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Eine vergessene Satire des Ritters von Lang<br />

In unsern Tagen, wo der Despotismus mit den Völkern ein jämmerliches und<br />

erbärmliches Spiel trieb, und alle Menschenwürde so unter die Füsse trat, daß<br />

man mit Schaudern fast an der Menschheit verzweifeln möchte, ist es da den<br />

Völkern zu verargen, wenn sie kein Zutrauen zu ihren Regierungen haben, und<br />

in allen, auch den wohlgemeinten und besten Einrichtungen, nichts als einen<br />

betrügerischen Vorwand finden, durch welchen man ihnen nur neue Lasten<br />

aufbürden will?<br />

Im Jahr 1823 erschien ein Buch, dessen umständlicher, ellenlanger Titel lautet:<br />

Hat man ihn zweimal gelesen, steht das Urteil fest: da stimmt ja wohl gar nichts.<br />

Das kann es doch gar nicht geben. Autor, Übersetzer, Inhalt, Verleger,


Verlagsort, alles zusammen kann nur ein fake sein. Und so ist es auch. Aber was<br />

hat es mit dem Buch auf sich, und wer hat es geschrieben?<br />

Versetzen wir uns in die Lage eines Zeitgenossen. Für den klang der Titel<br />

zunächst einmal ja ganz anziehend: "Fünfter Reisebericht" und "Capitain Roß",<br />

da wurde man aufmerksam. Reiseberichte lagen im Trend, und über den Kapitän<br />

Roß auf dem Weg zur Nordwestpassage hatte man in allen Gazetten schon<br />

gelesen 1 . Nur einen "Hartlob Rittersporn" kannte man nicht, aber der gab sich<br />

als Landtags-Abgeordneter aus, und über die zwei vergangenen bayrischen<br />

Landtage von 1819 und 1822 hatten schließlich auch alle Zeitungen berichtet, er<br />

schien jetzt im Ruhestand zu sein ("sanft quiescirt"), also nicht mehr im<br />

politischen Tagesgeschäft involviert, deshalb kannte man ihn nicht, und jeden<br />

Namen hatte man sich überdies nicht gemerkt.<br />

Stutzig machte nur noch der Verlagsvermerk. "Ohrenstadt" gab es natürlich<br />

nicht, aber man wurde schließlich mit der Nase darauf gestoßen, daß es sich um<br />

einen fingierten Druckort und einen fingierten Verleger handelte. Denn<br />

Nachdrucker waren weder "heilig" noch "privilegirt" und die ganze<br />

Formulierung klang so sonderbar altmodisch, daß es da nicht mit rechten Dingen<br />

zugehen konnte 2 .<br />

Der Entschluß, in das dünne Heft zumindest mal reinzuschauen, stand also<br />

schnell fest. Das Interesse war geweckt. Der interessierte Zeitgenosse öffnete<br />

also die Broschur - und dürfte sie ganz schnell wieder zugeklappt haben.<br />

Denn von Kapitän Roß fand er weder in der "Vorrede" noch in der "Nachricht<br />

wie der Uibersetzer zu dem englischen Original gekommen" noch am Anfang<br />

des Textes eine Spur. Der Autor führt den Leser ziemlich an der Nase herum. In<br />

der Vorrede versichert er, daß er das Schlechte nur zeige, weil die gute Sache<br />

dadurch automatisch befördert würde und der Leser würde doch mit ihm<br />

1 Der Bericht über die Entdeckungsreise von John Ross erschien auf Deutsch erstmals 1818 in den "Neuen<br />

allgemeinen geographischen Ephemeriden" (Henze IV, 681, dort die weiteren Artikel verzeichnet); eine erste<br />

Buchausgabe kam 1819 bei Bran in Jena unter dem Titel "Entdeckungsreise der königlichen Schiffe Isabelle und<br />

Alexander nach der Baffins-Bai, zur Untersuchung der Möglichkeit einer Nord-West-Durchfahrt. Nach dem<br />

Englischen des Herrn John Roß, Capitains der königlichen Marine (Aus dem Ethnographischen Archiv<br />

besonders abgedruckt)" heraus. - 1820 folgte ein Atlas: "Entdeckungsreise um die Baffins-Bay auszuforschen<br />

und die Möglichkeit einer nordwestlichen Durchfahrt zu untersuchen. Uebersetzt von Nemnich" (Sabin 73378<br />

und 73379). - Wie sehr Langs Satire ihrer Zeit voraus war, kann man daraus ablesen, daß der Bericht über die<br />

zweite Entdeckungsreise erst 1835-36 in Berlin erschien: "Zweite Entdeckungsreise nach den Gegenden des<br />

Nordpols in den Jahren 1829-33 (Sabin 73386). - Ein fünfter Bericht erschien natürlich nicht, aber Langs<br />

satirischer Genius gab ihm ganz richtig ein, daß es mit einem ersten Bericht wohl nicht getan sein würde.<br />

2 Ein ganz aufmerksamer Leser hätte durch die Formulierung des Druckvermerks schon auf das Alter des Autors<br />

schließen können. Denn die eigentliche Nachdruckzeit und die Zeit der Vorliebe für solche fingierten Druckorte<br />

war 1823 schon vorbei. Wer als Autor solche Begriffe verwendete, mußte um 1780 bis 1800 jung gewesen sein,<br />

nur einem solchen Ohr klang die verwendete Melodie ganz natürlich. Und Leute, die 1823 jung waren, hörten<br />

da schon den Großvater alte Weisen vor sich hinbrummen.


sicherlich einig sein, daß im lieben deutschen Vaterland alles gut sei: "bene,<br />

quod non sic" (also in erläuternder Umschreibung übersetzt: es ist gut, daß es bei<br />

uns nicht so ist, wie ich es Dir, lieber Leser, gleich an einem Beispiel zeigen<br />

werde). Und in der Nachricht des Übersetzers steht nur ein lateinisches Motto,<br />

"welches jeder, der Latein versteht, sich selber übersetzen kann" 3<br />

Der Text beginnt mit einem Bericht über die Zusammenkunft des ersten<br />

bayrischen Landtags im Januar 1819. Mit einer Nordpolexpedition hat das also<br />

nichts zu tun. Blättert man ihn eilig durch, so erhellt rasch, daß auch über den<br />

zweiten Landtag 1822 gehandelt wird. Kein Kapitän Roß weit und breit. Nur<br />

Reden verschiedener Delegierter über Steuergesetzgebung, politische<br />

Philosophie und eine hanebüchene Geschichte über die Suche nach einer<br />

entschwundenen Glückskugel. Ganz am Schluß schließlich die Aufklärung über<br />

die Umstände der Niederschrift: Der Landtag hat sich selber zum Souverän<br />

erklärt (was in Bayern natürlich undenkbar gewesen wäre) und will nicht mehr<br />

nur alle zwei Jahre zusammentreten, sondern in Permanenz tagen. Der Autor ist<br />

zum Sekretär ernannt worden und soll die Abgeordneten besuchen, um einen<br />

gemeinsamen Beschluß zu erwirken. Die Regierung hat aber davon Wind<br />

bekommen, läßt ihn festnehmen und auf eine der neuen Festungen des<br />

Deutschen Bundes bringen. Perfiderweise mit der Begründung, daß ihn ein<br />

langer Aufenthalt dort schon zur Einsicht führen würde, wie notwendig derartige<br />

"feste Plätze" wären (man fühlt sich - am Anfang des 19. Jahrhunderts - an den<br />

Gröfaz erinnert). Dort sitzt er nun, langweilt sich, ist von der Notwendigkeit<br />

derartiger Festungen natürlich immer noch nicht überzeugt und gerät über seinen<br />

Barbier schließlich an ein Buch, das ein reisender Engländer in einem Gasthof<br />

vergessen hat. Eben jenen "Fünften Reisebericht". Diesen fängt er nun an zu<br />

übersetzen, der Engländer fordert das Buch zurück, und der Übersetzer schickt<br />

es ihm mit der Bitte, doch ein zweites Exemplar zu übermitteln, "da in<br />

Deutschland die Preßfreiheit bisher großen Theils nur im Titel der hierüber<br />

promulgirten Edikte zu finden sey". Das schon übersetzte Bruchstück bringt der<br />

Barbier zum Drucker. Dieser legt los, und ... Ja "was und?" ist hier mit Recht zu<br />

fragen. Denn hier bricht die Ursprungslegende in sich zusammen. Ein<br />

Reisebericht liegt eben nicht vor, sondern eine "Reportage" über die beiden<br />

ersten bayrischen Landtage. Die Fiktion ist in sich nicht schlüssig, sondern ganz<br />

arg gichtbrüchig.<br />

Viele Zeitgenossen dürften also mit dem Werk nichts anzufangen gewußt haben.<br />

Eventuell hatten sie aber auch kaum Gelegenheit, ein Exemplar beim<br />

Buchhändler durchzublättern. Denn wenn der Zensor nicht ganz debil war,<br />

dürfte ein Verbot des Werkes nicht lange auf sich gewartet haben. Wie dem<br />

auch immer gewesen sein mag, das weitere Schicksal des Buches ist traurig: es<br />

3 "Sta pes, sta mi pes, ne labere mi pes / ne mihi stes mi pes, lectus erunt lapides". - Also in etwa: Fuß, halt ein,<br />

mein Fuß halt ein, und gleite nicht aus/ und halte auch in Zukunft nicht ein, die Steine werden dir zum Bett<br />

dienen.


fiel in Vergessenheit. Niemand zitiert es, keine Bibliographie verzeichnet es, der<br />

Autor selbst erwähnt es in seinen Memoiren nicht. Bis vor kurzem war selbst<br />

seine Existenz unbekannt, niemand konnte einen Blick in das Buch werfen, denn<br />

es war in keiner öffentlichen Bibliothek vorhanden. Erst im Sommer 2006<br />

meldete die UB Tübingen den Besitz eines Exemplars. Wer den Standard der<br />

Aufnahmen alter Bücher in Deutschland kennt, den wird es nicht verwundern,<br />

daß als Verfasser "Wahrist" angesetzt wird, als Übersetzer "Hartlob Rittersporn"<br />

und als Verlagsort "Ohrenstadt". Dem ist natürlich nicht so, aber Bibliothekare<br />

schreiben heute ja keine Aufnahmen, sondern verwalten Datensätze.<br />

Und damit sind wir bei den entscheidenden Fragen angelangt. Wer ist der<br />

Autor? Wogegen richtet sich seine Satire? Warum wurde sie vergessen? Drei<br />

Fragen, auf deren Beantwortung keine Festungshaft mehr steht, auch wenn die<br />

referierten politischen Anschauungen des Autors selbst heute noch revolutionär<br />

klingen. Am einfachsten ist die Frage nach der Autorschaft zu beantworten.<br />

Selbst wer nur Weniges von Lang gelesen hat, erkennt die Eigentümlichkeit<br />

seines Stiles in allen seinen Texten leicht wieder 4 . Das Verzopfte, Mäandernde,<br />

zu keinem Ende Findende, in unendlichen Parenthesen Verschachtelte seiner<br />

Prosa ist so typisch, daß man es kaum nachahmen kann (Parodien auf ihn sind<br />

nicht bekannt). Der Klang dieser Prosa hat etwas Unpoliertes, auch wenn die<br />

Melodie direkt aus dem 18. Jahrhundert stammt. Rabener und der frühe Jean<br />

Paul standen Pate. Sprachinseln des 18. mitten im 19. Jahrhundert 5 .<br />

Wer ihn aufgrund der stilistischen Befunde nicht erkennt, hätte zumindest<br />

Schwierigkeiten. Natürlich geht aus dem Werk hervor, daß der Autor recht<br />

genaue Kenntnisse der Landtagsverhandlungen der beiden ersten bayrischen<br />

Landtage von 1819 und 1822/23 haben mußte 6 und deshalb vermutlich in<br />

Bayern zu finden sein würde. Aber dann kämen immer noch einige andere<br />

Kandidaten in Frage. Aber hier war es einfach: "Le style, c'est l'homme", und<br />

zwar auch im intendierten doppelten Sinne; in der Spracheigentümlichkeit und<br />

in der Mitteilungsqualität. Hier steht ein Mann und kann nicht anders.<br />

Er fängt recht klein und unterhaltsam an: das unerträgliche Brimborium, die<br />

allenthalben anzutreffende Speichelleckerei, die zum Byzantinismus ausgeartete<br />

Weichrauchschwenkerei, das alles ist ihm einfach zuwider und er setzt einen<br />

bärbeißigen Republikanismus dagegen. Heute ist das nur allzu verständlich,<br />

denn wenn man das "Programm über die Feierlichkeiten bei Eröffnung der<br />

Stände-Versammlung" durchliest, gleitet man auf einer Ölspur aus und findet<br />

4<br />

Der überragende Kenner der alten bayrischen Literatur, Professor Reinhard Wittmann, rief nach bloßer Lesung<br />

des Titels aus: "Lang!"<br />

5<br />

Die beste Charakterisierung von Langs Sprachstil findet sich in Sengles "Biedermeierzeit", Bd. II, S. 168: "Er<br />

schreibt Prosa, aber einen merkwürdig verzopften, weilweise auch bewußt archaisierenden Kanzleistil in der<br />

Tradition des 16. und 17. Jahrhunderts."<br />

6<br />

Über die Tätigkeit Langs in der Verfassungskommission und die Durchsetzung fortschrittlicher Prinzipien in<br />

der bayrischen Verfassung von 1818 siehe den vorzüglichen Artikel von Eberhard Weis "Zur<br />

Entstehungsgeschichte der bayerischen Verfassung von 1818 in der ZBLG 48 (1985), S. 413-444.


Langs Spott direkt milde. Nach den satirisierten Präliminarien folgt die<br />

Zentralfiktion. Der Landtag beauftragt vier Mitglieder mit der Suche nach der<br />

Glückskugel. Diese reisen auf der Heerstraße, der Luxusstraße, der Diebsstraße<br />

und der Neuen Straße. Über ihre Erlebnisse berichten sie dem Landtag. Das gibt<br />

Lang Gelegenheit, gegen die Verschwendung der Steuergelder zu polemisieren,<br />

ein flammendes Plädoyer für die Pressefreiheit zu halten, seinen Antisemitismus<br />

auszuleben, gegen das Konkordat loszuziehen und alle seine Invektiven gegen<br />

die Ungereimtheiten der Gesetzgebung zwanglos unterzubringen. Natürlich sind<br />

die Diebs- und die Luxusstraße durch so manchen Nebenweg verbunden. Das<br />

geht in den Einzelheiten nicht über das hinaus, was man aus den<br />

"Hammelburger Reisen" schon kennt (die ja zeitgleich erschienen). Aber nur im<br />

vorliegenden Werk steigert sich Langs Furor über Granteleien und<br />

Besserwissereien zu einem erstaunlichen politischen Bekenntnis.<br />

Und hier wird es interessant. Denn was er einem Abgeordneten mit dem<br />

sprechenden Namen Sturm in den Mund legt, das ist im Wortsinn "unerhört".<br />

Langs "confession d'un vicaire franconien" geht weit über das hinaus, was als<br />

systemimmanente Kritik gerade noch zu tolerieren wäre. Lang predigt<br />

- den Kosmopolitismus: erst ist er Weltbürger, dann Staatsbürger, dann<br />

Deutscher, dann Bayer.<br />

- die Volkssouveränität: der König ist Angestellter des Staates.<br />

- den absoluten Vorrang der Volksrepräsentation vor der Exekutive.<br />

Die Rede kulminiert in folgender Passage: "Die Majestät gehört der Nation an,<br />

und ist von dieser übertragen auf den Fürsten und dessen Nachfolger durch<br />

Geburt und Erbrecht, damit die Idee der Gesammtheit der Nation durch diesen<br />

Einen, den Fürsten, ins Leben hervor trete und practisch werde, das heißt, damit<br />

die gesellschaftliche Ordnung, nach den vom Gesammtwillen gegebenen<br />

Gesetzen gehandhabt werde, in Einheit. Darum sind Volk und Fürst Eines, und<br />

können nicht im Gegensatz gedacht werden." - Das ist reiner Rousseau. Die<br />

Ideen des "Contrat social", so wirkmächtig in der Französischen Revolution,<br />

vorgetragen inmitten der losbrechenden Restauration, die gerade die Grabplatte<br />

auf alle fortschrittlichen Tendenzen zu legen sich anschickte. Das konnte nur auf<br />

eine Festung führen.<br />

Und damit man in der Festungszelle das alles nachlesen kann, folgt im Anhang<br />

der ganze Text von Langs Satire.


Fünfter Reisebericht<br />

des<br />

C a p i t a i n W a h r i s t ' s ,<br />

welcher<br />

nach Entlassung des Capitain Roß<br />

in den Jahren 1819 bis 1823<br />

der Nordpolexpedition auf der Fregatte<br />

Alexander<br />

beigewohnt hat,<br />

aus dem Englischen übersetzt<br />

von<br />

H a r t l o b R i t t e r s p o r n<br />

sanft quiescirten vaterländischen Standschaftsdeputirten<br />

s a m m t<br />

kurzer Nachricht,<br />

wie der Uibersetzer zu dem englischen Original gekommen<br />

ist.<br />

Ohrenstadt, bey Nepomuck Hörer,<br />

des großen Weltherrn-Bundes privilegirten heiligen Nachdrucker.<br />

1823.


Vorrede und Zueignung<br />

Zeigen, wie eine Sache nicht seyn soll, führt von selbst darauf, wie sie<br />

seyn soll.<br />

Der Verfasser wünscht nichts mehr, als daß man alles, was er auf<br />

diesem bisweilen eingeschlagenen indirecten Weg sagte, recht unwahr<br />

finden möge, und wird mit allen deutschen Männern, denen er diese<br />

Frucht seiner Muse weiht, recht von Herzen in das<br />

einstimmen.<br />

bene, quod non sic,<br />

Nachricht<br />

wie der Uibersetzer zu dem englischen Original gekommen ist,<br />

mit dem Motto:<br />

sta pes, sta mi pes, ne labere mi pes,<br />

ne mihi stes mi pes, lectus erunt lapides.<br />

welches jeder, der Latein versteht, sich selber übersetzen kann.<br />

--------------------------------------------------------------------------<br />

[1] Die große Eile, mit welcher die ständische Versammlung im Jahre<br />

1819 herbei geführt wurde, war Ursache, daß auch ich, gegen alle<br />

Qualification, durch eine Namensverwechslung mit hineinschlüpfte.<br />

Ich hätte vielmehr sagen sollen, gegen alle Realqualification; denn<br />

eine persönliche giebt es nicht, außer dem erforderlichen Alter, weil


alles von dem Besitze einiger Felder und Wiesen abhängt, über<br />

welchen der Geist Gottes wie ehemals über dem Wasser schwebt.<br />

Das Ceremoniel, bei Eröffnung dieser Versammlung, im höchsten<br />

Hofstyle, die glänzenden Feyerlichkeiten, welche mit den 17 Cur- und<br />

Galla-Tagen verbunden waren, kann ich um so mehr mit<br />

Stillschweigen übergehen, als zu jener Zeit alles im Nürnberger<br />

Correspondenten sehr ausführlich, in der dortmals aber noch nicht<br />

unterdrückten Erlanger Realzeitung im Auszug geliefert wurde.<br />

[2] Auch die gehaltvollen Reden und Gegenreden, welche zum<br />

öffentlichen Anerkenntniß wechselseitiger Vorzüge der<br />

Regierungsbehörden, dann des Ober- und Unterhaußes voll<br />

patriotischen Hochgefühls gehalten wurden, sind überall im Druck<br />

erschienen, und ich kann mich daher lediglich auf die Hauptsache<br />

beschränken.<br />

Nachdem die Nothwendigkeit der Staats-Ausgaben nach den Zweigen<br />

der sieben verschiedenen Ministerien durch die hierzu bestellten<br />

Staats- und Souveränitätsredner nachdrücklichst erwiesen, und hieraus<br />

der Schluß gezogen war, daß vor's Erste die bisherige Staatseinnahme<br />

nicht vermehrt zu werden brauche, wurde auch von der<br />

Kopfmittelpunktsbuchhaltungsdirectionsstandschaftscommission<br />

fidimierte Abschrift der Balance des Rechnungsabschlusses für das<br />

letzte Verwaltungsjahr vorgelegt, und hieraus die tröstliche<br />

Ueberzeugung geschöpft, daß durch strenge Haushaltung in allen<br />

Zweigen der Staatsverwaltung, vorzüglich aber aus dem Titel ad<br />

extraordinaria ein Ueberschuß Einnehmens von 131 fl. 57 6/8 kr. rhl.<br />

gewonnen wurde, welcher nach zweimaligen Discussionen im<br />

Staatsrath, über dessen zeitgemäßeste [3] Verwendung, wegen<br />

gänzlicher Verschiedenheit der Meinungen der Beisitzer, welche<br />

diesmal als Ausnahme von der Regel statt fand, endlich auf Vorschlag<br />

eines der weisesten Mitglieder dem Staatsschuldentilgungsfond<br />

überwiesen, und von welchem auch in bester Form Rechtens hierüber<br />

quittiert worden ist.<br />

Durch die im Original vorgelegte Quittung über besagte 131 fl. 57 6/8<br />

kr. rheinisch, hatte nun das Beweisgewölbe der zweckmäßigsten


Verwendung der Staatseinkünfte, den dauerhaftesten Schlußstein<br />

erhalten.<br />

Hierauf wurde den sämmtlichen Gliedern der Reichsstandschaft das<br />

Privilegium in Form eines Adels-Diploms ertheilt, der immer weiter<br />

fortrollenden Glückskugel Fortunas nachzulaufen, nachzujagen und<br />

nachzurennen, dieselbe wo möglich einzuholen, und wenn auch nicht<br />

zurück, doch wenigstens zum Stillstand zu bringen. Zugleich wurden<br />

auch die Reisepässe ertheilt, welche, da die ständische Versammlung<br />

schon sieben Wochen, fünf Tage, 19 Stunden, 51 Minuten, 38<br />

Secunden gedauert hatte, reichsgrundgesetzmäßig, noch auf einen<br />

Tag, 7 Stunden, 8 Minuten und 22 Secunden, gültig waren.<br />

In einer vertraulichen Sitzung wurden von den [4]<br />

Souveränitätsdeputirten noch einige Erläuterungen und Rathschläge<br />

hinzu gefügt, deren vorzüglichste darin bestanden:<br />

1. daß das Nachjagen lediglich von der Reichsstandschaft zu<br />

bewirken sey, eine Vorspann von Seiten des Staats aber wegen<br />

anderer höherer Staatszwecke nicht bewilliget werden könne.<br />

2. Daß die Reisezeit unabänderlich auf diejenigen Tage einschränkt<br />

sey, welche innerhalb der Reichsgrundgesetzmäßigen zwei<br />

Monathe den übrigen Currentarbeiten abgemüßiget werden<br />

konnten, und jede Uibertretung dieses Gesetzes durch unzeitiges<br />

Reisen scharf geahndet werden würde, und zwar auf dem<br />

gebahnten Disciplinairwege, indem sich die vermeinte<br />

Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der<br />

Reichsstandschaftsglieder nur auf die in dem Strafgesetzbuch<br />

und den Anmerkungen enthaltenen Strafen beziehe, insoferne<br />

die mit denselben bedrohten Vergehen und Verbrechen, nicht<br />

verschuldet würden.<br />

3. Daß in allen Geschäften und Angelegenheiten der<br />

Reichsstandschaft jene Ruhe und Seelen[5]größe, welche aus der<br />

Verachtung irdischer Güter entspringe, und stets jedes Opfer zu<br />

bringen bereit seyn, immer vor Augen behalten, hauptsächlich<br />

aber bei dem Rennen nach der Glückskugel nicht verlohren<br />

werden müsse, damit kein Reichstandschaftsglied von Eifer des<br />

Rennens hingerissen, so sehr ins Rennen komme, daß es irgend


wo an, oder gar über eine Mauthbarriere hinwegrenne, und sich<br />

entweder den Kopf entzwei, oder gegen die Mauthgesetze<br />

anstoße, welches beides mit der Würde eines<br />

Reichsstandschaftsgliedes und der hohen Idee, welche sich<br />

bisher noch einige hiervon machten, unverträglich sey.<br />

Hiermit war die letzte Sitzung beendiget.<br />

Alle Bemühungen, den Weg genau zu erfragen, welchen die<br />

Glückskugel fortgerollt war, blieben fruchtlos, indem von<br />

verschiedenen Seiten Nachricht einlief, daß dieselbe bald auf diesem,<br />

bald auf jenem Wege im stärksten Rollen gesehen worden sey.<br />

Wegen Kürze der noch übrigen Paßdauer sowohl, als wegen der<br />

großen Anzahl der Haupt- und Nebenwege, vertheilten sich die vier<br />

ehrenwerthen [6] Standschaftsglieder, welche für diesmal von ihrem<br />

Privilegium Gebrauch zu machen, unter Allen den Entschluß faßten,<br />

auf die in vier Himmelsgegenden führenden Hauptwege, die<br />

Heerstraße, die Luxusstraße, den Diebessteig und den Neuenweg, und<br />

traten ihre Reise unverweilt an.<br />

Die übrigen Glieder, nicht minder begierig auf die Rückreise, um die<br />

vielen Zuckersachen bald nach Hause zu bringen, welche ihnen, bei<br />

ihren täglichen Erholungsspaziergängen, um die legitime Residenz,<br />

aus den Fenstern geworfen wurden, und womit sie sich die Taschen so<br />

angefüllt hatten, daß darinn nicht einmal Raum für Dose und<br />

Schnupftuch blieb, um noch eine Priese contenance zu nehmen, oder<br />

sich die übergehenden Augen auszuwischen, diese Herren fuhren nicht<br />

weniger schnell davon.<br />

Drei Vierteljahre waren verflossen, als jene vorbereitende Verordnung<br />

im Majestätsblatt die Glieder der Reichstandschaft auf das<br />

Herannahen des Landtagfestes aufmerksam machte, und die<br />

huldreichste Versicherung ertheilte, daß demnächst das Nähere<br />

ergehen sollte.<br />

Die hierdurch aufgeregten Hoffnungen und Er[7]wartungen, oder daß<br />

ich mich deutlicher ausdrücke, der Gast- und Kaffewirthe, der


Postknechte und der holden Geschöpfe, die im Seitengäßchen nächst<br />

am Pallaste wohnen, den die goldne Inschrift ziert: Meistersitz des<br />

Innern, dieser und anderer Glieder der<br />

Reisebequemlichkeitmachungszunft süße Erinnerungen, wurden aufs<br />

lebhafteste aufgeregt, als nach Verlauf von 6 sehnsuchtsvollen<br />

Wochen, endlich der Postbote eiligst zu mir herein keuchte, und ganz<br />

außer Athem und mit Anstrengung aller Gesichtsmuskeln zu sprechen<br />

versuchte, aber während er mit weit vorgebeugtem Oberleib und lang<br />

ausgestreckten Armen das Majestätsblatt mir überreichte, weiter<br />

nichts heraus brachte, als - Land - Land - ach - Land - ach! Fast hätte<br />

in meinem Lehn- und Sorgenstuhle, den ich für meine neue Würde<br />

anschaffte, der Schrecken mich aufgehoben; denn eben hatte ich von<br />

der Landplage in ihren sieben ägyptischen Formen gelesen und<br />

darüber nachgerechnet, wie oft sich diese sieben Plagen seit der<br />

ägyptischen Zeit versiebenfacht haben, aber zum Glück erblickte ich<br />

auf dem Majestätsblatt sogleich das tröstende Wort Landtag, wodurch<br />

das Mißverhältniß, welches mir das Stottern [8] des Postboten und<br />

meine Lektüre verursachten, auf die angenehmste Weise beseitigt<br />

wurde.<br />

Seine legitime Souverainität geruhten allergnädigst zu befehlen, daß<br />

auch für dieses Jahr die reichskonstitutionsmäßige<br />

Standschaftsversammlung wieder solennest gehalten und am 28.<br />

Januar eröffnet werden sollte, um den ehrenwerthen Gliedern<br />

allergnädigst Gelegenheit zu geben, in den langen Nächten desto mehr<br />

Mühe zum Nachdenken zu gewinnen, zugleich aber sich für die dem<br />

Wohle des Landes geweihten Opfer und Anstrengungen einige<br />

Entschädigung und Erholung durch den Carneval zu verschaffen.<br />

Das Ceremoniel und die Festlichkeiten waren dieselben, wie im<br />

vorigen Jahre, ausgenommen, daß dießmal 21 Hochämter mehr<br />

gehalten, und zwei inzwischen vom Hrn. Doctor Richter in Erlang<br />

verfertigte geistliche Lieder "veni sancte Spiritus" und "aus tiefster<br />

Noth schrey' ich zu Dir", gesungen wurden. Seine legitime<br />

Souveränität waren auch für diesmal wieder zu ihrem Herrn Schwager<br />

dem Groß-Sultan nach Jammerfeld gereiset, indem<br />

Allerhöchstdieselben zu einer Zeit, wo die getreue Reichsstandschaft


einen Theil der schweren Regierungs-Sorgen [9] auf sich genommen<br />

hatte, am füglichsten abzukommen vermeinten.<br />

Die Reihenfolge, in welcher für diesmal die Geschäfte der<br />

Versammlung vorgenommen wurden, waren aus allerhöchst milder<br />

Vorsorge also anbefohlen worden:<br />

Vor allem mußten der Reichsstandschaft wieder die fidimirten<br />

Abschriften der Rechnungsabschlüße vorgelegt und die nöthigen<br />

Bestimmungen für das nächstkommende Jahr 1821/22 getroffen<br />

werden, worauf der Reichsstandschaft das Prädicat gnädige<br />

Versammlung durch einem [sic] legitimen<br />

Souverainitätsschenkungsbrief ertheilt wurde.<br />

Und weil für diesmal, aus oben erwähnten Gründen und wegen<br />

anderer hoher Staatszwecke, die Reichsstandschaft erst nach Anfang<br />

des neuen Kalenderjahres einberufen werden konnte, das<br />

Verwaltungsjahr aber schon vorher seinen Anfang am 23. September<br />

genommen hatte, folglich die Etats schon früher gemacht werden<br />

mußten, wobei man beliebter Kürze wegen, die vorjährigen<br />

Rechnungen zu Grunde gelegt hatte, so konnte für diesmal keine<br />

Abänderung hierinn mehr Statt finden, wovon sich [10] auch die<br />

gnädige Reichsstandschaft allerunterthänigst überzeugte.<br />

Dagegen wurden für das nächstfolgende 1821/22 Jahr folgende<br />

Bestimmungen getroffen:<br />

In Erwägung, daß aus vielfältigen bei der gnädigen<br />

Standschaftsversammlung eingekommenen Beschwerden und nach<br />

reiflicher Berathung mit dem allerhöchsten Souverainitätsräthen, das<br />

Mißverhältniß nicht verkannt werden kann, welches bei Regulirung<br />

der Gewerbssteuern dadurch entstanden, daß der Nahrungsstand der<br />

armen Landmeister nicht gehörig beachtet wurde, welcher nur zum<br />

geringsten Theile in ihrem Gewerbe, größtentheils aber im<br />

Taglöhnerverdienst bestehe, wogegen die Herren Stadtmeister sich<br />

durch ihre Lehrbuben und Gesellen weit reichlicher und bequemer<br />

nährten; und in fernerer Erwägung, daß eine solche Ungleichheit dem<br />

Geiste der neuen Steuerperäquationscataster und dem reinen


arithmetischen Mittelwerthsberechnungen nicht entspreche, seyen zur<br />

interimistischen Beseitigung dieses Mangels und bis zur definitiven<br />

Regulierung dieses Zweiges des Steuer-Intermistiums, die<br />

Steuersimpla der Mei[11]ster auf dem platten Lande und in den<br />

kleinern Städten um 1 ½ Procent herunterzusetzen, in den größern<br />

Städten aber um 98 ½ Procent zu erhöhen, und zwar solle diese<br />

Bestimmung, modo consueto, schon für das verfloßne Jahr<br />

rückwirkende Kraft haben, damit der Umstand, daß man diesen<br />

Mangel der Besteuerungsgesetzgebung, im Drange wichtiger<br />

Geschäfte im vorigen Jahre übersehen habe, Seiner legitimen<br />

souverainen Majestät geliebten Unterthanen auf keine Weise zum<br />

Nachtheil gereiche.<br />

Was hierdurch bei bereits regulirten Etat sich an Einnahme mehr<br />

ergäbe, sollte unter dem Titel ad extraordinaria verwendet und gehörig<br />

mit in Ausgabe gebracht werden. Nachträglich wurde noch bestimmt,<br />

daß unter größeren Städten diejenigen zu verstehen seyen, welche ihre<br />

Größe selbst durch die Wahl eines Magistrats erster order zweiter<br />

Klasse anerkannt und ausgesprochen haben, folglich dagegen auch<br />

keine Remonstration, Reclamation oder sonst eine Vorstellung<br />

vorbringen zu dürfen, reichsgrundgesetzmäßig im voraus beschieden<br />

würden.<br />

Bey den nächsten Sitzungen folgten die Vorträge, welche die<br />

legitimen Souverainitätsredner auf [12] allerhöchsten Befehl zu halten<br />

hatten, und woraus ich nun den wesentlichen Innhalt kürzlich berichte.<br />

Es sey mißfällig bemerkt worden, daß diejenigen Glieder der<br />

ehrenwerthen Standschaft, welche im vorigen Jahre auf sich<br />

genommen hätten, die fliehende Glückskugel aufzufinden, in ihrem an<br />

sich lobenswerthen Vorhaben theils zu weit gegangen, theils mit<br />

allzugroßem Eifer vorgeschritten seyen.<br />

Auf der einen Seite sey es natürlich vorgekommen, daß ein<br />

ehrenwerthes Glied nach Ablauf seines Reisepasses die Reise<br />

verbotswidrig fortgesetzt habe, auf der andern sey bedauernd ersehen<br />

worden, daß die Verschiedenheit der Uhren zwischen einem<br />

Reisenden, und der Grenzmauth und Polizeybehörde, zu solchen


heftigen Differenzen Veranlassung gegeben habe, daß daraus ein<br />

allgemeiner eclat entstanden und für die Zukunft ein noch größerer zu<br />

befürchten sey.<br />

Zur Vermeidung dieser Collisionen sey es nothwendig, daß künftighin<br />

a) jedes in dieser Art reisende Standschafts-Glied, von einem<br />

Souverainitäts-Polizey-Commissarius begleitet, und zur<br />

rechten Zeit an die Rückkehr erinnert werde,<br />

b) daß an alle Mauth- und Polizeybehörden sowohl, als die<br />

reisenden Standschaftsglieder englische Schiffsuhren vertheilt<br />

werden, als welche in sich die Eigenschaft der möglichsten<br />

Genauigkeit und Uibereinstimmung vereinigten,<br />

c) daß, im Falle wider Vermuthen, doch eine kleine Differenz<br />

zwischen diesen Uhren statt fände, die auf dem<br />

Souverainitäts-Mauth- oder Polizeyamt befindliche zur<br />

entscheidenden Norm dienen solle, weil überhaupt alles der<br />

ruhenden legitimen Souverainität Angehörige, den<br />

unbezweifelten Vorzug verdiene.<br />

Da jedoch diese Uhren sehr theuer seyen, und bisher zu deren<br />

Verfertigung in Deutschland keine Aussicht vorhanden wäre, so viel<br />

man auch auf dem großen blauen Ocean herumgeschifft und<br />

herumgefischt habe, so solle die Zeppel'sche Kunsthandlung<br />

beauftragt werden, gegen Uiberlassung der bereits accordirten<br />

mäßigen Summe von 2 769 511 Gulden 38 ¾ rhn. die nöthige Anzahl<br />

Uhren herbeizuschaffen, bis zu deren Vertheilung die Reisen der<br />

ehrenwerthen Stand[14]schafts-Glieder wohlmeinend ausgesetzt<br />

bleiben müßten. Zur Deckung dieses auf das künftige Gemeinwohl<br />

eben so einflußreichen als in sich selbst unbedeutenden Aufwands<br />

möchte ein Steuerbeyschlag nach den üblichen Normen das<br />

zweckmäßigste scheinen, von dessen Nothwendigkeit die ehrenwerthe<br />

Versammlung sich überzeugen werde.<br />

Mit überwiegender Stimmenmehrheit von 9/11 gegen 2/11 wurde der<br />

Vorschlag angenommen und beschlossen, daß eine in Ausdrücken des<br />

gerührten Herzens abgefaßte Dankadresse an Seine legitime<br />

Souverainität deshalb überreicht werden solle.


Da von Seiten der Staats- und Souverainitäts-Redner nichts weiter<br />

vorgebracht wurde, so machten in der nächsten Sitzung, welche<br />

vorläufig ohne bestimmten Zweck anberaumt war, die vier Standes-<br />

Glieder, welche im vorigen Jahre die ritterliche Reise übernommen<br />

hatten, den Vorschlag, ob nicht ein Reisebericht zweckdienlich<br />

erachtet, und beliebt werden wolle, einige Rathschläge für die Zukunft<br />

zu pflegen.<br />

Die Souveraintitäts-Commissarien, über diesen Gegenstand nicht mit<br />

Vollmacht versehen, erhielten [15] auf allerunthänigste Anfrage den<br />

allergnädigsten Bescheid, daß man hierin nicht nur unbedenklich<br />

vorschreiten könne, sondern daß man zweckdienliche Vorschläge<br />

hierüber, um so lieber mit Wohlgefallen vernehmen werde, als<br />

vorläufig das Reisen ohnedies ausgesetzt bleibe, und bis zu jenem<br />

Zeitpunkt wo es wieder seinen Anfang nähme, alle Wünsche mit<br />

Sorgfalt geprüft werden könnten. Nur mache man hiebei zur<br />

Bedingung, daß die bei allen Dingen schädliche und gefährliche<br />

niemals aber im geringsten nützliche Publicität gänzlich vermieden<br />

und nach jeder Sitzung unverweilt Relation erstattet werde. Herr<br />

Wahrmund, welcher auf der gegen Sonnenaufgang führenden<br />

Heerstraße gereißt war, trug diesem zu Folge vor:<br />

Die Heerstraße sey unverkennbar eine im besten und lobenswerthen<br />

Zustand befindliche ziemlich gerade und gebahnte Straße, inzwischen<br />

aber von einer unübersehbaren Breite, so ohngefähr wie die obere<br />

Brücke zu Hof, auf welcher drei Reuter, welche in der Mitte, und an<br />

beyden Enden stehen, einander nicht sehen können.<br />

Die Leute, welche ihm auf dieser Straße be[16]gegneten, hätten sich<br />

vor denen, welche er früher auf andern Reisen angetroffen, zum Theil<br />

durch Kenntnisse und guten Willen, vorzüglich aber durch eine<br />

Rechtlichkeit ausgezeichnet, welche die Aufopferungen, von so vielen<br />

willig dargebracht, nicht gleichgültig und hartherzig verachtet. Er sey<br />

jedoch nicht im Stande gewesen, über den Lauf der Glückskugel<br />

vollständige und befriedigende Auskunft zu erhalten. Wegen der<br />

großen Breite der Straße habe er sich deshalb entschlossen, um nichts<br />

zu übersehen, dieselbe von einem Chausseegraben zum andern in


sphärischen Linien zu durchschneiden, einen Lauf, den man der an<br />

sich etwas hochsphärischen Anlage dieser Straße gewiß am<br />

angemessensten finden würde; inzwischen habe er bald gemerkt, daß<br />

er auf diese Weise von der wahren Heerstraße ab, und auf einen<br />

wiewohl ziemlich gebahnten Nebenweg gerathen sey, welcher in die<br />

Königlichen Privat- und Lustgärten führe. Hierdurch habe er den<br />

großen Theil der köstlichen Reisezeit verlohren, und sich ausser Stand<br />

gesetzt, den Zweck seiner Reise zu erreichen. Er rathe daher, um<br />

ähnlichen Abweichungen vom Hauptwege für die Zukunft<br />

vorzubeugen, alle ableitenden Nebenwege mit Schlag[17]bäumen zu<br />

versehen. Uiberdieß sey man allgemein der Meinung, daß zur Zeit<br />

einer allgemeinen Völkerwanderung auch diese Straße noch immer<br />

viel zu schmal, bey gewöhnlicher Zeit aber um wenigstens 2/3 zu breit<br />

sey, weshalb er unzielsetzlich den Rath beyfüge, zur Ersparung der<br />

großen Unterhaltungskosten dieselbe möglichst zu reduziren.<br />

Herr Freymann, welcher auf dem, in der verzehrenden<br />

Mittagsglutlinie laufenden neuen Weg, seine Reise-Abentheuer<br />

bestanden hatte, referirte ohngefähr folgendes:<br />

Kaum sey er eine kurze Strecke auf dieser Straße fortgegangen, als<br />

sich dieselbe in eine zahllose Menge durch einander laufenden<br />

Weglein auflößte, von welchen vorzüglich die 365<br />

Organisationsweglein bemerkbar seyen. Diese wären so labyrinthisch<br />

in einander geschlungen, daß er sich nicht getraute, ohne Ariadnens<br />

Faden in dieselben weiter hineinzugehen, als er zurückzuschauen<br />

vermochte. Daher könne er hierüber weiter nichts sagen, als daß viele<br />

Arbeiter an diesen Wegen arbeiteten; damit jedoch nach seiner<br />

Meinung schwerlich fertig werden dürften, weil ein Theil derselben<br />

das Pflaster, welches der andere ge[18]macht habe, immer wieder<br />

aufreise [sic], und den Weg zu einem englischen Rasenplatz<br />

umzuformen suche, während wenige Schritte darnach, ehe nur noch<br />

ein Hälmlein Gras auf demselben gewachsen sey, wieder andere<br />

anfangen, den Platz mit Sand zu überschütten.<br />

Auf diese Weise fänden die Herren Weg- und Werkmeister freylich<br />

Gelegenheit eine Menge Vettern, Gevattern und Freunde in<br />

Beschäftigung und Nahrung zu setzen, indessen gienge doch, des


allgemeinen Besten wegen, sein unzielsetzlicher Vorschlag dahin, alle<br />

bey diesem Wegbau angestellte Werkleute anders zu verwenden, und<br />

nöthigen Falls zu quiesciren, den ganzen Bau ruhen zu lassen, und mit<br />

der Zeit, statt der künstlichen theoretischen Krümmungen,<br />

Schlingungen und Biegungen, einen, nach einfachen Gesetzen der<br />

Natur gerade aus, und folglich näher zum Ziel führenden Weg<br />

anzulegen, und hierbey sich der Baader'schen Eisenbahn zu bedienen,<br />

um dem ewigen Flickwerk Ziel und Schranken zu setzen, und den<br />

Vorwurf zu vermeiden, es gehe hier wie jenes Bettelmanns Ranze, an<br />

welcher der verflickte Zwirn mehr gekostet hat, als die Ranze, sammt<br />

ihrem ganzen Inhalt werth war.<br />

[19] Herr Deutsch trug vor:<br />

Wenn ich auch nicht so glücklich gewesen bin, den Zweck meiner<br />

Reise ganz zu erreichen, so freue ich mich doch ein günstigeres<br />

Resultat berichten zu können, als meine beyden Herren Collegen.<br />

Sobald ich die schnurstraks zum Untergang führende Luxusstraße *<br />

* via regia.<br />

hatte, ist mir sogleich die fliehende Glückskugel in die Augen, und<br />

dabey ein heftiges Saussen und Braußen, zu Ohren gekommen.<br />

Große Triumphzüge zur Verherrlichung der weltbeglückenden<br />

Anstalten, Feuerwerke, welche in wenig Minuten hunderttausende in<br />

die Luft brannten, Wiener Schlittenfahrten, Schwärme von<br />

Schauspielern und Sängerchören aus allen Zonen, unter Anführung<br />

der mit goldenen Scepter winkenden Madame Catalani, Schaaren mit<br />

Gold überhäufter Günstlinge etc. verursachten dieses entsetzliche<br />

Getöse. Mit unter rauschte eine dichte Nebelwolke daher, welche die<br />

heißen Sonnenstrahlen aus dem Schweise des armen Landvolks<br />

aufgezogen hatten, und ergoß sich, wie durch einen Zauber, links und<br />

rechts an den Galla- und Reisewagen in lauter Ducaten, goldne Uhren,<br />

Taba[20]tieren, Brillantringe, Ordenssterne und Ehrendegen und<br />

dergleichen Renumerations- und Generositäts-Insignien. Mehrmals<br />

war ich daran, die Kugel mit den Händen zu fassen, aber immer


drängte eine Gruppe die andere, und mich mit solcher Heftigkeit auf<br />

die Seite, daß ich zu wiederholtenmalen in Gefahr kam, zu ersticken,<br />

oder unter den Hufen schnaubender Rosse zu erliegen.<br />

Und als ich einmal ganz sanftmüthig um einige Rücksicht bat, erhielt<br />

ich einen Peitschenhieb mit der Aeußerung, solche Hundekerl, welche<br />

nicht einmal einen gestickten Rock trügen, müßten hier auf die Seite<br />

gehen.<br />

Vergebens schützte ich mein repräsentatives Amt vor und excipirte,<br />

daß wer die Stimme der Standschaftsdeputirten nicht achte, auch mit<br />

dem ganzen repräsentirten Lande sein Spiel treibe; vergebens<br />

entwickelte ich aus Vernunftgründen das Wesen, die Rechte und<br />

Pflichten einer Standschaft, man antwortete mir lachend, daß ich den<br />

Unterschied zwischen Vernunft und Wirklichkeit nicht kenne, und<br />

mich je eher je lieber in eine platonische Republik, [21] an den la<br />

Plate Strom, oder zum Teufel scheren solle.<br />

Mit unglaublicher Anstrengung hatte ich mich hier durch gearbeitet<br />

und einige freye Schritte gethan, als ein, dem vorigen ganz ähnliches<br />

Schauspiel von neuem begann.<br />

Waren auch die Gruppen, welche hier einander drängten, kleiner, so<br />

waren sie doch desto zahlreicher und desto lästiger durch die Zeichen<br />

der äussersten Anstrengung, mit welcher die nachfolgenden immer<br />

den vorhergehenden es gleich zu machen suchten, eine Anstrengung,<br />

welche nicht selten gänzliche Gedankenlosigkeit und die<br />

schrecklichsten Convulsionen veranlaßte.<br />

Von hier an war nicht mehr fortzukommen, denn immer dichter und<br />

größer wurde das Gewühle, in welchem, nach standesmäßiger<br />

Abstuffung Gruppe an Gruppe sich fortdrängte.<br />

Athemlos fiel ich am Straßengraben nieder, und kam erst wieder zur<br />

Besinnung, als ein schön gelocktes Frauenzimmer mit ihrem<br />

Shwaltuche [sic] mir Kühlung zufächelte und cöllnisches Wasser<br />

unter die Nase hielt. Mein Fräulein, sagte ich, und ergriff dankend ihre


Hand, aber ehe ich ausreden konnte, [22] unterbrach mich eine<br />

Stimme mit den nicht ganz freundlichen Worten:<br />

"das ist nicht Ihre Fräulein, sondern meine Liesel,<br />

welche beym Herrn Lustbaurath Firlefax, wo ich<br />

als Kutscher stehe, Kindermädchen ist, und heute mit<br />

mir in das Donauweibchen geht."<br />

Beschämt über meinen Irrthum dankte ich für die Beyhülfe und<br />

drängte mich unter die Menge, welche mich nun unaufhaltsam wieder<br />

rückwärts trieb.<br />

Als ich am Eingang der Straße bald wieder anzulangen glaubte,<br />

erblickte ich zu meiner größten Verwunderung meinen Collegen<br />

Herrn Ehrenfest auf mich zukommen. Sie wollten ja, werthgeschätzter<br />

Freund, auf dem Diebssteige reisen, rief ich ihm zu, wie kommen Sie<br />

denn in mein Revier? Ja, erwiederte er, auf dem Diebssteige reise ich<br />

auch, aber Sie haben sich auf meinen Weg verirrt, zu welchem ein<br />

sehr besuchter Gang aus der Luxusstraße herüberführt, worauf eben so<br />

wie Sie, ein großer Theil ihrer zahlreichen Gesellschaft ohne Vorsatz<br />

hierüber kam. Mein Reisekompaß überzeugte mich auch, daß ich<br />

wirklich zu weit nördlich gekommen war.<br />

[23] Da Herr Ehrenfest, in dessen Gesellschaft ich nun zurückkehrte,<br />

das Weitere selbst berichten wird, so bleibt mir nur noch übrig, einige<br />

Vorschläge als Resultat meiner Reise zu machen.<br />

Zum ersten bin ich der Meinung, daß wenn dem kopflosen und<br />

rasenden Gedränge auf dieser Straße nicht Einhalt geschieht, das<br />

fliehende Glück ohnmöglich wieder zurückgebracht werden kann, und<br />

daß es für die nahe Zukunft ohnmöglich ohne Unglück abgehen wird.<br />

Denn so wie unvernünftiger Luxus in den meisten Fällen Ursache des<br />

Selbstmords der Individuen ist, so kann und muß er auch auf<br />

verschiedene Weise zum Selbstmord ganzer Nationen führen. Dieses<br />

lehrt die Geschichte in dem Verfalle und Untergange der alten<br />

persischen und griechischen Staaten und der collosalen<br />

Römerherrschaft, so wie erst neuerlich in dem blutigen Beyspiele der<br />

französischen Revolution. Einiges Nachdenken über die Natur des


Menschen lehrt dasselbe. Was kann auch dem, durch unnatürliche<br />

künstliche Genüsse entarteten Menschen noch theuer seyn, wenn er<br />

endlich die, durch jede Aufopferung erkauften Reizmittel entbehret<br />

und selbst die nothwendigsten Lebensbedürfnisse nicht mehr [24] zu<br />

erlangen vermag? Für ihn ist des Lebens Reiz verlohren, er kennt<br />

nichts anders, als seine unbefriedigten Begierden und des Unmuths<br />

Qualen, die ihn verzehren. Nationen bestehen aus Menschen, und<br />

Wehe dem Volke, dessen Mehrzahl die Qualen unbefriedigter<br />

Bedürfnisse ängsten, wehe, wehe ihm, wenn es die Ursache seiner<br />

Qualen in dem Luxus der Großen findet.<br />

Behängt immerhin ihr unglücklichen Großen des guten Landesvaters<br />

Zimmer mit bunten Gemählden arcadischer Glückseligkeit, entzieht<br />

immerhin seinen Ohren durch des künstlichen Jubels ununterbrochene<br />

Töne jedes Ach, das in der Hütte schallt, verbergt seinem Vaterauge<br />

jede Thräne seiner jammernden Kinder, durch das blendende<br />

Farbenspiel eurer magischen Laternen; der unversöhnlichen Nemesis<br />

Geisel wird euch doch erreichen.<br />

Gott straft die Sünden der Väter bis ins dritte und vierte Glied, aber<br />

denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, thut es wohl, bis ins<br />

tausendste Glied. Habt ihr Sünder wohl jemals den bedeutungsvollen<br />

Sinn dieser Worte überlegt?<br />

[25] Zweitens bin ich überzeugt, daß wenn diesem unsinnigen<br />

Gedränge auf der Luxusstraße Einhalt geschehen soll, dieses nicht<br />

anders bewirkt werden kann, als dadurch, daß diejenigen, welche jetzt<br />

auf derselben die ersten erscheinen, sich zurückziehen, und ihre<br />

Erhohlungs- und Verkörperungsstunden, anstatt auf künstlichen<br />

Chausseen, mehr auf Plätzen zubringen, welche die Natur mit dem<br />

Teppich ihres Immergrüns überzogen hat.<br />

Zwar wollte Herr Christoph von Aretin sich sehr bemühen, der<br />

baierischen Nation und ihren Deputirten glaubend zu machen, daß die<br />

Würde der Völker in dem Glanze ihrer Höfe, der Glanz der Höfe aber<br />

in dem Luxus derselben bestehe, und hat den Wunsch geäußert: daß<br />

von Seiten der Deputirten über den Aufwand des Hofes keine<br />

Nachfrage gehalten werden möchte; weil ich aber nicht weiß, ob an


unserem Hofe, jene bekannte Mäßigung und Sparsamkeit herrscht,<br />

wie an dem Münchener, und vielmehr vermuthe, daß an manchen<br />

Höfen Millionen ohne andern Zweck verschwendet werden, als damit<br />

sich hierbey manche die Beutel spicken können, so muß ich meinen<br />

Vorschlag, daß die Beschränkung [26] des Luxus von oben ausgehen<br />

solle, wiederholen. Denn alle diejenigen, welche dem herrschenden<br />

Luxus fröhnen, gleichen einer Versammlung von Narren, welche auf<br />

eine hohe Leiter steigen, auf welcher immer der letzte die Sprosse<br />

seines Vormanns zu erklettern sich anstrengt. Stürzt der oberste vom<br />

Gipfel sich unbesonnen in den Abgrund, so folgen blindlings die<br />

andern nach, hat er aber noch einige Besinnungskraft, und kehrt zur<br />

rechten Zeit um, so rettet er sich, seine Nebenmänner und Nachfolger.<br />

Leset die Geschichte von den Patriarchen, das Buch der Richter, die<br />

Schriften Salomons und die Geschichte vom Luxus des Tempelbaues,<br />

leset die Geschichte von Rehabeam*, welcher mit Geiseln und<br />

Scorpionen das Volk züchtigte, und ihr habt die Geschichte aller<br />

Regierungen, ihr habt den Zeitpunct, wo die Völker abtrünnig werden,<br />

oder die Fürsten **<br />

* Das andere Buch der Chronika Capitel 10.<br />

** Heut zu Tage vielmehr ihre Gehülfen, denn die Regierungs-<br />

Verhältnisse sind auf eine so künstliche Höhe gestiegen, daß nicht<br />

mehr die Fürsten, sondern ihre Adjunkten regieren.<br />

sich bekehren müssen. Propheten giebt es zu allen Zeiten, und Daniel<br />

in der Löwengrube ist das [27] Idol des siegenden Märtyrers der<br />

Wahrheit, welcher endlich feststeht, nachdem viele geblutet haben.<br />

Habt ihr Theologen und Exegeten jemals diesen Sinn der hebräischen<br />

Buchstaben erforscht, warum predigt ihr ihn nicht in Hofkirchen und<br />

Schloß-Kapellen?<br />

Lest ihr Schulmänner und ihr der höhern Weisheit entgegen strebende<br />

Jünglinge nochmals in eurem Homer, wie die Fürsten jener Zeit statt<br />

des heutigen, von Edelstein blinkenden Scepters, den Knotenstock<br />

führten, leset im neuen Testament, wie die Könige des Morgenlandes,


ohne Leibgarde und Galla-Wagen herbeykamen, ihre Geschenke<br />

selbst zu bringen, ohne daß sie davon Mauth und Aufschlag zahlen<br />

mußten, wie Kaiser Alexander von seinem nach Achen bezognen<br />

Wein - leset, und wenn ihr dann den göttlichen Gedanken nicht erfaßt,<br />

welcher Jahn mit seinen Turnwesen, welcher die Wartburg-<br />

Versammlung in ihrer Deutschheit hervorrief, so klagt es dem<br />

Allmächtigen, daß er euch auf die Stufenleiter zwischen Menschheit<br />

und Thierheit gestellt und andere so weit erhoben hat, um Menschen<br />

mit Engel zu verbinden.<br />

[28] Ihr aber, Auserwählte! befestiget unverlöschbar in euch die<br />

Wahrheit, daß Einfachheit und Unschuld der Sitten der Polarstern und<br />

Magnet sind, welche das verschlagene Schiff der entarteten<br />

Menschheit retten, und aus den Klippen des Canals zwischen<br />

grenzgetrennten Brüdern befreyen und auf den stillen Ocean der<br />

Deutschheit und Kosmopolitik hinüberführen können.<br />

Bey dem Schlusse dieser Rede wurde die Zeit zum Nachdenken und<br />

zur Selbstprüfung, nehmlich der allgemeine Bus- und Bettag<br />

eingeläutet, welche nach weiser Anordnung der geistlichen Obern für<br />

diesen Zeitpunkt angeordnet, und auf eine dreitägige Dauer bestimmt<br />

war.<br />

In der nächsten Sitzung bestieg Herr Ehrenfest die Rednertribüne und<br />

spann den abgerissenen Faden also an:<br />

Mein ehrenwerther Kollege, Herr Deutsch, hat vor Eintritt des Festes<br />

aller Bekehrung und Besserung Bericht abgestattet, über seine Reise<br />

auf der Luxusstraße, und erwähnt, durch welche Veranlassung er auf<br />

den von mir besuchten und untersuchten [29] Weg, Diebssteig<br />

genannt, herüber gekommen ist. Mich wundert wirklich, daß meine<br />

beyden andern Reisecollegen Herr Wahrmund und Herr Freymann<br />

von den Nebenwegen keine so deutliche Erwähnung gethan haben,<br />

welche die Heerstraße und den neuen Weg mit dem Diebssteig in<br />

Verbindung setzen, wie dieses von Herrn Deutsch rücksichtlich der<br />

Luxusstraße geschehen ist.


Zwar will ich in Uiberzeugung ihrer weisen und wohlmeinenden<br />

Absichten, nicht weiter ausführen, was dieselben nur angedeutet<br />

haben, aber doch kann ich im Allgemeinen nicht unbemerkt lassen,<br />

daß der von mir bereißte Diebssteig mit sämtlichen Hauptwegen in<br />

Verbindung steht.<br />

In das Dunkel ihrer mitternächtlichen Richtung gehüllt, theilt diese<br />

Straße sich eben so, wie der neue Weg in unzählige Verzweigungen.<br />

Die vorzüglichsten derselben sind offenkundig durch Zeigetafeln am<br />

Eingang, mit Frakturschrift genannt und heißen [von nun an gesperrt]<br />

Lotterie-, Kriegs- und Frieden-Lieferungs-Accorde,<br />

Domainenverkäufe, Stiftungsadministration,<br />

Stiftungsversilberungscommission, Zoll- und Mauth-[30]strasssen,<br />

Adelsmatrikel, Münzpacht, Staatsanleihe etc. [Ende gesperrt]<br />

Einige derselben sind gegenwärtig mit ausgesteckten Wischen, als<br />

verbotene Wege bezeichnet, andere haben den Rang öffentlicher<br />

Landstraßen.<br />

Diejenigen, welche auf diesen Wegen wandeln, gehen still und stumm<br />

an einander vorüber, und grüssen einander blos durch Kopfnicken,<br />

woraus man schließen kann, daß diese Herren einander kennen und<br />

verstehen. Uibrigens sehen sie dreist und unbefangen aus, und nur<br />

einige tragen Ordens-Decorationen als Halbmasken vor dem Gesicht.<br />

Ob die Ursache dieser Sorglosigkeit in natürlicher Keckheit, in langer<br />

Gewohnheit oder in dem Glauben liege, daß sie in diesem<br />

mitternächtlichen Dunkel nicht kennbar sey, ist noch nicht<br />

ausgemittelt.<br />

Ein Erinnerungszettelchen, welches ein vorübergehender Jude aus<br />

seiner Dose fallen ließ, giebt einigen Aufschluß über die<br />

Manipulationsweise. Es ist ein Billet folgenden Innhalts, ohne<br />

Unterschrift:<br />

Durch die verabredete Operation sind die bewußten<br />

Staatspapiere um 14 Procent gefallen, [31] suchen Sie nun<br />

schleunig aufzukaufen; das Mittel, sie wieder in die Höhe zu


ingen, kann nicht fehlen. Ihr Plänchen, den Bedarf an Haber<br />

von der äußersten Grenze nach X liefern zu lassen, und die<br />

Fracht Ihnen als Admodiateur zu übergeben, hat meinen Beyfall,<br />

weil diese auf jeden Fall doppelt soviel beträgt, als der Preiß des<br />

Habers zu X, welchen wir dort ankaufen, und die Fracht<br />

profitiren.<br />

Ich lege das Original hiermit vor, damit vielleicht aus dem Siegel, von<br />

welchem freylich nur noch der offene Helm sichtbar ist, oder aus der<br />

Handschrift, der Verfasser erkannt werde.<br />

Um mehrere specielle Entdeckungen zu machen, war die Zeit meiner<br />

Reise zu kurz und die Zahl der Wege zu groß, als daß ich alle<br />

durchwandern konnte; auf den Grund der wenigen Erfahrungen aber<br />

und meines Nachdenkens hierüber, erlaube ich mir folgende<br />

Vorschläge und Wünsche zu äussern:<br />

erstlich, daß ein größerer Theil meiner Herren Mitdeputirten<br />

sich zum Reisen überhaupt entschließen, und insbesondere dem<br />

Diebssteig seine Aufmerksamkeit schenken möchte,<br />

[32]zweitens, daß mit Nachdruck dahin gewirkt werde, daß<br />

dieser Hauptweg ganz eingehe,<br />

drittens, daß das einzige Mittel hierzu in der Publicität zu<br />

suchen, und dieselbe auch das diesem Grunde kräftigst vertreten<br />

und um jeden Preiß herbeygeführet werden müsse.<br />

Diese Vorschläge erhielten den einstimmigen Beyfall der sämmtlichen<br />

Standschaftsglieder.<br />

Insbesondere nahm Herr Ehrenberg vom letzten Punct Veranlassung<br />

einige Worte über Preßfreiheit zu sprechen.<br />

Die Geschichte, sagte er unter andern, lehret nicht ein Beyspiel, daß<br />

unbedingte Preßfreiheit nachtheilige Folgen für öffentliche Wohlfahrt<br />

gehabt hätte.


In England ist es erlaubt, über alles frey zu sprechen, und Kaiser<br />

Joseph, der weise Joseph, erklärte öffentlich, daß es erlaubt sey, selbst<br />

über seine Person Bemerkungen zu machen. Nur im Dunkel schleicht<br />

die Lüge und Verläumdung, die öffentliche Meinung läßt sich nicht<br />

täuschen, und wirft Verachtung und Schande auf den zurück, der<br />

boshaft die Wahrheit verletzt, oder berichtiget den Irrthum, aber sie<br />

dul[33]det nicht, daß ein Unschuldiger leide. Gleiche Grundsätze, wie<br />

Joseph, bethätigte Friedrich der Große, wohl wissend, daß die<br />

öffentliche Meinung nicht mit der Zunge gebunden werden könne.<br />

Der Nimbus, welchen man in den Zeiten roher Gewalt um die Kronen<br />

zu verbreiten für nöthig hielt, ist längst verschwunden.<br />

Gedungene Panegyristen so wenig, als die, Eingangs von hundert<br />

Verordnungen, wiederholten Versicherungen landesväterlicher Liebe,<br />

sind im Stande, das Urtheil einer Nation für die Dauer zu bestechen,<br />

welches wie die Geschichte ewig und wahr richtet.<br />

Es fodert aber die Humanität nichts übermenschliches von den Fürsten<br />

und begnügt sich mit dem guten Willen des Regenten, selbst wenn<br />

ihm übrigens alle Tugenden des Herrschers fehlen. Welche<br />

Beweggründe feindseeliger Absichten gegen das Oberhaupt eines<br />

Staates könnten auch vorhanden seyn, ohne böse, der allgemeinen<br />

Wohlfarth schädliche, Eigenschaften vorauszusetzen.<br />

Der Kampf der Freiheit gegen den Despotismus ist nicht gegen die<br />

Fürsten gerichtet, nein, es ist der Kampf der Staatsbürger gegen die,<br />

ihnen [34] und den Fürsten gleich feindseelige Usurpation der<br />

Staatsdiener.<br />

Frey ist der Gedanke und frey das Wort, es sey gesprochen,<br />

geschrieben oder gedruckt, verantwortlich aber der, welcher es<br />

mißbraucht.<br />

Unabhängig von allen Einflüssen der Regierungen, freygewählt von<br />

den Ständen, müssen die Censoren seyn, welche in dritter und letzter<br />

Instanz richten, über Vergehen durch die Presse; in erster und zweiter<br />

Instanz möge der ordentliche Richter entscheiden.


Nur die Repräsentanten eines Volks, welche eben so aufrichtig, wie<br />

der Regent selbst, für des Volkes Wohl sorgen, mit diesem Streben<br />

aber alle die hierzu nöthigen Kenntnisse verbinden, welche nur durch<br />

unmittelbare Berührung mit dem bürgerlichen Leben gewonnen<br />

werden, und daher den Fürsten und ihren Räthen fehlen, nur solche<br />

Repräsentanten können überall beurtheilen, was dem Gemeinwohl<br />

förderlich oder nachtheilig ist. Hierinn liegt, im Vorbeygehen gesagt,<br />

zugleich ein Grund der Wahrheit, daß überhaupt alle Gesetzgebung<br />

nur vom Volke aus[35]gehen kann; worüber ich mich bey einer<br />

andern Gelegenheit verbreiten werde.<br />

Diese Rede bewirkte nach einigen Debatten den Entschluß der<br />

sämmtlichen Deputirten, einen hierauf gegründeten Gesetz-Entwurf<br />

der Regierung vorzulegen.<br />

In der nächsten Sitzung wurden von einem Souveränitätsredner noch<br />

einige und andere Gegenstände zum Vortrag gebracht.<br />

Hochachtbare Versammlung: hub derselbe an, obwohl die<br />

vorzüglichsten Gegenstände Ihrer Zusammenkunft bereits erledigt<br />

sind, so gestattet doch die noch übrige Zeit der gesetzlichen Dauer<br />

derselben, noch einige Sachen von geringerem Belange zur Sprache<br />

zu bringen.<br />

Zum ersten ist bisher in allen Besteuerungs-Systemen als unheilbarer<br />

Mangel bemerkt worden, daß die Capitalisten, aus Mangel an<br />

Controlle, im Verhältnisse zu den Grund-Eigenthümern, allzuleicht<br />

durchschlüpfen. Unsere vorzüglichsten Finanzmänner haben daher,<br />

mit Beyziehung des weitberühmten Herrn Malchus und mit<br />

Anstrengung alles möglichen Scharfsinns Rath gehalten, und sind so<br />

glücklich gewesen, ein Mittel aufzufinden, wodurch dieser<br />

schmerz[36]lich empfundenen Ungleichheit in der Besteuerung<br />

abgeholfen, und ohne die geringste Beschwerde der<br />

Grundeigenthümer eine reichhaltige Quelle zur allmähligen<br />

Abtragung der Zinnsen unserer Landesschulden eröffnet wird.


Es kommt nemlich vor allem darauf an, einen sichern Weg<br />

aufzufinden, auf welchem mit Gewißheit, eine Uibersicht sämmtlicher<br />

Kapitale erlangt werden kann. Dieser Weg aber ist gefunden, und<br />

sobald das neue, hierauf begründete Papier in Ausführung gebracht<br />

ist, nicht nur eine sichere jährliche Einnahme gewonnen, sondern man<br />

weiß auch, wohin man sich im Nothfalle, bey gezwungenen Anleihen<br />

etc. zu wenden hat.<br />

Wird man nemlich allen Kapitalisten auflegen, ihr rentirendes baares<br />

Vermögen zu gestehen, bey Vermeidung des Nachtheils, daß alle<br />

verschwiegene Kapitale von dem Schuldner durch Abtragung der<br />

Hälfte an die Staatskasse getilgt werden können, so ist mit<br />

Bestimmtheit anzunehmen, daß eine der absoluten Richtigkeit<br />

möglichst approximative Liquidation statt finden werde.<br />

[37] Sie sehen von selbst, meine hochzuverehrenden Herren, daß die<br />

Beweisgründe für die Richtigkeit dieser Finanzoperation lediglich<br />

psychologische sind, und in der richtigen Erkenntniß der<br />

Verdorbenheit des Menschengeschlechts liegen. Ich glaube daher von<br />

Ihrer Seite die Einwendung, daß eine solche Finanzoperation zur<br />

Demoralisirung der Staatsbürger beytrage, im Voraus beseitiget zu<br />

haben, weil diese schon vorhanden, ein Bischen mehr oder weniger<br />

aber doch von keiner Bedeutung ist.<br />

Hierdurch wird zugleich dargethan, wie lächerlich das unaufhörlich<br />

von allen Seiten erschallende Geschrey ist, daß die hohen Mauthen,<br />

indem sie zum Schwärzen Veranlassung geben, das Volk<br />

demoralisirten. Ein Bischen mehr oder weniger ich wiederhole es<br />

noch einmal, ist hier einerley und wir brauchen keine moralische<br />

Menschen, sondern Geld.<br />

Doch ich muß wieder auf die Hauptsache zurückkommen.<br />

Vorausgesetzt also, daß ein Liquidation der Kapitale das erwünschte<br />

Resultat giebt, wird folgender Steuerfuß angenommen:<br />

Kapitalisten unter 10 000 Gulden bezahlen [38] 1/3 der Zinsen, Leute,<br />

welche bis 20 000 Gulden besitzen 7/18 und die, deren baares


Vermögen diese Summe übersteigt, die Hälfte der Interessen als<br />

Steuer.<br />

Man sieht leicht, daß hierbey auf einen ordentlichen Nahrungsstand<br />

der Kapitalisten Rücksicht genommen wurde, indem die weniger<br />

Bemittelten gegen die Reichen begünstiget sind, ein Verhältniß, das<br />

bey den Grundeigenthümern nicht statt findet. Damit aber diejenigen,<br />

welche ihr Geld nur zu geringen Zinsen von 4 und 5 Prozent angelegt<br />

haben, sich auf keine Weise über Beeinträchtigung ihres<br />

Nahrungsstandes zu beklagen, und zu, in unsern Zeiten so sehr<br />

überhandnehmenden Reclamationen Veranlassung finden mögen, soll<br />

der Zinsfuß allgemein auf 10 Prozent erhöht werden, mit Ausnahme<br />

jedoch,<br />

a) der aus dem Schuldentilgungsfond zu bezahlenden Zinsen,<br />

welche der bequemern Abtragung, und hauptsächlich höherer<br />

Staatszwecke wegen, auf 2 ½ resp. 3 und 3 ½ Prozent<br />

festgesetzt würden,<br />

b) der Zinsen für das von Juden zu borgende Geld, welches,<br />

Kraft observanzmäßig und durch ungeschriebenes Recht<br />

statuirten Privilegiums, inclusive Rabbat und Provision, mit<br />

15 Prozent verzinst werden dürfe.<br />

So wie nun auf diese Weise durch eine einfache Steuer-Manipulation<br />

für Abtragung der Zinsen gesorgt wird, so muß auch,<br />

zweitens auf allmählige Verringerung der drückenden<br />

Staatsschuld selbst Bedacht genommen werden.<br />

Die Finanzdeliberationscommitté hat deshalb folgende Vorschläge<br />

gemacht, und hoffet mit mir, daß die gnädige Standschaft die Weisheit<br />

und Wohlthätigkeit derselben nicht verkennen werde.<br />

Schon längst ist nemlich beschlossen, fortschreitend mit dem Geiste<br />

der Zeit, welchem das alte Feudalwesen unvereinbar ist, alle<br />

Lehengüter zum Nutzen der Eigenthümer in freies Eigenthum zu<br />

verwandeln. Es ist evident, wie sehr hierdurch der Werth dieses<br />

Grundeigenthums steigen muß, und gereicht also zum eigenen Besten


der Unterthanen, wenn dieselben durch executive Maasregeln hierzu<br />

gezwungen werden. Für diejenigen Unterthanen, welche das baare<br />

Abfindungskapital nicht aufbringen können, [40] wird Verwandlung<br />

desselben, in jährlichen Grundzinß nachgelassen. Hierdurch gewinnt<br />

der Staat, statt einer unbestimmten Einnahme, eine jährliche<br />

bestimmte, was an sich schon von großem Gewinn ist. Um aber den<br />

nächsten Zweck, Tilgung der Staatsschulden hierbey desto leichter zu<br />

erreichen, hat man zweckmäßig erachtet, denjenigen, welche baare<br />

Zahlung des Abfindungscapitals leisten, 1/3 desselben zu erlassen. Es<br />

entgeht nicht, daß auch hier die oben berührte Erhöhung des Zinsfußes<br />

von dem wohlthätigsten Einfluß ist, indem bey der hierdurch erhöhten<br />

Geneigtheit der Kapitalisten, ihr Geld auf Zinsen auszubringen, die<br />

Erlangung von Anleihen für diejenigen begünstigt wird, welche die<br />

Abfindungskapitale aus eigenen Mitteln nicht bestreiten können.<br />

Ausser diesem directen Zwecke hat die projectirte Operation noch<br />

folgende, für die Erreichung des Staatszwecks ausserordentlich<br />

heilsame indirecte Wirkung, daß mit dem erhöhten Werthe, der in<br />

freies Eigenthum verwandelten Lehen-Güter, und dem hierdruch<br />

bedingten höhern Ertrage derselben, zugleich [41] die Möglichkeit<br />

einer höhern Besteuerung des Grundeigenthums herbeygeführt wird.<br />

So wie aber die Erreichung des Staatszwecks von einer rechtzeitigen<br />

Erhebung der Staatsgefälle wesentlich abhängt, so muß durch<br />

Vermehrung der Staatsgefälle die Erreichung des Staatszwecks<br />

erleichtert und befördert werden.<br />

Der Staatszweck aber ist, außer den höhern Vorzwecken, nebenbey<br />

auch das Wohl der Unterthanen, welches gewiß niemand<br />

widersprechen wird, und folglich wird durch Erhöhung der<br />

Staatsgefälle auch das Wohl der Unterthanen erhöht.<br />

Ich sehe, meine Herren, in den Augen mehrerer von Ihnen Thränen;<br />

was können sie anders seyn, als Freudenthränen, mit welchen Sie den<br />

wohlthätigen Absichten der Regierung und der scharfsinnigen<br />

Männer, welche mit rastlosem Eifer sich dafür bemühen, das<br />

unzweydeutigste Anerkenntniß zollen und das schönste Denkmal<br />

setzen, welches einem edlen Herzen jemals theuer war?


Uiberflüssig ist es daher noch etwas hinzuzusetzen, und ich kann zum<br />

dritten und lezten Puncte meines Vortrags über[42]gehen<br />

welcher von Ihnen um so mehr zu Herzen genommen<br />

werden wird, als derselbe die heilige Religion betrifft.<br />

Allbekannt ist das vortreffliche Concordat, mit welchem Seine<br />

apostolische Heiligkeit zu Rom unsern Staat beglückt hat,<br />

vorzugsweise vor andern Staaten, welche bisher vergeblich hiernach<br />

seufzen.<br />

Diese ausgezeichnete Gnade verdient von unserer Seite gewiß den<br />

aufrichtigsten und wärmsten Dank. Wie könnten wir aber diesen<br />

unzweydeutiger und auf eine, für Seine apostolische Heiligkeit<br />

angenehmere Weise, an den Tag legen, als dadurch, daß wir uns als<br />

warme Verehrer des alleinseligmachenden Glaubens, als getreue<br />

Schafe unseres Hirten beweisen?<br />

Hierinn allein kann das mit christlicher Liebe erfüllte Herz Seiner<br />

apostolischen Heiligkeit den süssesten Lohn seiner Absichten finden.<br />

In diesem Zwecke soll alljährlich eine Gesandschaft, bestehend aus<br />

einigen Gliedern des legitim-souverainen Hauses und ihrem Hofstaate,<br />

sammt eilf Gliedern der Standschaft, (zur heiligen Erinnerung an die<br />

elf getreuen Jünger) nach Rom ge[43]sandt werden, um Seiner<br />

apostolischen Heiligkeit zum Beweise der Rechtgläubigkeit des<br />

Volks, in Demuth den Pantoffel zu küssen.<br />

Damit aber Seine apostolische Heiligkeit, welche ausser den<br />

geringfügigen baaren Sümmchen, die für Dispensationen,<br />

Indulgenzen, Annalen u. s. w. Höchstdenselben von uns zufließen, auf<br />

jede mögliche Weise zur Anerkennung unserer grenzenlosen<br />

Dankbarkeit bewogen werde, scheint es nothwendig, das unschätzbare<br />

Geschenk himmlischer Güter soviel als möglich zu erwiedern. In<br />

unsern Kräften aber stehen nur irdische Güter, deshalb müssen wir<br />

Seine apostolische Heiligkeit recht sehr bitten, alljährlich mit ein Paar<br />

neuen Pantoffeln von Gold vorlieb zu nehmen, welche mit einigen


Edelgesteinen gezierte Inschriften und die Jahreszahl enthalten sollen,<br />

zum ewigen Andenken, an die reine Erkenntniß unseres Zeitalters der<br />

Aufklärung. Der Werth dieses kleinen Jahrgeschenks soll indessen, so<br />

lange, bis unser Finanzwesen wieder ganz in Ordnung kommt, eine<br />

Million nicht übersteigen.<br />

Jemehr wir nun die hereinbrechende Geldnoth fühlen, desto brünstiger<br />

werden auch die Gesandten [44] die theuersten und heiligsten<br />

Pantoffel küssen, desto mehr wird die Nation, im Abglanz der<br />

himmlischen Herrlichkeit von den vergänglichen irdischen Gütern<br />

abgezogen werden, und sich zu höhern Betrachtungen hinneigen.<br />

Ausserdem haben Seine apostolische Heiligkeit beyfälligst zu<br />

erkennen gegeben, daß Höchstdieselben die milde Vorsorge nicht<br />

unbekannt geblieben sey, mit welcher die hohe Geistlichkeit sowohl,<br />

als die neuen Klosterorden zur Unterstützung der Armuth rühmlichst<br />

mitgewirkt haben. Seine apostolische Heiligkeit bedauerten nur mit<br />

innigstem Schmerze, daß die politischen Unruhen nicht erlaubten, das<br />

heilbringende Concordat um einige Jahre früher abzuschließen, indem<br />

die Qualen des Hungerjahres 1816 gewiß nicht hereingebrochen<br />

wären, wenn dortmals schon, statt der Rumford'schen Suppe, die mit<br />

dem geistlichen Segen geweihten Klostersuppen hätten ausgetheilt<br />

werden können, welche gegenwärtig so reichlich die Armuth nähren.<br />

Seine Heiligkeit ließen hierbey ganz entfernt den Wunsch blicken, daß<br />

die hohe Geistlichkeit, vorzüglich aber die Dom- und Kloster-Herren,<br />

welche [45] weiter gar nichts zu thun haben, als den christmilden<br />

geistlichen Sorgen obzuliegen, durch einige Vermehrung ihrer<br />

Einkünfte in den Stand gesetzt werden möchten, dem Drange ihrer<br />

gefühlvollen Herzen noch wohlthätiger zu folgen.<br />

Könnte uns eine Gelegenheit erwünschter seyn, als diese, Seiner<br />

apostolischen Heiligkeit unsere unbegrenzte Dankbarkeit an den Tag<br />

zu legen, so wären wir der hohen Wohlthaten nicht würdig, mit<br />

welchen Höchstdieselben durch das heilbringende Concordat uns<br />

überschüttet haben.


Die ehrenwerthen Standschafts-Glieder von der geistlichen Bank,<br />

werden sich zur Pflicht machen, ehe hierüber abgestimmt wird, durch<br />

zweckmäßige Vorträge diese Bedürfnisse der heiligen Kirche weiter<br />

auseinander zu setzen, und diejenige Erläuterung zu geben, wozu ich<br />

wegen Beschränktheit der Zeit mich ausser Stande sehe.<br />

Die, zur Unterstützung dieser Motion nöthigen Kosten aufzubringen,<br />

soll lediglich der Weisheit der gnädigen Standschaft überlassen<br />

bleiben, und Seine legitime Souverainität erwarten hierüber<br />

zweckmäßige Vorschläge.<br />

[46] Glück wünsche ich mir übrigens, einer gnädigen Standschaft über<br />

solche Gegenstände Vortrag gemacht zu haben, bey welchen die<br />

Wünsche derselben gewiß mit den wohlberechneten Absichten meiner<br />

hohen Herren Committenten auf das genaueste übereinstimmen, und<br />

habe nichts mehr hinzuzufügen, als die Bitte, daß die Gesinnungen der<br />

großen Verehrung genehmigt werden mögen, mit welchen ich diesen<br />

Rednerstuhl bestiegen habe.<br />

Auf Antrag mehrerer Mitglieder wurde die Versammlung am<br />

folgenden Tage als geheime durch Stimmenmehrheit bestimmt, in<br />

welcher Herr Sturm zuerst um das Wort bittend, aus dem<br />

anbefohlenen Stegreif eine Rede hielt, die meines Wissens bisher<br />

nicht öffentlich bekannt wurde. Ich theile sie daher mit, wie ich deren<br />

Innhalt von einem Geschwindschreiber erhalten habe.<br />

Zu einer Zeit, wo jedermann von Besserwerden und Bessermachen<br />

redet, wo ganz Europa Unzufriedenheit mit der Gegenwart und<br />

Sehnsucht nach dem Bessern unverholen ausspricht, während alles,<br />

was im Großen, wie im Kleinen geschieht, zu beweisen scheint, daß<br />

man fast überall nur den Namen, aber [47]nicht die Sache will, zu<br />

einer solchen Zeit ist es erste Pflicht jedes Staats- und Weltbürgers,<br />

zur Erreichung des allgemeinen Zwecks nach Kräften mitzuwirken.<br />

Nur durch die Allgemeinheit kann das gesuchte Heil erlangt werden,<br />

in den gesonderten Staaten geschehen nur einzelne Schritte hierzu,<br />

und es wird um so mehr Zeit und Mühe kosten, die Resultate dieser<br />

Anstrengungen Europas, in den einzelnen Staaten zu vereinigen, als


manche derselben von dem vorgesteckten Ziele sich unverkennbar<br />

entfernen.<br />

Darum ruffe ich laut in die Welt, (o, daß es zu aller Ohren und Herzen<br />

dränge,)<br />

"seyd gute Weltbürger, so seyd ihr gute Staatsbürger; seyd gute<br />

Deutsche, so werdet ihr gute Preußen, Sachsen und Baiern seyn!"<br />

Alles was der Dämon Egoismus, durch List und Gewalt, der Einfalt<br />

und Gutmüthigkeit seit Jahrhunderten entrissen und dann den<br />

natürlichen und vernünftigen Verhältnissen der Staatsgesellschaften<br />

zerrüttet, und was die Macht der Gewohnheit, die Vernunft höhnend,<br />

eine Zeitlang erträglich gemacht hat, alles dieses in den<br />

ursprünglichen vernünftigen Zu[48]stand wieder herzustellen, kann<br />

nicht das Werk eines Augenblicks seyn, denn die Einrichtungen<br />

unserer Staaten sind, wie das ganze Leben in denselben, in einer so<br />

künstlichen Uiberspannung, daß plötzliche Reduction unmöglich, oder<br />

wenigstens von sehr gewaltsamen Folgen seyn müßte.<br />

Eben so unverkennbar aber ist es, daß weit mehr, als geschehen ist,<br />

hätte geschehen können, wenn der gute Wille, welchen man auf so<br />

vielen Seiten bemerkt, recht allgemein, und das hemmende Prinzip<br />

weniger vorherrschend gewesen wäre.<br />

Es ist sonnenklar, daß die Herrschsucht ihre Beute, die Kleinodien der<br />

Freiheit und des menschlichen Lebens, an die siegende Vernunft nur<br />

nothgedrungen, Stück für Stück zögernd heraus giebt, und mit ihrer<br />

Siegerin nur deshalb listig Friede geschlossen hat, damit diese, sich an<br />

dem papiernen Vertrag ergötzend, die bedungene Beute vergessen<br />

soll.<br />

Wie wäre es sonst möglich, daß ein Fürst verleitet werden könnte,<br />

eine Constitution zu geben, welche vernünftiger Weise nur vom<br />

Gesammtwillen der Nation, ausgesprochen, durch ihre<br />

Repräsentanten, ausgehen kann? Wie wäre es möglich, diese<br />

Re[49]präsentation selbst in beengende Formen zu zwängen, welche<br />

jede freye Regung des Geistes hemmen?


Wer sich das Recht anmaßt, eine Constitution zu geben, wie es ihm<br />

gut dünkt, wird auch keinen Anstand finden, sie zu nehmen, wenn es<br />

ihm ansteht.<br />

Die Erfahrung hat durch Jahrhunderte gelehrt, daß<br />

Volksrepräsentationen, in ihrer Entstehung von höchster Würde und<br />

Bedeutung, allmählig und in den letzten Zeiten so weit herabgesunken<br />

waren, daß sie nur der Form [nach] noch bestanden, und mit den<br />

Stiergefechten zu Madrit vollkommen in eine Kathegorie, als Volks<br />

Belustigung, gestellt werden konnten, bis man sich endlich nicht mehr<br />

scheute, zur Zeit, als ausländischer Despotismus sich mit dem<br />

innländischen vermählte, jede Volksrepräsentation ohne alle<br />

Umstände aufzuheben.<br />

Jedermann weiß, daß böser Wille von Seiten der Fürsten nirgends, von<br />

Seiten ihrer Diener weit seltener die Ursache dieser Erniedrigung der<br />

Menschheit war, als Mangel an Einsicht und andere Motive.<br />

Aber so soll es nicht mehr kommen können! Wenn daher der nächste<br />

Zweck unserer Versammlung darinn besteht, das Gute<br />

herbeyzuführen, so ist [50] deren höchster und heiligster Zweck,<br />

solche Einrichtungen zu begründen, welche die National-Wohlfarth<br />

unter eine Garantie stellen, unabhängig von jedem individuellen<br />

Willen, unter eine Garantie, durch welche die Unmöglichkeit gesetzt<br />

wird, das Gute, welches wir schaffen werden, durch innere oder<br />

äussere Verhältnisse jemals wieder zu verlieren.<br />

Du guter König! denn gut bist du, das wissen wir alle, und ihr<br />

Minister und Staatsräthe, deren Dienste und Vorzüge wir hoch ehren,<br />

glaubt daher nicht, daß unser Streben, diesen Zustand herbeyzuführen,<br />

durch unseeliges Mißtrauen, in euren Willen begründet sey, und<br />

überzeugt euch, daß wir mit und durch euch erlangt haben, ewig zu<br />

bewahren und auf den Grund der Vollkommenheit zu bringen, deren<br />

menschliche Einrichtungen fähig sind.<br />

Vernunft und Zeit müssen hierzu die Lehren geben, wo Wille und<br />

Kraft vorhanden ist. Vor allen aber müssen wir vergessen an veraltete


Formen zu glauben, und darüber zu streiten, welche Rechte den<br />

Ständen früher gegen den Staat zukamen; denn durch diese<br />

Reflexionen setzen wir nicht nur [51] eine verderbliche Scheidewand<br />

zwischen Regent und Volk, sondern verlieren den richtigen<br />

Gesichtspunct aus den Augen, welcher aus der Wesenheit des<br />

Gegenstandes frey hervorgeht.<br />

Keine veralteten Vorurtheile, keine positiven Bestimmungen der<br />

Vorzeit, sollen uns leiten; eine neue Repräsentation sollen wir<br />

schaffen, wie die Vernunft sie gebeut. - Die Majestät gehört der<br />

Nation an, und ist von dieser übertragen auf den Fürsten und dessen<br />

Nachfolger durch Geburt und Erbrecht, damit die Idee der<br />

Gesammtheit der Nation durch diesen Einen, den Fürsten, ins Leben<br />

hervor trete und practisch werde, das heißt, damit die gesellschaftliche<br />

Ordnung, nach den vom Gesammtwillen gegebenen Gesetzen<br />

gehandhabt werde, in Einheit. Darum sind Volk und Fürst Eines, und<br />

können nicht im Gegensatz gedacht werden.<br />

So wie aber der Fürst selbst gesetzt und bedingt ist, durch den<br />

Gesammtwillen, so sind auch alle dessen Handlungen gesetzt und<br />

bedingt durch diesen Gesammtwillen. Darum muß der Fürst regieren<br />

nach dem Willen der Nation, und nicht wie es ihm gut dünket.<br />

[52] Hat das Volk übertragen an den Regenten seine Gewalt der<br />

Gesetzgebung, so hat es dadurch keineswegs eingegangen, die<br />

Verbindlichkeit sich unbedingt zu unterwerfen, jeder Bestimmung,<br />

welche die Willkühr zum Gesetze stempeln wollte. Und wäre ein<br />

solcher Vertrag wirklich geschlossen, so wäre er schändlich und<br />

ungültig, weil er auf das Spiel setzte, ein unveräußerliches<br />

Menschenrecht, und indem er zum Opfer brächte alle physische und<br />

moralische Freiheit, nichts anders wäre, als ein Vertrag zur Sclaverey.<br />

Zu jeder Zeit hat das Volk das Recht, vorzulegen dem Regenten das<br />

Grundgesetz, auf welchem Wesen und Form der Regierung beruhen.<br />

Kein Fürst aber kann sagen, auf diese Weise will ich euch regieren<br />

und lasse hieran nichts ändern, denn hierdurch spräche er aus, daß er<br />

die Nation aller Freyheit des Willens beraubte, sich nur nach


vernünftigen Gesetzen regieren zu lassen. Er spräche aus, daß sein<br />

Interesse von dem der Nation verschieden wäre, und erklärte sich<br />

öffentlich als Feind seines Volks, und wäre demselben verfallen, daß<br />

es richte über ihn, nach dem Gesetze der Natur.<br />

[53]Brecht ihr Höflinge nur schnell den Stab über mich, ruft wehe, ihr<br />

hofklugen Staatsrechtslehrer, daß ich wage, solche gefährliche<br />

aufrührerische Grundsätze auszusprechen, immerhin ihr engbrüstigen<br />

Schwächlinge, von euch erwartet die Welt keine Hülfe.<br />

Frey trete ich vor euch und frage: wo unter Deutschlands Fürsten ist<br />

einer, auf den diese Worte Anwendung fänden?<br />

Und wäre es möglich, daß ihr mir einen zeigtet, so würde ich ihm<br />

mahnend sagen: Fürst, lege die Hand auf dein Herz und blicke nach<br />

Spanien!<br />

Und hälfe die Warnung nichts, so könnte und würde ich nicht hindern,<br />

was die allgemeine Nothwendigkeit herbeyführt; darum, weil er mehr<br />

seyn wollte, als der erste Diener des Staats, und weil er verdorben<br />

genug wäre, um zu glauben, daß Millionen Menschen da seyen, um<br />

sich von ihm und seinen Gehülfen wilkührlich behandeln, und nach<br />

Belieben quälen und peinigen zu lassen.<br />

Euch aber, ihr Kotzebue, Stourdza und Consorten, und euch ihr<br />

Nachteulen, Kautzen und Unken, die ihr um Fürstengunst oder Geld,<br />

mit oder gegen Uiberzeugung, Klaglieder ächzet, euch ruffe ich zu,<br />

[54) was geschrieben steht im ersten Buch von den Königen im<br />

zwölften Kapitel, Nummer 15. 16 und 19:<br />

Also gehorchte der König dem Volke nicht; denn es war<br />

also gewandt, von dem Herrn.<br />

Da aber das ganze Israel sahe, daß der König sich nicht<br />

hören wollte, gab das Volk dem König eine Antwort und<br />

sprach: was haben wir denn Theils an David, oder Erbe<br />

am Sohn Isai? Israel hebe dich zu deinen Hütten. So siehe<br />

nun du zu deinem Hause, David. Also gieng Israel in<br />

seine Hütten. Also fiel Israel ab vom Hause David,


is auf diesen Tag.<br />

Erinnert euch, ihr Finsterlinge, daß das Licht der Wahrheit, welches in<br />

den ältesten Zeiten leuchtete, durch alle Dunkel der finstern<br />

Jahrhunderte seinen Glanz erhielt, bis auf unsere Tage, wo noch<br />

immer die Schatten der Dämmerung mit den Strahlen der Sonne<br />

kämpfen möchten, durch euch gewiß nicht verdunkelt wird, und daß<br />

ihr euch umsonst bemüht, durch Gefäße, die ihr in unterirdischen<br />

Schlupfwinkeln mit Finsterniß zu füllen glaubt, den hellen Tag zu<br />

schwärzen; denn so wie ihr damit an das Licht [55] hervorsteigt,<br />

verliehrt sich euer Pünctchen Finsterniß in dem unendlichen Meere<br />

des Glanzes und der Herrlichkeit, welche Gott über seine Lieblinge<br />

ausgegossen hat, zum Schutz und Trutz gegen alle unreine Geister der<br />

Finsterniß.<br />

Diese Grundsätze und Ansichten sind es, meine hochgeehrten Herren<br />

Deputirten, welche ich in einem Augenblick vorauszuschicken<br />

zweckmäßig und nothwendig fand, wo meines Erachtens die Rede<br />

davon seyn wird, in wie weit wir auf Wünsche der Regierung<br />

einzugehen, mit unsern Pflichten vereinbar finden.<br />

Wenn wir die allgemeinen Wahrheiten, welche aus der Wesenheit<br />

einer Volksrepräsentation ganz einfach hervorgehen, beständig im<br />

Auge behalten, so wird es uns leicht werden, die Grenzen unseres<br />

Wirkungskreißes in jedem concreten Falle einzuhalten.<br />

Fragen wie die, welche Herr von Aretin in der Baier'schen<br />

Volksversammlung aufstellte:<br />

"Ob es der Standschaft zukomme, auf Abänderung des ihr positiv<br />

vorgeschriebenen Wirkungskreißes Bedacht zu nehmen?<br />

Ob sie befugt sey, für das Beste des Volks[56] auch in solchen<br />

Gegenständen zu sorgen, welche unter den formellen Rubriken ihres<br />

Wirkungskreißes nicht mit geschrieben stehen?<br />

Ob diejenigen, welche zum Schutze des Vaterlandes die Waffen<br />

tragen, auch Staatsbürger seyn dürfen, oder ob sie Verschnittene seyn


sollen, deren sich der Grosherr zur Bewachung seines Serails und zum<br />

Stanguliren seiner geliebten Unterthanen bedient?"*<br />

* Man darf diese Fragen nur ihrem Sinne gemäß in andere Worte<br />

fassen, um ihren Werth zu erkennen.<br />

Solche und ähnliche Fragen, wie sie zum Theil auch in unsern<br />

Sitzungen vorkamen, würden dann vermieden, oder wenigstens ohne<br />

alle Diskussion, von einem höhern Standpuncte aus, durch Mangel an<br />

jeder Theilnahme erledigt werden.<br />

Darum lassen wir jeden ein freyes Wort reden, das Erkenntniß, Willen<br />

und Kraft wecke, belebe und stärke, und sprechen mit Plato:<br />

[Griechisches Zitat]<br />

welches ich zu Deutsch übersetze:<br />

Große erhabene Seelen beweisen, daß die Menschheit<br />

göttlichen Ursprungs ist.<br />

[57] Die übrige Zeit der Sitzung wurde mit einer vertraulichen<br />

Besprechung über den Innhalt dieser Rede hingebracht.<br />

In der nächsten Sitzung bat Herr Neumann um das Wort, und sprach:<br />

Die heutige Versammlung ist dazu bestimmt, um über die, von Seiten<br />

der hohen Regierung, durch den Souverainitätsredner Herrn<br />

Schleicher gemachten Anträge zu berathschlagen.<br />

So wie gestern Herr Sturm aus meiner Seele gesprochen hat, daß die<br />

Versammlung ihre Competenz in jedem einzelnen Falle bemessen<br />

müsse, nicht nach dem todten Buchstaben, sondern nach allgemeinen<br />

Wahrheiten, welche aus dem Begriff einer Volksrepräsentation<br />

abgeleitet sind, so meine auch ich, sobald von einer finanziellen Frage<br />

in concreto die Rede ist, daß die Grundsätze erst festgestellt werden<br />

sollen, auf welchen das gesammte Finanzwesen beruht.


Vernünftigerweise können die Menschen keine anderer Ursache<br />

gehabt haben, ihre natürliche Freiheit aufzugeben und sich zu einem<br />

Staate zu vereinigen, als, um dadurch Vortheile zu erhalten, [58]<br />

welche niemals dem Einzelnen, sondern der Gesammtheit erreichbar<br />

sind.<br />

Diese, und die Wahrheit, daß für die Vortheile des gesellschaftlichen<br />

Vereins von den Einzelnen gewisse Opfer gebracht werden müssen,<br />

sind bekannte Dinge.<br />

Nicht so bekannt, oder wenigstens von unsern Regierungs-Behörden<br />

nicht so beachtet, scheint die Wahrheit zu seyn, daß der Staatsbürger<br />

die Opfer, welche er der Staatsgesellschaft bringen muß, nicht größer<br />

finden darf, als die Vortheile, welche er durch dieselbe erhält, wenn er<br />

anders Anhänglichkeit an diese Verbindung behalten, und deren<br />

unveränderte Fortdauer wünschenswerth finden soll.<br />

Sobald also von einzelnen Lasten für den Staatszweck die Rede ist,<br />

wird die erste und natürlichste Frage die seyn:<br />

können diese Lasten von den Staatsbürgern getragen<br />

werden, ohne daß dadurch ihre Kräfte zu sehr angespannt<br />

und sie zur Unzufriedenheit veranlaßt werden?<br />

Diese Frage zu beantworten, kann für uns nicht schwierig seyn, da<br />

hierüber die allgemeine Stimme [59] entscheidet, wir aber, aus allen<br />

Gegenden des Reichs versammelt, mit allen örtlichen und örtlichzeitlichen<br />

Verhältnissen vertraut, durch unser Gesammtwissen eine<br />

richtige Kenntniß des ganzen Volks, und der, bey demselben<br />

herrschenden Meinung, herzustellen im Stande sind.<br />

Die allgemeine Stimme aber, ich glaube hierinn nicht zu irren, ist<br />

jeder Erhöhung der Staatslasten entgegen. Ich fürchte nicht den<br />

Einwand, daß dieses zu jeder Zeit der Fall sey, und daß Erhöhung der<br />

Staatslasten, wenn sie von allgemeiner Stimmenmehrheit abhängig<br />

wäre, den größten Widerspruch selbst da finden würde, wo bisher nur<br />

die absolut geringsten Lasten nothwendig gewesen wären; diesen<br />

Einwand fürchte ich nicht, denn die Erfahrung lehrt, daß Völker, unter


gewissen Verhältnissen, freiwillig mit der größten Anstrengung, dem<br />

Staatswohl so große Opfer gebracht haben, daß sie dem Tode durch<br />

Entkräftung nur mit Mühe entgiengen.<br />

Die Gründe, worinn die Willfährigkeit oder Unwillfährigkeit einer<br />

Nation zu Leistungen lieget, sind doppelt, nämlich:<br />

Bewußtsein und Uiberzeugung von der<br />

Noth[60]wendigkeit und Zweckmäßigkeit der Leistungen<br />

, und gegenüber<br />

Gefühl und Bewußtsein der innern Kraft zu denselben.<br />

Beyde Gründe mögen gegenwärtig zusammenwirken, wenn sich die<br />

allgemeine Stimme gegen jede Erhöhung der Staatslasten erhebt.<br />

Ist dieser Vordersatz richtig, so gründe ich darauf den Schluß,<br />

daß von Erhöhung der Staatseinnahme gegenwärtig<br />

durchaus nicht die Rede seyn könne, selbst dann nicht,<br />

wenn eine Vermehrung des Staatsbedarfs vorhanden wäre.<br />

Es ist wieder eine unleugbare Lehre der Erfahrung,<br />

daß, so lange die Staatslasten nach den Staats-Bedürfnissen<br />

ermessen werden, diese stets wachsen, und folglich jene<br />

stets erhöht werden müssen.<br />

Dieses kann aber möglicher Weise nur bis auf einem gewissen Punct<br />

getrieben werden, denn endlich muß eine Zeit eintreten, wo Stillstand<br />

und Reduction erfolgt.<br />

[61] Dieser Zeitpunkt scheint eingetreten zu seyn, wenn man der<br />

allgemeinen Stimme Glauben schenkt.<br />

Ich trage daher, statt auf Erhöhung der Leistungen zum Staatszweck,<br />

auf Verminderung der Staats-Bedürfnisse an.<br />

Zu diesem Zwecke unterscheide ich zwischen<br />

e t a t s m ä ß i g e n, z u m T h e i l e i n g e b i l d e t e n,<br />

u n d w e s e n t l i c h e n


zwischen<br />

b l o ß z w e c k m ä ß i g e n u n d u n v e r m e i d l i c<br />

h e n<br />

Bedürfnissen des Staats.<br />

Diese Ansicht näher auszuführen, behalte ich mir bis dahin bevor, wo<br />

das gesammte Staatswirthschafts-Wesen, einer genaueren<br />

Untersuchungen unterliegen wird , als dies bisher geschehen ist, und<br />

wo sich dann nicht blos von Revision in calculo handeln wird.<br />

Vorläufig will ich blos Princip und Resultat aussprechen:<br />

Das Princip heißt:<br />

Herunter von der künstlichen Höhe, und zurück zu<br />

natürlichen Verhältnissen. [62]<br />

Das Resultat ist:<br />

Alle Staatsausgaben im Ganzen sollen ohne weiters<br />

auf ¾<br />

herabgesetzt und hiernach die Vertheilung derselben<br />

auf<br />

einzelne Zweige und die Regierungs-Einrichtungen<br />

modificirt werden. Das überschießende ¼ der Einnahme<br />

soll ausschließend der Tilgung der Schulden<br />

gewidmet seyn.<br />

Diese Ansicht mag etwas überraschend und diktatorisch klingen, aber<br />

ausserordentliche Uibel erfordern ausserordentliche Heilmittel.<br />

Jeder muß sich nach seinem Vermögen richten, und das Sprüchwort,<br />

"mit Vielem hält man Haus, mit wenig kommt man aus,"


findet eben so gut auf den Staatshaushalt, als auf einzelne Familien<br />

Anwendung.<br />

Noch mehrere Redner traten auf, und unter andern sprach Herr<br />

Friedlich:<br />

Zwar können wir nicht sagen, daß unsere Staatslasten an sich<br />

betrachtet, und als Prozente der Einnahme der Staatsbürger, berechnet,<br />

übermäßig erscheinen, aber wenn wir auf Zeit-Verhältnisse und [63]<br />

den gegenwärtigen außerordentlichen Geldmangel Rücksicht nehmen,<br />

so müssen wir gestehen, daß sie allerdings sehr hoch getrieben sind,<br />

und eine Vermehrung wohl nicht zulassen. Nicht allein die Menge des<br />

Gelds, sondern mehr noch die schnelle Circulation desselben,<br />

begründen den Wohlstand, dieses ist eine bekannte Sache. Nachdem<br />

aber, durch eben so bekannte Ursachen, der größte Theil des<br />

circulirenden Geldes dem Curse entzogen wurde, welche Würkung<br />

muß es noch haben, wenn mit jeder Lotterieziehung eine Summe von<br />

3 bis 400 fl. aus kleinern Städten, eine weit höhere aus größern<br />

fortgeschickt wird, von welcher kaum der zehnte Theil zurückkehrt.<br />

Dieses Geld, welche gerade den Händen entzogen wird, in welchen es<br />

am schnellsten circulirt, nemlich den unbemittelten und armen<br />

Volksklassen, kehrt zwar durch die Staatskassen zurück, (wo keine<br />

Lotteriepächter sind, den großen Theil behalten) in das Publikum, aber<br />

die unberechenbare Circulation wird dadurch noch mächtig gehemmt.<br />

Wenn ich auch nicht ganz der Meinung des Herrn Neumann bin, so<br />

sollte ich doch glauben, daß wenigstens, um [64] den Ertrag der<br />

Lotterie die Staatsbedürfnisse füglich gemindert werden könnten.<br />

Und weil ich die Sage für eine boshafte Verleumdung halte, daß hohe<br />

Staatsbeamte an dem Ertrage des Lotterie-Pacht-Gewinns in manchen<br />

Staaten Antheil nehmen, so bin ich überzeugt, daß nicht nur bey uns<br />

diesem Unheil Abhülfe geschehen werde, sondern daß auch durch<br />

diplomatische Verhandlungen mit andern Staaten, die hundert Köpfe<br />

dieser Hydra schnell und mit einemmale abgeschlagen werden<br />

können. Und sollte auch, gegen meinen Glauben, durchaus unmöglich<br />

seyn, für den Augenblick diese Einnahme zu entbehren, so wollte ich


doch lieber, daß man sie auf eine andere, mehr die Reichen und<br />

Wohlhabenden betreffende Weise, aufbrächte.<br />

Herr Rauhbart:<br />

Was die von Herrn Neumann berührte Uiberzeugung der Nation, von<br />

der Zweckmäßigkeit und Nothwendigkeit erhöhter Staatslasten,<br />

betrifft, so möchte ich hinzu setzen, daß diese lediglich durch<br />

Vertrauen der Staatsbürger zur Rechtlichkeit der Regierung bewirkt<br />

werden kann.<br />

[65] In unsern Tagen, wo der Despotismus mit den Völkern ein<br />

jämmerliches und erbärmliches Spiel trieb, und alle Menschenwürde<br />

so unter die Füsse trat, daß man mit Schaudern fast an der Menschheit<br />

verzweifeln möchte, ist es da den Völkern zu verargen, wenn sie kein<br />

Zutrauen zu ihren Regierungen haben, und in allen, auch den<br />

wohlgemeinten und besten Einrichtungen, nichts als einen<br />

betrügerischen Vorwand finden, durch welchen man ihnen nur neue<br />

Lasten aufbürden will?<br />

Verbannt werde vor allen jede finanzielle Plusmacherey;<br />

aufgehoben werde jene grenzenlose Anmassung der Administrativ-<br />

und Polizeibehörden, ihre tausend Polypenarme in alle<br />

privatrechtliche Verhältnisse zu erstrecken, ohne Sinn und Verstand<br />

mit blinder Willkühr;<br />

geheiligt durch die That, werde jene Achtung und Unverletzlichkeit<br />

des Privateigenthums, deren trügerischer Schein bisher nur auf dem<br />

Papier glänzte;<br />

versperret werde der Habsucht und den nimmersatten Wesen, jeder<br />

Weg, unter dem Vorwand, die [66] Staatskassen zu füllen, sich selbst<br />

durch Tantieme zu bereichern;<br />

eingeschärft werde jedem Staatsdiener, daß er und alle Behörden nur<br />

da seyen, des Besten der Nation wegen, daß Staatsdiener nicht bedeute<br />

Fürstendiener, sondern Diener der gesammten Nation, und daß


Staatswohl, getrennt von Volkswohl, eine Mißgeburt des Despotismus<br />

ist;<br />

sorgfältig vermieden werde jede Handlung, jedes Wort, welches nur<br />

den leisesten Verdacht erwecken könnte, daß man Interesse des Staats<br />

von Interesse der Nation gesondert denke;<br />

verbannt werde die geist- und sittenlose Meinung, daß die Würde der<br />

Staatsämter durch Pracht und Aufwand mehr, als durch Verdienst<br />

glänzen müsse;<br />

nicht mehr verwaltet werden die höchsten Staatsämter für hohen<br />

Gehalt, und vergeben auf Lebenszeit, sondern für ein mäßiges<br />

Einkommen, nach freyer Wahl des Volks von den Würdigen, die sich<br />

hierzu bewerben, aus Liebe für das Gute;<br />

ein höchstes Gericht werde gebildet, aus den Repräsentanten der<br />

Nation, zu richten frey und [67] öffentlich über die Moralität der<br />

Staatsdiener, welche eben so, wie Cäsars Gemahlin, auch von jedem<br />

Verdacht der Untreue, rein seyn müssen: *)<br />

*) Bekanntlich verließ Cäsar seine geliebte Gemahlin mit der<br />

Aeußerung, daß er bey aller persönlichen Uiberzeugung ihrer<br />

Unschuld, doch auch den bösen Schein nicht dulden könne.<br />

frey gegeben werde, zur Theilnahme den Volksrepräsentanten, jedes<br />

sogenannte Staatsgeheimniß, und dadurch verbannt jede politische<br />

Intrigue und jene unedle Politik, welche oftmals Haß und Zwietracht<br />

zwischen Völkern setzt, durch den Egoismus einiger verkrüppelten<br />

Seelen, die sich Staatsmänner nennen;<br />

gebildet werde, durch alle diese Einrichtungen, die künftige<br />

Generation zur regen Theilnahme an den Anstalten für das<br />

Gesammtwohl, und erzogen zu dem Glauben, daß Volk und<br />

Regierung nur Eins sind, durch wechselseitige Liebe;<br />

und dann, wenn diese glücklichen Zeiten auch in Europa<br />

zurückkehren, und neu geschaffen werden, wie sie in Amerika für die


Ewigkeit heran reifen, und selbst in Frankreich schon in der Blüthe<br />

stehen, dann werden keine Staatslasten mehr drückend schei[68]nen,<br />

und mit Freuden wird jeder auf dem Altar des Vaterlandes sein Opfer<br />

niederlegen.<br />

Dieser Vortrag hatte die Wirkung, daß Herr von Seuffen folgendes<br />

Geständniß that:<br />

Was das Beispiel des vortrefflichen Päcker und mehrerer Herren<br />

Collegen, was das Fest aller Bekehrung und Besserung nicht bewirken<br />

konnte, die höhere Ansicht, daß Staatsdienst und Function als<br />

Volksrepräsentant nicht im Widerspruch stehen dürfen, haben bey mir<br />

die Worte des Herrn Rauhbart erweckt.<br />

Ich überzeuge mich, daß so manches, was ich bisher gesprochen habe,<br />

unmöglich Beifall bey denen finden konnte, welche sich früher schon<br />

zu diesem höhern Standpunct aufgeschwungen hatten, und gestehe,<br />

daß wir ohne diese höhern Ansichten, den gemeinen Boden der<br />

Wirklichkeit, auf welchem unsere Sache ruht, niemals veredeln, und<br />

daß die schönsten Blüthen des hierauf gepflanzten Freiheitsbaums,<br />

gleich tauben Treibhausknoten ohne Früchte abfallen werden.<br />

Mit herzlicher Reue sehe ich ein, daß der, welcher durch irgend eine<br />

Rücksicht auf Regierungsverhältnisse sich abhalten läßt, seine freye<br />

Ueberzeu[69]gung auszusprechen, verräth, daß er der Regierung ein,<br />

vom Wohle der Nation getrenntes, Interesse, beymißt, hierdurch aber<br />

ihr den scheuseligsten aller Vorwürfe, den der Despotie, macht, und<br />

sich als bedauernswürdigen Lobredner derselben darstellt.<br />

Mit Schrecken werde ich der traurigen Folgen gewahr, welche<br />

unvermeidlich sind, wenn die gute Sache in unserer Versammlung<br />

selbst ihre Widersacher finden sollte.<br />

Menschen können irren und straucheln, das aber ist der Vorzug der<br />

Bessern, daß sie nie fallen, und sich so, oft ihr Fuß gleitet, desto<br />

kräftiger aufrichten. So sey es denn feyerlich gelobt, den Millionen,<br />

deren künftiges Geschick zu leiten, vom Himmel uns mit übertragen<br />

ist, daß ich das Zutrauen, welches bey meiner Wahl als Deputirter, in


einem allgemeinen Ruf der Freude sich aussprach, rechtfertigen will,<br />

und ohne Rücksicht auf zeitliche Güter fortan nur dem hohen Berufe<br />

mich hingeben, durch welchen wir der Welt und Gegenwart<br />

entnommen, der Zukunft und Weltgeschichte geweiht sind.<br />

Laut schlugen aller Herzen, deutsche Männer reichten einander die<br />

Hände, ein Kreis von Edlen [70] umschlang den Redner, und jeder<br />

drückte ihn an das Herz, still und schweigend, denn alle verstanden<br />

einander und kein Ton sollte die heilige Stille unterbrechen, in<br />

welcher ein Bund geschlossen wurde, wie neben Tells Namen im<br />

Buche der Unsterblichkeit nur wenige aufgezeichnet stehen.<br />

Zwey Tage lang war keine Versammlung mehr, gestärkt an Geist und<br />

Gemüth begannen wir die nächste.<br />

Die Anträge des Souveränitätsredners wurden unstatthaft befunden,<br />

und der Beschluß wurde genommen, nach vorhergegangener Prüfung<br />

des etatsmäßigen Staatsbedarfs, den wesentlichen festzusetzen, und<br />

einen modificirten Vorschlag zur Reduction des Etats um die fehlende<br />

Summe zu entwerfen.<br />

Herr v. Hornberg trug insbesondere darauf an, daß die Worte, welche<br />

Herzog Georg von Baiern zu dem Bischoff Dalberg zu Worms sprach,<br />

dem Protokoll über Abstimmung, wegen der zu kirchlichen Zwecken<br />

geforderten Summen, beygefügt werden sollten:<br />

"wer zum erstenmal nach Rom reißt, sucht dort den<br />

Schalk, wer<br />

zum zweitenmal hin[71]kommt, der findet ihn, und<br />

wer' s zum drittenmal thut bringt ihn mit heim."<br />

Andere, minder wichtige und ausserwesentliche Debatten in mehreren<br />

der nächsten Sitzungen übergehe ich mit Stillschweigen, so wie selbst<br />

die Debatten über den Hauptgegenstand.<br />

Unvermuthet erschien, in neunen, ganz stark vergoldeten Kostüm, ein<br />

Souveränitätsredner, mit der Ankündigung, daß Seine legitime<br />

Souverainität sich allgergnädigst bewogen gefunden haben, die


Versammlung zu vertagen, und daß die Reisepässe für sämmtliche<br />

Standschafts-Glieder ausgefertigt und gegen Rückgabe der<br />

Aufenthaltskarten in Empfang zu nehmen seyen.<br />

Am ersten April verließen wir sämmtlich die Residenz; jedermann<br />

begab ich in seine Heimath, erwartend die Dinge, die da kommen<br />

sollten.<br />

Nach klaren Bestimmungen des Reichsgrundgesetzes, können die<br />

Repräsentanten der Nation für jeden, durch die politische Rechenkunst<br />

bestimmten Zeitraum einer Generation, sich immer nur zwey Jahre<br />

nach einander versammeln, wahrscheinlich aus dem einfachen Grund,<br />

weil man dem, in an[72]derer Hinsicht oftmals übel empfundenen,<br />

Wechsel in der Staatsverwaltung, abhold geworden ist.<br />

Nachdem aber zwei Jahre lang die Wiedereinberufung der vertagten<br />

Versammlung nicht erfolgte, und man annehmen mußte, daß für die<br />

lebende Generation diese nicht mehr statt finden sollte, inzwischen<br />

aber mehrere Einrichtungen im Staate getroffen wurden, welche der<br />

vertagten Standschaft sehr wichtig schienen, so wurde unter der Hand,<br />

von mehreren der thätigsten Glieder berathschlagt, was bey dieser<br />

Lage der Dinge zu thun sey?<br />

Insbesondere in Erwägung gezogen wurde die, im zweyten Jahre<br />

gegebene Erklärung der Regierung, daß nach einer Uiebereinkunft<br />

mehrerer Glieder des deutschen Bundes unter sich, und mit den<br />

Gliedern des großen Weltherrn-Bundes, die bisherigen deutschen<br />

Bundesfestungen zum Zwecke des großen Weltherrn-Bundes<br />

bestimmt worden seyen.<br />

Man vereinigte sich vorläufig darüber, daß eben so wenig, als die<br />

Nation jemals aufhörte da zu seyn eine Volksrepräsentation<br />

unterbrochen werden dürfe, so lange sie selbst Stoff finde, für den<br />

Zweck ihres Daseyns zu wirken, und daß die Vorschrift [73] einer<br />

sechzigtägigen Dauer der Versammlung, an sich schon eine viel zu<br />

sehr beschränkende Form sey, geschweige denn, daß diese<br />

Versammlung nicht einmal alle Jahre, sondern für jedes<br />

Menschenalter nur zweimal Statt finden solle. Man war der Meinung,


daß hierüber eine Petition der sämmtlichen Standschaftsglieder<br />

veranlaßt werden müsse.<br />

Mich, als provisorischen Secretair der pausirenden Standschaft, traf<br />

der Auftrag, durch persönliche Rücksprache mit den entfernten<br />

Gliedern, einen Beschluß zu erwirken.<br />

Ehe ich aber meine Reise vollenden konnte, wurde ich durch einen<br />

Souverainitäts-Polizeycommissair realiter eingeladen, mich auf eine,<br />

der neu eingerichteten Weltherrnbundesfestungen zu begeben, und<br />

dort so lange aufzuhalten, bis ich von deren Zweckmäßigkeit<br />

überzeugt, in den Stand gesetzt sey, meinen Reisecommittenten<br />

hierüber die nöthige Aufklärung zu geben.<br />

Um mir desto mehr Muse zum Nachdenken zu verschaffen, wurde<br />

dafür gesorgt, daß ich außer dem Kerkermeister, der mir das Essen<br />

brachte, und dem Barbiergesellen, welcher mein, im frühern<br />

Staats[74]dienste ererbtes chronisches Uebel am Kopfe, und die<br />

deshalb nöthigen Fontanellen, täglich verbinden mußte, niemand<br />

sprechen konnte.<br />

Mangel an Schreibmaterialien, an geistigen Genüssen und an<br />

Mittheilung, ist für Leute, welcher der Secretairsgeschäfte gewohnt<br />

sind, ein Grad der Folter. Wer wird es mir also verdenken, daß ich<br />

durch Bestechungen, und Anweisungen an meine freyen Herren<br />

Collegen, meinen Wundarzt bewog, diesmal auch zum Seelenarzte an<br />

mir zu werden. Eine geheime Schublade in seiner Barbiertasche gab<br />

ihm Gelegenheit, mich mit Schreibmaterialien und Büchern zu<br />

versehen, woraus ich mir die Lehre abzog, daß kleine Mittel, eine<br />

Barbiertasche, wie eine Constitution, die man als Geschenk anpreisen<br />

möchte, durch weisen Gebrauch, zur Erreichung ihres Zwecks führen<br />

können.<br />

Auf diese Weise brachte mir mein Merkur vor einigen Tagen ein<br />

Büchlein, welches angeblich ein reisender Engländer im Gasthofe zum<br />

versilberten Teufel hatte liegen lassen, und bat mich, im Namen des<br />

Wirths und seiner neugierigen Gäste, welche den [75] Engländer sehr


aufmerksam darinn hatten lesen sehen, dasselbe insgeheim zu<br />

übersetzen.<br />

Kaum aber hatte ich einige Seiten zu Papier gebracht, als mein<br />

Barbiergeselle mit der Nachricht mich erschreckte, daß der Engländer<br />

mit Extrapost zurückgekommen sey, um sein verlohrnes Büchlein zu<br />

holen.<br />

Ich mußte also abbrechen, ersuchte aber in einem beygefügten Billet<br />

den Engländer, mir zum Troste in meiner Einsamkeit, ein Exemplar zu<br />

verschaffen, da in Deutschland die Preßfreiheit bisher großen Theils<br />

nur im Titel der hierüber promulgirten Edikte zu finden sey.<br />

Wird meine Bitte vom Engländer erfüllt, so erhält der Gastwirth und<br />

das Publicum durch meinen gefälligen Badergesellen den ganzen<br />

Inhalt, inzwischen theile ich nur das gerettete Bruchstück mit, dessen<br />

Druck, da in Leipzig und Dresden die Censur versagt wurde, auf dem<br />

beliebten Wege des privilegirten Nachdrucks erfolgt.<br />

--------------------------------------------<br />

[76] Ach ich armer unglücklicher Badergeselle, wo finde ich Trost,<br />

Rath und Hülfe! Gerade die zwei Blätter, welche mein Festungspatient<br />

mir so auf die Seele gebunden hatte, habe ich, wie jener Affe sein<br />

Kind, aus allzugroßer Zärtlichkeit, an der Brust zerdrückt. Sorgsam,<br />

wie für ein Kleinod, versteckte ich sie in meiner Brusttasche und<br />

glaubte sie da recht gut aufgehoben; aber hilf Himmel! wenn ein<br />

Unglück seyn soll, wer kann's verhüten?<br />

Eben auf dem Wege in die Druckerey, wurde ich eine Bauernschenke<br />

gerufen, um einem übernachtenden Fuhrmann meine Schröpfköpfe zu<br />

appliciren. Während ich im größten Amtseifer war, schüttete mir ein<br />

verwünschter Spaßmacher die ganze Schüssel, worin ich meine<br />

Schröpfköpfe ausgeleert hatte, boshafterweise in die Barbiertasche.<br />

Ich wollte darüber gar nichts sagen, denn ein armer deutscher<br />

Barbiergeselle muß sich heut zu Tage manchen Spaß gefallen lassen,<br />

aber daß hierdurch gerade die wichtige Scriptur ganz verdorben<br />

wurde, über welche mein Festungspatient so sehr erfreut war, das


ingt mich fast zur Verzweiflung. Ganz mit [77] Blut getränkt, so,<br />

daß man auch keine Zeile mehr lesen konnte, waren die Blätter.<br />

Der alte Corrector in der Druckerey versicherte mich freilich, es hätte<br />

nicht viel zu sagen, man müßte sich diesmal mit der Vorrede<br />

begnügen, und wenn der Engländer Wort halte, so käme dann, statt<br />

des Bruchstücks, doch etwas Ganzes nach; aber ich kann mich doch<br />

nicht beruhigen. Ja, wenn der Reisende ein Engländer gewesen wäre,<br />

so wüßte man doch, daß er Wort hielte, aber er war ein Amerikaner.<br />

Freilich bildete sich der Mann auf seinen Amerikaner was rechtes ein,<br />

und sagte, als ich ihm das Billet von meinem Festungspatienten<br />

brachte, mir ins Gesicht, er wäre Gottlob, kein Europäer, und folglich<br />

auch kein Engländer; aus Mitleiden würde er aber gewiß meinen<br />

armen Festungspatienten das Verlangte schicken, denn Mitleiden mit<br />

den Europäern, sey das allgemeine Gefühl aller seiner Landsleute.<br />

Auch versprach er, daß wir mit der Zeit von den Amerikanern schon<br />

mehr herüber bekommen sollten, als das Büchlein.<br />

[78] Dieses verstehe ich nun freilich nicht, und ist auch von mir nicht<br />

zu verlangen; aber weil es einmal zu meinem Metier gehört, nichts zu<br />

verschweigen, so sage ich's eben wieder, und bitte nur, mir armen<br />

aufrichten deutschen Badergesellen nicht die Schuld des mit<br />

Menschenblut scherzenden Spaßvogels aufzubürden.

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