dem Stande <strong>der</strong> Entwicklung, beson<strong>der</strong>s<br />

auf konstruktivem Gebiete, niât rnehr entspricht, rUcksichtslos<br />

beiseite, er bildet mit grof3em Geschick die errtwieklungsfithigen<br />

Elemente ans <strong>der</strong> vorangehenden Epoclie weiter<br />

<strong>und</strong> nimmt die Verbesserung alles dessen, was an den frUheren<br />

Bauten die tsthetîsche Kritik herusfor<strong>der</strong>t, mit gliickiicher Hand<br />

in Angrif. Die Emporen wurden, da sic ans konstruktiven Granden<br />

nicht mehr erfor<strong>der</strong>lich sind'), ausgeschaltet <strong>und</strong> die sechsteiligen<br />

GewÈilbe, die dem vom Roinanismus ererbten geb<strong>und</strong>enen<br />

System" zuliebe') beibehalten worden waren, werden aufgegeben.<br />

In Chartres ist das neue System im Prinzip fertig, es erleidet<br />

eine wesentliche Ân<strong>der</strong>ung erst mit <strong>der</strong> Durchbrechung <strong>der</strong> Auflenmauer<br />

des Triforiums." 3) Der Au[3enbau, <strong>der</strong> bisher zu kurz<br />

gekommen war, erfiihrt in allen Teilen eine erhebliche Fiirde-<br />

1) Die Emporen hatten in gotiseher Zeit nui einen konstruktiven Zweek.<br />

Sie wurden sofort aufgegeben, ais <strong>der</strong> ituBere Strebeapparat so weit ausgebildet<br />

war, daB er die Funktion <strong>der</strong> Emporen iibernehmen konute. Hâtten sic eincr<br />

grol3eu Zahi von Mensehen Platz gewithren sollen, so hiLtte man z. B. in Reims<br />

niclit auf sic verzichtet, trotz des Vorbiides von Chartres. Denn gerade die<br />

Krdiiungskathedraie <strong>der</strong> frauz1sischen Kdnige inuBte doch cine groBe Mensehenmenge<br />

aufnehmeu kiinnen. Allerdings gab es schon vor Chartres gotische Kirchen<br />

ohnc Emporen, wie die Kathedrale von Sens <strong>und</strong> St. Yved in Braisne.<br />

Aber diese Kirehen zeigen cin an<strong>der</strong>es Ranmgefubl. In Nordfrankreich dagegen<br />

lautete bei gro&n Bauten das Problem: Wie lassen sich Steingew$Ibe mit<br />

Hoehrâumigkeit verbinden?" (D. & r. B. II S. 498.)<br />

2) Sie hatten nur noch einen Sinn in Verbindung mit Stittzenwechsel<br />

[St. Denis (?), Senlis, Noyon, Mantes]; hier wie<strong>der</strong>hoit <strong>der</strong> Rhythmus <strong>der</strong> Decke<br />

den Rhythmus <strong>der</strong> Sttitzen. Eine ununterbrochene Folge von R<strong>und</strong>pfeilern muBte<br />

sehr haId zur einfachen Travec mit oblongem KrenzgewlIbe fiiliren; die Beibehaitung<br />

<strong>der</strong> seehsteiligen Gew1be (Laon, Paris, Bourges) ist cine Inkonsequenz,<br />

(lie nui aus <strong>der</strong> Ocwiihnung au dicse Gewd1beform zu erkliiren ist.<br />

) V. BEZOLD, S. 188. Pas Verdienst, die Bedeutung des Meisters <strong>der</strong> Kathedraie<br />

von Chartres zuerst erkannt vu haben, gebuhrt dem Architekten F1uNz<br />

MEnTENS. Vgl. seine Aufsâtze Paris baugeschichtlieh im Mittelalter" im 8. <strong>und</strong><br />

12. Jahrgange <strong>der</strong> von LuiwIG FRsTEa herausgegebenen Ailgeineinen Bauzeitung<br />

(Wien 1843 <strong>und</strong> 1847), beson<strong>der</strong>s S. 76f. im 12. Jahrgang. Lei<strong>der</strong> sorgte <strong>der</strong><br />

Chauvinismus hUben wie drilben dafur, daB MERTENS mit seinen Forschungen<br />

wduig Anerkennung fand In Frankreich sali man es nicht gern, daô ein Deutscher<br />

zu so wiehtigen Ergebnissen in <strong>der</strong> Erfoîsà1"àuÏ <strong>der</strong> franz1sischen Kunst<br />

gekommen war, <strong>und</strong> in Deutschland batte man an dem Nachweis, daB dia ,,aitdeutsche"<br />

Kunst in Frankreichenanten ist, keine Frende. Nachdem MJRTENB<br />

1897 verbittert <strong>und</strong> im Elend gesturbeii war, bat ncuerdings die KUnigliche<br />

Akademie des Bauwesens in Berlin HASAK mit <strong>der</strong> Herausgabe <strong>der</strong> ,,Zeittafeln<br />

<strong>der</strong> DenkmJer mittelalteriicher Bnukunst von FRANZ MEBTENS" beanftragt. Sic<br />

sind 1910 in Berlin ersehienen.


- 30 -<br />

rung. So wird das Strebesystem, in frtihgot.ischer Zeit eine rohe<br />

Hilfskonstruktion, hier zu einer Kunstform'); <strong>der</strong> Chor mit Umgang<br />

<strong>und</strong> Kapellenkranz, desseil Wirkung die Frthgoti1 im, Unterschiede<br />

vom romaiischen Stil Westfrankreichs IJg1Yh? f tir die<br />

Innenansicht fruchtbar gemacht hat, ist in <strong>der</strong> Auf3enansicht <strong>der</strong><br />

schnste aller gotischen Chre 2). Die Liisùn" des Fassaden- <strong>und</strong><br />

Turmproblems ist im Gr<strong>und</strong>rifi <strong>und</strong> Aufrif3 die konsequenteste, die<br />

sich iiberhaupt denken HLI3t, <strong>und</strong> bleibt f tir die nâchsten hochgotischen<br />

Bauten maf3gebend, wenn sie auch von keinem in <strong>der</strong><br />

Konsequenz erreiclit wird 3). Die unteren Turmgeschosse bilden je<br />

em Seitenschiffsjoch, das sich durch nichts von den an<strong>der</strong>en miterscheidet<br />

4). Die Puriufreipfeiler sind nicht strker ais, die tibrigen<br />

Schiffspfeiler, so daB das System von je.<strong>der</strong> Dissonauz freibleibt.<br />

Selbst die Strebepfeiier o sind nicht sUi.rker <strong>und</strong> laden nicht<br />

weiter ans ais die Strebepfeiler des Langhauses, ja, <strong>der</strong>en<br />

auflergewihu1iche Stiirke erklart sich daraus, daB <strong>der</strong> Meister<br />

auch im Aut3eubau eine absolute Gleichheit aller Strebepfeiler erstrebte.<br />

Dies hatte weiter zur Folge, dafi die Seitenschiffe des<br />

Lang- <strong>und</strong> Querhauses im Gegensatze zu denen des Chores nui<br />

einfache, schmale Fenster erhalten konnten 6). Die Turmverstrebungen<br />

a fehien gtnz1ich, sodaB kein Hochscbiffsfenster verdeckt wird.<br />

Die Strebepfeiler r sind nur in Hoclisciiiffshihe vorhanden <strong>und</strong><br />

laden (ebenso wie die Strebepfeiler m, n <strong>und</strong> o im 2. Gescho3) so wenig<br />

aus, daB sie nieht liber die Seitenschiffsfenster zu stehen koinmen<br />

Da keiner <strong>der</strong> Ttirme zur Ausftihrung gelangt ist, knnen wir uns<br />

keine Vorstellurig von <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> oberen rrurmgeschosse inachen.<br />

Es ist aiso nicht mig1ich, die Mehrbelastung <strong>der</strong> Turmfreipfeiler<br />

1) D. & 'r. B. 11 S. 145 f.<br />

2) D. & 'r. B. II S. 119f.<br />

3) Auch in <strong>der</strong> Fassadcngestaltung crwcist sich also die Kathedrale von<br />

Chartres ais die ,,hochgotische Mutterkathedrnie" (D. & 'r. B. II S. 124).<br />

') Monographie de la cathédrale de Chartres, publiée par les soins du<br />

ministre de l'instruction publique, Paris 1867 (bearbeitet von DIDRON, LASSOS et<br />

Duvsi.), Taf, 1 (die ersten Tafein sind faisch paginiert).<br />

) Der funfschiffige Chor verlangt freilich ein leichteres Strebesystem.<br />

Denn die Strebepfeiler, die auf den Freipfeiicrn zwischen dem iiueren <strong>und</strong><br />

inneren Seitensehifi stehen, diirfen nicht zu sehwer sein. Ein so kolossales Strebesystem,<br />

wie das des Lang- <strong>und</strong> Querhauses wtirde auch in <strong>der</strong> Verdoppeiung<br />

hiifflich wirken, zumal da die ueren Strebepfeiler sich uicht bis zu dcrselben<br />

Hbhe wie an einer dreischiffigen Anlage entwickeln knnen. Ans demaelben<br />

Gr<strong>und</strong>e geniigt freilieh cine geringere Sr.rke; denn die inneren Strebepfeiler<br />

finden ein Wi<strong>der</strong>iager in den au<strong>der</strong>en Strebebgen, <strong>und</strong> diese wirkeu am an<strong>der</strong>en<br />

Ende auf eineu kiirzeren Uebelarm ais die Strebebbgen am Lang- <strong>und</strong> Querhanse.


- 31<br />

im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en Schiffspfeilern <strong>und</strong> die Strke<br />

des Seitenschubes, den die TUrme im Hochschiff auf den<br />

ersten Gurtbogen <strong>und</strong> die Schildbôgen des zweiten Joches ansilben,<br />

zu berechnen. Wir wisseii auch niât, ob die Berechnungen<br />

des Meisters von Chartres richtig waren o<strong>der</strong> ob die Ausfthrung<br />

seines Entwurfes àlinliche Ung1flcksflle wie in Laon zur Folge<br />

gehabt hiitte. Jedenfalis miissen wir annehmen, dafi er das 0ewicht<br />

<strong>der</strong> Tlirme auf das tuf3erste Minimum beschriinkt Mt,te. Wir<br />

werden nicht fehigehen, wenn wir sie uns den Querschifïstiirmen<br />

<strong>der</strong> Reimser Kathedrale âhnlich denken. Diese existieren zwar<br />

auch nicht mehr - sie sind im Jahre 1481 einer Feuersbrunst<br />

zum Opfer gefallen -, aber die am westlichen Turm <strong>der</strong> Sudquerschiffsfassade<br />

noch vorhandenell Anstze lassen erkennen, daB es<br />

sich um eine auBerordentlieh leichte Konstruktion, wie man sic<br />

heute in Eisen o<strong>der</strong> Stahi ausfiihren wiirde, gehandeit hat. Soweit<br />

die technische Seite des Fassa<strong>der</strong>i- <strong>und</strong> Turmproblems.<br />

Über den urspriinglich geplanten Aufbau <strong>der</strong> Fassaden etwas<br />

sagen zu wolien, erscheint auf den ersten Blick unmig1ich. Demi<br />

keine <strong>der</strong> drei Fassaden existiert so, wie sic <strong>der</strong> erste Meister geplant<br />

hat. Die Querschiffsfassaden sind spitter umgebaut worden,<br />

die Vvrestfassade ist tberhaupt nicht zur Ausfiihriing gekomm en;<br />

man hat sich schliel3lich damit begnhigt, die alten Westtiirme, so<br />

gut es ging, in den Neubau hineinzuziehen <strong>und</strong> das Mittelstiick um<br />

die groBe Rose zu erhôhen'). Trotzdem ist es mii glich, den AufkD<br />

1) Die drei westlichen Joche des Langhauses hben eine geringere Breite<br />

ais die librigen, ein Zeichen, da man sich erst im letzten Augenblick zur Beibehaltung<br />

<strong>der</strong> alten Westfassade entsehloli. Der Aehsenabstand ist nicht in<br />

jedem <strong>der</strong> drei Joche <strong>der</strong> gleiche, son<strong>der</strong>n er nimmt von Ost nach West ab, wohl<br />

mit Riicksicht auf die Rosen <strong>der</strong> Hochschiffsfenster. Waren diese in den drei<br />

westlichen Jochen gleich, 80 wiirde die Tangente, die man beim Bctrachten <strong>der</strong><br />

Iiochschiffswand un'willkiirlich von Fuilpunkt zu Fupuukt <strong>der</strong> einzelnen Rosen<br />

zieht, einen p15tzIiehen Knick nach oben machen, whrend sie se - bei ailmithuieher<br />

Verringerung des Achsenabstandes <strong>und</strong> des Rosendiirehmessers - in<br />

eiue leicht gekrlmmte, nach den aufstrebenden Ilirmen ansteigende Kurve ilber.<br />

geht. DaB <strong>der</strong> erste Meister <strong>der</strong> hochgotischen Kathedrale mit dem Abbrnch<br />

<strong>der</strong> alten Tiirine rechnete, ist liber jeden Zweifel erbaben. Er batte sieh, wie<br />

wir sehen wcrden, die volikominenste Lbsnng des <strong>Fassadenproblem</strong>s fUr die Westseite<br />

aufgespart. Es ist anch v51iig <strong>und</strong>enkbar, daB ein Meister, <strong>der</strong> wie or<br />

auf die vollendete Harmonie aller Teile seines gewaltigen Werkes ansging, sich<br />

mit einer Fassade batte begnùgen sollen, die we<strong>der</strong> im AufriB noch im GrandriB<br />

zu den Abmessungen des in alleu Binzelheiten fein berechneten Neubaus<br />

paBt <strong>und</strong>, Air sich betrachtet, présente un défaut d'harmonie ' (LEvB-PoN-<br />

TALIS). Man hitte sich sicher entschlossen, die miichtigen, noeh nicht ein Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

alten Tllrine abzubrechen, wie man es spitter in Reims getan hat, wenn


32<br />

ril3 <strong>der</strong> drei Fassaden zti rekonstruieren. Da <strong>der</strong> Meister die<br />

Tiirme im Grandril3 <strong>und</strong> Aufrif den Schiffen genau angepaf3t hat,<br />

so Iiegt die Annahme nahe, daB nach seinem Entwurfe auch <strong>der</strong><br />

Aufbau <strong>der</strong> Fassadenmittelstilcke dem <strong>der</strong> Mitte1schile genau eutspreclien<br />

soute. Beson<strong>der</strong>s f tir die Inneawirkiing war in ein harmonischer<br />

Aisch1u13 <strong>der</strong> Fassadeuwand an das System <strong>der</strong> Schiffe<br />

von grH3ter Bedeutung. Wir mtissen uns also das Triforium an<br />

alleu drei Fassaden herumgefiihrt denken. Dann entsprichen die<br />

maii nicht dureh Geidmangel - die Obergeschosse <strong>der</strong> sechs neuen Tiirme <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Vierungstnrm wnrden tiherhaupt nicht in Angriif genommen - <strong>und</strong> durch<br />

den Wunsch, das Gebaude m{iglichst bald vi11ig unter Dach au bringen, zur<br />

Beibehaltung <strong>der</strong> alten Fassade geniltigt geweseit w.re. Zur Geschichtc <strong>der</strong><br />

Westfassade vgl. E. LEFÊVRE-POcFALIS, Les façades successives de la cathédrale de<br />

Chartres au Me et an XII e siècle, im Congrès arch. 1900, 437e session, S. 256-307<br />

<strong>und</strong> Les fondations des façades de la cathédrale de Chartres im Bull. mon.<br />

1901, t. LXV, S. 263-283. Nach deni Brande von 1134, jedenfalls vor 1160, so<br />

fiilirt LBFÊVEE-P0NTALIS ans, waren die drei Portale sarnt den Fenstern uber<br />

ihuen vollendet. Aber sie standen iistlieh <strong>der</strong> Ostwand <strong>der</strong> Titrme <strong>und</strong> biideten<br />

die Fassado einer Vorhalle mit dariiber liegen<strong>der</strong> Empore. <strong>Das</strong> Bitn <strong>der</strong><br />

Fuudamentmauer gab den A à,'-die Fassade abzubrechen <strong>und</strong> aie in <strong>der</strong> Flucht<br />

<strong>der</strong> Westwand <strong>der</strong> TUrme wie<strong>der</strong> aufzubauen, wobei es nieht ohne cinige Gowaitsainleiten<br />

<strong>und</strong> die Erneucrung <strong>der</strong> bcschltdigten StOcke abging. LaFÈVRE-<br />

PONTALIS fiihrt S. 291-302 verschiedene Griinde dafdr an, dai3 diese Versetzung<br />

<strong>der</strong>, Fassde ioch vor 1194 vorgenommen sein muB. Dabei hat er einen nicht<br />

uiiw'khfgeii tibersehc. Über den beiden seitiichen Fenstern haben sich nâmlieh<br />

die Reste des Eiisttmgsbogens erhalten, <strong>der</strong> fruher den Giebel <strong>der</strong> Fassade<br />

trug. Sein Scheitel hat <strong>der</strong> grotien Roc Platz niachen mussen. Batte man die<br />

Fassade crst zu <strong>der</strong> Zeit vsètzt, ais schon <strong>der</strong> Querschnitt <strong>der</strong> neuen Kathedraie<br />

<strong>und</strong> dcmentsprechend die Erh5hung <strong>der</strong> aiten Fassade um ein Rosenfeuster<br />

festgelegt war, so hdtte man nicht einen Entlastungsbogen wie<strong>der</strong> zu banen<br />

begonnen, von dem man wuBte, daB man ihn nieht wrde schiieBen kdnnen. Ja,<br />

man hutte das ganze zweite GeschoB nicht in semer urspriinglicheii HOhe wie<strong>der</strong><br />

aufgebaut. Denn fur die Rose blicb kaum nocli Piatz. Ihr Scheitel liegt bedeutenti<br />

hUher ais <strong>der</strong> <strong>der</strong> Hochschiffsgewdlbe, Vom Chorliaupte ans ist aie<br />

gerade noch vollstndig zu sehen, beini B]ick ans <strong>der</strong> datiichen Chorkapelle<br />

treten schonÛberschncidungen durch die Gurtbogen des Hochsehiffs ein. <strong>Das</strong><br />

hutte sicli bequem vermei1en lassen, w.enn man, beim Wie<strong>der</strong>aufbaucn <strong>der</strong> Fassade<br />

im zwciten Gcschol3 einige Qùerscliichten weggeiassen hutte. Daim wUrde<br />

auch <strong>der</strong> Knick in <strong>der</strong> Mittelachse, <strong>der</strong> dadurch entsteht, daB die Achse <strong>der</strong><br />

nenen Kathedrale mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> aiten nicht genau zusammonfitllt, nicht sa in die<br />

Augen springen, well dann nicht das AbschluBgesims des zweiten Geschosses augleich<br />

den Scheitelpunkt des mittieren Fensters <strong>und</strong> den FuBpunkt <strong>der</strong> ans <strong>der</strong><br />

Achse gesehobenen Rose tangieren wiixde. Nimmt man also mit LErÈvna-P0N-<br />

TALIB cine Versetznng <strong>der</strong> Portale samt don Fenstern ver 1194 an, so werden<br />

dainit die youDEmo (D. & y. B. II S. 96) gegen die Versetzung <strong>der</strong> Portale erhobenen<br />

Eitiwinde hinrallig. - 1507-1512 haute JEAN DE BaaucE don nOrdlichen<br />

Turm ans.


- 33 -<br />

Portalgesehosse den Seitenschiffen, das iiiittlere Glied wire an den<br />

Fassaden <strong>und</strong> in den Hochschiffen dasselbe, den Hochschiffsfenstern<br />

entspriichen die Fassadenrosen, o<strong>der</strong> vieimehr umgekehrt, den<br />

Fassadenrosen die Hochschiffsfenster. Denn diese sind so gestaltet,<br />

daf3 sicli das Motiv <strong>der</strong> Fassadenrose im Langhaus, Querhaus <strong>und</strong><br />

Langehor fortsetzt. Die urspriinglicheii Fassadenrosen im Querschiif<br />

haben wir uns den Querschiffsrosen von Laon âlinlich zu<br />

deuken, sodaB sic also besser ais die jetzt vorhandenen zu den<br />

Fensterrosen <strong>der</strong> Hochschiffe passen wiirden 1). Pas Radfenster<br />

<strong>der</strong> Fassade war ein Erbsttick, das die Gotik vont Rom anismus<br />

ibernommeii hatte <strong>und</strong> das sic wegen semer grol3artigen Wirkung<br />

niclit aufgeben wolite. <strong>Das</strong> groBe Radfenster gibt viel melir ais<br />

ein Spitzbogenfenster dent Mitte1stick in <strong>der</strong> Fassade eine domi -<br />

nierende Steilung. Die konsequente Weiterentwicklung des gotisehen<br />

Stiles dr&ngte aber zu einer gieichftrmigen Gestaltung <strong>der</strong> Fenster<br />

im Hochscliiff <strong>und</strong> iii den Fassadeuwiinden, sic for<strong>der</strong>te also auch<br />

f lir das Hauptfeiister <strong>der</strong> Fassade den Spitzbogen. Trotzdeni belijeit<br />

<strong>der</strong> Meister von Chartres die Fassadenrose bei; denn das Hhen -<br />

<strong>und</strong> Breitenverhaitnis des Raumes zwischen Triforium irnd Hochschiffsgewiilbe<br />

war fur ein Spitzbogenfenster nicht giinstig. Es<br />

blieh aiso nichts an<strong>der</strong>es iibrig, ais die Hochschiffsfenster den<br />

Fassadenfenstern anzupassen. Daher wurde in jede Schildwand<br />

des Hochschiffes eine Rose eingesetzt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Raum, <strong>der</strong> zwisehen<br />

ilirem FuBpunkt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Triforiumsoberkante blieb, durch zwej<br />

Spitzbogenfenster ausgefdllt.. Die Schildbiigen erhielteii die Form<br />

von stark gestelzten R<strong>und</strong>bogen, wie sic z. B. noch gegen Ende<br />

des 12. .Jahrhun<strong>der</strong>ts im Hochschiff <strong>der</strong> Kathedrale von Noyon <strong>und</strong><br />

im Chore <strong>der</strong> Abteikirche von Montier-en-Der (Haute-Marne) über<br />

Zwiiiingsfenstern angewandt worden waren.<br />

Der hier ausgesprochenen Hypothese aber die urspring1jche<br />

Gestalt <strong>der</strong> Fassadenmittelstucke scheint es zu wi<strong>der</strong>sprechen,<br />

daB die Querschiffsfassadenrosen - die ursprLinglichen haben wir<br />

uns an <strong>der</strong>selben Stelle <strong>und</strong> mit demselben Radius zu denkeii wie<br />

die jetzigen, ihre Bogenlaibungen haben sich noch erhalten -<br />

nicht bis zur Oberkante des Triforiums hinabreichen. Rekonstru-<br />

1) Die Rose <strong>der</strong> Westfassade zeigt noeh eiiien Zusammenhang mit den<br />

Querschiffsrosen von Laon. Sie besteht ans eincm rornanischen Rade, du ein<br />

Kranz von zwiilf kicinen ibsen umgibt. VILLÂRD DE HONKECOCflT hat sic mit<br />

einigen Veriin<strong>der</strong>ungen im Siiine einer stârkeren Durclibrochung, also im Sinne<br />

einer stilistischen Weiterbildung, in einer Skizze wie<strong>der</strong>gegeben (Taf. XXIX;<br />

vgl. Taf. LXXI).<br />

K u u z e. Daa Faeadenprob!em. f (g,<br />

I<br />

(tU 4)<br />

\Ô Q- /


- 34<br />

ieren wir uns aber die nicht zur Ausfiihrung gelangte Westfassade,<br />

so ergibt sich folgendes: Da das Mittelschiff des Langhauses<br />

ca. 22/3 m breiter ist ais das des Querhauses (Achsenabstand ca. 16/ 3 m<br />

<strong>und</strong> 13 m), so wiLchst auch <strong>der</strong> Rosendurchmesser um 2 / m.<br />

Die Hhenlage <strong>der</strong> stidiichen <strong>und</strong> <strong>der</strong> nirdlichen Rose differiert<br />

inerkwiirdigerweise um 2/3 M. Je nachdem wir die Scheiteihôhe<br />

<strong>der</strong> siidiichen o<strong>der</strong> nrd1ichen Rose ais ma0gebend annehmen, f âllt<br />

<strong>der</strong> FuBpunkt <strong>der</strong> westlichen etwas tinter o<strong>der</strong> über die Oberkante<br />

<strong>der</strong> Soh1bankschrge <strong>der</strong> Hochschiffsfenster, jedenfails aber noch<br />

aber die Oberkante des Triforiums, d. h. also: an <strong>der</strong> Westfassade<br />

wiirde sich <strong>der</strong> Aufbau des Mitteistiickes dem<br />

System des Schiffes genau anpassen'). Über den Gr<strong>und</strong>,<br />

weshalb diese gitnstigste Ltsung fur die Westfassade aufgespart<br />

bleiben soute, ktinnen wir itur Vermutungen aufstellen. Es ist ja<br />

hiichst auffitflig, da6 das Querhaus, das wie das Langhaus dreischiffig<br />

gestaltet ist, in alleu drei Schiffen bedeutend schniJer ist,<br />

zumal da hierdurch fur deti Vierungsturm, <strong>der</strong> zweifeiios gepiant<br />

war, ein rechteckiger Gr<strong>und</strong>rifi bedingt wird. lier Grand kann<br />

ein zwiefacher gewesen sein. Da sich die drei Fassaden 1m GrandriB<br />

wie im Aufril3 den Schiffen genau anpassen soilten, so hitten<br />

sich bei gleichen Lang- <strong>und</strong> Querhausmaflen drei gleiche<br />

Fassaden <strong>und</strong> sechs gleiche Tiirme ergeben. In Laon war es<br />

mg1ich gewesen, die G]eichfôrmigkeit <strong>der</strong> drei Fassaden durch<br />

Varilerung des Turmgr<strong>und</strong>risses zu umgehen; in Chartres war<br />

durci die Seitenschiffsbreite die Gril3e des Gr<strong>und</strong>ril3quadrates <strong>der</strong><br />

Tiirme festgelegt. Mati muBte also dessen GrôBe vern<strong>der</strong>n, <strong>und</strong><br />

das konnte nur dadurch geschehen, daf3 man den Seitenschiffen<br />

des Lan ghauses eine an<strong>der</strong>e Breite ais denen des Querliauses gab.<br />

Der Meister von Chartres wolite seine Kathedrale, die âhnlich wie<br />

die von Laon durch ibre Lage die ganze Stadt beherrscht, aul3er<br />

mit einem michtigen Vierungsturm mit acht Tiirmen schmiicken.<br />

Er hatte offenbar in Laon die Herstellung des 'Gleichgewichtes<br />

durch ein Turmpaar am Ostende des langen Chores vermifit.<br />

Trotz <strong>der</strong> verhaltnismABig geringen Lange des Chores in Chartres<br />

ordnete er liber dem ëstlichen Joche <strong>der</strong> âuBeren Seitenschiffe des<br />

flinfschiffigen Langchores ein Paar Tiirme an. Es latte, sich aiso<br />

bei einer Ausfiihrung des urspriïnglichen Planes fogende Turm-<br />

1) Genan; denn ein Spielraum von 2/3 m bat bei einem Dnrchmeser von<br />

en. 13 in nichts zu bedeuten. Er konnte durch den Winkel <strong>und</strong> die Tiefe <strong>der</strong><br />

Rosenlaibung, fur <strong>der</strong>en Gestaltung ebenfails keine aI1u engen (3renzen gezogen<br />

waren, unschid1ich gemacht werden.


-- -<br />

gruppierung ergeben: zwei grof3e Tiirme an <strong>der</strong> Westfassade (allerdings<br />

mit schmLlerer ]3asis ais die jetzigen), in <strong>der</strong> Mitte die<br />

Gruppe <strong>der</strong> vier schlankeren Querhaustiirme <strong>und</strong> des Vierungsturmes,<br />

am Ubergange zur Chorr<strong>und</strong>ung wie<strong>der</strong>um zwei Tiirme von<br />

etwas kleineren 3laf3en ais die <strong>der</strong> Querhausfassaden.<br />

Einen an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong> f tir den Unterschied in den Breitenmaf3en<br />

des Lang- <strong>und</strong> Querhauses kann man in den versehiedenen<br />

perspektivischen Bedingungen sehen, denen die Iirnenansicht <strong>der</strong><br />

West- <strong>und</strong> <strong>der</strong> Querschiffsfassaden unterliegt. Walirend die lochschiffsfenster<br />

auf den Arkaden des Triforiums, also auf semer<br />

Innenwand aufsitzen, sitzen die Fassadenrosen auf <strong>der</strong> AuBenwand<br />

des Triforiums, da dieses an <strong>der</strong> Fassade nicht nach aulien vorspringen<br />

kann. Die Abdeckung des Triforiums springt also nach<br />

innen vor <strong>und</strong> schneidet f lir das Auge des untenstehenden Beschauers<br />

eiu Sttick des Obergadens weg, <strong>und</strong> zwar an den Querschiffsfassaden<br />

mehr ais an <strong>der</strong> Westfassade, da <strong>der</strong> Beschauer un<br />

Querhause hchstens bis zur gegentiberliegenden Fassade zurucktreten<br />

kann, wtihrend die Wirkung <strong>der</strong> Westfassade fur den Biick<br />

vom Cliore ans berechnet ist. An den Querhausfassaden <strong>der</strong> nach 1231<br />

erneuerten Abteikirche von St. Denis <strong>und</strong> den um 1257 umgebauten<br />

Querhausfassaden von Notre-Dame in Paris ist die Perspektive bei<br />

<strong>der</strong> Anordnung <strong>der</strong> Rosen nicht beriicksichtigt worden. Die Oberkante<br />

<strong>der</strong> AuBenwand des Triforiums biidet hier die Tangente <strong>der</strong><br />

Rose, sodaB lei<strong>der</strong> f tir die Innenansicht ein Sttick <strong>der</strong> sonst so<br />

schin komponierten Rose abgeschnitten wird. Da3 dies schon von<br />

den Zeitgenossen ais ein Ûbelstand einpf<strong>und</strong>en wurde, wird uns<br />

<strong>der</strong> erste 1iitwurf zur StraBburger Miinsterfassade zeigen. Bei<br />

<strong>der</strong> B et^aéhtùng <strong>der</strong> Kathedraie von Reims werden wir auf die<br />

Griinde fur die verschiedene Gestaltung des Lang- <strong>und</strong> Querhauses<br />

zurtickkommen.<br />

Wenn <strong>der</strong> Meister von Chartres, wie es uns wahrscheinlich<br />

ist, scion beim Entwurfe des Gr<strong>und</strong>risses <strong>der</strong> Kathedrale auf<br />

die Fassadengestaltung Riicksicht geilommen bat, so ist es f tir dcii<br />

Aufrif3 von vonnherein vie! wahrscheiniicher. Schon <strong>der</strong> erste<br />

Meister von Laon batte es ja getan. Dehio bat in seinen ,,Untersuchungen<br />

liber das gleichseitige Dreieck ais Norm gotiseher Bauproportionen"<br />

nachgewiesen, daf3 die Hauptpunkte des Querschnittes<br />

<strong>der</strong> hochgotischen Kathedralen durch ehi System von gleicliseitigen<br />

Dreiecken festgelegt sind. In Chartres betragt die Hbhe <strong>der</strong><br />

Mitte1schiffskmpfer 2F, die dci' Seitenschiffskampfer 2F'. (W lichte<br />

Weite des Mittelschiffs, w ihre Hàlfte; die daraus gebildeten Drei-<br />

3*


- 36 -<br />

ecke D <strong>und</strong> d; <strong>der</strong>en Perpendickel P <strong>und</strong> p, die analogen Hiifskonstruktionen<br />

<strong>der</strong> Seitenschiffe W', D', P', usw. Dehio, S. 11.)<br />

Dagegen: ,,Der innerhalb des Gew5lbes liegende Abschnitt steht<br />

we<strong>der</strong> zu P no-ch zu p in einem rationellen Verli&ltnis." Der<br />

Gr<strong>und</strong> dtirfte darin zu suchen sein, da g <strong>der</strong> Meister mit dem<br />

Hochschiffsgew r lbesclieite1 nicht liber den Scheitel <strong>der</strong> Fassadenrose<br />

liinausgehen wolite. Aul3er<strong>der</strong>n inuBte ein stark ,,unterspitzer"<br />

Spitzbogen 1) fur die Hochschiffsgurte schon ans dem Gr<strong>und</strong>e gewahlt<br />

werden, damit die an die Fassadenwnde anschlieBenden<br />

Gewilbe liber <strong>der</strong> Rose einen haibr<strong>und</strong>en Schildbogen ohue allzu<br />

starke Steizung erhalten konnten.<br />

Fur die Portalanlage waren die Proportionen <strong>der</strong> Fassaden<br />

hchst ungiinstig. Ein Mittelporta, das den ganzen Raum zwischen<br />

den mittieren Strebepfeilern m ausgefUllt Mtte, hutte in gar<br />

keineni Verhiltnis zu den Seitenportalen gestanden <strong>und</strong> hutte unter<br />

dem Triforium keinen Platz gehabt. Es blieben dalier auf beideit<br />

Seiten des Mittelportales schmale Mauerflchen stehen. Spter<br />

haif man sich wie in Laon: es wurde eine dreifache 'Vorhalle vor den<br />

Portalen angeordnet, freiich nicht in <strong>der</strong>selben, technisch bedenklichen<br />

Weise. Vielmehr kamen die Trennungsw<strong>und</strong>e <strong>der</strong> drei Vorhallen<br />

genau vor die Strebepfeiler m zu stehen, <strong>und</strong> die Breite <strong>der</strong> Mittelhalle<br />

wurde durch die Einschaltung von zwei schmalen Zwischenarkaden<br />

reduziert, die den dahinter liegenden Mauerfliuchen entsprechen<br />

2). Diese Vorhallen sind das einzige Bauglied, das eine<br />

durchgehende Horizontale bildet; aul3er ihnen wirkt nichts dem<br />

entschiedenen Vertikalismus <strong>der</strong> Fassaden, <strong>der</strong> durch die<br />

ausgefuihrten Tiirme nattirlich noch viel strker betont worden<br />

wre, entgegen. Die kleine Galerie liber <strong>der</strong> Rose verinehrt nur<br />

das Gewicht des Mitteistiickes, sie urnklarnmert aber nicht die<br />

Tiirme <strong>und</strong> ihre Strebepfeiler 3). Die Tiirme sind nichts weiter<br />

1) ,,Zur Unterscheidung <strong>der</strong> Arten des Spitzbogens schiagen wir folgende<br />

Bezeichnung vor: ,normal', wenn dei Bogen ein gleichscitiges Dreieck umschreibt,<br />

,unterspitz', wenn or niedriger ah ein soiches ist, ,tibcrspitz', wenn or hoher ist."<br />

(D. & y. B. ii S. 81 Anm.)<br />

2) E. LEPÈVR-PONTÂLIS lBt aie gegen 1240 begonnen sein. Vg1. Les architectes<br />

et la construction des cathédrale, de Chartres in den Mémoires de la<br />

société nationale des antiquaires de France, 1905, t. LXIV S. 112; auch in Separatabdruck<br />

erachienen. Wir werden allerdings etwas weiter hinaufgehen inUssen, da<br />

<strong>der</strong> Stil <strong>der</strong> Skulpturen in den Vorhalleu nicht erlaubt, sic zeitlich allzuweit von<br />

den Skulptureu in den Portallaibungen abznriicken. Die Portale aber sind bald<br />

nach 1210 begonnen wordeu. Vgl. S. 40, Anm. 2.<br />

3) Siehe Fig. 8.


- 37 -<br />

ais die Bekrinung des âuBersten Seitenschiffsjoches. Sie ordnen<br />

sicli <strong>der</strong> Stirnwand des Mit.telschiffes unbedingt unter.<br />

Gegen die hier vorgetragene Theorie liber die vom ersten<br />

Meister geplante Westfassade <strong>und</strong> ihr GrifienverhUtnis zu den<br />

Querhausfassaden kinnte man dreierlei einwenden. Erstens, die<br />

Kathedrale sei 1m Westen begonnen worden <strong>und</strong> <strong>der</strong> erste Meister<br />

habe von Anfang an damit gerechnet, die alte Fassade heizubehalten.<br />

Zweitens, die geringeren Breitenmafle des Querliauses seien ans <strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>benutzung <strong>der</strong> aiten Substruktionen zu erklren, <strong>und</strong> drittens,<br />

die Seitenschiffsjoche des Langhauses seien nicht quadratiscb,<br />

son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Querachse gestreckt, die Tiirme htten daher am<br />

Westende des Langhauses nicht wie am Querhause eine quadratische,<br />

son<strong>der</strong>n eine recliteckige Basis erhaiten. Den ersten Einwand<br />

miifite man wirklich erhehen, wenn LEFÈVRE-PONTALIS') mit<br />

<strong>der</strong> Annahme Recht hitte, dafi das Strebewerk des Chores eirien<br />

jiingeren Stil zeige ais das des Langhauses. Die auf den Pfeilern<br />

des doppelten Chorumgaiiges stehenden Zwischenstrebepfeiler mit<br />

ihrem kreuzfrmigen Gr<strong>und</strong>rifi scheinen in <strong>der</strong> Tat fur ein sptes<br />

Datum zu sprechen. Sie kehren in dieser Gestalt erst am Chore<br />

<strong>der</strong> Kathedrale von Troyes wie<strong>der</strong>. Aber sic waren schon an<br />

einem friiheren Bau vorhanden, <strong>und</strong> zwar an Notre-Dame zu Paris.<br />

Die grofien Strebebiigen, die jetzt den Schub <strong>der</strong> HochschiffsgewMbe<br />

<strong>der</strong> Panser Kathedrale unmittelban auf die tuBeren Strebepfeiler<br />

ilbertragen, gehiren erst dem mi 13. Jahrhun<strong>der</strong>t ausgeftihrten Unibau<br />

des Hochschiffes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Emporen an. Sie sind an die Steile<br />

von je zwei kleiiieren Strebebiigen getreten, die auf einem Zwischenstrebepfeiler<br />

riihten, <strong>und</strong> dieser batte bereits einen kreuzfirmigen<br />

Gr<strong>und</strong>riB, wie die Rekonstruktion von VI0LLET-LE-Duc') zeigt. An<br />

<strong>der</strong> Hichtigkeit dieser Rekonstruktion ist nicht zu zweifeln; demi<br />

die Strebepfeiler knnen gai keinen an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>rifi gehabt haben,<br />

weil sic auf einer kreuzfôrrnigem Basis stehen, die durch die von<br />

den groflen Eniporenfenstern übriggelassenen Reste <strong>der</strong> Schildwand<br />

<strong>und</strong> die tuflere <strong>und</strong> innere Wandvorlage gebiidet wird. 3) Infoige<br />

dieser Gestalt <strong>der</strong> Zwischenstrebepfeiler kinnen auch die urspriinglichen<br />

Strebebgen schon in Paris niclit breiter gewesen sein ais<br />

am Chore in Chartres. <strong>Das</strong> Strebewerk gibt also keinen Anhaitspunkt<br />

fur die I)atierung des Ohores. - Mehr Berechtigung scheint<br />

1) Les architectes et la construction des cathédrales de Chartres S. 102 <strong>der</strong><br />

Mémoires de la société . . . 1905.<br />

2) Dict, II S. 289.<br />

3) Monographie de Notre-Dame de Paris, 'Paf. 43, 50 <strong>und</strong> 51.


- 38 -<br />

<strong>der</strong> zweite Einwancl zu haben, daB sich die geringere Breite des<br />

Querhauses ans <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>benutzung <strong>der</strong> alten Substruktionen erkire.')<br />

Zweifellos haben diese Substruktionen, die im Querhause<br />

schmliler sind, den AnlaB dazu gegeben, dat) Mittelschiff des ueuen<br />

Querhauses ebenfails sehmiiler auzuiegen. Aber sie waren nur <strong>der</strong><br />

willkommene Anlaf3, nicht mehr. Wir miifiten sonst annehmen,<br />

dafi auf den Entwurf <strong>der</strong> nitchsten groBen Kathedrale, <strong>der</strong> Reimser,<br />

zufliig auch ein frliuierer Bau mit schmlerem Querhausmittelschiff<br />

eingewirkt habe, whrend sich zeigen wird, das dort dasselbe Fassadenprobiem<br />

wie in Chartres zu lôsen war, <strong>und</strong> dat) deshaib das<br />

Mittelschiff des Querhauses schmaler ais das des Langhauses angelegt<br />

wurde. AuBerdem wlirden die alten Substruktionen nur die<br />

geringere Breite des Mittelsehiffes, niclit aber <strong>der</strong> Seitenschiffe des<br />

Querhauses erklaren. Denu bei den Seitensc1iiffswnden kam die<br />

Beibehaltung <strong>der</strong> alten F<strong>und</strong>ameiite kaum in Betracht; das kostspieiigste<br />

war hier die Fuiidarnentierung <strong>der</strong> Strebepfeiler, die in<br />

jedem Fail neii auszufiihren war. Und ans <strong>der</strong> geringeren Breite<br />

des Querhausmitteischiffes folgt keineswegs mit Notwendigkeit auch<br />

eine geringere Breite <strong>der</strong> Seiterischiffe, wie ans ebenf ails die Reimser<br />

Kathedrale zeigen wird. Ja, wir miissen im Gegenteil die Frage<br />

aufwerfen: Waram silld die Seitensehiffe im Querhause nicht breiter<br />

ais im Langhause? Dann hutte sich docli eine breitere Basis fur<br />

die Querhaustiirme <strong>und</strong> damit ein tbergewicht <strong>der</strong> uni Vierung<br />

gelagerten Turmgruppe liber die Westtïirme wie in Laon ergeben.<br />

Eine Antwort auf diese Frage erhaiten wir bei <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>iegung<br />

des dritten Einwandes, dafl die neuen Westttirme wegen <strong>der</strong> oblongea<br />

Gestalt <strong>der</strong> Seitenschiffsjoche des Langhauses keine quadratische<br />

Basis erhaiten hhtten. Die Querhaustiirme haben eine quadratisclie<br />

Basis, wuhrend die Seitensehiffsjoche des Langhauses<br />

oblong sind. Warum? Nach dent Plane des ersten Meisters soilten<br />

die Querhausfassaden sicher nur e.in Mittelschiffsportal erhalt.en, wie<br />

au den vorhergehendeu <strong>und</strong> folgenden groBen Kirchen mit dreischiffigem<br />

Querhause, den Kathedralen von Laon, Amiens <strong>und</strong><br />

Beauvais <strong>und</strong> den Abteikirchen St. Denis bei Paris <strong>und</strong> St. Nicaise<br />

in Reims. An <strong>der</strong> Reimser Kathedrale hatte sogar <strong>der</strong> erste Meister<br />

tiberhaupt kein Querhausportal vorgesehen. Den EntschluB, das<br />

Querhaus von Chartres auf je<strong>der</strong> Seite mit drei Portalen auszustatten,<br />

faBte man erst, ais man den Plan einer neuen Westfassade<br />

batte fallen lassen. Nehmeri wir also an, daB die Quer-<br />

1) Monographie de la cathédrale de Chartres, Taf. 3.


- 39<br />

haustiirme ursprUnglich auch nach <strong>der</strong> Fassadenseite lin Erdgeschol3<br />

ein Fenster erhalten soilten, se wiirden die Strebepfeiler n <strong>und</strong> m<br />

genau so weit wie die Strebepfeiler o ausladeu. Ais man sicli daun<br />

zur Anlage <strong>der</strong> Seitenportaie entsch1o, konnte man ihre Laibungen<br />

nicht mehr in <strong>der</strong> Mauer unterbringen, son<strong>der</strong>n inuf3te sie zwiseheu<br />

die Strebepfeiler in n veriegen. An <strong>der</strong> vôn uns angenom<br />

menen Westfassade aber httten die Strebepfeiler rn <strong>und</strong> n ebenso<br />

weit ausladen kônnen wie die Strebepfeiler o, <strong>und</strong> die Portailaibungen<br />

htten trotzdem Platz gehabt. Denn die westlichsteii<br />

Seitenschiffsjoche hatten ja im Westen eine strkere Wand erhaltell<br />

miissen ais 1m Norden <strong>und</strong> Siiden, wenn die Basis quadratisch<br />

werden soilte. Wir werden aise umgekehrt f oigern kônnen: Weil<br />

die westlichsten Seitenschifi'sjoche des Langhauses den Portailaibungen<br />

Piatz lassai muBten, mul3ten sie <strong>und</strong> darnit aile tibrigen<br />

Joche in <strong>der</strong> Nord-Siid-Richtung gestreckt werden; das ôstlichste<br />

Joch des J4anghauses bestimrnt aber die Breite <strong>der</strong> Querhausseitenschiffe.<br />

<strong>und</strong> darum mufiten diese schmitler ais die Seitenschiffe des<br />

Langhauses <strong>und</strong> die Querhaustiirme schiauker ais die Westtiirme<br />

werden. Die Achsenweite <strong>der</strong> drei Joche <strong>der</strong> Querliausarme nimmt<br />

ailmiihiicli nach den Fassaden ah, <strong>und</strong> die Querhaustiirme stehen<br />

daher ebenfails auf einer quadratischen Basis. Waren die Seitenschiffsportaie<br />

1m ursprtinglichen Plane vorgesehen gewesen, so htte<br />

niclits nher geiegen, ais die Jochweite in noch staikerem Grade<br />

abnehmen zu lassen, damit auch die Portailaibuiigen nocii muerhaib<br />

<strong>der</strong> âuflersten Joche 1itten Platz fiuden kônnen, um so rnehr,<br />

ais auch fur die mittieren Joche <strong>der</strong> Querhausarme cille geringere<br />

Achsenweite erwiinscht gewesen ware, weil dadurch die âul3eren<br />

Seitenschiffe des Chores schmiiier geworden wàren <strong>und</strong> infolgedessen<br />

besser an den Kapelienkranz angeschiosseri htten.') Die<br />

Richtigkeit unserer Beobachtungen wird am besten auf die Weise<br />

zu prufen sein, daB wir UIIS ilberiegen, wie <strong>der</strong> G-esanitentwurf <strong>der</strong><br />

Kathedrale ausgesehen haben wiïrde, wenn das Querliaus wie in<br />

L) Da <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>riS des Chorhauptes durch die alte Krypta gegeben war,<br />

mullte <strong>der</strong> Meister die Wiinde <strong>der</strong> Seitenschiffe des Laiigchores iiach Qresten<br />

divergieren lassen, um einen AusehluB des Langchores an das Chorhaupt <strong>und</strong><br />

das Querhaus uberhaupt mg1ich zu machen. (Vgi. ais Gegenbeispiel das Querhaus<br />

<strong>der</strong> Kathedrale von Amiens, S. 95) Diese 1 -nrege1mtBigkeit ist nur au<br />

den Aufnahmen von LÂssus, GAILHABAUD <strong>und</strong> KING zu erkeunen. Der Gr<strong>und</strong>riB<br />

in den Cathédrales de France <strong>und</strong> bei V. L. D., Dict. H, S. 312, lBt die Seitenwnde<br />

des Lang'hures parallel laufen. Infolgedessen aind die mittieren Querhausjoche<br />

zu s,hnial. KING gibt das sudliehste loch des Querhauses zu breit<br />

wie<strong>der</strong>.


- 40 -<br />

Laon dickeie Ttirme erhalten hatte ais das Langhaus. Die Seitenschiffe<br />

hi%tten in diesem Falle im Querhause breiter ais im Langhause<br />

angelegt werden mtissen. Es htten sicli also im Langhause<br />

in <strong>der</strong> Ost -West -Riehtung gestreckte Seitenschifl'sjoche ergeben,<br />

<strong>und</strong> diese Streckung wre gerade am westlichsten Joche durch<br />

die Portallaibungen noch gesteigert worden, so daB die Westtiirme<br />

eine stark oblonge Basis erhalten Idtten. Ans dieser Beobachtung<br />

folgt, daB <strong>der</strong> Meister von Chartres auf das tYbergewicht <strong>der</strong> um die<br />

Vierung gela gerten Tu]mgruppe verzichten muBte. Gleichsam um<br />

diesen nicht zu vermeidenden Fehier zu korrigiereii, bot er den<br />

Westti.irmen ein Gegengewicht in Gestalt <strong>der</strong> beiden Ttirme am<br />

Beginn des Chorhauptes. Die Turmpaare in) Westen <strong>und</strong> Osten<br />

soilten die Turnigruppe an <strong>der</strong> Vierung in die Mitte iiehmen <strong>und</strong><br />

ilir das tbergewicht, das sie durch die Verringerung des Volumens<br />

<strong>der</strong> Querhaustiirme zu verlieren drohte, durch die Betonung <strong>der</strong><br />

zentralen Stelluiig wie<strong>der</strong>geben. Ans diesem Grande sollte die<br />

Kathedrale von Chartres auBer dem Vierungsturm acht Tiirnie erhaiten,<br />

wil.hrend aile an<strong>der</strong>u vie1tirmigen Kirchen <strong>der</strong> G-otik nur<br />

auf sechs FassadentUrme angelegt sind.<br />

Es bleibt uns schlieuilich noch iibrig, unsere Hypothese mit<br />

den Daten <strong>der</strong> Baugeschichte in Einklang zu bringen. 1194 brannte<br />

die karolingische Kathedrale bis auf die Westfassade ab. Sptestens<br />

1224 war <strong>der</strong> Neubau vollendet; denn GUILLAUME Li BRETON<br />

sagt in semer zwischen 1218 <strong>und</strong> 1224 gedichteten Philippide, daB<br />

die voi1stndig gewUibte Kirche gegen Feuersgefahr gesichert sei.2)<br />

Ein im Jahre 1214 o<strong>der</strong> 1215 gestorbener Kmmerer setzte eine<br />

Summe fUr einen Pfeiler aus;') also war um diese Zeit <strong>der</strong> Ban<br />

an einem Ende noch niclit über die F<strong>und</strong>amente hinaus gediehen.<br />

KUnig Philipp August spendete 1210 zweihun<strong>der</strong>t Livres <strong>und</strong> spter<br />

fUr das Nordportal einen jhr1ichen Beitrag. 2) <strong>Das</strong> sind aile uns<br />

1) Les architectes et la construction des cathédrales de Chartres S. 103f.<br />

<strong>der</strong> Mémoires de la société . . . 1905. In drei Jahrzchnten ist also <strong>der</strong> ganse<br />

riesige Bau, mit Ausnahme <strong>der</strong> Portalvorhailen voilendet worden. Die Schnelligkeit<br />

dieser Banfilhrung ist lin Mittelalter nirgends auch nur anniihernd<br />

erre iclit worden.<br />

2) BULTEAU schreibt in semer Monographie de la cathédrale de Chartres,<br />

. Aut 1887, Bd. i S. 119 von Philipp August: En 1210, lillustrc vainqueur de<br />

Bouvines, vint à Chartres, passa avec une humble dévotion SOUS l#3 sainte Chdsse<br />

(devote et humiliter transitum faciens) et offrit deux cents livres (30000 francs)<br />

pour la construction de l'église'; ainsi s'exprime une pièce officielle du temps.<br />

(Anm. 1: Cartulaire de Notre-Daine de Chartres, tome 11, pag. 59.) Cc prince<br />

généreux fit d'autres dons dans la suite et fournit, chaque année, la somme né-


- 41 -<br />

bekannten 1)aten. Fur die Frage, ob <strong>der</strong> Ban im Westen o<strong>der</strong><br />

Osten begonnen worden sei, sind wir daher lediglich auf das, was<br />

uns das Geb.ude selbst sagt, angewiesen. Die Strebesysteme des<br />

Chores <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schiffe verhalten sieh, wie 'rfr gesehen habert, in<br />

dieser Frage neutral. Die Versehiedenheit zwischen beiden ist tatsiichlich<br />

nur durch die Annahme zu erk1ren, daB <strong>der</strong> Meister die<br />

Strebepfeiler an den Schiffen mit Riicksicht auf die rfulmstrebe<br />

pfeiler stLrker bildete ais am Cliore.') 1)agegen beweist das Triforium<br />

unwi<strong>der</strong>leglich, daB die Kathedrale das Werk zweier Meister<br />

ist. Es ist im Chore <strong>und</strong> Querhause fflnf-, im Lallghause vierteilig.<br />

2) Aber welche Form ist die 1tere? lst etwa das Langhaus<br />

das Werk des ersteii, das Querhaus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Chor das Werk<br />

des zweiten Meisteis? <strong>Das</strong> ist rnmiig1ic1i; deuil keinesfalls kann<br />

die Kat.hedrale mit dem Langhause begormen worden sein. Man<br />

hui.tte sonst die Strecke zwischen <strong>der</strong> alten \Vestfassade <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Vierung in sieberi gleiche Teile geteilt <strong>und</strong> hatte nieht mit drei<br />

schmiileren, nicht einmal unter sich gleichen Jochen begonnen<br />

(vgl. S. 31 Anm. 1). O<strong>der</strong> bat etwa <strong>der</strong> erste Meister (las Querhaus<br />

mit einem fiinfteiligen Triforium erbaut, <strong>der</strong> zweite das Laiighans<br />

mit eiiiem vierteiligen, <strong>und</strong> vielieicht ein dritter Meister den<br />

Chor wie<strong>der</strong> mit eiuem fiinfteiligen? <strong>Das</strong> ist rnehr ais unwahrscheinlich;<br />

daher bleibt nur die Reihenfolge Chor, Querhaus, Langhans.<br />

Zn demselben Ergebnis gelangen wir, weiin wir die Entwicklung<br />

des Triforiums betrachten. In <strong>der</strong> frtiligotischen Zeit<br />

war das r1.jforjt1m in den einzelnen Schiilen verschieden behandeit<br />

worden. In St. Denis (?), Senlis <strong>und</strong> Mantes hatte man auf ein<br />

Zwischenglied zwischen Empore <strong>und</strong> Obergaden verzichtet, in Paris<br />

cessaire pour le travail annuel (lu porche septentrional; ,il favorisa toujours<br />

cette sainte église de Chartres', dit le Nécroloye, ,il l'entoura d'un amour privilégié<br />

dons il ne cessa de lui donner des marques singulières'. (Aiun. 2: Cartulaire<br />

de Notre-Dame de Chartres, tome III, pag. 13$.) Beim Tode Phulipp<br />

Angusts (1223) muC also schon mehreic Jahre an dem nirdlichen Portai gobant<br />

worden sein.<br />

1) VgJ. S. 30 Anm. 5.<br />

2) Der Horizontalschnitt auf Taf. 2 <strong>der</strong> Monographie gibt das Triforium in<br />

allen Teilen des Baus richtig wie<strong>der</strong>. (<strong>Das</strong> Joch ist1ieh <strong>der</strong> Vierung bat zwar<br />

aueh ein vierteiliges Triforium, aber die lichte Jocliweite ist hier wegen <strong>der</strong><br />

grolleren Starke <strong>der</strong> Vierungspfeiler geringer ais im librigen Langchor). Der<br />

Lmtngsschnitt dagegen sohematisiert <strong>und</strong> gibt im Chore nach Analogie des Langhauses<br />

ein vierteiliges Triforium an. Danach ist das von D. & y. B. II S.] 31,<br />

am Anfang des kleingedruckten Abschnittes, liber Chartres Ausgefithrte zu<br />

korrigieren.


waren Radfenster vor deni Dachraum <strong>der</strong> - mpore angeordnet worden.<br />

1m dreitei1igii Aufbau <strong>der</strong> Kathedrale von Sens bat das Triforium<br />

fast den Charakter einer Empore. 1m Sfldtransept <strong>der</strong> Kathedrale<br />

von Soissons, in Laon <strong>und</strong> Noyon hatte man es ais ein von den<br />

drei an<strong>der</strong>en G-escliossen vI1ig unabhngiges Horizontalband behandeit.<br />

Die Schule <strong>der</strong> Champagne, St. Remi in Reims, Notre-<br />

Dame in ('hâlons, Orbais, hatte das Triforium mit den Hochschiffsfeiistern<br />

zusammengezogen <strong>und</strong> aiso ein Mittelding zwischen dem<br />

dreiteiligen Aufbau (Seitenschiffe, Empore, Hochschiff) <strong>und</strong> dem vierteiigen<br />

(Seitenscliiffe, Empore, Triforium, Hochschiff) gesehaffen.<br />

1m hochgotischen dreiteiiigen System erhielt uatargemJ das Triforium<br />

cinen stitrkeren Accent ais im vierteiligen frUligotisehen.<br />

,.Es war zur Herstelinng des Dreikianges, zur Vermittliing zwischen<br />

ErdgeschoB <strong>und</strong> ObergeschoB formai notwendig. In <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ung<br />

seines Aufrisses bat es einerseits die G-lie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Fenster vorzubereiten,<br />

an<strong>der</strong>erseits darf es ein gewisses eigeries Existenzrecht<br />

nicht aufgeben. Die feine Empfindung fUr diese IJoppeinatur ist<br />

ein Kennzeichen <strong>der</strong> klassischen Schule."') Am stàrksten wurde<br />

die Selbstiindigkeit des Triforiums <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dreikiang des Aufbaus<br />

in den drei ersten hochgotischen Kathedralen betont. in Chartres,<br />

Soissons <strong>und</strong> Reims. Pas Triforium bildet hier ein horizontales<br />

Band, das ans aneinan<strong>der</strong>gereihteii, nicht zu Gruppeti zusamniengefafiten<br />

Arkaden besteht, <strong>und</strong> uiiter den Seitenschiffsfenstern befindet<br />

sich keine den Dreikiang beeintrachtigende Blendarkatur.2)<br />

Auf <strong>der</strong> zweiten Stufe, in den Kathedralen von Amiens irnd ChOElons,<br />

wurden die Arkaden des Triforiums gruppiert rnid so zu den Hochseliiffsfenstern<br />

in Beziehung gesetzt. SchIie11ich trat beim Umbau<br />

von St. Denis ait die Stelle des dreiteiligen Aufbaues ein zweiinal-<br />

1) D. & y. B. 11 S. 131.<br />

2) Diese Arkatur fehit auch in den Seitenschiffen <strong>der</strong> Katiiedrale von Metz<br />

Aber W. SCHMITZ. Dombauineister <strong>und</strong> Konservator <strong>der</strong> historisehen Denkin.1er<br />

in Lothringeri, traut offenbar sich mehr Geschniack zu ais dein ersten Meister<br />

<strong>der</strong> Kathedrale <strong>und</strong> ,,beiebV' daher jctzt die Wand dureh kleine Nisehen. tberhaupt<br />

muG es sich das ehrwilrclige Gebude seit dem ,Meister Tornow" vgl.<br />

S. 10) gefallen lassen, i1a man mit ihm eizien galiz unveraiitwortlichen Mutwillen<br />

treibt. Su hat z. B. <strong>der</strong> Chor an dem "eugotisclien Hochaltar noeh nicht<br />

genug ,,Schmuck", er muil noch dureh Uhorschranken ,,versehOnert" werdeu, damit<br />

man ja nieht mehr den herriichen Blick vom Umgang ins Langhaus geniel3en<br />

kaun. (Ich konrite im Oktober 1911 noch den alten Zustand mit <strong>der</strong> ,,Verbesserung"<br />

vergleicheu: Zur Rechten hinter dem Hochaltar mul3te ich mieh mit einertt<br />

Bliek durcit ein KUfiggitter begniigen, zur Linken bot sieh meinen Augen nocli<br />

die glI1ze Sehiinheit des Lanhanses dar, ungetrUbt (Iurch Resta nratorenabeiwitz.)


- 43 -<br />

zweiteiliger: in den Seitenseliiffen die Fenster <strong>und</strong> unter ilinen eine<br />

Blendarkatur. im Hoclischiff die Oberfenster <strong>und</strong> ein mit ihnen zusamniengezogelieS<br />

Triforium mit vergiaster Riickwand. In Reims<br />

ktïndigt sich schou <strong>der</strong> tJbergang von <strong>der</strong> ersten zur zweiten Stufe<br />

durcli die etwas stii.rkere Bildung des rnittleren Siiulchens des vierteiligen<br />

Triforiums an. Gehen wir also die Stufenleiter <strong>der</strong> Entwicklung<br />

rtckvirts, so ergibt sich folgen<strong>der</strong> Weg: St. Denis,<br />

Chlons, Amiens, Reims, Soissons, Chartres. In Reims ist das Triforium<br />

vierteilig mit stitrkerer Mittelsitule. in Soissons <strong>und</strong> ira<br />

Langhause von Chartres vierteilig ohne Betonung dei' mittieren<br />

S.ule, 1m Chor <strong>und</strong> Querhause von Chartres ist es fnfteilig <strong>und</strong><br />

kontrastieit also aufs stiirkste mit den zweiteiigen Hochschiffsfenstern.<br />

1) Pas f tiiifteilige Triforium wird daher auf den ersten<br />

Meister zurLckgehen, <strong>und</strong> wir werden deshalb den Chor <strong>und</strong> das<br />

Querhaus ais sein Werk betrachten miissen. Danii aber ergibt sich<br />

folgende Baugeschichte: <strong>der</strong> erste Meister bat dcii Chor <strong>und</strong> das<br />

Querliaus mit Ausnahme <strong>der</strong> Fassaden erbaut <strong>und</strong> die vier istlichen<br />

Joche des Langhauses, dei-en Achsenweite nocli keine Rffcksicht<br />

auf den AnschluB an die alte Fassade nimrnt, miiidestens<br />

f<strong>und</strong>amentiert, viefleicht sogar bis zu den Seitenschiffsgewilheii ausgefiihrt.<br />

Per zweite bat auf diese Seitenschiffsjoche das vierteilige<br />

Triforium <strong>und</strong> das Hoclisehiif gesetzt <strong>und</strong> die drei westlichen Langhausjoche<br />

von G-r<strong>und</strong> ans erbaut; demi die p1itz1iche Abnahme <strong>der</strong><br />

Jochweite zeigt, daf3 man erst VOil hier ab die Beibehaltung <strong>der</strong><br />

alten Fassade ins Auge gefal3t hat. Diese drei Joche kinnen erst<br />

nach 1214 o<strong>der</strong> 1215 in Angriif genommen worden sein, da um diese<br />

Zeit <strong>der</strong> erwhnte Kmmerer seine Stiftung fur einen Pfeiler maehte.<br />

Ungefhr uni Zeit o<strong>der</strong> etwas friiher, vielleicht sciion wahrend<br />

o<strong>der</strong> vor <strong>der</strong> AusfiÎhrung des Hoclischiffes in den vier tstlichen<br />

Jochen wird <strong>der</strong> zweite Meister die Querhausportale begonnen<br />

haben. Ihre â1testen Skulpturen weiseii auf die Zeit von<br />

1210 bis 1220, <strong>und</strong> zu ihrem Ban bat Philipp August erst nach<br />

1210 eineii jiihr1ichen Beit.rag ausgesetzt. Sptestens 1224 war<br />

die Kathedrale so, wie wir sic jetzt sehen, luit Ausnahme <strong>der</strong> beiden<br />

1) Ein fUnf-, im Turmjoch siebenteiliges Triforium bat auch das Langhaus<br />

<strong>der</strong> Nikolauskirche in Blois. das auch sonst aufflillig mit <strong>der</strong> Kathedrale von<br />

Chartres ilbereinstimmt. Vg!. Mon. hist. III. Taf. 24 <strong>und</strong> 25. In Reixus ist das<br />

Triforium im westlichsten Joche des Chores <strong>und</strong> ira bstlichsteu des Langhauses<br />

aucli f Unfteilig. Es ist hier aber dureli die grere Breite dieser Joche motiviert.<br />

Penn in den noeh breiteren Turmjoehen - im Querhause <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Westfassade<br />

- ist es sogar aechsteilig <strong>und</strong> bat eine sttLrkere MittelsiLuie.


41 -<br />

oberen Geschosse des Nordturmes, <strong>der</strong> Vorhalien <strong>und</strong> <strong>der</strong> GlasgemiUde,<br />

vollendet.<br />

Die Beliandiung <strong>der</strong> Kathedrale VOil Soissons, die <strong>der</strong> von Chartres<br />

zeitlich folgt., verschieben wir auf eineii spitteren Abschnitt,<br />

<strong>und</strong> gehen zum n gchsten Bau mit drei zweiti!rmigen Fassaden Über,<br />

zur Kathedrale von Reluis. Ihr Aufrif3 <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rit3 geben dieselben<br />

Fragen auf, die wir in Chartres zu llsen hatten. Jedoch<br />

empfiehlt es sich hier, zuerst (lie aligerneine Baugeschiclite') <strong>und</strong><br />

dann das <strong>Fassadenproblem</strong> zu behandein.<br />

Die Kathedrale dci' karolingischen Erzbischfe EBBO <strong>und</strong><br />

HINKM wurde gegen Ende des 10. Jahrhun<strong>der</strong>ts unter Erzbischof<br />

ADALBERO um zwei Joche verlaiigert; im Jahre 1152 fi!gte Erzbisehof<br />

SÂMSON noch drei Joche <strong>und</strong> zwei Fassadentiirme an. Über<br />

die Lage dieser Kathedrale sind wir auf Vermutungen angewiesen.<br />

Weil auf <strong>der</strong> Portalschwelle ihrer Vorgitngerin, an <strong>der</strong> Steile, die<br />

von <strong>der</strong> r fravee V (s. Fig. 9)2) <strong>der</strong> gotischen Kathedrale eingenon-imen<br />

wird, Bischof NICASLUS den Mitrtyrertod durch die Vandaie1l erlitten<br />

haben s01, 3) nirnint DENAISON an,) daf3 Enno die Westfassade seines<br />

Neubaus an <strong>der</strong>selben, durcli das Martyrium geheiIigten Steile errichtet<br />

<strong>und</strong> den Chor nach Osten vorgesehoben hat. Jedenf ails<br />

miissen ADALBERO <strong>und</strong> SAMSON fir ihre Erweiterungsbauten mmdestens<br />

demi Baum, den ungefithr die Joche VI—ViEl des heutigen<br />

Bancs einnehmen. zur Verfiigung gehabt haben. Denn 1880 fand<br />

man an demi F<strong>und</strong>amenten ([es Nordturmes dci' jetzigen Westfassade<br />

5) die Substruktionen <strong>der</strong> ha1bkreisfrmigen Apsis einer Ka-<br />

1) Wir legen unseen Ausfuhrungen folgende Untersuchungen von Louis<br />

DiÀisON, Archivar in Reims, zugr<strong>und</strong>e: Les architectes de la cathédrale de<br />

Remis. Bu!!. arch. du comité 1894 p.3-40. - .Nouveaux renseignements sur<br />

les architectes de la cathédrale de Reims. Bu!!. areh. du comité 1898 p. 40-48. -<br />

Communication de M. Demaison sur l'histoire de la construction de la cathédrale<br />

de Reims. Bali. arch, du comité 1901 p. LIX—LXI. - La cathédrale carolingienne<br />

de Reims et ses transformations au XIJe siècle. Bu]!. arch. du comité 1007 p. 41-57.<br />

- 1m Bali. mon. 1902 t. LXVI p. 3-59: La cathédrale de Reims. Son histoire, les<br />

dates de sa construction. - Eine wichtige Ergitnzung lieferte ANTHYMS SAINT-<br />

PAUL: La cathédrale de R.eim,s anXIIIe siècle. Bull. mon. 1906 t. LXX p. 28-328.<br />

2) Wir ziihien stets von <strong>der</strong> Vierung ans. VgI. S. VI.<br />

3) Bull. arch. du comité 1907 p- 46.<br />

4) Bu!], arch. du comité 1907 p. 56.<br />

5) Bei <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> F<strong>und</strong>amente beging man die Unvorsichtigkeit,<br />

sic withrend des Winters bios liegen za lassen. <strong>Das</strong> eingedrungene Wasser gefror<br />

<strong>und</strong> sprengte das Mauerwerk. Die Folge war, dae die Fassaile chien breiten<br />

Rie erhielt, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Kdnigsgalerie bis zum westlichsten Langhausjoch reichte.<br />

S. Bull. mon. 1881 t. XLVII p. 601.


- 45 -<br />

pelle, die auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> stilkritischen Untersuchung des MusaikfuBbdens<br />

<strong>und</strong> eines Kapiteils iii die Zeit kurz vor 1200 zu setzen<br />

ist') <strong>und</strong> darum erst nach <strong>der</strong> Ver1ngerung <strong>der</strong> Kathedrale erbaut<br />

worden sein kann. Die Tiirme SAMSONS, <strong>der</strong> ein Fre<strong>und</strong> des Abtes<br />

SUGEi <strong>und</strong> ein Zeuge <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>steinlegung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Weihe <strong>der</strong><br />

Abteikirche von St. Denis war, werden wir uns groB <strong>und</strong> prclttig<br />

zu denken haben, vielleicht denen âbiilieli, die im Lauf e des<br />

12. Jahrliun<strong>der</strong>ts in Chartres <strong>der</strong> karolingischen Kathedrale angefiigt<br />

wurden, 2) Aber trotz dieses neuen Schmuckes wurde die<br />

Reimser Kathedrale allnuihlich von ihren Schwesterbauten in<br />

Thérouaune, 3) Arras,) Soissons, Laon, Senlis <strong>und</strong> Noyon, den SuTfraganbistUmern<br />

des Erzbisturns Reims,) iiberflugelt. Da zersttirte<br />

sic im Jahre 1210 eine Feuersbrunst, <strong>und</strong> schon im folgenden<br />

Jahre wurde <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>steiii zu einem Neubau gelegt. ANTHYME<br />

SAINT-PAUL mchte annehrnen,daf3 <strong>der</strong> Erzbischof ALBÊRIC DE HUMBEBT<br />

mit eigener Hand das Feuer angelegt habe, um mit einem Schlage<br />

alle Schwierigkeiten ans dent Wege zu rumen, die sich sonst eineni<br />

') On y a reconnu les ruines de la chapelle St. .Nicolas de l'Hôtel-Dieu,<br />

bâtie vers 1200 environ, peu d'années avant le commencement des travaux de<br />

reconstruction de la cathédrale. (DEMAIsON, Bull. arch. du oomité 1907 p. 57.)<br />

1m Bull. mou. 1902 t. LXVI p. 52 liatte DEMAISON die Kapelle auf 1170-80<br />

datiert.<br />

2) Man truc ais'; ein Jahrzehnt - viel!eicht anch erst drei bis vier Jahrzehiite<br />

(vgl. 8.71) - spitter kein Bedenken eineu Neubau zu entwerfen, dessen<br />

Ausftihrung uur rn5glich war nach dent Àbbrneh nicht nur <strong>der</strong> ein halbes Jahrhuitilert<br />

alten Tllrme, son<strong>der</strong>n auch einer soebeit erst vollendeten Kapelle. Ebensowenig<br />

aber wie mais es in Reims tat, wird <strong>der</strong> erste Meister <strong>der</strong> gotisehen<br />

Kathedrale in Chartres dainit gerechnet haben, die Wettiirrne des 12. Jahrh.<br />

beizubehalten.<br />

3) 1m Jahre 1553, wiihrenil tics Krieges mit Heinrich II., machte Karl V.<br />

die Stadt Thérouanne saint <strong>der</strong> Kathedrale dem Erdbudeii gleich. Die Skulpturen<br />

des Hanptportals wurden sp.ter nach St. Orner geschafft (C. ENLART,<br />

Manuel dArchéologie, t. I, p. 80, n. 1), naclidem hier 1559 unter Philipp II. bei<br />

<strong>der</strong> kirchuiehen Neucinteilung <strong>der</strong> spanisoheis Nie<strong>der</strong>lande eiu Bistum errichtet<br />

worden war. (1566 wurde ans dem auf franzsischem Boden gelegenen Gebiet<br />

des ehemaligen Bistums Thérouanne das Bistum Boulogne geschaffen.)<br />

4) 1m •labre 1797 abgetragen (C. ENLAIST, Manuel t. I p. 485 u. 3), A. DE<br />

BAUDOT behauptet in don Cathédrales de France, p. 22. das Bistum Ai-ras sei<br />

erst wiihren(1 <strong>der</strong> Revolution errichtet wordce. Es hat in Wahrheit seit dem<br />

frllhen Mittelalter ijestanden <strong>und</strong> ist anch niclit zeitweise aufgehoben gewesen.<br />

Vgl. Gallia christiana, t. III, p. 319-453.<br />

5) Die Ubrigen Suffragaubistiimer folgten mit Nenbantesi: Amiens 1220,<br />

Beauvais 1225, Châlons-sur-Marne en. 1230. In Cambrai beguligtc man sich 1227<br />

mit einem neuen Chor (dm gauze Gebude wiihrend <strong>der</strong> Revolutiou abgebrochen),<br />

ebenso, doch erst ein voll(,s Jahrhnn<strong>der</strong>t spiiter, in Tournai.


- 46 -<br />

mit den Bauten semer Suffragaribischôfe wetteifernden Neuhau entgegengestelit<br />

htten.') Wir lassen diese Hypothese auf sic beruhen<br />

<strong>und</strong> halten uns an die tberlieferung. Am 6. Mai 1211 legte<br />

ALBÉRIC DE HUMBERT den Gr<strong>und</strong>stein zur neuen Kathedrale, <strong>und</strong><br />

am 7. Setember 1241, wiihrend einer Sedisvakanz des erzbischiflichen<br />

Stuhies, nahm das Domkapitel vom neuen Chore feierlich<br />

Besitz. ,,Hoc anno, in vigilia Nativitatis Beate Marie Virginis, intravit<br />

capitulum Renense chorum suunz novum," so berichtet die<br />

im 13. Jahrhun<strong>der</strong>t geschriebene Chronik <strong>der</strong> Abtei St. Nicaise in<br />

Reims, 2) <strong>und</strong> eirie Bestâtigung dieser Nachriclit geben die Glasgemalde<br />

des Hohen Chores. Auf <strong>der</strong> rechten Wilfte des ôstiichsten<br />

Fensters befindet sicli unter einem Crucifixus (las Bild des Erzbischofs<br />

IIs.uui DE BRAISNE - ANuIcus nennt ihn die Beischrift -,<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en H.lfte, iinter einem Bilde <strong>der</strong> Heiligen Jungfrau<br />

ais <strong>der</strong> Patronin des Erzstifts, ist die Reimser Kirche durcli eine<br />

gotisclie Fassade angedeutet. Die Fenster zur Rechten <strong>und</strong> zur<br />

Linken enthalten die Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bisciiiife <strong>der</strong> Kirchenprovinz Reims<br />

samt ihren Kathedralen. Der Sinn dieser Bil<strong>der</strong>reilie ist kiar:<br />

HENnI DE BEAISNE, <strong>der</strong> seit 1227 auf (lem erzbischoflichen Stuhie<br />

saf3, hatte gehofît, unter Assistenz semer Suffragane die Weihe des<br />

Chores voliziehen zu kônnen, <strong>und</strong> die Glasgemiilde soliten den feierlichen<br />

Akt <strong>der</strong> Nachwelt iiberliefern. Da ereilte am 6. Juli 1240<br />

<strong>der</strong> Tod den Erzbischof, <strong>und</strong> das Domkapitel mufite ohne ihn in<br />

den neuen Chor einziehen.<br />

Diese beiden Daten, 1211 <strong>und</strong> 1241, sind die einzigen, die den<br />

Beginii irnd die Vollendang eines bestimmten Bauteiles festiegen.<br />

Die Datierung aller an<strong>der</strong>en Teile <strong>der</strong> Kathedrale w.i'e allein durch<br />

die Stilkritik môglich, wenn nicht DEMAISON durch seine archivalischen<br />

Forsehungen über die Meister <strong>der</strong> Kathedraie âufierst wertvoiles<br />

Material fur eine Geschic.hte dieser Bauteile geliefert Mtte.<br />

Wir geben die Ergebnisse dieser Forschungen in Kiirze wie<strong>der</strong>.<br />

Um 1300 war in den Mosaikfuflboden des Mittelschiffs, im dritten<br />

<strong>und</strong> vierten Joche st1ich <strong>der</strong> Westfassade, ein Labyrinth cmgelassen<br />

worden, dessen Verschlingungen (lie BuBfertigen, unter<br />

Gebeten auf den Knien rutschend, zu folgen hatten. AIs sich aber<br />

im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t MuiBiggiinger die Ait damit vertrieben, zu Fuf<br />

das Labyrinth zu durchwan<strong>der</strong>n, beschloB das Domkapitel, diesem<br />

die Andacht <strong>der</strong> Domherrn stôrenden Unfug durci Beseitigung des<br />

1) BulI. mou. 1906 t. LXX p. 291-297.<br />

2) Monuinenta Germaiiiae. Scriptores t. XIII p. 857.


47 -<br />

Labyrinths ein Ende zu machen. Glick1icherweise besitzen wir<br />

eine Zeichnung ans dom 16. Jahrhun<strong>der</strong>t, die die Anlage des Labyrinths<br />

<strong>und</strong> die in semer Mitte <strong>und</strong> an seinen Ecken dargesteliten<br />

Figuren wie<strong>der</strong>gibt. Den Text, <strong>der</strong> unter diesen Figuren stand,<br />

bat <strong>der</strong> Kiinstier lei<strong>der</strong> nicht iïberliefert. Aber ein Kanoniker aus<br />

<strong>der</strong> ersteii HâJf te des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts, COCQtA1JLT, bat ihn, so weit<br />

er damais nocli zu entziffern war, aufgezeichiiet, <strong>und</strong> die 1778 noch<br />

lesbaren Bruchstcke wurden 1779 in den ,,Affiches rémoises" piibliziert.<br />

Dadurch haben wir die Miiglichkeit, die Aufzeichnungen des<br />

Kanonikers ans dem 17. Jahrhun<strong>der</strong>t zu kont.rollieren. 1m folgenden<br />

sind beide Ûber1iefrungen 1) nebeneinan<strong>der</strong>gestellt.<br />

Co c qua u 1 t:<br />

Autant y en a aux quatre coingts<br />

d'iceluy dédale, ne sont représentations<br />

et escriture: premier en celuy qui est<br />

près de la chaiere du prédicateur en<br />

la dicte église, qui est en entrant à<br />

main gauche, est l'image d'un maistre<br />

Jehan Le Loup qui fut maistre des<br />

ouvrages d'iceUe église l'espace de seize<br />

ans et commencea les portaux d'icefle.<br />

En l'autre, du mesme costé, est<br />

l'image d'un Gaucher de Reims qui<br />

fut mai8tre des ouvrages l'espace de<br />

huict ans, qui ouvra aux vossures et<br />

portaulx.<br />

En l'autre, qui est d'autre co8té,<br />

sis à vis et opposite de ceste cy, est<br />

l'image d'un Bernard de Soisson<br />

qui fit cincq voûtes et outra à Vo,<br />

maistre de ses ouvrages l'espace de<br />

trente-cinq ans.<br />

En la <strong>der</strong>nière, qui est à l'opposite<br />

de la dicte chai.ere du prédicateur, est<br />

l'image d'un Jehan d'Orbais, maistre<br />

des dits ouvrages, qui enconlmencea la<br />

coiffe de l'église.<br />

Affiches rémoises:<br />

(S1e gehen von ciner an<strong>der</strong>o Ecke des Labyrinths<br />

ans <strong>und</strong> bringcn die Meleter in andrvr<br />

Iteihenfolge ais Cocquault. 111cr sind die Insehritten<br />

<strong>der</strong> bessern t)bericbt1iChkeit halber in<br />

<strong>der</strong> Ordnung von Cocquault aufgcfflhrt. Diu eLngekiammerten<br />

Worte sind naeh CocuauIt erganzt.)<br />

Autour de ta quatrième à main<br />

gauche par haut: . . . . (Jean Loups)<br />

qui fut maître de l'èglise de céans seize<br />

ans et encŒmmença . . . . (le portail).<br />

Autour de la seconde à main gauche:<br />

(Gaucher de Reims) qui fut<br />

maître de l'église de céans sept [offenbar<br />

VII statt VIII gelesenj ans et ouvra<br />

a vosures . . . dor . . . [wohl faiscli gclesener<br />

Rest von portaulx].<br />

On lit autour de la première figue,<br />

à main droite en entrant: Cette image<br />

est en remembrance de maître Bernard<br />

de Soissons qui fut maître de<br />

l'église de céans .....t cinq voutes.<br />

Autour de la troisième à main droite<br />

par haut: . . . . Cette image est en remembrance<br />

de maître Jean d'Orbais<br />

qui fut maitre de l'église de céans<br />

Nur von drei Meistern ist uns also die Dauer ibrer Ttigkeit<br />

iber1iefert, von keinem ein absolutes Datum, <strong>und</strong> liber ihre Reihenfolge<br />

ist auch nichts gesagt. Aber ,,Jean d'Orbais encommencea la<br />

coiffe de l'église", so heil3t es, <strong>und</strong> da unter coiffe das Chorhaupt<br />

zu verstehen <strong>und</strong> die Kirche mit dem Chore begonnen worden ist,<br />

1) Bull. aTCh. du comité 1894, p. 15-20.


- 48 -<br />

so ist er <strong>der</strong> erste Meister <strong>der</strong> Kathedrale, <strong>der</strong> den Plan fUr den<br />

ganzen Bau entworfen hat. 1) Besttigt wird diese TYber1ieferïmg<br />

durch die Tatsache, dat) <strong>der</strong> (Jhor <strong>der</strong> Klosterkirche von Orbais<br />

abhangig von St. Remi ist <strong>und</strong> in einigen Punkten den Chor <strong>der</strong><br />

Kathedrale von Reims beeinflul3t hat (s. S. 71). Der letzte <strong>der</strong> vier<br />

Meister ist BERNARD DE SolssoNs. Er arbeitete am O", cl. h. an<br />

<strong>der</strong> grot3en Rose <strong>der</strong> Westfassade, irnd ftihrte f iinf voûtes, d. h.<br />

Traveen ans (S. 1, Anrn. 2). 1m Jahre 1287 lebte er noch; DEMASON<br />

bat seinen Namen in ciller Steuerlist.e <strong>der</strong> Pfarrei von St. Denis<br />

gef<strong>und</strong>eu. 2) Von den heiden tibrigbleibenden ist JR&1 LE Loup<br />

<strong>der</strong> Mtere, demi er begann die Portale", wUlirend von GAUCHER<br />

DE REIMS nur berichtet wird, daB er an ilinen arbeitete. Es ergibt<br />

sich also die hier schematisch dargesteilte Reihenfolge:<br />

L JEAN LE Loue 'RBAIS J<br />

GAUCHER DE REIMS f J BERNARD DE SoIssoNs<br />

Die Verteilung <strong>der</strong> Figuren auf die vier Ecken des Labyrinths<br />

folgte dem liturgischen Branche. am Chorende <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Epistelseite<br />

zu beginnen. Die Inschrift unter <strong>der</strong> Figur in <strong>der</strong> Mitte des<br />

Labyrinths hat schon COCQUAULT nicht mehr lesen k3nnen. Hat<br />

1) 1642 fand COCQTJAULT an <strong>der</strong> Sildseite des (hores, zwischen zwei Strebepfeilern,<br />

ein (3rabmal mit <strong>der</strong> Aufsehrift: Ycy gist maistre Adams qui fut mai.stre<br />

de l'œure. COCQUAULT war <strong>der</strong> Ansicht, (laB dieser Meister an dom von JEAN<br />

D'ORBAIS begonnenen Chore weitergebaut habe. Aber dann rniiLlte or im Labyrinth<br />

seinen Platz zwischen JEAN D'ORBAIS <strong>und</strong> JEAN LE Loup crhalten haben.<br />

Soute or aber mir 80 kurze Zeit tittig gewesen sein, daIl man ibm uielit den<br />

an<strong>der</strong>n Meistern gleichstellen woflte, so witre es unbegreiflich, wanum man ihu<br />

au su hervorragen<strong>der</strong> Stalle bestattet bat. DEXAISON 1lst die Schwierigkeit durch<br />

die Annahme, CocQtrAuLT habe ADANS stat.t JEHANS gelesen, ,,Le jambage du J,<br />

joint au reste d'un E capital, a pu fort bien être pris pour un A; et la boucle<br />

d'un H majuscule gothique se confond plus aisément encore avec la panse d'un D."<br />

Bull. arch. du comité 1898 p. 46. COCQUAErLT hatte dam (las Grab des JEAN<br />

D'ORBAXS gef<strong>und</strong>en.<br />

2) .,Maistres Bernars de Nostre-Damme." (Cahier de L'assise de la taiUe<br />

1287, paroisse Saint Denis, Archives communales de Reim8, Sacre des roi8, liasse 1<br />

n. 2.) Meister BEBNRAIuD batte 5 sous zu dcii Krlinurigsfeierlichkeiten PnTLTPPS<br />

DES SOHÔNEN zn zahien. Bull. arch. du comité 1898 . 47.


49<br />

die Figur einen fitnften Architekten dargestelit, etwa ROBERT<br />

DE COUCY, <strong>der</strong> lange Zeit ais <strong>der</strong> Meister <strong>der</strong> Kathedrale gegolten<br />

li at? Man hat es behauptet, aber dann hlLtte ein Meister den<br />

Ehrenplatz erhalten, <strong>der</strong> 1311 gestorben ist') <strong>und</strong> nur ein Werk<br />

vollendet hat, dessen Plan in allen Einzelheiten lin-st feststand<br />

<strong>und</strong> auch scion in alleu wesentlichen Teilen ausgefiihrt war. 1m<br />

Labyrinth <strong>der</strong> Kathedrale von Amiens war neben den drei ersten<br />

Architekten <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kathedrale, Bischof EVRARD DE FolIrLnoy<br />

abgebildet. 2) Also wird die Mittelfigur des Reimser Labyrinths den<br />

Erzbischof AiÉRIc DE HUMBERT dargestellt haben. Die Zeichnung<br />

des Labyrinths aus dem 16. Jahrhun<strong>der</strong>t litl3t auch noch den Umril3<br />

einer Figur erkennen, die an<strong>der</strong>s ais die Figuren in den vier<br />

Ecken gekleidet war. Es sind deutlich lange weite Gewiin<strong>der</strong>, wohl<br />

die Kiei<strong>der</strong> eines Geistiichen, zu sehen.<br />

Die Reihenfolge <strong>der</strong> Meister ist also bestimmt, doch ist lei<strong>der</strong><br />

die Dauer <strong>der</strong> Tiitigkeit des ersten Meisters nicht liberliefert. Aber<br />

wir wissen wenigstens, dal3 BERNARD DE SoissoNs 1287 noch lebte<br />

trnd 1311 sciion seit einiger Zeit tot war, da in diesem Jahre schon<br />

ROBERT DE COUCY starb. Trotzdem bleibt uns fur die Fixierung<br />

des Datums seines Todes ein immer noch ziemlich weiter Spielraum.<br />

Wir mUssen damit rechnen, daB ihm ROBERT DE Coucv o<strong>der</strong><br />

ein an<strong>der</strong>er Meister, von dem uns nichts ilberliefert ist, scion 1288<br />

gefoigt sein kann; an<strong>der</strong>erseits ist es aber auch migIich, daB er<br />

erst wenige Jahre vor 1311 gestorben ist, denn wir haben keine<br />

Nachricht, daB ROBERT DE Coucy lange Zeit Meister gewesen sel<br />

o<strong>der</strong> wichtige Teile des Banes ausgefiihrt habe. Sein Rulim ist<br />

sehr jungen Datums <strong>und</strong> erklitrt sicii allein daraus, daB man seit<br />

dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t die Inschriften des Labyrinths kaum noch<br />

lesen konnt.e, whrend sein Grabstein bis zur Revolution im Kreuzgange<br />

<strong>der</strong> Abtei St. Denis vor aller Augen stand. Nachdem <strong>der</strong><br />

Grabstein verschw<strong>und</strong>en war, wuchs sogar sein Rulim; denu man<br />

verga2 sein Todesdatum <strong>und</strong> liel3 un bald zum ersten Meister <strong>der</strong><br />

Kathedrale aufriicken.<br />

1) 1m Kreuzgange <strong>der</strong> whrend <strong>der</strong> Revolution abgebrochenen Abtei St. Denis<br />

befand sich sein Grabstein mit <strong>der</strong> Aufschrift: cy git Robert de Coucy, maistre<br />

de Nostre Dame et de Saint Nicaise, qui tnspassa l'an MCCCXI. (ROBERT<br />

I)e COUCY war also wie BERNARD I)E SoJSSONS bei St,. Denis eingepfarrt.)<br />

2) Bull. areh. du comité 1894 p. 23; 1886 p.366-72. Abb. deâ Labyrinths<br />

<strong>der</strong> Kathedrale von Amiens bei DURÂND, Monographie, Textband I, Fig. 127 <strong>und</strong> 130.<br />

Die mittelste Steiuplatte mit don 4 Figuren befindet sich un Museum von Amiens.<br />

Vgl. DUR.&ND I S. 23, 460 <strong>und</strong> 465.<br />

K i n e. <strong>Das</strong> Fsadenprobem


50 -<br />

DEMAISON sucht den Spielraum fur Meister BERNARDS Todesdatum<br />

durch die Datierung des Labyrinths zu verringern.') Er<br />

glaubt es ungefkhr um 1290 ansetzen zu diirfen, da das Labyrinth<br />

in Amiens, wie die inschrift sagt, ans dem Jahre 1288 stainmt.<br />

Dadurcli wre dreierlei gewonnen. <strong>Das</strong> Jahr 1290 wre <strong>der</strong> terminus<br />

ante quem erstens f lir BERNA1DS Tod <strong>und</strong> zweitens f tr die<br />

Vollendung <strong>der</strong> westlichsteii Langhausjoche, da das Labyrintli, das<br />

den FuBboden <strong>der</strong> Joche VII <strong>und</strong> VIII bildete, nur nach <strong>der</strong>en<br />

EinwLSlbung angelegt worden sein kann. Drittens stiinde fest, daB<br />

die ftnf von BERNARD gebauten, 1m Text des Labyrinths nicht<br />

nher bezeichneten Joche die fluif westliehsten wren. Aber es<br />

ist nicht einzusehen, warum das Reimser Labyrinth nicht ebensogut<br />

ein paar Jahrzehnte jUnger sein kônnte, ja ein Vergleich mit<br />

dem von Amiens niacht dies sogar hchst. wahrscheiiilicli. 2) Es<br />

kommt hinzu, daB die Joche VI—x nicht von BERNARD erbaut<br />

worden sein knnen. Denn zwischen den Jochen VI <strong>und</strong> Vil zeigt<br />

sich eine von oben bis unten durchgehende Naht, die das Langhaus<br />

in zwei technisch <strong>und</strong> stilistisch verschiedene Teile scheidet 3) Da<br />

also die fiinf Joche Il—VI zusammengehren <strong>und</strong> da von keinem<br />

dei' drei ersten Meister bericht.et wird, daL er einen Teil des Langhanses<br />

gebaut habe, so muissen wir in diesen fiinf Jochen das Werk<br />

BERNARDS sehen, es sei demi, daf3 <strong>der</strong> Gegenbeweis zu f iihren wire.<br />

DEMAISON versucht, wie gesagt, diesen Beweis f Urs erste durch die<br />

Datierung des Labyriiiths zu liefern <strong>und</strong> glaubt die stiistischen<br />

<strong>und</strong> technisehen Versehiedenheiten im Joch VI <strong>und</strong> in den Jochen VII<br />

bis X durch dcii Zuzug neuer Steinmetzen erklaren zu kônnen.<br />

Aber zugegeben, <strong>der</strong> Meister Mtte hier seinen Leuten sowohi in<br />

<strong>der</strong> Wahl des dekorativen Details ais auch in <strong>der</strong> Ausfiihrung des<br />

Verbandes <strong>der</strong> Dienste mit <strong>der</strong> Wand freie Hand gelassen, so ware<br />

docli eine Teilung in die beiden Bauabschnitte Joch VI <strong>und</strong> Joch VII<br />

bis X mehr ais unwahrscheiniich. Man bat wohi bei grof3en Kirchen<br />

das Langhaus in zwei o<strong>der</strong> drei Abschnitten erbaut, aber niemals<br />

Joch fUr Joch vom FuBboden bis zum Gewolbe ausgefi.ihrt. <strong>Das</strong><br />

wre zu schwierig <strong>und</strong> zu kostspielig geworden, weil an <strong>der</strong> freiliegenden<br />

Seite eines jeden neuen Joches provisorische Verstrebungen<br />

1i.tten angebracht werden mùssen; <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gewunn hittte in keinem<br />

Verhaltnis zu don Schwierigkeiten gestanden, da <strong>der</strong> jedesmal gewonnene<br />

Raum fur den Gottesdienst kaum in Betracht kommen<br />

1) Bull. arcli. du comité 1894 p. 23.<br />

2) Â-rii.r S.&INT-PAtI, Bull. mon. 1906, t. LXX p. 321.<br />

8) ANTHYM SADIT-PAUL, Bull. mon. 1906, t. LXX p. 318.


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- 51<br />

konnte. Aber DEMAISON glaubt noch einen an<strong>der</strong>en Beweis fur die<br />

Ausfuihrnng <strong>der</strong> ftinf westlichen Joche durch BEItNAED gef<strong>und</strong>en zu<br />

haben. Eine Urk<strong>und</strong>e ans dem Jalire 1299 soU dartun, daB man<br />

um diese Zeit schon die Freigeschosse <strong>der</strong> Tiirme begonnen habe,<br />

<strong>und</strong> dal3 man aiso mit den Jochen VII—x bereits fertig gewesen<br />

sei. DaB die in arabisehen (1) Ziffern an dem Turmgescho13 neben<br />

<strong>der</strong> Rose <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Kinigsgaierie angebrachten ,,Daten" wertlos<br />

sind, weist DEMAISON tiberzeugend nach. 1) Ob aber ans <strong>der</strong> Urk<strong>und</strong>e<br />

von 1299 <strong>der</strong> SchluÏ3 zu ziehen ist, daB in diesem Jahre<br />

die Tiirme begonnen worden sind, ist mehr ais fraglich. In jener<br />

Urk<strong>und</strong>e 2) erlaubt <strong>der</strong> Erzbischof auf dem Hofe seines Palastes;<br />

d. h. im Siiden <strong>der</strong> Kathedrale, einen Werkplatz abzustecken a<br />

cono rilerii turris anterioris ecclesie Remensis usque ad cnum pz"<br />

(eine jetzt zugemauerte-lerii<br />

ostii quod respic-U rotellam S. Kichasii<br />

Morte in <strong>der</strong> Siidwand des Joches V, vor <strong>der</strong> ein Denkmal des<br />

Nikasius lag), ut ibidem exe'rceantur et fiant opera et alia o'pportun4<br />

fabri ce ecclesie memorate".<br />

DEMAIs0N ist <strong>der</strong> Ansicht, daB auf diesem Werkpiatze di<br />

Steine f tir den stidiichen Turm <strong>der</strong> Westfassade hergerichtet werden<br />

soilten. Aber brauchte man denn f tir die Tiirme einen neuen Werkplatz?<br />

Wir miissen doch annehmen, 4a13 vor <strong>der</strong> Fassade schon<br />

einer angeiegt worden war, ais man die Portale begann, <strong>und</strong> daB<br />

er auch vom Meister BERNARD bei <strong>der</strong> Ausfiihrung <strong>der</strong> Rose benutzt<br />

worden war. Dieser Werkplatz hittte auch die girnstigste Lage<br />

fur die Arbeiten an <strong>der</strong> Tiirmen gehabt. Nun wiLre es ja deiikbar,<br />

dal3 man mit Rhcksicht auf eine lange Bauzeit <strong>der</strong> Tiirme den<br />

Platz vor den Hauptportalen lutte freimachen woilen. Die Werkstttcke<br />

.fiir die Tlirme hutten sicli freilich audh ntirdlich <strong>und</strong> sudlich<br />

<strong>der</strong> westlichsten Joche herstellen lassen. Doch wozu hier einen<br />

neuen_Werkpiatz abstecken? Gerade hier miii3te ja schon Meister<br />

BERNARD einen angelegt haben, wenn er wirklich die Joche Vi—X<br />

erbaut hti.tte. Wir miissen deshalb mit ANTIIYIuI: SAINT-PAUL annelunen,<br />

daB <strong>der</strong> Werkplatz fur die Joche VI—X angelegt worden<br />

ist, <strong>und</strong> daB diese von ROBERT DE Couc y erbaut worden siiid.<br />

Derseibe Meister wird die groï3e Rose vollendet 3) <strong>und</strong> die<br />

Turmgeschosse neben ihr begonnen haben. In stetiger, weiin auch<br />

') Bull. mon. 1902, t. LXVI p. 27-30 et 36.<br />

2) DEMAIs0N, Bull. mon. 1902, t. LXVI p. 30. ANTHYM SAflT-PAUL, Bull,<br />

mon. 1906, t. LXX p. 322.<br />

8) ,,Bernard de Soissons . . . . ouvra d Z'o" hies es im Labyrinth. Er hat<br />

also die Rose nicht vollstitndig ausgeflihrt.<br />

4*


- 52 -<br />

langsamer Bauftihrung weiden die Kiinigsgalerie, die Balustrade<br />

des Hochschiffs <strong>und</strong> die Freigeschosse <strong>der</strong> rUjirme augefiihrt worden<br />

sein.') Die He)me sind nie vollendet worden; in <strong>der</strong> zweiten H1fte<br />

des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts werden die Arbeiten zum Abschlu3 gelangt<br />

sein .2)<br />

Wir wenden uns jetzt einer an<strong>der</strong>en Qattung von Urk<strong>und</strong>en<br />

zu, <strong>der</strong>en Wert f tir die Baugeschichte merkwiirdigerweise 1ngst<br />

nicht geniigend gewtirdigt ist, den Skizzen des VILLARD DE I-TONNE-<br />

1) Die Balustrade ist, wie die au den Westtitrmen erhaltenen Anstze<br />

zeigen (GAILnAu1 I), baid nach 1300 in den Formen <strong>der</strong> Knigsgalerie ausgefiihrt<br />

worden. Bei dem Brande <strong>der</strong> Ditcher im Jahro 1481 ging sie zugr<strong>und</strong>e.<br />

Zwischen 1506 <strong>und</strong> 1515 wurde sic in beinahe denselben Formeii erneuert; nur<br />

ibre, vielleiclit damais eret hinzugefllgten Fialen zeigen den Stil <strong>der</strong> spteSten<br />

Gotik. (Photographie TROMPETTE. Reims, Place du Parvis 28. Catalogue des<br />

photographies de la cathédrale, Nr. 182.) In den siebziger Jahrcn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

ist sic durci ein gauz abseheuliches, von MILLET begonnenes <strong>und</strong> von<br />

Rup icu-Ror volleudetes Machwcrk ersetzt worden, das sich 1en Stil <strong>der</strong><br />

Schiffe besser anpassen 3ollte. I)as batte freilich die alte Balustrade niclit getan.<br />

Dafiir batte sic aber auf die Formeusprache <strong>der</strong> obercu Turrngeschosse vorbereitet<br />

<strong>und</strong> so 'm Verein mit <strong>der</strong> Kdnigsgalerie die cia Jahrhun<strong>der</strong>t auseinan<strong>der</strong>liegenden<br />

Bauteile vom Querhause bis zu den WesttUrmen zusammeugefat. Die<br />

Neuschtpfung tut we<strong>der</strong> das chie noch das au<strong>der</strong>e. Ein Meister des 13. .Jalirhun<strong>der</strong>ta<br />

wiirde an ihr nicht den Stil semer Zeit wie<strong>der</strong>erkennen, son<strong>der</strong>n wahrscheinlich<br />

beim Anblick dieser neuen ,,Bekrminung" des majestiltischeu Baus davonaufen.<br />

Vgl. ANTIIYME SAur-PÀuL, Le cas de la cathédrale de Reims, Bull- mon.<br />

1881, t. XLVII, p. 689-699: Timeo Danaos et dona ferentes. ,,C'est chacune de<br />

nos cathédrales qui, empruntant le sens du vers de Virgile, pourrait s'écrier<br />

aujeurdhui: je crains l'Etat, surtout quand il me comble de ses dons.'<br />

2) <strong>Das</strong> Maf3werk in dem Wimperg ilber dem gro&n Fenster des obersteu<br />

Geschosses des Nordturmes, ciii mit zwei Fischblasen gefuilter Kreis, siheint fUr<br />

cine sehr spte Zeit zu sprechen. Aber wir finden es in Amiens an dem Strebepfeiler<br />

wie<strong>der</strong>, <strong>der</strong> um 1375 zur Verstitrkung des Nordoststrebepfeilers des nUrdlichen<br />

Turmeà <strong>der</strong> Kathedrale errichtet wurde. S. DURAND, Monographie Taf. III<br />

<strong>und</strong> Textband I S. 482f. Zeitlich weiter zurUck fuhrt uns das Mawerk an <strong>der</strong><br />

entsprechenden Stelle des Stidtuzines. Ans den beiden unteren Spitzen des Wimperges<br />

wachsen zwei fisehblasenahnuiche Gebilde hervor, <strong>der</strong>en Kdpfe aber dem<br />

Scheitel des Fensters zusammenstol3en. <strong>Das</strong>seibe Motiv ist schon angewandt<br />

wordcn am Siidturm des Straliburger MUnsters, <strong>und</strong> zwar ail <strong>der</strong> Balustrade <strong>der</strong><br />

Westseite des z'weiten Geschosses, <strong>und</strong> in dem Wimperg uber deiii westlichen<br />

Doppelfenster des Turines <strong>der</strong> Marienkirche in Reutiingen (Monographie Tuf. 5).<br />

In StraUburg ist die Voflendung des zweiten Turmgeschosses tiicht gcnau zu<br />

datieren; des dritte wurde an beiden Turinen 1365 abgeschiosseu. In Reutlungen<br />

war man 1343 mit dem Turme fertig (Monographie S. 18), also wird die Maswerkform<br />

in Straburg etwas friiher <strong>und</strong> in Reins wie<strong>der</strong>um noch friiher ais in<br />

8traburg anzusetzen sein. Per Reimser Siidtnrm wird dalier im zweiten, <strong>der</strong><br />

Nordturm ira Viertel des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts ausgefiilirt worden sein.


- 53<br />

couirr (Taf. XIX <strong>und</strong> LIX—LXIIT). Es sind Skizzen, keine genauen<br />

Aufnahmen. Daher gilt es zunichst, an den kontrollierbaren<br />

Stiicken den (rad ihrer Genauigkeit zu erniittein. Die Skizzen<br />

<strong>der</strong> Chorkapellen sind, abgesehen von <strong>der</strong> Zeichnrnig des Innen<strong>und</strong><br />

Aul3ensockels, genau; die jetzt vorhandene Krnung durch eine<br />

Balustrade wird ursprtinglich nicht beabsichtigt gewesen sein. Die<br />

Horizontalschnitte durch Pfeiler, Fensterpfosten irnd -laibungen sind<br />

ebenfalis genau. Beson<strong>der</strong>s interessant ist <strong>der</strong> Schnitt durci einen<br />

kantonierten R<strong>und</strong>pfeiler. Er 1J3t den Verband <strong>der</strong> Dienste mit<br />

dem Kern bei Vermeidung sichtbarer Sto!3fugen erkennen. Dieser<br />

Verband ist im Chor <strong>und</strong> Querschiff angewandt worden (s. Fig. 9.')<br />

Dagegen zeigt die Skizze vom System des Langhauses sehr bedeutende<br />

Abweichuugen. Der Sockel <strong>der</strong> Seitenschiffswand <strong>und</strong> die<br />

Pfeilersockel sind in demselben Sinne vern<strong>der</strong>t wie die Sockel <strong>der</strong><br />

Ohorkapellen. Die Seitenschiffswand ist unterhalb <strong>der</strong> Fenster durch<br />

eine Blendarkatur geglie<strong>der</strong>t. Gibt hier VILLARD DE HONNECOURT<br />

den ersten Entwurf wie<strong>der</strong>? Keinesf ails. Denn scion das Querhaus<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Langehor haben keine Arkatur unter den Seitenschiffsfenstern,<br />

nur die Chorkapellen sind damit geschniiickt. 2) Den<br />

mitteisten Pfosten des vierteiligen Triforiums, <strong>der</strong> in Wirklichkeit<br />

nur ganz wenig sti'ker ist ais die beiden an<strong>der</strong>en, zeichnet VILLARD<br />

bedeutend stârker. Wie sind diese Abweichungen zu erklâren?<br />

\\rjr haben zu <strong>der</strong> Skizze <strong>der</strong> Fassadenrose von Chartres bemerkt<br />

(S. 33, Aiim. 1), daB VILLARD trotz semer ausdriicklichen Beischrift<br />

ista est fenestra in templo Sce Marie Garnoti hier Vern<strong>der</strong>ungefl<br />

im Sinne <strong>der</strong> Weiterentwieklung des Stiles vorgenommen bat. Passelbe<br />

wird er bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabe des Reimser Langhaussystems<br />

getan liaben. Deun wie wir oben (S. 42) gesehen haben, wurde<br />

allmiihlich <strong>der</strong> dreiteilige Aufbau durci einen zweimalzweiteiligell<br />

1) Derselbe Verband war sehon bei den Pfeilern <strong>der</strong> Katiiedrale von Chartres<br />

angewandt worden. VILLARD DE HONNECOURT hat ihn auf demselben Blatte (XXIX)<br />

dargcstellt, das clic Skizze <strong>der</strong> Rose von Chartres enthitit, alicrdings ohne anzugeben,<br />

woher er sein Beispiel fUr den ,.Vcrband mit nusichtbaren Stofugen'<br />

bat. LÂssus <strong>und</strong> DARCEL glaubten (S. 126) in dieser Skizze den Querschnitt eines<br />

Tteimser Pfeilers sehen Yu mUssen. Aber <strong>der</strong> Soekel beweist, daB es sich, worauf<br />

schon die Zusammensteilung mit <strong>der</strong> Rose hindeutet, um einen Pfeiler von<br />

Chartres handeit. Vgl. XÏNO HI Taf. 57 (= VIu..ARD XXIX) mit Xio UI Taf. 81<br />

(= Vruuw LXII).<br />

2) Die Kapellen sind offenbar ais kieine, in sieli abgeschlossene Raume gedacht.<br />

Man darf daher aus ihrer Konstruktion keiiie Sehilisse net den Ubrigen<br />

Bau zichen. In Noyon besteht librigens dasselbe Verhiiltnis zwischen Chorkape)ien<br />

<strong>und</strong> Langchor.


- 5<br />

abgelt3st. Zur Zeit, ais VILLARD sein Skizzenbuch aniegte, batte<br />

sicli dieser Umschwung bereits volizogen. - Es bleibt noch die<br />

Skizze des Chorstrebewerkes iibrig. Hier sirici die Abweichungen<br />

nui bedeutendsten, <strong>und</strong> es lige daber nahe, sie ebenso zu erkliren,<br />

wie in <strong>der</strong> Skizze des Langhaussystems. Aber es lâfit sich beweisen,<br />

dat3 VILLARD hier den urspriingiichen Plan bewahrt bat.<br />

Der tuBere Strebepfeiler nimiich, dessen Schlanklieit allerdings<br />

wohl uibertrieben sein diirfte, ist genau so geglie<strong>der</strong>t wie die Pinakel<br />

neben dem Ostgiebel <strong>und</strong> neben dem mittieren Wimperg <strong>der</strong> Westfa.ssade<br />

<strong>der</strong> Kathedrale von Laon, <strong>und</strong> diese Pinakel gehren Banteilen<br />

an, die in die Zeit zwischen 1210 <strong>und</strong> spttestens 1230 failen.<br />

Wir sind ferner in <strong>der</strong> Lage, die Genauigkeit <strong>der</strong> Skizze des Chorstrebewerks<br />

durch die Skizzen des Larighausjoches <strong>und</strong> <strong>der</strong> Chorkapellen<br />

zu kontrollieren. Nach <strong>der</strong> Skizze des Langhausjoches<br />

soliten in den Zwickeln zwischen deii Hochschiffsfenstern des Langhauses<br />

über dem Angriffspunkte <strong>der</strong> oberen Strebebigen Engel angebracht<br />

werden, die mit iliren ausgebreiteten Fitigein die Zwickel<br />

gefiilit Mtten. Dieseben Engel stehen jetzt - <strong>und</strong> damit stimmt<br />

die Skizze von VILLARD iiberein - in den Zwickeln zwisehen den<br />

Fenstern <strong>der</strong> Ohorkapeflen unter einern Baldachin. Über dem oberen<br />

Strebebogen des Chores gibt VILLARD ebenf ails einen Baldachin an,<br />

Jetzt sjtzen aber in den Zwickeln des Hoclichores <strong>und</strong> -schiffes<br />

Atlanten, die das Dacligesims tragen. UrsprUnglich also soute<br />

<strong>der</strong>en Platz iiberall von Engein eingenommen werden; denn unter<br />

den von VILLARD am Hochchor gezeichneten Baidachin konnte<br />

natitrlich kein Atlas gesetzt werden. Ais dann aber, wie wir<br />

selien werden, JEAN LE Loup das Motiv <strong>der</strong> mit Freifiguren geschmiickten<br />

Pinakel von den Fassaden auch auf das Strebewerk<br />

iibertrug, steilte er die Engel in die Pinakel <strong>und</strong> setzte an den<br />

ilinen von JEAN D'OnBÂIs zugewiesenen Platz Atlanten, um die<br />

Wie<strong>der</strong>hoiung desseiben Motivs zu vermeiden. 1) Wir werden also<br />

umgekehrt den Schiufi ziehen diirfen, daB JEAN n'ORnAIs, <strong>der</strong> die<br />

Zwickei durcli Engelfigtu'en f tillen wolite, das Strebewerk ohne<br />

figiiriichen Schmuck gepiant hat. Daraus folgt weiter, dal3 die<br />

Skizze des Chorstrebewerks tats.chIich sein Projekt wie<strong>der</strong>gibt.<br />

Demi die Skizzen des Langhausjoches <strong>und</strong> des Chorstrebewerks ergitnzen<br />

sich aufs vollkommenste. Angenommen, VILLARD 1i.tte auf<br />

<strong>der</strong> Langhausskizze willkiirlich Atianten durci Engel, wie et , sie<br />

I) Es kam hinzu, dag die VOfl JEAN LE Loup hher angeordneten Strebebi;geu<br />

fUr die Engelsfignren keinen ausreichenden Platz lieBen. Vg1. S. 62.


- 55 -<br />

an den Chorkapellen sali. ersetzt, so htte er docli kaum daran<br />

gedacht, bei <strong>der</strong> Skizzierung des Chorstrebewerks einen Baldachin<br />

f ir die Engelsfigur einzuzeichnen, wenn nicht wirklich <strong>der</strong> Originalbaurifi<br />

hier einen Baldachin angegeben hatte. DaB VILLARD das<br />

eine Mal nur den Engel <strong>und</strong> das aii<strong>der</strong>e Mal nur den Baldachin<br />

zeichnet, ist leicht zu erkliren. Am Langhausjoch lM3t er den<br />

Baldachin weg, weil er das Gesims nicht mehr mitzeichuet, an dem<br />

<strong>der</strong> Baldachin angebracht werden soUte; dagegen war die Engelsfigur<br />

mit den ausgebreiteten Fiilgehi sehr wichtig, weil es darauf<br />

ankam, ihre gliickiiche Einpassung in die Zwickel zu zeigen. Auf<br />

<strong>der</strong> Skizze des Chorstrebewerks ist das Gesims <strong>und</strong> infoigedessen<br />

auch <strong>der</strong> Baldachin mitgezeichnet, die Profilansicht des Engels aber<br />

ais unwichtig weggelassen worden.<br />

Doch nun zu dem Ban selbst. Es empliehit sich hier einmal<br />

vom Aufbau statt vom G-r<strong>und</strong>rifl auszugehen. Ohor <strong>und</strong> Querschiff<br />

bilden den im Jahre 1241 geweihten Teil <strong>der</strong> Kathedrale. Man begann<br />

mit dem Ban des Querhauses. Die Hehne <strong>der</strong> Pinakel vor<br />

den Strebepfeilern <strong>der</strong> Tiirme sind, wie auf <strong>der</strong> Skizze des Chorstrebewerkes<br />

von VILLARD, noch nicht geschlitzt. <strong>Das</strong> tinter ihuen<br />

in H3he des Triforiums liegende StUck des Strebepfeilers ist ungeglie<strong>der</strong>t.<br />

1m Erdgeschofl mLgen Chor <strong>und</strong> Querschiff gleichzeitig<br />

in Angriif genommen worden sein, dann fiffirte man zuerst das<br />

Querhaus saint dem zweiten Gescho6 <strong>der</strong> Tiirme in die llhe. Diese<br />

Teile sind das Werk des JEAN D'ORBAIS. JEANLE Loup baute<br />

den Hochchor mit einem neuentworfenen Strebewerk. Wie wir oben<br />

geselien haben, hat <strong>der</strong> Erzbischof HENRI DE BRAXSNE (1227-40)<br />

in den Glasgemilden des Hohen Chores den Weiheakt <strong>der</strong> Nachwelt<br />

iiberliefern wolien. Er wird kaum unmittelbar nach semer<br />

Thronbesteigung, son<strong>der</strong>n erst, ais <strong>der</strong> Ban sich <strong>der</strong> Vollendung<br />

naherte, den Befehi zur Anfertigung dieser Fenster gegeben haben.<br />

Also erlauben uns auch die G-lasgemiilde den Ilohen Chor in das<br />

ietzte Jahrzehnt vor 1240, vieileicht sogar in die Jalire 1235-40<br />

zu setzen. Die Strebepfeiler miissen vor <strong>der</strong> EinwIbung errichtet<br />

worden sein, <strong>und</strong> zwar vom Dachgesims <strong>der</strong> Kapeilen an nach dem<br />

neuen Entwurf. Da dieser dem zweiten Meister zuzuschreiben ist,<br />

werden wir den Meisterwechsei sptestens in die Zeit uni<br />

verlegen miissen. An<strong>der</strong>erseits kinnen wir, wie sicli spi%ter (S. 90)<br />

zeigen wird, auch niclit liber 1231 hinaufgehen. Halten wir aiso<br />

einmal am Jahre 1235 fest, so ergibt sich folgende Chronologie:<br />

JEAN D'ORBAIS . . . (ca. 24 Jahre) 1211-235<br />

JEAN LE Loup . . (16 ,, ) 1235-1251


56 -<br />

GAUCHER DE REIMs . ( 8 Jahre) 1251-1259<br />

BERNARD DE S0ISSONS . (35 ,, ) 1259_12941)<br />

Warum aber ffihrte JEAN LE Loup das Strebewerk des Ohores<br />

nicht nach dem ursprîingliehen Entwurf aus, <strong>der</strong> ja eine konstruktiv<br />

viel richtigere LLsung vorschrieb? Nach diesem Entwurf soilten<br />

die aul3eren Strebebgen die inneren Strebepfeiier an den Anfailspunkten<br />

<strong>der</strong> inneren Strebebôgen stiitzen, w.hrend sie jetzt bedeutend<br />

hher angreifen <strong>und</strong> nach au8en den Schub auf einen<br />

1ngeren Hebelarm iibertragen. 2) Aber es kam dem zweiten Meister<br />

gerade darauf an, diesen Hebelarm, d. h. den Auf3eren Strebepfeiler,<br />

zu verlitngern, nicht ans konstruktiven, son<strong>der</strong>n aus âsthetischen<br />

Griinden. Er wolite die âul3eren Chorstrebepfeiler in ihren Hiihenmal3en<br />

mit den librigen Strebepfeilerii in tJbereinstimmung bringen.<br />

Pas Gesims, das an <strong>der</strong> Querhausfassade du RosengeschoB von<br />

dem Triforium trennt, wurde um das ganze Chorstrebewerk herumgefiihrt,<br />

<strong>und</strong> die Pinakel erhielten dieselben Mafle wie an den Querhansfassaden.<br />

Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daIs JEAN LE Loup<br />

dieses Gesims <strong>und</strong> auch die Pinakel in <strong>der</strong>selben Hhe auch uni<br />

die iibrigen Teile des Baues herumfiiiiren wolite. Verfolgen wir<br />

also du Gesims weiter bis zur Westfassade. Es liegt dort heute<br />

tiefer ais an den Querhausfassaden, nm1ich genan in <strong>der</strong> Hihe <strong>der</strong><br />

Oberkante des Triforiums. Um die Wichtigkeit dieser Hihendifferenz<br />

zu erkennen, miissen wir uns die verschiedene ffiihenlage<br />

<strong>der</strong> Grenzlinie zwischen Triforium <strong>und</strong> Hochwerk im Inneren <strong>und</strong><br />

Àufieren <strong>der</strong> einzelnen Bauteile kiarmaChen. Es sind folgende<br />

Hôhenlagen, von unten nach oben gezih1t, zu unterscheiden:<br />

Hôhenlage I: Deckplatte des Triforiums (innen ais Gesims)<br />

a) aut3en <strong>und</strong> innen unter den Hockschiffsfenstern im Langhans,<br />

Chor <strong>und</strong> Querhaus,<br />

1) ANTHYME SAINT-PAUL indchte, allerdings ohne sich an biiiden, auf Gr<strong>und</strong><br />

dey S. 51 erwhnten Urk<strong>und</strong>e 1298 aIs Todesjahr BENNARDS annehmen. Bull.<br />

mon. 1906, t. LXX p. 300. Aber jene lrk<strong>und</strong>e gibt, vorausgcsetzt, dab ihre Deutung<br />

durch SAINT-PAUL unbedingt richtig ist, nur einen terminus ante quem <strong>und</strong><br />

erlaubt uns daher weiter hinaufzugehen.<br />

2) Da die inneren <strong>und</strong> àuileren Bigen den inneren Stebepfeiler an verschiedenen<br />

Punktcn treffen, mute dieser massiv ausgefuhrt werden, damit er<br />

eincr Durchbiegung Wi<strong>der</strong>stand Icisten kaun. Nach dem ersteu Plane soute er<br />

unter <strong>und</strong> über dan gemeinsamen Angriffspunkten <strong>der</strong> inneren <strong>und</strong> iLulleren Bigen<br />

durchbrochen werden. Die Annahme von Ltsus <strong>und</strong> DARCEL (Album S. 217),<br />

dali die iiineren Strebepfeiler in ihrer heutigen (lestait erst nacli dem Brande<br />

von 1481 ausgefbhrt worden seien, entbehrt <strong>der</strong> Begriindung.


5<br />

b) aul3en iiiid innen an <strong>der</strong> Westfassade <strong>und</strong> an allen Seiten<br />

<strong>der</strong> Westtiirme, s. Fig. 13.<br />

Hilien1age II: Hochschiffsfensterbank abziiglich <strong>der</strong> Schriige<br />

a) auf3en an den Querhausfassaden <strong>und</strong> -tiirmen <strong>und</strong> am<br />

Chorstrebewerk, s. Fig. 13,<br />

b) innen an <strong>der</strong> Fassadenwand des Q,uerhauses (das Gesims<br />

über dem Triforium ist beim t)bergarig von dei' Hochschiffswand<br />

zur Fassadenwand von <strong>der</strong> Hiilienlage I in die<br />

Wihenlage II 1iinaufgekripft), s. Fig. 14.<br />

Hôhenlage III: Gesims unter den Pinakein <strong>der</strong> Langhausstrebepfeiler<br />

(<strong>der</strong> Funktion nach dem Gesims Ha an Chor <strong>und</strong><br />

Querhaus entsprechend), s. Fig. 15.<br />

Denken wir uns tinter <strong>der</strong> Rose <strong>der</strong> Westfassade an <strong>der</strong> Auflenseite<br />

das Gesims von <strong>der</strong> H1ie I in die Hôlie il verlegt, so wûrde<br />

es den Fu[3punkt <strong>der</strong> Rose genau tangieren. Ans dieser Beobachtung<br />

sind zwei Folgerungen zu zieheti, eine fir die Meisterfrage<br />

<strong>und</strong> eine f tr den Gesaintentwiirf des JEAN D'ORBAIS. Erstens ist<br />

es nim1ich kiar, dal3 <strong>der</strong> Meister, <strong>der</strong> sich die Mihe gemaeht hat,<br />

das Gesims lia selbst unter ungiinstigen konstruktiven Bedingungen<br />

um das Chorstrebewerk 1ierumzufihren, es nicht an <strong>der</strong> Westfassade<br />

tiefer gelegt haben kann; deun hier htte es ohne Schwierigkeit<br />

unter <strong>der</strong> Rose Platz gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> hatte die Einfiigung des<br />

kahien <strong>und</strong> unorgaiiisch wirkenden Mauerstreifens Uberilissig gemacht.<br />

An einer Kopie <strong>der</strong> Reimser Westfassade, an St. Jean des<br />

Vignes iii Soissons (s. Fig. 20) tangiert auch tatschuicIi das entsprechende<br />

G-esirns die Rose. Also ist es erst GAUCnER DE REIMS<br />

o<strong>der</strong> BERNARD gewesen, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Westfassade das Gesims Il in<br />

die Lage I herabgedriickt hat, offenbar in <strong>der</strong> Absicht, das Turingeschof3<br />

neberi <strong>der</strong> Rose schlanker bilden zu kinnen. Ans demselben<br />

Gr<strong>und</strong>e wurde spter dieses Geschof3 etwas liber die H1ie<br />

des Hochschiffsgesirnses hinaufgeftihrt. Vergleichen wir mit dieser<br />

Beobachtung tien Text des Labyi'inths. ,,Jean Le Loup . . commencea<br />

les portaux,' DEMAIS0N will unter diesen Portalen die<br />

beiden an dci' nird1ichen Querliausfassade verstanden wissen. Dagegen<br />

bemerkt ANTHYME SAINT-PAUL mit Redit, daB man uni. 1300<br />

von den Portalen nur im Sùrne <strong>der</strong> Portale par excellence, <strong>der</strong><br />

Westportale, sprechen konnte. Diese waren es, die JEAN LE Loup<br />

begann. Gaucher de Reims . . . ouvra aux voss'ures et portaux',<br />

d. h. <strong>der</strong> dritte Meister vollendete die Portalgewande <strong>und</strong> arbeitete<br />

scion an den Bogenlaibungen, die mit dem Ausdruck vossures ge-


- 5 -<br />

meint sein miissen. <strong>Das</strong> Fassadentriforiuni ist darum auch nach<br />

<strong>der</strong> Uberlieferung des Labyrint.hs mindestens schoii ein Werk des<br />

dritten Meisters.<br />

Die zweite, wichtigere Folgerung betrifft den ersten Gesamtentwurf<br />

fui' die Kathedrale. Es ist nattirlich kein Zufali, da g da.s<br />

Gesims in Wihe 11 gerade so Iiegt, dafi es die Rose <strong>der</strong> Westfassade<br />

tangiereil wiirde.. JEAN D'ORBÂIS hatte hier dieselbe Absicht<br />

wie nach unserer }Iypothese <strong>der</strong> erste Meister <strong>der</strong> Kathedrale<br />

voit er wolite die drei Fassaden verschieden ausfiihren<br />

<strong>und</strong> die ideaiste Liisung f iir den westlichen Abschluf3 vorbehalten.<br />

1m Tnnern wurde auc.h spiLter nocli die Westrose nach dent urspriinglichen<br />

Entwurfe ausgefiihrt. Der Ansehlul3 <strong>der</strong> Fassadenwand<br />

ist <strong>der</strong> denkbar volikommenste. <strong>Das</strong> Gesims liber dent Triforium<br />

(Hiihe T) ist in <strong>der</strong>selben Hiilie uni Westwand herumgefiihrt,<br />

darUber folgt eût Mauerstreifen, <strong>der</strong> dem senkrechten Stlick<br />

<strong>der</strong> F'ensterbank entspricht,') <strong>und</strong> die Stelle <strong>der</strong> Fensterbanksclirige<br />

nimmt die Roserilaibung ein. Nur die Durchbrechung <strong>der</strong> unteren<br />

Zwickel lag nicht im urspriinglichem Plane, wie ein Vergleich mit<br />

den Querschiffsrosen zeigt. Der Aufbau <strong>der</strong> Fassade in Reims ist<br />

also genau <strong>der</strong>selbe wie in Chartres: das erste GeschoE entspricht<br />

den Seitenschiffen, daim folgt das Triforium, den Sehlut3 biidet die<br />

Rose, o<strong>der</strong> vielinehr, da ihr Scheitelpunkt infolge <strong>der</strong> schlankei'en<br />

Quei'schnittsproportionen den Gew5lbesclieite1 nicht erreichen wtirde,<br />

ein Spitzbogenfenster, in dits eine Rose eingesetzt ist, <strong>der</strong>en iDurchmesser<br />

gleich <strong>der</strong> Breite des Spitzbogenfensters ist <strong>und</strong> <strong>der</strong>en wagerechte<br />

Achse in <strong>der</strong> Kitmpferht3he des Spitzbogens liegt. Die Rose<br />

sitzt hier also ais Maf3werk in einem Spitzbogenfenster. Durch<br />

diese Umwandlung des Fassadenfensters in einen Spitzbogen mit<br />

Maflwerkfiillung koiinte JEAN D'ORBAIS den Aufrif3 <strong>der</strong> Fassaden<br />

dent <strong>der</strong> Schiffe iioch volikommener anpassen ais <strong>der</strong> Meister<br />

voit In Chartres waren die Fenster des gesamten Obergadens<br />

mit Ausnahine. <strong>der</strong> Chorr<strong>und</strong>ung dadurch den Fassadenrosen<br />

angepa3t worden, dafi sie ais ans Zwillingsfenstern <strong>und</strong> Rosen bestehende<br />

Gruppenfenster gebildet worden waren. An <strong>der</strong> Chorr<strong>und</strong>ung<br />

muBte man aber wegen <strong>der</strong> geringen Breite <strong>der</strong> Schildwande<br />

auf diese Fensterbildung verziehten, da die Zwillingsfenster<br />

zu schlank <strong>und</strong> die Rosen zu klein geworden w gren. Dieses M13-<br />

1 ) Dieser fehit in Chartres im Hochschiff <strong>und</strong> wiirde also auch an <strong>der</strong> Fassade<br />

gefehit haben. Auf unserer Rekonstruktion (Fig. 7) tangiert daher die<br />

Rose unniittelbar das Gesims über dem Triforium.


- 59 -<br />

verhltnis wi&re beim Vergleich <strong>der</strong> Chorfenster mit den iibrigen<br />

Fenstern iioch mehr in die Augeil gesprungen. Aul3erdem htte<br />

sich beim ZusammenstoB <strong>der</strong> Cliorr<strong>und</strong>ung mit dciii Langchor <strong>der</strong>selbe<br />

Ûbelstand ergeben, den man spter, ais man gezwungen war<br />

am Weststande des Langliauses die Achsenabstiinde zu verringern,<br />

nur durch chien a11miIi1ichen tïbergang zu immer schm1eren Joehen<br />

abzuschwchen gewu6t hat (vgi. S. 31, Anni. 1). Dem Reimser<br />

Meister aber ermôglichte das Ma1werk in allen Fenstern mit Sechspssen<br />

von annihernd <strong>der</strong>seiben Gri13e auszukomrnen. 1) In die<br />

1) Da13 die Behandiung <strong>der</strong> Rose ais )Ial3werk eines Spitzbogenfensters<br />

mm ersten Male an demselben Ban vorkommt, dessen Chorkapel]en des friiheste<br />

MaBwerk aufweisen, gibt mu denken. Wir milasen uns zwei Tatsachen vor Augen<br />

haiten. Einmai, sobald dus MaBwerk erf<strong>und</strong>en worden war, war ein gotiseher<br />

Ban ohne dieses ueue Element kaum noeh deiikbar. Es ist, ais hutte man etwas<br />

lange Gesuchtes eudlich gef<strong>und</strong>en. Au<strong>der</strong>erseits miissen wir uns, wenn wir rtickschanend<br />

die Entwicklung des gotisehen Baustiles (iberbiieken, wuri<strong>der</strong>n, daô dus<br />

Mal3werk nicht schon friiher erf<strong>und</strong>en worden ist. Die Zwilliugs- <strong>und</strong> Drillingsfenster<br />

mit Okulus im Zwickei <strong>der</strong> Sehild-, Blend- o<strong>der</strong> EntIastnngsbigen, eiue<br />

Fenstergruppierung, die wiUireud <strong>der</strong> ganzen fruhgotischen Zeit beliebt war,<br />

drngten ja flirmlich zur Mawerkbi1dung. Wie kam es also, daâ gerade JEAN<br />

D'OEBAIs, <strong>der</strong> sont keine Neigung zur Massenverringerung <strong>und</strong> zur Anwendung<br />

leichter Fornien zeigt, des Maliwerk erfinden mullte? Es kaun kein Zweifel bestehen,<br />

dafi gerade er sich noch mit <strong>der</strong> iiberlieferteii Fensterforrn begnllgt<br />

h.tte - im Erdgeschoe <strong>der</strong> Fassadenrnittelstiicke tut er es aueh - wenn er<br />

nicht an einer Stelle seines Bancs mur Ertindung einer neuen Feusterform gezwuugen<br />

gewesen wtre. Diese Stelle war dus oberste Fenster <strong>der</strong> Fassade. Der<br />

Okuliis eines Zwillings- o<strong>der</strong> die mittiere Offnung eines Drill in gsfensters chieheii<br />

sich infoige ihrer geringen Breite in den die Fensterruppe zusammenschuie1enden<br />

Spitzbogen fast bis mu dessen Scheitelpunkt hinein, so da g die Reste des<br />

Zwickeis, die zwischen dem Okulus <strong>und</strong> dem Zwillingsfenster tibrig bleiben, kaum<br />

noch ais Fiitche empf<strong>und</strong>en werden. Der Zwickel über den Fassadenrosen ist<br />

aber so gros, dag er unmdgiich ais Wandflche liber dem R<strong>und</strong>feiister steheu<br />

bieiben konnte. Die Wand wurde daher bis auf den letzten Rest beseitigt <strong>und</strong><br />

dnrch Glas crsetzt. Dieses zuerst beini Entwurfe <strong>der</strong> Fassaden gef<strong>und</strong>ene Prinzip<br />

tibertrug JEAN n'ORNAIs anS die an<strong>der</strong>en Fenster. Damit tut er den entacheidenden<br />

Sehritt: er verdritngte die Fenstergruppe durch des Einheitsfenster. Deun<br />

<strong>der</strong> weseutiiche Unterschied zwischen beiden besteht darin, daB bei <strong>der</strong> Fenstergruppe<br />

die weun aneh nocli so kleinen Zwickel, die sieh zwischen den Spitzbigen<br />

<strong>und</strong> Kreisen ergebesi, geschlossen bleiben, wiihrend sic beim Einheitsfenster<br />

durchbrocheu sind. In Laon <strong>und</strong> Chartres bestehen die Rosen ans Stempiatten,<br />

ans deneii wie<strong>der</strong> kicine Kreise ausgesiigt sind, ein im Priiizip an die<br />

Antike erinneru<strong>der</strong> FensterversehiuL Liiste man aber die Flitche liber <strong>der</strong> Rose<br />

auf, so mul3te man aucli die klcinste Fihche innerhalb <strong>der</strong>selben aufidsen, soust<br />

hutte <strong>der</strong> durchsichtige Zwiekei bu Gegensatz mu <strong>der</strong> teilweise <strong>und</strong>urchsichtigen<br />

Steiiiplatte ais Loch gewirkt. FUr (lie Fassadenrosen griif daher <strong>der</strong> Meister auf<br />

des roinanische Radfeuster zuruck. Die ,.P.sse" <strong>der</strong> librigen Fenster erweisen


- -<br />

schmalen Fenster des Chorhauptes setzte er einen Sechspal3, <strong>der</strong><br />

die gesamte Breite <strong>der</strong> Fenster einnimmt, in die iibrigen, breitereri<br />

Fenster einen weiter in das Bogenfeld hineingeschobenen Sechspaf3.<br />

J1N D'ORBAIS erweist sich also in <strong>der</strong> Lsung des Fassadeii -<br />

problems ais einen Schiiler des Meisters von Chartres. Obwohl er<br />

aus <strong>der</strong> Champagne starnmte, <strong>und</strong> obwohl er die Lokaltradition<br />

(s. S. 82) niclit verleugnen kann, sind seine Konstruktionen so robust<br />

wie in Chartres. Eine LTntersuchung des Strebewerkes macht seine<br />

AbMngigkeit von Chartres noch deutiicher. Vergieichen wir den<br />

Querschnitt des Chores <strong>und</strong> des Langhauses, so MUt sofort auf,<br />

da!3 die obere Hitlfte (les Strebepfeilers am (Jhor an<strong>der</strong>s ais am<br />

Langhaiise auf <strong>der</strong> unteren Hàifte aufsitzt (s. Fig. 14). Am Chor<br />

liegt die nach innen gekehrte Seite des iu13eren Strebepfeilers in<br />

einer Ebene mit <strong>der</strong> Wandvorlage im Innern des Chorumganges.<br />

am Langhause mit <strong>der</strong> Innenf1.che <strong>der</strong> Seitenschiffswand. Die<br />

Konstruktion am Chor ist dieselbe wie in Chartres, ja es ist, eutwickhingsgeschichtiich<br />

betraclitet, nocli dieselbe Konstruktion wie<br />

an den Kirchen mit vierteiligem Aufbau. Dort ergibt es sich von<br />

seibst, daB die Wandvor]age <strong>der</strong> Empore auf die des Erdgeschosses<br />

zit stehen kommt. Nach Ausschaltung <strong>der</strong> Gew5ibe <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schildwnde<br />

<strong>der</strong> Empore behieit die obere HJfte des Strebepfeilers denselben<br />

Piatz, den vorher Strebepfeiler <strong>und</strong> Wandvorlage <strong>der</strong> Empore<br />

zusammen eingenommen hatten. Es ist se1bstverstnd1ic1i, daB<br />

die beiden ersten Reimser Meister auch f ir das Langhaus die alte<br />

Konstruktionsart gewihlt htten. Schieben wir daher einmal die<br />

obere Hitlfte <strong>der</strong> Langhausstrebepfeiler bis in die Fluchtlinie <strong>der</strong><br />

Wandvorlagen in den Seitenschiffen! Daim wllrden sich die Strebebgen<br />

verkieinern, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anfalispunkt <strong>der</strong> irnteren wirde am<br />

sich aber ais Abkmm1inge <strong>der</strong> Rosen von Chartres. In den Chorkapellen <strong>und</strong><br />

an <strong>der</strong> R<strong>und</strong>ung des Hochehores ist sogar die Anordnnng <strong>der</strong> Fenstergruppen<br />

von Chartres beibehalten: Zwillingsfenster <strong>und</strong> ehi die ganze Breite <strong>der</strong> Schildwand<br />

einuehrnen<strong>der</strong> Sechspa, darliher aber kein r<strong>und</strong>or Schildbogen, sou<strong>der</strong>n cm<br />

spitzer, <strong>der</strong> Zwiekel zwischen Sechspaâ <strong>und</strong> Schildbogen geliffuet. Die Folge<br />

war, daâ auch die Zwickcl innerhalb des Sechspasses <strong>und</strong> zwisehen ibm <strong>und</strong> den<br />

beiden kleinen Spitzbtgen geiiffnet werden mnUten, so daâ nur noch Trennungsstbe<br />

iibrig blieben. Diesem ,,MaBwerk" entspricht unteji das ans eineni ilittel<strong>und</strong><br />

zwei Wandpfosten gebildete ,,Stabwerk', dessen Stelle noeh in Chartres ein<br />

schichtenweise aufgeinauerter Pfosten, also ein schmales Stiick 'SVand, eingenommen<br />

batte. In den breiteren Fenstern <strong>der</strong> Sebiffe tritt eine Verschiebung<br />

des Verhiiltnisses von Stab- <strong>und</strong> MaBwerk ein. Da ein die ganzc Fensterbreite<br />

einnehmen<strong>der</strong> SecbspaB den beiden spitzbogigeii Ôffnungen unter ibm zu wenig<br />

Platz gelassen hutte, erhielt er ungefuhr die Gr8e, die man cinem Okulus über<br />

einem Zwillingsfenster gegeben hutte.


- 61 -<br />

Strebepfeiler hinaufrticken. Der Strebebogen, <strong>der</strong>, vielleicht noch<br />

von JEAN LE Loup, von Joch I nach dem Strebepfeiier y <strong>der</strong> westlichen<br />

Querhaustirme hiniibergespannt ist, hat seinen Fufpunkt in<br />

Hhe II. Er ist stark gestelzt. Bei den folgenden Strebeb5gen ware<br />

die Steizung nicht notwendig gewesen, weii <strong>der</strong> Abstand <strong>der</strong> folgenden<br />

Strebepfeiler von <strong>der</strong> Hochschiffswand etwas grBer geworden<br />

ware. Der rpijrlflstrebepfejler y steht nitrniich schon zur Hiilfte auf<br />

4cm Seitenscliiffsgurtbogen. 1) Also auch voit aus kommen wir<br />

zu <strong>der</strong> Erkenntnis, daB JEAN LE Lou p das Gesims in Hihe II uni<br />

den (ranzen Ban in <strong>der</strong>selben Ebene htte herumfihren kônnen.<br />

Dann hatte auch die Einteilung des eigentlichen Strebepfeilers mit<br />

dent Pinakel tibereingestimmt, wiihrend BERNARD den<br />

grLU3eren Strebebogen weiter herunterfûhren (iioch tinter Hihe I)<br />

<strong>und</strong> den Pinakel so weit Iiochziehen mul3te, dafi er noch den Rucken<br />

des oberen Strebebogens deckt. So ergab sicli fur den Fuflpunkt<br />

des Pinakels die Wihe HI. Die Strebebôgen des JEAN LE Loue<br />

waren etwas steil geworden, <strong>und</strong> das mag <strong>der</strong> Grand gewesen sein,<br />

weshalb BERNARD die Strebepfeiler vont. Hochschiff abriickte. Er<br />

erhielt dadurcli f tir den Bogen eine konstruktiv giinstigere <strong>und</strong><br />

.st1ietisch gefllligere Kurve. Fur das Strebesystem des ersten<br />

Meisters hitte sich ebenf ails eine giinstigere Kurve ergeben. Denn<br />

die Langhausskizze des VILLARD lflt erkennen, dafi JEAN n'ORBÂIS<br />

die Angriftspurikte <strong>der</strong> Strebebôgen am Hochschiff tiefer legen wollte.<br />

Es ist freilich nicht mtgIich, auf Grand einer Skizze die Angriifspunkte<br />

genau zu fixiereii. DaI3 sie aber tiefei ais lieute liegen<br />

soliten, beweist unwi<strong>der</strong>ieglich die Existeuz <strong>der</strong> lingel in den<br />

Fensterzwickeln. <strong>Das</strong> mir Ausfiihrung gelangte Strebesystem idf3t<br />

fur Engel, die so grol3 sind, daB sie dcii Zwickel einigermaflen<br />

f ililen - <strong>und</strong> das soilten sie hier so gut wie an den Chorkapeileii -<br />

keinen Platz. Die Engel sind nur dann mgIicb, wenn <strong>der</strong> IRUcken<br />

des oberen Strebebogens nicht liber den Fuf3punkt <strong>der</strong> Archivolte,<br />

die den Fensterbogen einrahmt, hinausgeht. Ziehen wir nun wie<strong>der</strong><br />

die Skizze des Chorstrebewerks, die uns schon einmal zut- Kontrolle<br />

<strong>der</strong> Langhausskizze gedient liat, zum Vergieich lieran, so scheint<br />

hier zwar auf den ersten Blick <strong>der</strong> obere Strebebogen so hoch<br />

wie <strong>der</strong> ausgefiihrte anzugreifen. Bei genanerer Betrachtung er-<br />

2) Desbalb mutdn in Reims aile Seitenschiffsgurtbigen uugewihniich breit<br />

ausgefiihrt werden; ,,sehon in Chartres war cine geringere Stiirke fUr zu1ssig<br />

gehalten, ebenso in Amiens usw." (D. & y. B. II S. 133 Aiim. 1). Der Gr<strong>und</strong> ist<br />

darin zu suchen, daG in keiner an<strong>der</strong>en Kirche die Gurtbiigen in irgendeinem<br />

Joche <strong>der</strong> Seitenschiffe durch Strebepfeiler belastet werdeu.


- 62<br />

gibt sich aber, daB VILLÂ1D die ganze Fensterlaibung, soweit sie<br />

serikrecht ist, zu hocli gezogen hat. Zwischen den Fensterkapitellen<br />

<strong>und</strong> dem Gesims bleibt kein Platz ftr einen Fensterbogen. Ein<br />

soicher Fehier konnte bei einer Skizzierung des Querschnitts leicht<br />

vorkommen, whrend er bei einer Skizze en face ausgeschlossen ist.<br />

1m Verht1tnis zur Fensterlaibung greift <strong>der</strong> obere Strebebogen nach<br />

<strong>der</strong> Cborskizze die Wand an <strong>der</strong>selben Stelle an wie nach <strong>der</strong><br />

Langhausskizze; das Kapiteli des Sii.ulcliens <strong>der</strong> ituBeren Wandvorlage<br />

unter dem oberen Strebebogen sitzt etwas unter dem<br />

Kmpferpunkte des Fensters, <strong>der</strong> RUcken des Bogens Uber diesem<br />

Punkte etwa am Fu13 <strong>der</strong> Rahmenarchivolte. Per untere Strebebogen<br />

greift am Karnpfer <strong>der</strong> Gewilbe an. <strong>Das</strong> hei8t aber nichts<br />

an<strong>der</strong>es ais, dali nach dem ersten Plan die beiden Strebebgen genau<br />

an denselben Stellen angreifen soliten wie die entsprechenden<br />

in Chartres. Per dritte Strebebogen, <strong>der</strong> in Chartres am Gesims<br />

angreift, ist in Reims weggelassen. In Chartres liegt die lJeckplatte<br />

des Gewilbekapite1ls <strong>und</strong> des Kapiteils <strong>der</strong> Wandsihile unter den<br />

unteren Strebebogen genau in gieicher Hohe, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Rlcken des<br />

oberen Bogens trifft den FuBpunkt <strong>der</strong> Fensterarchivolte. Lassen<br />

wir also den unteren Strebebogen in dei' Kiirnpferhhe des G-ewôlbes<br />

angreifen, so wiirde er, wenn die Kurve eine %hn1iche<br />

Krimniung erhielte wie in Chartres, den in die ursprlinglich geplante<br />

Stellung geschobenen Strebepfeiler in Hhe II treffen. Auch<br />

die Rekonstruktion des urspriinglichen Strebewerks fiilirt also zu<br />

dem Schlul3, daB JEAN DORBAIS das Gesims unter <strong>der</strong> Rose um<br />

den ganzen AuBenbau mit Ausnahme des fUnfscliiffigen Choies,<br />

dessen Strebewerk ja auch in Chartres von dem <strong>der</strong> Schiffe abweicht,<br />

in Hôhe II herumfilliren wolite. Auch JEAN LE Loup hielt<br />

diese Hhe des Gesimses fest, riickte aber die Angriffspunkte bei<strong>der</strong><br />

Strebebgen hôher. Es ist mtiglich, daB ilin dazu lediglich <strong>der</strong><br />

SVunsch veranlaBt hat. die Pinakel an den Strebepfeilern <strong>der</strong> Fassade<br />

auf das Strebesystem des ganzen Geb.udes zu Ubertragen.<br />

Aber auch in koristiuktiven Bedenken kann <strong>der</strong> Grurid zu suchen<br />

sein. Die Stelle eines Bogens, die voi' allem <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>lagerung<br />

bedarf, ist nicht <strong>der</strong> Kiimpfer, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Punkt, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Hôhe<br />

des ersten Drittels des Bogensehenkels liegt. Zur Zeit des JEAN<br />

LE Loup war das den gotisehen Meistern bekannt, vie ein ais<br />

Palimpsest erhaltener RiB beweist, von dem spitter (S. 85) noch<br />

ausf'tihrlich die Rede sein wird.<br />

Tnsere These, daB JEAN D'ORBAIs das Strebewerk von Chartres<br />

kopieren wolite, erMit schliei3lich eine weitere StUtze durch cine


63 -<br />

steinerne TTrk<strong>und</strong>e, die uns ein Bildhauer hinterlassen bat. Es ist<br />

das Muttergottesbild im Tympanon des kleinen Portais an <strong>der</strong><br />

nrd1ichen Querhausfassade (s. Fig. 10). Die Jungfrau site hier<br />

unter einem kleeblattfrmigen Baldachin, <strong>der</strong> dem Querschnitt einer<br />

gotisehen Basilika assimiliert ist.. Fur uns ist das wichtigste am<br />

Bilde das Strebewerk. Es besteht aus den beiden groBen, durch<br />

radial gesteilte Arkaden verb<strong>und</strong>eiieu Strebebcigeri <strong>der</strong> Kathedrale<br />

von Chartres. Daraus folgt erstens, daB in Reims die Kathedrale<br />

von Chartres genau bekanut gewesen ist, <strong>und</strong> zweitens, daB jenes<br />

Relief nicht schon um 1180 ,1) son<strong>der</strong>n erst nach 1194 entstanden<br />

sein kann. Der Stil <strong>der</strong> Figur erlaubt uns sogar, bis in die Zeit<br />

nach 1211 herunterzugehen <strong>und</strong> in ihr ein Werk zu sehen, das fUr<br />

die neue Kathedrale ausgeftihrt worden ist. Dann aber ist die<br />

- 1) 1m 46. Jahrgange <strong>der</strong> Gazette des Beaux-Arts, 1904, S. 177-199. bat<br />

Lomsx PILLION einen Aufsatz liber ,,<strong>Das</strong> rom anisehe Portai <strong>der</strong> Kathedrale von<br />

Reims" veriiffeutlieht, in dem sie nachweist, daI3 die r<strong>und</strong>bogigc Archivolte <strong>und</strong><br />

die beiden skulpierten Pfeiler die Reste chies Wandgrabes ans <strong>der</strong> alten Kathedraie<br />

sind, wie es in âhnlicher Gestalt mit noch erlialtener Tumba in <strong>der</strong> Kathedraie<br />

von Rouen zu sehen jet. Die beiden Engel liber <strong>der</strong> Archivolte fiiliten (lie<br />

Zwickei des ehemals rechteckigen Wandfeldcs <strong>und</strong> ein noch ebenfalls erhaltenes<br />

Gesims schloil es oben ab. Die Gesimsstbcke, die den Kampfer <strong>der</strong> r<strong>und</strong>bogigeu<br />

Archivolte mit dem <strong>der</strong> spitzbogigen verbinden, <strong>und</strong> die Kapitelle dieser spitzbogigen<br />

Archivolte sind bei <strong>der</strong> Versetznng <strong>der</strong> Fragmente nachgearbeitet worden.<br />

Aber wie steht es mit dam Madoniienbi1de Louisz PJwON nimmf eS auch ter<br />

das Grabmal in Anspruch <strong>und</strong> weist auf ein jetzt verschw<strong>und</strong>enes, in einer Zeichnung<br />

tiberliefertes Grabmal in Saint-Père in Chartres hiii, in dessen Bogenfeld<br />

eine Madonna - iibrigens ohne Baldachin - sitzt. Aber dieses Grabmal ist<br />

liber 100 Jahre jiinger. An dem im 12. Jahrhun<strong>der</strong>t crrichteten Grabmal in<br />

Rouen fehit die Madonna, ebenso noch an dem Wandgralie des Bisehofs Gérard<br />

de Conchy, das bald nach 1257 in <strong>der</strong> Kathedrale von Amiens im westlichsten<br />

Joch des nrd1iehen Chorumganges errichtet wnrde. (S. die Abbildung bei<br />

C. GURLITT; Die Baukuust Frankreichs, Taf. 104 <strong>und</strong> bei E. Duan, Monographie,<br />

Textband II, S. 531. Ver Beweis, daLl sie in Reims zum Grabmal gehi5rt<br />

htte, knnte also nur dnrch die Stilkritik geflihrt werdcu. LoulsE PILLION<br />

glanbt ihn gefùhrt zu haben; meines Erachtens mit Unrecht. Dali die Eiigel in<br />

den Zwickeln, die Figuren in den Archivolten <strong>und</strong> die Geistiichen an den Pfeilern<br />

stiiistich <strong>und</strong> kompositioneil zusammengehôreu, ist zweifellos. Die Madonna<br />

jedoch zeigt einen entwiekelteren Stil auch ais die von L. P. auf S. 195 ahgebildeten<br />

Figuren. Entsclieidend ist aber, was man bisher vollstndig libersehen<br />

bat, dal3 am Baidachin das Strebewerk von Chartres nachgebiidet iet. F<br />

bliebe freilieli noch zu erwilgen, oh ein i%hnliches Strebewerk nicht schon an<br />

cinein friiheren, untergegangcnen Ban angewandt worden sein kiinnte. Aber<br />

das ist mehr ais uawahrscheinlich, da cia se ,,nnvergieichlich wuchtiges" Strebewerk<br />

nur an einem 80 groen <strong>und</strong> kraftvollen Bau wie <strong>der</strong> Kathedrale von<br />

Chartres denkbar ist. Also bleibt auf jeden Fali das Jahr 1194 <strong>der</strong> âuBerste<br />

terminus post qm.


04 -<br />

Frage aufzuwerfen: was soll die Sancta Maria Remensis in deni<br />

Modeil <strong>der</strong> Kathedrale von Chartres? Um diese Zeit mul3ten ja<br />

die Pline <strong>und</strong> das Modeli fur die Reimser Kathedrale ausgefiïhrt<br />

<strong>und</strong> den Bildhauern bekannt gewesen sein. Warum setzte man das<br />

Muttergottesbild nicht in eine kleine Reimser Kathedrale? Es<br />

bleibt mir <strong>der</strong> Sch]uI iîbrig: dieses Relief schiieSt sich an das<br />

Proekt des JEAN D 1ORBAIS flir die Kathedrale von Reims an. Aber<br />

spricht nicht die Skizze von VILLArn, die das Strebewerk des<br />

(hores wie<strong>der</strong>gibt, dagegen? Keineswegs. Demi fr den (2hor kaiin<br />

JEAN D'OaBAIs ans dem Gr<strong>und</strong>e die Verbindung <strong>der</strong> Strebebgen<br />

durch radial gesteilte Arkaden iiabeii unterlassen wolien, weii sic<br />

entwe<strong>der</strong> nur fur die inneren o<strong>der</strong> nur f lir die àufleren Strebebôgen<br />

môgiich gewesen wre. Die Arkadensituichen zwischen den tuBeren<br />

Strebebgen kbnnen nicht nach demseiben Mittelpunkte zusammen -<br />

laufen wie die SuIclien zwischen den aul3eren Strebebgen, da die<br />

Strebebgen nicht konzentrisch sind <strong>und</strong> <strong>der</strong> inuere Strebepfeiler<br />

die Reihe <strong>der</strong> Arkadensu1chen ais Sekante rob durchschnejden<br />

wUrde. Ans diesem Gr<strong>und</strong>e hatte auch <strong>der</strong> Meister von Chartres<br />

nur den oberen <strong>der</strong> beiden inneren (1iortrebebôgen durch chien<br />

iuf3eren Strebebogen aufgefaiigen. Wolite man aber beide innere<br />

Bôgen bis zum âufleren Strebepfeiler fortfflhren, so durite man<br />

we<strong>der</strong> die innereii noch die iiuf3eren Bgen durch eine radial gestelite<br />

Arkatur verbjnden. - Nachdem wir auch durch die Tintersuchung<br />

des Strebewerks dcii Anteil <strong>der</strong> einzeinen Meister am. Bau<br />

bestimmt <strong>und</strong> die Abhngigkeit des JEAN D'ORBAIS vom Meister<br />

<strong>der</strong> Kathedrale von Chartres bewiesen haben, gehen wir dazu liber,<br />

die urspriinglich geplanten Fasaden <strong>und</strong> Tiirme <strong>und</strong> ihre Einwirkung<br />

auf den Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Aufril3 des ersten Gesanitentwurfs zu betrachten.<br />

<strong>Das</strong> Querhaus <strong>der</strong> Reimser Kathedraje hat breitere Seitenschiffe<br />

ais das Langhaus. Die Foige ist cille kleine Unregelmiilligkeit<br />

mi Langhause, nmlich die grôflere Breite des ist1ichen Joches.<br />

Flir die grtere Breite <strong>der</strong> Querhausseitenschjffe kann kaum cm<br />

an<strong>der</strong>er Gr<strong>und</strong> bestimmend gewesen sein ais die Absicht, dcii Querhaustiirinen<br />

eine breitere Basis zu geben. <strong>Das</strong> Iegt den Gedanken<br />

nahe, dal3 die Westtflrme nach dem ersten Plane ein Seitenschiffsjocli<br />

des Langhauses ais Basis erhalten soilten: denn wenn schoii<br />

ursprtungiicli die WesttUrme so weit liber die Seitenschiffswiinde<br />

htten ausladen sollen, wie es jetzt <strong>der</strong> Fa11 ist, so h.tte sich ja<br />

cime Variation im Aufrit3 <strong>der</strong> drei Fassaden von selbst ergeben,<br />

auch wenn das istlichste Larighausjoch dieselbe Achseu- o<strong>der</strong> wenigstens<br />

Arkadeiiweite erhalten hatt,e wie die tibrigen Langhausjoche


- 65 -<br />

Verfolgen wir diesen Gedauken weiter <strong>und</strong> werfen wir zunchst<br />

einen Blick auf den Querschnitt des Langhauses! Da drii.ngt sich<br />

uns sofort die Frage auf: erlaubt dieser Querschnitt die Anlage<br />

dreîer Portale, die in einem angemessenen Gri13enverhiltnis zu<br />

einan<strong>der</strong> stehen? Wir hatten bel <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> Fassaden<br />

<strong>der</strong> frihgotischen Kirchen gesehen, dafi die Proportionen eluer Fassade<br />

mit schlanken Tirnien fur eine dreiteilige Portalanlage ungiinstig<br />

sind (Seuils, Mantes). In Senlis hatte mati deshalb ein<br />

gro6es Mittelportal <strong>und</strong> zwei kleine Nebenttiren angelegt. Die<br />

Folge war <strong>der</strong> Verzicht auf plastisehen Schmuck <strong>der</strong> kleinen Portale<br />

<strong>und</strong> auf einen Anschlut3 des Fassadenauf risses an das Langhans<br />

gewesen. Ein soicher Verzicht war in Reims unmiglich. Die<br />

Querhausfassaden passen sich dem Aufbau <strong>der</strong> Schiffe an, <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Querschnitt des Hochschiffes im Langhause ist, wie wir S. 58 gesehen<br />

haben, ebenfails auf die Weiterfthrung des Triforiums <strong>und</strong><br />

die Einfiigung eines Rosenfensters von dem Durchmesser des jetzigen<br />

in den oberen Teil des Mitte]schiffes angelegt. In Mantes haif mati<br />

sich, ungeMhr am dieselbe Zeit, ais in Reims die Kathedrale begonnen<br />

wurde, durci Verschiebung <strong>der</strong> Strebepfeiler m. Auch diese<br />

Lisung war in Reims unmg1ich; denn die Folge ware eine Verkleinerung<br />

des Rosendurchmessers gewesen, <strong>und</strong> damit wre eine<br />

volikommene Anpassung des Rosengescliosses an das T-Iochschiff unmôglich<br />

geworden. Es mul3ten also drei ungefahr gleich hohe, mit<br />

Figuren geschmckte Portale zwischen den durcit die Hoehschiffs<strong>und</strong><br />

Seitenscliiffsw%nde festgelegten Strebepfeilern untergebracht <strong>und</strong><br />

mit ihnen <strong>der</strong> Raum bis zum Fut3gesirns des Triforiums gefiillt<br />

werden. In Chartres war <strong>der</strong> Querschnitt <strong>der</strong> Seitenschiffe fur die<br />

Nebenportale gEnstig gewesen (s. Fig. 7), im Mittelstiick ware<br />

rechts ami links vom Hauptportal ein Stiick Mauer stehen geblieben,<br />

das man wohl aucli an <strong>der</strong> Westfassade durcli B1endbgen geglie<strong>der</strong>t<br />

hutte, wie es an den Querhausfassaden geschehen ist. In<br />

Reims dagegen wiirde sich umgekehrt das Hauptportal gut in das<br />

MittelstUck eingefUgt haben, wuhrend die Anpassung <strong>der</strong> Nebenportale<br />

an dcii Querschnitt <strong>der</strong> Seitenschiffe Schwierigkeiten gemacht<br />

hatte. Es gait also hier elle vilhig neue Lôsung zu finden,<br />

<strong>und</strong> d as war nur durch Variierung des Laibungswinkels am Hauptportai<br />

<strong>und</strong> an den Seitenportalen miglich, wie sic in âhulicher<br />

Weise auch an <strong>der</strong> jetzigen Fassade darchgefiihrt worden ist. <strong>Das</strong><br />

Mittelportal Mtte den normalen Laibungswinkel von 450 erhalten<br />

kiinnen, wuhrend fur die Seitenportale ein bedeutend steilerer, am<br />

besten von 900 , hittte gewuhit werden misseii.<br />

5<br />

onze, Dag Fau&dnprobIem.


66<br />

Diese Erwgungen batte ich angestelit, ais ici auf die beiden<br />

Portale an <strong>der</strong> n5rd1ichen Querhausfassade aufmerksam wurde.<br />

Denn das ôstliche hat tatsiichlich einen Laibungswinkel von 900,<br />

whrend das ins Mittelsehiif fiihrende den normaien Laibungswinkei<br />

von 450 bat. DaB diese Portale erst spiter an die Querhausfassade<br />

angefilgt worden sind, ist auf den ersten Blick kiar. Ich hatte sie<br />

deshalb zuerst, im Einkiang mit <strong>der</strong> frUheren Forschung, ais eine<br />

im erstell Plane nicht vorgesehene <strong>und</strong> darum fur den Gesamtentwurf<br />

bedeutungslose Zutat angesehen. Aber wenn wir genauer<br />

zusehen, so bemerken wir, daB hier zwei fertige, fur einen ganz<br />

an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>rifi bestimmte Portale versetzt worden sud. Die<br />

Strebepfeiler e <strong>und</strong> e1 muflten an ibrer Stirnseite um ca. 1 m, <strong>der</strong><br />

Strebepfeiler w an <strong>der</strong> dem Portai zugekehrten Seite um ca. 81 4 in<br />

abgestemmt werden, damit die beiden Portale tiberhaupt an die<br />

Querhausfassade angefiugt werden konnten. flatte es sich nur darum<br />

gehandeit, eunzehne, urspriunglich fUr die Westfassade bestimmt gewesene<br />

Figuren zu verwerten, so htte nichts gehin<strong>der</strong>t, die MaI3e<br />

fUr die Portale so zu withien, daB sic sich ohue Schwierigkeit <strong>der</strong><br />

Querhausfassade hitten anpassen lassen. Folglich waren nicht nur<br />

die Gewndestatuen, sondenn auch, ganz o<strong>der</strong> wenigstens zum griifiten<br />

Teile, die Laibungen <strong>und</strong> die die Portaibreite bestimmenden Tympana<br />

ausgefUhrt. Die Laibungen bei<strong>der</strong> Portale waren fUr eue<br />

geringere Tiefe <strong>und</strong> das Mittelportal fUr ein breiteres Schiif berechnet.<br />

Man wird aiso zu <strong>der</strong> Frage gedr.ngt: Sind die beiden<br />

Portale etwa ais das Bnuchstuck einer Westfassade anzusehen, die<br />

sich, wie es unsere Theorie veriangt, <strong>der</strong> Breite <strong>der</strong> Langhausschiffe<br />

angepaBt hutte? In Fig. 11 haben wir die beiden Portale an das<br />

Westende des Langhauses versetzt. <strong>Das</strong> Mittelportal hat hier<br />

zwischen den Strebepfeiienn Platz <strong>und</strong> das Seitenportal fugt sich<br />

<strong>der</strong> lichten Weite des Seitenschiffes genau cm, so daB im Innern<br />

zu beiden Seiten gerade noch Platz fur die GewUibedienste bleibt,<br />

w.hrend im ëstlichen. Querhausseitenschiffe das Portai von dcii Dienstbi<strong>und</strong>ein<br />

durcli schmaie Mauerstreifen getrennt ist, <strong>der</strong>en Summe<br />

<strong>der</strong> Differenz zwischen dcii Seitenschiffen des Langhauses <strong>und</strong> den<br />

breiteren des Querliauses gleicht. Die Ausladung <strong>der</strong> Strebepfeiler<br />

rn <strong>und</strong> n <strong>und</strong> also auch <strong>der</strong> Strebepfeiler o ist genau gleich <strong>der</strong><br />

Ausiadung aller Strebepfei]er des Langliauses <strong>und</strong> Chores. <strong>Das</strong><br />

heifit: Der Turmgr<strong>und</strong>rifl wUrde in allen Einzelheiten, in<br />

<strong>der</strong> lichten Weite wie in <strong>der</strong> Stitrke <strong>der</strong> Strebepfeiler,<br />

so gestaltet sein, wie wir es a priori schon fur die Westfassade<br />

<strong>der</strong> Kathedrale von Chartres angenommen liaben,


- 67 -<br />

Wenn unsere Rekonstruktion richtig ist, so muB sicli das auch<br />

durch die Ikonographie beweisen lassen. Da f tir das Querhaus im<br />

ersten Plane keine Portale vorgesehen waren, mufite die Westfassade<br />

das volisttindige ikonographische Programm einer Kathedrale des<br />

13. Jahrhun<strong>der</strong>ts bieten, Die Figuren des ausgefiihrten Seitenportais<br />

stelien das Jtingste Gericht dar; am Mitteiportai haben die<br />

Lokaiheiligen Platz gef<strong>und</strong>en, das dritte Portai hittte ein Marienportai<br />

werden miissen. Es ist tatsichlich, wenn auch nicht voliendet,<br />

so doch begonnen worden. Am rechten Gewânde des sudlichen<br />

Portais <strong>der</strong> heutigen Westfassade stehen namlich sechs<br />

Figuren, die ulter sind ais aile iibrigen <strong>und</strong> die maii deshalb scion<br />

im Jahre 1851 ais Bruchstiicke einer aiten Westfassade in Anspruch<br />

genommen hat. Es sind Propheten, vie sic zu einem Marienportai<br />

gehren, den sechs Apostein des Gerichtsportais eiitsprechend.<br />

Aber hutte es riicht aller Regel wi<strong>der</strong>sprochen, den Ma.rienzyklus<br />

<strong>und</strong> das Jtingste Gericht an den Seitenportaleii darzusteilen? An<br />

<strong>der</strong> Fassade in Amiens nimmt das Gerichtsportal die Mitte, das<br />

Marienportal die redite <strong>und</strong> das Portai mit den Lokaiheiligen die<br />

linke Seite eh. Und in Reims htitten Sixtus, Nikasius <strong>und</strong> Reniigius<br />

den Ehrenplatz erhalten sollen? <strong>Das</strong> wiire allerdings hchst<br />

auffallend. Aber es wiire niciit die einzige Ausnahme, die die<br />

Reimser Kathedraie in <strong>der</strong> Ikonographie machte. In den G-lasgemiliden<br />

des Hochschiffes sind die franztsischen Knige samt den<br />

Erzbischfen, die die KrLnung volizogen haben, dargestelit.. Die<br />

Kinigsgaierie enthiUt über <strong>der</strong> Rose die Taufe Chiodwigs, <strong>und</strong> man<br />

wird daher den Schlut3 ziehen miissen, daB wir in den tibrigen<br />

Figuren seine Nachfolger <strong>und</strong> nicht wie in <strong>der</strong> Panser Ktinigsreihe<br />

die Vorfahren Christi zu selien haben. Notre-Dame de Reims est<br />

ta cathédrale nationale; les autres sont catholiques, c'est-à-dire universelles,<br />

elle seule est française.') Sie ist die Krnungskathedraie<br />

<strong>und</strong> durci ihr Hauptportal zog <strong>der</strong> Kinig zur Krtnung cm. Er<br />

htte also beim Einzuge zu semer Rechten am Gewtinde den Erzbischof<br />

Remigius <strong>und</strong> unmittelbar liber sich, auf <strong>der</strong> rechten Huifte<br />

des untersten Tympanonstreifens, die Taufe Chiodwigs gehabt. Am<br />

linken Oewgnde ist <strong>der</strong> heiiige Nikasius mit semer Schwester<br />

Eutropia, auf <strong>der</strong> iinken Hilfte des unteren Tympanonstreifens das<br />

Martyrium bei<strong>der</strong> dargestelit. Auch das rechtfertigten die beson<strong>der</strong>en<br />

VerhJtnisse: Biscliof Nikasius war saint semer Schwester<br />

auf <strong>der</strong> Schwelle des Hauptportals <strong>der</strong> ersten Kathedraie nie<strong>der</strong>-<br />

1) E. MALE, L'art religieux du XIII' siècle en France. Paris 1902, p. 434.<br />

51.


-<br />

gehauen worden. Noch die heutige Westfassade zeigt, wie ungern<br />

man die Heiligen vom Hauptportal verdrngt <strong>und</strong> wie man sie dafur<br />

gewissermaflen entschtidigt hat. Die Kônigsgaierie entha!t, wie<br />

scion bemerkt, statt <strong>der</strong> jiidischen die franzsischen Kinige, <strong>und</strong><br />

an <strong>der</strong> Innenseite des Portalpfeilers steht die Statue des Nikasius.<br />

Eine Schwierigkeit f tir unsere Hypothese knnte man in einigen<br />

Unstiminigkeiten am Gewi%nde <strong>der</strong> alten Portale sehen. Die Portale<br />

in Amiens sind in <strong>der</strong> Anlage einheitlich, die heutigen \Vestportale<br />

in Reims ebenfalis. Die Figuren an beiden GewiLndeii des Heiigeiiportais<br />

<strong>und</strong> die drei Apostel am rechten Gewi<strong>und</strong>e des Gerichtsportais<br />

stehen dagegen auf Postamenten, die sich auf einer gemeinsamen<br />

Sockelbank erheben, wiilirend die drei Apostel am linkeu<br />

Gewinde des Gerichtsportals <strong>und</strong> die fur das Marienportal bestimmten<br />

Propheten von kieinen, ausgekragten Figuren getragen<br />

werden. Die Hifte <strong>der</strong> Gewhndestatuen, nLin1ic1i die sechs am<br />

Heiigenportal <strong>und</strong> die drei iinken am Gerichtsportal haben Nimbeii,<br />

die an<strong>der</strong>en nicht. <strong>Das</strong> Mittelportal ist a!so einheitlieh (F'iguren<br />

auf Postamenten <strong>und</strong> mit Nimben), das Marienportal wre ebenfails<br />

einheitiicli geworden Figuren oline Postamente <strong>und</strong> ohne Nimben),<br />

das Gerichtsportal zeigt ein Schwanken (die drei Apostel ohne<br />

Nimben stehen auf Postamenten, die drei mit Nimben auf kleinen<br />

Kragfiguren, d. h. die Gruppe, die sich in <strong>der</strong> einen Beziehung dem<br />

Mittelportal anschlief3t, folgt in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en dem Marienportai). <strong>Das</strong><br />

Marienportal, von dem nur die Gewàndestatuen zur Ausfiihrung gekommen<br />

sind, ist natiirlich das jiingste, <strong>und</strong> das Heiligenportal ist<br />

infoigedessen das alteste. Es zeigt sich aiso kein planloses Durcheinan<strong>der</strong>,<br />

soil<strong>der</strong>il eine Entwickiung vont Heiligen- zum Marientportal.<br />

Schliefilich ist noch die Frage aufzuwerfen, ob <strong>der</strong> Stil <strong>der</strong><br />

Figuren erlaubt, sie zeitlich vor die Figuren <strong>der</strong> Westfassade zu<br />

setzen. Denu, wenn unsere Ilypothese richtig sein sou, miissen<br />

die Portale vor dem Entwurf f tir die neue Westfassade voilendet<br />

gewesen sein. Wi<strong>der</strong>spricht dieser Datierung nicht <strong>der</strong> Stil dci'<br />

Christusfigur anti Pfeiler des Gerichtsportals? In <strong>der</strong> Tat, diese<br />

Figur ist jtinger o<strong>der</strong> zum mindesten nicht Luter ais z. B. die Heimsuchungsgruppe<br />

an <strong>der</strong> Westfassade. Aber es wLure cia hôchst<br />

merkwtirdiger Zafali, wenn zur Zeit des Wechseis in <strong>der</strong> Bauleitung<br />

zwei Portale <strong>der</strong> alten Westfassade genau bis auf die letzte Figur<br />

<strong>und</strong> die letzte Qua<strong>der</strong> fertig gewesen wiiren. Ist <strong>der</strong> Meisterwechsel<br />

aber in dem Augenblick eingetreten, ais sich das Gericlitsportai<br />

<strong>der</strong> Voilendung nLuherte <strong>und</strong> das Marienportai eben erst in


Angriff genomnien war, so konnte JEAN LE Loue den sechs Prophetenstatuen<br />

einen Platz in seinem neuen Fassadenentwurf anweisen,<br />

whrend er die schon in gril3eren <strong>und</strong> wichtigeren Teilen<br />

ausgefïihrten beiden an<strong>der</strong>en Portale vorlâufig liegen lasseii mul3te.<br />

Denn die dringendste Aufgabe, die semer harrte, war die Voliendung<br />

des Chores, trnd erst ais nach ihrer Ltsung im Jahre 1241<br />

Steinmetzen in gentigen<strong>der</strong> Zahi frei geworden waren, kounten die<br />

Portale an ihren heutigen Platz versetzt werden, da diese Arbeit<br />

ziemlich zeitraubende Eingriffe in das konstruktive Gerippe <strong>der</strong><br />

nôrdiicheil Querhausfassade ntig maclite. Vorher miiften nattirlicli<br />

die fehienden Stiicke nachgearbeitet werden. Die stiikritische<br />

Untersuchung dieser Stiicke kaun deshalb nur feststellen, wie lange<br />

nach 1241 die Versetzung <strong>der</strong> Portale vorgenommen worden ist.<br />

Bis zur eiidgiiltigen Aufsteilung <strong>der</strong> alten Portale batte sich <strong>der</strong><br />

Stil an <strong>der</strong> neuen Westfassade, die gerade so wie jene zunachst<br />

mehr Bildhaiier- ais Steinrnetzenarbeit erfor<strong>der</strong>te <strong>und</strong> daher sogieich,<br />

scion vor dei Vollendung des Chores, in Angriif genommen werden<br />

konnte, weiter entwickeit, <strong>und</strong> darum kaun man, ohne Schaden fur<br />

unsere Hypothese, einige Figuren <strong>der</strong> Westfassade zwischen die<br />

iiltere Hauptmasse <strong>und</strong> den jiXngeren Rest <strong>der</strong> Skuipturen an den<br />

Qnerhausport.alen zeitlich einreihen, ja, die Annahme eines Wechsels<br />

des Fassadenprojektes <strong>und</strong> einer vorilUifigen ZurUckstellung <strong>der</strong><br />

beiden alten Portale gibt allein eine einleuchteiide Erkliirung fur<br />

die Tatsache, daf einzelne Telle des Gerichtsportals junger sind<br />

ais die iitesteii F'iguren in dem neuen Zykius <strong>der</strong> heutigen Westfassade.<br />

\Vir kehren jetzt zum Gesamtentwurf des JEAN D'ORBAIS zurilek.<br />

In Chartres batte man auf das tJbergewicht <strong>der</strong> Querhaustiirme<br />

verzichten miissen, •weil die Seitenschiffsjoche des Larighauses wegen<br />

<strong>der</strong> Laibung <strong>der</strong> Westportale in <strong>der</strong> Nord-Siid-Richtung gestreckt<br />

werden rnu&en (vgi. S. 39). Die Portallaibungen <strong>der</strong> ersen Reimser<br />

Fassade waren aber nicht in die Wand des westlichen Joches,<br />

son<strong>der</strong>a zwischen die Strebepfeiler gefalien. Deshalb rnul3ten die<br />

Seitenschiffsjoche quadratisch angelegt werden; denn sonst htten<br />

die Westtiirme eine oblonge, iii <strong>der</strong> Ost-West-Richtung gestreekte<br />

Basis ei'halten. Wire nul die Jochweite bis zur Vierung durchgefiihrt<br />

worden, so wmire durch das iistlichste Langhausjoch f iir das<br />

Querhaus dieselbe Seitenschiffsbreite <strong>und</strong> darnit dieseibe Turmbasis<br />

festgelegt worden. Da aber gerade das vermieden werden soute,<br />

wie die Kathedraieii von Laon <strong>und</strong> Chartres zeigen, so war beim<br />

istiichsten Langhausjoch eine kleine TJnrege1rn.13igkeit nicht zu w -


TU -<br />

gehen; es mu6te schmLIer o<strong>der</strong> breiter werden. Eine Verringerung<br />

des Achsenabstandes witre aus einem doppelten Gr<strong>und</strong>e unzweckmiiBig<br />

gewesen, erstens, weil daim die Querhaustirme kleiner ais<br />

die Westtûrme geworden wâren, <strong>und</strong> zweitens, weil die lichte Weite,<br />

die schon bei gleichem Achsenabstande wegen <strong>der</strong> grM3eren Strke<br />

<strong>der</strong> Vierungspfeiler geringer ist ais in den tbrigen Jochen, allzu<br />

kiein geworden ware. Es blieb also nur eine Verbreiterung <strong>der</strong> Querhausseitenseliiffe<br />

ubrig. 1m Chore gelang es iîbrigens dem Meister,<br />

aus <strong>der</strong> Not eine Tugend zu inachen, indem er den Achsenabstand<br />

<strong>der</strong> drej Joche ailmiihijeli von West nacli Ost abnehmen <strong>und</strong> schlieBlich<br />

die Halfte eines regeimtl3igen Zehuecks mit noch etwas geringerer<br />

Achsenweite folgen lieB. Dadurch wurde zugleich ein guter<br />

Anschiufl des halben Zehnecks an den Langchor erreicht, Denn<br />

die Gewiilbekappen eines reguliiren 6/ 10-Chores mlissen mit dem eew1be<br />

des istlichen Joches zusammengezogen werden, weil sonst ihr<br />

SchiuBstein auf den ôstliclisten Giirt fallen <strong>und</strong> ibn in wagerechter<br />

Richtung durchdriicken wiirde. Hat min das ëstlichste Joch dieselbe<br />

Breite wie die an<strong>der</strong>en .Toche, wie z. B. in Soissons <strong>und</strong> Troyes,<br />

so bilden die Diagonairippen seines mit dem Chorbaupte zusammengezogeneii<br />

Gew61bes mit dem Gurtboden einen grf3eren Winkel ais<br />

die Rippen <strong>der</strong> librigen Gew&be. Durch die Reduktion <strong>der</strong> Joclibreite<br />

ist min erreicht worden, daB das halbe Krenzgev1be auch<br />

mir ein Joch von etwas mehr ais lialber Breite zu decken hat, <strong>und</strong><br />

daB infolgedessen die Rippen mit deni Gurt anniihernd denselben<br />

Winkel bilden wie im benachbarten Joch. Hand in Hand mit <strong>der</strong><br />

Abnahme <strong>der</strong> Jochbreite geht die Abnahme <strong>der</strong> Pfeilerstarke. Sie<br />

scheint also iediglich âsthetisch begriindet zu sein, in Wahrheit<br />

sirid die stitrkeren Pfeiler konstruktiv notwendig. Denn die Pfeller<br />

n 1 (w, e, e1 ) <strong>und</strong> s (w, e, e1) tragen die Querhaustdrine. Den Pfeilern<br />

n 1 e1 <strong>und</strong> s e1 zuliebe haben aber auch die Pfeiler n e 1 <strong>und</strong> s e1 den<br />

gleichen Durchmesser erhalten. Es ergibt sich also folgeude Reihe:<br />

Vierurigspfeiler n e <strong>und</strong> se (Pfeilerstarke 1); Joch E1, Pfeilerreihe e1<br />

(Pfeilerstarke lI = Querhausturmpfeiler); Joch E11 in dci' Breite<br />

eines Langhausjoches, Pfeilerreihe e2 (Pfeilerstiirke III = Langhauspfeiler);<br />

Joch E111 ungefahr in <strong>der</strong> Breite einer Arkade des Chorhauptes,<br />

Pfeilerreihe e3 (Pfeilerstarke 1V == Apsispfeiler). Die Verstarkung<br />

<strong>der</strong> Pfeiler im Querhause (n 1 w <strong>und</strong> n 1 e, s w <strong>und</strong> s e)<br />

war âsthetisch deshaib m6g1icii, weil die Querhausarme auf zwei<br />

Joche beschrankt sind. Infolgedessen stehen die Turmpfeiler im<br />

Querhause nicht mit schiaukeren Pfeilern in einer Reihe. Es ist<br />

also die Rficksicht auf die verschiedenen Pfeilerstarken gewesen,


71 -<br />

die den Meister JEAN D'OnBAIs gezwnngen hat, den Chor <strong>und</strong> du<br />

Querhaus kurzer anzulegen ais in alleu an<strong>der</strong>en Kathedralen. Denn<br />

die Einfigung eines einzigen Joches httte aile feinen Berechnungen<br />

über den Hanfen geworfen. AuBerdem brachte die Reduktion des<br />

Querhauses noch einen an<strong>der</strong>en Vorteil mit sich: die Strebepfeiler<br />

m, n <strong>und</strong> o konnten an den Querhaustiirmen stitrker gebildet weiden,<br />

da an <strong>der</strong> Ost- <strong>und</strong> Westseite des Querliauses sonst; keine Strebepfeiler<br />

angebracht zu werden brauchten, die zum Vergleich mit den<br />

Turmstreben herausfor<strong>der</strong>ten, <strong>und</strong> die Verstrebungen y, die nicht<br />

bis zum Erdboden herunterreichen, erhalten durch die Strebebigen<br />

über w 1 <strong>und</strong> e1 einen Gegenschub. Auch die unschne Durchkreuzung<br />

<strong>der</strong> Strebewerke des Lang- <strong>und</strong> Querhauses bei n 1 w17 s w1, 81e1<br />

<strong>und</strong> n 1 e1 fâlit weg.<br />

Die stark zentralisierende Tendenz <strong>der</strong> Ostpartie wird durch<br />

das langgestreckte Schiif abgesc1iwtcht., <strong>und</strong> es dringt sicli daher<br />

die Frage auf, ob das Schiif nach dem Plan des ersten Meisters in<br />

dieser L.nge beabsichtigt war. <strong>Das</strong> Langhaus <strong>der</strong> gleichzeitigen<br />

Bauteii, <strong>der</strong> Kathedralen von Chartres <strong>und</strong> Amiens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Abteikirche<br />

von St. Nicaise in Reims ist bedeutend kiirze.r; es zaiiit in<br />

den beiden zuletzt geuannten Kirchen sieben Joche. Bedenken wir<br />

ferner, daB an <strong>der</strong> Stelle des Nordturmes <strong>der</strong> heutigen Westfassade<br />

eine um 1200 erbaute Kapelle stand (vgl. S. 44 f.), so liegt die Vermutung<br />

nahe, daB man ursprflnglich nicht mit dem Abbruch dieses<br />

erst vor kurzem voliendeten Baues gerechnet bat. Wenn schon<br />

JEAN D'ORBAIS die Kathedrale in ihrer heutigen Ausdehnung geplant<br />

hutte, bitte er den Chor weiter nach Osten vorsehieben<br />

knnen, wie es spiiter in eineni i.1iniichen FaI]e in Amiens geschehen<br />

ist. Nun bat man schon seit langer Zeit versucht, die<br />

Frage durch die bei w6 bemerkbare Naht zu Ibsen'). Dabei ist aber<br />

libersehen worden, daB diese Naht nur im Hocnschiff die Joche VI<br />

<strong>und</strong> VII trennt. In den Seitenschiffen befindet aie sich um ein<br />

Joch weiter westlich, a]so bei w7. Bis hierher bat das Wandsockeiprofil<br />

eine Hohlkehle, in den Jochen VIII—x nicht. An den<br />

Pfeilerbasen im Mitteisohiif k3nnen wir die Hohlkehle nui bis W6<br />

vez'folgen. Also hat bei w7 die erste Westfassade gestanden. Die<br />

Portale passen ja, wie wir gesehen haben, genau in den Querschnitt<br />

des Langhauses. <strong>Das</strong> Heiligenportal wird bereits vollstandig aufgeftïhi't<br />

gewesen sein, von den beiden Seiteuportaien werden die<br />

Laibungen gestanden haben 2).<br />

1) VgI. z. B. die schon bei D. &. y. B. II, S. 155, wi<strong>der</strong>legte H.\pothce.<br />

) Vom Gerichtsportal waren au&rdem Teile des Tympanons <strong>und</strong> <strong>der</strong> Archi-


Aber bat demi iiberhaupt JEAN D'OREAIs sehoii das Langhaus<br />

begonnen? Der Text des Labyrinths bericlitet nichts davon, <strong>und</strong><br />

darum stelit es auch ANTHYME SAINT-PAUL in Abrede.') Trotzdem<br />

niiissen wir auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> stilkritischen Untersuchung den<br />

Schiufi ziehen, daB JEAN D'ORBÂIS die Kathedrale in ihrem ganzen<br />

Umfange, vom Chore bis zur Fassade, in Angriff genommen <strong>und</strong> sich<br />

erst spitter auf die HochfUhrung des Querliauses <strong>und</strong> Chores beschrii.nkt<br />

bat. Die Kapitelle <strong>der</strong> Pfeiler <strong>und</strong> Wandpfeiler stehen im Langhausse<br />

bis w8 auf <strong>der</strong>selben Stiistufe wie im Chore. Noch wiclitiger sind<br />

die Basen. Sic bestehen im ganzen Erdgeschof3 - einschliel3lich<br />

<strong>der</strong> Querhausportaie! - an den Pfeilern bis w5, am Sockel <strong>der</strong> Seitenschiffswitnde<br />

bis w7 ans Wulst, Kehie <strong>und</strong> 'Wulst, ebenso im Triforium<br />

bis W,, abgesehen von <strong>der</strong> westlichsten freistehenden <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> mit den Pfeilern w 1 verb<strong>und</strong>enen StuIe. An den Basen <strong>der</strong><br />

Ma[3werksu1chen in den Fenstern des Querhauses <strong>und</strong> Hochehores<br />

fehlt dagegen die Kehie; also bat sich noch unter JEAN D'ORBAIs<br />

<strong>der</strong> Wechsel in <strong>der</strong> Basenform volizogen. Daraus folgt weiter, dafi<br />

JEAN D'ORRAIS die Seitenschiffe des Langhauses vor dem Hochschiff<br />

des Querhauses ausgeftihrt bat.<br />

Nacli seinem Projekte soliten die Strebepfeiier w5 <strong>und</strong> w7 <strong>und</strong><br />

die Pfeiler w5 die Westtiirme tragen. Alierdings ist DEMAISON <strong>der</strong><br />

Ansicht, die Pfeiler seien zu schwach fur die Last <strong>der</strong> Turme').<br />

<strong>Das</strong> ist jedoch ein Irrtum; denn die Westttirrne wiren icichter geworden<br />

ais die Quer1iaustÎirme, da sic sich ja liber einer schmieren<br />

Basis erheben soliten. Deshalb darf man, wenn man die Tragfiihigkeit<br />

<strong>der</strong> Pfeiler vergleichen will, niclit die Pfeiler w6 nit den<br />

ubrigen Langhauspfeilern vergieichen - denn diese konnten ja ans<br />

sthetischen G-rlinden ein Plus an Stiirke erhalten haben -, son<strong>der</strong>n<br />

man muB fragen: Hitte das Gewicht <strong>der</strong> TUrme in demselben<br />

VerMituis gestanden, vie die Tragfhigkeit <strong>der</strong> Turmpfeiler, aiso<br />

<strong>der</strong> Pfeiler im Langhause einer- <strong>und</strong> im Querhause an<strong>der</strong>erseits?<br />

Die Tragfhigkeit <strong>der</strong> Pfeiler ist bei gleicher Hôhe <strong>und</strong> gleichem<br />

Material dem Quadrate ihrer Durchmesser direkt proportionai. <strong>Das</strong><br />

Gewicht dey Tiirme ist uns, da sic ja nicht ausgefiihrt worden<br />

sînd, nicht genau bekannt. Aber wir werden nicht fehigehen, wenn<br />

voiten voilendet. Aber sie knnen nur im Atelier gelegen haben, da <strong>der</strong> Pfeiler<br />

mit <strong>der</strong> Christusstatue erst unmittelbar vor <strong>der</strong> Veretzung des Portais an die<br />

Querhausfassade ausgefdhrt worden ist (vgl. S. 68 f.).<br />

1) Bull. mon. 1906, LXX, S. 311.<br />

2) Be. mon. 1902, LXVI, S. 351.<br />

-


vir ajinelimen, daB die Westtlirme nicht nur schlanker, son<strong>der</strong>n<br />

auch. wie in Laon, niedriger ais die Querliausttirme werden soliten,<br />

<strong>und</strong> zwar ungefiLhr uni vie], daB die Hihen in demselben VerhiLltnis<br />

gestanden hktten, wie die Seiten <strong>der</strong> Basis. i)ann wflrden<br />

sich die Gewichte <strong>der</strong> Tiirme zueinan<strong>der</strong> verhaken wie die Kuben<br />

<strong>der</strong> Basisseiten. Bezeiclinen wir die Pfeilerdurchmesser mit a <strong>und</strong> fi,<br />

die Seiten <strong>der</strong> Turmbasen mit a <strong>und</strong> b, so ergibt sich die Gleiclmng:<br />

2 : fi2 = a3 : b3 . Lei<strong>der</strong> eriaubt <strong>der</strong> Ma(3stab <strong>der</strong> mir zur<br />

Verffigung stehenden Aufnahmen nicht, den Durchmesser <strong>der</strong> Pfeiler<br />

mit geiiligen<strong>der</strong> Sicherheit zu messen. Aber ungefhr ergibt die<br />

Messung sowohi fur c, 2 : fll ais auch fr a-1 -b 3 das Verhiltnis 3:4.<br />

Wenn also die Pfeiier im Querhause fur die Querhaustirme stark<br />

genug sind, so htten aucli die Pfeiler w6 die von JEAN DORBAIS<br />

geplanten Westtiirme zu tragen vermocht. Die Berechnung <strong>der</strong><br />

Tragfahigkeit <strong>der</strong> Pfeiler best.tigt dalier im Verein mit <strong>der</strong> stilkritischen<br />

Untersuchung des Langhauses die Richtigkeit unserer<br />

scion fur die Kathedrale von Chartres über dus VerMitnis <strong>der</strong><br />

Fassaden <strong>und</strong> Tiirme zum Gesamtaufril3 <strong>und</strong> -gruiidri8 aufgestellten<br />

Hypothese auch in dem Punkte, daB die Pfeiier <strong>der</strong> Ttirme im<br />

Innern ais soiclie gar nicht bemerkt wer<strong>der</strong>i soilten.<br />

Per Auflenbau hutte eine streng zeritral komponierte Gruppe<br />

ergeben: in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> den ganzen Ban beherrschende Vierungstiirm,<br />

an den Fassaden <strong>der</strong> sehr kurz gehaltenen Querhausarme<br />

vier groile Tiirme, die mit dem Vierungsturm eine Gruppe gebildet<br />

hitten, am Ende des Langhauses zwei kleinere, <strong>der</strong> ôstlicheu Gruppe<br />

untergeordnete Fassadentiiime. Die Durchbrechung <strong>der</strong> streng zentraleii<br />

Komposition <strong>der</strong> Ostpartie durch einen Bingeren Westarm<br />

war ans praktischen Griinden unvermeidlich. Aber dus Langhaus<br />

durfte doch eine gewisse Lunge nicht iiberschreiten, wenn das Prinzip<br />

<strong>der</strong> Subordination aller Fassadentiirme unter den Vierungsturrn<br />

nicht aufgegeben werden soute. Deshalb zog <strong>der</strong> zweite Meister, ais<br />

er sich zur Verlungerung des Langhauses uni. drei Joche entsclilossen<br />

hatte, ans dieser Àn<strong>der</strong>ung des Grutidrisses die Konsequenzen fur den<br />

Aufrif3: aristatt die tibrigen Tirme dem Vierungsturin unterzuordnen,<br />

schuf er <strong>der</strong> ustiichen Turmgruppe ein Gegengewicht in Gestalt von<br />

zwei groBen Westtih'men. Damit war das Prinzip <strong>der</strong> Subordination<br />

durci das Prinzip <strong>der</strong> Koordination abgeldst. Jetzt waren auch sturkere<br />

r1urmpfejler notwendig; daher erliielten die Pfeiler w9 die Sturke <strong>und</strong><br />

die Gestalt <strong>der</strong> Vierungspfeiler. <strong>Das</strong> Joch Wjx wurde ais ,,Strebejoch"<br />

wie in St. Denis (S. 6) ausgebildet, indem die Riickwand des<br />

Triforiums dicker <strong>und</strong> das Ma6werk <strong>der</strong> Hochschiffsfenster starker<br />

j


ausgefOEhrt <strong>und</strong> den Pfeilern w8 1) die Stàrke <strong>der</strong> Querhauspfeiler<br />

gegeben wurde. Die Vergrôf3erung <strong>der</strong> Turmbasis zog fur den Aufriil<br />

<strong>der</strong> Fassade eine weitere Konsequenz nach sich; denn sie batte<br />

dieseiben Schwierigke.iten heraufbeschworen wie in Noyon <strong>und</strong> Paris<br />

(S. 7 f. <strong>und</strong> 14 if.). Deshalb wurde liber dein Rosengeschofl ein breites<br />

horizontales Band angeordnet: die Kinigsga1erie. <strong>Das</strong> MitteistUck<br />

vom Scheitel des Hauptportales bis zum Rosenscheitei behielt im<br />

Entwurf des JEAN LE Loup dieseibe Gestalt wie bei JEAN D'ORBAIS,<br />

erst BERNARD DE SOISSONS riickte das Gesims liber dem Triforium<br />

tiefer <strong>und</strong> das Gesims liber <strong>der</strong> Rose hi5her, um den Turrnfenstern<br />

neben <strong>der</strong> Rose eine grôflere Hhe zu geben (vgi. S. 57). Er wird<br />

es auch gewesen sein, <strong>der</strong> an Stelle eines breiten zwei schmaie<br />

Fenster gesetzt hat.<br />

Ais Gr<strong>und</strong> f iir die Verlangerung des Langhauses hat niaii angegeben,<br />

daI3 sich die Kathedrale f tir die Krônungsfeierlichkeiten<br />

ais zu kiein erwiesen habe. 2u Aber diese Erkiarung geht von <strong>der</strong><br />

Annahme ans, dag die heutige Westfassade ursprunglich bei w6<br />

nach <strong>der</strong> Voliendung <strong>der</strong> Joche W1—W 1 errichtet <strong>und</strong> urigefahr<br />

um 1300 an ihre heutige Stelie versetzt worden sei. Mir haben<br />

aber gesehen, daB <strong>der</strong> Planweclisel mit dem Meisteiweclisel zusammenhing<br />

<strong>und</strong> dag er zu <strong>der</strong> Zeit eintrat, ais vom Langhause<br />

nus die Seitenschiffe <strong>und</strong> von <strong>der</strong> ersten Fassade nur zwei Portais<br />

- <strong>und</strong> zwar bei w 7, nicht bei w6 - vollendet waren, aiso zu einer<br />

Zeit, ais von <strong>der</strong> Benutzung des Langhauses noch nicht die Rede<br />

sein konnte. Wir werdeii aiso eine an<strong>der</strong>e ErkHiruiig suciien mtissen.<br />

Erinnern wir uns (vgi. S. 45, Aam. 5), daB baid, nach<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>stein<br />

zur Reimser Kathedrale gelegt worden war, zwei Suffragane<br />

des Erzbischofs, <strong>der</strong> Bischof von Arnicas im Jahre 1220 <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Bischof von Beauvais im Jahre 1225, den Neubau ihrer Kathedraie<br />

in grdiisrem Mafistabe begannen ais ihr Metropoiit, so begreifen<br />

wir, daB um 1235 <strong>der</strong> iieue Meister dem neuen Bauherrn,<br />

<strong>der</strong> seit 1227 auf dem erzbischf1ichen Stuhie safi, cia iieues Projekt<br />

unterbreiten kounte, das in <strong>der</strong> Grôfle mit deni Unternehuien<br />

<strong>der</strong> beiden Suffraganbischiife zu wetteifern <strong>und</strong> durch die Euttaitung<br />

eines ungeheuren Reichtums an Skuipturen ailes bisher ge.<br />

leistete in den Schatten zu steilen vermochte. Es war ein ghicklicher<br />

Zufail, daB JEAN I)'OnBAIs sein Werk erst soweit ausgeftihrt<br />

1) Bei GAILIIABAUD falsch, bei RING <strong>und</strong> in den ,,Cathédrales de France'<br />

richtig dargestdllt.<br />

2) D. & y . B. II S. 155.


73<br />

hatte, daf3 eine Umarbeitung seines Entwurfes durcli JEAN LE Lot<br />

noch mg1ich war. Es ergaben sicli keinerlei Unstimmigkeiten,<br />

son<strong>der</strong>u die Komposition, wie wir sie heute nocli vor uns sehen,<br />

erscheint wie ans einem Gu13. Nur die beiden Westportale des<br />

JEAN D'ORBAIS, mit denen sein Nachfolger nichts anfangen konute,<br />

<strong>und</strong> die Skizzen, in denen VILLARD DE HONNECOURT uns den<br />

Entwurf des ersten Meisters fur das Langhaus <strong>und</strong> dem Hochchor<br />

Uberliefert bat, geben uns den Anstot3, nach dem urspriinglichen<br />

Gesamtprojekte zu forschen. Dieses bat JEAN LE Loup mit<br />

<strong>der</strong>selben Genialitat umgebildet, mit <strong>der</strong> MIcHELANGELO den Plan<br />

BRAMANTES fur St. Peter in Rom zu Ende gefi.ihrt hat.<br />

1/10<br />

%<br />

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Lebensiauf.<br />

Am 8. November 1882 bin ich, HANs CARL KUNZE, in Magdeburg<br />

gehoreîi. Von Ostern 1889 an besuchte ich drei Jahre lang<br />

die Biirgerschuic in Magdeburg-Neustadt. Osterin 1892 trat ich in<br />

das stdtische Kônig Wilheims-Gymnasium in Magdeburg ein. Von<br />

Ostern 1901 bis Ostern 1902 studierte ich in Halle, im Sommersemester<br />

1902 in Marburg, bis zum Herbst 1904 wie<strong>der</strong> in Halle<br />

evaugelische Theologie. lch hôrte Vorlesungen bei den I-lerre.n Professoren<br />

<strong>und</strong> Dozenten ÀÀLI,, CLnrnIx, CONRAD, GERUARD FIcEEIt,<br />

GOLDSCHMIDT, HATIPT t, HERING, HERRMAIÇN, HOIJLMANN, ,JtLICHER,<br />

KiHLEB, EMIr KAUTZSCII f . KRAETiSCJIMAR f, KIRCIIUOYF j-, Looi's,<br />

LiTGERT, MInET, HEISCULE f, ROBERT, ROTUSTEIN. SCUWARZ, So1j MER-<br />

LAI), STAMMLER, STEUERNAGEL, UPIILES, VAIHINOER. WARNECK f.<br />

1m 1)ezember 1905 besta.nd ich das Examen pro licentia concionandi.<br />

1m Januar 1906 bezog ich die Universitiit zu Straflburg i. E..<br />

uni christiiche Archo1ogie <strong>und</strong> Kunstgeschichte zu studieren. Meine<br />

Lehrer waren hier die Hei'ren Professoren <strong>und</strong> Dozenten DEIII0,<br />

.TOJ{ANNES FICKER, HARTMANN, MI0HAELIS f1 POLACZEK, SP1EGEL-<br />

13ER& WINTEII. Theologisehe Voriesungen hrte ich noch bei Herrn<br />

Lic. Dr. SCHWEITZER. Am 24. Juif 1909 bestand ich das philosophische<br />

Doktorexamen. Vom 1. Oktoher 1909 bis zum 30. Semptember 1010<br />

genhigte ich meiner mi1itrischen Dienstpfiicht im Badischeii Fufiartillenieregiment<br />

Nr. 14 in Stral3burg i. E. Seitdem bin icli mit <strong>der</strong><br />

Erweiterung meiner Doktorarbeit <strong>und</strong> mit einigen kleineren baugeschiclitlichen<br />

Untersuchungen besch&ftigt.<br />

Allen meinen verehrten Lehrern bin ich zu grol3em Danke verpfiichtet,<br />

ebenso Herrn Prof essor Dr. WILHFLM VOUE in Freiburg i. B.<br />

fur das iebhafte Interesse, das er nieiner Arbeit entgegengebracht<br />

hat, <strong>und</strong> f ir seine vielfach bewiesene Hilfsbereitsc.haft.

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