sonnseitig leben sonnseitig leben
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Fortsetzung von Seite 27<br />
Primarschule, beide haben<br />
Frau und je drei Kinder. Und<br />
beide haben ihren Teil an Leid<br />
gesehen im Leben.<br />
Als kleine Jungen in ihren<br />
Heimatorten von Svay Rieng<br />
und Prey Veng im Süden von<br />
Kambodscha, nur wenige Kilometer<br />
entfernt von der Grenze<br />
zu Vietnam, konnten sie<br />
nicht zur Schule gehen. Ihre<br />
Lektionen waren die des Über<strong>leben</strong>s,<br />
des Krieges und des<br />
Kämpfens. Ihre Dörfer wurden<br />
bombardiert von den B-52<br />
der Amerikaner, in einem<br />
Krieg, der die Hölle brachte<br />
für die Menschen von Vietnam,<br />
Kambodscha und Laos.<br />
Irgendwie überlebten sie den<br />
folgenden Terror der Khmer<br />
Rouge zwischen 1975 und<br />
1979, am Rande des Verhungerns.<br />
Mit 16 Jahren wurde<br />
Sopul in den Osten des Landes<br />
geschickt in die Kämpfe bei<br />
Memot, Snuol und in Mondulkiri,<br />
wo er im Dschungel lebte,<br />
Gewehr und Granaten<br />
schleppte, schwach und krank<br />
von der Malaria. Endlich, in<br />
1979, beschlossen die Vietnamesen,<br />
nach Kambodscha einzumarschieren,<br />
um den Völkermord<br />
unter Pol Pot zu stoppen.<br />
Ihre disziplinierte und geschickte<br />
Armee überrannte die<br />
schwachen Khmer Soldaten<br />
wie Sopul in wenigen Tagen<br />
und fanden Millionen von<br />
sterbenden und verhungernden<br />
Kambodschanern.<br />
Unter der vietnamesischen<br />
Besatzung schloss sich Sopoan,<br />
unterdessen 18 Jahre alt,<br />
den neuen Regierungstruppen<br />
von Hun Sen an. Dort lernte er<br />
Lastwagen fahren sowie lesen<br />
und schreiben. Während der<br />
nächsten acht Jahre fuhr er<br />
Nachschub an die Front im hü-<br />
geligen Nordwesten des Landes,<br />
an der Grenze zu Thailand,<br />
unter Granatenfeuer und<br />
der ständigen Gefahr von Minen<br />
auf den Fahrtwegen. Dieses<br />
Mal kämpfte er mit Hun<br />
Sen's Armee gegen die übriggebliebenen<br />
Khmer Rouge,<br />
die wiederum von den Vereinigten<br />
Staaten und von China<br />
unterstützt wurden.<br />
Sopul hingegen hatte genug<br />
vom Kummer des Krieges, und<br />
mit 19 fing er beim zivilen Provinz<br />
Departement für Öffentliche<br />
Arbeiten in Battambang<br />
an, das mit dem Wiederaufbau<br />
der Überbleibsel der Strassen<br />
beschäftigt war. Dort lernte er<br />
Mechaniker mit alten englischen<br />
Leyland Lastwagen und<br />
russischen ZIL's, und abends<br />
ging er zur Primarschule.<br />
Eines Morgens in 1984 war<br />
er unterwegs auf der Strecke<br />
zwischen Svay Sisophon und<br />
Seam Reap, nur langsam vorwärtskommend<br />
durch die<br />
Schlaglöcher und den Regen.<br />
Sopul kauerte zusammengepfercht<br />
mit anderen 20 Arbeitern<br />
und unterwegs aufgeladenen<br />
Fussgängern auf der Ladebrücke<br />
des Kleinlastwagens,<br />
neben einem 200 Liter<br />
Fass Benzin, an die Rückwand<br />
der Kabine gedrückt. Als sie<br />
auf die Anti-Panzer-Mine auffuhren,<br />
explodierte der Lastwagen<br />
in einem Feuerball. Die<br />
Metall- und Körperteile verstreuten<br />
sich über die ganze<br />
Strasse. Sopul kam zu sich<br />
zehn Meter weit entfernt, unten<br />
im Reisfeld, sein Rücken<br />
verletzt. Dennoch schaffte er<br />
es, Über<strong>leben</strong>de aus dem Wasser<br />
auf die Strasse zu ziehen,<br />
wo er sie neben dem Krater<br />
unter eine Plastikplane legte.<br />
Vier volle Stunden mussten sie<br />
warten, unter Schmerzen,<br />
Stöhnen und Blutungen, bis<br />
gegen Abend ein alter Traktor<br />
im Regen daherkam. Am Ende<br />
überlebten fünf von fünfundzwanzig,<br />
darunter Sopul.<br />
Ein bisschen weiter…<br />
Solches sind die Männer,<br />
mit denen zu arbeiten ich das<br />
Privileg habe. Nicht ausgebildete<br />
Spezialisten, sondern bescheidene<br />
Arbeiter, zäh genug,<br />
um in Kambodscha Brücken<br />
zu bauen; mutig genug, um<br />
sich an brutalen Orten wie<br />
Samlot einzusetzen, wo 90%<br />
der Bauern mit einem Stück<br />
Holz oder Plastik als Bein zur<br />
Arbeit auftauchen, wo der teure<br />
Teil der Brücke das Minen-<br />
Räumen ist, und wo eine Woche<br />
arbeiten eine Garantie für<br />
das Einfangen von Malaria ist.<br />
Während ich in Südamerika<br />
arbeitete, fühlte ich, dass ich<br />
dort hingehöre. Als ich in Zentralamerika<br />
baute, spürte ich,<br />
dass ich auch da am richtigen<br />
Ort war. Ich ging weiter, gelangte<br />
nach Kambodscha und<br />
wusste, dass es richtig war.<br />
Dann wurde das Sirindhorn<br />
Center in Thailand zu meinem<br />
Zuhause, das ich nun morgen<br />
ebenfalls verlassen werde.<br />
Heute weiss ich, dass ich<br />
überall hingehöre, denn mein<br />
Zuhause ist diese Erde und<br />
meine Familie ist die Menschheit.<br />
Ich weiss, dass diese<br />
Menschheit ungeheuren<br />
Schmerz verspürt, und so auch<br />
ich. Doch so lange die Sehnsucht<br />
in mir drin ist, unser Zuhause<br />
zu einem etwas besseren<br />
Ort zu machen, unsere Familie<br />
ein bisschen mehr zu lieben,<br />
werde ich nicht Angst haben.<br />
Auch wenn es noch schwieriger<br />
als vorher sein wird. Auch<br />
wenn ich nicht rennen kann.<br />
Aber ich kann gehen, und ich<br />
kann aufstehen.<br />
vita sana <strong>sonnseitig</strong> <strong>leben</strong> 6/2003 29