Dokument 1.pdf - Opus
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Foto: C. Mattern<br />
Ines Borchart und Tanja Schnitzler<br />
Unter dem Titel „Kunst = Identität“/ Kunstaktionen<br />
im Körnerkiez 2007 wurden seit Juli vier<br />
Kunstprojekte realisiert. Eine gemeinsame Ausstellung<br />
zeigt bis 13. Dezember in der Galerie<br />
Hope&Glory, Emser Straße 126 die entstandenen<br />
Arbeiten. „Gib dem Kiez dein Gesicht“ ist ein Fotoprojekt<br />
von Tanja Schnitzler und Ines Borchart.<br />
War es schwierig, Jugendliche zu finden,<br />
die sich fotografieren lassen?<br />
Ines Borchart: Wir haben zuerst mit vielen<br />
Leuten aus der Jugendarbeit geredet. Für uns<br />
war es wichtig, Backstage-Infos von Leuten<br />
zu bekommen, die im Kiez drin stecken, die<br />
Einsichten haben, die man nicht hat, wenn<br />
man einfach nur so durch die Straßen läuft.<br />
Tanja Schnitzler: Wir haben diese Perspektivenverschiebung<br />
bewusst mitgemacht. Mit<br />
Leuten zu sprechen, die hier seit 15 Jahren<br />
arbeiten, hat uns einen ganz anderen Aufschluss<br />
und einen ganz anderen Blick auf die<br />
Sache gegeben.<br />
Borchart: Man bringt beim Fotografieren<br />
immer einen eigenen Blick mit. Man hat seine<br />
eigene soziale Prägung, seine eigenen Kreise.<br />
Wenn man sich mit Leuten beschäftigt, die<br />
nicht unmittelbar dazu gehören, hat man<br />
ein Bild oder eine Vorstellung vorher. Ich<br />
fand es sinnvoll und wichtig, mit Leuten zu<br />
reden, die aufgrund von langjähriger Erfahrung<br />
sagen können, was hinter den Kulissen<br />
vorgeht, weil sich das nicht auf den ersten<br />
Blick erschließt. Diese Leute waren wichtige<br />
Bindeglieder zu den Jugendlichen, weil wir<br />
dadurch eine Art Ortsrecht erhalten haben.<br />
Es sind zum Teil sehr private Fotos.<br />
9<br />
Wie habt ihr es<br />
geschafft, das<br />
Vertrauen der<br />
Jugendlichen zu<br />
gewinnen?<br />
Schnitzler: Wir<br />
haben viel Zeit investiert,<br />
sind immer<br />
wieder hingegangen<br />
und haben Gesicht<br />
gezeigt, manches<br />
Mal, auch ohne zu<br />
fotografieren. Alles,<br />
was danach passiert<br />
ist, hatte eine ganz<br />
eigene Dynamik.<br />
Ich wurde auch bei<br />
der Ausstellungseröffnung<br />
gefragt,<br />
wie ich denn genau das hinbekommen habe,<br />
aber es gibt eben für bestimmte Dinge keine<br />
Regeln.<br />
Borchart: Wir haben beide Erfahrung im<br />
Fotografieren von Menschen, speziell von<br />
Jugendlichen. Für mich kann ein gutes Bild<br />
nur dann entstehen, wenn eine beiderseitige<br />
Öffnung erfolgt. Die Jugendlichen müssen<br />
wissen, die schießt jetzt nicht nur irgendein<br />
Foto, sondern sie können sich auch vor der<br />
Kamera so verhalten, wie es ihnen wichtig<br />
ist. Sie nehmen die Haltung ein, sie bestimmen<br />
auch den Blick.<br />
Eure Fotos zeigen, dass ihr zwei unterschiedliche<br />
fotografische Herangehensweisen<br />
habt. Könnt ihr sie kurz<br />
beschreiben?<br />
Borchart: Ich habe den Jugendlichen gesagt,<br />
dass ich bei ihnen zu Hause fotografieren<br />
und ihren Raum kennen lernen möchte.<br />
Sie haben die Klamotten, Accessoires oder<br />
Haustiere ausgewählt, mit denen sie sich<br />
zeigen wollten. Das ist für mich eine Form<br />
von Zusammenarbeit.<br />
Schnitzler: Die Jungs, die ich gefragt habe,<br />
waren von einer Sekunde auf die andere<br />
begeistert und nicht begeistert. Deshalb<br />
konnte ich auch keine Termine machen und<br />
musste sofort zuschlagen. All das, was danach<br />
passierte, passierte in Sekundenschnelle.<br />
Borchart: Für mich spielt nicht nur der<br />
Körper, also die Person eine Rolle. Mich<br />
interessiert das Verhältnis Raum - Person,<br />
auch in meinen anderen Arbeiten. Tanja und<br />
ich haben unterschiedliche Sichtweisen, die<br />
sich letztendlich ergänzen. Tanja ist eher auf<br />
dezember 2007 / januar 2008<br />
Die Fotografinnen hinter den Kiez-Gesichtern<br />
körner post<br />
Interview<br />
die Personen konzentriert.<br />
Betrachtet ihr eure Fotos als authentisch?<br />
Borchart: Authentisch insofern, als dass mir<br />
die Jugendlichen in der konkret beschriebenen<br />
Situation so begegnet sind. Wir haben<br />
nichts eingespielt, was sie nicht sowieso<br />
machen würden. Es ist aber ein Trugschluss,<br />
dass wir keine gestellten Fotos machen. Für<br />
mich war klar, ich muss Licht mitnehmen,<br />
weil das Licht vor Ort nicht ausreicht. Das<br />
ist natürlich dann eine Inszenierung, weil<br />
ausreichendes Licht nicht automatisch in den<br />
Räumen vorhanden ist. Aber ich brauche<br />
es, um überhaupt ein Foto zu machen. Die<br />
Frage nach der Authentizität finde ich generell<br />
schwierig, weil die Leute meist denken,<br />
gute Fotos sind gar nicht gestellt. Aber jedes<br />
gute Foto ist Arbeit. Das Foto ist immer eine<br />
Autorensicht, es ist das Ergebnis, was mir<br />
mit den Jugendlichen passiert ist und was ich<br />
gesehen habe.<br />
Schnitzler: So wie die Jugendlichen sich<br />
hingestellt und inszeniert haben, empfinden<br />
sie sich bestimmt auch als authentisch.<br />
Was wolltet ihr mit eurem Projekt erreichen?<br />
Schnitzler: Wir wollten dieses Gesicht dem<br />
Kiez geben. Aber wir haben natürlich nur<br />
einzelne Gesichter fotografiert, wir haben<br />
unterschiedliche Herangehensweisen und es<br />
war ein zeitlich begrenzter Rahmen. Insofern<br />
ist es eine ziemlich individuelle Show.<br />
Der Faktor Zufall spielt auch eine Rolle.<br />
Borchart: Wir sind keine Sozialarbeiter oder<br />
Soziologen, für mich geht es auch nicht um<br />
einen flächendeckenden Einblick. Für mich<br />
spielt das, was mir begegnet, eine Rolle: Wer<br />
sind die Kids, wer wohnt hier, wie sind die?<br />
Ich wohne auch in Neukölln und mich hat<br />
verblüfft, dass hier im Kiez neunzig Prozent<br />
der Schulkinder einen arabisch-türkischen<br />
Migrationshintergrund haben. Ich<br />
denke, dass es dafür noch keine allgemeinen<br />
Bilder oder Aussagen gibt. Das heißt ja<br />
nicht, dass hier nur noch Gangs unterwegs<br />
sind oder Kampfhunde. In den persönlichen<br />
Gesprächen gab es die Bosnienkriege im<br />
Hintergrund, viele haben einen deutsch-arabischsprachigen<br />
Hintergrund. Wer von uns<br />
ist schon zweisprachig aufgewachsen? Das<br />
wird in diesen ganzen Diskussionen um die<br />
so genannten „Problemkieze“ gar nicht als<br />
ein positiver Wert vermittelt.<br />
Das Gespräch führte Claudia Mattern