Das Faustpfand
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niert. Der kränkliche Mann landet als künftiger<br />
Zwangsarbeiter in einer Schule in der Konstanziagasse<br />
24 im 22. Wiener Gemeindebezirk. <strong>Das</strong><br />
Essen ist furchtbar, bin ganz abgemagert, meine faciale<br />
Lähmung will nicht besser werden. Ich habe keine Medikamente.<br />
Mein Bein ist ganz bamstig. Seit einer Woche<br />
spüre ich nichts mehr. Ich weiß nicht, was damit sein wird,<br />
es beunruhigt mich sehr, schreibt József Bihari am 5.<br />
Juli 1944 in seinen Kalender. Weit mehr noch als die<br />
deprimierenden Lebensumstände und die gesundheitlichen<br />
Probleme beunruhigt ihn die Trennung<br />
von seiner Gattin und vor allem die Ungewissheit<br />
über ihr Schicksal: Leider habe ich von meiner Rózsi<br />
noch immer nichts gehört. Es tut mir furchtbar leid, dass<br />
wir nicht zusammen sein können. Was ist mit der Armen?<br />
Oh, wenn ich nur etwas über sie erfahren könnte. Alles in<br />
allem ist József Biharis Tagebuch vor allem ein Dokument<br />
der Sehnsucht nach seiner Frau, ein Dokument<br />
der Liebe und Treue. Mehr als die Hälfte der<br />
Eintragungen in seinem Taschenkalender beschwören<br />
die gemeinsame Vergangenheit mit Rózsi in<br />
Szolnok und beklagen ihre Abwesenheit. Nur wenn<br />
ich von meiner Rózsi etwas wüsste, könnte ich alles besser<br />
ertragen, notiert József Bihari am 3. August 1944. In<br />
seinem Schmerz um die verlorene Gattin meldet sich<br />
der alte Mann, dessen körperlicher Zustand von Tag<br />
zu Tag schlechter wird, freiwillig zur Arbeitsleistung:<br />
142 hat man zur Arbeit geschickt. Mich hat man<br />
hier gelassen, da ich über 60 bin. Ich habe mich freiwillig<br />
gemeldet, weil es furchtbar ist, hier zu sein, und man wird<br />
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