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Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />

A11041<br />

Aufsätze<br />

Rechtsanwaltschaft unter<br />

Modernisierungszwang (Hommerich) 453<br />

Berufsrecht: Harmonisierung durch<br />

Deregulierung? (Henssler) 458<br />

Kommentar<br />

Schluss mit lustig, liebe Versicherer<br />

(Jansen) 469<br />

Thema<br />

Umfrage: Parteien zum Rechtsberatungsgesetz 470<br />

Anwaltstag 2004<br />

Sicherheit und Ordnung auf Kosten<br />

der Freiheit? (Geißler) 474<br />

Mitteilungen<br />

1. JuMoG (Hirtz und Sommer) 503<br />

RVG – Frage des Monats 511<br />

Rechtsprechung<br />

BVerfG: Auswahl von Anwaltsnotaren<br />

(mit Anmerkung Kleine-Cosack) 519<br />

OLG Nürnberg: Werbung mit Umsatzzahlen 526<br />

8 + 9/2004<br />

September <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag


EDITORIAL<br />

Anwaltschaft<br />

und Rechtswissenschaft<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Ludwig Koch ist einer der wenigen<br />

Anwälte, denen der Doktortitel honoris<br />

causa zuerkannt worden ist. Im<br />

Juni 70 Jahre alt geworden, galt dem<br />

ehemaligen Präsidenten des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s eine akademische Feier<br />

an der Universität zu Köln. Vier Professoren<br />

sprachen zu aktuellen Fragen<br />

des Berufsrechts. Ihre Vorträge sind in<br />

diesem Heft vereinigt.<br />

Dies ist ein guter Anlass über das<br />

Verhältnis der Anwaltschaft zur<br />

Rechtswissenschaft nachzudenken. Hat<br />

doch jede Rechtsanwältin und jeder<br />

Rechtsanwalt ein rechtswissenschaftliches<br />

Studium absolviert. Soweit so gut<br />

und altvertraut – also selbstverständlich.<br />

Wirklich selbstverständlich? Der<br />

Anwalt ist ein Mann der Tat! Er ist<br />

Praktiker! Warum sollten nicht andere<br />

Abschlüsse (z. B. von Fachhochschulen)<br />

zum Anwaltsberuf ausreichen?<br />

Was halten wir entgegen? Was ist<br />

Wissenschaft? Lesebrille und Studierstübchen?<br />

Nein: Geisteswissenschaft<br />

dient der Bildung der Persönlichkeit.<br />

„Universitas“ hat ihren Sinn.<br />

Wir Rechtsanwälte sind mehr als bloße<br />

Paragraphenanwender. Es muss – im<br />

Interesse der Menschen – dabei bleiben,<br />

dass rechtwissenschaftlich ausgebildet<br />

ist, wer Recht anwenden soll.<br />

Halt! Schallt es entgegen. Findet<br />

denn an den Universitäten eine rechtwissenschaftliche<br />

Ausbildung überhaupt<br />

noch statt? Natürlich, heißt die<br />

Antwort. Nur leider: sie erreicht nicht<br />

mehr alle. Wer freischussgerecht studiert,<br />

wird den Anspruch der Universitas<br />

wohl nicht mehr erfüllen. Das ist<br />

ein Übelstand, der behoben werden<br />

muss. Aber er rechtfertigt nicht, Abschlüsse<br />

zuzulassen, die von vorn herein<br />

auf Rechtswissenschaft verzichten!<br />

Bachelor-Abschlüsse, inzwischen<br />

auch für Jura im Gespräch, können,<br />

wenn sie kein rechtswissenschaftliches<br />

Curriculum enthalten, keinesfalls zum<br />

Anwalt qualifizieren.<br />

Das heißt: Anwaltschaft und rechtswissenschaftliche<br />

Fakultäten sind natürliche<br />

Verbündete beim Kampf gegen<br />

eine Entwissenschaftlichung des<br />

I<br />

MN<br />

Rechtswesens – zusammen mit den anderen<br />

Berufsgruppen, die von Volljuristen<br />

gestellt werden. Nur gemeinsam<br />

können wir verhindern, dass man<br />

uns zu Rechtsanwendungsingenieuren<br />

degradiert. So verstanden macht es<br />

auch einen Sinn, wenn heute allenthalben<br />

von einer „anwaltsorientierten“<br />

Juristenausbildung gesprochen wird.<br />

Insoweit kann die Ausbildungsreform<br />

des letzten Jahres auch wirklich etwas<br />

bewirken.<br />

Erstens: die Förderung der Wissenschaft<br />

vom Recht des Anwalts muss<br />

oberste Priorität haben. Was – mit<br />

Ludwig Kochs Hilfe – am Institut für<br />

Anwaltsrecht der Universität zu Köln<br />

geschaffen worden ist, ist vorbildhaft.<br />

Zweitens: Rechtswissenschaft muss<br />

aber auch in der Lehre wieder die ihre<br />

zukommende Geltung erlangen. Es<br />

darf nicht bloß „praxisbezogen“<br />

geprüft werden.<br />

Drittens: Das Studium bildet nicht<br />

Anwälte aus. Das bedeutet: nach der<br />

Ersten juristischen Prüfung wird die<br />

praktische Ausbildung zum Anwalt<br />

(wie zu den anderen Berufen) weiterhin<br />

erforderlich sein. Nach dem Studium<br />

sollte aber jeder in der Lage sein,<br />

zu entscheiden, welchen Beruf er ergreifen<br />

will.<br />

Viertens: Rechtswissenschaft können<br />

nur Rechtswissenschaftler sinnvoll<br />

vermitteln. Wir Anwälte sollten uns<br />

auf diesem Feld zurückhalten.<br />

Im Ergebnis: nicht nur Berührungspunkte<br />

zwischen Anwaltschaft und<br />

Rechtswissenschaft. Sondern eine gemeinsame<br />

Option für eine sinnvolle<br />

Zukunft. Wir müssen uns alle mehr als<br />

bisher einer sachgerechten Zusammenarbeit<br />

mit den Universitäten widmen.<br />

Wie man das leistet, hat Ludwig Koch<br />

in seinem Bereich bereits vorgemacht.


Editorial<br />

I Anwaltschaft und Rechtswissenschaft<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Bericht aus Berlin<br />

IV Sommerliche Schnellschüsse<br />

Bettina Mävers, Berlin<br />

Aufsätze<br />

453 Die Rechtsanwaltschaft unter Modernisierungszwang<br />

Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch-Gladbach<br />

458 Das Berufsbild des europäischen Rechtsanwalts –<br />

Harmonisierung durch Deregulierung?<br />

Prof. Dr. Martin Henssler, Köln<br />

463 Die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts<br />

Prof. Dr. Barbara Grunewald, Köln<br />

466 Die Reform des Rechtsberatungsgesetzes<br />

Prof. Dr. Hanns Prütting, Köln<br />

Kommentar<br />

469 Schluss mit lustig, liebe Versicherer<br />

Rechtsanwalt Justizrat Friedrich Jansen, Neuwied<br />

Thema<br />

470 Wie hält es die Politik mit dem Rechtsberatungsgesetz?<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>-Umfrage bei den rechtspolitischen<br />

Sprechern der Bundestagsfraktionen<br />

Interview<br />

472 Sanktionsbewehrung der Fortbildungspflicht<br />

Interview mit Rechtsanwalt und Notar Johann<br />

Günter Knopp, Präsident der RAK Frankfurt/M.<br />

Gastkommentar<br />

473 Rechtschutzversicherungen – Kein Muss für den<br />

Verbraucher<br />

Johannes Plott, FINANZtest<br />

Anwaltstag 2004<br />

474 Sicherheit und Ordnung auf Kosten der Freiheit?<br />

Festvortrag von Dr. Heiner Geißler, Bundesminister<br />

a.D., auf der Zentralveranstaltung<br />

480 DAV-Rednerwettstreit: Sind Anwälte „Edel und<br />

Star(c)k“?<br />

Rechtsanwalt Dr. Friedrich Blase, Frankfurt/M.<br />

482 Zwischenruf: Einsatz für verfolgte Berufskollegen<br />

Rechtsanwalt Gerhart R. Baum, Bundesminister<br />

a. D., Köln<br />

Rechtsanwälte und Menschenrechte<br />

Rechtsanwalt Dr. Konstantin Thun, Freiburg<br />

483 Anwaltstag 2004 mit großer Medienresonanz<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

484 Treffpunkt Anwaltstag 2004<br />

Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

486 Spitzengespräch mit dem FDP-Präsidium<br />

Janine Kley, Berlin<br />

487 Anwälte lehnen Großen Lauschangriff ab!<br />

Bremischer Anwaltsverein: 125-jähriges Jubiläum<br />

Rechtsanwalt Dieter Janssen, Bremen<br />

488 DAV gegen Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten<br />

<strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart: Per Knopfdruck ins<br />

Landgericht Konstanz<br />

Rechtsanwältin Anke Haug, Stuttgart<br />

489 Anwaltverband Sachsen: 13. Anwaltstage<br />

Rechtsanwalt Svend-Gunnar Kirmes, Grimma<br />

Gründung eines <strong>Anwaltverein</strong>s in Großbritannien<br />

490 DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

AG Anwaltsmanagement: Corporate<br />

Governance der Rechtsanwälte<br />

Rechtsanwalt Jürgen Schneider, Hamburg<br />

491 Deutsche Anwaltakademie: Das Weinrechtsseminar<br />

Rechtsanwalt Hans-Hermann Hieronimi, Koblenz<br />

492 AG Internationaler Rechtsverkehr: 2. Deutsch-<br />

Italienisches Seminar<br />

493 8. Deutsch-Französisches Seminar<br />

Rechtsanwalt Thomas Krümmel, Berlin<br />

494 AG Verkehrsrecht: Geschäftsbericht 2003/2004<br />

Rechtsanwalt JR Hans-Jürgen Gebhardt, Homburg/Saar<br />

495 ARGE Mietrecht und WEG: Mietrecht, Mietprozess<br />

und Reformbedarf im Wohnungseigentumsrecht<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

496 AG Sozialrecht: Mitgliederversammlung<br />

AG Strafrecht: Mitgliederversammlung<br />

AG Familien- und Erbrecht: Mitgliederversammlung<br />

497 Personalien (u. a. Ehrung für Dr. h. c. Koch)<br />

DAV-Anwaltausbildung<br />

498 Ausbilden zum Anwalt: wichtig und richtig<br />

Rechtsanwalt Heinrich Potthast, Köln<br />

499 Newsletter für DAV-Ausbildungskanzleien<br />

Meinung & Kritik<br />

500 Anwalt – Priester – Arzt<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von<br />

Westphalen, Köln<br />

501 Anwaltsmonopol, Verbraucherschutz,<br />

Verschwiegenheit<br />

Rechtsanwalt Niko Härting, Berlin<br />

502 Es geht nicht um bewusst kriminell tätige Kollegen<br />

Rechtsanwalt Matthias Schollen, Freiburg/Breisgau<br />

Mitteilungen<br />

Zivilprozessrecht<br />

503 Modernes Zivilverfahrensrecht? 1. JuMoG<br />

Rechtsanwalt Dr. Bernd Hirtz, Köln<br />

Strafprozessrecht<br />

506 Moderne Strafverteidigung 1. JuMoG<br />

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Sommer, Köln


Syndikusanwälte<br />

509 Unternehmen prüfen Anwaltshonorare strenger<br />

Dr. Joachim Jahn, Frankfurt<br />

Anwaltsvergütung<br />

510 Anforderungen an Abrechnung nach dem RVG<br />

Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen<br />

511 RVG – Frage des Monats: Terminsgebühr vor<br />

Klageanhängigkeit?<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Anwaltspraxis<br />

512 Datenschutz im Anwaltsbüro<br />

Rechtsanwalt Jens Wagener, Berlin<br />

Internationales<br />

513 30. DACH-Tagung in Berlin<br />

Rechtsanwalt Jürgen Wagner, Konstanz/Zürich/Vaduz<br />

Anwaltsrecht<br />

514 Bücherschau: Rechtsberatung und Werberecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

Haftpflichtfragen<br />

516 Vom Umgang mit dem Haftpflichtversicherer<br />

Rechtsanwältin Kerstin Nieger, München<br />

518 § 61 InsO – BGH zu Grenzen der Verwalterhaftung<br />

Rechtsanwalt Alexander Weinbeer, München<br />

Rechtsprechung<br />

Berufsrecht<br />

519 BVerfG (1. Senat), Beschl. v. 20.4.2004 – 1 BvR<br />

838/01 u.a.: Verfassungswidrige Auswahl von<br />

Anwaltsnotaren mit Anmerkung von Rechtsanwalt<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg/Br.<br />

525 BVerfG (2. Kamm. des 1. Senates), Beschl. v.<br />

28.04.2004 – 1 BvR 912/04: Sach- und Rechtslage<br />

bei Amtsenthebung von Notaren<br />

526 OLG Nürnberg, Urt. v. 22.6.2004 – 3 U 334/04:<br />

Werbung des Anwalts mit Umsatzzahlen zulässig<br />

Anwaltsvergütung<br />

527 BGH, Beschl. v. 27.4.2004 – VI ZB 64/03:<br />

Volle Gebühr bei Vertretung durch Assessor<br />

528 Fotonachweis, Impressum<br />

Auf dem Umschlag<br />

Jahrgang 54<br />

August/September 2004<br />

VI, VIII Informationen<br />

XXVI <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag aktuell<br />

XXXII Bücher & Internet<br />

XXXIV, XXXV Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />

XXXVI DAV-Service<br />

Im nächsten Heft:<br />

9 Interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten,<br />

Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern<br />

(Merkner und Pluskat)<br />

9 Das neue UWG (Sosnitza)


IV<br />

MN<br />

BERICHT AUS BERLIN<br />

Sommerliche Schnellschüsse<br />

Wohnraumüberwachung<br />

Fast sah es so aus, als würde die<br />

Rechtspolitik das eine oder andere<br />

Thema für die nachrichtenarme Sommerzeit<br />

liefern, als Bundesjustizministerin<br />

Brigitte Zypries kurz vor den Parlamentsferien<br />

mit ihren Entwürfen<br />

zum großen Lauschangriff – pardon:<br />

Wohnraumüberwachung – und zur<br />

Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts<br />

in die Schlagzeilen geriet.<br />

Fast: Die Wogen der Empörung<br />

schlugen zwar hoch, verebbten jedoch<br />

schnell wieder.<br />

Zurückgekehrt in die Schubladen<br />

des Justizministeriums – oder doch des<br />

Innenministeriums? – ist der Gesetzentwurf<br />

zur Wohnraumüberwachung.<br />

Er war von Politikern aller Parteien<br />

und in der Öffentlichkeit scharf kriti-<br />

Die Autorin:<br />

Bettina Mävers<br />

war als Journalistin<br />

u. a. für das<br />

Handelsblatt tätig<br />

und erhielt 2001<br />

den DAV-Pressepreis.<br />

siert worden, vor allem, weil das<br />

grundsätzliche Abhörverbot von Berufsgeheimnisträgern<br />

wie Rechtsanwälten<br />

für die Bedürfnisse der Strafverfolgung<br />

aufgeweicht werden sollte.<br />

Die strikte Ablehnung aus den Reihen<br />

von SPD und Grünen überraschte die<br />

Bundesjustizministerin offensichtlich,<br />

denn angeblich soll der <strong>Entwurf</strong> vor<br />

der Veröffentlichung in mehreren Sitzungen<br />

mit den Rechtspolitikern der<br />

Regierungsfraktionen besprochen und<br />

abgestimmt worden sein. Lediglich einige<br />

wenige Politiker der Unionsparteien<br />

begrüßten den Gesetzentwurf,<br />

die meisten Christdemokraten und -sozialen<br />

hatten sich allerdings ablehnend<br />

geäußert.<br />

Einmütig ist die Front der Unionsparteien<br />

allerdings beim Thema Lebenspartnerschaftsrecht:<br />

Vor allem die<br />

Stiefkindadoption durch gleichgeschlechtliche<br />

Lebenspartner lehnen die<br />

Konservativen ab.<br />

Wirklich überrascht haben diese<br />

Vorbehalte der Unionspolitiker wohl<br />

niemanden, und da deren Uneinigkeit<br />

in sozialpolitischen Fragen zurzeit wesentlich<br />

spannender und berichtens-<br />

werter ist, verschwand auch das<br />

Thema Lebenspartnerschaft schnell<br />

wieder aus den Schlagzeilen.<br />

Einigung zur Justizmodernisierung<br />

Überraschend, allerdings nicht von<br />

breitem Interesse und damit sommerthementauglich,<br />

war dagegen die plötzliche<br />

Einigung der Regierungsparteien<br />

und der CDU/CSU-Fraktion, das Justizmodernisierungsgesetz<br />

der Bundesregierung<br />

und das 1. Justizbeschleunigungsgesetz<br />

zusammenzuführen und<br />

es, damit sich auch alle wieder finden,<br />

1. Justizmodernisierungsgesetz zu nennen.<br />

Innerhalb kurzer Zeit wurde ein<br />

Gesetzentwurf zurechtgezimmert, der<br />

noch vor der Sommerpause von Bundestag<br />

und Bundesrat durchgewinkt<br />

wurde. Dabei blieb einiges aus dem<br />

<strong>Entwurf</strong> der Bundesregierung übrig,<br />

etwas weniger vom <strong>Entwurf</strong> der<br />

Union, und einiges fiel ganz unter den<br />

Tisch: Zum Beispiel der umstrittene<br />

Beweistransfer vom Strafurteil in den<br />

Zivilprozess, den beide Entwürfe, allerdings<br />

in unterschiedlicher Form,<br />

noch vorgesehen hatten (zum Inhalt<br />

des 1. Justizmodernisierungsgesetz<br />

siehe auch die Aufsätze von Hirtz und<br />

Sommer ab S. 503 in diesem Heft).<br />

Damit ist nach dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />

ein weiteres<br />

Justizgesetz auf der Basis eines parteiübergreifenden<br />

Konsenses zwischen<br />

Bundestag und Bundesrat entstanden.<br />

Diese konsensuale Politik wird aber<br />

spätestens bei der von den Ländern geforderten<br />

Öffnungsklausel zur Zusammenlegung<br />

öffentlich-rechtlicher Fachgerichtsbarkeiten<br />

an ihre Grenzen<br />

stoßen: In einer gemeinsamen Erklärung<br />

plädierten die Sprecher der CDU/<br />

CSU-Fraktion für Rechts-, Innen-,<br />

Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik<br />

dagegen und damit gegen die Position<br />

auch der unionsgeführten Bundesländer.<br />

Da sich aber zumindest die Bundesjustizministerin<br />

schon einmal dafür<br />

ausgesprochen hat, werden die Abgeordneten<br />

von SPD und Grüne möglicherweise<br />

folgen, so dass die Mehrheit<br />

im Bundestag – im Bundesrat sowieso<br />

– gesichert wäre.<br />

Antidiskriminierung: Brüssel mahnt<br />

Im Juli kehrte sie doch noch einmal<br />

zurück in die Schlagzeilen, die Rechts-<br />

politik: Die EU-Kommission hat gegen<br />

Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren<br />

eingeleitet, weil zwei<br />

Antidiskriminierungsrichtlinien immer<br />

noch nicht umgesetzt wurden. Die<br />

Bundesjustizministerin hatte im Juni<br />

ein vorläufiges Konzept eines zivilrechtlichenAntidiskriminierungsgesetzes<br />

vorgelegt und einen Gesetzentwurf<br />

im Lauf des Sommers angekündigt.<br />

Noch im vergangenen Jahr hatte Frau<br />

Zypries erklärt, sie wolle lediglich die<br />

Richtlinie umsetzen. Der Diskussionsentwurf<br />

geht darüber insofern hinaus,<br />

als auch Diskriminierungen wegen Behinderung<br />

bei bestimmten Verträgen<br />

erfasst werden. Das dürfte noch nicht<br />

das letzte Wort gewesen sein: Es ist<br />

bekannt, dass die Grünen ein weitgehendes<br />

Diskriminierungsverbot im<br />

Zivilrecht verankern wollen und sowohl<br />

den persönlichen Anwendungsbereich<br />

über den von der Richtlinie<br />

verlangten Schutz vor rassischen oder<br />

ethnischen Benachteiligungen als auch<br />

den sachlichen Anwendungsbereich,<br />

also die Art der erfassten Verträge,<br />

ausdehnen wollen. Und es wird gemunkelt,<br />

dass den Grünen im Zusammenhang<br />

mit dem Zuwanderungsgesetz<br />

entsprechende Zugeständnisse<br />

gemacht worden seien.<br />

BGB: Neue Haftungsregelung<br />

Heimlich, still und leise hat der<br />

Bundestag vor der Sommerpause das<br />

Gesetz zur Änderung über Fernabsatzverträge<br />

bei Finanzdienstleistungen<br />

verabschiedet, das die entsprechende<br />

EG-Richtlinie umsetzt und Vorschriften<br />

für den Vertrieb von Finanzdienstleistungen<br />

via Telefon, Internet oder<br />

Fax enthält. Wie in den vergangenen<br />

Wochen bereits diskutiert, wurde mit<br />

diesem Gesetz auch eine Änderung<br />

der §§ 444 und 639 BGB beschlossen:<br />

das Wort wenn wird durch soweit ersetzt<br />

und damit eine Beschränkung<br />

oder ein Ausschluss der Haftung auf<br />

den konkreten Inhalt einer Garantie begrenzt.<br />

Die Änderung geht auf einen<br />

Gesetzentwurf der Unionsfraktion zur<br />

Beseitigung der Rechtsunsicherheit<br />

beim Unternehmenskauf zurück, der<br />

durch Änderung verschiedener Normen<br />

klarstellen sollte, dass sich die Begrenzung<br />

auch auf die Rechtsfolgenseite<br />

bezieht. Dies hat das BMJ nun in der<br />

Begründung zur Änderung der beiden<br />

Paragrafen deutlich gemacht, und so<br />

haben auch die Unionspolitiker der<br />

kleinen Lösung zugestimmt.<br />

Bettina Mävers, Berlin


VI<br />

MN<br />

INFORMATIONEN<br />

DAV-Aktuell<br />

DAV-Vorstand Ewer<br />

Vizepräsident des BFB<br />

Bei den Wahlen<br />

Ende Juni zum Präsidium<br />

des Bundesverbandes<br />

der Freien Berufe<br />

(BFB) wurde Dr.<br />

Wolfgang Ewer (links)<br />

aus dem DAV-Vorstand zum Vizepräsidenten<br />

gewählt. Der Rechtsanwalt aus<br />

Kiel wird auch das Amt des Schatzmeisters<br />

übernehmen. Als Präsident wurde<br />

der Mediziner Dr. Ulrich Oesingmann<br />

bestätigt. Beisitzer wurden aus der Anwaltschaft<br />

Rechtsanwalt Dr. Fritz-Eckehard<br />

Kempter, Vizepräsident der RAK<br />

München, und Rechtsanwalt, Steuerberater<br />

und Wirtschaftsprüfer Dieter Ulrich,<br />

Vizepräsident der Wirtschaftsprüferkammer.<br />

Bislang war der DAV unter<br />

den Vizepräsidenten durch DAV-Vorstand<br />

Dr. Klaus E. Böhm vertreten.<br />

Das Präsidium wurde für vier Jahre<br />

gewählt. Der BFB vertritt die Interessen<br />

der Freiberufler als Gesamtheit in<br />

der Bundesrepublik. nil<br />

Ausbildungsabgabe ade?<br />

Die Spitzenorganisationen der gewerblichen<br />

Wirtschaft haben mit der<br />

Bundesregierung einen Ausbildungspakt<br />

abgeschlossen, den der Bundesverband<br />

der Freien Berufe (BFB) bewusst<br />

nicht unterzeichnet hat. Das<br />

Überangebot an Lehrstellen in unserem<br />

Bereich ist Beleg dafür, dass Freiberufler<br />

ausbildungswilligen und -fähigen<br />

Jugendlichen Angebote auch ohne<br />

Pakt oder Gesetz unterbreiten.<br />

Durch den Pakt ist die Ausbildungsplatzabgabe<br />

zwar momentan vom Tisch,<br />

doch könnten Forderungen nach einem<br />

Gesetz schon bald wieder auflodern:<br />

Dann nämlich, wenn die gewerbliche<br />

Wirtschaft hinter ihren Zusagen zurückund<br />

die Lehrstellenschere offen bleibt.<br />

Die Anwaltschaft sollte die Entwicklung<br />

aufmerksam verfolgen. Zwar liegt<br />

ihre Betriebsgröße im Schnitt unter dem<br />

voraussichtlichen Schwellenwert von<br />

zehn Beschäftigten und auch die geforderte<br />

Ausbildungsquote von sieben Prozent<br />

wird in den meisten Kanzleien übererfüllt.<br />

Doch der enorme Bürokratieaufwand,<br />

den ein Ausbildungsplatzgesetz<br />

mit sich brächte, käme auch auf die Anwälte<br />

zu.<br />

Marcus Kuhlmann, Berlin<br />

<strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart<br />

Karriere, Kohle,<br />

Kompetenz<br />

Fortbildung für Anwältinnen<br />

Als Vertiefung der Vorgängerkongresse<br />

in Hamburg und München fokussiert<br />

der <strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart am<br />

12. und 13. November 2004 seinen<br />

Anwältinnen-Kongress auf das Thema<br />

„Kohle“. Neben den Regelungen des<br />

RVG – Honorare berechnen, Honorare<br />

festlegen, Honorare vereinbaren – lernen<br />

die teilnehmenden Anwältinnen,<br />

wie sie die Kosten ihrer Arbeitszeit<br />

berechnen, wie sie ihren Preis bestimmen,<br />

wie sie ihr Marketing planen,<br />

was sie beim Kanzleimanagement<br />

beachten sollten und welche Akquisitionsinstrumente<br />

es gibt. Praktische<br />

Beispiele werden das Programm<br />

abrunden. Es referieren: Rechtsanwältin<br />

Svenja Spranger, Geschäftsführerin<br />

des Hamburgischen <strong>Anwaltverein</strong>s und<br />

Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss<br />

der AG Anwältinnen, Rechtsanwältin<br />

Edith Kindermann (Bremen)<br />

sowie Anwaltstrainerin und Coach Johanna<br />

Busmann (Hamburg). Als einziger<br />

Mann auf dem Programm: Der<br />

Vorsitzende des <strong>Anwaltverein</strong>s Stuttgart<br />

Ekkehard Kiesswetter, der die Teilnehmerinnen<br />

begrüßen wird.<br />

Informationen und Anmeldung:<br />

Im Internet unter www.anwaltvereinstuttgart.de<br />

oder telefonisch bei der<br />

Anwaltservice Stuttgart GmbH unter<br />

(0711) 236 93 06.<br />

AG Strafrecht<br />

Veranstaltungen September/Oktober<br />

2004<br />

28. Fachlehrgang Strafrecht: 9.9. –<br />

4.12.2004, Düsseldorf, Einzelheiten<br />

und Teilnehmergebühren auf Anfrage<br />

Wirtschaftsstrafrecht: RAuN Dr.<br />

Wilhelm Krekeler, Dortmund; RA Dr.<br />

Daniel M. Krause, Berlin; 11.9.2004,<br />

Berlin.<br />

Aktuelles Straf- und Strafverfahrensrecht:<br />

RA Prof. Dr. Volkmar<br />

Mehle, Bonn; RA Dr. Holger Matt,<br />

Frankfurt; 2.10.2004, Lübeck.<br />

Internet und Strafrecht: RAin Annette<br />

Marberth-Kubicki, Kiel; RAin<br />

Dr. Gina Greeve, Frankfurt;<br />

23.10.2004, Münster.<br />

Verkehrsstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht:<br />

RA Rainer Brüssow,<br />

Köln; RA Dr. Klaus Leipold,<br />

München; 30.10.2004, Dortmund.<br />

Teilnehmergebühr: 140 E für Mitglieder<br />

der ARGE; 190 E für Nichtmitglieder.<br />

Anmeldungen (bitte schriftlich) und<br />

weitere Informationen: Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht, Veranstaltungsorganisation,<br />

Gansweide 21,<br />

53359 Rheinbach, Tel: 02226/912091,<br />

Fax: 02226/912095.<br />

AG Verkehrsrecht<br />

Veranstaltungen September/Oktober<br />

2004<br />

24. Homburger Tage: 16.10.2004,<br />

Homburg/Saar, Teilnehmergebühr und<br />

Rahmenprogramm auf Anfrage<br />

Der Zeugenbeweis: Prof. Dr. Friedrich<br />

Dencker, Münster; 18.9.2004, Berlin.<br />

Unfallregulierung und Sozialrecht:<br />

RA Prof. Dr. Hermann Plagemann,<br />

Frankfurt; Ass. Jürgen Nehls, Bielefeld;<br />

18.9.2004, Dresden.<br />

Fahreignung – Erteilung, Entziehung<br />

und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis:<br />

RA Frank R. Hillmann III, Oldenburg;<br />

Dipl. Psych. Axel Uhle,<br />

TÜV Saarbrücken; 18.9.2004, Hagen.<br />

Brennpunkte der Schadenregulierung:<br />

RA Jörg Elsner, Hagen;<br />

25.9.2004, Stuttgart.<br />

Klageanträge und typische Beweisprobleme<br />

im Haftpflichtprozeß:<br />

RiBGH a.D. Dr. Manfred Lepa, Bonn;<br />

25.9.2004, Groß-Gerau.<br />

Brennpunkte der Personenschadenregulierung:<br />

Prokurist Herbert Lang,<br />

ALLIANZ München; 25.9.2004, Nürnberg.<br />

Wahrheitsfindung und Vernehmung<br />

im Prozess. Technik der Befragung<br />

von Parteien und Zeugen/innen:<br />

RiOLG Axel Wendler, Lehrbeauftragter<br />

an der Universität Tübingen, Filderstadt;<br />

2.10.2004, Bad Bramstedt.<br />

Teilnehmergebühr (inkl. Mittagessen):<br />

140 E für Mitglieder der ARGE; 190 E<br />

für Nichtmitglieder.<br />

Anmeldungen (bitte schriftlich) und<br />

weitere Informationen: Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht, Veranstaltungsorganisation,<br />

Gansweide 21, 53359<br />

Rheinbach, Tel: 02226/912091, Fax:<br />

02226/912095.


VIII<br />

MN<br />

INFORMATIONEN<br />

AG Verwaltungsrecht<br />

Aktuelles Bauordnungsrecht<br />

und Änderung<br />

durch das EAG<br />

Die Landesgruppe Hessen der Arbeitsgemeinschaft<br />

für Verwaltungsrecht<br />

im DAV veranstaltet am Donnerstag,<br />

dem 7.10.2004 in Sulzbach/Taununs<br />

(Dorint-Hotel) ein Seminar zum<br />

Bauordnungsrecht. Der Vorsitzende<br />

Richter am OVG Münster Dr. Bernhard<br />

Schulte referiert zu aktuellen Problemen<br />

des Bauordnungsrechts (insbesondere<br />

Schnittstellenproblematik mit dem<br />

Bauplanungsrecht). Die Änderung des<br />

Bauplanungsrechts durch das EAG Bau<br />

vom 24.06.2004 stellt Jens Meißner<br />

vom Thüringer Innenministerium vor.<br />

Es ist eine Fortbildungsveranstaltung<br />

gem. § 15 FAO.<br />

Tagungsbeitrag: 150 E fuÈ r Mitglieder<br />

der AG, 200 E fuÈ r Nichtmitglieder.<br />

Information und Anmeldung:<br />

Rechtsanwalt Dr. M. Großhauser,<br />

Beethovenstr. 35, 60325 Frankfurt/<br />

Main, Tel.: 0 69 / 97 57 02 32, Fax:<br />

0 69 / 74 82 40, m.grosshauser@tonline.de.<br />

AG Ausländer- und Asylrecht<br />

Aktuelles zum Recht der<br />

Spätausssiedler<br />

Das Seminar der ARGE am 2. Oktober<br />

2004 von 10:00 bis 17:00 Uhr<br />

befasst sich mit der komplizierten Materie<br />

des Rechts der Spätaussiedler,<br />

das trotz rückläufiger Zahlen noch immer<br />

von großer Bedeutung ist.<br />

Der Referent, Rechtsanwalt Michael<br />

Koch, wird u. a. folgende Themen<br />

behandeln: Beweiskraft der<br />

behördlichen Anhörungsprotokolle;<br />

nachträgliche Härtefallaufnahme/-einbeziehung;<br />

Staatsangehörigkeitsfragen;<br />

BVFG nach dem Zuwanderungsgesetz;<br />

Gebührenfragen nach dem RVG.<br />

Teilnehmerbeiträge: 90 E fuÈ r Mitglieder<br />

der ARGE, 130 E fuÈ r Nichtmitglieder.<br />

Anmeldung: RA Steinbeck, Leipziger<br />

Platz 1, 90491 Nürnberg, Tel. (09 11)<br />

519 59-10 Fax: (0911) 51959-20,<br />

RASUR@t-online.de (Vorkenntnisse<br />

werden vorausgesetzt).<br />

AG Steuerrecht<br />

Mitgliederversammlung<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

(GFA) der AG lädt ein zur Mitgliederversammlung<br />

am Freitag, 5.11.2004,<br />

18.00 Uhr, Hotel Hilton, Mohrenstr. 30,<br />

10117 Berlin.Tagesordnung: 1. Bericht<br />

des Vorsitzenden, 2. Kassenprüfbericht,<br />

3. Allg. Aussprache, 4. Entlastung des<br />

GFA, 5. Neuwahl des GFA, 6. Wahl<br />

Kassenprüfer, 7. Verschiedenes. Anträge<br />

sind spätestens 21 Tage vorher<br />

beim GFA eingehend (Littenstr. 11,<br />

10179 Berlin) zu stellen und von mindestens<br />

10 Mitgliedern zu unterstützen.<br />

Tagungen und Kongresse<br />

Treffen deutscher und<br />

britischer Juristen<br />

Die Deutsch-Britische Juristenvereinigung<br />

e. V. und The British-German<br />

Jurists Association laden zu einer Tagung<br />

vom 17. bis 19. September nach<br />

Köln ein. U. a wird es Vorträge zu den<br />

Themen „Media and the Law“ und<br />

„Criminal investigation“ geben. Am<br />

ersten Tagungstag wird der Oberbürgermeister<br />

der Stadt Köln die Teilnehmer<br />

empfangen.<br />

Weitere Informationen zum Programm<br />

und Anmeldung: Deutsch-Britische<br />

Juristenvereinigung e. V., Rechtsanwalt<br />

Dr. Suhr, Neuer Wall 42, 20354<br />

Hamburg, Tel.: 0 40 / 37 86 87 11,<br />

Fax: 0 40 / 37 89 87 20.<br />

Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie<br />

Die 4. Jahrestagung der Arbeitsgruppe<br />

Europäisches und Internationales<br />

Arbeits- und Sozialrecht (EIAS) im<br />

Deutschen Arbeitsgerichtsverband e. V.<br />

wird sich am 11./12. November 2004 in<br />

Hamburg mit der Umsetzung der neuen<br />

europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie<br />

im Arbeits- und Sozialrecht beschäftigen.<br />

Das Thema wird aus deutscher,<br />

französischer, englischer und<br />

internationaler Sicht behandelt. Referenten<br />

werden Professoren, Richter, Ministerialbeamte<br />

und Rechtsanwälte sein.<br />

Weitere Informationen zum Programm<br />

und Anmeldung: EIAS c/o<br />

Rechtsanwälte Walther Behrens Partner,<br />

Jungfernstieg 41, 20354 Hamburg,<br />

info@behrenspp.de.


Im Auftrag des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Die Rechtsanwaltschaft<br />

unter Modernisierungszwang<br />

Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch Gladbach*<br />

Q<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Jahrgang 54<br />

August/September 2004<br />

Die Debatte um die Deregulierung der Berufsrechte hat<br />

die Freien Berufe erfasst. Der Sonderstatus auch der Anwaltschaft<br />

wird in Frage gestellt. Der Autor fordert die<br />

Anwaltschaft auf, das Vertrauen in das System anwaltlichen<br />

Rechtsrats nicht zu verspielen. Die Chance der Anwaltschaft<br />

liege darin, dass sich die Gesellschaft eine Versorgung<br />

mit Rechtsrat auf Discountstandard dauerhaft<br />

nicht leisten könne.<br />

1. Die Entwicklungsdynamik der Anwaltschaft<br />

Die Situation der Anwaltschaft in der Bundesrepublik<br />

Deutschland ist derzeit durch folgende zentrale Entwicklungstendenzen<br />

gekennzeichnet:<br />

Ein ungebremster Expansionsdruck verschärft die Konkurrenzsituation<br />

innerhalb der Anwaltschaft. Die Folgen<br />

dieses Prozesses sind ungewisser denn je. Wäre der Markt<br />

rechtlicher Dienste in Form von Rechtsvertretung und<br />

Rechtsberatung gesättigt, würde dieser Konkurrenzdruck<br />

unmittelbar zu existenziellen Problemen für eine Vielzahl<br />

von Anwälten führen. Solche Wirkungen sind derzeit empirisch<br />

nicht abschließend gesichert. Allerdings mehren sich<br />

Berichte über Umsatzrückgänge und wirtschaftliche Schieflagen<br />

in Anwaltskanzleien1 .<br />

In engem Zusammenhang mit diesem Expansionsdruck,<br />

zugleich aber auch mit der fortschreitenden Differenzierung<br />

des rechtlichen Wissens und einer Differenzierung der<br />

Nachfrage nach Rechtsrat ist die sich beschleunigende Dynamik<br />

der Spezialisierung der Anwaltschaft zu sehen2 .Äußerlich<br />

sichtbar wird dies am starken Zuwachs der Fachanwälte,<br />

aber auch an Tendenzen zu strategischen<br />

Schwerpunktsetzungen in den Kanzleien und der Ausrichtung<br />

ihrer Leistungsprogramme an den Belangen bestimmter<br />

Zielgruppen. Im Ergebnis resultieren hieraus spezielle<br />

Risiken für Allgemeinanwälte mit ihrem eher unspezifischen<br />

Programm. Solche Risiken werden sich vor allem<br />

dann verschärfen, wenn Mandanten immer stärker zu spezialisierter<br />

Nachfrage anwaltlicher Dienste neigen. Dies gilt<br />

zumindest so lange, wie Allgemeinanwälte nicht als Ein-<br />

gangs- bzw. Steuerungsinstanz für anwaltlichen Rechtsrat<br />

gesehen werden.<br />

Die Tendenz zur Spezialisierung kennzeichnet zugleich<br />

einen fundamentalen Strukturwandel in den westlichen Industrienationen:<br />

Die Angewiesenheit der Menschen auf Expertensysteme<br />

wird größer, da die Lebensverhältnisse immer<br />

stärker durch überregionale, nationale und vor allem<br />

internationale Entwicklungen geprägt sind, dementsprechend<br />

weniger im lokalen Rahmen verbleiben und insgesamt<br />

an Komplexität zunehmen 3 .<br />

Dem entspricht die sich verstärkende Tendenz zur Internationalisierung<br />

der Anwaltskanzleien, die sich nicht nur in<br />

einer Fusionswelle mit dem Ergebnis internationaler Großkanzleien<br />

manifestiert hat, sondern inzwischen auch daran<br />

sichtbar wird, dass auf der Ebene von Kanzleien mittlerer<br />

Größe internationale Kooperationen zunehmen. Die Anwaltschaft<br />

folgt damit – wenn auch noch zögernd – dem<br />

fundamentalen ökonomischen Strukturwandel in Form der<br />

Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen.<br />

Die zunehmende Größe und innere Differenzierung der<br />

Anwaltschaft verschärft zugleich das Problem ihrer Integration<br />

als einer Professionsgemeinschaft 4 . Innere Differenzierung<br />

heißt immer auch Spreizung der Interessenlagen<br />

und zugleich Erhöhung der Zentrifugalkräfte innerhalb einer<br />

Gemeinschaft. Die Wahrscheinlichkeit einer Integration<br />

der Anwaltschaft im Sinne einer Wertegemeinschaft nimmt<br />

– wird nicht durch besondere Anstrengungen gegengesteuert<br />

– mit zunehmer Zahl der Berufsträger tendenziell ab. In<br />

der Masse der Anwälte erkennen die Einzelnen nur schwer,<br />

dass ihr Beitrag zum Fortbestand der Anwaltschaft als einer<br />

Wertegemeinschaft wichtig ist. Damit aber steigt tendenziell<br />

die Zahl derer, die als Trittbrettfahrer von dieser Gemeinschaft<br />

profitieren wollen, ohne selbst in sie zu investieren<br />

5 .<br />

* Der Autor ist Vorstandsvorsitzender des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement.<br />

Der Beitrag beruht auf dem Vortrag am 15.6.2004 aus Anlass der akademischen<br />

Feier der Universität zu Köln zum 70. Geburtstag von Rechtsanwalt<br />

Dr. h.c. Ludwig Koch.<br />

1 Vgl. hierzu Hommerich, C.; Werle, R.: Die Anwaltschaft zwischen Expansionsdruck<br />

und Modernisierungszwang, in: Zeitschr. f. Rechtssoziologie 1/87, S. 1ff.;<br />

Hommerich, C.: Der Einstieg in den Anwaltsberuf, Bonn 2001.<br />

2 Zum Strukturwandel der Anwaltschaft vgl. Abel, R. L.; Lewis, Ph. S. C.: Lawyers<br />

and Society, 2. Bde. Berkeley 1988.<br />

3 Vgl. hierzu Giddens, A.: Konsequenzen der Moderne, Frankfurt am Main 1996.<br />

4 Vgl. hierzu Kilger, H., AnwBl 2003, S. 449 ff.<br />

5 Coleman, J. S.: Foundations of Social Theory, Cambridge, Mass. 1990, S. 270–<br />

271, S. 451–465; Münch, R.: Soziologische Theorie, Bd. 2, Frankfurt am Main<br />

2003, S. 103 ff.


454<br />

MN<br />

Dieser Herausforderung von innen steht eine Herausforderung<br />

von außen gegenüber: Insbesondere auf europäischem<br />

Parkett wird – mit einer Zeitverzögerung von gut 15<br />

Jahren – die vor allem im angloamerikanischen Bereich<br />

geführte Diskussion über eine „Deprofessionalisierung“ der<br />

klassischen Professionen6 (gemeint sind in erster Linie<br />

Ärzte, Anwälte, Wissenschaftler, Architekten) aufgegriffen<br />

und in Form einer Deregulierungsdebatte zugespitzt7 . Im<br />

Zentrum dieser Diskussion steht die Frage, ob die freien<br />

Berufe ihre gesellschaftliche Sonderstellung im Sinne einer<br />

interessengeleiteten Politik reiner Domänesicherung missbrauchen<br />

und eine gesellschaftlich unerwünschte Wissensmonopolisierung<br />

betreiben, um sich auf diese Weise Konkurrenz<br />

vom Halse zu halten. Damit wird der Sonderstatus<br />

der Anwaltschaft in Frage gestellt und eine Öffnung der<br />

Rechtsberatung und rechtlichen Vertretung auch für andere<br />

Berufsgruppen nicht grundsätzlich ausgeschlossen8 .<br />

Die hier skizzierten Einzeltendenzen markieren eine Gemengelage,<br />

in der die Anwaltschaft unter Modernisierungszwang<br />

gerät. Sie wird folgende zentrale Fragen überzeugend<br />

beantworten müssen: Wie kann sie sich von der<br />

allgemeinen Krise der Expertensysteme abkoppeln? Kann<br />

sie durch eine eigene Überzeugungsleistung gegenüber<br />

Staat und Gesellschaft ihre Alleinstellung oder zumindest<br />

ihre herausragende Stellung in Sachen rechtlicher Beratung<br />

und Vertretung legitimieren?<br />

Drei weitere Fragen schließen sich an: Wie schafft es<br />

die Anwaltschaft, Systemvertrauen in ihr Expertensystem<br />

zu gewinnen, wie schaffen es die Kanzleien, Organisationsvertrauen<br />

zu gewinnen und schließlich, wie schafft es jeder<br />

einzelne Anwalt und jede einzelne Anwältin, personales<br />

Vertrauen auf sich zu vereinigen9 ?<br />

Die folgenden Ausführungen beziehen sich schwerpunktmäßig<br />

auf die erste der drei Fragestellungen.<br />

2.Von der Domäneverteidigung zu aktiver<br />

Vertrauensbildung<br />

Der Verdacht, die klassischen Professionen neigten vor<br />

allem zur Monopolbildung, ist nahezu so alt wie Professionen<br />

selbst. Zwar wurden für die Institutionalisierung von<br />

Systemen, die den klassischen Professionen die Selbstregulierung<br />

ihrer eigenen Belange ermöglichten, gute Argumente<br />

vorgetragen: Nur die Mitglieder der Professionen<br />

selbst seien – im Gegensatz zu Laien – in der Lage, über<br />

ihr Wissen zu wachen, es aktiv durch Forschung und Lehre<br />

auszubauen und weiterzuvermitteln und auf dem Weg der<br />

professionellen Selbstkontrolle seine regelgerechte Anwendung<br />

sicherzustellen. Darüber hinaus war es funktional gut<br />

begründet, den Mitgliedern der Professionen die Unterwerfung<br />

unter einen Code of Ethics abzuverlangen, um auf<br />

diese Weise sicherzustellen, dass sie – ausschließlich orientiert<br />

am Prinzip der Fachlichkeit und auf ein bestimmtes<br />

Dienstleistungsideal verpflichtet – für die ihnen anvertrauten<br />

Menschen tätig wurden. Dies schloss eine dominante<br />

Orientierung am Prinizp ökonomischer Nutzenmaximierung<br />

aus und einen – zumindest partiellen – Verzicht auf Eigennutz<br />

ein10 .<br />

Schließlich wurde der „Zentralwertbezug“ ihrer Tätigkeit<br />

besonders akzentuiert: Speziell die Rechtsanwälte wurden<br />

als Organe der Rechtspflege gesehen, zugleich aber wurden<br />

ihre Unabhängigkeit insbesondere von staatlicher Kontrolle<br />

und ihre unbedingte Mandantenorientierung zu Kernbestandteilen<br />

ihres Berufsbildes erklärt11 .<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aufsätze<br />

Die Funktionalität dieses Leitbildes wurde im Zuge der<br />

Deprofessionalisierungsdiskussion nur bedingt bestritten.<br />

Im Vordergrund stand aber der Vorwurf, die Mitglieder der<br />

Professionen wichen faktisch zu stark von diesem Leitbild<br />

ab, ja sie missbrauchten die aus ihm resultierende Sonderstellung,<br />

um eigennützig ihre ökonomischen Interessen abzusichern.<br />

Die Angehörigen der freien Berufe erweckten<br />

vor allem bei ihren Kritikern den Eindruck, Mitglieder einer<br />

Verteidigungsgemeinschaft für Privilegien, nicht aber<br />

Mitglieder einer Professionsgemeinschaft zu sein, die sich<br />

auf die aktive Gestaltung ihrer zentralen Aufgaben konzentriert.<br />

In der Tat kann man sich fragen, ob die Klärung der Legitimitätsbedingungen<br />

von Rechtsrat und rechtlicher Vertretung<br />

nicht auch von der Anwaltschaft selbst in Teilen auf<br />

singuläre Fragen mittlerer oder auch geringerer Reichweite<br />

verkürzt wurde. Die Lektüre von Urteilen zum anwaltlichen<br />

Berufsrecht – hier etwa speziell auch zum Werberecht<br />

– verhilft dem Leser gelegentlich zum Genuss von<br />

Realsatiren, etwa, wenn das Outfit von Kanzleimitarbeitern<br />

bei ihrer Ablichtung in Kanzleibroschüren oder aber die<br />

Angemessenheit von „Gabelimbissen“ bei Kanzleiveranstaltungen<br />

zum Gegenstand filigraner rechtlicher Erörterung<br />

werden 12 .<br />

Möglicherweise hatten auch die obersten Gerichte den<br />

Eindruck einer nur begrenzten Fähigkeit der Anwaltschaft<br />

zu ernsthafter Selbstkontrolle und legitimer Regelung ihrer<br />

Belange innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens.<br />

Sie beantworten – nun bereits seit einigen Jahren – die Versuche<br />

von Anwälten, die Grenzen der eigenen Domäne eng<br />

zu fassen und abzusichern, mit eindeutiger Deregulierung.<br />

Kurioserweise waren es damit letztlich die Anwälte selbst,<br />

die eine partielle Deregulierung ihres Berufsstandes gerichtlich<br />

„erstritten“.<br />

Unabhängig davon stellte sich bei der Diskussion wichtiger<br />

Zukunftsprobleme wie etwa der Zulassung von Fachanwaltschaften<br />

die Frage, ob die Anwaltschaft aus sich<br />

selbst heraus in der Lage ist, notwendige Anpassungsleistungen<br />

an die Differenzierung der Nachfrage, aber auch an<br />

die veränderte Situation einer Professionsgemeinschaft in<br />

einer Kommunikationsgesellschaft zu erbringen.<br />

6 Rothmann, R. A.: Deprofessionalization. The Case of Law in America; in:<br />

Work and Occupations (11) 1984, S. 183–206; Freidson, E.: Professional Reborn:<br />

Theory Prophecy and Policy, Chicago 1994; Freidson, E.: Professionalism,<br />

Oxford 2001.<br />

7 Henssler, M., ZZP 2002, S. 321 ff.; Henssler, M., Kilian, M.: Positionspapier zur<br />

Studie des Instituts für Höhere Studien, Wien: „Economic Impact Of Regulation<br />

In The Field Of Liberal Professions in Different Member States, 2003,<br />

http://www.brak.de/seiten/pdf/aktuelles/ihs.pdf; Monti, M.: Competition in Professional<br />

Services: New Light and New Challenges, 2003, http://europa.eu.int/<br />

comm/competition/speeches/text/sp2003_007_en.pdf; Clementi, D.: Review of<br />

the Regulatory Framework for Legal Services in England and Wales, 2004,<br />

http://www.legal-services-review.org.uk/content/consult/review.htm.<br />

8 Zur berufspolitischen Diskussion vgl. Jaeger, R., NJW 2004, 21 (S. 1492 ff.);<br />

Stürner, R., Bormann, J., NJW 2004, 21 (S. 1481 ff.); Hellwig, H.-J., AnwBl<br />

2004, S. 213 ff.<br />

9 Vgl. Luhmann, N.: Vertrauen, Stuttgart 2000 (4. Aufl.), S. 47 ff.; Frevert, U.:<br />

Vertrauen, historische Annäherungen, Göttingen 2003, S. 57; Petermann, F.:<br />

Psychologie des Vertrauens, München: 1992; Schweer, M.: Interpersonales<br />

Vertrauen: Theorien und empirische Befunde, Opladen 1997.<br />

10 Für eine ausführliche Darstellung vgl. Freidson, E.: Professional Reborn:<br />

Theory Prophecy and Policy, Chicago 1994; Freidson, E.: Professionalism, Oxford<br />

2001.<br />

11 Zusammenfassend Hommerich, C.: Die Anwaltschaft unter Expansionsdruck,<br />

Köln 1988, S. 11 ff.<br />

12 Vgl. hierzu Kleine-Cosack, M., AnwlBl 2004, S. 153 ff.


AnwBl 8 + 9/2004 455<br />

Aufsätze MN<br />

Wie immer man dies im Einzelnen beurteilt, fest steht,<br />

dass in einer Zeit erheblich gewachsener innerer Dynamik<br />

der Gesellschaft solche Anpassungsleistungen erforderlich<br />

sind. Der fundamentale Charakter der Probleme, mit denen<br />

die Anwaltschaft aktuell konfrontiert ist, erzwingt geradezu<br />

einen mutigen Neuanfang. Bliebe es für die Zukunft bei einer<br />

eher kleinteiligen Auseinandersetzung über die Zukunft<br />

der Anwaltschaft, wäre zugleich ihr Erosionsprozess vorprogrammiert.<br />

Erforderlich ist eine Diskussion über die Wertfundamente<br />

legitimen Rechtsrats, die den Ansatz partikularer<br />

Interessen der Anwälte hinter sich lässt und sich auf die<br />

Frage nach den Voraussetzungen für ein funktionierendes<br />

System gerichtlicher und außergerichtlicher Konfliktlösung<br />

und Konfliktprävention konzentriert und hierbei zugleich<br />

die Rolle der Anwaltschaft in ihrem essentiellen Kern für<br />

die Zukunft neu bestimmt 13 . Diese Diskussion über legitimen<br />

Rechtsrat ist zugleich eine Diskussion über die Zuweisung<br />

von Vertrauen in die Anwaltschaft als Expertensystem.<br />

Sie trifft den Nerv zukünftiger Entwicklung des<br />

Rechts in unserer Gesellschaft unter den Bedingungen fortschreitender<br />

Globalisierung und vermutlich abnehmender<br />

Prosperität.<br />

Gerade wegen der letztgenannten Bedingung ist es modisch<br />

geworden, das Diskussionsspektrum durch eine Ökonomisierung<br />

der Betrachtungsweise zu verengen und nur<br />

noch solche Argumente zuzulassen, die sich unter den<br />

Aspekten ökonomischer Effektivität und Effizienz bewähren.<br />

Eine solche Betrachtungsweise führt zwangsläufig zu<br />

einer Trivialisierung des Beitrags von Rechtsvertretung und<br />

Rechtsberatung zur Funktionsfähigkeit des Rechtssystems,<br />

der sich in ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkülen nicht<br />

hinreichend ausdrücken lässt.<br />

Diskutiert werden müssen die Bedingungen der Funktionsfähigkeit<br />

von Expertensystemen als Vertrauenssystemen.<br />

Sie müssen sich bewähren, es sei denn, wir nähmen<br />

das Chaos in Kauf.<br />

3.Vertrauen in die Anwaltschaft als<br />

Expertensystem<br />

Niklas Luhmann hat in seiner Schrift zum Thema „Vertrauen“<br />

darauf hingewiesen, dass in einer komplexen Welt<br />

Systemvertrauen erforderlich ist, da der einzelne angesichts<br />

der sich ihm bietenden Möglichkeiten vollständig mit dieser<br />

Selektionslast überfordert wäre 14 . Wir alle sind in einer<br />

hoch arbeitsteiligen Welt auf Vertrauen angewiesen und<br />

müssen erwarten können, dass sich diejenigen, denen wir<br />

Vertrauen schenken, so verhalten, dass sie es im Ergebnis<br />

auch rechtfertigen. Doch wem können wir vertrauen? Wer<br />

sendet Vertrauenssignale, wer Misstrauenssignale? Vertrauen<br />

wir Regierungen, die Kriege beginnen, ohne sie<br />

rechtfertigen zu können? Vertrauen wir Politikern, die ihre<br />

ureigenste Verantwortung in Kommissionen verschieben?<br />

Vertrauen wir Kommissionsmitgliedern, die bereits vor Beginn<br />

ihrer Arbeit der Presse die Ergebnisse mitteilen? Vertrauen<br />

wir der Presse, die Nachrichten erzeugt, um Auflagen<br />

zu steigern? Vertrauen wir Chirurgen, die an Herzschrittmachern,<br />

welche sie selbst verordnen, Geld verdienen?<br />

Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Sie dokumentiert<br />

unsere ganze Angewiesenheit auf Vertrauen und zugleich<br />

unsere Verletzlichkeit für den Fall eines Missbrauchs.<br />

Der britische Soziologe Anthony Giddens hat diesen Gedanken<br />

weiter vertieft und herausgearbeitet, dass in einer<br />

Welt zunehmender globaler Risiken und „institutionalisier-<br />

ter Risikoumwelten“ (wie z. B. die internationalen Finanzmärkte)<br />

die Angewiesenheit der Menschen auf Vertrauen in<br />

Expertensysteme wächst 15 . Er betont in diesem Zusammenhang<br />

zwei Aspekte: Zum einen müssen Menschen angesichts<br />

unvollständiger Information daran glauben, dass Expertensysteme<br />

funktionieren. Bezogen auf die Anwaltschaft<br />

ist dies der Glaube daran, dass rechtliches Wissen im Sinne<br />

der Mandanten durch die Anwälte ebenso zuverlässig mobilisiert<br />

wird wie ihre Verpflichtung zur Verschwiegenheit<br />

und ihre Fähigkeit und Bereitschaft, in unbedingtem Mandanteninteresse<br />

zu handeln.<br />

Mit diesem Glauben an die Funktionsfähigkeit des Systems<br />

anwaltlichen Rechtsrats verbindet sich zugleich der<br />

Glaube an die Rechtschaffenheit der einzelnen Anwälte.<br />

Vertraut wird also darauf, dass zum einen das „System“ als<br />

solches funktioniert, mit Expertenwissen also Probleme erkannt<br />

und akzeptabel gelöst werden können, und das zum<br />

anderen die einzelnen Experten das richtige Funktionieren<br />

des Systems auch sicherstellen. (Giddens spricht in diesem<br />

Zusammenhang von „gesichtsunabhängigen“ und „gesichtsabhängigen“<br />

Bindungen 16 ).<br />

Indem die Menschen der Anwaltschaft vertrauen, gehen<br />

sie Risiken ein. Diese sind umso größer, je komplexer die<br />

zu lösenden Probleme sind und je größer dementsprechend<br />

die Differenz zwischen Expertenwissen und Laienwissen<br />

ausfällt. Diese Asymmetrie des Wissens begründet ein Risiko,<br />

welches dem einzelnen Mandanten nicht genommen<br />

werden kann 17 . Er vertraut auf die Funktionsfähigkeit des<br />

Systems und zugleich auf personaler Ebene „seinem“ Anwalt<br />

oder „seiner“ Anwältin.<br />

Allerdings kann sein Risiko durch Vorschriften zur Berufsmoral<br />

und Sanktionsregeln zur Durchsetzung dieser<br />

Moral vermindert werden 18 . Solche Vorschriften reduzieren<br />

das Risiko der Laien, Experten in Anspruch zu nehmen, da<br />

sie zumindest einen Mindeststandard anwaltlicher Leistung<br />

garantieren. Sie erhöhen zugleich die Erwartungssicherheit<br />

der Experten – hier der Anwälte – untereinander, dass sie<br />

sich professionell verhalten werden und dementsprechend<br />

vertrauenswürdig, weil kalkulierbar sind. Es entsteht also<br />

ein institutioneller Vertrauensrahmen auf der Grundlage verbindlicher<br />

Verhaltensregeln, die die Berufsträger normativ<br />

verpflichten und zugleich nach außen vertrauensbildend<br />

wirken 19 .<br />

4. Deregulierung und Vertrauensbildung<br />

Folgt man den Überlegungen der Deregulierer, so ist ein<br />

solcher institutionalisierter Vertrauensrahmen nur in einem<br />

sehr engen Sinne nötig („Verbraucherschutz“). Ihre Überlegungen<br />

sind grundsätzlich von der Vorstellung getragen,<br />

dass marktmäßige Konkurrenz auch der Rechtsberater und<br />

Rechtsvertreter im Ergebnis qualitätssichernde Wirkung<br />

13 Zur Ethik anwaltlichen Handelns vgl. v. Westphalen, AnwBl 3/2002, S. 125 ff.<br />

14 Luhmann aaO, S. 27 ff.<br />

15 Giddens, A. aaO, S. 40 ff.<br />

16 Giddens, A. aaO, S. 103.<br />

17 Vgl. zur Asymmetrie des Wissens: Freidson, E.: Der Ärztestand, berufs- und<br />

wissenschaftssoziologische Durchleuchtung einer Profession, Stuttgart 1979.<br />

18 Rüschemeyer, D.: Juristen in Deutschland und in den USA, Stuttgart 1976,<br />

S. 12 ff.; Giddens, A. aaO, S. 41 ff.<br />

19 Vgl. hierzu auch Freidson, E., 2001 aaO, S. 197 ff.; Grüninger, S.: Vertrauensmanagement:<br />

Kooperation, Governance und Moral, Marburg 2001, S. 113 ff.


456<br />

MN<br />

habe, da rational handelnde, mündige Konsumenten in der<br />

Lage seien, auf der Grundlage ihrer eigenen Nutzenerwartung<br />

eine Qualitätsauswahl zu treffen. Diese Vorstellung<br />

von den Selbstreinigungskräften des Marktes, vom homo<br />

oeconomicus oder vom rational handelnden Subjekt kennzeichnet<br />

die Modelle der Nationalökonomen 20 , aber auch<br />

die soziologischen Handlungstheorien in Form des so genannten<br />

„rational choice-Ansatzes“ 21 .<br />

Gerade am Beispiel des Anwalt-Mandant-Verhältnisses<br />

werden allerdings die Grenzen eines solchen Ansatzes<br />

sichtbar. Einige Überlegungen sollen dies verdeutlichen:<br />

Zunächst ist festzustellen, dass Deregulierung der Anwaltschaft<br />

die Suchkosten („Transaktionskosten“) individualisiert.<br />

In diesem Zusammenhang stellt Fukuyama fest,<br />

Misstrauen in einer Gesellschaft belege alle Erscheinungsformen<br />

wirtschaftlichen Handelns mit einer Art Steuer, die<br />

in Gesellschaften mit einem hohen Maß an sozialem Vertrauen<br />

entfällt 22 . Es muss also gesehen werden, dass mit<br />

dem Abbau vertrauensbildender Regulierungen von Expertensystemen<br />

individuelle Kosten der Suche von Experten<br />

erhöht werden.<br />

Diese Steuer hat es in sich, denn ihre Höhe bleibt offen.<br />

Es stellt sich die Frage, welche Suchstrategien bei der Auswahl<br />

von Experten durch Laien überhaupt erfolgversprechend<br />

sind. Nach welcher Rationalität soll ein mündiger<br />

Konsument vorgehen, wenn er angesichts eines akuten Problems<br />

etwa in Form einer plötzlich eintretenden Krise in<br />

kürzester Zeit erstklassigen Expertenrat benötigt. Soweit er<br />

in einer solchen Situation nicht einem Expertensystem mit<br />

garantierten Mindeststandard vertrauen kann, wird die Zeit<br />

zum begrenzenden Faktor seiner Möglichkeiten, Recht in<br />

Anspruch zu nehmen.<br />

Helfen ihm als potenziellem Mandanten so genannte<br />

„Ratings“? Welchen Informationsgehalt haben solche Ratings?<br />

Messen sie zuverlässig und gültig die fachliche Qualität<br />

eines Anwalts, seine Empathie, seine Bereitschaft sich<br />

ethisch zu verhalten in einem ex ante absehbaren Sinne?<br />

Messen sie vielleicht doch nur den Bekanntheitsgrad von<br />

Anwälten im Kollegenkreis oder die besondere Lautstärke,<br />

mit der sie sich bemerkbar gemacht haben? Helfen einem<br />

potenziellen Mandanten Kenntnisse über die Zahl der Fälle,<br />

die ein Anwalt in einem bestimmten Gebiet bearbeitet hat?<br />

Kann sich ein Mandant bei seiner Auswahlentscheidung<br />

auf die Kommunikation der Anwälte nach außen verlassen?<br />

Kann er unter der Bedingung eines Wettbewerbsmarktes sicher<br />

sein, dass seine Risiken richtig definiert und ihm ausreichend<br />

klar verdeutlicht werden? Besteht die Gefahr, dass<br />

diese Risiken zwar vielleicht dargestellt, im Verhältnis zu<br />

den Chancen aber fein nuanciert untergewichtet werden<br />

(vgl. hierzu die Kommunikationsstrategie von „Schönheitschirurgen“)?<br />

Wie weit kommt ein potenzieller Mandant, wenn er<br />

nach der „Reputation“ eines Anwaltes forscht oder sich<br />

fragt, ob die „Chemie“ zwischen ihm und seinem potenziellen<br />

Anwalt stimmt? Wie rational ist eine Auswahl auf der<br />

Grundlage der Empfehlung eines Freundes im Golfklub?<br />

Ist diese Art „äußerer Evidenzen“ 23 eine hinreichende<br />

Grundlage für eine Vertrauensentscheidung?<br />

Kann ein Mandant überhaupt eine „rationale“ Entscheidung<br />

über die Inanspruchnahme eines Experten treffen,<br />

wenn er sein Risiko selbst noch gar nicht kennt, weil er es<br />

nicht einschätzen kann?<br />

Kann ein potenzieller Mandant Vertrauen erst einmal<br />

„antesten“ und auf diese Weise einen schrittweisen, auf Er-<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aufsätze<br />

fahrung gegründeten Vertrauensaufbau organisieren? Hat er<br />

hierfür die Fähigkeiten und in seiner speziellen Konfliktsituation<br />

überhaupt die Möglichkeiten? Welche Möglichkeiten<br />

hat ein Mandant, während eines laufenden Verfahrens<br />

die Qualität eines Anwalts zu bewerten? Kann er bewerten,<br />

ob es für ihn „nützlich“ ist, wenn sein Anwalt das Verfahren<br />

in seinem „wohlverstandenen Interesse“ steuert und dadurch<br />

Teil des Problems wird? Ist ein Mandant in einer<br />

emotional hoch angespannten Situation überhaupt fähig, die<br />

sachliche Seite eines Verfahrens nüchtern zu bewerten?<br />

Kann die Möglichkeit zum Missbrauch der Wissensmacht<br />

des Anwalts durch die ökonomische Macht des<br />

Mandanten begrenzt werden?<br />

Und schließlich: In welchem Sinne ist eine „Marktbereinigung“<br />

zu erwarten, wenn ein Mandant mit seinem Anwalt<br />

im Ergebnis nicht zufrieden ist? Hat nicht eine große<br />

Es muss abgewogen werden, ob und<br />

in welchem Umfang die Gesellschaft<br />

das Vertrauensrisiko bei der Auswahl,<br />

Beauftragung und Qualitätskontrolle<br />

von Rechtsberatern privatisieren will<br />

Zahl der Mandate einmaligen Charakter, sodass ein Wechsel<br />

des Anwalts in Zukunft gar nicht ansteht? Reicht es zur<br />

Marktregulierung, wenn in solchen Fällen durch den enttäuschten<br />

Mandanten lediglich negative Reputationssignale<br />

gesendet werden? Verfügt ein Mandant, der mit seinem Anwalt<br />

unzufrieden ist, über ausreichende Mittel, seine Ansprüche<br />

durchzusetzen?<br />

Die Fragen verdeutlichen die Unsicherheitssituation, in<br />

die ein Laie gestellt ist, wenn er einen Experten auswählen<br />

und später auch kontrollieren soll. Jeder, der einmal in einer<br />

kritischen gesundheitlichen Situation eine Entscheidung<br />

über den „richtigen“ Arzt treffen musste, weiß unmittelbar,<br />

wovon die Rede ist. Vielleicht erklärt dies auch, warum Experten<br />

oft dazu neigen, von sich aus keine anderen Experten<br />

zu empfehlen. Sie sind sich offenkundig des Risikos einer<br />

solchen Empfehlung bewusst. Es wird damit<br />

nachvollziehbar, dass Anthony Giddens zu dem Ergebnis<br />

kommt, letztlich sei alles Vertrauen in gewissem Sinne blindes<br />

Vertrauen24 .<br />

Unter diesen Bedingungen wird klar, worum es bei der<br />

Deregulierungsdebatte im Kern geht25 : In einem öffentlichen<br />

Diskussionsprozess muss abgewogen werden, ob und<br />

in welchem Umfang die Gesellschaft das Vertrauensrisiko<br />

bei der Auswahl, Beauftragung und Qualitätskontrolle von<br />

Rechtsberatern privatisieren will.<br />

In diesem Diskurs geht es um viel: Es geht um die Frage<br />

des gleichen Zugangs zum Recht. Es geht um die Frage der<br />

Qualität des Rechtssystems und dies keineswegs nur im forensischen<br />

Bereich, sondern breiter im Sinne von Recht als<br />

20 Vgl. hierzu bereits Marktsoziologie und Entscheidungslogik, Neuwied/Berlin<br />

1967.<br />

21 Coleman, J. S. aaO<br />

22 Fukuyama, F.: Konfuzius und Marktwirtschaft, München 1995, S. 45.<br />

23 Gambetta, D.: Können wir dem Vertrauen vertrauen? in: Hartmann, M.; Offe,<br />

C. (Hg.): Vertrauen, Grundlage des sozialen Zusammenhalts, Frankfurt am<br />

Main 2001, S. 204 ff.<br />

24 Giddens, A. aaO, S. 49.<br />

25 Vgl. Freidson, E. 2001 aaO, S. 179 ff.


AnwBl 8 + 9/2004 457<br />

Aufsätze MN<br />

System sozialer Kontrolle und Befriedung. Und schließlich<br />

geht es bei alledem um die Frage des Vertrauens in ein Expertensystem.<br />

Schwindet dieses Vertrauen wird eine Vertrauenskultur<br />

in eine Misstrauenskultur umgewandelt, ist<br />

Destabilisierung, in welcher Ausprägung auch immer, die<br />

wahrscheinliche Folge. An der Börse halten wir eine solche<br />

Konstellation für hoch brisant. Und wie steht es um die Brisanz<br />

einer Destabilisierung des Expertensystems „Anwaltschaft“?<br />

Darüber hinaus ist zu befürchten, dass die Individualisierung<br />

des Risikos bei der Auswahl und Beauftragung von<br />

Rechtsberatern zu Qualitätseinbußen führen wird: Es<br />

wächst das Risiko gering qualifizierter Rechtsberatung, das<br />

im Ergebnis die Mandanten tragen müssen, ohne es ex ante<br />

einschätzen zu können. Die Vorstellung, wer einen „Aldi-<br />

Anwalt“ wünsche, solle die Chance haben, ihn auch zu bekommen,<br />

ist zynisch. Sie übersieht die Asymmetrie der<br />

Wirkungen schlechten Rechtsrats, die für den Anwalt gering<br />

ausfallen, für den Mandanten aber den Charakter einer<br />

existenziellen Bedrohung annehmen können.<br />

Es wächst das Risiko einer fortschreitenden Qualitätssegmentierung<br />

des Rechtsrats im Sinne einer Privilegierung<br />

der Spezialisten und einer Abwertung der anderen Berater<br />

zu reinen Rechtstechnikern, die – bei tendenziell abnehmender<br />

Berufszufriedenheit – dazu übergehen werden, angesichts<br />

zunehmenden Preiswettbewerbs Rechtsrat zu routinisieren,<br />

zu standardisieren und zu multiplizieren, nur um<br />

überleben zu können.<br />

Der Professionsforscher Eliot Freidson spricht in diesem<br />

Zusammenhang von standardisiertem und bürokratisiertem<br />

Service. Er befürchtet, dass innerhalb der Professionen die<br />

Wissensentwicklung einseitig auf ökonomische Verwertbarkeit<br />

und Trendorientierung ausgerichtet wird und eine theoriegeleitete<br />

Forschung ausbleibt. Damit entstünde das Risiko,<br />

dass die Professionen auf ökonomischen Erfolg und<br />

technische Wissensanwendung eingedampft werden und<br />

ihre Bindung an raum- und zeitunabhängige Werte verkümmert.<br />

Nach Freidson verlören die Professionen so ihre<br />

„Seele“ 26 .<br />

5. Konsequenzen für die Anwaltschaft<br />

Es mag sein, dass wir in einer Dienstleistungsgesellschaft<br />

die Dienste wie Produkte hierarchisieren und damit<br />

auch die Dienstleistungswelt in Billigprodukte, solide Produkte,<br />

Premiumprodukte und Luxusprodukte aufteilen<br />

können. Angesichts der derzeitigen Entwicklungen in den<br />

Konsumgütermärkten stünde dann ein erheblicher Zuwachs<br />

im „Discountbereich“ an, da die Menschen preissensibel<br />

geworden sind.<br />

Allerdings ist zu fragen, ob wir uns Bildungsversorgung,<br />

„Versorgung“ mit Religion, Versorgung mit Gesundheit,<br />

Versorgung mit Architektur und Baukultur, Versorgung mit<br />

Sicherheit auf Discountstandard leisten können oder leisten<br />

wollen, ob wir Expertensysteme zulassen, die sich eher am<br />

Minimum als am Maximum orientieren oder aber ob wir<br />

eine breite Spreizung der Standards in Kauf nehmen, sodass<br />

jeder nach seinem Gusto auswählen kann.<br />

Was die rechtlichen Dienste angeht, so steht im Mittelpunkt<br />

die Frage, ob Rechtsversorgung ein öffentliches Gut<br />

bleibt oder schrittweise zu einem privaten Gut wird, von<br />

welchem diejenigen, die nicht zahlen wollen oder können,<br />

ausgeschlossen bleiben.<br />

Dies ist im Kern eine politische Frage. Die Anwaltschaft<br />

muss in diesem Zusammenhang eine Überzeugungsleistung<br />

erbringen. Sie muss die Zukunftsrisiken verschiedener<br />

Alternativen der Rechtsversorgung verdeutlichen und<br />

darlegen, dass nur ein Expertensystem mit verbürgter Qualität<br />

den Menschen unter Unsicherheitsbedingungen relative<br />

Sicherheit geben kann.<br />

Gerade im Zusammenhang mit Rechtsrat kann Systemvertrauen<br />

in das Expertensystem Anwaltschaft nur begründet<br />

werden, wenn zunächst das wertethische Fundament<br />

der Anwaltschaft präzise und klar definiert wird<br />

und darauf aufbauend Standards für bestmögliche Versorgung<br />

mit Rechtsrat entwickelt werden.<br />

Es muss verdeutlicht werden, dass im Zusammenhang<br />

mit dem Recht wie auch im Zusammenhang mit Gesundheit<br />

oder mit anderen zentralen Werten eine Freigabe der<br />

Standards dazu führen wird, dass sich immer mehr Menschen<br />

ungestützt in Risikoumwelten bewegen müssen, die<br />

sie überfordern. Wohin dies führt, ist bereits jetzt am Beispiel<br />

der Diskussion über die Gesundheitsversorgung absehbar.<br />

Nicht zuletzt muss verdeutlicht werden, dass die<br />

Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Recht in einem<br />

Rechtsstaat offen gehalten und nicht durch die Hintertür<br />

„offener Märkte“ verabschiedet werden kann.<br />

Dabei ist zu beachten, dass eine reine Ökonomisierung<br />

der Betrachtung öffentlicher Güter für den Einzelnen und<br />

für die Gesellschaft hohe Risiken birgt 27 . Dies schließt die<br />

Beachtung ökonomischer Prinzipien bei der Leistungserstellung<br />

selbstverständlich keineswegs aus. Allerdings ist<br />

die Verkürzung der Weltsicht auf ökonomische Faktoren ein<br />

Irrweg, der die Komplexität sozialer Beziehungen und der<br />

Bedingungen sozialen Zusammenlebens völlig unterschätzt.<br />

Die Anwaltschaft muss in einem öffentlichen Diskurs<br />

die Bedingungen für Rechtsrat mit verbürgter Qualität aufzeigen.<br />

Gelingt diese Überzeugungleistung, muss sie diese<br />

Bedingungen in einem System wirksamer Selbstkontrolle<br />

faktisch herstellen und so Vertrauen in der Gesellschaft gewinnen.<br />

Hierzu gehört die Organisation einer hochwertigen<br />

Anwaltaus- und -fortbildung, die Wiederbelebung der Diskussion<br />

über das Qualitätsmanagement in Anwaltskanzleien<br />

und die Schaffung von Strukturen, die Qualität in den<br />

Kanzleien zuverlässig sichern und den Menschen Organisationsvertrauen<br />

ermöglichen. Hierzu gehört schließlich, jede<br />

einzelne Anwältin und jeden einzelnen Anwalt auf die<br />

Qualitätstriade aus fachlicher Kompetenz, persönlicher Integrität<br />

und Mandantenorientierung („Wohlwollen“) zu verpflichten,<br />

um so den Mandanten zu ermöglichen, den Anwälten<br />

als Mittlern des Zugangs zum Recht persönliches<br />

Vertrauen entgegenzubringen. Im Ergebnis gilt der Satz der<br />

Philosophin Sissela Bok: „Was immer Menschen wichtig<br />

ist, es gedeiht in einer Atmosphäre des Vertrauens“ 28 .<br />

26 Freidson, E. 2001 aaO, S. 209, S. 297 ff.<br />

27 Vgl. hierzu Lorig, W. H., „Good Governance“ und „Public Service Ethics“, in:<br />

Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/2004, S. 24 ff.<br />

28 Bok, S.: Lying, New York 1978, S. 31.


458<br />

MN<br />

Das Berufsbild des<br />

europäischen Rechtsanwalts<br />

– Harmonisierung<br />

durch Deregulierung?<br />

Prof. Dr. Martin Henssler, Universität zu Köln*<br />

Das deutsche Berufsbild des Rechtsanwalts ist keineswegs<br />

ein Auslaufmodell, auch wenn dies die aktuellen Bestrebungen<br />

der Europäischen Kommission zur Liberalisierung<br />

des anwaltlichen Berufsrechts vermuten lassen. Der<br />

Autor wirft einen Blick auf das Anwaltsbild in anderen<br />

EU-Staaten und weist einen Weg, wie das Berufsrecht harmonisiert<br />

werden könnte.<br />

I. Einleitung<br />

Veraltet, unflexibel, zu komplex, ungenügend überprüfbar<br />

und intransparent, so lautet das vernichtende und ganz<br />

aktuelle Urteil einer staatlichen Behörde über den Rechtsberatungsmarkt.<br />

Gemeint war allerdings nicht der deutsche<br />

Rechtsberatungsmarkt, um dessen Modernisierung sich der<br />

mit diesem Heft geehrte langjährige Präsident des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, Dr. h. c. Ludwig Koch, seit vielen<br />

Jahrzehnten erfolgreich bemüht. Das Urteil entstammt dem<br />

jüngst vorgelegten Clementi-Bericht einer englischen Regierungskommission<br />

1 und bezieht sich auf den Regelungsrahmen<br />

des englischen Anwaltsmarktes 2 . Aus der europäischen<br />

Perspektive betrachtet ist das vielleicht aber noch<br />

bedenklicher, gilt doch der britische Markt im Vergleich<br />

zum unsrigen als – angeblich – stark dereguliert. Wie<br />

würde das Verdikt der englischen Behörde für den deutschen<br />

Regelungsrahmen ausfallen, der weiterhin ein aus der<br />

Postkutschenzeit stammendes Zweigstellenverbot und ein<br />

umfassendes anwaltliches Beratungsmonopol aufweist, das<br />

von den Medien ob seiner Entstehungsgeschichte gerne als<br />

antiliberales Relikt aus der Nazizeit angeprangert wird?<br />

Die Bewertung unseres Marktes durch die europäische<br />

Kommission und das europäische Parlament ist eindeutig.<br />

In einem kürzlich im Februar 2004 von der Generaldirektion<br />

Wettbewerb erstellten Ranking zu den Wettbewerbshemmnissen<br />

auf dem Rechtsberatungsmarkt werden wir als<br />

„schwarze Schafe“ an den Pranger gestellt und der Spitzengruppe<br />

der hyperregulierten EU-Mitgliedstaaten zugerechnet<br />

3 . Damit müssen wir uns jenen Staaten zugeordnet<br />

fühlen, in denen – so wörtlich die Entschließung des Europäischen<br />

Parlaments vom Januar dieses Jahres – „die Berufskammern<br />

allzu häufig ihre Selbstregelungsbefugnis<br />

mehr zur Förderung der Interessen ihrer eigenen Mitglieder<br />

als zur Förderung derjenigen der Verbraucher nutzen“ 4 .<br />

Deutlich wird an diesen Beispielen, dass alle nationalen<br />

Rechtsberatungsmärkte und damit alle Anwaltschaften in<br />

Europa vor Herausforderungen und weiteren Umwälzungen<br />

stehen. Obwohl gerade die deutsche Anwaltschaft bereits<br />

ein Jahrzehnt ständiger Reformen auf dem Gebiet des Berufsrechts<br />

hinter sich hat, sind weitere grundlegende Veränderungen<br />

unausweichlich. Der Druck zu Veränderungen<br />

kommt von den nationalen Parlamenten, zu wesentlichen<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aufsätze<br />

Teilen aber aus Europa – wie die jüngsten Gesetzesentwürfe<br />

der EU-Kommission und die aktuellen Gerichtsentscheidungen<br />

des EuGH zeigen.<br />

Welchen Weg soll die Anwaltschaft in einem einheitlichen<br />

europäischen Beratungsmarkt einschlagen, welche<br />

Funktion soll ihr in den vorerst noch eigenständigen nationalen<br />

Rechtspflegesystemen zukommen? Die europäische<br />

Anwaltschaft steht tatsächlich an einem Scheideweg: Soll<br />

sie sich zum reinen Dienstleistungsberuf entwickeln oder<br />

soll sie sich von gewerblichen Dienstleistern bewusst und<br />

deutlich abgrenzen und auf einer Sonderstellung für die<br />

Funktionsfähigkeit eines rechtsstaatlichen Systems pochen?<br />

Kommerz oder Organ der Rechtspflege, so könnte man plakativ<br />

formulieren? 5<br />

II. Der europäische Rechtsanwalt zwischen<br />

Organ der Rechtspflege und modernem<br />

Dienstleistungsberuf<br />

1. Der Rechtsanwalt als unabhängiges Rechtspflegeorgan<br />

und Freier Beruf<br />

Unser nationales Berufsrecht stuft in § 1 BRAO den Anwalt<br />

als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ ein und<br />

grenzt ihn mit dieser Sonderstellung deutlich von einem<br />

schlichten gewerblichen Dienstleistungsberuf ab. Weite<br />

Teile der Anwaltschaft können freilich mit dieser Vorgabe<br />

kaum etwas anfangen, geschweige denn sich mit ihr identifizieren.<br />

Die ablehnende Einstellung beruht häufig auf einem<br />

Missverständnis: „Organ der Rechtspflege“ war nie<br />

im Sinne einer Amtsstellung mit beamtenähnlichen Pflichten<br />

zu verstehen 6 . Die Zubilligung einer Organstellung ist<br />

das Ergebnis des erfolgreichen Kampfes der Anwaltschaft<br />

um die Freie Advokatur 7 .<br />

Die programmatische Aussage des § 1 BRAO verbindet<br />

den Hinweis auf die Organstellung bewusst mit dem gleichgewichtigen<br />

Bekenntnis zur Unabhängigkeit im Sinne der<br />

freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen<br />

Rechtsanwaltes 8 . Die Bezugnahme auf die Funktion als<br />

Organ der Rechtspflege soll zum Ausdruck bringen, dass<br />

die staatsfreie unreglementierte Anwaltschaft als Institution<br />

ein unverzichtbares Element jedes rechtsstaatlichen Rechtspflegesystems<br />

ist, die gleichberechtigt neben der Richterschaft<br />

und weiteren Organen wie Staatsanwälten oder Notaren<br />

steht 9 . Erst der Anwalt als Rechtspflegeorgan sichert<br />

das Recht des Bürgers, sich durch die hierfür qualifizierte<br />

* Der Beitrag beruht auf dem Vortrag am 15.6.2004 aus Anlass der akademischen<br />

Feier der Universität zu Köln zum 70. Geburtstag von Rechtsanwalt Dr. h.c.<br />

Ludwig Koch.<br />

1 Consultation Paper on the Review of the Regulatory Framework for Legal Services<br />

in England and Wales, März 2004, abrufbar unter http://www.legal-services-review.org.uk/content/consult/review.htm.<br />

Zum Clementi-Review Kilian,<br />

AnwBl 2004, 389; Hellwig, AnwBl 2004, 213, 221 f.<br />

2 Umfassend zur englischen Anwaltschaft Abel, English Lawyers Between Market<br />

and State: The Politics of Professionalism, Oxford 2003. Aus dem deutschen<br />

Schrifttum Rawert, Die Zweiteilung der englischen Anwaltschaft, Bonn 1993;<br />

Remmertz, Anwaltschaft zwischen Tradition und Wettbewerb – Das Berufs- und<br />

Standesrecht der Rechtsanwälte in England und Deutschland, Bonn 1996.<br />

3 Vgl. http://europa.eu.int/comm/competition/antitrust/legislation/%20#liberal.<br />

4 Entschließung des Europäischen Parlaments zur europäischen Wettbewerbspolitik<br />

vom 29.1.2004.<br />

5 Zum Generalthema „Der europäische Rechtsanwalt zwischen Rechtspflege und<br />

Dienstleistung“ Ahrens, ZZP 115 (2002), 281 ff.; Henssler ZZP 115 (2002),<br />

321 ff.; de Lousanoff ZZP 115 (2002), 357 ff.; Iqbal ZZP 115 (2002), 385 ff.<br />

6 Grundlegend zur Begrifflichkeit Koch, in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl.<br />

2004, § 1 Rdnr. 66 ff.; ferner Rdnr. 26 unter Hinweis auf BVerfG NJW 1975,<br />

103.<br />

7 Vgl. anschaulich BVerfG NJW 1983, 1535, 1536.<br />

8 So auch Koch, in: Henssler/Prütting, aaO, § 1 Rdnr. 79.<br />

9 BVerfG NJW 1983, 1535, 1536; vgl. auch Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat,<br />

S. 13; Krämer, NJW 1995, 2313, 2315 f.


AnwBl 8 + 9/2004 459<br />

Aufsätze MN<br />

Vertrauensperson rechtliches Gehör zu verschaffen und so<br />

effektiv die durch die Rechtsordnung gewährten Rechte<br />

durchzusetzen. Der unabhängige Anwalt ist der Garant des<br />

Zugangs zu Recht und Gerechtigkeit.<br />

Diese Einbindung in das Rechtspflegesystem im Sinne<br />

einer im Gemeinwohl liegenden Funktion der Anwaltschaft<br />

begründet Teilhaberechte, aber auch eine Mitverantwortung.<br />

Sie ist die Grundlage der Anwaltsprivilegien wie dem<br />

Zeugnisverweigerungsrecht und dem Beschlagnahmeverbot;<br />

sie ist aber auch die Grundlage der besonderen Pflichtenstellung<br />

in Form spezifischer Berufspflichten. Sie ist<br />

letztlich auch die Rechtfertigung für ein Kammerwesen im<br />

Sinne eines Systems der autonomen Selbstverwaltung, das<br />

einerseits die Unabhängigkeit vom Staat sichert, das aber<br />

zugleich – anstelle des Staates – darüber wacht, dass die<br />

Anwaltschaft ihrer im Gemeinwohl liegenden Aufgabe<br />

nachkommt. Wer sie aufgeben will, dem muss bewusst sein,<br />

dass er damit allen Sonderrechten die Grundlage entzieht.<br />

2. Die verfassungsrechtliche Sonderstellung des Rechtsanwaltes<br />

Für das deutsche Recht stellt sich die rechtspolitische<br />

Frage, die anwaltliche Stellung als Rechtspflegeorgan freiwillig<br />

aufzugeben, nicht. Die freie Advokatur ist unter der<br />

Geltung des Grundgesetzes verfassungsrechtlich abgesichert.<br />

Mit dem Bekenntnis in Art. 20 Abs. 3 GG zur<br />

Rechtsstaatlichkeit verbunden ist die Gewährleistung eines<br />

funktionsfähigen Rechtspflegesystems 10 . Ein rechtsstaatlich<br />

verfasstes Justiz- und Gemeinwesen bedingt aber die Existenz<br />

von staatsunabhängigen Rechtsanwälten 11 , die der<br />

Bürger als seine Vertrauensperson nach freier Wahl beauftragen<br />

kann. Art 12 GG garantiert die freie Ausübung des<br />

solchermaßen determinierten Anwaltsberufes, die rechtsstaatliche<br />

Institutionalisierung strahlt somit auf den Schutzumfang<br />

der Berufsfreiheit aus. Diese Betrachtungsweise<br />

liegt ganz auf der Linie Ludwig Kochs, der in seinem<br />

Schlusswort auf dem Anwaltstag 1988 formuliert hat:<br />

„Meine Sehnsucht ist, dass es bald wirklich keine Aussage<br />

mehr gibt zu Ansehen und Wirklichkeit unseres Rechtsstaates<br />

ohne die Erwähnung anwaltlicher Aufgabe in ihm“ 12 .<br />

3. Das Berufsbild des Rechtsanwaltes in Europa<br />

Nicht alle europäische Rechtsordnungen sind freilich<br />

von einem derartigen Anwaltsbild geprägt. Vielmehr beginnen<br />

bereits an dieser Stelle die Schwierigkeiten, die von<br />

den europäischen Bemühungen um eine Harmonisierung<br />

des Anwaltsbildes zu bewältigen sind. In Europa stehen<br />

sich grundsätzlich zwei Systeme gegenüber, die freilich<br />

häufig nicht in Reinkultur in den nationalen Regelungen<br />

verankert sind 13 . Die skandinavischen Länder, insbesondere<br />

Finnland und Schweden, mit gewissen Abstrichen aber<br />

auch das Vereinigte Königreich 14 , begründen die anwaltlichen<br />

Berufspflichten nicht aus einer Organstellung heraus,<br />

sondern rekurrieren auf das anwaltliche Mandatsverhältnis.<br />

Als Folge dieses Begründungsansatzes stehen die Berufspflichten<br />

grundsätzlich zur Disposition der Mandanten. Die<br />

Rechtsberatungsmärkte sind kaum reguliert, ja in Schweden<br />

ist es dem Juristen völlig freigestellt, ob er überhaupt einem<br />

Berufsverband beitreten will. Die Staaten des romanischen<br />

Rechtskreises, insbesondere die südeuropäischen Länder<br />

Italien, Spanien und Portugal sowie Frankreich und Belgien,<br />

aber auch Österreich und sehr ausgeprägt Griechenland erkennen<br />

dem Anwalt dagegen ähnlich wie Deutschland die<br />

Stellung eines Rechtspflegeorgans zu. Die Berufspflichten<br />

bestehen aufgrund dieser institutionellen Absicherung als<br />

öffentlich-rechtliche Pflichten ganz unabhängig von dem<br />

vertraglichen Pflichtenprogramm. Die Parteien des Anwaltsvertrages<br />

können über seine Reichweite nicht disponieren.<br />

III. Die Entwicklung des anwaltlichen<br />

Berufsrechts in Europa<br />

1. Deregulierungsbestrebungen der EU-Kommission<br />

Auch im Bereich der Rechtsberatungsmärkte haben wir<br />

damit in Europa den bekannten Wettbewerb der Systeme.<br />

Welches System wird sich durchsetzen? Hat unser traditionelles<br />

System eine Zukunftschance? Für die EU-Kommission<br />

ist das Aufbrechen der Verkrustungen und Wettbewerbshemmnisse<br />

auf den Tätigkeitsfeldern aller freien<br />

Berufe ein zentrales Anliegen 15 . Gleich zwei Aktionen der<br />

jüngsten Zeit zielen auf eine partielle Abschaffung berufsrechtlicher<br />

Beschränkungen. Zunächst wurde am 9. 2. 2004<br />

der von der „GD Wettbewerb“ verantwortete Bericht über<br />

den „Wettbewerb bei freiberuflichen Dienstleistungen“ vorgelegt<br />

16 , ein wahrer Aufruf des zuständigen EU-Kommissars<br />

Monti zum Abbau berufsrechtlicher Beschränkungen 17 ;<br />

nur zwei Wochen später folgte aus der „GD Markt“ ein Vorschlag<br />

für eine EU-Richtlinie über Dienstleistungen im<br />

Binnenmarkt 18 , der schon einige der monierten Beschränkungen,<br />

etwa im Bereich der Werbung und der berufsübergreifenden<br />

Zusammenarbeit, attackiert. Das Interesse Europas<br />

an den Freien Berufen kommt nicht überraschend, da<br />

innerhalb des Dienstleistungssektors, dessen Bedeutung für<br />

das Arbeits- und Wirtschaftsleben kontinuierlich wächst<br />

und der in der EU inzwischen ein BIP von 54 % und einen<br />

Beschäftigungsanteil von 67 % sichert, die freiberuflichen<br />

Leistungen den wachstumsstärksten Sektor mit hohen Zuwachsraten<br />

bilden 19 .<br />

Wesentliche Grundlage der Feststellungen der Kommission<br />

ist eine von ihr in Auftrag gegebene Studie des Wiener<br />

Instituts für Höhere Studien („IHS-Studie“) 20 , die der Kommission<br />

zufolge die These stützt, mehr Freiheit bei der Berufsausübung<br />

ermögliche eine höhere Wertschöpfung. Die<br />

Studie geht von der Prämisse aus, dass aus ökonomischer<br />

Sicht eine möglichst geringe Regulierungsdichte anzustreben<br />

sei, weil eine intensivere Regulierung aus Sicht der<br />

Volkswirtschaft und der Verbraucher zu keinen besseren Ergebnissen<br />

führe. Sie stützt diese These auf die Behauptung,<br />

in den geringer regulierten Märkten – etwa Finnland und<br />

Schweden – sei kein „market failure“, also kein Marktversagen<br />

auszumachen. In einer gemeinsamen Stellungnahme<br />

zur IHS-Studie haben Kilian und ich dargelegt, dass diese<br />

Aussage weder verifizierbar noch verallgemeinerungsfähig<br />

10 Krämer NJW 1975, 849, 853.<br />

11 Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 80.<br />

12 Koch, AnwBl 1988, 428.<br />

13 Hierzu Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52, 53; Henssler, ZZP 115 (2002), 321.<br />

14 Dort ist der Rechtsanwalt „officer of the court“ dazu Henssler ZZP 115<br />

(2002), 321, 325 f.<br />

15 Zu den gegenwärtigen Entwicklungen Schriever, AnwBl 2004, 171; Hellwig,<br />

AnwBl 2004, 213, 218 ff.; Lühn, AnwBl 2003, 688 ff.; Henssler, BB 2004,<br />

Editorial zu Heft 22.<br />

16 KOM(2004) 83 endgültig, abrufbar unter http://europa.eu.int/comm/competition/liberal_professions/final_communication_de.pdf.<br />

17 Dazu Hellwig BRAK-Mitt 2004, 19.<br />

18 KOM(2004) 2 endgültig/2, abrufbar unter http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/<br />

pdf/2004/com2004_0002de02.pdf.<br />

19 Vgl. KOM(2004) 83 endgültig, Rdnr. 8.<br />

20 Paterson/Fink/Ogus, Economic impact of regulation in the field of liberal professions<br />

in different EU Member States, Institut für Höhere Studien, Wien, Januar<br />

2003. Abzurufen unter http://europa.eu.int/comm/competition/publications/publications/


460<br />

MN<br />

ist, da der von der Studie als Idealtypus angeführte finnische<br />

und schwedische Markt nicht näher untersucht wird<br />

und zudem als Markt mit verhältnismäßig wenigen Dienstleistungsanbietern<br />

keine Rückschlüsse zulässt, welche Folgen<br />

eine pauschale Deregulierung der Berufsrechte etwa in<br />

Deutschland hätte21 . Gleichwohl schließt sich der Kreis zu<br />

den Eingangsüberlegungen: Vorbildfunktion haben nicht<br />

diejenigen Länder, die von einer rechtsstaatlichen Organstellung<br />

ausgehen. Vorbildfunktion haben diejenigen Länder,<br />

die den Rechtsanwalt als schlichten Dienstleister ohne<br />

spezifische Sonderstellung betrachten.<br />

Bemerkenswert erscheint, dass die Kommission in ihren<br />

Empfehlungen an keiner Stelle zu erkennen gibt, dass sie<br />

sich dieses fundamentalen Unterschiedes überhaupt bewusst<br />

ist. Störend an der rein ökonomischen Ausrichtung<br />

der IHS-Studie und der daran anknüpfenden Empfehlung<br />

der GD-Wettbewerb ist, dass das deutsche Berufsrecht, wie<br />

es in der BRAO und der Berufsordnung verankert ist, als<br />

grundsätzlich unerwünschtes Wettbewerbshemmnis betrachtet<br />

wird. Die rein ökonomische Betrachtung arbeitet<br />

mit der Prämisse, dass die Regulierung den Interessen der<br />

Berufsangehörigen an einem abgeschotteten Markt und einer<br />

Gewinnoptimierung dient. Die vorrangige Frage, welche<br />

Funktion Berufsrecht erfüllen muss, damit es sowohl<br />

mit den nationalen Verfassungen als auch mit dem Europarecht<br />

konform und damit überhaupt wirksam ist, wird nicht<br />

gestellt. Verfassungsrechtlich ist es aber keine neue Erkenntnis,<br />

dass Berufsausübungsregelungen gerade nicht<br />

Partikularinteressen (etwa der Rechtsanwaltschaft) dienen<br />

dürfen, sondern, um verfassungsrechtlich Bestand zu haben,<br />

von „vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls“ getragen<br />

sein müssen22 . Und auch aus europäischer Sicht bedarf<br />

es keiner neuen regulatorischen Aktion der Kommission.<br />

Vielmehr kann schon derzeit nach der Rspr. des EuGH die<br />

Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten nur<br />

dann eingeschränkt werden, wenn die entsprechenden<br />

Rechts- und Verwaltungsvorschriften durch zwingende<br />

Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und erforderlich<br />

sind23 . Benötigt werden keine neuen Aktionen, um<br />

allein der Gewinnoptimierung des Berufsstands dienende<br />

Regelungen zu vermeiden. Der Gang vor die Gerichte, gegebenenfalls<br />

zum BVerfG oder EuGH genügt.<br />

Wie heikel Deregulierungsschritte sind, zeigt das Beispiel<br />

der Reform des Notarrechtes in den Niederlanden. Die<br />

Niederlande haben im Jahre 1999 ihr im sog. Lateinischen<br />

Notariat wurzelndes Notarrecht grundlegend novelliert24 .<br />

Zielsetzung war es, durch Abbau von Zulassungsschranken<br />

und Freigabe der Gebühren mehr Wettbewerb zu schaffen<br />

und die Kosten für den Verbraucher zu senken. Zugleich<br />

sollten die Berufsträger zu notwendigen Innovationen angehalten<br />

werden, damit sich das Notariat zu einem modernen<br />

Dienstleistungsberuf entwickeln möge. Allerdings bleibt der<br />

Notar weiterhin staatlich ernannter Träger eines Amtes, so<br />

dass die Wurzeln im lateinischen Notariat nicht vollständig<br />

gekappt wurden. U.a. wurden auch die bis dato geltenden<br />

staatlichen Gebührentarife aufgehoben. Die Aufhebung hat<br />

allerdings nicht dazu geführt, dass die Tarife im Interesse<br />

der Verbraucher gesunken sind, wie dies geplant war. Ganz<br />

im Gegenteil ist es sogar zu einem massiven Anstieg der<br />

Gebühren, etwa im Bereich der Beurkundung von Familiensachen,<br />

gekommen25 . Die Prämisse, eine Deregulierung der<br />

Berufsrechte wirke sich zwangsläufig zum Vorteil der Verbraucher<br />

aus, beruht damit auf einem offensichtlichen Trugschluss.<br />

Pikanterweise setzen sich die Verbraucherschützer,<br />

die zunächst die Abschaffung des Gebührengesetzes gefor-<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aufsätze<br />

dert hatten, jetzt dafür ein, die festen Tarife wieder einzuführen.<br />

„In dubio pro libertate“ war das Motto, unter dem der<br />

Berufsrechtler Ludwig Koch jahrelang mit Recht für die Liberalisierung<br />

des deutschen Berufsrechts gekämpft hat. Inzwischen<br />

aber stehen wir gelegentlich an einer Schwelle,<br />

an der anwaltliche Grundwerte tangiert sind. Bei unbedachter<br />

Deregulierung besteht, wie man sieht, die Gefahr, dass<br />

gewachsene Marktregularien zum Nachteil aller Beteiligten<br />

zerstört werden. Soweit Vorschriften dazu dienen, den Zugang<br />

zum Recht zu verbessern, Verbraucherrechte zu stärken<br />

und die Qualität der anwaltlichen Dienstleistung zu sichern,<br />

können diese wichtigen Gemeinwohlbelange nicht<br />

für eine Deregulierung, die dann letztlich nur um ihrer<br />

selbst Willen erfolgen würde, geopfert werden.<br />

2. Eckdaten eines harmonisierten Berufsrechts<br />

In Brüssel werden derzeit die Weichen für die Zukunft<br />

gestellt. Wünschenswert ist eine Debatte über die Zukunft<br />

des Rechtsanwalts in Europa, über das Modell des Europäischen<br />

Rechtsanwaltes, für das die deutsche Anwaltschaft in<br />

Brüssel auch mit möglichst einer Stimme kämpfen sollte.<br />

Wie aber sollen die Eckdaten eines harmonisierten Berufsbildes<br />

aussehen?<br />

Bei der Gestaltung des Berufsbilds eines „europäischen<br />

Rechtsanwaltes“ ist an der Funktion als „unabhängiges<br />

Rechtspflegeorgan“ festzuhalten. Der Verzicht auf die Organstellung<br />

mit dem Ziel, sich den besonderen anwaltlichen<br />

Pflichten zu entziehen, hätte drastische Folgen. Der Anwalt<br />

würde durch den Beruf eines „dienstleistenden Juristen“ ersetzt,<br />

die Anwaltsprivilegien verlören ihre Grundlage, für<br />

ein Beratungsmonopol der Anwaltschaft fehlte jede Rechtfertigung.<br />

Der Anwalt muss, will er seine Sonderstellung<br />

bewahren, mehr sein als ein reiner Dienstleister. Seine auch<br />

im Kreise der Freien Berufe herausragende Rechtsstellung<br />

kann er sich nur erhalten, wenn er sich zur seiner institutionellen<br />

Funktion im Rahmen staatlicher Justizgewährleistung<br />

bekennt und bereit ist, hierfür besondere Pflichten auf<br />

sich zu nehmen. Berufsrecht und Bekenntnis zur Stellung<br />

als Rechtspflegeorgan sind eng mit einander verknüpft.<br />

Für diese Position dürfte es in Europa klare Mehrheiten<br />

geben. Die Anwaltschaft muss die notwendigen Grundlagen<br />

hierfür aber selbst legen: Sie muss sich im Interesse einer<br />

langfristigen Bewahrung der anwaltlichen Sonderstellung auf<br />

die anwaltlichen Grundwerte – Unabhängigkeit, Verschwiegenheit<br />

und Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen<br />

– besinnen, auf jene Werte also, welche zur Wahrung<br />

des Ansehens des Rechtsanwaltes und zur Sicherung der Vertrauensbeziehung<br />

zum Mandanten essentiell sind 26 . Auch die<br />

EU-Kommission denkt nicht daran, diese Grundwerte in<br />

21 Henssler/Kilian, Positionspapier zur Studie des Instituts für Höhere Studien,<br />

September 2003; abrufbar unter http://www.anwaltverein.de/bruessel/pos-papier.pdf.<br />

22 Grundlegend BVerfG AnwBl 1987, 598 ff., 603 ff.; 1993, 120 ff.; ferner Jaeger,<br />

AnwBl. 2000, 475 ff.<br />

23 Vgl. zur Dogmatik der Grundfreiheiten etwa EuGH C-55/94 (Gebhard), Slg.<br />

1995, I-4165; EuGH C-255/97 (Pfeiffer), Slg. 1999, I-2835; EuGH C-108/96<br />

(MacQuen) Slg. 2001, I-837; EuGH C-294/00 (Paracelsus Schulen/Gräbner),<br />

Slg. 2002, I-6515.<br />

24 Hierzu umfassend Schützeberg, Der Notar in Europa – Eine rechtsvergleichende<br />

Untersuchung des deutschen, französischen, niederländischen und englischen<br />

notariellen Berufsrechts, Diss. Köln 2004.<br />

25 Schützeberg, aaO.<br />

26 Zu diesen „core values“ ausführlicher Henssler, ZZP 115 (2002), 321, 328; sowie<br />

bereits ders. NJW 2001, 1521.


AnwBl 8 + 9/2004 461<br />

Aufsätze MN<br />

Zweifel zu ziehen. Ein gewisser Regulierungsbedarf zum<br />

Schutz dieser Grundwerte wird von ihr durchaus konzediert 27 .<br />

Ihrer Ansicht nach sind es 4 Sektoren, in denen unerwünschte<br />

Wettbewerbshemmnisse abzubauen sind, nämlich 28 im Bereich:<br />

9 der Gebühren- und Tarifgesetze,<br />

9 der Werbung,<br />

9 der Zugangsvoraussetzungen und Monopolrechten,<br />

wie sie in unserem Rechtsberatungsgesetz verankert<br />

sind und<br />

9 im Bereich der Vorschriften für die zulässige Unternehmensform<br />

und die berufsübergreifende Zusammenarbeit.<br />

3. Das anwaltliche Vergütungsrecht<br />

a) Kritik an festen Honorarordnungen<br />

Exemplarisch sei in diesem Rahmen der Kritik am anwaltlichen<br />

„Gebühren“recht begegnet, weil es ganz oben<br />

auf der Deregulierungswunschliste der Kommission steht.<br />

Der Preis ist der wichtigste Wettbewerbsparameter überhaupt,<br />

es ist daher verständlich, dass Wettbewerbshüter jeder<br />

Einschränkung der freien Preisfindung per se skeptisch<br />

gegenüberstehen. Im Bereich des anwaltlichen Vergütungswesens<br />

existiert zwar mit dem RVG seit dem 1.7.2004 ein<br />

neues Gesetz. Es entspricht aber nicht den Wünschen der<br />

EU-Kommission: Auch unter der Geltung des RVG bleibt<br />

es im forensischen Bereich bei festen Gebührensätzen und<br />

dem Verbot der Gebührenunterschreitung, Erfolgshonorare<br />

sind weiterhin verpönt. Nach Ansicht der Kommission<br />

schaden aber Mindestpreise dem Wettbewerb am meisten,<br />

da sie die Vorteile wettbewerbsfähiger Märkte für Verbraucher<br />

ausschalten 29 . Auch der Bundesminister für Wirtschaft<br />

und Arbeit, Wolfgang Clement, ist dieser Auffassung und<br />

hat bereits, ganz im Sinne Montis, die gesetzlichen Gebührenordnungen<br />

prinzipiell in Frage gestellt 30 .<br />

b) Vorteile tarifierter Honorarsysteme<br />

Die Ablehnung von Tarifgesetzen, zu denen auch das<br />

RVG zählt, beruht auf der Prämisse, die Regulierung diene<br />

in erster Linie dem Interesse des Berufsstandes an einem<br />

auskömmlichen Verdienst. Dass unser Gebührensystem im<br />

Gegenteil in erster Linie eine soziale Komponente aufweist<br />

wird ebenso verkannt wie die sonstigen, im Interesse der<br />

Allgemeinheit und der Verbraucher liegenden positiven Effekte<br />

von Tarifsystemen. Die Regulierung der Vergütung sichert<br />

zunächst allen Rechtsuchenden gleichermaßen den<br />

Zugang zum Recht. Erreicht wird dies zum einen über die<br />

Streitwertabhängigkeit der Gebühren, zum anderen durch<br />

den der Taxe immanenten Gedanken der Mischkalkulation.<br />

Die vom Rechtsanwalt vereinnahmte hohe Vergütung bei<br />

hohen Streitwerten kompensiert die nicht kostendeckenden<br />

Einnahmen bei niedrigen Streitwerten 31 . Die Tarifierung<br />

ermöglicht die Durchsetzung geringwertiger Ansprüche mit<br />

Hilfe von Rechtsanwälten, weil die nicht kostendeckende<br />

Tarifvergütung in diesen Mandaten durch die Einnahmen<br />

aus „gebührenhaltigeren“ Mandaten quersubventioniert<br />

wird. Eine solche soziale Komponente des Vergütungswesens<br />

ist nur bei einer Tarifierung denkbar; sie setzt voraus,<br />

dass dem Rechtsanwalt eine Mindestvergütung zugebilligt<br />

wird, welche die Bearbeitung kleinerer Mandate im<br />

System der Mischkalkulation wirtschaftlich gestattet.<br />

Die Tarifierung der anwaltlichen Vergütung effektuiert<br />

in einem System der prozessualen Kostenerstattung zu-<br />

gleich Erstattungsmechanismen und ermöglicht eine staatliche<br />

Prozesskostenhilfe 32 . Vor allem aber gestattet sie das<br />

Entstehen eines funktionierenden Versicherungsmarktes,<br />

auf dem sich der Verbraucher kostengünstig gegen das Risiko<br />

versichern kann, Rechtsverfolgungskosten aufwenden<br />

zu müssen 33 . Versicherungsprodukte können auf dem Markt<br />

nur dann kostengünstig angeboten werden, wenn dem Versicherer<br />

zum einen ein Risiko-Pooling möglich und zum<br />

anderen das versicherte Risiko kalkulierbar ist. Resultat des<br />

BRAGO-Konzeptes, das weiterhin dem RVG zugrunde<br />

liegt, ist, dass Deutschland der weltweit größte Rechtsschutzversicherungsmarkt<br />

ist 34 . Rund 42 % der Bevölkerung<br />

sind durch entsprechende Policen abgedeckt 35 . Mit jährlichen<br />

Zahlungen an die Anwaltschaft von mehr als 1,5<br />

Mrd. E sind Rechtsschutzversicherer die größten Einkäufer<br />

anwaltlicher Leistungen 36 . Die Belastung des deutschen<br />

Steuerzahlers mit der Finanzierung eines aufwändigen Prozesskostenhilfesystems<br />

ist aufgrund der Existenz der tarifierten<br />

Anwaltsvergütung deutlich geringer als in „deregulierten“<br />

Ländern. Eine Untersuchung aus dem Jahre 2001<br />

hat ergeben, dass Bund und Länder für Beratungshilfe nach<br />

dem BerHG, Prozesskostenhilfe und Beistand in Strafsachen<br />

ca. 350 Mio E, also ca. 4,40 E pro Bürger und Jahr<br />

ausgeben. 37 Mit diesen Pro-Kopf-Werten liegt Deutschland<br />

europaweit nur im hinteren Mittelfeld 38 .<br />

c) Reformbedarf<br />

Nicht nur das geschilderte niederländische Beispiel sollte<br />

deutlich machen: Eine unbedachte und einäugig ökonomisch<br />

motivierte Deregulierung des Gebührenrechts ist nicht zielführend.<br />

Den Schaden wird der Verbraucher tragen müssen<br />

und all jene kleineren Anwaltskanzleien, die für eine flächendeckende<br />

Versorgung der rechtsuchenden Bevölkerung mit<br />

Rechtsrat sorgen. Der EuGH hat in seiner grundlegenden Entscheidung<br />

in der Sache Arduino 39 auch keine Einwände gegen<br />

die Vorgabe von Höchst- und Mindestgebühren durch den nationalen<br />

Gesetzgeber geltend gemacht 40 .Vielmehrsolljeder<br />

Mitgliedstaat selbst entscheiden, wie er die Funktionsfähigkeit<br />

seines Rechtspflegesystems optimal sichert.<br />

27 Vgl. KOM(2004) 83 endgültig, Rdnr. 23 ff.<br />

28 KOM(2004) 83 endgültig, Rdnrn. 31–64.<br />

29 KOM(2004) 83 endgültig, Rdnr. 32.<br />

30 Vgl. Handelsblatt vom 6. Juni 2003. Aktuelles Interesse des BMWA findet die<br />

Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Darüber hinaus sollen<br />

nach dem Willen Clements aber auch in anderen Berufsfeldern, wie jenen<br />

der Sachverständigen, der Rechtsanwälte und der Ärzte, die Gebühren- und<br />

Honorarordnungen reformiert werden.<br />

31 Vgl. nur Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert-Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2001,<br />

Einl. Rdnr. 6.<br />

32 Vgl. Henssler/Kilian, Positionspapier, aaO, S. 27 f.<br />

33 Hierzu ausführlich Kilian, [2003] 30 Journal Of Law & Society, S. 31 ff.<br />

34 Vgl. Kilian, [2003] 30 Journal Of Law & Society, S. 31, 40.<br />

35 Kilian, [2003] 30 Journal Of Law & Society, S. 31, 47, unter Berufung auf empirische<br />

Daten von Marken-Profile 9/Stern aus dem Jahr 2001.<br />

36 Vgl. zu den Leistungsdaten der Versicherungswirtschaft Schiller, VW 2000,<br />

1332 ff.<br />

37 Kilian, Legal Aid And Access To Justice In Germany, in: ILAG (ed.), The<br />

Challenge Of The New Century, Band 1, Melbourne 2001, S. 77, 106. Die Aufwendungen<br />

für die Prozesskostenhilfe betrugen in 2000 (nach Abzug einer<br />

Rückzahlungsquote von 15–20 %) rund 525 Mio. DM, für die Beiordnung in<br />

Strafsachen ca. 125 Mio. DM und für Beratungshilfe ca. 48 Mio. DM (Näherungswerte,<br />

eine konsolidierte Statistik aller Bundesländer existiert nicht). Näher<br />

Kilian, aaO, 99 (für PKH), 103 (Beiordnung Strafsachen), 105 (BerH).<br />

38 BRAK, BRAK-Mitt. 2001, 128, 130.<br />

39 EuGH Urteil vom 19.2.2002 C-35/99 = AnwBl 2002, 247 ff. Zu diesem Urteil –<br />

und dem zeitgleich ergangenen Urteil im Verfahren Wouters – etwa Eichele,<br />

EuZW 2002, 182; Lörcher, NJW 2002, 1092; Römermann/Wellige, BB 2002,<br />

633; Schlosser, JZ 2002, 454; Hund, DStR 2002, 519; v. Wedelstädt, IWB<br />

2002, 309; Kilian, WRP 2002, 812.<br />

40 Der EuGH ist damit nicht der im deutschen Schrifttum vertretenen These gefolgt,<br />

der zu Folge Mindestgebühren gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßen<br />

sollen, vgl. Lenz, Preiswettbewerb unter Rechtsanwälten, 1998, S. 167 ff.


462<br />

MN<br />

Als Fazit bleibt: Die von der EU-Kommission aufgestellte<br />

simple Gleichung: Staatliche Gebührengesetze =<br />

unerwünschte, kostentreibende Wettbewerbshemmnisse<br />

beruht auf einer unzulässigen Simplifizierung und der<br />

Unkenntnis der hochkomplexen Wirkungsmechanismen<br />

zwischen prozessualer Kostenerstattung, staatlicher Prozesskostenhilfe,<br />

privater Rechtsschutzversicherung und Sicherung<br />

des Zugangs zum Recht. Im Gegenteil – es muss<br />

die These gelten, dass der Verbindung von prozessualer<br />

Kostenstattung und subsidiär tarifierter Anwaltsvergütung,<br />

wie sie in Deutschland anzutreffen ist, europaweit eine Vorbildfunktion<br />

zukommt. Sie dient nicht nur der Abwehr unberechtigter<br />

Klagen, sondern stärkt das Auftreten der<br />

Rechtsschutzversicherungen und entlastet damit den Staat<br />

bei der Sicherung des Zugangs zum Recht.<br />

IV. Grenzüberschreitende Anwaltstätigkeit in<br />

Europa<br />

1. Folgen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit<br />

für die Anwaltschaft<br />

Der harmonisierte Binnenmarkt bietet neben Risiken<br />

vielfältige Chancen, insbesondere für hochqualifizierten<br />

Nachwuchsjuristen mit internationaler Ausbildung und<br />

Ausrichtung. Die Rechtsanwälte gehören – aufgrund der<br />

Richtlinien 77/249/EWG 41 und 98/5/EG 42 – zu einer kleinen<br />

Minderheit von Dienstleistungsunternehmern, die eine eigenständige<br />

Konkretisierung ihrer europaweiten Dienstleistungs-<br />

und Niederlassungsfreiheit durch Richtlinien und deren<br />

Umsetzungen erreicht haben. Welch ein enormer<br />

Kraftakt eine solche Rechtsvereinheitlichung ist, kann man<br />

erst ermessen, wenn man weiß, dass die berufsrechtliche<br />

Harmonisierung, die mit den beiden Richtlinien erreicht<br />

wurde, sogar für die USA Vorbildcharakter hat. Die USA<br />

sind mit ihren abgeschotteten bundesstaatlichen Regelungen<br />

von vergleichbaren Freizügigkeitsrechten noch weit<br />

entfernt. Das Tempo der beruflichen Liberalisierung ist<br />

demjenigen der politischen Integration weit enteilt.<br />

Die Betätigungsmöglichkeiten für Anwälte aus Mitgliedstaaten<br />

der Europäischen Union bestimmen sich in Deutschland<br />

nach dem „Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der<br />

Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts<br />

der Rechtsanwälte“ (EuRAG) 43 , das neben der Niederlassungsrichtlinie<br />

auch die zuvor durch das RADG und das<br />

EigPrüfG implementierten Dienstleistungs- und Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinien<br />

umsetzt 44 . Jeder Anwalt aus<br />

dem EU-Raum kann nunmehr unter der Berufsbezeichnung<br />

seines Heimatlandes dauerhaft in jedem anderen Mitgliedstaat<br />

die gleichen beruflichen Tätigkeiten ausüben wie die<br />

Berufsangehörigen des Aufnahmestaats. Es scheint, als hätten<br />

wir ihn tatsächlich wieder eingeführt, den europäischen<br />

Rechtsanwalt mit unbegrenzten Betätigungsmöglichkeiten,<br />

so wie wir ihn schon einmal im Mittelalter zur Zeit der<br />

Blüte der oberitalienischen Rechtsschulen hatten, als man<br />

mit einem Abschluss etwa der Universität Bologna in weiten<br />

Teilen Europas rechtsberatend tätig werden konnte.<br />

Tatsächlich erreicht ist indes nur eine rein fiktive Gleichwertigkeit<br />

aller europäischen Abschlüsse; an der wichtigsten<br />

Voraussetzung für einen europäischen Beratungsmarkt<br />

fehlt es dagegen weiterhin: nämlich an der einheitlichen<br />

Rechtsordnung. Eine tiefergehende Analyse entlarvt den<br />

Aktionismus des europäischen und der nationalen Gesetzgeber<br />

als enormen legislatorischen Aufwand für eine in Relation<br />

zum Gesamtmarkt verschwindend kleine Schar „europäischer<br />

Rechtsanwälte“. Die Statistik der BRAK aus<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aufsätze<br />

dem Jahre 2003 weist für die gesamte Bundesrepublik bei<br />

knapp 127.000 Rechtsanwälten gerade 397 ausländische<br />

Rechtsanwälte aus.<br />

2.Wettbewerb der Berufsrechte?<br />

Ein echter Wettbewerb der Ausbildungssysteme und der<br />

Berufsrechte findet in Europa derzeit nicht statt, so dass der<br />

Druck, der über die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit<br />

auf eine Deregulierung des deutschen Berufsrechtes<br />

ausgeübt werden könnte, gering ist. Ein „race to the bottom“,<br />

wie wir ihn im Gesellschaftsrecht kennen, ist so<br />

lange nicht zu befürchten, solange wir nicht auch im Berufsrecht<br />

das auf dem Warenverkehr bekannte Ursprungslandsprinzip<br />

übernehmen. Der sog. „Delaware-Effekt“ beruht<br />

auf der Überlegung, dass diejenigen Staaten, die das<br />

liberalste – will heißen: das am wenigsten auf den Gläubigerschutz<br />

achtende – Gesellschaftsrecht vorhalten, Standortvorteile<br />

bieten, so dass die Unternehmensansiedlung<br />

reizvoll wird45 . Im Berufsrecht kann dagegen derzeit das liberale<br />

Recht des Heimatstaates nicht mit der Dienstleistung<br />

exportiert werden. Der im Ausland tätige Anwalt muss sich<br />

vielmehr mit Billigung des EuGH stets einem eventuell<br />

strengeren Berufsrecht seines Tätigkeitsortes unterwerfen46 .<br />

3. Das Kollisionsrecht bei grenzüberschreitender Tätigkeit<br />

Hier erweist es sich als nachteilig, dass Europa mit der<br />

Harmonisierung der Berufsrechte kaum vorangekommen<br />

ist. Wie soll sich der Rechtsanwalt verhalten, wenn die Berufs-<br />

bzw. Verfahrensrechte, denen er unterworfen ist, Unterschiede<br />

aufweisen oder sogar kollidierende Bestimmungen<br />

kennen; wenn z. B. – was tatsächlich denkbar ist – das<br />

englische Recht eine Offenbarungspflicht in Form einer<br />

Meldepflicht kennt, das deutsche Recht dagegen die Verschwiegenheitspflicht<br />

ausnahmslos anordnet. Die europäischen<br />

Regeln bieten hier nur partiell Antworten. Im Falle<br />

einer reinen Dienstleistung im Ausland hat der Rechtsanwalt<br />

grundsätzlich sowohl die Bestimmungen seines Heimatstaates<br />

als auch das Berufsrecht des Aufnahmestaates zu<br />

beachten (§ 27 EuRAG). Es gilt also nicht das Herkunftslandsprinzip,<br />

über das im Europarecht sonst Kollisionen<br />

gelöst werden, und das nunmehr auch Art. 16 des <strong>Entwurf</strong>s<br />

einer EU-Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt47 als Grundsatz für grenzüberschreitende Dienstleistungen<br />

vorsieht48 . Stattdessen kommt es zu einer seltsamen Parallelanwendung<br />

der Rechte von Ursprungs- und Zielland mit der<br />

Folge des Problems der sog. Double Deontology49 . Nur bei<br />

einer außerforensischen Tätigkeit sind die Pflichten weniger<br />

umfassend. In Deutschland niedergelassene ausländische<br />

41 Zu dieser Kespohl-Willemer, AnwBl. 1991, 147 ff.; Raczinski/Rogalla/Tomsche,<br />

AnwBl. 1989, 583 ff.; Rabe, RabelsZ 55, 291 ff. (1991).<br />

42 Zu dieser Henssler, ZEuP 1999, 689; Lörcher, BRAK-Mitt. 1998, 9; Nerlich,<br />

MDR 1996, 874; Sobotta/Kleinschnittger, EuZW 1998, 645; Weber, DZWiR<br />

1996, 127.<br />

43 Zum EuRAG Klein, AnwBl 2000, 190 f.; Lach, NJW 2000, 1609 ff.; Franz, BB<br />

2000, 989 ff.<br />

44 Für Anwälte aus anderen Staaten können sich Tätigkeitsmöglichkeiten auf<br />

Grundlage des General Agreement On Trade In Services (GATS) oder aufgrund<br />

bilateraler Gewährleistungen ergeben; vgl. Kilian, in Henssler/Streck,<br />

Handbuch des Sozietätsrechts, Köln 2001, Rdnr. H 30 ff.<br />

45 Vgl. Hatzis-Schoch, RIW 1992, 539 ff.<br />

46 Kilian, in: Henssler/Streck, aaO, Rz. H 175 ff.<br />

47 KOM(2004) 2 endgültig/2, abrufbar unter http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/<br />

pdf/2004/com2004_0002de02.pdf.<br />

48 Zu den für die Rechtsanwälte relevanten Ausnahmen vgl. Art 17 des <strong>Entwurf</strong>s<br />

sowie dazu Henssler. BB 2004, Editorial zu Heft 22.<br />

49 Dazu Hellwig, AnwBl 2004, 213, 218.


AnwBl 8 + 9/2004 463<br />

Aufsätze MN<br />

Anwälte bleiben Angehörige des Berufsverbandes ihres<br />

Herkunftsstaats, müssen folglich dessen Berufsrecht weiterhin<br />

beachten. Sie werden darüber hinaus gemäß § 6 Abs. 1<br />

EuRAG bzw. § 207 Abs. 2 BRAO (jeweils i. V. m. § 29 BerufsO)<br />

dem deutschen Berufsrecht unterworfen.<br />

Die jüngst vorgeschlagene Lösung der vor diesem Hintergrund<br />

unvermeidlichen Kollisionsprobleme über das Herkunftslandsprinzip<br />

50 hat zwar den Charme der Einfachkeit.<br />

Sie führt aber genau zu dem, was es zu vermeiden gilt:<br />

nämlich zu den „race to the bottom“ mit der langfristigen<br />

Durchsetzung der völlig deregulierten skandinavischen Berufsrechtssysteme.<br />

Das kann nicht gewollt sein. Akzeptiert<br />

man das Ursprungslandprinzip auch außerhalb der Staaten,<br />

die eine anwaltliche Stellung als Rechtspflegeorgan anerkennen,<br />

schwächt man zugleich in Europa die Bemühungen,<br />

dieses Prinzip europaweit als Vorbild zu verankern.<br />

Sinnvoll erscheint es vielmehr, jedenfalls vorerst während<br />

der Auslandstätigkeit nur das Berufsrecht des Zielstaates<br />

anzuwenden. Warum sollte ein deutscher Anwalt, der im<br />

Vereinigten Königreich tätig ist, nicht die Möglichkeiten<br />

des dortigen liberaleren Werberechtes nutzen, warum nicht<br />

mit einem englischen Mandanten ein in England zulässiges<br />

Erfolgshonorar vereinbaren dürfen? Meines Erachtens<br />

greift hier schon der Normzweck der deutschen Berufsregeln<br />

nicht, da der Schutz der britischen rechtsuchenden<br />

Bevölkerung nicht vom Regelungsanliegen des deutschen<br />

Berufsrechts erfasst wird und auch die Funktionsfähigkeit<br />

der Rechtspflege nur für Deutschland, nicht dagegen für<br />

das britische System gesichert werden soll. Selbst im Bereich<br />

der anwaltlichen Grundwerte bleibt es bei diesem<br />

Grundsatz, so etwa wenn ein deutscher Anwalt in England<br />

widerstreitende Interessen im Einverständnis aller Beteiligter<br />

vertritt und das englische Berufsrecht diese Tätigkeit für<br />

zulässig erklärt. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen<br />

sind den deutschen Rechtsanwaltskammern und der deutschen<br />

Anwaltsgerichtsbarkeit hier Sanktionen verwehrt, da<br />

Gemeinwohlinteressen, die eine entsprechende Berufsausübungsbeschränkung<br />

rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich<br />

sind. Mit diesem kollisionsrechtlichen Ansatz werden<br />

wir uns behelfen müssen, solange die wünschenswerte<br />

Harmonisierung der Berufsrechte nicht erreicht ist.<br />

V. Ausblick<br />

Eines macht der eingangs erwähnte, lesenwerte Clementi-Bericht<br />

sehr deutlich. Aus der Sicht des europäischen<br />

Verbrauchers lassen sich die Wünsche ganz einfach definieren:<br />

Er will bestqualifizierte Beratung zu einem möglichst<br />

niedrigen Preis. Die Anwaltsverbände werden dagegen halten,<br />

dass Qualität ihren Preis haben muss. Unabhängig davon<br />

aber gilt: Überlebensnotwendig ist für eine im Wettbewerb<br />

51 stehende Anwaltschaft die überlegene<br />

Qualifikation. Berufsethos und fachliche Qualifikation stellen<br />

derzeit sicher, dass der Anwalt der beste Rechtsberater<br />

ist. Dank des Engagements von Ludwig Koch kann die<br />

Universität zu Köln mit ihrem Institut für Anwaltsrecht<br />

über eine anspruchsvolle, anwaltsorientierte Ausbildung<br />

dazu beizutragen, dass dies auch in Zukunft so bleibt.<br />

50 Hellwig, AnwBl 2004, 213, 218, 220.<br />

51 Zur Anwaltschaft im Wettbewerb bereits Henssler, AnwBl 1993, 541.<br />

Die Unabhängigkeit des<br />

Rechtsanwalts<br />

Prof. Dr. Barbara Grunewald, Universität zu Köln*<br />

Der Rechtsanwalt ist unabhängig. Doch was anwaltliche<br />

Unabhängigkeit ist, regeln BRAO und BORA nicht.<br />

Am Beispiel von Fallgruppen zeigt die Autorin auf, dass es<br />

keinen Bedarf gibt, den Begriff der anwaltlichen Unabhängigkeit<br />

zu konkretisieren.<br />

I. Die momentane Rechtslage<br />

1. Der Begriff der Unabhängigkeit<br />

Nach § 1 BRAO, der Basisnorm des anwaltlichen Berufsrechts,<br />

ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ<br />

der Rechtspflege. Ähnlich formuliert § 43 a Abs. 1 BRAO,<br />

wonach der Rechtsanwalt keine Bindungen eingehen darf,<br />

die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden. In der<br />

Kommentierung von Ludwig Koch heißt es: „Die anwaltliche<br />

Unabhängigkeit bedeutet Freiheit, im Wesentlichen<br />

Staatsunabhängigkeit in anwaltlicher Berufsausübung. Anwaltliche<br />

Unabhängigkeit ist ein unangefochtenes, selbstverständliches<br />

Wesensmerkmal anwaltlicher Berufsausübung.<br />

Sie ist Ausfluss des Grundsatzes der<br />

freiheitlichen Advokatur“ 1 . Dies ist eine meisterhafte Zusammenfassung<br />

dessen, worum es geht. Im weiteren Verlauf<br />

der Kommentierung wird dann deutlich, dass neben die<br />

Staatsunabhängigkeit die Unabhängigkeit von Mandanten<br />

und Dritten tritt. Als Ergebnis dieser Untersuchung heißt es<br />

dann 2 : „Die bisherigen ergebnislosen Bemühungen, anwaltliche<br />

Unabhängigkeit in eine für alle Lebenssachverhalte<br />

passende Definition zu zwingen, sollte enden“ 3 .<br />

2. Konsequenzen<br />

Diese Unklarheit darüber, was anwaltliche Unabhängigkeit<br />

ist, hat Konsequenzen. Wie schon gesagt, wiederholt<br />

§ 43 a Abs. 1 BRAO die in § 1 BRAO niedergelegten<br />

Grundsätze im Wesentlichen. Verstöße gegen § 43 a Abs. 1<br />

BRAO können nach § 113 BRAO mit anwaltsgerichtlichen<br />

Maßnahmen sanktioniert werden. Die geschilderte Unbestimmtheit<br />

der Tatbestandsmerkmale hat aber zur Folge,<br />

dass Sanktionen wegen Verletzung der Pflicht zur anwaltlichen<br />

Unabhängigkeit äußerst selten sind. Jedenfalls die<br />

veröffentlichte Judikatur der Anwaltsgerichte weist für die<br />

letzten Jahre keine auf § 43 a Abs. 1 BRAO gestützten Urteile<br />

auf. Daher erübrigt sich die ansonsten sich aufdrängende<br />

Frage, ob anwaltsgerichtliche Sanktionen wegen eines<br />

Verstoßes gegen eine so unbestimmte Norm wie § 43 a<br />

Abs. 1 BRAO überhaupt dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot<br />

standhalten würden 4 .<br />

* Der Beitrag beruht auf dem Vortrag am 15.6.2004 aus Anlass der akademischen<br />

Feier der Universität zu Köln zum 70. Geburtstag von Rechtsanwalt Dr. h.c.<br />

Ludwig Koch.<br />

1 Henssler/Prütting/Koch BRAO, 2. Aufl., § 1 Rdz. 38.<br />

2 Henssler/Prütting/Koch (s.o. Fn. 1) § 1 Rdz. 63.<br />

3 Siehe auch Kleine-Cosack BRAO, 4. Aufl., § 1 Rdz. 16: Allgemeinplätze; zust.<br />

auch Römermann/Hartung, Anwaltliches Berufsrecht, 2002, § 9 Rdz. 8.<br />

4 Zu der vergleichbaren Frage, ob § 43 BRAO dem Bestimmtheitsgebot standhält,<br />

Grunewald/Piepenstock MDR 2000, 869.


464<br />

MN<br />

II.Veränderungsbedarf ?<br />

1. Konkretisierung durch die Satzungsversammlung<br />

Dieser Befund ist nicht naturgegeben. Vielmehr besteht<br />

die Möglichkeit, dass die Satzungsversammlung die ihr<br />

nach § 59 b Abs. 2 Nr. 1 BRAO eingeräumte Kompetenz<br />

nutzt und konkrete Regeln entwickelt, wann die Unabhängigkeit<br />

gefährdet ist 5 . Dies ist etwa in § 26 BORA (Rechtsanwälte<br />

dürfen nur zu angemessenen Bedingungen beschäftigt<br />

werden) und auch in anderen Bestimmungen der BORA<br />

geschehen. Ob weitere Konkretisierungen wünschenswert<br />

sind, lässt sich nur sagen, wenn man die Fallgestaltungen<br />

ins Auge fasst, hinsichtlich derer ein Verstoß gegen § 43 a<br />

Abs. 1 BRAO diskutiert wird.<br />

a) Wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mandanten<br />

aa) Abhängigkeit auf Grund der Betreuung nur weniger<br />

Mandanten<br />

Immer wieder wird als Fallgruppe, in der die anwaltliche<br />

Unabhängigkeit gefährdet sein könnte, die Abhängigkeit eines<br />

Rechtsanwalts genannt, dessen Umsatz im Wesentlichen<br />

auf einen einzigen Mandanten zurückgeht. Wollte man insoweit<br />

konkret werden, würde sich eine Parallele zu den die<br />

Wirtschaftsprüfer betreffenden Regeln des HGB anbieten.<br />

Nach § 319 Abs. 2 Nr. 8 HGB darf ein Wirtschaftsprüfer<br />

nicht Prüfer sein, wenn er in den letzten 5 Jahren jeweils<br />

mehr als 30 % der Gesamteinnahmen aus seiner beruflichen<br />

Tätigkeit aus der Prüfung und Beratung der zu prüfenden<br />

Kapitalgesellschaft bezogen hat und dies auch im laufenden<br />

Geschäftsjahr zu erwarten ist. Dies ließe sich – so gewollt –<br />

problemlos auf Rechtsanwälte übertragen6 . Empfehlenswert<br />

wäre das aber nicht7 . Denn anders als ein Wirtschaftsprüfer<br />

ist ein Rechtsanwalt nicht auch im öffentlichen Interesse,<br />

sondern in erster Linie im Interesse seines Mandanten tätig.<br />

Das rechtfertigt eine Abschwächung in den Anforderungen<br />

an die Unabhängigkeit. Im Übrigen ist die intensive Beschäftigung<br />

eines Rechtsanwalts mit einem Mandanten<br />

durchaus nicht immer unerwünscht. Manche Mandanten haben<br />

so viel Beratungsbedarf, dass sie einen Rechtsanwalt<br />

problemlos beschäftigen können und wollen. Die damit verbundene<br />

wirtschaftliche Abhängigkeit dieses Anwalts liegt<br />

für die Mandanten meist auf der Hand. Sofern es gleichwohl<br />

bei der Mandatierung bleibt, billigt der Mandant die Abhängigkeit.<br />

Um seinen Schutz kann es also nicht gehen. Auch<br />

ist nicht festzustellen, dass das Ansehen der Anwaltschaft in<br />

der Öffentlichkeit allein auf Grund der Tatsache, dass einige<br />

Rechtsanwälte nur für einen Mandanten tätig sind, leidet. Insoweit<br />

ist also weder § 43 a Abs. 1 BRAO noch § 1 BRAO<br />

einschlägig8 und insoweit besteht auch kein Konkretisierungsbedarf.<br />

bb) Abhängigkeit auf Grund von Darlehenshingaben<br />

Eine weitere in der berufsrechtlichen Literatur genannte<br />

Fallgestaltung für mögliche Abhängigkeiten sind Darlehenshingaben,<br />

wobei Darlehensgeber sowohl der Rechtsanwalt<br />

wie auch der Mandant sein kann. Ist der Rechtsanwalt Darlehensgeber,<br />

so besteht die Gefahr, dass er seinem Mandanten<br />

nach dem Munde redet, um diesen nicht zu einer verzögerten<br />

Rückzahlung zu verleiten. Ist der Mandant<br />

Darlehensgeber, so besteht die Gefahr, dass der Rechtsanwalt,<br />

etwa um eine Fälligstellung des Darlehens zu vermeiden,<br />

den Wünschen des Mandanten allzu umfassend<br />

Rechnung trägt 9 . In einem Urteil des OLG Celle wird offen<br />

gelassen, ob die Hingabe eines Darlehens durch eine Steu-<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aufsätze<br />

erberatersozietät an den Mandanten die Unabhängigkeit der<br />

Steuerberater beeinträchtigt10 . Für Rechtsanwälte stellt sich<br />

dieselbe Frage.<br />

Obwohl in den genannten Fällen eine gewisse Abhängigkeit<br />

nicht von der Hand zu weisen ist, erscheint mir die<br />

Ausformulierung eines entsprechenden Verbotes nicht angebracht.<br />

Nicht nur dass dann geklärt werden müsste, was<br />

als Kreditgewährung anzusehen ist – und die Judikatur zu<br />

§ 32a GmbHG zeigt, was für ein Fass ohne Boden sich bei<br />

diesem Versuch auftut –, m. E. gilt auch wiederum, dass der<br />

Mandant die Gefährdung der Unabhängigkeit seines Beraters<br />

erkennt und billigt. Auch in diesem Fall kann es also<br />

um seinen Schutz nicht gehen. Das Ansehen der Anwaltschaft<br />

als solcher leidet jedenfalls bislang ebenfalls nicht<br />

auf Grund solcher Darlehenshingaben. Im Übrigen müsste<br />

eine Relevanzschwelle entwickelt werden, von der ab eine<br />

Kreditgewährung erheblich wäre. Da dies wiederum von<br />

der wirtschaftlichen Lage des Anwalts abhinge, wären weitere<br />

Schwierigkeiten vorprogrammiert.<br />

Auch de lege lata kommt nach meinem Dafürhalten eine<br />

Subsumtion der Kreditgewährung unter § 43 a Abs. 1<br />

BRAO nicht infrage. Denn das schon angesprochene generelle<br />

Problem, das bei auf § 43 a Abs. 1 BRAO, § 113<br />

BRAO gestützten Sanktionen auftritt – die fehlende Schärfe<br />

des Tatbestandes und damit der drohende Verstoß gegen<br />

das Bestimmtheitsgebot –, wird aus den genannten Gründen<br />

bei der Darlehenshingabe besonders augenfällig.<br />

cc) Honorarzahlungen in Form von Geschäftsanteilen oder<br />

Verwertungsrechten<br />

Problematisch erscheint manchen auch die Bezahlung<br />

der Rechtsanwaltsvergütung durch Unternehmer in Anteilen<br />

an dem Rechtsträger, der das Unternehmen führt (also<br />

etwa in Aktien bei der einer Aktiengesellschaft11 ). Ich teile<br />

diese Ansicht nicht12 . Zwar führt das Halten der Anteile<br />

dazu, dass jeder wirtschaftliche Erfolg des Mandanten, also<br />

des Unternehmens, sich auch positiv auf das Vermögen des<br />

Anteilseigners, also des Rechtsanwalts, auswirkt. Die bloße<br />

Parallelität der Interessen von Mandant und Rechtsanwalt<br />

ist aber nicht untypisch für das Verhältnis zwischen Mandant<br />

und Berater und führt nicht dazu, dass man eine rechtlich<br />

relevante Abhängigkeit feststellen könnte13 . Insbesondere<br />

ist nicht zu befürchten, dass der Mandant den Anwalt<br />

bei der Beratung sachwidrig beeinflusst. Vielmehr führt gerade<br />

die Tatsache, dass der Anwalt Anteile an dem Unternehmen<br />

des Mandanten hält, zu einer Stärkung der Stellung<br />

des Rechtsanwalts in seinem Verhältnis zum Mandanten.<br />

Denn zumindest partiell sind die Interessen von Mandant<br />

und Rechtsanwalt übereinstimmend und eine gute Beratung<br />

5 So die Aufforderung von Henssler/Prütting/Eylmann BRAO 2. Aufl., § 43 a<br />

Rdz. 7, zu den Überlegungen der Satzungsversammlung Hartung/Holl BORA,<br />

2. Aufl., § 43 a BRAO Rdz. 18 ff.<br />

6 Siehe dazu Schautes, Anwaltliche Unabhängigkeit im deutschen und US-amerikanischen<br />

Berufsrecht, Diss. Köln 2004, D I 3 b bb) S. 165.<br />

7 Schautes (s.o. Fn. 6) D I 3 b bb) S. 165.<br />

8 So auch Hartung/Holl (s.o. Fn. 5) § 43 a Rdz. 10; Römermann/Hartung (s.o.<br />

Fn. 3) § 9 Rdz. 6; Feuerich/Weyland BRAO 6. Aufl., § 43 a Rdz. 11.<br />

9 Schilderung bei Schautes (s.o. Fn. 7) D I 3 b) cc) S. 177; für eine Beurteilung<br />

nach Lage des Einzelfalls Henssler/Prütting/Eylmann (s.o. Fn. 5) § 43 a<br />

Rdz. 22; die Darlehenshingabe an den Rechtsanwalt durch den Mandanten<br />

wird auch von Axmann in Axmann/Bischoff/Demuth/Diem/Dotten/Grams/<br />

Hauffe/Rothenbacher, Anwaltsrecht I, S. 30 kritisch beurteilt.<br />

10 OLG Celle NZG 2000, 834.<br />

11 de Lousanoff ZZP 115 (2002) 357, 374.<br />

12 Siehe Grunewald NZG 2001, 645.<br />

13 Anders wohl EGH Celle BRAK-Mitteilungen 1993, 225: Honorar war an dem<br />

Umsatz des Unternehmens ausgerichtet, das beraten werden sollte.


AnwBl 8 + 9/2004 465<br />

Aufsätze MN<br />

des Mandanten liegt damit auch im Interesse des Rechtsanwaltes.<br />

Dagegen scheint mir die Bezahlung von Rechtsanwälten<br />

mit Verwertungsrechten, konkret gesprochen eines Strafverteidigers<br />

mit den medialen Rechten an der Biografie seines<br />

Mandanten, nicht hinnehmbar. Das US-amerikanische Standesrecht<br />

verbietet eine solche Vergütungsweise – allerdings<br />

nur für den Fall, dass der Mandant nicht auf die Risiken<br />

hingewiesen wurde14 .<br />

Diese Risiken liegen darin, dass der Rechtsanwalt, um<br />

den Preis der Verwertungsrechte hoch zu treiben, die Verteidigung<br />

spektakulär statt effektiv ausgestalten könnte.<br />

Auch könnte er, um seinen Bekanntheitsgrad zu erhöhen,<br />

sich selbst mehr ins Szene setzen als es für die Verteidigung<br />

sinnvoll ist. Allein das Einverständnis des Mandanten<br />

mit dieser Art der Bezahlung könnte diese Gefährdung<br />

nicht legitimieren. Denn da es um das Auftreten der Anwaltschaft<br />

in der Öffentlichkeit geht, wird das Ansehen der<br />

gesamten Anwaltschaft – über das der Mandant selbstverständlich<br />

nicht verfügen kann – gefährdet. Eine Konkretisierung<br />

von § 43 a Abs. 1 BRAO wäre insoweit im Grundsatz<br />

also angezeigt. Vergleichbares könnte für die<br />

Doppelrolle als Verteidiger und Zeuge gelten15 . Doch scheinen<br />

diese Fallgestaltungen in Deutschland jedenfalls momentan<br />

nicht wirklich vorzukommen. Daher kann auch auf<br />

solche Regelungen wohl verzichtet werden.<br />

b) Unabhängigkeit gegenüber Dritten<br />

aa) Unabhängigkeit gegenüber dem Arbeitgeber<br />

Ein praktisch drängendes Problem ist die Unabhängigkeit<br />

des Rechtsanwaltes gegenüber seinem Arbeitgeber. Bei<br />

Rechtsanwälten angestellte Anwälte gibt es in Deutschland<br />

unzählige. Dass dies im Ausgangspunkt unproblematisch<br />

ist, ist unstreitig. Auch das Weisungsrecht des Arbeitgebers<br />

steht im Grundsatz außer Frage, wenn auch allein der Hinweis<br />

darauf, dass die Weisungsgebundenheit das Innen-,<br />

die Unabhängigkeit aber das Außenverhältnis betrifft16 ,<br />

wohl nicht überzeugt. Denn das Postulat der Unabhängigkeit<br />

bezieht sich ja nicht nur auf die Unabhängigkeit vom<br />

Mandanten.<br />

Im Übrigen ist die Festlegung der Grenze dieses Weisungsrechts<br />

zwar juristisch interessant, praktisch aber bedeutungslos.<br />

Jedenfalls sind Klagen auf weisungsgemäßes<br />

Verhalten eines angestellten Rechtsanwaltes oder Kündigungen<br />

wegen Verweigerung der Einhaltung von Weisungen<br />

nicht bekannt geworden. Man hilft sich hier offensichtlich<br />

auf weniger angreifbare Weise.<br />

Die Satzungsversammlung hat in § 26 BORA zum<br />

Schutz der Unabhängigkeit angestellter Rechtsanwälte niedergelegt,<br />

dass Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedingungen<br />

beschäftigt werden dürfen. Zugleich wurde versucht,<br />

den Begriff der Angemessenheit näher zu definieren.<br />

Diese Normierungen haben Folgen gehabt. Einige Arbeitsgerichte<br />

haben die Entgeltregelungen in Dienstverträgen<br />

mit angestellten Anwälten wegen zu geringer Höhe der<br />

Vergütung für unwirksam erklärt und das statt dessen geschuldete<br />

Entgelt unter Rückgriff auf die übliche Vergütung<br />

festgesetzt17 .<br />

Ein neues, aber tendenziell gleich liegendes Problem<br />

liegt in der Vorgabe einer bestimmten Anzahl von „billable<br />

hours“, die manche Sozietäten ihren Partnern und Mitarbeitern<br />

pro Tag, pro Woche oder pro Monat vorschreiben. Der<br />

Druck zur Abrechnung auch sinnlos aufgewandter Zeit, der<br />

auf diese Weise aufgebaut wird, kann riesig sein, zumal oft<br />

Gehalt und Aufstieg innerhalb der Sozietät von der Anzahl<br />

der billable hours abhängen 18 . § 26 BORA sagt dazu ausdrücklich<br />

nichts, und zwar zu Recht. Erfasst werden<br />

könnten nur extreme Vorgaben, die aber dann auch problemlos<br />

als unangemessen i. S. v. § 26 Abs. 1 BORA eingestuft<br />

werden können.<br />

Keine Regelung enthält § 26 BORA in Bezug auf die<br />

Frage, ob ein Angestelltenverhältnis zeitlich beschränkt<br />

sein muss. Dies wird in der Literatur zwar so vertreten 19 .<br />

Aber das macht keinen Sinn und sollte daher auch nicht in<br />

§ 26 BORA eingefügt werden. Denn anderenfalls müsste<br />

der angestellte Rechtsanwalt nach Ablauf der Zeit mit seiner<br />

Freisetzung rechnen, ein Faktum, das ihn sicherlich besonders<br />

willfährig die Weisungen seines Vorgesetzten wird<br />

ausführen lassen. Somit wäre eine zeitliche Schranke geradezu<br />

kontraproduktiv. Auch ist im Bereich der Ärzteschaft,<br />

wo entsprechende berufsrechtliche Regeln gelten, zu beobachten,<br />

dass die Seniorpartner die Rechtsstellung der Juniorpartner<br />

in einer geradezu als sittenwidrig einzustufenden<br />

Weise beschränken 20 .<br />

bb) Unabhängigkeit gegenüber einer Weltanschauung<br />

In der Literatur ist gesagt worden, ein Verstoß gegen § 1<br />

BRAO liege vor, wenn die Weltanschauung eines Rechtsanwalts<br />

nach außen in Beziehung zu seinem Beruf gebracht<br />

wird, so dass Zweifel an seiner Unabhängigkeit aufkommen.<br />

Als Beispiel wird ein Praxisschild mit dem Wortlaut „Sozialistisches<br />

Anwaltskollektiv“ genannt 21 . Nun würde ich zwar<br />

ebenfalls dieses Schild für unzulässig halten, aber nicht weil<br />

die Weltanschauung des Anwalts darin zum Ausdruck<br />

kommt, sondern weil dieses Praxisschild irreführend ist.<br />

Denn die Rechtsform des Kollektivs gibt es in der Bundesrepublik<br />

nicht. Mit dem Praxisschild „evangelischer Rechtsanwalt“<br />

hätte ich keine Probleme 22 , im Gegenteil, diese Information<br />

mag für den einen oder anderen Mandanten wichtig<br />

sein. Da niemand von einem Rechtsanwalt verlangt, weltanschaulich<br />

ungebunden zu sein, kann die Offenlegung einer<br />

Bindung schon deshalb nicht gegen § 1 BRAO verstoßen,<br />

weil sie die Bindung nicht begründet, sondern nur mitteilt.<br />

c) Ergebnis<br />

Das Ergebnis ist ernüchternd. Konkretisierungen von § 1<br />

BRAO bzw. § 43 a Abs. 1 BRAO durch die Satzungsversammlung<br />

wären zwar möglich, sind aber jedenfalls momentan<br />

nicht angezeigt.<br />

14 Schautes (s.o. Fn. 6) D II 3 b) aa) S. 196.<br />

15 Dazu Hartung/Holl (s.o. Fn. 5) § 43 a Rdz. 14 ff.<br />

16 Moll in Henssler/Streck, Handbund des Sozietätsrechts, G Rdz. 60 ff; LG Düsseldorf<br />

AnwBl. 2002, 600, 601; Fuhrmann, Rechtsstellung des angestellten<br />

Rechtsanwaltes, 1988, S. 127 ff unterscheidet zwischen sachlichen (unzulässigen)<br />

und organisatorischen (zulässigen) Weisungen; wie hier Kleine-Cosack<br />

(s.o. Fn. 3) § 1 Rdz. 18; Schautes (s.o. Fn. 6) D 3 a) bb) S. 272.<br />

17 Siehe ArbG Bad Hersfeld BRAK-Mitteilungen 2000, 147; LAG Hessen BRAK-<br />

Mitteilungen 2000, 151; weiterführend Seul NJW 2002, 197.<br />

18 de Lousanoff (s.o. Fn. 11) 357, 372 f. .<br />

19 Feuerich/Weyland (s.o. Fn. 8) § 1 Rdz. 26; kritisch auch de Lousanoff (s.o.F.<br />

11) 357, 375 f; Stürner/Bormann NJW 2004, 1481, 1490; dagegen Römermann/Hartung<br />

(s.o. Fn. 3) § 9 Rdz. 12; Schautes (s.o. Fn. 6) D II 3 a) bb)<br />

S. 277; zu freien Mitarbeiterverhältnissen LAG Düsseldorf AnwBl. 2002, 600:<br />

zulässig.<br />

20 BGH ZIP 2004, 903.<br />

21 Feuerich/Weyland (s.o. Fn. 8) § 1 Rdz. 10; Pfeiffer BRAK-Mitteilungen 1987,<br />

102, 104.<br />

22 Großzügig auch Römermann/Hartung (s.o. Fn. 3) § 9 Rdz. 5.


466<br />

MN 2. Konkretisierungen durch einen Kodex<br />

Konkretisierungen in anderer Form sind damit aber noch<br />

nicht ausgeschlossen. Man könnte beispielsweise daran<br />

denken, die geschilderten und weitere Regeln in einer Art<br />

Knigge der Anwaltschaft zusammenzufassen und den Anwälten,<br />

die sich zur Einhaltung dieser Regeln sanktionsbewährt<br />

verpflichten, ein besonderes Gütesiegel zusprechen.<br />

Von maßgeblicher Bedeutung könnte etwa der<br />

Nachweis besonderer Fortbildungsanstrengungen sein. Ob<br />

derartige Gütesiegel vom Markt angenommen und honoriert<br />

werden, ist schwer zu beurteilen. Der Vorteil läge darin,<br />

dass die Einhaltung dieser Regeln dann nicht breitflächig<br />

erzwungen, sondern für die Marktsegmente angeboten<br />

würde, für die sie von Bedeutung sind. Dass dies nichts<br />

völlig Ungewöhnliches ist, zeigen vergleichbare Güteregeln<br />

anderer Anbieter, etwa des Rings <strong>Deutscher</strong> Makler. Immerhin<br />

hat der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

vor Jahren einmal eine Art Ehrenkodex für<br />

Strafverteidiger aufgestellt 23 .<br />

3. Konkretisierung durch Haftung<br />

Nicht de lege ferenda, sondern bereits de lege lata findet<br />

eine Konkretisierung der anwaltlichen Pflichten durch Haftung<br />

statt. Es steht fest, dass jede fehlerhafte Beratung zur<br />

Haftung führt. Die anwaltliche Unabhängigkeit soll zumindest<br />

auch den Mandanten schützen. Die Qualität des<br />

Rechtsrats hängt eben auch davon ab, ob der Rechtsanwalt<br />

sich seine Meinung unabhängig gebildet hat. Soweit es zu<br />

einer unzutreffenden Beratung kommt, sei es nun infolge<br />

fehlender Unabhängigkeit oder sei es infolge anderer Umstände,<br />

wird gehaftet. Das ist selbstverständlich. So gesehen<br />

führt die Realisierung der Gefahr, der die Unabhängigkeit<br />

begegnen soll, zur Haftung. Allerdings gilt dies nicht<br />

für Verstöße gegen die Pflicht zur Unabhängigkeit als solche.<br />

Denn ein solcher Verstoß kann zwar, muss aber nicht<br />

zu einer fehlerhaften Beratung und damit zu Schadensersatzansprüchen<br />

führen. Nur wenn sich die Gefährdung<br />

verwirklicht, droht die Haftung.<br />

Daher kann die Haftungsandrohung unabhängiges Handeln<br />

des Rechtsanwalts schon vom Grundsatz her nicht in<br />

jedem Fall sicher stellen. Hinzu kommt, dass das Schutzgut<br />

der anwaltlichen Unabhängigkeit über den Mandantenschutz<br />

hinausgeht. Denn es geht auch um das Ansehen der<br />

Rechtsanwaltschaft in der Öffentlichkeit. Soweit dieses gefährdet<br />

ist, hilft die Androhung von Schadensersatzansprüchen<br />

des Mandanten nur sehr eingeschränkt, da diese<br />

in den einschlägigen Fallgestaltungen (man denke an die<br />

Bezahlung mit Verwertungsrechten) nicht unbedingt bestehen.<br />

Gleichwohl erscheinen Konkretisierungen durch die<br />

Satzungsversammlung momentan nicht erforderlich. Denn<br />

die Hinnahme von kleineren Schutzlücken ist eher akzeptabel<br />

als die Schaffung von zwingendem Recht, das zwar im<br />

Einzelfall Abhilfe schafft, im Allgemeinen aber neben der<br />

Sache liegt.<br />

III. Ergebnis<br />

Der Satzungsversammlung ist momentan eine Konkretisierung<br />

des Begriffs der anwaltlichen Unabhängigkeit nicht<br />

zu empfehlen.<br />

23 Kritisch dazu Hamm NJW 1993, 289.<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Die Reform des<br />

Rechtsberatungsgesetzes<br />

Aufsätze<br />

Prof. Dr. Hanns Prütting, Universität zu Köln*<br />

Der Deutsche Juristentag wird am 22./23. September<br />

2004 über das Rechtsberatungsgesetz diskutieren. Der Autor<br />

ist Gutachter der Abteilung Rechtsberatung. Er plädiert<br />

in diesem Kurzbeitrag für eine Erneuerung des Rechtsberatungsgesetzes,<br />

spricht sich aber gegen eine Freigabe der<br />

Rechtsberatung für Diplom-Wirtschaftsjuristen (FH) aus.<br />

I. Einleitung<br />

Es ist allgemein bekannt, dass das Rechtsberatungsgesetz<br />

auf dem Prüfstand des Gesetzgebers steht. Die Bundesministerin<br />

der Justiz hat zuletzt auf dem 55. Deutschen<br />

Anwaltstag in Hamburg verkündet, sie wolle noch vor dem<br />

65. Deutschen Juristentag im September dieses Jahres einen<br />

ersten Diskussionsentwurf vorlegen. Änderungen zum geltenden<br />

Recht scheinen vor allem im Bereich der unentgeltlichen<br />

sowie der karitativen Rechtsberatung geplant zu sein,<br />

ferner soll außergerichtlicher Rechtsrat künftig möglicherweise<br />

in gewissem Umfang auch von Nicht-Anwälten erfolgen<br />

können. Ähnliches hatte im März 2004 der Parlamentarische<br />

Staatssekretär im Bundesministerium der<br />

Justiz Alfred Hartenbach verkündet und den zuletzt genannten<br />

Punkt konkretisiert: Auch Diplomjuristen von<br />

Fachhochschulen sollen danach künftig rechtliche Erstberatung<br />

durchführen können.<br />

Diese Ankündigung überrascht. In ihr könnte erheblicher<br />

Sprengstoff liegen. Besondere Schwierigkeiten bereitet<br />

das Thema auch deshalb, weil sich an ihm vielfältige<br />

Stimmen in auffallend emotionaler Weise reiben. Es soll<br />

hier nicht von jenen pensionierten OLG-Richtern und Fundamentalkritikern<br />

aus Braunschweig und anderswo gesprochen<br />

werden, von denen einer vorsätzlich gegen das geltende<br />

Recht verstoßen hat, um durch Selbstanzeige ein<br />

Verfahren auszulösen und es bis zum Bundesverfassungsgericht<br />

zu treiben, obgleich er sich jederzeit mühelos als<br />

Anwalt zulassen könnte. Es soll auch nicht näher über einen<br />

Lüneburger Rechtsanwalt diskutiert werden, der vor<br />

kurzem in einem NJW-Editorial (NJW Heft 47/2003) behauptete,<br />

der Kern des Streits lasse sich auf die Sorge um<br />

den Wettbewerb mit anderen Anbietern reduzieren und<br />

dann schrieb, hinsichtlich des Rechtsberatungsgesetzes<br />

bestünden verfassungsrechtliche Bedenken und dafür folgende<br />

Begründung gab: „Wie kann der Gesetzgeber einerseits<br />

neue Studiengänge wie etwa den Wirtschaftsjuristen<br />

einführen, den Absolventen dieser Studiengänge aber<br />

gleichzeitig die rechtsberatende Tätigkeit untersagen“. Dieser<br />

Autor hat noch nicht einmal erkannt, dass Studiengänge<br />

durch Hochschulen eingerichtet werden, während das<br />

Rechtsberatungsgesetz Bundesrecht ist.<br />

Besonders merkwürdig war vor kurzem der NJW-Leserbrief<br />

eines Münchener Rechtsanwalts (NJW Heft 23/2004),<br />

* Der Beitrag beruht auf dem Vortrag am 15.6.2004 aus Anlass der akademischen<br />

Feier der Universität zu Köln zum 70. Geburtstag von Rechtsanwalt Dr. h.c.<br />

Ludwig Koch.


AnwBl 8 + 9/2004 467<br />

Aufsätze MN<br />

der ausführte: „Bekanntlich sichert das Rechtsberatungsgesetz<br />

unsere Pfründe. Neutral betrachtet gibt es keinen<br />

sachlichen Grund dafür, dass unsere anwaltliche Rechtsberatungstätigkeit<br />

gesetzlich vor Konkurrenz von außen<br />

geschützt werden muss“. Dieser Leserbrief fährt sodann<br />

fort, die vollständige Freigabe des Rechtsberatungsmarktes<br />

sei als Chance für die Befreiung von allen Fesseln des Berufsrechts<br />

zu verstehen und endet mit dem Satz: „Denn was<br />

die BRAO und BORA noch verbieten, wird sich künftig<br />

dadurch umgehen lassen, dass der Anwalt kurzerhand seine<br />

Zulassung zurückgibt und statt dessen als freier Rechtsberater<br />

tätig wird“. Dass es auch wichtige berufsrechtliche Anwaltsprivilegien<br />

gibt, dass man die Anwaltszulassung für<br />

forensische Tätigkeit stets benötigen wird und dass anwaltliches<br />

Berufsrecht vielfältige Schutzfunktionen zu Gunsten<br />

der Rechtssuchenden, des Rechtsstaates und ebenso der<br />

Anwälte selbst enthält, gerät diesem Autor offenbar nicht<br />

ins Blickfeld.<br />

II. Thesen zu den Grundfragen<br />

Die rechtlichen und rechtspolitischen Probleme des<br />

Rechtsberatungsgesetzes sind sehr komplex. Der Autor der<br />

vorliegenden Zeilen hat hierzu ein Gutachten für den 65.<br />

Deutschen Juristentag im September 2004 in Bonn vorgelegt,<br />

in dem die Grundfragen auf ca. 70 Seiten näher behandelt<br />

sind. Darauf muss im Prinzip verwiesen werden.<br />

Um jedoch für die unter III. behandelte aktuelle Frage eine<br />

gewisse Basis zu haben, sollen im Folgenden einige wichtige<br />

Ergebnisse des Juristentagsgutachtens in Thesenform<br />

hier zusammengefasst werden. Für eine detaillierte Begründung<br />

dieser Thesen muss wiederum auf das Gutachten<br />

verwiesen werden1 .<br />

These 1: Das Rechtsberatungsgesetz ist in seiner Grundstruktur<br />

und seinen wesentlichen Regelungsbereichen weder<br />

verfassungswidrig noch europarechtswidrig.<br />

These 2: Dem Rechtsbeatungsgesetz liegen mehrere<br />

wichtige und anerkannte Schutzgüter und Schutzzwecke zu<br />

Grunde.<br />

a) Insbesondere dient das Gesetz dem Schutz des<br />

Rechtssuchenden vor unqualifiziertem Rechtsrat. Unter diesem<br />

Aspekt ist das Rechtsberatungsgesetz Teil des Verbraucherschutzes.<br />

Gewährleistet werden durch das Gesetz insbesondere<br />

die anwaltlichen Berufspflichten, die<br />

Anwaltshaftung sowie deren Absicherung durch eine Haftpflichtversicherung.<br />

b) Das Rechtsberatungsgesetz dient der reibungslosen<br />

Abwicklung des Rechtsverkehrs und damit dem Schutz der<br />

Rechtspflege.<br />

c) Darüber hinaus wird durch das Rechtsberatungsgesetz<br />

der Schutz der Rechtsentwicklung und insbesondere der<br />

Rechtsfortbildung unterstützt und gefördert.<br />

d) Soweit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

den Schutz wirtschaftlicher Rahmenbedingungen<br />

von gesetzlich festgelegten Berufen für ein verfassungsgemäßes<br />

Gesetzesziel ansieht, kann das Rechtsberatungsgesetz<br />

auch diesem Schutze dienen.<br />

e) Schließlich steht das Rechtsberatungsgesetz im Zusammenhang<br />

mit dem Schutz des Rechtsstaates durch eine<br />

Rechtsanwaltschaft, die unstreitig ein außerordentlich wichtiger<br />

Teil der Garantie eines modernen Rechtsstaates darstellt.<br />

These 3: Das geltende Rechtsberatungsgesetz ist durch<br />

seine Entstehungsgeschichte historisch belastet. Dies muss<br />

auch derjenige einräumen, der die Rechtsgeltung und die<br />

Sinnhaftigkeit des Rechtsberatungsgesetzes in seiner heutigen<br />

Form durch historische Überlegungen nicht beeinträchtigt<br />

sieht und der weiß, dass die Wurzeln des Rechtsberatungsgesetzes<br />

in Wahrheit bis in die Weimarer Zeit<br />

zurückreichen. Eine Erneuerung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

erscheint schon deshalb erforderlich.<br />

These 4: Die Ausgestaltung der Rechtsberatung ist in<br />

den verschiedenen Ländern der Europäischen Union und<br />

der Welt sehr unterschiedlich. Unrichtig ist allerdings die<br />

Behauptung, die deutsche Regelung einer gewissen Monopolisierung<br />

der Rechtsberatung sei weltweit einmalig. Bei<br />

Würdigung aller Unterschiede kann man eher von einer<br />

faktischen Entwicklung hin zu einer gewissen Monopolisierung<br />

der Rechtsberatung in Anwaltshand sprechen.<br />

These 5: Das Rechtsberatungsgesetz ist in seiner geltenden<br />

Fassung gesetzestechnisch höchst unzulänglich und<br />

unübersichtlich ausgestaltet. Es bedarf insofern einer grundlegenden<br />

Überarbeitung und Erneuerung.<br />

These 6: Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

hat zu einer verfassungskonformen Auslegung<br />

des Rechtsberatungsgesetzes geführt. Insbesondere<br />

müssen Rechtsangelegenheiten von anderen Aspekten nach<br />

ihrem jeweiligen Kern und Schwerpunkt unterschieden werden.<br />

These 7: Auch die Annex-Kompetenz des bisherigen<br />

Art. 1 § 5 RBerG bedarf einer verfassungskonformen Auslegung,<br />

die dem Grundrecht der Berufsfreiheit gerecht<br />

wird. Insbesondere muss das gesetzliche Kriterium des unmittelbaren<br />

Zusammenhangs wirtschaftlich bewertet und<br />

weniger streng ausgelegt werden.<br />

These 8: Im Falle unentgeltlicher und karitativer Rechtsberatung<br />

erscheint eine Auflockerung durch gesetzgeberischen<br />

Eingriff erforderlich. Hier sollte jede Rechtsbesorgung<br />

zugelassen werden, die durch Volljuristen erfolgt.<br />

Allerdings müsste der Gesetzgeber diesen Personen die<br />

Wahrung gewisser grundlegender Berufspflichten zur Auflage<br />

machen.<br />

These 9: Bei der gesetzgeberischen Überarbeitung des<br />

Rechtsberatungsgesetzes sollten Extremlösungen wie die<br />

vollkommene Beseitigung oder die unveränderte Übernahme<br />

des Gesetzes ausgeschieden werden. Sinnvoll erscheint<br />

die Erarbeitung eines neuen Gesetzes mit klaren<br />

Strukturen unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen<br />

Vorgaben. Innerhalb der Neuregelung sollte im<br />

Grundsatz wiederum eine präventive Verbotslösung gewählt<br />

werden.<br />

III. Rechtsberatung durch Wirtschaftsjuristen<br />

(FH)<br />

Wie bereits zu Beginn der Überlegungen erwähnt, gibt<br />

es offenbar Planungen im Bundesjustizministerium, die an<br />

Fachhochschulen ausgebildeten Dipl.-Wirtschaftsjuristen<br />

zur Rechtsberatung zuzulassen. Dieser im März 2004 offengelegte<br />

Vorschlag wirft sehr unterschiedliche Fragen auf. Er<br />

soll hier wegen seiner rechtspolitischen Bedeutung und seiner<br />

möglicherweise weitreichenden Auswirkungen aufgegriffen<br />

werden.<br />

1 Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentages Bonn 2004, Band I Gutachten<br />

Teil G, München 2004.


468<br />

MN<br />

1. Rückblick<br />

Zunächst ist es nicht ohne Reiz, einen kurzen Blick in<br />

die Vergangenheit zu werfen. Vor ca. 10 Jahren haben die<br />

Fachhochschule Nordost-Niedersachsen in Lüneburg sowie<br />

im Laufe der Zeit weitere ca. 20 Fachhochschulen begonnen,<br />

ein neues Diplomstudium aufzubauen und den <strong>Titel</strong><br />

Dipl.-Wirtschaftsjurist zu verleihen. Obwohl eigentlich jedem<br />

Juristen von Anfang an klar war, dass mit diesem <strong>Titel</strong><br />

ein krasser Etikettenschwindel 2 betrieben wurde, hat man<br />

es nach heftigen Diskussionen allenthalben bei der Versicherung<br />

durch die Protagonisten des Studiengangs bewenden<br />

lassen, diese Wirtschaftsjuristen würden von der privaten<br />

Unternehmenspraxis benötigt und niemand käme auf<br />

die Idee, sie in anwaltlicher oder sonst volljuristischer<br />

Funktion einzusetzen.<br />

Dass diese Versicherung heute nicht mehr gelten soll, ist<br />

dem offenkundigen Irrtum geschuldet, die Fachhochschulabsolventen<br />

würden gänzlich von privaten Unternehmungen<br />

als Arbeitskräfte absorbiert. Daher häufen sich schon<br />

seit einiger Zeit Stimmen, die für diese Fachhochschulabsolventen<br />

die Öffnung des Rechtsberatungsmarktes fordern.<br />

Damit ist die letzte legitimatorische Behauptung entfallen,<br />

mit der damals die neue Fachhochschulausbildung<br />

begonnen hatte. Von den weiteren Überlegungen wie z. B.<br />

einer Entlastung der Universitäten ist bekanntlich seit langer<br />

Zeit nicht mehr die Rede.<br />

2. Rechtspolitische Konsequenzen<br />

Würde der Gesetzgeber solchen Forderungen nachgeben,<br />

so hätten wir künftig Rechtsberater mit einem sieben-<br />

oder achtsemestrigen Studium, die außer im Zivil- und<br />

Wirtschaftsrecht nur eine ganz schmale Ausbildung im Öffentlichen<br />

Recht und im Strafrecht genießen und bei denen<br />

die vielgepriesenen Grundlagenfächer sowie das Prozessrecht<br />

völlig auf der Strecke bleiben. Auch international-privatrechtliche<br />

und rechtsvergleichende Rechtsfragen sind in<br />

vielen Fällen in diesen Studiengängen nur sehr schwach<br />

ausgebildet. Da Teil des Fachhochschulstudiums vernünftigerweise<br />

aber auch in erheblichem Umfang die Betriebswirtschaftslehre<br />

sowie die Volkswirtschaftslehre sind, bleibt<br />

letztlich die juristische Ausbildung hinter der eines Kandidaten<br />

mit erstem Staatsexamen zwangsläufig gravierend<br />

zurück.<br />

Nun ist soweit ersichtlich bisher noch niemand mit dem<br />

Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, allen juristischen<br />

Universitätsabsolventen (also den geprüften Rechtskandidaten)<br />

die Rechtsberatungserlaubnis zu erteilen. Müsste dies<br />

aber nicht notwendigerweise schon im Hinblick auf den<br />

Gleichheitssatz künftig geschehen? Schon diese Fragestellung<br />

zeigt, wohin ein solcher Weg der Öffnung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

zwangsläufig führen müsste. Die einheitliche<br />

juristische Ausbildung an Universitäten und erst recht<br />

die zweite Stufe der Ausbildung im Referendariat würden<br />

weithin obsolet. Das Leitbild des Einheitsjuristen und die<br />

im Ausland vielfach gerühmte deutsche Juristenausbildung<br />

wären verloren. Ob dies von den Justizministerien des Bundes<br />

und der Länder sowie der Gesellschaft gewollt sein<br />

kann, möge sich jedermann selbst beantworten.<br />

3. Das Kernproblem<br />

Die Diskussion um die Auflockerung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

für Nichtanwälte wird im öffentlichen Raum<br />

leider fast immer nur unter dem angeblichen Konkurrenzschutzproblem<br />

gesehen. Wenn aber künftig Rechtsberatung<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aufsätze<br />

durch Diplomjuristen und geprüfte Rechtskandidaten in<br />

großem Umfang zugelassen und übernommen würde, entfiele<br />

in diesem Bereich zwangsläufig auch das anwaltliche<br />

Berufsrecht. Dessen Schutzkomponenten für den Mandanten,<br />

für den Gegner sowie für Dritte, aber auch für die<br />

Rechtspflege und den Rechtsstaat insgesamt, und schließlich<br />

auch für den Rechtsanwalt selbst, werden oft nicht gesehen<br />

oder stark unterschätzt. Es kann kein wünschenswertes<br />

Ergebnis sein, wenn künftig in großem Umfang<br />

Rechtsberater ohne anwaltliche Berufshaftung und gesetzliche<br />

Haftpflichtversicherung, ohne Verschwiegenheitspflicht<br />

und Sachlichkeitsgebot, ohne die Garantie anwaltlicher Unabhängigkeit<br />

und das Verbot der Beratung im widerstreitenden<br />

Interesse, aber mit uferloser Werbung auftreten<br />

würden.<br />

Nur hingewiesen werden soll auf weitere rechtliche<br />

Konsequenzen: Es müsste wohl die Möglichkeit beruflicher<br />

Kooperation von Rechtsanwälten mit nichtanwaltlichen Beratern<br />

deutlich ausgeweitet werden. Unterlaufen werden<br />

könnten gebührenrechtliche Regelungen wie z. B. das Verbot<br />

des Erfolgshonorars oder die quota litis. Insgesamt<br />

würden damit berufs- und gebührenrechtliche Regelungen<br />

teils unterlaufen sowie teils abgeschwächt und entwertet<br />

werden. Gefährdet würden dadurch gerade die sozial<br />

schwächeren und rechtlich ahnungslosen Mandanten, denen<br />

der Gesetzgeber in anderen Bereichen besonders weitgehenden<br />

Verbraucherschutz zukommen lässt.<br />

IV. Fazit<br />

Eine Erneuerung und Überarbeitung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

erscheint notwendig und sinnvoll. Veränderungen<br />

sind insbesondere im Bereich unentgeltlicher und<br />

karitativer Rechtsberatung erforderlich. Dabei sollten wir<br />

aber beachten, dass wir sozial schwächeren Gruppen der<br />

Gesellschaft nicht den durch anwaltliches Berufsrecht abgesicherten<br />

hohen Beratungsstandard nehmen. Anderenfalls<br />

würde der Weg wohl zwangsläufig künftig in eine Zwei-<br />

Klassen-Rechtsberatung führen. Die richtige Antwort auf<br />

finanzielle Probleme bei der Einholung von rechtlicher Beratung<br />

sind die Gewährung von Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe,<br />

nicht eine Absenkung der Qualität.<br />

Sollte der Gesetzgeber die Rechtsberatung für Dipl.-<br />

Wirtschaftsjuristen (FH) öffnen, so muss ihm entweder Ahnungslosigkeit<br />

bezüglich der entstehenden riesigen Probleme<br />

vorgeworfen werden oder die geplante Reform des<br />

Rechtsberatungsgesetzes wäre nur ein übler Trick auf dem<br />

verdeckten Weg der Beseitigung der beiden juristischen<br />

Staatsexamina (und damit des einheitlichen Volljuristen)<br />

hin zur Schaffung einer inhaltlich weithin beliebigen Diplom-<br />

bzw. künftigen Bachelor- und Master-Ausbildung.<br />

2 Auch 10 Jahre nach dem Beginn dieser Studiengänge wird in der gesamte Fachwelt<br />

unter einem Wirtschaftsjuristen weiterhin ein Volljurist mit zusätzlicher<br />

wirtschaftsrechtlicher Fortbildung oder Spezialisierung durch längerfristige einschlägige<br />

Praxiserfahrung verstanden. So gibt es heute an verschiedenen Universitäten<br />

für Volljuristen einen Weiterbildungsstudiengang Wirtschaftsjurist.


AnwBl 8 +9/2004 469<br />

KOMMENTA R<br />

Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />

(RVG) enthält wichtige strukturelle<br />

Änderungen des alten Gebührenrechtes<br />

sowie die Abschaffung des 10 %igen<br />

„Gebührenabschlags Ost“. Das RVG<br />

war überfällig. Deshalb war die –<br />

wenn auch nur verhaltene – Freude der<br />

Anwaltschaft über das RVG verständlich.<br />

Weniger erfreulich war dann die<br />

Lektüre meiner morgendlichen Post,<br />

mit der Vorschläge von Versicherungsgesellschaften<br />

zu Rationalisierungsabkommen<br />

unterbreitet wurden.<br />

Soll der Anwalt im Sinne freier<br />

Advokatur der Garant dafür sein, dass<br />

der Bürger seine Rechte vor Gericht<br />

und staatlichen Behörden geltend machen<br />

und durchsetzen kann, so ist die<br />

Das RVG ist nicht Basis für<br />

das Kostenmanagement der<br />

Versicherungswirtschaft<br />

dafür erforderliche Unabhängigkeit<br />

nur gesichert, wenn eine ausreichende<br />

wirtschaftliche Grundlage vorhanden<br />

ist. Wir verstehen das RVG nicht als<br />

Garantieversprechen für sicheres und<br />

ausreichendes Einkommen. Wir verstehen<br />

das RVG aber auch nicht als<br />

Basis für das Kostenmanagement der<br />

Versicherungswirtschaft.<br />

In der amtlichen Begründung zum<br />

RVG heißt es, dass der <strong>Entwurf</strong> zu einer<br />

Anpassung der Gebühren an die<br />

wirtschaftliche Entwicklung führe.<br />

Maßstab soll die Einkommensentwicklung<br />

in anderen Berufen sein. In der<br />

Stellungnahme des Gesamtverbandes<br />

der Deutschen Versicherungswirtschaft<br />

(GDV) zum Regierungsentwurf des<br />

Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes<br />

wird zwar eingeräumt, „dass die<br />

Rechtsschutzversicherungen eine Anpassung<br />

der Rechtsanwaltsgebühren an<br />

die Einkommensentwicklung in anderen<br />

Berufen grundsätzlich für gerechtfertigt<br />

halten“, um dann aber auf mehr<br />

als 6 Seiten zu begründen, „dass die<br />

durch das RVG zu erwartende Gebührenerhöhung<br />

jedoch über eine Angleichung<br />

weit hinaus gehen und zu<br />

unverhältnismäßigen Einkommenssteigerungen<br />

der Rechtsanwälte führe“.<br />

Konsequent wird die vor der Verkündung<br />

des Gesetzes eingenommene<br />

Haltung nach dem 1. Juli 2004 aufrechterhalten<br />

mit der Tartarenmeldung, die<br />

Gebührensteigerung betrage 21 %.<br />

Unseriös werden Extrempositionen<br />

aus der BRAGO und dem RVG miteinander<br />

verglichen, ohne die Auswirkungen<br />

des Gesetzes auf das gesamte<br />

Gebührenaufkommen zu berücksichtigen.<br />

Man kann sich des Eindrucks<br />

nicht erwähren, dass die Begleitmusik<br />

zum RVG offensichtlich die bereits<br />

beschlossene Prämienerhöhung vorbereiten<br />

und rechtfertigen soll.<br />

Im Sinne eines fairen partnerschaftlichen<br />

Miteinander sollte man<br />

zur Kenntnis nehmen, dass die Einkommen<br />

der Rechtsanwälte seit 1994<br />

immer nur in eine Richtung gingen:<br />

nach unten, und dass die längst überfällige<br />

Anpassung nach seriösen Berechnungen<br />

des Bundesjustizministeriums<br />

zu einer Steigerung von 14 %<br />

führt, wohl gemerkt nach 10 Jahren.<br />

Zurück zu meiner morgendlichen<br />

Post und den Vorschlägen zum Abschluss<br />

von Rationalisierungsabkommen.<br />

Natürlich begrüßt die Anwaltschaft<br />

jede Form einer unbürokratischen<br />

rationellen Zusammenarbeit,<br />

aber diese macht doch nur dann Sinn,<br />

wenn die durch das RVG vorgesehene<br />

Verbesserung nicht in dem Wunsch,<br />

unbürokratisch abzurechnen, völlig untergeht.<br />

Bei Angeboten, die die<br />

Rechtsberatung für alle Rechtsbereiche<br />

auf 60,00 E beschränkt, die Geschäftsgebühr<br />

(Nr. 2400 VV) mit einer 0,8<br />

Gebühr in Ansatz bringt, die Einigungsgebühr<br />

(Nr. 1000 VV) für die<br />

außergerichtliche Einigung auf 1,0 begrenzt<br />

und die Anrechnungsvorschriften<br />

zum Nachteil der Rechtsanwälte<br />

abändert, kann man – salopp formuliert<br />

– nur feststellen „Schluss mit lustig“.<br />

Das stellt eine Null-Prozent-Lösung<br />

dar.<br />

Nicht nachvollziehbar ist, wie sich<br />

mancher über Vorgaben des Gesetzes<br />

hinwegsetzt. Eherner Grundsatz sollte<br />

immer noch die Wiedergabe des „Originals“<br />

sein, und nicht dessen, was<br />

man fantasievoll hineininterpretiert.<br />

Die Lektüre einer Handwerkerrechnung<br />

mit dem Stundensatz eines Gesellen<br />

öffnet den Blick für die ökonomische<br />

Wirklichkeit des Jahres 2004.<br />

Die Anwaltschaft kann nicht als zentrale<br />

Stellschraube für das Wohlergehen<br />

der Versicherungswirtschaft dienen.<br />

Den Rechtsanwälten des Jahres<br />

2004 bietet sich mit dem RVG die<br />

MN<br />

Schluss mit lustig,<br />

liebe Versicherer<br />

Rechtsanwalt Justizrat Friedrich Jansen<br />

aus Neuwied ist Vorsitzender des Ausschusses<br />

für Gebührenrecht/Gebührenstruktur<br />

des DAV.<br />

Chance – vielleicht in Form eines heilsamen<br />

Zwanges – endlich bei der Organisation<br />

und dem Management des<br />

Unternehmens „Anwaltskanzlei“ wie<br />

Unternehmer zu denken. Die Anwälte<br />

sind auf partnerschaftlicher Grundlage<br />

bereit, mit der Versicherungswirtschaft<br />

zu sprechen und Lösungen zu suchen,<br />

die der Interessenlage beider Seiten<br />

gerecht werden. Bedingungen, die uns<br />

auf den Stand vor dem 1. Juli 2004 zurückwerfen,<br />

kann es nicht geben.


470<br />

MN THEMA<br />

Wie hält es die Politik mit dem<br />

Rechtsberatungsgesetz?<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>-Umfrage bei den rechtspolitischen Sprechern der im<br />

Bundestag vertretenen Fraktionen<br />

Die Novellierung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

ist ein Gesetzgebungsvorhaben,<br />

das ausdrücklich in der Koalitionsvereinbarung<br />

von SPD und<br />

Bündnis 90/Die Grünen für die laufende<br />

Legislaturperiode genannt ist.<br />

Das Bundesjustizministerium wünscht<br />

eine breite Diskussion. Der DAV hat<br />

schon im Frühjahr seinen <strong>Entwurf</strong> vorgelegt<br />

(AnwBl 2004, 269). Im Juli hat<br />

die BRAK ihrerseits Vorschläge unterbreitet.<br />

Der Deutsche Juristentag wird<br />

am 22. und 23. September 2004 über<br />

die Neufassung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

beraten. Im Bundesjustizministerium<br />

hatte es geheißen, dass<br />

rechtzeitig vorher ein Diskussionsentwurf<br />

kommt. Dieser <strong>Entwurf</strong> ist nun<br />

für Ende August/Anfang September<br />

(nach Redaktionsschluss für dieses<br />

Heft) angekündigt.<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> wollte vorher<br />

schon wissen, wie es die Politik mit der<br />

Novellierung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

hält. Das Ergebnis ist aus Sicht<br />

der Anwaltschaft erfreulich. Keine<br />

Fraktion will die Rechtsberatung generell<br />

frei geben – und alle sind der Meinung,<br />

dass Rechtsberatung im Kern anwaltliche<br />

Beratung sein muss. nil<br />

Frage 1: Welchen Bedarf gibt es<br />

nach Ihrer Auffassung für die Novellierung<br />

des Rechtsberatungsgesetzes?<br />

Frage 2: Der Vorschlag des DAV<br />

sieht die teilweise Freigabe der unentgeltlichen<br />

Rechtsbesorgung vor,<br />

z. B. aus Gefälligkeit oder für karitative<br />

Einrichtungen. Ihre Meinung<br />

dazu?<br />

Frage 3: Soll die Rechtsberatung<br />

auch für Rechtsschutzversicherer<br />

und Fachhochschuljuristen freigegeben<br />

werden?<br />

Frage 4: Gilt für Sie, dass Rechtsberatung<br />

anwaltliche Beratung ist?<br />

Joachim Stünker,<br />

rechtspolitischer<br />

Sprecher der<br />

SPD-Fraktion.<br />

Dr. Norbert Röttgen,rechtspolitischer<br />

Sprecher<br />

der CDU/CSU-<br />

Fraktion.<br />

Jerzy Montag,<br />

rechtspolitischer<br />

Sprecher<br />

der Fraktion<br />

Bündnis 90/Die<br />

Grünen.<br />

Rainer Funke,<br />

rechtspolitischer<br />

Sprecher<br />

der FDP-Fraktion.<br />

Joachim Stünker<br />

(SPD-Fraktion)<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Frage 1: Die Überarbeitung des<br />

Rechtsberatungsgesetzes ist dringend geboten.<br />

Die restriktiven Bestimmungen<br />

des geltenden Rechts sind nicht mehr<br />

zeitgemäß. Wir stehen daher vor der<br />

schwierigen Aufgabe, auf der einen Seite<br />

Deregulierungen vorzunehmen sowie andererseits<br />

eine geordnete Rechtspflege<br />

zu bewahren und die Rechtssuchenden<br />

vor den Folgen unqualifizierter Beratung<br />

zu schützen.<br />

Frage 2: Ich unterstütze den Vorschlag,<br />

die unentgeltliche altruistische Rechtsberatung<br />

durch Freunde und Bekannte<br />

zukünftig zuzulassen. Da die Rechtssuchenden<br />

hier wissentlich auf professionelle<br />

Hilfe verzichten, entfällt das Schutzbedürfnis.<br />

Auch karitativ tätigen<br />

Organisationen sollte auf gesetzlicher<br />

Grundlage die Möglichkeit der unentgeltlichen<br />

Rechtsberatung eingeräumt werden.<br />

Zur Sicherstellung der Beratungsqualität<br />

sollten die Verbände jedoch<br />

verpflichtet werden, die Beratung durch<br />

juristisch qualifizierte Personen oder zumindest<br />

unter deren Aufsicht zu erbringen.<br />

Frage 3: Ich halte es für problematisch,<br />

Fachhochschuljuristen die<br />

Möglichkeit zur selbstständigen Rechtsbesorgung<br />

zu gewähren. Eine derartige<br />

Erlaubnis wäre im Übrigen nicht auf Absolventen<br />

dieses Abschlusses beschränkbar,<br />

andere juristische Berufe würden die<br />

Genehmigung gleichermaßen für sich<br />

beanspruchen, obwohl die Qualität ihrer<br />

Ausbildung nicht mit zwei juristischen<br />

Staatsexamen vergleichbar ist. Zudem<br />

unterliegt nur der Rechtsanwalt einer<br />

Fülle von Verpflichtungen, die dem<br />

Schutz des Rechtssuchenden dienen. Bei<br />

der Beratung durch Rechtsschutzversicherer<br />

sehe ich die Gefahr der Interessenkollision.<br />

Unsere Meinungsbildung<br />

ist diesbezüglich jedoch noch nicht abgeschlossen.<br />

Frage 4: Dem kann ich nicht ohne<br />

Einschränkung zustimmen. Neben den<br />

bereits erwähnten Beratungsbefugnissen<br />

sollte bestimmten Berufsgruppen die<br />

Möglichkeit der sog. Annex-Beratung erhalten<br />

bleiben. Hier ist im Übrigen auch<br />

eine Ausweitung der Befugnisse denkbar.<br />

Die allgemeine Erlaubnis zur Rechtsbesorgung<br />

sollte meines Erachtens jedoch<br />

nur Rechtsanwälten erteilt werden.<br />

Es muss gewährleistet sein, dass Fragen<br />

von hoher juristischer Relevanz bzw. materiell-<br />

oder verfahrensrechtlicher Komplexität<br />

Personen mit einer qualifizierten<br />

und umfassenden Ausbildung vorbehalten<br />

bleiben.


AnwBl 8 + 9/2004 471<br />

Thema MN<br />

Dr. Norbert Röttgen<br />

(CDU/CSU-Fraktion)<br />

Frage 1: Das Rechtsberatungsgesetz<br />

hat sich im Grundsatz bewährt. Pauschale<br />

und vordergründige Kritik mit<br />

dem Ziel der Abschaffung des Gesetzes<br />

ist fehl am Platze und auch nicht mit europäischen<br />

Zwängen begründbar. Allerdings<br />

spiegelt das Rechtsberatungsgesetz<br />

die Wirklichkeit der Rechtsberatung<br />

bspw. im Hinblick auf die Problematik<br />

der unentgeltlichen Rechtsbesorgung<br />

nicht mehr in jeder Hinsicht adäquat<br />

wieder und Bedarf einer zeitgemäßen<br />

Anpassung. Wer das Gesetz abschaffen<br />

oder mehr als notwendig verändern will,<br />

muss zudem gleichzeitig eine Antwort<br />

auf die offenen Fragen der juristischen<br />

Ausbildung geben.<br />

Frage 2: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

begrüßt, dass der Deutsche<br />

<strong>Anwaltverein</strong> die Forderung nach einer<br />

Freigabe der unentgeltlichen Rechtsbesorgung<br />

teilweise aufgegriffen hat und<br />

unterstützt dieses Anliegen. Entscheidend<br />

ist jedoch, dass die Freigabe tatsächlich<br />

nur rein altruistische Sachverhalte<br />

erfasst und die Qualität auch der<br />

unentgeltlichen Rechtsberatung sichergestellt<br />

wird.<br />

Frage 3: Das rechtswissenschaftliche<br />

Studium und das Referendariat gewährleisten<br />

gemeinsam den derzeitigen hohen<br />

Qualitätsstandard der Rechtsberatung in<br />

Deutschland. Die Freigabe der Rechtsberatung<br />

für Fachholschuljuristen würde<br />

eine Absenkung dieses Qualitätsstandards<br />

bedeuten, die für den rechtsuchenden<br />

Bürger kein Fortschritt wäre. Die<br />

Qualität der Rechtsberatung ist ein vorrangiges<br />

Allgemeininteresse gegenüber<br />

den an einem möglichst breiten Berufszugang<br />

orientierten Einzelinteressen.<br />

Eine Freigabe der Rechtsberatung<br />

durch Rechtsschutzversicherer lehnt die<br />

CDU/CSU-Bundestagsfraktion schon<br />

wegen der drohenden Kollision zwischen<br />

wirtschaftlichem Eigeninteresse der Versicherer<br />

und den Interessen der Versicherten<br />

ab.<br />

Frage 4: Im Grundsatz eindeutig ja.<br />

Ausnahmen sind im Rechtsberatungsgesetz<br />

normiert und bedürfen auch künftig<br />

einer eindeutigen gesetzlichen Regelung.<br />

Die Ausbildung zum Volljuristen<br />

stellt die erforderliche fachliche Eignung<br />

sicher, gewährleistet eine qualitativ<br />

hochwertige Beratung der Rechtsuchenden<br />

und schützt diese vor unqualifiziertem<br />

Rechtsrat. Die berufs- und standesrechtlichen<br />

Regelungen der Anwaltschaft<br />

sind gleichzeitig Gewähr für bestmöglichen<br />

Schutz und Absicherung der Mandanten.<br />

Jerzy Montag<br />

(Fraktion Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Frage 1: Das Rechtsberatungsgesetz<br />

ist veraltet. Es entstand in einer Zeit,<br />

in der typischer weise nur gerichtsnahe<br />

oder gerichtliche Sachverhalte der<br />

Rechtsberatung zugeordnet wurden.<br />

Heute sind fast alle Bereiche des privaten<br />

und öffentlichen Lebens rechtsdurchwirkt<br />

und somit beratungsnahe.<br />

Auch haben die Rechtsprechung und<br />

Literatur zum alten Rechtsberatungsgesetz<br />

Berge von Problemen aufgetürmt,<br />

die abgetragen werden sollten.<br />

Nicht zu vergessen ist auch die Tatsache,<br />

dass das Gesetz aus dem Jahre<br />

1935 stammt und unter anderem auch<br />

dazu diente, jüdischen Rechtsanwälten<br />

ihre beruflche Existenz zu vernichten.<br />

Diese Vorschriften sind längst gelöscht,<br />

aber eine komplette moderne Neuauflage<br />

würde auch hier einen notwendigen<br />

Schlussstrich ziehen.<br />

Frage 2: Bei Gefälligkeitsverhältnissen<br />

sollte eine unentgeltliche Rechtsberatung<br />

möglich sein. Gleiches gilt für<br />

die Beratung im Bereich gemeinnütziger<br />

Organisationen und Vereine. Der Vorschlag<br />

des DAV, wonach dies nur durch<br />

in den Organisationen tätige Rechtsanwälte<br />

möglich sein soll, greift zu kurz.<br />

Ich denke daran, z. B. auch pensionierten<br />

Richtern oder Hochschullehrern solche<br />

Beratung im karitativen Bereich zu<br />

ermöglichen.<br />

Frage 3: Nein. Ich bin strikt gegen<br />

eine Öffnung des Rechtsberatungsmarktes<br />

für kommerzielle Anbieter wie Versicherer<br />

und Unternehmensberater. Das<br />

Rechtsberatungsgesetz dient dazu, die<br />

Qualität der Rechtsberatung möglichst<br />

hoch zu halten. Das muss auch in<br />

Zukunft so bleiben. Die Stellung des<br />

Rechtsanwalts als einseitiger Interessenvertreter<br />

und eigenständiges Organ der<br />

Rechtspflege ist die Gewähr dafür, dass<br />

nicht das Eigeninteresse des Beraters<br />

Vorrang erhält vor den Interessen des<br />

Ratsuchenden. Eine Öffnung für Fachhochschuljuristen<br />

bedarf einer sorgfältigen<br />

Prüfung.<br />

Frage 4: Im Kern ganz sicher ja. Es<br />

gibt aber Bereiche, in denen auch nichtanwaltliche<br />

Rechtsberatung sinnvoll ist<br />

und möglich sein sollte. Diese Bereiche<br />

klar vom Kernbereich der rechtsanwaltlichen<br />

Rechtsberatung zu scheiden, wird<br />

eine der wichtigsten Aufgaben bei der<br />

Formulierung des neuen Rechtsberatungsgesetzes<br />

werden.<br />

Rainer Funke<br />

(FDP-Fraktion)<br />

Frage 1: Die europäische Öffnung<br />

des Rechtsberatungsmarktes führt zu einem<br />

erhöhten Konkurrenzdruck durch einen<br />

ständig steigenden Beratungsbedarf.<br />

Änderungsbedarf beim Rechtsberatungsgesetz<br />

ergibt sich daher in erster Linie<br />

aufgrund der europäischen Harmonisierung<br />

im Bereich der freien Berufe. Des<br />

Weiteren ist zu überlegen, wie ein einheitlicher<br />

Rechtsrahmen für den großen<br />

Bereich der unentgeltlichen bzw. caritativen<br />

Rechtsberatung geschaffen werden<br />

kann.<br />

Frage 2: Aus Sicht der FDP sind die<br />

Vorschläge des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

sachgerecht. Damit bleiben die bisherigen<br />

Rahmenbedingungen im Wesentlichen<br />

bestehen, die die<br />

Leistungsfähigkeit des Anwaltsberufs<br />

und die Qualität der Rechtsberatung erhalten.<br />

Frage 3: Bei der Rechtsberatung<br />

durch Rechtsschutzversicherungen kann<br />

eine Kollision zwischen den Interessen<br />

des Mandanten und den Interessen der<br />

Versicherung im Hinblick auf eine spätere<br />

Leistungspflicht nicht gänzlich ausgeschlossen<br />

werden. Wichtig für den<br />

Mandanten ist jedoch der unabhängige<br />

Rechtsrat, frei von Eigeninteressen. Gerade<br />

die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts<br />

bildet die Grundlage für das Vertrauensverhältnis<br />

zwischen ihm und dem<br />

Mandanten.<br />

Skepsis besteht auch gegenüber der<br />

Rechtsberatung durch Fachhochschuljuristen.<br />

Dabei muss sichergestellt werden,<br />

dass der beratende Fachhochschuljurist<br />

seinen Fachhochschulabschluss dem<br />

Mandanten gegenüber offenbart und er<br />

darüber hinaus den gleichen Pflichten unterworfen<br />

wird, wie der Rechtsanwalt.<br />

Eine Ungleichbehandlung würde nicht<br />

nur zu Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten<br />

des Rechtsanwalts führen, sondern<br />

auch zu erheblichen Risiken für den<br />

rechtssuchenden Mandanten.<br />

Frage 4: Rechtsberatung ist in erster<br />

Linie anwaltliche Beratung. Nur der<br />

Rechtsanwalt hat eine fundierte Ausbildung<br />

mit zwei Staatsexamen. Nur der<br />

Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit<br />

verpflichtet. Nur der Rechtsanwalt hat<br />

ein Zeugnisverweigerungsrecht. Nur der<br />

Rechtsanwalt ist verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherungabzuschließen.<br />

Das anwaltliche Standesrecht und<br />

das Rechtsberatungsgesetz garantieren<br />

damit für einen größtmöglichen Schutz<br />

des Mandanten und für die Qualität der<br />

Rechtsberatung.


472<br />

MN INTERVIEW<br />

Fortbildung: „Eine Kontrolle der<br />

Pflichterfüllung erscheint zur<br />

Qualitätssicherung erforderlich“<br />

Hauptversammlung der BRAK für Sanktionsbewehrung der<br />

Fortbildungspflicht<br />

Der Rechtsanwalt ist verpflichtet,<br />

sich fortzubilden. Der Wortlaut von<br />

§ 43 Abs. 6 BRAO, seit 1994 im Gesetz,<br />

ist schlicht. Das Wie ist nicht geregelt.<br />

Kontrolle und Sanktion gibt es<br />

nicht. Was Fachanwälte schon kennen,<br />

nämlich eine konkretisierte Fortbildungsverpflichtung<br />

mit Kontrolle und<br />

Sanktion (bis hin zur Rücknahme des<br />

<strong>Titel</strong>s), könnte bald für alle Rechtsanwälte<br />

gelten. Die Hauptversammlung<br />

der BRAK hat Anfang Mai den<br />

Gesetzgeber aufgefordert, den Weg<br />

für die sanktionsbewehrte Fortbildungspflicht<br />

frei zu machen. Darüber<br />

sprach das <strong>Anwaltsblatt</strong> mit Rechtsanwalt<br />

und Notar Johann Günter<br />

Knopp, Präsident der Rechtsanwaltskammer<br />

Frankfurt am Main.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Warum ist eine Kontrolle<br />

der Fortbildungsverpflichtung<br />

nötig?<br />

Knopp: Damit<br />

9 das sehr hohe Qualitätsniveau der<br />

von den Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälten angebotenen Dienstleistungen<br />

auch im Bewusstsein der<br />

Rechtsuchenden, des „Verbrauchers“,<br />

gesichert ist und bleibt und sich damit<br />

9 deutlich abhebt von den Dienstleistungsangeboten<br />

anderer Berater, die<br />

nach der angekündigten weiteren Öffnung<br />

des Rechtsberatungsmarktes<br />

durch das angekündigte neue „Rechtsberatungsgesetz“<br />

in einen verschärften<br />

Wettbewerb mit den Rechtsanwälten<br />

treten werden.<br />

Dieser Wettbewerb kann von uns<br />

nur über die Qualität unserer Leistungen<br />

gewonnen werden. Ein wichtiges<br />

Marketingargument muss für uns deshalb<br />

sein, dass wir ständig aktualisierte<br />

und geprüfte Kenntnisse des<br />

Rechts haben.<br />

Das Mandatsverhältnis zwischen<br />

Rechtsanwalt und Rechtsuchendem ist<br />

„asymmetrisch“ in Bezug auf die<br />

Rechtskenntnis. Der Mandant kann ge-<br />

Rechtsanwalt und Notar Johann Günter<br />

Knopp ist Präsident der Rechtsanwaltskammer<br />

Frankfurt am Main und gewähltes<br />

Mitglied der Satzungsversammlung.<br />

rade die Tätigkeit des Rechtsanwalts<br />

nicht überprüfen und einschätzen, ob<br />

es sich bei dem Rechtsanwalt um einen<br />

auf der Höhe der aktuellen Gesetze<br />

und Rechtsprechung ausgebildeten<br />

Rechtsanwalt handelt oder nicht.<br />

Das Aktualitätsniveau kann also nicht<br />

durch vertragsimmanente Mechanismen<br />

geklärt werden, es muss viel<br />

mehr durch andere, außerhalb des Vertragsverhältnisses<br />

liegende Mechanismen<br />

gesichert werden. Die Fortbildungsverpflichtung<br />

des § 43a Abs. 6<br />

BRAO allein reicht hierzu, wie die<br />

Praxis zeigt, nicht aus. Eine Kontrolle<br />

der Pflichterfüllung erscheint zur Qualitätssicherung<br />

erforderlich.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Wie soll die Kontrolle<br />

aussehen?<br />

Knopp: Dies sollte der Gesetzgeber<br />

zur näheren Ausgestaltung der Sat-<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

zungsversammlung übertragen. Nach<br />

meiner Meinung wäre es ausreichend,<br />

wenn die Rechtsanwaltskammern ermächtigt<br />

würden, stichprobenartig aus<br />

ihnen geboten erscheinendem Anlass<br />

Nachweise dazu anzufordern, ob der<br />

Rechtsanwalt sich in den Rechtsgebieten,<br />

in denen er tätig ist, gleichsam<br />

„auf dem Laufenden hält.“<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Welche Sanktionen<br />

wird es geben? Kann der Verlust der<br />

Zulassung drohen?<br />

Knopp: Auch dies sollte die Satzungsversammlung<br />

erörtern. Meines<br />

Erachtens reichen die bestehenden<br />

Möglichkeiten des Kammervorstandes<br />

aus, der das Recht zur Belehrung und<br />

zur Rüge auch in diesem Zusammenhang<br />

ausüben könnte.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Wie soll die Fortbildung<br />

aussehen?<br />

Knopp: Ohne auch hier der Satzungsversammlung<br />

vorgreifen zu wollen:<br />

Jeder muss für sich entscheiden<br />

können, wie er sich fortbildet, ob das<br />

in bürointernen Qualitätszirkeln, in Seminaren<br />

hörend oder dozierend oder<br />

in der Vorbereitung auf eigene Veröffentlichungen<br />

geschieht. Er sollte es<br />

nur so einrichten, dass er auf Aufforderung<br />

einen nachvollziehbaren Beleg<br />

für seine Fortbildung vorlegen kann.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Wer bestimmt die<br />

Rechtsgebiete der Fortbildung?<br />

Knopp: Jeder Rechtsanwalt bestimmt,<br />

auf welchen Gebieten er tätig<br />

bleibt oder künftig tätig wird. Seine<br />

Fortbildungspflicht kann sich immer<br />

nur hierauf beziehen.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Zum Schluss eine<br />

persönliche Frage: Wann und wie haben<br />

Sie sich zuletzt fortgebildet?<br />

Knopp: Aktuell, das ist nahe liegend,<br />

zum RVG in einem Seminar in<br />

Frankfurt a. M.<br />

Die Fragen stellte Rechtsanwalt<br />

Dr. Nicolas Lührig, Berlin.


AnwBl 8 + 9/2004 473<br />

u<br />

Eigentlich hätten es die Rechtschutzversicherer<br />

gar nicht besser treffen<br />

können. Haben ihnen doch Anwaltschaft<br />

und Bundesregierung<br />

gerade ganz kostenlos ein perfektes<br />

Werbeinstrument verschafft, für dass<br />

sie einer Marketing-Agentur viel Geld<br />

hätten zahlen müssen: Die Änderung<br />

der Rechtsanwaltsgebühren.<br />

Gibt es eine bessere Entschuldigung<br />

für die nächste Prämienerhöhung,<br />

als die, die ihr hier quasi auf<br />

dem Silbertablett serviert wird? Liebe<br />

Kunden, erklärt die Branche mit demonstrativer<br />

Betroffenheit, leider<br />

können wir nicht anders. Denn kostet<br />

der Anwalt mehr, drohen uns im Schadensfall<br />

ja auch höhere Kosten.<br />

Und nicht nur das. Die Gebührenänderung<br />

hilft auch, neue Kunden zu<br />

gewinnen. Die Versicherer müssten<br />

den Verbraucher nur davon überzeugen,<br />

dass er auf sich allein gestellt die<br />

hohen Anwaltskosten kaum noch bezahlen<br />

kann. So ist die Rede von einem<br />

Zwei-Klassen-Recht, zu dem die<br />

drastisch erhöhten Anwaltsgebühren<br />

führen würden. Nur noch derjenige<br />

könne zum Anwalt gehen, der über<br />

ein entsprechend hohes Einkommen<br />

verfügt – oder eine Rechtschutzversicherung<br />

hat. Aha.<br />

Doch ganz so dramatisch ist es<br />

nicht. Im Schnitt werden sich die Gebühren<br />

zwar erhöhen, es gibt aber auch<br />

Bereiche und Konstellationen, in denen<br />

die Prozesse billiger werden<br />

können – wie etwa im Ehescheidungsrecht.<br />

Ein Blick auf die äußerst unterschiedlichen<br />

Höhen der Versicherungsbeiträge,<br />

die FINANZtest in einer Untersuchung<br />

von 33 Rechtschutzversicherungen zu<br />

Jahresbeginn festgestellt hat, zeigt außerdem,<br />

dass die Anbieter bei ihren<br />

Beiträgen durchaus noch Spielraum zu<br />

haben scheinen. So kostet das Paket<br />

aus Privat-, Berufs-, und Verkehrsrechtschutz<br />

ohne Selbstbeteiligung<br />

beim günstigsten Anbieter WGV 170<br />

Euro im Jahr und beim teuersten Anbieter<br />

Allianz 293 Euro. Bei solchen<br />

Preisspannen stellt sich die Frage, ob<br />

umfangreiche Prämienerhöhungen<br />

nicht vielleicht doch vermeidbar sind.<br />

In jedem Fall bieten die großen Beitragsunterschiede<br />

den Kunden aber<br />

Ausweichmöglichkeiten.<br />

Und überhaupt: Auch – oder gerade<br />

– mit einer Rechtsschutzversicherung<br />

muss der Verbraucher es sich dreimal<br />

überlegen, zum Anwalt zu gehen.<br />

Denn da Rechtschutzversicherer dazu<br />

da sind, die Prozesskosten ihrer Kunden<br />

zu übernehmen, sehen sie es naturgemäß<br />

nicht gerne, wenn diese zu sehr<br />

ihr Recht suchen. Wer zuviel klagt,<br />

fliegt daher raus. So will beispielsweise<br />

die ARAG voraussichtlich mehr<br />

als 80.000 „Prozesshanseln“ bis Ende<br />

2005 kündigen. Wer die Versicherung<br />

während seiner gesamten Laufzeit<br />

Bei den Beiträgen der<br />

Versicherer scheint noch<br />

Spielraum zu sein<br />

dreimal in Anspruch nahm und mehr<br />

gekostet als eingezahlt hat, muss dran<br />

glauben. Nur Kunden, die noch andere<br />

Versicherungen bei der ARAG haben,<br />

dürfen vielleicht bleiben.<br />

Der Gang zum Anwalt ist für den<br />

Rechtschutz-Kunden, der seine Police<br />

behalten will, anscheinend nicht die<br />

beste Alternative. Braucht er auch<br />

nicht, meint die Versicherungsbranche.<br />

Ihr Lösungsvorschlag: Die Anbieter<br />

leisten in Zukunft selbst Rechtsberatung.<br />

Doch das ist bedenklich. Denn<br />

wenn derjenige rechtlich berät, der<br />

später vielleicht die Prozesskosten<br />

zahlen muss, droht ein handfester Interessenkonflikt.<br />

Könnte es dann nicht<br />

sein, dass die Versicherungsanwälte<br />

aus Angst vor hohen Kosten ihrer – im<br />

Übrigen ihnen gegenüber weisungsbefugten<br />

– Brotgeber eher von einem<br />

Rechtsstreit abraten? Das Gegenteil ist<br />

für den Verbraucher in der Praxis jedenfalls<br />

kaum nachprüfbar. Der freie<br />

Anwalt ist zwar auch insoweit an den<br />

Rechtstreiten interessiert, als er aus ihnen<br />

sein Einkommen bezieht, er ist<br />

aber per Gesetz unabhängig und nur<br />

seinem Mandanten und dem Recht<br />

verpflichtet. Für den Verbraucher ist<br />

das der bessere Weg.<br />

Der Otto-Normal-Verbraucher<br />

sollte sich also gut überlegen, ob er<br />

eine Police wirklich benötigt. Schließlich<br />

können Ratsuchende die anwaltliche<br />

Erstberatung meist aus eigener<br />

Tasche bezahlen. Wenn alle Stricke<br />

reißen, gibt es noch die Möglichkeit<br />

der staatlichen Prozesskostenhilfe.<br />

Zwar kann eine Rechtschutzversicherung<br />

nützlich sein, sie gehört je-<br />

Rechtschutzversicherungen<br />

–<br />

Kein Muss für<br />

den Verbraucher<br />

Johannes Plott, FINANZtest.<br />

MN<br />

doch nicht zu den Versicherungen, bei<br />

denen die Existenz derjenigen bedroht<br />

sein kann, die sie nicht abgeschlossen<br />

haben. So wie etwa bei der Kranken-,<br />

der Renten- oder der Haftpflichtversicherung.<br />

Auch ist wichtig, den eigenen<br />

Bedarf genau auszuloten. Wer<br />

nicht Auto fährt, braucht schließlich<br />

keinen Verkehrsrechtschutz, Gewerkschaftsmitglieder<br />

keinen Berufsrechtschutz.<br />

Und auch bei Preis und Angebot<br />

gibt es große Unterschiede.<br />

Eine Rechtschutzversicherung um<br />

jeden Preis ist also nicht die allein selig<br />

machende Lösung. Auch nicht bei<br />

steigenden Anwaltsgebühren.


474<br />

MN ANWALTSTAG 2004<br />

Sicherheit und Ordnung auf<br />

Kosten der Freiheit?<br />

Festvortrag von Dr. Heiner Geißler,<br />

Bundesminister a.D., auf der<br />

Zentralveranstaltung des 55. Deutschen<br />

Anwaltstags am 21. Mai 2004 in Hamburg<br />

Sehr geehrter Herr Kilger,<br />

meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

ich bedanke mich für die Begrüßung und für die Einladung.<br />

Ich fühle mich wohl bei Ihnen, nicht nur als einer<br />

der schon mehrfach zitierten Einheitsjuristen, zu denen ich<br />

mich auch zähle. Ich bin, wie der eine oder andere von Ihnen<br />

weiß, auch noch Vorsitzender des Kuratoriums Sport<br />

und Natur, zu dem alle Sportverbände, die Sport in der Natur<br />

ohne Motorhilfe treiben, gehören. Einer der führenden<br />

und tragenden Verbände dieser über fünf Millionen zählenden<br />

Dachorganisation ist der DAV, allerdings nicht Ihr DAV,<br />

sondern der Deutsche Alpenverein. Ich habe natürlich nie<br />

den Deutschen Alpenverein mit dem Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />

verwechselt. Aber auch beim Klettern und Bergsteigen<br />

sind alle drei Begriffe unseres Themas von Bedeutung:<br />

Man braucht Sicherheit, man muss bestimmte Regeln beachten,<br />

man braucht auch die Freiheit. Die Freiheit z. B.<br />

umzukehren, wenn das Wetter schlecht wird.<br />

Die Dringlichkeit der Frage unseres Themas hat seit der<br />

Eskalation des Terrorismus am 11. September 2001 dramatisch<br />

zugenommen. Die indische Bestseller-Autorin Arundhati<br />

Roy hat zum großen Ärger der Amerikaner und vieler<br />

anderer untersucht, ob der Terrorismus nicht ganz andere<br />

Ursachen habe. Ist er nicht tatsächlich die Antwort auf eine<br />

schon vorher in Unordnung geratene Welt, eine Welt der<br />

Armut, mit 2,6 Milliarden Menschen, die pro Tag weniger<br />

zum Leben haben als den Gegenwert von 2 $, und deren<br />

Zahl nicht abnimmt, sondern zu, – eine Welt eines kapitalistischen<br />

Wirtschaftssystems, eine Welt der Unterdrückung<br />

und Diskriminierung von Milliarden von Menschen, einer<br />

kriminellen Ausbeutung der Natur, aber auch einer Welt der<br />

Überforderung von Milliarden von Menschen durch die<br />

technologische Revolution, die auch mangels Information<br />

von Ihnen nicht als Segen sondern als Bedrohung der westlichen<br />

Zivilisation empfunden wird.<br />

Das ist eine nur unzureichende Umschreibung der Situation,<br />

in der wir uns befinden. Die so auch nicht geeignet<br />

ist, für die Zukunft große Erwartungen und Hoffnungen zu<br />

begründen, wenn wir so weitermachen. Und gerade weil<br />

viele junge Menschen auch zu Ihrem Verein gehören, junge<br />

Anwälte, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass ihre<br />

Zukunft davon abhängt, wie sich die Weltpolitik, aber davon<br />

abhängig auch die nationale Politik, weiterentwickelt.<br />

Das ist kein Naturgesetz, sondern hängt davon ab, wie politisch<br />

entschieden wird.<br />

Die Soziale Marktwirtschaft ist im Zonenwirtschaftrat<br />

1947 mit einer Stimme Mehrheit durchgesetzt worden. Mit<br />

einer Stimme! Es hätte genauso gut andersherum gehen<br />

können. Jeder von Ihnen kann sich ausrechnen, wie dann<br />

die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gewesen<br />

wäre. Es war die Kombination eines richtigen Konzepts<br />

AnwBl 8 +9/2004<br />

verbunden mit dem Mut derjenigen, die die Verantwortung<br />

hatten, eine solchen Entscheidung auch durchzusetzen. Wir<br />

sind nicht die Gefangenen irgendwelcher Naturgesetze, denen<br />

wir ausgeliefert wären.<br />

Die Antwort der westlichen Demokratien auf das, was<br />

ich gerade zugegebenermaßen noch unzureichend beschrieben<br />

habe, lautet im Moment ökonomisch: shareholder value,<br />

geopolitisch: Krieg und innenpolitisch: Einschränkung<br />

des Rechtsstaats. Der langjährige Berater von Bill Clinton,<br />

Professor an der University of Maryland Benjamin Barber,<br />

hat in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“<br />

unlängst die globalisierte Ökonomie „eine Welt der Anarchie“<br />

genannt. „Eine Welt ohne Regeln, ohne Gesetz, ohne<br />

soziale Übereinkünfte. Eine Welt in der Unternehmen, Finanzinstitute<br />

und der gesamte private Sektor völlig unreguliert<br />

agieren können. Aber auch eine Welt, in der Terroristen,<br />

Kriminelle und Drogendealer frei und ungebunden<br />

Die wirtschaftlichen Verhältnisse<br />

spiegeln die Anarchie der globalen<br />

Ordnung wider<br />

arbeiten“, ja sogar die Terroristen sind Teil dieses gigantischen<br />

Finanzsystems mit einem börsentäglichen Umsatz<br />

von 2 Billionen Dollar, wobei das noch gar nicht ausdrückt,<br />

was eigentlich los ist, vielmehr werden innerhalb dieses einen<br />

Tages noch einmal Hunderte von Milliarden Dollar<br />

hin- und hergeschoben, innerhalb von wenigen Stunden,<br />

um noch einmal Hundertstel von Prozentpunkten Gewinne<br />

herauszuholen. In rechtsstaatlichen Verhältnissen, so sagt<br />

Barber, wäre dies unmöglich. Aber diese Verhältnisse wirken<br />

massiv auch in unsere Gesellschaft hinein. Sie spiegelt<br />

die Anarchie der globalen Ordnung wider, die eigentlich<br />

eine Unordnung ist.<br />

Sie bedeutet aber die Zerstörung der Freiheit von immer<br />

mehr Menschen. Die amerikanische und die britische Regierung<br />

haben im Irak-Krieg fast alle völkerrechtlichen<br />

Grundsätze, die bisher für die Anwendung von Gewalt zwischen<br />

den Staaten maßgeblich war, aufgegeben. Die<br />

größten Geister der Menschheit von Cicero bis Kant haben<br />

sich mit der Frage beschäftigt: Wann darf ein Staat gegen<br />

den anderen Gewalt anwenden?<br />

Es muß eine „justa causa“ vorliegen, die Anwendung<br />

muss die „ultima ratio“ sein, man braucht eine „recta intentio“<br />

und ein „jus in bello“. Das war die vierte Bedingung.<br />

Zur „justa causa“: Also die Massenvernichtungswaffen<br />

sind nicht gefunden worden, dafür wurde ein Diktator beseitigt.<br />

Das ist sicherlich ein ordentlicher Grund. Ein Diktator<br />

weniger ist immer besser als ein Diktator zuviel. „Ultima<br />

ratio“ war es mit Sicherheit nicht, wie wir jetzt<br />

wissen. Man hätte die UNO ja noch weiterarbeiten lassen<br />

können. Man wollte es nicht.<br />

Zur „recta intentio“: Eine politische Konzeption war<br />

überhaupt nicht vorhanden, wie wir wissen. Die alten Jesuiten<br />

haben beim Tyrannenmord, den sie begründet haben,<br />

auch unter ähnlichen Bedingungen gesagt, es müsse eine<br />

Wahrscheinlichkeit bestehen, dass, wenn der Tyrann tot ist,<br />

die Bedingungen für die betroffenen Menschen wenigstens


AnwBl 8 + 9/2004 475<br />

Anwaltstag 2004 MN<br />

ein bisschen besser sind als vorher. Keine politische Lösung<br />

lag als Konzept diesem Krieg zugrunde.<br />

Und zum „jus in bello“: Auch im Krieg müssen noch<br />

Rechtsgrundsätze eingehalten werden, welche in der Haager<br />

Landkriegsordnung oder der Genfer Konvention ihren<br />

Niederschlag gefunden haben. Aber dieses „jus in bello“<br />

gilt offenbar auch nicht mehr, weil in ihrem Allmachtswahn<br />

die amerikanische Administration glaubt, sie könne<br />

sich über diese völkerrechtlichen Grundsätze hinwegsetzen.<br />

Einige Regierungsmitglieder der amerikanischen Regierung<br />

haben sogar die Frage gestellt: Genfer Konvention, was ist<br />

das eigentlich? Nun ist zwar Saddam Hussein weg, aber inzwischen<br />

wird es immer fraglicher, ob es mehr Menschenrechte<br />

geben wird als vorher. Millionen von Frauen z. B.<br />

werden dies möglicherweise anders sehen, wenn sie unter<br />

der Schiitenherrschaft in einem Gottesstaat leben müssen.<br />

Die rechtsstaatlichen Normen und<br />

damit die Freiheitsrechte der Bürgerinnen<br />

und Bürger verändern sich<br />

Unter diesen Bedingungen verändern sich auch bei uns<br />

die rechtsstaatlichen Normen und damit auch die Freiheitsrechte<br />

der Bürgerinnen und Bürger. Die Antiterrorgesetze –<br />

rasch und schnell verabschiedet nach dem 11. September –<br />

innerhalb von zwei Monaten Ende des Jahres 2001 – sind<br />

Ergebnis dieser Entwicklung. Der große Lauschangriff war<br />

ein vorweggenommener Teil derselben und ist unlängst<br />

vom Bundesverfassungsgericht zu zwei Drittel als verfassungswidrig<br />

erklärt worden. Es ist unschwer zu vermuten,<br />

dass für die Antiterrorgesetze dasselbe Urteil gelten würde.<br />

Und wenn die Bundesjustizministerin jetzt darangeht, aufgrund<br />

des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, eine Novellierung<br />

des großen Lauschangriffs vorzunehmen, sollte<br />

sie gleich auch die Novellierung der Antiterrorgesetze mit<br />

in Bearbeitung nehmen und nicht darauf warten, bis das<br />

Dr. Heiner Geißler ist Volljurist<br />

und hat u. a. als Richter<br />

gearbeitet. Von 1977 bis 1989<br />

war er Generalsekretär der<br />

CDU, von 1982 bis 1985 auch<br />

Bundesminister für Jugend, Familie<br />

und Gesundheit. Seit 2002<br />

gehört er dem Bundestag nicht<br />

mehr an.<br />

Bundesverfassungsgericht diese Gesetze wieder so beurteilt<br />

wie den großen Lauschangriff.<br />

An dieser Beurteilung, das muss ich gleich fairerweise<br />

hinzufügen, ändert sich nichts dadurch, dass diese Gesetze<br />

auch von meiner Partei initiiert, mitgetragen, ja zum Teil<br />

sogar verschärft worden sind, dass ich sogar als Abgeordneter<br />

zugestimmt habe, als ich noch im Bundestag war,<br />

darüber bin ich mir auch im Nachhinein klar geworden.<br />

Wenn man sich zu den Grundsätzen seiner Partei bekennt,<br />

dann muss man nicht jede Entscheidung für richtig halten.<br />

Wenn ich meinen Hund liebe, muss ich nicht auch seine<br />

Flöhe lieben.<br />

Die Demokratien antworten auf die Bedrohung ihrer<br />

Ordnung mit immer größerer Einschränkung der Menschen-<br />

und der Grundrechte und damit eben auch der Freiheit<br />

und zerstören dadurch selber die Ordnung, die sie verteidigen<br />

wollen.<br />

Das Ergebnis ist aber nicht mehr Sicherheit, sondern<br />

eine immer größere Verunsicherung der Menschen: sozial,<br />

ökonomisch, rechtlich, möglicherweise sogar verbunden<br />

mit einer Verschärfung radikaler Vorstellungen, auf jeden<br />

Fall mit einem Verlust an Glaubwürdigkeit. Mit anderen<br />

Worten, die Menschen in dieser Demokratie haben den<br />

ethischen Kompass verloren. An dessen Stelle treten vom<br />

Frühstücksfernsehen bis zu den Abendmeldungen die<br />

Börsennachrichten über DAX, Dow Jones, Nikkei-Index.<br />

Das heißt, die westlichen Demokratien und ihre Bürgerinnen<br />

und Bürger und ihre führenden Leute tanzen um das<br />

goldenen Kalb und haben die Gesetzestafeln verloren. Warum<br />

ist dies so und was ist zu tun?<br />

Nach Aristoteles ist die Politik nichts anderes als das<br />

Bemühen, das geordnete Zusammenleben der Menschen zu<br />

ermöglichen. Nun ist die interessante Frage, nach welcher<br />

Ordnung? Wegen dieser Frage sind unzählige Kriege<br />

geführt worden, wahrscheinlich haben Millionen von Menschen<br />

ihr Leben verloren. Die Philosophen aller Zeiten haben<br />

sich mit dieser Frage beschäftigt. Was ist die richtige<br />

Ordnung? Eine Antwort hat z. B. Immanuel Kant gegeben<br />

mit dem kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Ma-


476<br />

MN<br />

xime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen<br />

Gesetzgebung gelten könnte.“ Nur hilft das nicht<br />

viel weiter, weil die Frage, ob die Maxime, die ich für richtig<br />

halte, auch geeignet ist, von anderen als allgemeiner<br />

Grundsatz akzeptiert zu werden, möglicherweise der Bundesinnenminister<br />

anders beantworten wird als Heribert<br />

Prantl von der Süddeutschen Zeitung, Alice Schwarzer anders<br />

als die Taliban, der Papst anders als der amerikanische<br />

Präsident und Matthias Herdegen zu Art. 1 im Maunz-<br />

Dürig-Kommentar anders als vor 40 Jahren mein Doktorvater<br />

Günter Dürig.<br />

Aber all diesen unterschiedlichen Antworten liegen unterschiedliche<br />

Antworten zugrunde auf die Frage: Was ist<br />

der Mensch, oder wer ist überhaupt ein Mensch?<br />

Was ist der Mensch? Je nach Antwort<br />

hat dies politische Konsequenzen<br />

Von der Antwort darauf bestimmt sich die Ordnung, in<br />

der wir leben. Und denken Sie ja nicht, das sei eine Diskussion<br />

würdig eines Rechtsseminars oder einer philosophischen<br />

Vorlesung. Je nachdem, wie diese Frage beantwortet<br />

wird, hat dies knallharte politische Konsequenzen.<br />

Karl Marx hat in einer seiner frühen Schriften zur Judenfrage<br />

gesagt: Der Mensch wie er geht und steht sei<br />

nicht der eigentliche Mensch, sondern er müsse das richtige<br />

gesellschaftliche Bewusstsein haben und der richtigen<br />

Klasse angehören. Die Nazis meinten, der richtigen Rasse.<br />

Die Nationalisten, die National- und Neokonservativen,<br />

z. B. in den Vereinigten Staaten, glauben, er müsse der richtigen<br />

Nation angehören, bei uns natürlich dem deutschen<br />

Volk, sonst kann man ihn durch eine Glastür jagen, wo er<br />

verblutet oder in einer Jauchegrube lebendig versenken.<br />

Die Fundamentalisten meinen, er müsse die richtige Religion<br />

haben, sonst wird er ausgepeitscht wie in Saudi-Arabien<br />

oder wie bei uns vor vierhundert Jahren auf dem<br />

Scheiterhaufen verbrannt.<br />

Diese Fundamentalisten sind auch der Überzeugung, der<br />

Mensch müsse das richtige Geschlecht haben, dürfe ja<br />

keine Frau sein: sonst könne man diese Menschen z. B. von<br />

den von Männern und ihren Herrschaftssystemen errichteten<br />

Bildungseinrichtungen ausschließen und rechtlich diskriminieren.<br />

Von einer Milliarde Analphabeten auf dieser<br />

Erde sind 800 Millionen, also 80 Prozent, Frauen, aber<br />

nicht, weil sie dümmer sind als die Männer, sondern weil<br />

sie nicht in die Schule gehen dürfen: Man darf ihnen deswegen<br />

auch die Geschlechtsteile verstümmeln: 100 Millionen<br />

auf dieser Erde sind davon betroffen, jedes Jahr kommen<br />

4 Millionen dazu. In Deutschland sind es 40 000 und<br />

es gibt inzwischen genügend deutsche Arzte, die sich gegen<br />

Euro an dieser Barbarei beteiligen.<br />

Beschneidung von Frauen kann weder unter dem Namen<br />

Allahs oder anderen Normen gebilligt werden. Sie ist<br />

schwere Körperverletzung, ein Verstoß gegen Artikel 2 des<br />

Grundgesetzes und muss von Amts wegen verfolgt werden.<br />

Bis vor kurzem haben Vertreter meiner Partei im Vermittlungsausschuss<br />

die absurde Auffassung vertreten, geschlechtsspezifische<br />

Verfolgung aus bestimmten Ländern<br />

könne niemals politische Verfolgung sein. Aber wenn eine<br />

aufgeklärte Mutter aus Kenia ihr neugeborenes Kind vor<br />

der Barbarei der Beschneidung bewahren will und sie dann<br />

in Deutschland aus diesem Grunde kein Asyl bekommt, ist<br />

dies eben eine völlige Verkennung der rechtlichen Situation,<br />

denn die Beschneidung wird in Kenia von den Behörden de<br />

facto geduldet. Die Verantwortlichen bekommen keine<br />

Bestrafung. Wenn die Diskriminierung von Frauen in der<br />

Rechtsordnung verankert ist, wie das in vielen islamischen<br />

Ländern der Fall ist, und diese Diskriminierung zu schweren<br />

Menschenrechtsverletzungen führt, dann ist dies politische<br />

Verfolgung.<br />

Neuerdings gehört zu den Kriterien, die die Menschenwürde<br />

verletzen, auch das richtige Alter; eine neue Kategorie.<br />

In England kriegen Leute, die älter sind als 80 Jahre,<br />

keine Bypassoperation und kein künstliches Hüftgelenk, sie<br />

werden vom Dialyseapparat abgeschaltet, es sei denn, sie<br />

haben genügend privaten Bimbes, wie man in der Pfalz sagt,<br />

um das aus der eigenen Tasche bezahlen zu können.<br />

Wir sind heute in Deutschland genauso weit. Die Lebensrisiken<br />

sollen weitgehend privatisiert werden. Mein<br />

Parteifreund Philipp Missfelder, Bundesvorsitzender der<br />

Jungen Union, hat gemeint, Leute, die älter sind als<br />

85 Jahre, sollten auch kein künstliches Hüftgelenk mehr bekommen,<br />

sie sollten gefälligst Krücken verwenden. Nun<br />

wollen wir über einen jungen Mann mit 23 Jahren keinen<br />

Die Lebensrisiken<br />

sollen weitgehend<br />

privatisiert werden<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Anwaltstag 2004<br />

Stab brechen. In dem Alter kann man auch mal einen<br />

Blödsinn erzählen. Ich bin froh, dass nicht alle wissen, was<br />

ich mit 23 Jahren gesagt habe. Aber man darf ihm nicht<br />

noch auf die Schulter klopfen und sagen, du hast ein richtiges<br />

Problem aufgeworfen, den Finger in eine klaffende<br />

Wunde gelegt. Sondern höchstens sagen, ja was soll denn<br />

der anders reden, wenn schon leibhaftige Professoren erklären,<br />

Leute, die älter sind als 75 Jahre, sollten keine lebenserhaltenden<br />

Medikamente mehr bekommen. Alles unter<br />

Kostengesichtspunkten. Einer dieser Professoren war sogar<br />

offizieller Berater der Deutschen Bischofskonferenz, er<br />

wurde am anderen Tag suspendiert. À la Bonheur, die Kirche<br />

hat mal rasch reagiert, ausnahmsweise.<br />

Aber wir können sehen, wohin wir mit der Kategorisierung<br />

der Menschen kommen. Wenn die Leute das Pech hatten<br />

und das Pech haben, dass sie zur falschen Klasse,<br />

Rasse, Nation, Religion, zum falschen Geschlecht, zum falschen<br />

Alter gehören, dann werden oder wurden sie liquidiert,<br />

vergast, gesteinigt, zu Tode gefoltert, in die Luft gesprengt<br />

oder sonst wie umgebracht. Die falschen<br />

Menschenbilder waren und sind die Ursache für die<br />

schwersten Verbrechen, die die Menschen begangen haben.<br />

Aber auch für die schwerwiegendsten politischen Fehlentscheidungen,<br />

die Menschen getroffen haben.<br />

Und deswegen ist die Frage nach dem richtigen Menschenbild<br />

entscheidend. Kann das richtige Menschenbild<br />

nach den Erfahrungen, die wir mit den anderen Menschenbildern,<br />

diesen kategorisierenden Menschenbildern, gemacht<br />

haben, ein Abklatsch dieser falschen Menschenbilder<br />

sein? Ich glaube wohl nicht. Der Mensch wie er geht und<br />

steht ist der eigentliche Mensch, unabhängig davon, ob er<br />

jung oder alt ist, Mann oder Frau, krank oder gesund und<br />

unabhängig davon, ob jemand <strong>Deutscher</strong> ist oder Ausländer,<br />

Christ oder Jude, Weißer oder Schwarzer. Mit diesem Menschenbild<br />

müssen sich zivilisierte Nationen, und müssen<br />

sich vor allem auch die Deutschen, unterscheiden von den


AnwBl 8 + 9/2004 477<br />

Anwaltstag 2004 MN<br />

Menschenbildern der Nazis, der Kommunisten, der Nationalisten<br />

und der Fundamentalisten, weil sie sonst den Anspruch<br />

für eine rechtsstaatliche Demokratie verlieren.<br />

Natürlich gehört dazu auch, dass der Mensch seine Würde<br />

behält, wenn er zu meinen Feinden gehört. Es kann daher<br />

kein spezielles „Feindstrafrecht“ geben.<br />

Wir haben zur Zeit eine etwas künstliche Diskussion<br />

zwischen Wolfgang Böckenförde und Matthias Herdegen<br />

hinsichtlich der Frage, ob der Artikel 1 des Grundgesetzes<br />

noch uneingeschränkt gilt oder nicht. Deswegen etwas<br />

künstlich, weil auch Herdegen betont, dass die Menschenwürde<br />

nicht von geistigen und körperlichen Fähigkeiten oder<br />

sozialen Merkmalen abhängt. Mit der Verknüpfung<br />

Der Disput zwischen Böckenförde<br />

und Herdegen zur Menschwürde<br />

der Menschenwürde an die Spezies Mensch stehe zugleich<br />

fest, dass eine Einschränkung der Menschenwürde auf Personen,<br />

verstanden als Menschen mit einem Mindestmaß<br />

psychischer und kommunikativer Fähigkeiten, mit der Verfassung<br />

nicht zu vereinbaren ist. Dies trifft auch auf die<br />

Diskussionen im Europarat über die Bioethikkonvention zu,<br />

in denen versucht wurde, menschenrechtsrelevant zwischen<br />

Personen und human beings zu unterscheiden. Die Besorgnisse<br />

sind nicht aus der Welt gegriffen, sondern es sind Gedanken<br />

und Überlegungen, die im politischen Raum stattgefunden<br />

haben.<br />

Was Herdegen und Böckenförde diskutieren, bezieht<br />

sich auf den pränatalen Bereich. Dazu will ich jetzt nicht<br />

abschließend Stellung nehmen. Das ist ein wichtiger Bereich,<br />

das ist gar keine Frage. Aber ob der Vierzeller in der<br />

Petrischale den Schutz des Artikel 1 genießt, kann, mit Verlaub<br />

gesagt, niemand hinsichtlich der Frage endgültig beantworten,<br />

ob das ein Mensch ist oder nicht. Das kann sein,<br />

kann aber auch nicht sein. Niemand weiß es, kein Papst,<br />

kein Kardinal und kein Professor. Aber weil wir es nicht<br />

wissen, müssen wir den Schutz vorsichtshalber so weit wie<br />

möglich nach vorne verlagern. Das ist die Konsequenz, die<br />

man ziehen kann. Aber Artikel 1 des Grundgesetzes, „Die<br />

Würde des Menschen ist unantastbar“, darf aus diesen Erwägungen<br />

heraus nicht generell infrage gestellt werden.<br />

Das Grundgesetz lässt im Artikel 1 offen, ob diese unantastbare<br />

Menschenwürde von Gott stammt oder vom Staat<br />

gegeben ist. Darauf gibt es im Grundgesetz keine Antwort.<br />

Aber Artikel 1 ist vorgegeben. Er liegt der Gründung unseres<br />

Gemeinwesens zugrunde. Er ist positives Verfassungsrecht<br />

und ist mit Ewigkeitsgarantie versehen. Nach Artikel<br />

79 Absatz 3 kann der Artikel 1 nie mehr abgeschafft werden,<br />

von keiner irgendwie gearteten Mehrheit im Deutschen<br />

Bundestag oder Bundesrat.<br />

Eine Relativierung, entnommen aus der Problematik des<br />

pränatalen Würdeschutzes und übertragen auf den postnatalen<br />

oder prämortalen Menschen, ist ein untauglicher Versuch,<br />

dem Grundgesetz den nun wirklich uralten Hut des<br />

Rechtspositivismus wieder aufzusetzen. Der Präsident des<br />

Bundesverfassungsgerichts hat völlig zu Recht gesagt, über<br />

diese Frage entscheidet nicht eine wissenschaftliche Meinung<br />

oder irgendjemand, sondern wenn Not am Mann<br />

kommt, eben das Bundesverfassungsgericht und dieses hat<br />

sich nun ganz eindeutig geäußert. „Die Menschenwürde ist<br />

tragendes Konstitutionsprinzip und oberster Verfassungswert“,<br />

hat das Bundesverfassungsgericht in seinem letzten<br />

Urteil zum großen Lauschangriff noch mal ausdrücklich betont<br />

und den Dürigschen Begriff wiederholt, dass es mit<br />

der Würde des Menschen nicht vereinbar ist, ihn zum bloßen<br />

Objekt der Staatsgewalt zu machen, „zu einer vertretbaren<br />

Größe zu minimieren“, wie Dürig gesagt hat.<br />

Diese Geltung des Artikel 1 ist die Voraussetzung der<br />

Freiheit. Und das Bundesverfassungsgericht hat in dem<br />

schon von mir genannten Urteil klar gemacht, dass die Art<br />

der ergriffenen Maßnahme entscheidend ist, wenn durch sie<br />

die Subjektqualität des Betroffenen grundsätzlich infrage<br />

gestellt wird. Das ist mit ein Grund, warum die Folter gegen<br />

den Artikel 1 verstößt, wenn nämlich die Behandlung durch<br />

die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen<br />

lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt.<br />

Und das Gericht sagt, dass – die Frau Justizministerin<br />

hat es vorhin auch zitiert –, dass ein unantastbarer Kernbereich<br />

privater Lebensgestaltung zu wahren ist. Es spricht<br />

vom verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung einer<br />

Sphäre des Bürgers für eine ausschließlich private, eine<br />

höchst persönliche Entfaltung. Im Einzelnen soll das Recht,<br />

in Ruhe gelassen zu werden, auch in den eigenen Wohnräumen<br />

gesichert sein. Und dass zur Entfaltung der Persönlichkeit<br />

im Kernbereich privater Lebensgestaltung auch die<br />

Möglichkeit gehört, innere Vorgänge wie Empfindungen<br />

und Gefühle, Überlegungen und Ansichten, Erlebnisse<br />

höchst persönlicher Art zum Ausdruck zu bringen und zwar<br />

ohne Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen. Und<br />

noch etwas: dieser Schutz, so das Bundesverfassungsgericht,<br />

darf nicht durch Abwägung mit den Strafverfolgungsinteressen<br />

nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeits-<br />

Es darf keine Sicherheit auf Kosten<br />

der Freiheit geben, wenn es um die<br />

Menschenwürde geht<br />

grundsatzes relativiert werden. Zwar wird es stets Formen<br />

von besonders gravierender Kriminalität und entsprechende<br />

Verdachtssituationen geben, die die Effektivität der Strafrechtspflege<br />

als Gemeinwohlinteresse manchem wichtiger<br />

erscheinen lässt als die Wahrung der menschlichen Würde<br />

des Beschuldigten. (Anm.: Infolgedessen ist es völlig unverständlich,<br />

dass die Ministerin in der Novelle zum Großen<br />

Lauschangriff diesen auf bisher noch geschützte Personen<br />

wie Anwälte, Priester und Journalisten ausdehnen will.)<br />

Eine solche Wertung ist dem Staat jedoch durch<br />

Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes<br />

verwehrt. Das ist die Rechtslage. Das heißt, um<br />

daraus jetzt die Konsequenz zu ziehen, dass es keine Sicherheit<br />

geben darf auf Kosten der Freiheit, wenn es um<br />

die Menschenwürde geht. Der große Lauschangriff ist zum<br />

Teil verfassungswidrig. Kommt jetzt der große Gen-Angriff?<br />

Das ist die Frage. Wobei wir uns dabei im Klaren<br />

sein müssen, dass die Gen-Identifizierungsmuster, die da<br />

registriert werden sollen, natürlich etwas anderes bedeuten<br />

als der normale simple Fingerabdruck bei der Polizei. Bei<br />

diesen Mustern, wenn sie zur Grundlage gemacht werden,<br />

ist dann eben der ganze Mensch erfasst vom Bankkonto bis<br />

zur Erbkrankheit. Aber die Bundesrepublik Deutschland<br />

darf nicht vom Rechtsstaat übergehen in den Sicherheitsund<br />

Präventionsstaat.<br />

Datenschutz wird diskriminiert als Täterschutz, das hört<br />

man ununterbrochen, vor allem, wenn es um die organisierte<br />

Kriminalität geht. Aber Datenschutz ist Persönlich-


478<br />

MN<br />

keitsschutz, das heißt das Recht jedes Einzelnen, grundsätzlich<br />

darüber selbst entscheiden zu können, wer, wann, was<br />

über ihn, über mich, wissen darf. Das ist Datenschutz und<br />

nicht Täterschutz. Leider bleibt von diesem Persönlichkeitsschutz<br />

immer weniger übrig. Die Antiterrorgesetze, die verabschiedet<br />

worden sind, gehören noch einmal auf den<br />

Prüfstand. Selten war ein Gesetzentwurf so vernichtend beurteilt<br />

worden, wie der für dieses Gesetz. Die juristische<br />

Prüfung durch das dafür zuständige Bundesjustizministerium<br />

war vernichtend. „Rechtsstaatlich problematisch“,<br />

„verfassungsrechtlich bedenklich“ lautete fast durchgängig<br />

die Beurteilung. Bisherige unverzichtbare rechtsstaatliche<br />

Grundsätze werden unter der geistigen Führung der amerikanischen<br />

Administration gefährdet. Dieses Denken findet<br />

inzwischen seinen Niederschlag auch in der Novellierung<br />

des Ausländerrechts. Welche Grundsätze werden in Frage<br />

gestellt? Öffentlichkeit des Strafverfahrens, die Trennung<br />

von Sicherheitsbehörden und geheimen Sicherheitsinstitutionen.<br />

Dabei wollten wir doch niemals mehr eine geheime<br />

Staatspolizei haben. Der Unterschied zwischen Polizei und<br />

Geheimdiensten besteht eben darin, dass die Polizei von<br />

der Justiz kontrolliert wird, der Geheimdienst aber von einem<br />

geheim tagenden Parlamentarischen Miniausschuss,<br />

der aber seinerseits zum Schweigen verurteilt ist.<br />

Was wird nicht mehr gewährleistet sein, wenn wir diesem<br />

Trend folgen? Die alsbaldige Kontrolle von Verhaftungen<br />

und sonstigen Grundrechtseingriffen durch unabhängige<br />

Richter. Das Recht auf Akteneinsicht. Das Recht auf<br />

freie Wahl eines Verteidigers. Das Recht, überhaupt einen<br />

Verteidiger zu haben. Die öffentliche Beweisführung. Der<br />

Grundsatz, im Zweifel für den Angeklagten, bei den Ausländern<br />

schon umgedreht. Die Gleichheit vor dem Gesetz.<br />

Das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden, wie wir ja<br />

jetzt erfahren haben. Der Grundsatz des fairen Verfahrens.<br />

Die Genfer Konvention über die Behandlung von Gefangenen.<br />

Weltweit wird damit begonnen, all das unter Vorbehalt<br />

zu stellen und dieser Vorbehalt lautet: Der rechtsstaatliche<br />

Katalog ist schön und gut, aber nur solange er die Bekämpfung<br />

des Terrorismus nicht behindert. Vogelfrei nannte man<br />

eine solche Situation im Mittelalter und in den Vereinigten<br />

Staaten ist dieser Zustand bereits eingeführt. Acht, Bann<br />

und Rechtlosigkeit für verdächtige Ausländer – wollen wir<br />

das auch? Guantanamo ist das schreckliche Beispiel für institutionalisierte<br />

Rechtlosigkeit, die allerdings jetzt (sehr<br />

spät) durch das oberste amerikanische Gericht korrigiert<br />

worden ist. Was die Foltervorwürfe betrifft, wird jetzt einzelnen<br />

Soldaten der Prozess gemacht. Aber die Legitimierung<br />

des rechtslosen Zustandes der Gefangenen in Guantanamo<br />

und in anderen Gefängnissen, die Legitimierung<br />

dieses Bruchs der amerikanischen Verfassung und der Genfer<br />

Konvention, die Verwendung einer brutalen Jäger- und<br />

Kriminellensprache in den Reden führender Vertreter der<br />

amerikanischen Regierung unter Übernahme von Texten<br />

aus dem Mafia-Millieu aus Chicago von Al Capone, und<br />

das Aufheizen eines nationalistischen Klimas durch die<br />

konservative Presse, sie alle haben in Amerika, wie die aufmerksamen<br />

und objektiven Beobachter inzwischen übereinstimmend<br />

festgestellt haben, einen Geisteszustand in der<br />

amerikanischen Öffentlichkeit geschaffen, in dem Soldaten<br />

und Polizisten unten an der Front bei ihren Misshandlungen<br />

jedes Unrechtsbewusstsein abhanden gekommen ist, soll<br />

man sagen, abhanden kommen musste.<br />

Nicht die Einzeltäter, die jetzt angeklagt werden, sondern<br />

die politischen und journalistischen Meinungsführer<br />

tragen die Verantwortung für das moralische Desaster, das<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Anwaltstag 2004<br />

durch diese Vorgänge die gesamte westliche Welt erfasst<br />

hat. Das müssen Sie natürlich nicht übernehmen, was ich<br />

jetzt sage, aber der größte Triumph der Terroristen besteht<br />

ja nun darin, dass sich die westliche Führungsmacht, zumindest<br />

in den Augen der Öffentlichkeit, auf eine Stufe mit<br />

den Schurkenstaaten gestellt hat, die sie angeblich bekämpfen<br />

will. Aber wir brauchen eine Rettung. Und die Rettung<br />

kann eigentlich nur vom amerikanischen Volk selber kommen.<br />

Die Amerikaner müssen im Herbst die jetzige Regierung<br />

abwählen.<br />

Die Repressionspolitik der US-Administration führt ja<br />

auch intern zu keinen großen Ergebnissen. Auf 100.000<br />

Einwohner kommen in Amerika inzwischen zwölf Kapitalverbrechen.<br />

In Deutschland sind es noch zwei. Das amerikanische<br />

Erziehungsministerium hat neulich bekannt gegeben,<br />

dass 25 % der Amerikaner Analphabeten sind und<br />

das hat natürlich seine Gründe. Eine Zwei-Drittel-Gesellschaft<br />

produziert Kriminalität und Analphabetentum. In<br />

den USA ist die Inhaftierungsquote in den letzten 20 Jahren<br />

um 400 % gestiegen. Über 5 Millionen Amerikaner sitzen<br />

in Haft oder stehen unter Bewährungsaufsicht. Der Kriminologe<br />

Michael Lindenberg hat einmal ausgerechnet, dass,<br />

wenn die Inhaftierungsrate in Amerika linear weiter anstiege,<br />

im Jahre 2050 die Hälfte der US-Bürger hinter Gittern<br />

säße und von der anderen Hälfte bewacht würde.<br />

Was ist zu tun? Ich glaube, wir sollten bei der Bekämpfung<br />

des Terrorismus nicht auf polizeiliche Maßnahmen<br />

verzichten, das wäre völlig falsch. Ich habe auch dafür gestimmt<br />

und halte das nach wie vor für richtig, dass deutsche<br />

Soldaten in Afghanistan sind, und den Terrorismus dort bekämpfen<br />

als eine Art Weltpolizei. Aber es wird nichts<br />

nützen, wenn sich die politischen und ökonomischen Bedingungen<br />

nicht verändern. Ich war der erste Abgeordnete, der<br />

nach dem 11. September in Kabul war. Als ich zurückkam,<br />

haben die Kolleginnen und Kollegen mich in Berlin gefragt:<br />

Sagen Sie mal, lebt der Osama Bin Laden noch? Das kann<br />

ich nicht sagen, war meine Antwort, ich bin ihm nicht begegnet.<br />

Aber ich weiß das eine, dass der Osama Bin Laden<br />

in den Köpfen und in den Herzen von Hunderten von Millionen<br />

Menschen lebt, in den Armutsvierteln und in den<br />

Was ist zu tun? Die politischen<br />

und ökonomischen Bedingungen<br />

müssen sich ändern<br />

Elendsquartieren von Indonesien, Pakistan, Bangladesch,<br />

Afghanistan, Iran, Irak, Jemen, Palästina, Jordanien, Somalia,<br />

Sudan, Ägypten bis nach Algerien, wo 90 % der jungen<br />

Leute arbeitslos sind. Und wenn 90 % der jungen Leute<br />

null Perspektive haben für ihr irdisches Leben, um mal einen<br />

Mullah-Begriff zu verwenden, werden sie leicht das<br />

Opfer der islamistischen Heilsversprechen. Die Amerikaner<br />

können noch einen Krieg führen. Wir können noch<br />

mehr Soldaten nach Kabul schicken. Es wird keinen Wert<br />

haben. Warum? Weil nur Narren und Lügner uns weismachen<br />

können, man könne auf Dauer Hunderte von Millionen<br />

Menschen ausgrenzen, ohne dafür nicht irgendwann einen<br />

politischen Preis zahlen zu müssen.<br />

Es gibt in der Politik keine überflüssigen Menschen, sie<br />

haben alle eine Stimme. Wenn sie in keiner Demokratie leben<br />

und keine Stimme haben, dann werden sie oder ihre<br />

geistigen Führer sich Waffen besorgen, und wenn es fliegende<br />

Kerosinbomben sind oder Handgranaten, die dann


AnwBl 8 + 9/2004 479<br />

Anwaltstag 2004 MN<br />

per Handy in Vorortzügen gezündet werden. Was sich auf<br />

der Welt heute abspielt, ist ein Szenario der Willkür und<br />

der Ungerechtigkeit. Wir haben heute auf der Welt die Unordnung,<br />

wie sie Benjamin Barber beschrieben hat. Wir haben<br />

keine Soziale Marktwirtschaft, keinen geordneten Wettbewerb.<br />

Das Kennzeichen der sozialen Marktwirtschaft war<br />

das Bündnis zwischen dem Ordoliberalismus der Freiburger<br />

Schule (Wilhelm Röpke, Walter Eucken, Adolf Müller-<br />

Armack, später Ludwig Ehrhard), ein Bündnis des Ordoliberalismus<br />

– nicht des Neoliberalismus, das bringen die<br />

heutigen Liberalen dauernd auseinander – mit, so können<br />

wir sagen, dem Evangelium, mit der katholischen Sozialehre,<br />

mit der evangelischen Sozialethik. Die Folge war die<br />

erfolgreichste Wirtschafts- und Sozialphilosophie, die die<br />

Wirtschaftsgeschichte je gekannt hat. Die gibt es nicht<br />

mehr. Sie ist verschwunden im Zuge der Globalisierung,<br />

die nicht aufzuhalten ist, die gut ist, wenn sie in der richtigen<br />

Ordnung erfolgt. Geordneter Wettbewerb war das<br />

Kennzeichen der sozialen Marktwirtschaft und Ludwig Ehrhardt<br />

war der Erfinder der Kartellgesetzgebung, des Bundeskartellamtes,<br />

der Fusionskontrolle.<br />

Wenn sie keine Kontrolle des Wettbewerbs haben, keine<br />

Ordnung, gibt es als Ergebnis nur noch Oligopole und Monopole.<br />

Dies ist genau die Entwicklung, in der wir uns be-<br />

Anstelle der Sozialen<br />

Marktwirtschaft ist<br />

shareholder value getreten<br />

finden. Kleine und mittelständische Unternehmen haben<br />

immer weniger Chancen. Anstelle der Sozialen Marktwirtschaft<br />

ist shareholder value getreten. Laut Weltbank leben<br />

auf der Erde 225 Menschen mit einem Vermögen von einer<br />

Billion Dollar. Das ist genauso viel, wie die Hälfte der<br />

Menschheit, nämlich 3 Milliarden an jährlichem Einkommen,<br />

haben. Dies ist nicht, wie man manchmal im Wirtschaftsteil<br />

der einen oder anderen Zeitung lesen kann, die<br />

Folge von Faulheit und Dummheit, sondern die Folge von<br />

massiven politischen Fehlern. Cancún war das Beispiel der<br />

WTO. Die amerikanische Baumwolle wird durch Steuersubventionen<br />

so billig gemacht, dass die Baumwolle aus<br />

Afrika auf dem Weltmarkt keine Chance hat, mit dem<br />

Rübenzucker aus Europa ist es genauso im Verhältnis zum<br />

Rohrzucker, der auf den Philippinen oder in Mittelamerika<br />

hergestellt wird. Der Kongo, das reichste Land der Erde –<br />

Gold, Silber, Mangan, alles gibt es da – wird durch europäische<br />

und amerikanische Großkonzerne ausgebeutet. Die<br />

Erlöse fließen zu einem kleinen Teil in die Taschen der<br />

Machthaber in Kinshasa, der Rest in die Tresore dieser<br />

Konzerne.<br />

Den Menschen, denen diese Schätze gehören, sehen<br />

nicht einen müden Dollar. Und wenn Sie einmal die Verlautbarungen<br />

des Osama Bin Laden genau lesen, dann<br />

macht er dies zum Punkt seiner Auseinandersetzung, vor<br />

allem mit der saudi-arabischen Regierung. Das ist die Situation,<br />

in der wir leben. Sie ist die Folge von politischen<br />

Fehlentscheidungen. Das Fazit lautet: wir brauchen wieder<br />

Ordnung in der Globalen Wirtschaft, eine Internationale<br />

Soziale Marktwirtschaft. Nicht dadurch, dass wir die Lebensstandards<br />

von Bangladesch anheben auf unsere, aber<br />

dadurch, dass wir einige Regeln durchsetzen: Internationale<br />

Banken- und Börsenaufsicht, wir brauchen eine Spekulationssteuer,<br />

die Schließung der Off-Shore-Center, damit es<br />

endlich aufhört, dass die Finanzindustrie ihre Gelder steuerfrei<br />

dort parken kann. Wir brauchen eine Demokratisierung<br />

der Weltinstitutionen, der Weltbank, der WTO, des internationalen<br />

Währungsfonds, des IWF, der bis zum Amtsantritt<br />

von Horst Köhler nichts anderes war als der Schuldeneintreiber<br />

für die westlichen Demokratien und der Großbanken<br />

zulasten der Schwellen- und der Entwicklungsländer.<br />

Auch auf der nationalen Ebene ist keine Ordnung mehr<br />

vorhanden. Das sage ich auch in Anwesenheit der Kolleginnen<br />

und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag. Die<br />

Agenda 2010 mit der Zusammenlegung von Sozialhilfe und<br />

Arbeitslosenhilfe bedeutet, dass einer, der jahrzehntelang<br />

Freiheit braucht Regeln –<br />

Die Freiheit ist die Voraussetzung<br />

für den Frieden<br />

gearbeitet hat – die Übergangsregelungen einmal weggelassen<br />

–, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf das Sozialhilfe-<br />

Niveau, genannt Arbeitslosengeld II, gesetzt wird. Und das<br />

kriegt er erst dann, wenn er fast alles versilbert hat, was er<br />

sich in seinem Leben erarbeitet hat – eine verfassungswidrige<br />

Enteignung. Es wird dazu führen, dass wir zu den<br />

3 Millionen Sozialhilfeempfängern im Laufe der Zeit noch<br />

einmal ein paar Millionen zusätzlich bekommen. Die Lohnnebenkosten<br />

werden dadurch nicht gesenkt, wohl aber die<br />

Binnennachfrage noch einmal vermindert.<br />

Wenn wir wieder Sicherheit und Ordnung bekommen<br />

wollen, brauchen wir erstens international die Wiederherstellung<br />

des Völkerrechts – eine große Aufgabe der Europäer<br />

– und der Anerkennung der Menschenwürde und der<br />

Menschenrechte durch die westlichen Demokratien, vor allem<br />

die USA. Und wir brauchen eine Internationale Soziale<br />

Marktwirtschaft. Wir brauchen Regeln. Das ist die Voraussetzung<br />

für die Freiheit.<br />

Wir hatten eine Auseinandersetzung in den 80er-Jahren<br />

über den Frieden. Egon Bahr sagte damals, der Friede sei<br />

der oberste Grundwert. Aber der Friede ist kein oberster<br />

Grundwert. Er ist überhaupt kein Grundwert, sondern er ist<br />

ein politischer Zustand, der dann eintritt, wenn in einer Gesellschaft<br />

die aus der Menschenwürde resultierenden wirklichen<br />

Grundwerte der Freiheit, Gleichheit, und Solidarität<br />

realisiert sind. Thomas von Aquin hat es in klassischer<br />

Kürze lateinisch auf einen Nenner gebracht: „Opus justitiae<br />

pax.“ Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit. „Opus libertatis<br />

pax.“ Die Freiheit ist die Voraussetzung für den<br />

Frieden. Ordnung und Sicherheit sind auch keine Grundwerte,<br />

sondern sie treten dann ein, wenn die wirklichen<br />

Grundwerte in einem Land und auf der Welt realisiert sind.<br />

Die Länder dieser Welt sind umso sicherer und umso geordneter,<br />

je mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in ihnen<br />

verwirklicht sind. Das gilt auf der ganzen Welt, das gilt<br />

auch für uns in Deutschland.


480<br />

MN<br />

DAV-Rednerwettstreit<br />

Sind Anwälte wirklich<br />

„Edel und Star(c)k“?<br />

Kein leichtes Thema für den 1. Preisträger des Rednerwettstreites<br />

auf dem Deutschen Anwaltstag. Zum fünften<br />

Mal hatte der DAV junge Kollegen (Altersgrenze 39 Jahre)<br />

eingeladen. „Die Rhetorikkultur ist bei den Anwälten noch<br />

entwicklungsfähig. Der große Zuspruch zum Rednerwettstreit<br />

zeigt aber, dass bei der jungen Anwaltschaft das Interesse<br />

daran wächst“, sagte Rechtsanwalt Georg Prasser,<br />

Vizepräsident des DAV und Vorsitzender der Jury, in Hamburg.<br />

Den ersten Platz sicherte sich Rechtsanwalt Dr.<br />

Friedrich Blase (Frankfurt am Main). Auf den zweiten Platz<br />

kam Rechtsanwalt Michael Wappner (Düsseldorf), gefolgt<br />

von Rechtsanwalt Chan-jo Jun (Würzburg). Die Preise sind<br />

mit 2 500 E, 1 000 E und 500 E dotiert. Zur Jury gehörten<br />

neben Prasser: Rechtsanwältin Dr. Lore Peschel-Gutzeit<br />

(Ex-Justizsenatorin in Hamburg sowie in Berlin), Rechtsanwalt<br />

Dr. Bernd Hirtz (Köln), Rechtsanwalt Dr. Ulrich<br />

Scharf (Celle, Vizepräsident der BRAK), Rhetorik-Prof. Dr.<br />

Gert Ueding (Universität Tübingen) und Dr. Thilo von<br />

Trotha (Präsident des Verbandes der Redenschreiber).<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> dokumentiert die Rede des 1. Preisträgers<br />

aus der Zentralveranstaltung des 55. Deutschen<br />

Anwaltstags in Hamburg:<br />

Eigentlich war es ja schon absehbar, als Barbara Salesch<br />

als Richterin über unsere Bildschirme flimmerte. In Kürze<br />

würde die sinnreduzierende Medienwelt hierzulande auch<br />

unseren Berufsstand entdecken. Pearsons? ???? konnte man<br />

ja noch als nicht repräsentative „Importware“ abstempeln.<br />

Ally McBeal war dann schon „Kultware“ mit gefährlichen<br />

Speerspitzen, die zu Vergleichen nötigten – sind deutsche<br />

Anwältinnen auch so emotional?? Die Herren blieben aber<br />

noch verschont.<br />

Und nun – seit etwas über einem Jahr – ist es geschehen:<br />

Unsere Schonzeit, meine Damen und Herren, ist<br />

endgültig abgelaufen. Wir werden beobachtet, durchleuchtet,<br />

transparent gemacht. Sie lächeln – warten Sie, das wird<br />

Ihnen vergehen.<br />

Sie haben vielleicht auch nicht gedacht, dass Sie einmal<br />

einen Mandanten hochkantig wieder aus der Kanzlei<br />

schmeißen mussten, weil er reinkam und forsch-fordernd<br />

rumposaunte: „Hier ist meine AdvoCard. Wo ist mein Anwalt?“.<br />

Und wer hat nicht noch gelächelt, als der gerichtsbekannte<br />

und sichtlich noch mitten in seiner letzten BTM-<br />

Straftat verharrende Angeklagte den tapferen Strafrichter<br />

mit „Euer Ehren“ ansprach.<br />

Jetzt warte ich auf den ersten Mandanten, der enttäuscht<br />

eine Kanzlei verlässt, weil er dort nicht die Anwalts-Wahl<br />

zwischen charmant-lässig und selbstbewusst-schlagfertig<br />

hat und schon gar nicht die lockeren Sprüche einander nur<br />

so jagen. Die Menschen in diesem Land – oder jedenfalls<br />

die, für die Montags, 21.15 h zur heiligen Zeit gehört –<br />

werden uns an Felix Edel und Sandra Starck messen.<br />

Aber sind wir wirklich edel und stark? Meine Damen<br />

und Herren, die Antwort kann nur lauten: NEIN. Mit allem<br />

Nachdruck: NEIN. Anwälte sind nicht edel und stark. Ich<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Anwaltstag 2004<br />

werde Ihnen das nun begründen – in guter juristischer Manier:<br />

Meine Argumentation basiert auf wörtlichen, systematischen,<br />

historischen und schließlich teleologischen Untersuchungen:<br />

Was heißt denn edel und stark? Diese Eigenschaftswörter<br />

werden im Duden definiert als ... Beschreibt das einen<br />

Anwalt? Ich weiß es nicht. Ist aber auch egal – denn seit<br />

der leidigen Diskussion um die Rechtschreibreform wissen<br />

wir Juristen ja: der Duden ist ein privates Werk – ohne jeden<br />

Normsetzungscharakter. Bleibt daher die Frage anders<br />

herum zu stellen: Was ist ein Anwalt? Nun hat der Duden<br />

in seiner alltäglich gebräuchlichen Taschenbuchausgabe<br />

Wir sind Organe der Rechtspflege –<br />

verbinden Sie damit jemanden, der<br />

edel und stark ist?<br />

hierfür keine Definition. Dafür aber unser Berufsrecht: Wir<br />

sind Organe der Rechtspflege. Ja, meine Damen und Herren;<br />

verbinden Sie mit dem „Organ der Rechtspflege“ jemand<br />

der edel und stark ist. Seit wann kann ein Organ einen<br />

edlen Charakter haben? Und wie soll es stark sein? Ein<br />

Organ ist ein Funktionsteil. Da bekommen Sie keine Emo-<br />

Rechtsanwalt Dr. Friedrich Blase aus Frankfurt am Main:<br />

1. Preisträger des DAV-Rednerwettstreites.<br />

tion hinein. Conlusio: aus dem Wortlaut ist kein Reim zu<br />

machen.<br />

Systematisch – ja, die systematische Untersuchung erscheint<br />

bei dieser Fragestellung auf den ersten Blick ein<br />

schwieriges Unterfangen. Da systematisch von System<br />

kommt, habe ich mich für die Empirie entschieden und bin<br />

mit Stift und Bogen bewaffnet auf die Suche nach anderen<br />

System-Vertretern gegangen. Auf dem Plan standen – das<br />

mag Sie jetzt nervös machen – Richter und Mandanten.<br />

Kaum hatte ich mir den Zugang zu unserem Gerichtsgebäude<br />

in Frankfurt am Main durch Übersteigen einiger<br />

Panzerkrallen, Stacheldrahtzäune und Polizeisperren geebnet,<br />

sollte mein Forschungsausflug bei den Sicherheitsbediensteten<br />

an der Eingangskontrolle jäh enden – was ich<br />

denn hier wolle? Alles Erklären und der Verweis auf die<br />

Forschungsfreiheit in Artikel 5 half nichts. Dem Einfall sei


AnwBl 8 + 9/2004 481<br />

Anwaltstag 2004 MN<br />

dank, dass durch die Befragung des Sicherheitspersonals<br />

die Studie wertneutral neu ausgerichtet werden konnte. Das<br />

Ergebnis jedoch ließ sich nicht eindeutig einorden. Auf die<br />

Frage, wie sie denn die Damen und Herren Anwälte beschreiben<br />

würden, folgten neben einigen weniger schmeichelhaften<br />

Ausdrücken allerlei – nur leider nie edel und<br />

stark. Auch die Gegenfrage brachte nicht weiter: „Sind<br />

denn Anwälte Ihrer Meinung nach edel und stark?“ Die<br />

hierdurch ausgelösten körperlichen Ertüchtigungsbewegungen<br />

unter lautstarkem Prusten waren leider empirisch als<br />

Antworten nicht verwertbar.<br />

Keine Sorge – die Mandanten habe ich nicht mehr befragt.<br />

Stattdessen habe ich mich der Geschichte gewidmet.<br />

Diese nun kennt allerlei Edle und Starke.<br />

Heinrich I. Der Starke war Markgraf und Begründer Österreichs.<br />

Stark war er, weil er für Kaiser Heinrich II. gegen<br />

den Herzog von Polen Krieg führte. Ob er Anwalt war, ist<br />

zwar nicht bekannt. Da aber die ersten juristischen Fakultäten<br />

des Mittelalters erst ab 1215 in Bologna und andernorts<br />

entstanden, kann dies im Wege des Umkehrschlusses verneint<br />

werden.<br />

Dann kommt natürlich der zu Zeiten Goethes regierende<br />

Kurfürst von Sachsen, Friedrich August I. Der Starke, in<br />

den Sinn. Seinen Beinamen erhielt er allerdings nicht, weil<br />

er sich in das Getümmel geschmissen hat, sondern vor allem,<br />

weil er ein herrisches Wesen hatte – schon eine bedenkenvolle<br />

Begründung für den Beinamen. Glücklicherweise<br />

hatte aber auch er kein Jura studiert, sondern verbrachte<br />

seine Jugend mit Soldatenausbildung und Europareisen.<br />

Auch die Edlen gibt es in der Geschichte – doch auch<br />

sie mögen nicht als Vorbild, als Referenz zu überzeugen.<br />

Der Edle ist sich für die<br />

Schlammschlacht, die wir uns<br />

manchmal liefern müssen, zu proper<br />

Nehmen wir Prinz Eugen, den Edlen Ritter, der um die<br />

Wende des 17. zum 18. Jahrhundert für Österreich jeden<br />

Gegner in die Knie zwang. Nur, wie war Eugen zu den<br />

Habsburgern gekommen? Er war ein gebürtiger Prinz aus<br />

Savoyen und bot sich – wie das der Stand damals gebot –<br />

zunächst seinem König Ludwig XIV. in Versailles als soldatischer<br />

Diener an. Doch dieser lehnte ihn ab – weil Eugen<br />

der Edle zu klein und zu schmächtig war. Na? Wollen Sie<br />

immer noch edel sein ... ???? Nur zu gut, dass Eugen von<br />

Hause aus auch kein Jurist war.<br />

Nun fragt man in der Geschichte leider lange nach<br />

Frauen, die den Beinamen „die Starke“ oder „die Edle“<br />

führen. Sicher gab es sie, doch wo sind sie in der von Männern<br />

dominierten Dokumentation verzeichnet? In einem<br />

kürzlich entdeckten Beitrag werden „Starke Frauen in Geschichte,<br />

Kunst und Legenden“ beschrieben. Darunter befinden<br />

sich Ayla, die Frau im Clan des Bären aus der Steinzeit,<br />

Scarlett O’Hara aus dem amerikanischen Bürgerkrieg,<br />

Xena, die Amazonenprinzessin und einige Frauen der Kelten,<br />

die als Stamm schon damals als recht fortschrittlich in<br />

puncto Gleichberechtigung waren. Nur auch hier gilt: keine<br />

Juristin weit und breit.<br />

Folglich lässt sich zusammenfassend feststellen: auch<br />

die historische Analyse vermag der Lösung keinen zielfüh-<br />

renden Impuls zu liefern. Ob Anwälte wirklich edel und<br />

stark sind, bleibt daher durch teleologische Überlegungen<br />

zu entscheiden.<br />

Teleologisch deduzieren, meine Damen und Herren,<br />

heißt ja bekanntlich nach dem Sinn zu forschen. Was aber<br />

soll der Sinn sein, wenn wir Anwältinnen und Anwälte alle<br />

edel und stark sind? Was heißt das denn für die Praxis?<br />

Sind wir edel, streiten wir dann noch? Wohl kaum, denn<br />

der Edle ist sich für die Schlammschlacht, die wir uns<br />

manchmal liefern müssen, zu proper. Der Edle sucht den<br />

Ausgleich im vorgerichtlichen Stadium. Er lässt es zum<br />

Streit nicht kommen. Ist das ein Anwalt? Ist das eine An-<br />

Nein, wir wollen auch nicht stark<br />

sein, denn das wäre der größte<br />

Rückschritt für unser Rechtssystem<br />

wältin? Wären wir alle so, was wäre dann mit unserer Justiz?<br />

Mit den vielen schönen Zeitschriften, die immerfort Urteile<br />

abdrucken können, die jeder kennen soll? Mit den<br />

Gerichtsgebäuden, die kein Mensch mehr braucht – einschließlich<br />

des Wachpersonals ...? Was ist dann mit Justitia,<br />

wenn sie nichts mehr auf die Waage bekommt? Nein, wir<br />

sind nicht edel – wir wollen es ja auch nicht sein; viel mehr<br />

noch: wir dürfen es nicht sein, weil dann der anwaltliche<br />

Berufsstand neu erschaffen werden müsste – als der Stand<br />

der Interessenvertreter, die alle Register des Rechtsmittelrechts<br />

ziehen.<br />

Und sind wir stark? Streiten wir dann nicht zu viel? Das<br />

Recht des Stärkeren gilt gemeinhin nicht im Rechtsstaat.<br />

Wollen wir denn, dass unser Recht gilt? Nein, wir wollen<br />

auch nicht stark sein, denn das wäre der größte Rückschritt<br />

für unser Rechtssystem – und welche Rückschritte ein stolzes<br />

Rechtssystem in kurzer Zeit machen kann, sehen wir ja<br />

nun gerade auf der anderen Seite des Atlantik. Da wollen<br />

wir nicht hin – und dürfen da nicht hin – kein Guantanamo<br />

Bay, kein Homeland Security, keine No-Fly-Listen. Das verbietet<br />

uns unsere Verpflichtung als Diener im liberalen, positiv-freiheitlichen<br />

Rechtsstaat.<br />

Es steht somit final zu konstatieren: Wir Anwälte snd<br />

nicht edel und nicht stark. Es wäre sogar schlimm, wenn<br />

wir es wären.<br />

Das Ergenis verwundert denn auch nicht, gibt es doch so<br />

unendlich viele Eigenschaften, mit denen man die Anwältinnen<br />

und Anwälte beschreiben kann. Sie sind einfühlsam,<br />

aufbrausend, wirr und verwirrend, genial und genau, verschroben<br />

und leidenschaftlich, menschlich und – mehr als<br />

alles – andere individuell. Diese schier unerschöpfliche<br />

Vielfalt ist Quelle jeden Fortschritts. Kein mediales Simplifizierungsbestreben,<br />

auch einer noch so amüsanten und erfolgreichen<br />

Fernsehserie, mag das beseitigen können.<br />

Dr. Friedrich Blase, Frankfurt/Main


482<br />

MN<br />

Zwischenruf<br />

Einsatz für<br />

verfolgte Berufskollegen<br />

*<br />

Rechtsanwälte sind weltweit in<br />

der Menschenrechtsbewegung besonders<br />

aktiv und darum auch besonders<br />

gefährdet. Sie übernehmen<br />

aktive Rollen in den Nichtregierungsorganisationen<br />

und Oppositionsgruppen<br />

in Unrechtsstaaten und<br />

sie verteidigen in vielen Fällen deren<br />

Opfer. Unterstützung von ihren meist<br />

gleichgeschalteten und regierungstreuen<br />

Standesorganisationen haben<br />

sie nicht zu erwarten. Umso mehr<br />

sind sie auf Hilfe von Außen angewiesen.<br />

Ganz generell gilt: In Sachen<br />

Demokratie werden wir weltweit<br />

nur weiterkommen, wenn wir<br />

uns mit denen verbinden, die in diesen<br />

Staaten für diese Ziele kämpfen.<br />

Anwälte sind für Unrechtsregime<br />

in besonderer Weise gefährlich und<br />

unangenehm, weil sie sich auf<br />

Rechte berufen, die die Regime<br />

zwar stolz vor sich hertragen, aber<br />

nicht anwenden. Wir in Mitteleuropa<br />

können hier alle Erfahrungen<br />

einbringen, die wir mit den osteuropäischen<br />

Diktaturen gemacht haben.<br />

In vielen Fällen werden Anwälte,<br />

wenn sie sich für Opfer einsetzen,<br />

selbst zum Opfer. Der sudanesische<br />

Anwalt Ghazi Suleiman z. B. wurde<br />

etwa 30-mal in den letzten Jahren<br />

verhaftet und gefoltert – und kämpft<br />

weiter. In nicht seltenen Fällen verschwinden<br />

Anwälte ohne Gerichtsverfahren.<br />

Ihre Berufsausübung<br />

wird ihnen verboten. Sie sind ganz<br />

auf sich allein gestellt. Hilfe durch<br />

öffentliche Meinung und freie<br />

Presse sind nicht zu erwarten. Neben<br />

Journalisten gehören Anwälte zu<br />

den gefährdesten Personen in<br />

Unrechtsstaaten. Viele von ihnen<br />

verstehen sich als „Menschenrechtsverteidiger“<br />

im Sinne der wichtigen<br />

VN-Revolution von 1998.<br />

Wir sollten ihnen Unterstützung<br />

und Hilfe leisten, auch unter Inanspruchnahme<br />

des Internets. Es ist<br />

schon wichtig, wenn sie Gesprächspartner<br />

haben, mit denen sie sich<br />

austauschen können. Auch die<br />

Nichtregierungsorganisationen, wie<br />

Amnesty, unterhalten zahlreiche<br />

Kontakte zu Anwälten in vielen<br />

Rechtsanwalt Gerhart R. Baum, Bundesminister<br />

a. D., war bis 1994 Bundestagsabgeordneter,<br />

von 1993 bis 1998<br />

Leiter der Deutschen Delegation in der<br />

VN-Menschenrechtskommission sowie<br />

Berichterstatter für Menschenrechte im<br />

Sudan der VN (2001 bis 2003).<br />

Ländern. Diese Kontakte sollten genutzt<br />

werden – vor allem auch durch<br />

einzelne Anwälte in den Demokratien<br />

(Patenschaften!).<br />

Immer wieder stoße ich bei den<br />

Menschenrechtsverteidigern auf Unverständnis,<br />

dass in den westlichen<br />

Demokratien – insbesondere nach<br />

dem 11. September – die Rechte von<br />

verdächtigen Personen, Angeklagten<br />

und Verteidigern eingeschränkt werden,<br />

und zwar dergestalt, dass die<br />

Grundprinzipien des Rechtsstaats verletzt<br />

werden. Hier werden die deutschen<br />

Sicherheitspakete ebenso erwähnt,<br />

wie der Patriot-Act in den<br />

USA und andere Gesetze in anderen<br />

Ländern. Wir können den Diktaturen<br />

in aller Welt keinen größeren Gefallen<br />

tun, als dass wir selbst beginnen, die<br />

Menschenrechte und das Völkerrecht<br />

zu relativieren und das Strafrecht<br />

durch Kriegsrecht zu ersetzen. Damit<br />

werden die Menschenrechtsverteidiger<br />

noch schutzloser!<br />

Rechtsanwalt Gerhart R. Baum,<br />

Köln<br />

* Kurzstatement in dem Expertengespräch<br />

„Rechtsanwälte im Einsatz für die Menschenrechte“<br />

am 21.5.2004 auf dem Deutschen Anwaltstag<br />

in Hamburg.<br />

Expertengespräch<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Anwaltstag 2004<br />

Rechtsanwälte<br />

und Menschenrechte<br />

Unter dem Motto „Rechtsanwälte<br />

im Einsatz für verfolgte Berufskollegen“<br />

stand auf dem 55. Deutschen<br />

Anwaltstag am 21. Mai 2004 ein Expertengespräch<br />

der Freiburger Kommission<br />

für Menschenrechte des Vereins<br />

der Richter und Staatsanwälte und<br />

des <strong>Anwaltverein</strong>s Freiburg.<br />

Mord, Angriffe gegen die eigene<br />

Person und gegen Familienangehörige<br />

sowie die Verweigerung der Aufklärung<br />

solcher Verbrechen kennzeichnen<br />

weltweit den Berufsalltag von zahlreichen<br />

Kollegen und Kolleginnen, die<br />

sich für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen<br />

einsetzen. Der positiven<br />

Entwicklung einer verstärkten<br />

Strafverfolgung von Menschenrechtsverbrechen<br />

steht die erhöhte Gefährdung<br />

von Rechtsanwälten, Richtern<br />

und Staatsanwälten gegenüber, die die<br />

Verantwortung von Regierungen, Militär<br />

und Polizei für diese Verbrechen<br />

aufdecken.<br />

Bericht von Rechtsanwältin<br />

Estela Lopez<br />

Die Freiburger Kommission für<br />

Menschenrechte des Vereins der Richter<br />

und Staatsanwälte und des <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Freiburg hat beim Deutschen<br />

Anwaltstag in Hamburg zum zweiten<br />

Mal eine Veranstaltung mit einer verfolgten<br />

Berufskollegin durchgeführt:<br />

Rechtsanwältin Estela Lopez aus Guatemala<br />

hat die gefährliche Anwaltstätigkeit<br />

in Strafverfahren gegen<br />

höchste Verantwortliche der früheren<br />

Regierungen geschildert. Nach einem<br />

Mordversuch gegen ihren Vater und<br />

Angriffen gegen sie selbst musste sie<br />

das Land verlassen. Durch die Unterstützung<br />

von Kollegen in Spanien fand<br />

sie dort Aufnahme und die Möglichkeit<br />

einer Tätigkeit an der Universität.<br />

Bereits am 09.12.1998 hat die Vollversammlung<br />

der Vereinten Nationen<br />

eine Erklärung verabschiedet, in welcher<br />

Regierungen, Nichtregierungsorganisationen,<br />

Institutionen und Einzelpersonen<br />

aufgerufen werden,<br />

konkrete Maßnahmen zum Schutz von<br />

Menschenrechtsverteidigern zu ergreifen.


AnwBl 8 + 9/2004 483<br />

Anwaltstag 2004 MN<br />

Menschenrechtsverteidiger sind oft<br />

Rechtsanwälte, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen<br />

vertreten.<br />

Ihre Tätigkeit kann vor Ort politisch,<br />

diplomatisch und finanziell unterstützt<br />

werden, damit sie so lange wie<br />

möglich ihren Einsatz für Menschenrechte<br />

fortsetzen können. Für solche<br />

Kollegen, die an Leib und Leben bedroht<br />

sind, sollten jedoch Bedingungen<br />

in den Nachbarländern und auch bei<br />

uns geschaffen werden, unter denen<br />

sie zeitweilig Zuflucht finden und ihre<br />

menschenrechtlichen Aktivitäten fortsetzen<br />

können.<br />

Umsetzung der Resolution<br />

der Vereinten Nationen<br />

Die Menschenrechtsbeauftragte der<br />

Bundesregierung, Claudia Roth, hat<br />

angekündigt, zur Umsetzung der Resolution<br />

der Vereinten Nationen Bund,<br />

Länder und Kommunen zur Unterstützung<br />

von Menschenrechtsverteidigern<br />

aufzurufen.<br />

Die Podiumsteilnehmer der Hamburger<br />

Veranstaltung, der Präsident<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Hartmut<br />

Kilger, die ehemaligen Minister Sabine<br />

Leutheusser Schnarrenberger und<br />

Gerhart Baum sowie der Direktor des<br />

Deutschen Instituts für Menschenrechte<br />

Heiner Bielefeldt haben ihre<br />

Unterstützung für dieses Projekt zugesagt.<br />

Aktive Solidarität von Berufskollegen<br />

bedeutet eine wichtige persönliche<br />

Stärkung für deren Arbeit und in Extremfällen<br />

die Rettung des Lebens der<br />

Kollegen.<br />

Rechtsanwalt Dr. Konstantin Thun,<br />

Freiburg<br />

Kollegen und Kolleginnen, die auf<br />

örtlicher Ebene Interesse an der Unterstützung<br />

des Projektes haben,<br />

können weitere Informationen beim<br />

Autor (Gartenstraße 30, 79098 Freiburg;<br />

RA.Dr.Thun@beckert-thun.de)<br />

erhalten. Die Dokumentation der<br />

Menschenrechtsveranstaltung ist auf<br />

der Website des Freiburger <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

eingestellt (www.freiburgeranwaltver<br />

ein.de)<br />

Pressearbeit<br />

Anwaltstag 2004<br />

mit großer<br />

Medienresonanz<br />

Der 55. Deutsche Anwaltstag in<br />

Hamburg wurde durch eine intensive<br />

Pressearbeit begleitet. Dies ist notwendig,<br />

da sich so die Anwaltschaft<br />

mit ihren Themen einer breiten Öffentlichkeit<br />

darstellen kann. Aus diesem<br />

Grund wurden Journalistinnen<br />

und Journalisten, insbesondere die,<br />

die sich der Rechtspolitik widmen und<br />

die Korrespondenten der Tageszeitungen<br />

und Agenturen vor Ort eingeladen,<br />

am DAT teilzunehmen, sowie<br />

eine Pressekonferenz angeboten.<br />

Bei der diesjährigen Pressekonferenz<br />

wurden die Vorstellungen des<br />

DAV zu einem Rechtsberatungsgesetz,<br />

die Situation der Anwaltschaft mit der<br />

Forderung einer eigenen echten<br />

Anwaltsausbildung und die Forderung,<br />

dass es keine Terrorismusbekämpfung<br />

durch Ausländerrecht geben dürfe,<br />

thematisiert. Diese Themen erlangten<br />

umfangreichen Eingang in die Berichterstattung.<br />

Das ausländerrechtliche Thema war<br />

von höchster Aktualität, da während<br />

des DAT die Diskussion um dieses<br />

Thema in die Endphase des Ringens<br />

um einen Kompromiss im Zuwanderungsgesetz<br />

stattfand und ein Treffen<br />

der CDU-Vorsitzenden und des<br />

Bundeskanzlers in der Folgewoche anstand.<br />

Live-Übertragung auf Phoenix<br />

Intensiv wurde, so die Schau der<br />

Themen der Berichterstattung, über die<br />

„Themenblöcke“ „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

bei diesem DAT ebenso berichtet,<br />

wie über einzelne Veranstaltungen<br />

der Arbeitsgemeinschaften und der<br />

Ausschüsse. Vor allem wurde von der<br />

Zentralveranstaltung berichtet, die live<br />

von Phoenix – ebenso wie das aktuelle<br />

Thema „Terrorismusbekämpfung durch<br />

Ausländerrecht“ – übertragen wurde.<br />

Auf Grund der Auswertung wissen<br />

wir, dass explizit auf den Deutschen<br />

Anwaltstag in 580 Artikeln im Mai<br />

und 47 Online-Meldungen im Juni Bezug<br />

genommen wurde. Dabei wurde<br />

der DAT in 13.050.397 Exemplaren<br />

von Zeitungen und Zeitschriften wiedergegeben.<br />

Dies ergibt einen Anzeigen-Äquivalenzwert<br />

von nahezu<br />

300.000 E. Bei diesem Wert handelt es<br />

sich um die Kosten, die entstehen<br />

würden, wenn man Anzeigen buchen<br />

würde, um die gleiche Öffentlichkeitswirkung<br />

zu erzielen.<br />

Neben diesen Print- und Online-<br />

Meldungen konnten wir feststellen,<br />

dass über den DAT in 46 TV-Sendungen<br />

und 113 Hörfunkbeiträgen berichtet<br />

wurde. So informierte nahezu jede<br />

Tagesschau an allen Tagen über die<br />

Themen des DAT und zahlreiche<br />

„heute“-Sendungen des ZDF sowie die<br />

Tagesthemen und das heute-Journal.<br />

Hinzu kamen Beiträge in den „Dritten<br />

Programmen“ der ARD.<br />

Beim DAT waren insgesamt 92<br />

Journalistinnen und Journalisten aller<br />

großen überregionalen und regionalen<br />

Tageszeitungen und Magazine akkreditiert.<br />

Die Hörfunkberichterstattung<br />

wurde vom Norddeutschen Rundfunk,<br />

dem Bayerischen Rundfunk und dem<br />

Westdeutschen Rundfunk gewährleistet,<br />

die ihre Beiträge auch ARD-weit<br />

angeboten haben. Auch der Deutschlandfunk<br />

berichtete über die Themen.<br />

Über Agenturmeldungen von “Bloomberg<br />

news“ in englischer Sprache<br />

wurde auch die ausländische Presse<br />

über die wichtigen und zentralen Themen<br />

der Anwaltschaft in Deutschland<br />

informiert.<br />

Auch die Nachrichtenagenturen ddp,<br />

dpa und AP berichteten in zahlreichen<br />

Meldungen über den DAT.<br />

Gut besuchte Pressekonferenz: Am Rednerpult DAV-Präsident Hartmut Kilger.


484<br />

MN<br />

Von besonderem Interesse war<br />

auch, dass der CDU-Politiker Heiner<br />

Geißler die Antiterrorpolitik der USA<br />

in seinem Festvortrag in diesem Heft<br />

während der Zentralveranstaltung, der<br />

unter dem <strong>Titel</strong> „Sicherheit und Ordnung<br />

auf Kosten der Freiheit“ stand,<br />

scharf kritisierte.<br />

Pressespiegel<br />

Über die Situation der Anwaltschaft<br />

schreibt beispielsweise die FAZ<br />

am 19. Mai: „Wenn der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

(DAV) vom Himmelfahrtstag<br />

an in Hamburg zum 55. Deutschen<br />

Anwaltstag bittet, dann geht es um<br />

nichts Geringeres als die Zukunft der<br />

Anwaltschaft. Bröckelnde Einnahmen,<br />

die bevorstehende Novelle des Rechtsberatungsgesetzes,<br />

Brüssler Attacken<br />

gegen staatliche Gebührenregelungen<br />

– zu Zeiten habe man ,schon mit mehr<br />

Optimismus in die Zukunft gesehen<br />

als jetzt‘, sagte DAV-Präsident Hartmut<br />

Kilger dieser Zeitung.“<br />

Eine Möglichkeit, eine Lösung herbeizuführen,<br />

wäre, den Berufsnachwuchs<br />

besser auszubilden, meldet die<br />

Nachrichtenagentur ddp am 20. Mai:<br />

„Die deutschen Rechtsanwälte wollen<br />

mit einer einjährigen Zusatzausbildung<br />

das Können ihres beruflichen Nachwuchses<br />

verbessern. ,Auf dem sich verengenden<br />

Markt sind viele junge Anwälte<br />

nicht für ihren Beruf hinreichend<br />

ausgebildet‘, sagte der Präsident des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (DAV), Hartmut<br />

Kilger, am Donnerstag auf dem 55.<br />

Deutschen Anwaltstag in Hamburg.“<br />

Zum gleichen Thema meldet AP<br />

am selben Tag: „Um die Zahl der<br />

Rechtsanwälte in Deutschland langfristig<br />

zu vergrenzen, hat der Deutsche<br />

<strong>Anwaltverein</strong> eine eigene Berufsausbildung<br />

gefordert. Von 1972 bis heute<br />

habe sich die Zahl der Rechtsanwälte<br />

auf 130.000 verfünffacht, sagte DAV-<br />

Präsident Hartmut Kilger am Donnerstag<br />

beim Deutschen Anwaltstag in<br />

Hamburg.“<br />

Das Rechtsberatungsgesetz und der<br />

DAV-Vorschlag hierzu fand ebenfalls<br />

Eingang in die Berichterstattung. So<br />

schreibt die Süddeutsche Zeitung am<br />

21. Mai: „Der DAV hat Wiederstand<br />

gegen eine radikale Liberalisierung der<br />

Rechtsberatung angekündigt. Die rechtliche<br />

Beratung müsse grundsätzlich der<br />

Anwaltschaft vorbehalten bleiben,<br />

sagte DAV-Präsident Hartmut Kilger<br />

zum Beginn des Anwaltstages in Hamburg.<br />

Vor den etwa 1.500 Teilnehmern<br />

wandte sich Kilger vor allem gegen<br />

die Wünsche von Banken und Versicherungen,<br />

bei der anstehenden Re-<br />

form des Rechtsberatungsgesetzes eigene<br />

Befugnisse zu bekommen.“<br />

Ähnlich berichtet die FAZ am selben<br />

Tag: „Widerstand kündigte Kilger gegen<br />

Pläne der Bundesregierung an, das gesetzliche<br />

Rechtsberatungsmonopol zu<br />

lockern. Dies dürfe nicht auf die Vertretung<br />

vor Gericht beschränkt werden.“<br />

Dass der DAV sich gegen eine pauschale<br />

Ausweitung der Rechtsberatung<br />

in Deutschland wehrt, vermeldeten die<br />

Agenturen.<br />

Die Kritik des DAV am Zuwanderungsgesetz<br />

wurde ebenfalls zahlreich<br />

wiedergegeben. So zum Beispiel<br />

die Süddeutsche Zeitung: „Der Deutsche<br />

<strong>Anwaltverein</strong> hat die geplante<br />

Verschärfung des Ausländerrechts zur<br />

leichteren Ausweisung von Terrorverdächtigen<br />

scharf kritisiert. ,Das vorhandene<br />

rechtliche Instrumentarium<br />

für die Ausweisung verurteilter Straftäter<br />

reicht aus‘, sagt Rechtsanwalt<br />

Victor Pfaff, Mitglied des DAV-Ausschusses<br />

,Ausländer- und Asylrecht‘<br />

am Donnerstag beim Deutschen Anwaltstag<br />

in Hamburg. Die geplante<br />

Abschiebungsanordnung durch das<br />

Bundesinnenministerium auf Grund einer<br />

„Terrorprognose“ bedeute eine Abkehr<br />

von rechtsstaatlichen Prinzipien.“<br />

Zum gleichen Thema meldet das<br />

Handelsblatt am 21. Mai: „Die Juristen<br />

sind zunehmend besorgt, dass der<br />

Rechtsstaat immer weiter ausgehöhlt und<br />

das Leben von Ausländern in Deutschland<br />

ohne Grund erschwert wird.<br />

,Deutschland brauche kein Guantanamo,<br />

auch nicht im Ausländerrecht‘, teilte der<br />

Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

(DAV) Hartmut Kilger, gestern in einer<br />

Presseerklärung mit.“<br />

Der innenpolitische Sprecher der<br />

SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz,<br />

hat beim DAT die Ausweisung<br />

Motassadeq und Mzoudi gefordert,<br />

vermeldeten u. a. Die Welt am<br />

22. Mai und die dpa am 21. Mai.<br />

Insbesondere die Berichterstattung<br />

über die „Anwaltschwemme“, die Juristen-<br />

und Anwaltsausbildung und die<br />

Diskussion um das Rechtsberatungsgesetz<br />

zeigt, dass mit Hilfe des jährlichen<br />

DAT es möglich ist, die Themen,<br />

die die Anwaltschaft besonders beschäftigen,<br />

der Öffentlichkeit zu vermitteln.<br />

Schon in der Vorberichterstattung<br />

gab der DAV-Präsident Interviews<br />

der Süddeutschen Zeitung, der FAZ,<br />

dem Handelsblatt und der Financial Times<br />

Deutschland.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />

Berlin<br />

Zentralveranstaltung<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Anwaltstag 2004<br />

Treffpunkt<br />

Anwaltstag 2004<br />

Sehen und gesehen werden. Auch<br />

das gehört zum Deutschen Anwaltstag.<br />

Doch der Anwaltstag ist keinesfalls<br />

nur für Anwälte und Anwältinnen<br />

ein Forum. Auch Vertreter der Politik,<br />

der Justiz und der Presse kommen.<br />

Die Bilder auf dieser Seite sind am<br />

Rande der Zentralveranstaltung am<br />

22. Mai 2004 entstanden. Die Eröffnungsrede<br />

von DAV-Präsident Hartmut<br />

Kilger sowie das Grußwort von<br />

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />

hat das <strong>Anwaltsblatt</strong> im Juli-<br />

Heft veröffentlicht. Den Festvortrag<br />

von Dr. Heiner Geißler finden Sie in<br />

diesem Heft<br />

DAV-Vizepräsident Dr. Hans C. Lühn (r.)<br />

hörte aufmerksam dem ehemaligen DAV-<br />

Präsidenten Dr. Günter Schardey zu.<br />

DAV-Vizepräsidentin Verena Mittendorf<br />

(r.) traf Prof. Dr. Ninon Colneric, Richterin<br />

am Europäischen Gerichtshof Luxemburg.<br />

Gut gelaunt: Bundesjustizministerin<br />

Brigitte Zypries und DAV-Vizepräsident<br />

Georg Prasser.


AnwBl 8 + 9/2004 485<br />

Anwaltstag 2004 MN<br />

Im Gespräch: DAV-Präsident Hartmut Kilger (rechts) mit Jerzy<br />

Montag, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die<br />

Grünen.<br />

DAV-Vizepräsident Rembert Brieske (r.)<br />

sprach mit Rainer Funke, rechtspolitischer<br />

Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.<br />

Tauschten Gedanken aus: Die Justizministerin aus Schleswig-<br />

Holstein Anne Lütkes (Bündnis90/Die Grünen) und Generalbundesanwalt<br />

Kay Nehm.<br />

Bundesjustizministerin Brigitte<br />

Zypries (rechts) wurde<br />

nicht nur von DAV-Präsident<br />

Hartmut Kilger (hinten rechts)<br />

begrüßt, sondern auch von DAV-<br />

Vizepräsidentin Verena Mittendorf<br />

(links) und Sibylle Kilger,<br />

Ehefrau des DAV-Präsidentin.<br />

Gelassen kämpferisch in Hamburg: Festredner Dr. Heiner Geißler (links) mit Dr. Norbert<br />

Röttgen, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, und mit dem <strong>Anwaltsblatt</strong>-Herausgeber<br />

und ehemaligen DAV-Präsidenten Felix Busse (rechts).


486<br />

MN<br />

5 %<br />

Diskussion über Vergütungsordnungen<br />

und Rechtsberatungsgesetz<br />

Spitzengespräch mit den Präsidien von FDP und des<br />

Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB)<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> ist<br />

Mitglied im Bundesverband der Freien<br />

Berufe (BFB) und arbeitet dort aktiv<br />

mit. Ende Juni 2004 nahmen DAV-Präsident<br />

Hartmut Kilger und DAV-Vorstandsmitglied<br />

Dr. Wolfgang Ewer, zugleich<br />

Vizepräsident des BFB, an<br />

einem Spitzengespräch mit dem Präsidium<br />

der FDP teil.<br />

Bei dem Spitzengespräch ging es<br />

um Themen, die die Freien Berufe derzeit<br />

besonders bewegen.<br />

Im Fokus des Gespräches standen<br />

u. a. die Honorar- und Gebührenordnungen<br />

der Freien Berufe, welche bei<br />

der FDP differenziert gesehen werden:<br />

Im Bereich der rechtsanwaltlichen<br />

Gebührenordnungen hält man diese<br />

bei der FDP in allen gerichtlichen Angelegenheiten<br />

für erforderlich. DAV-<br />

Präsident Hartmut Kilger und BFB-Vizepräsident<br />

Dr. Wolfgang Ewer<br />

stellten heraus, dass die rechtsanwaltliche<br />

Gebührenordnung gerade dem<br />

Verbraucher einen entsprechenden<br />

Schutz gewährt, indem er die für ihn<br />

entstehenden Kosten im Vorhinein abschätzen<br />

könne. Auch wenn die FDP<br />

entsprechend ihren liberalen Grundsätzen<br />

generell mehr Wettbewerb und<br />

Freiheit bei den Honorarvereinbarungen<br />

forderte, betonte ihr Vorsitzender<br />

Westerwelle, dass man gleichwohl keine<br />

„amerikanischen Verhältnisse“ in<br />

Deutschland wolle.<br />

Im Zuge der sich anschließenden<br />

Diskussion um das neue Rechtsberatungsgesetz<br />

warnte die BFB-Seite eindringlich<br />

vor der Gefahr einer Auflösung<br />

der freiberuflichen Beratung und<br />

appellierte an die Gesprächspartner,<br />

dass der Verbraucherschutz und die Gewähr<br />

eines unparteiischen Rechtsrates<br />

nicht zugunsten der Liberalität aufgegeben<br />

werden dürfe. Dr. Wolfgang Gerhardt<br />

wies darauf hin, dass sich die Gesellschaft<br />

– und so auch die Freien<br />

Berufe – in einem konstanten Veränderungsprozess<br />

befänden, bei dem der<br />

Erwerbsgedanke mehr und mehr in den<br />

Vordergrund rücke.<br />

Dr. Ewer betonte gegenüber der<br />

FDP, dass sich die Freien Berufe selbst<br />

nicht als „Zunftmeister“ verstanden<br />

wissen wollten, aber sie gäben eine<br />

Gewähr für die Qualität ihrer Dienstleistungen,<br />

verbunden mit weiteren<br />

positiven Attributen wie Verschwiegenheit<br />

und Unabhängigkeit. Dabei<br />

würden sich die Freien Berufe selbst<br />

in ihren internen Strukturen die Frage<br />

stellen, welches Maß an Regulierung<br />

für den Leistungserbringer auf der einen<br />

und den Verbraucher auf der anderen<br />

Seite aufrechterhalten werden<br />

müsse. Auf dieses Statement hin ermunterte<br />

Rainer Brüderle die Freien<br />

Berufe zu einem offensiven Vorausgehen<br />

an Stelle eines „Abwehrkampfes“.<br />

Kurz nach den Europawahlen stand<br />

natürlich das Thema Europa auch ganz<br />

oben auf der Tagesordnung: In seinen<br />

Ausführungen nahm BFB-Präsident<br />

Dr. Ulrich Oesingmann, der Allgemeinmediziner<br />

ist, insbesondere Bezug<br />

auf die europäischen Richtlinienentwürfe<br />

zur Berufsanerkennung und<br />

zu den Dienstleistungen im europäischen<br />

Binnenmarkt, welche die Freien<br />

Berufe in vielerlei Hinsicht betreffen.<br />

Speziell zu Letzterer stellte er heraus,<br />

dass die Freien Berufe in Deutschland<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

von Ihren beruflichen Qualifikationsniveaus<br />

im europäischen Vergleich<br />

führend sind und warnte vor Qualitätsverlusten<br />

oder einer Inländerdiskriminierung.<br />

Kritisch nahm er überdies die generelle<br />

und übergangslose Geltung des<br />

Ursprungslandprinzips ins Visier, bei<br />

dem auch die FDP entsprechende<br />

Klarstellungen für erforderlich hält.<br />

Wenn es bei dem uneingeschränkten<br />

Ursprungslandprinzip bliebe, so Dr.<br />

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,<br />

Europaexpertin der FDP, bliebe die<br />

mögliche Einheitlichkeit der Qualifikationsniveaus<br />

bei den Leistungserbringern<br />

auf der Strecke, die letztlich<br />

zulasten des Verbrauchers gehen<br />

könne. Wegen der von beiden Seiten<br />

gesehenen Dringlichkeit dieser Fragen<br />

regte Parteichef Westerwelle eine vertiefende<br />

Behandlung der europarelevanten<br />

Themen mit den neugewählten<br />

Europapolitikern der FDP möglichst<br />

noch vor der konstituierenden Sitzung<br />

des europäischen Parlaments an.<br />

Das Zusammentreffen leistete einen<br />

weiteren Beitrag, die guten Beziehungen<br />

zwischen FDP und Freien Berufen<br />

auf nationaler Ebene zu festigen<br />

und bot gleichzeitig die Perspektive,<br />

sie auf der europäischen Ebene auszubauen.<br />

Neben den Gesprächen auf<br />

der Sachebene wurde eine Fortsetzung<br />

des Austauschs auf präsidialer Ebene<br />

im Winter diesen Jahres vereinbart.<br />

Janine Kley, Berlin<br />

Rainer Brüderle, Dieter Ulrich (BFB), Dr. Klaus Heilgeist (BFB), Dr. Wolfgang Ewer<br />

(BFB-Vizepräsident), Cornelia Pieper, Dr. Ulrich Oesingmann (BFB-Präsident), Dr. Guido<br />

Westerwelle, Hartmut Kilger (DAV-Präsident), Dr. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,<br />

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Hermann-Otto Solms (v. l. n. r.)


AnwBl 8 + 9/2004 487<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Pressemitteilungen<br />

Anwälte lehnen Großen<br />

Lauschangriff kategorisch<br />

ab!<br />

Missachtung des<br />

Bundesverfassungsgerichts<br />

Das Bundesministerium der Justiz<br />

will den Großen Lauschangriff bei<br />

Rechtsanwälten, Ärzten, Priestern und<br />

Journalisten ermöglichen. Der Deutsche<br />

<strong>Anwaltverein</strong> (DAV) lehnt diese<br />

Pläne kategorisch ab. Der Staat habe<br />

kein Recht, sich in das Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Anwälten und Mandanten<br />

einzumischen. Zeugnisverweigerungsberechtigte<br />

Berufe müssen<br />

vom Lauschangriff ausgenommen werden,<br />

damit Rat suchende Menschen in<br />

dieser Gesellschaft eine letzte<br />

Rückzugsmöglichkeit haben. Nach<br />

Ansicht des DAV geht es hier allein<br />

um die Rechte der Mandanten, um die<br />

Erhaltung von Bürgerrechten. Rat suchende<br />

Menschen müssen sich darauf<br />

verlassen können, dass sie sich ihrem<br />

anwaltlichen Berater rückhaltlos anvertrauen<br />

können. Zudem stellt der Referentenentwurf<br />

des Bundesjustizministeriums<br />

vom 23. Juni 2004 eine grobe<br />

Missachtung des Bundesverfassungsgerichtsurteils<br />

vom 3. März 2004 zum<br />

Großen Lauschangriff dar.<br />

Zwar greife der Referentenentwurf<br />

auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts,<br />

die diese zum Schutz der Intimsphäre<br />

der Bürger gemacht hat,<br />

auf. Generell geht die Tendenz des Referentenentwurfs<br />

aber dahin, dass der<br />

Große Lauschangriff (würde er Gesetz)<br />

gegenüber der bestehenden – in<br />

weiten Teilen verfassungswidrigen –<br />

Gesetzeslage ausgeweitet würde.<br />

„Damit pervertiert der <strong>Entwurf</strong> geradezu<br />

die vom Bundesverfassungsgericht<br />

getroffene Grundsatzentscheidung<br />

zu Gunsten eines unantastbaren<br />

Kerns privater Intimsphäre und damit<br />

der Menschenwürde“, erklärt Rechtanwalt<br />

Georg Prasser, Vizepräsident<br />

des DAV. „Es ist kaum zu glauben,<br />

dass der Referentenentwurf aus dem<br />

Bundesjustizministerium, das schließlich<br />

auch Verfassungsministerium ist,<br />

stammt“, so Prasser weiter. Er greife<br />

zwar den Buchstaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils<br />

auf, ignoriere<br />

der Sache nach aber das Bundesverfassungsgericht.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. v. 8.7.2004<br />

(siehe auch den Bericht aus Berlin auf<br />

Seite IV in diesem Heft)<br />

Bremischer <strong>Anwaltverein</strong><br />

Bürgermeister gratulierte<br />

zum 125-jährigen<br />

Jubiläum<br />

Einsatz bei der kostenlosen<br />

Rechtsberatung gewürdigt<br />

Am 4. Juli 2004 wurde der Bremische<br />

Anwaltsverein 125 Jahre alt.<br />

Die Feierlichkeiten aus diesem Anlass<br />

– darunter ein Festakt – fanden<br />

am 2. Juli 2004 statt.<br />

Zu dem Festakt, der in der Kunsthalle<br />

zu Bremen stattfand, waren<br />

viele Gäste aus der gesamten Bundesrepublik<br />

Deutschland erschienen.<br />

Der DAV war zahlreich vertreten.<br />

An der Spitze der Delegation standen<br />

Präsident Hartmut Kilger und<br />

der Hauptgeschäftsführer Dr. Dierk<br />

Mattik. Die Ansprache hielt der bremische<br />

Bürgermeister und Senator<br />

für Justiz und Verfassung Dr. Henning<br />

Scherf. Er würdigte dabei insbesondere<br />

den Einsatz der Mitglieder<br />

des Bremischen Anwaltsvereins<br />

im Rahmen der kostenlosen Rechtsberatung<br />

für bedürftige Bürgerinnen<br />

und Bürger, den anwaltlichen Notdienst<br />

und die Mitwirkung in der<br />

Referendarausbildung. Der Präsident<br />

des Deutschen Anwalt Vereins, Hartmut<br />

Kilger, der Präsident des Hanseatischen<br />

Oberlandesgerichts Bremen,<br />

Dr. Jörg Bewersdorf, und der<br />

Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer<br />

Bremen, Erich Joes-<br />

ter, richteten Grußworte an die in der<br />

Kunsthalle versammelten Gäste. Sie<br />

wiesen u. a. darauf hin, dass der Bremische<br />

Anwaltsverein einer der ältesten<br />

deutschen <strong>Anwaltverein</strong>e sei.<br />

Den Festvortrag mit der Überschrift<br />

„Der Anwalt im Wandel der<br />

Zeiten“ hielt das langjährige Mitglied<br />

des Vorstandes des Bremischen<br />

Anwaltsvereins und Vizepräsident<br />

des DAV, Herr Rechtsanwalt Rembert<br />

Brieske. Er präsentierte den Gedanken,<br />

Richter und Staatsanwälte<br />

könnten in Verfahren mit Prozesskostenhilfe<br />

bzw. Pflichtverteidigun-<br />

Feierten das 125-jährige Jubiläum: Der Bremer Bürgermeister Dr. Henning<br />

Scherf, DAV-Präsident Hartmut Kilger, der Vorsitzende des Bremischen Anwaltsvereins<br />

Dieter Janßen und DAV-Vizepräsident Rembert Brieske (v.l.n.r.).<br />

gen auf Teile ihres üblichen Gehaltes<br />

verzichten, ebenso wie die in<br />

solchen Verfahren tätigen Rechtsanwälte<br />

auf Teile der sonst für sie<br />

üblichen Vergütung verzichten<br />

müssten. Begleitet wurde der Festakt<br />

durch das Trio „Passing Time“, das<br />

zwischen den einzelnen Teilen des<br />

Festaktes einen musikalischen Streifzug<br />

durch die letzten 125 Jahre lieferte.<br />

Nach dem kommunikativen Ausklang<br />

im Foyer der Kunsthalle und<br />

einer Zeit zur Erholung am NachmittagfolgteamAbendindemimGebäude<br />

des Landgerichts Bremen befindlichen<br />

Restaurationsbetriebes<br />

Salomon’s der „gemütliche Teil“ des<br />

Tages. Auch hier waren wiederum<br />

viele – auch auswärtige – Gäste erschienen.<br />

Rechtsanwalt Dieter Janssen, Vorsitzender<br />

des Bremischen Anwaltsvereins


488<br />

MN<br />

Pressemitteilungen<br />

DAVgegen<br />

Zusammenlegung von<br />

Gerichtsbarkeiten<br />

Anwälte zur Justizministerkonferenz<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> (DAV)<br />

sieht die Überlegungen der Justizministerkonferenz<br />

(JuMiKo), die Sozial-,<br />

Finanz- und Verwaltungsgerichte<br />

zusammenzulegen, mit großer Skepsis.<br />

Dies gelte insbesondere dann, wenn es<br />

mit organisatorischen Maßnahmen<br />

ohne die Schaffung einer einheitlichen<br />

Prozessordnung kommt.<br />

Das Grundgesetz differenziere in<br />

Artikel 95 zwischen Verwaltungs-, Finanz-,<br />

Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit.<br />

Auch daraus werde deutlich, dass<br />

die einzelnen Gerichtszweige sich<br />

bundesweit voneinander unterscheiden.<br />

Es sei leider festzustellen, dass<br />

alle Länder auch im Bereich der Justizhaushalte<br />

Einsparungen vornehmen<br />

wollen. Dies dürfe nach Ansicht des<br />

DAV allerdings nicht auf Kosten eines<br />

effektiven Rechtsschutzes für die<br />

Bürger geschehen.<br />

Gegen eine Zusammenlegung spreche<br />

auch, dass auf die Sozialgerichtsbarkeit<br />

nicht nur mehr Klagen zukommen,<br />

sondern auch immer mehr<br />

Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung.<br />

Die mit der Agenda 2010 eingeleiteten<br />

Reformschritte und zum Teil<br />

nachhaltigen Einschnitte provozieren<br />

Gerichtsverfahren: Gerichtsverfahren,<br />

in denen jenseits der Einzelfallproblematik<br />

grundsätzliche Fragen der Sozialstaatlichkeit,<br />

der Gleichbehandlung,<br />

der Berufsfreiheit, der Eigentumsfreiheit<br />

bis hin zu EU-Standards zur Diskussion<br />

stehen. Die Sozialgerichtsbarkeit<br />

hat nun die Aufgabe, nicht nur<br />

hochkomplizierte, sondern zum Teil<br />

auch widersprüchliche gesetzliche<br />

Neuregelungen einer sehr gründlichen<br />

Überprüfung zu unterziehen.<br />

„Aus sozialstaatlicher Sicht macht<br />

es daher Sinn, diese den Reformprozess<br />

begleitende Rechtssprechung einer<br />

Fachgerichtsbarkeit mit dem Namen<br />

,Sozialgerichtsbarkeit‘ weiterhin<br />

zu übertragen“, so Dr. Dierk Mattik,<br />

Hauptgeschäftsführer des DAV in einer<br />

ersten Stellungnahme. In einer solchen<br />

Situation, diese Gerichtsbarkeit durch<br />

die Zusammenlegung mehrerer Gerichtsbarkeiten<br />

zu schwächen, sei mehr<br />

als kontraproduktiv.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. v. 17.6.2004<br />

<strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart<br />

Per Knopfdruck<br />

ins Landgericht<br />

Konstanz<br />

Pilotprojekt in Stuttgart und<br />

Rottweil gestartet<br />

Seit 1. Januar 2002 muss das kein<br />

Wunschdenken mehr sein. Mit der<br />

Zivilprozessreform wurden die gesetzlichen<br />

Voraussetzungen für die Videokonferenztechnik<br />

im Rahmen mündlicher<br />

Verhandlungen in allen Prozessordnungen<br />

(bis auf den Strafprozess)<br />

geschaffen. Beim <strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart<br />

läuft ein Projekt, das Vorbild für<br />

andere Vereine werden könnte.<br />

Kostenersparnis, Verfahrensbeschleunigung<br />

und -vereinfachung – da<br />

will der <strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart ansetzen.<br />

Von der Videokonferenztechnik<br />

verspricht man sich deutliche Effektivitätsgewinne<br />

für alle Verfahrensbeteiligten.<br />

Kostendruck ist in der Anwaltschaft<br />

das Thema Nummer eins. Durch<br />

weniger Reisen und eine optimale Ausnutzung<br />

der Zeitressourcen lassen sich<br />

Kosten reduzieren. Verfahren werden<br />

beschleunigt, da ausschließlich die<br />

reine Besprechungszeit bei der Terminierung<br />

berücksichtigt werden muss,<br />

nicht aber die oft stundenlangen Anund<br />

Abreisezeiten – Zeiten, zu denen<br />

nicht gearbeitet, also kein Umsatz erzielt<br />

werden kann.<br />

Auf Initiative des <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Stuttgart fand im Frühjahr 2004 in den<br />

Geschäftsräumen des Vereins ein<br />

Workshop zum Thema „Juristen-Breitbandnetz“<br />

statt. Teilnehmer waren die<br />

Alcatel SEL Stiftung, das Justizministerium<br />

Baden-Württemberg, das Fraunhofer-Institut<br />

für Arbeitswirtschaft und<br />

Organisation Stuttgart sowie die MediaKomm<br />

Begleitforschung. Die Praxisberichte<br />

sowohl aus richterlicher<br />

wie auch aus anwaltlicher Sicht standen<br />

anhand des Projektes „Virtuelles<br />

Verwaltungsgericht Sigmaringen“ –<br />

der Abschlussbericht (sehr lesenswert!)<br />

ist unter www.justiz.baden.wuerttem<br />

berg.de/vg/VGSIG/VKAbschlussbericht.<br />

doc abrufbar – im Mittelpunkt der Diskussion.<br />

Welche Verfahren sind für Videokonferenzen<br />

geeignet?<br />

„Welche Verfahren eignen sich<br />

überhaupt für die Videokonferenztech-<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

nik?“, fragten sich die Teilnehmer. Jedenfalls<br />

in verwaltungsgerichtlichen<br />

Verfahren, in denen sich die mündliche<br />

Verhandlung in der Regel auf den<br />

sachlichen Austausch der Argumente<br />

ohne Selbstdarstellung der Parteien beschränkt,<br />

hat sich die moderne Technik<br />

bereits bewährt. Auch in zivilrechtlichen<br />

Routineverfahren spricht nichts<br />

gegen „den Knopfdruck zum Gericht“.<br />

Es lässt sich darüber streiten, ob sich<br />

das Videoconferencing für Beweisaufnahmen<br />

eignet, wobei es sicher vorzugswürdig<br />

ist, einen Zeugen in der<br />

mündlichen Verhandlung zu hören als<br />

ihn im Wege der Rechtshilfe vernehmen<br />

zu lassen. In den USA werden<br />

Anhörungen von Untersuchungsgefangenen<br />

per Videokonferenz vorgenommen.<br />

In Italien ist das Videoconferencing<br />

auch im Strafverfahren zugelassen.<br />

Zumindest in einfachen Ordnungswidrigkeitenverfahren<br />

könnte die<br />

Technik viele unnötige Reisen ersparen.<br />

Musterverfahren vor LG Rottweil<br />

Was will der <strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart<br />

tun? Auf Dauer möchte er seinen<br />

Mitgliedern in der Geschäftsstelle des<br />

Vereins eine Videokonferenzanlage<br />

zur Nutzung zur Verfügung stellen.<br />

Für eine Übergangszeit von etwa einem<br />

Jahr ist mit der EnBW, die einen<br />

Videokonferenzraum in Stuttgart hat,<br />

eine Vereinbarung über die Nutzung<br />

der dortigen Anlage für die Mitglieder<br />

getroffen. Eine Auftaktveranstaltung<br />

in Form einer öffentlichen Verhandlung<br />

per Videokonferenz bei Anwesenheit<br />

interessierter Mitglieder und<br />

der Presse wird die Vorteile moderner<br />

Medientechnik im gerichtlichen Bereich<br />

unter Beweis stellen. Der Präsident<br />

des Landgerichts Rottweil hat<br />

sich bereit erklärt, eine solche Veranstaltung<br />

durchzuführen. Die Verhandlung<br />

wird nach der Sommerpause<br />

unter Einsatz der Videokonferenztechnik<br />

zwischen Rottweil und Stuttgart,<br />

von wo aus ein Kollege verhandeln<br />

wird, stattfinden.<br />

Umfrage zur Bedarfsermittlung<br />

Zur Zeit führt das Fraunhofer-Institut<br />

Arbeitswirtschaft und Organisation<br />

im Auftrag der Alcatel SEL Stiftung<br />

eine Bedarfsanalyse bei den Mitgliedern<br />

des <strong>Anwaltverein</strong>s Stuttgart<br />

durch. In Zusammenarbeit mit dem<br />

Verein wurde ein Fragebogen entworfen,<br />

der beispielsweise beantworten<br />

soll, wie häufig auswärtige Termine in<br />

einer Kanzlei vorkommen und in wel-


AnwBl 8 + 9/2004 489<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Anwaltverband Sachsen<br />

13. Sächsischen<br />

Anwaltstage waren<br />

ein voller Erfolg<br />

Die Resonanz war enorm: Rund<br />

300 Anwältinnen und Anwälte sowie<br />

mehr als 200 Rechtsanwaltsfachangestellte<br />

nahmen an den diesjährigen<br />

Sächsischen Anwaltstagen<br />

vom 11. Juni und 12. Juni in Leipzig<br />

teil. Der Zuspruch bewies: Es war<br />

ein attraktives Programm. Auf der<br />

Tagesordnung standen die Fortbil-<br />

Staatssekretär Gerhard Mackenroth<br />

(Mitte) zusammen mit Rechtsanwältin<br />

Manuela M. Gerhard (rechts), Vorsitzende<br />

des Leipziger <strong>Anwaltverein</strong>s und<br />

Susanne Schlichting, Präsidentin des<br />

Verwaltungsgerichts Leipzig.<br />

dung zum neuen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz,<br />

Vorträge zu den Neuregelungen<br />

im Arbeitsrecht sowie zu<br />

strafrechtlichen Risikofaktoren bei<br />

der Beratung von Geschäftsführern<br />

von Kapitalgesellschaften. Abgerundet<br />

wurde das Fachprogramm durch<br />

ein „Galli-Training für Anwälte“.<br />

Der Beitrag vom Galli-Theater Freiburg<br />

vermittelte im künstlerisch-psy-<br />

cher durchschnittlichen Entfernung<br />

diese Mandate liegen.<br />

Der <strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart fordert<br />

dazu auf, die gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />

zu nutzen und die Durchführung<br />

der mündlichen Verhandlung<br />

per Videokonferenz zu beantragen.<br />

Das Gericht wird diese Möglichkeit<br />

dann in Erwägung ziehen und entsprechend<br />

laden. Die in den Gerichten vorhandenen<br />

Videokonferenzanlagen sollten<br />

nicht ungenutzt „im Keller“<br />

schlummern, sondern für Kostenersparnis,<br />

Verfahrensbeschleunigung<br />

chologischen „Paket“ und als praktisches<br />

Seminar souveränes Auftreten,<br />

fesselnde Rhetorik und glänzende<br />

Umgangsformen in unterhaltsamlehrreicher<br />

Art. Auf starkes Interesse<br />

stieß ebenfalls die umfangreiche<br />

Bürofachausstellung diverser<br />

Anbieter.<br />

Aktueller Diskussionsstoff prägte<br />

auch den eher gesellschaftlichen Teil<br />

zu den Sächsischen Anwaltstagen<br />

2004. Beim festlichen Abendessen<br />

bezog Staatssekretär Gerhard Mackenroth<br />

vom Landesjustizministerium<br />

Sachsen in seinem Grußwort<br />

Standpunkt zur Neugestaltung des<br />

Rechtsberatungsgesetzes. Die DAV-<br />

Position erläuterte DAV-Vizepräsident<br />

Rembert Brieske in seiner Erwiderung.<br />

Unabhängig von den<br />

unterschiedlichen Auffassungen<br />

sagte Staatssekretär Mackenroth<br />

dem Sächsischen Anwaltverband zu,<br />

darüber im Gespräch bleiben zu<br />

wollen. Die Meinung der Sächsischen<br />

Anwaltschaft beim künftigen<br />

Gesetzgebungsprozess zu dieser<br />

Frage sei wichtig und wertvoll.<br />

Seit „Geburt“ der Anwaltstage in<br />

Sachsen 1992 ist es guter Brauch,<br />

dass die Veranstaltung reihum von<br />

einem der lokalen <strong>Anwaltverein</strong>e in<br />

Sachsen am jeweiligen Standort organisiert<br />

wird. Damit stellt sich auch<br />

eine bessere Wahrnehmung von Anwaltschaft<br />

und ihre Vernetzung in<br />

der Region ein. In Würdigung seines<br />

125-jährigen Gründungsjubiläums<br />

war diesmal der Leipziger <strong>Anwaltverein</strong><br />

Ausrichter. Den Staffelstab<br />

für 2005 hat er an den Zwickauer<br />

<strong>Anwaltverein</strong> in Westsachsen übergeben.<br />

Rechtsanwalt Svend-Gunnar Kirmes,<br />

Präsident des Anwaltverbandes<br />

Sachsen, Grimma<br />

und -vereinfachung sorgen. Es gibt<br />

Unternehmen, bei denen Reiseanträge<br />

dahingehend zu begründen sind, weshalb<br />

nicht die Videokonferenztechnik<br />

genutzt wird. Auch wir Anwälte sollten<br />

von moderner Kommunikationstechnik<br />

profitieren.<br />

Rechtsanwältin Anke Haug, Stuttgart<br />

Auslandsvereine<br />

Gründung eines<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

in Großbritannien<br />

Vor einiger Zeit hat David Holt, in<br />

England praktizierender deutscher<br />

Rechtsanwalt und englischer Solicitor,<br />

nach Rücksprache mit dem Präsidium<br />

des DAV die Initiative zur Gründung<br />

eines deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s in<br />

Großbritannien übernommen. Vorbild<br />

dafür war auch der bereits seit einiger<br />

Zeit bestehende <strong>Anwaltverein</strong> in Paris.<br />

Aufgrund der deutlich positiven<br />

Resonanz fand sich schnell eine Runde<br />

interessierter Rechtsanwälte und<br />

Rechtsanwältinnen in London zusammen,<br />

um den Deutschen AnwaltVerein<br />

in Großbritannien in der Rechtsform<br />

einer Company Limited by Guarantee<br />

zu gründen, was dann auch bereits am<br />

14. Mai 2004 geschah.<br />

Neben der Möglichkeit des Erfahrungsaustausches,<br />

der Bildung eines<br />

Netzwerksystems und der Durchführung<br />

von Fortbildungsveranstaltungen<br />

direkt in Großbritannien bietet die<br />

Mitgliedschaft beim Deutschen AnwaltVerein<br />

in Großbritannien natürlich<br />

den Bezug des <strong>Anwaltsblatt</strong>s, der DAV-<br />

Depesche, der wöchentlichen elektronischen<br />

Informationsschrift des DAV,<br />

Büro Brüssel „Europa im Überblick“<br />

und natürlich aller anderen vom DAV<br />

angebotenen Dienstleistungen. Weiterhin<br />

sind die Einrichtung einer Webseite<br />

und die Herausgabe eines regelmäßig<br />

erscheinenden Newsletters geplant.<br />

Der Verein wendet sich an in Großbritannien<br />

tätige Assessoren und<br />

Rechtsanwälte, an in Großbritannien<br />

praktizierende Solicitors und Barristers,<br />

die am grenzüberschreitenden<br />

Rechtsverkehr mit Deutschland interessiert<br />

sind sowie an in Deutschland<br />

praktizierende Anwälte und Anwältinnen,<br />

die am Rechtsverkehr mit Großbritannien<br />

interessiert sind.<br />

Auch eine bestehende Mitgliedschaft<br />

bei einem örtlichen deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong> steht einer Mitgliedschaft<br />

beim Deutschen AnwaltVerein<br />

in Großbritannien nicht im Wege, da<br />

eine Doppelmitgliedschaft bei einfacher<br />

Beitragsleistung möglich ist.<br />

Interessenten wenden sich bitte an<br />

David Holt unter davidholt@bateswells-sudbury.co.uk<br />

oder an die im DAV<br />

für den Verein zuständige Geschäftsführerin<br />

Dr. Malaika Ahlers unter ahlers@anwaltverein.de.


490<br />

MN<br />

DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

Stellungnahmen zu<br />

Gesetzesvorhaben<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> begleitet<br />

aktuelle Gesetzgebungsvorhaben sowohl<br />

auf nationaler als auch auf europäischer<br />

und internationaler Ebene kontinuierlich.<br />

Stellungnahmen des DAV<br />

werden von seinen 31 Gesetzgebungsausschüssen<br />

erarbeitet. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

wird zukünftig auf wichtige<br />

Stellungnahmen hinweisen. Alle Stellungnahmen<br />

der Gesetzgebungsausschüsse<br />

finden Sie unter http://www.<br />

anwaltverein.de/03/05/index.html.<br />

Handelsrechtsausschuss<br />

9 Stellungnahme zum Anlegerschutzverbesserungsgesetz<br />

Die Bundesregierung hat am 21. April<br />

2004 den Regierungsentwurf eines Gesetzes<br />

zur Verbesserung des Anlegerschutzes<br />

(AnSVG) vorgelegt. Durch<br />

den Gesetzentwurf soll vor allem die<br />

EU-Marktmissbrauchsrichtlinie durch<br />

Änderung des Wertpapierhandelsgesetzes<br />

(WpHG) umgesetzt und eine Prospektpflicht<br />

für nicht in Wertpapieren<br />

verbriefte Anlageformen des sog.<br />

„Grauen Kapitalmarkts“ durch Ergänzung<br />

des Verkaufsprospektgesetzes<br />

(VerkProspG) eingeführt werden. Der<br />

Handelsrechtsausschuss des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s setzt sich in seiner<br />

Stellungnahme 26/04 ausführlich<br />

mit den Regelungen dieses Gesetzentwurfes<br />

auseinander.<br />

9 Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf<br />

eines Gesetzes zur Einführung<br />

der Europäischen Gesellschaft<br />

(SEEG)<br />

Mit EU-Verordnung wird zum 8.<br />

Oktober 2004 als neue Gesellschaftsform<br />

nach europäischen Gemeinschaftsrecht<br />

die Europäische Gesellschaft<br />

(Societas Europaea, SE)<br />

eingeführt. Die EU-Verordnung gilt unmittelbar<br />

in Deutschland. Ein Einführungsgesetz<br />

steht noch aus. Der Handelsrechtsausschuss<br />

hat nun zu dem<br />

Regierungsentwurf Stellung genommen,<br />

in dem viele Anregungen aus seiner<br />

früheren Stellungnahme aufgegriffen<br />

wurden.<br />

Sozialrechtsausschuss<br />

9 Stellungnahme zum 7. SGG-Änderungsgesetzes<br />

Die Bundesregierung hat den <strong>Entwurf</strong><br />

eines Siebenten Gesetzes zur Ände-<br />

rung des Sozialgerichtsgesetzes (BR-<br />

Drs. 302/04) vorgelegt, der es den<br />

Ländern ermöglichen soll, bei den Verwaltungsgerichten<br />

besondere<br />

Spruchkörper für die Angelegenheiten<br />

der Sozialhilfe und der Grundsicherung<br />

zu bilden. Der Sozialrechtsausschuss<br />

lehnt den Gesetzentwurf insgesamt<br />

ab. Eine Regelung, die es den<br />

Ländern gestattet, die Sozialgerichtsbarkeit<br />

in Angelegenheiten der Sozialhilfe<br />

und der Grundsicherung für Arbeitssuchende<br />

durch „besondere<br />

Spruchkörper der Verwaltungsgerichte<br />

und Oberverwaltungsgerichte“ wahrnehmen<br />

zu lassen, provoziere bürokratische<br />

Hemmnisse innerhalb der Gerichtsverwaltung.<br />

Die auch für<br />

Außenstehende schon heute offensichtlich<br />

vorhandenen Probleme der<br />

Gerichtsverwaltung werden durch eine<br />

solche Öffnungsklausel nur noch verschärft.<br />

9 Stellungnahme zum Anhörungsgesetz<br />

Das Bundesjustizministerium hat<br />

den <strong>Entwurf</strong> eines Anhörungsrügengesetzes<br />

vorgelegt, das den Gesetzgebungsauftrag<br />

des Bundesverfassungsgerichts<br />

aus dem Plenarbeschluss<br />

vom 30. April 2003 (1 PBvU 1/02)<br />

umsetzen soll. Dem Gesetzgeber<br />

wurde bis zum 31.12.2004 aufgegeben,<br />

fachgerichtliche Rechtsbehelfe<br />

zur Rüge von in gerichtlichen Verfahren<br />

erfolgten Anhörungsverstößen zur<br />

Verfügung zu stellen. Der Ausschuss<br />

Sozialrecht äußert sich, soweit die Sozialgerichtsbarkeit<br />

betroffen ist. Er<br />

schlägt vor, die Rüge auf alle Fälle<br />

von Verfahrensverstößen vor Gericht<br />

zu erstrecken, die für die Entscheidung<br />

erheblich sein können.<br />

Zivilverfahrensausschuss<br />

9 Stellungnahme zum Anhörungsgesetz<br />

Der Ausschuss begrüßt den <strong>Entwurf</strong><br />

für den Bereich des Zivilrechts.<br />

Erforderlich sind jedoch Änderungen<br />

insbesondere bei den kurzen Fristen<br />

für die Begründung der Rüge und die<br />

Notwendigkeit, das Verhältnis einer<br />

Anhörungsrüge zu einem von Prozessgegner<br />

eingelegten Rechtsmittel zu regeln.<br />

Strafrechtsausschuss<br />

9 Stellungnahme zum Anhörungsgesetz<br />

Für den Bereich des Strafrechts erhebt<br />

der Ausschuss keine Bedenken<br />

gegen den <strong>Entwurf</strong>.<br />

AG Anwaltsmanagement<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Corporate<br />

Governance der<br />

Rechtsanwälte<br />

Empfiehlt es sich, nach dem Vorbild<br />

des Corporate Governance Kodex für<br />

börsennotierte Kapitalgesellschaften,<br />

auch Anwaltsunternehmen mit einem<br />

solchen Kontrollszenarium zu führen?<br />

Die für die außergerichtliche<br />

Rechtsberatung verbindlichen Gebühren<br />

des RVG entfallen ab 2006, also<br />

in etwa 1 1/2 Jahren. Damit entfallen für<br />

viele Anwälte wesentliche bisher bekannte<br />

Kalkulationsgrundlagen. Es<br />

wird für jeden Anwalt von ganz entscheidender<br />

Bedeutung sein, mit einer<br />

betriebswirtschaftlich sehr intensiven<br />

Nachkalkulation spätestens ab Übernahme<br />

des RVG die neue wirtschaftliche<br />

Situation der Kanzlei zu untersuchen.<br />

Auf dieser Grundlage kann sich<br />

eine freie Preisbildung, insbesondere<br />

eine vernünftige Gestaltung von Zeithonoraren<br />

entwickeln. Niemand darf<br />

das aber überschätzen: Es dauert erfahrungsgemäß<br />

eine Weile, bis man<br />

sich von einem Taxensystem, wie es<br />

die BRAGO war und das RVG ansatzweise<br />

noch sein wird, wirklich auf<br />

eine (vermutlich) rein zeitbasierte Berechnung<br />

umstellt.<br />

Leitlinien für Rechnungslegung<br />

In einer solchen Lage werden sich<br />

die Anwaltsbüros darauf besinnen<br />

müssen, die ihnen einzig bekannte Art<br />

der Rechnungslegung, nämlich diejenige<br />

für steuerliche Zwecke, so zu nutzen,<br />

dass sie auch Kennzahlen für die<br />

betriebswirtschaftliche Betrachtung<br />

liefert. Dabei ist die einheitliche Rechnungslegung<br />

im Berufsstand unerlässlich,<br />

weil sich nur so zuverlässiges<br />

Zahlenmaterial erzeugen lässt. Daraus<br />

lassen sich für die Rechnungslegung<br />

der Rechtsanwälte beispielhaft folgende<br />

Leitlinien ableiten:<br />

9 Die berufsrechtlich gebotene wirtschaftliche<br />

Unabhängigkeit zwingt<br />

dazu, regelmäßig und zeitnah, auch<br />

unterjährig, im Rahmen der ordnungsgemäßen<br />

Rechnungslegung den wirtschaftlichen<br />

Erfolg des Anwaltsunternehmens<br />

zu messen und (intern) zu<br />

berichten – BWA, betriebswirtschaftlicher<br />

Kurzbericht.<br />

9 Eine zügige Weiterleitung von<br />

Fremdgeld, wie sie §§ 43 a Abs. 5<br />

BRAGO, 23 und 4 BORA fordern,


AnwBl 8 + 9/2004 491<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Klein, aber fein:<br />

Seminar<br />

für Weinrecht<br />

Die Deutsche Anwaltakademie<br />

organisiert jedes Jahr mehr als 600<br />

Tagesseminare, Sommer-Intensivkurse,<br />

Wochenseminare und Fachlehrgänge.<br />

Zum Angebot gehören<br />

auch Seminare in ausgefallenen<br />

Rechtsgebieten. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

stellt in der Serie „Klein, aber fein“<br />

exklusiv Veranstaltungen vor. In diesem<br />

Heft das Weinrechtsseminar.<br />

Es gibt kein Lebensmittel, das so<br />

„verrechtlicht“ ist wie Wein. Vom<br />

Anbau über die Mengenregulierung,<br />

die Herstellung, Etikettierung, amtliche<br />

Prüfung, Buchführung bis zur<br />

Weinkontrolle ist alles reglementiert.<br />

Weinrecht ist europäisches Recht.<br />

Die vom Rat oder der Kommission<br />

erlassenen Verordnungen gelten unmittelbar<br />

in jedem Mitgliedsstaat der<br />

EU. Die Brüsseler Verordnungs-<br />

Bürokratie ist – gerade auf dem Gebiete<br />

des Weinrechts – schon oft beklagt<br />

worden. Doch auch die Reform<br />

der Weinmarktordnung im Jahr 1999<br />

war nicht im Stande, der Weinwirtschaft<br />

die gebotene Transparenz und<br />

Rechtssicherheit zu vermitteln. Der<br />

Beratungsbedarf in der Weinbranche<br />

ist unverändert groß.<br />

Der Weinliebhaber, für welchen<br />

der Wein Gegenstand höchster Freuden<br />

und Genüsse sein kann, weiß in<br />

der Regel nicht, dass Wein nicht nur<br />

ein Produkt der Rebe sondern auch<br />

ein solches der Bürokratie ist. Erst<br />

recht ist selbst weintrinkenden<br />

Rechtsanwälten oft nicht bekannt,<br />

dass es Kolleginnen und Kollegen<br />

gibt, die sich sogar beruflich mit<br />

lässt sich ohne eine zeitnahe Erfassung<br />

des gesamten Geldflusses der<br />

Anwaltskanzlei im Rahmen einer ordnungsgemäßen<br />

Rechnungslegung nicht<br />

realisieren – Ausweis des Bestandes<br />

BWA, betriebswirtschaftlicher Kurzbericht.<br />

Ein Anwaltsbüro sollte mit kurzer<br />

Frist auf den jeweiligen Stichtag, in<br />

der Regel den Monatsschluss, zusammenfassend<br />

nach innen berichten können,<br />

dass und wie sämtliche Fremdgelder<br />

der Berichtsperiode weitergeleitet<br />

(bzw. auf Anderkonten verwahrt) sind.<br />

Wein und seinem Recht befassen.<br />

Dabei ist das Gebiet des Weinrechts<br />

einzigartig, weil es wie kein anderes<br />

dem Juristen die Möglichkeit eröffnet,<br />

die Theorie des Rechts mit der<br />

Praxis des Weingenusses zu verbinden<br />

und hiermit auch noch Geld zu<br />

verdienen. Im Wein liegt nicht nur<br />

die sprichwörtliche Wahrheit, sondern<br />

auch das Recht.<br />

Eine Symbiose zwischen Wein<br />

und Recht wollten auch die leider zu<br />

früh verstorbenen Gründer des Weinrechtsseminars<br />

schaffen: Justizrat Dr.<br />

H. Hieronimi, Koblenz, der bekannte<br />

Weingesetzkommentator und Rechtsanwalt<br />

Dr. Brangsch, damaliger Ge-<br />

Weinprobe mitten in den Weinbergen<br />

beim 36. Weinrechtsseminar 2003 in Deidesheim<br />

schäftsführer des DAV haben im<br />

Jahre 1967 das Weinrechtsseminar<br />

„erfunden“. Seitdem hat das Weinrechtsseminar<br />

36-mal getagt, und<br />

zwar jedes Jahr eine Woche lang,<br />

Anfang September, jeweils in den<br />

bekanntesten Weinbauregionen in<br />

Deutschland, Frankreich, Italien,<br />

Spanien, Österreich, Schweiz und<br />

Ungarn. Seit 1985 obliegt die Organisation<br />

und Leitung des Weinrechtsseminars<br />

Rechtsanwalt Hans-Hermann<br />

Hieronimi, Koblenz.<br />

Das Weinrechtsseminar beschränkt<br />

sich keineswegs darauf, sei-<br />

Solange Geld über Anwaltskonten<br />

fließt, das für Dritte bestimmt ist,<br />

bleibt es bei der Weiterleitungspflicht<br />

(§§ 43 a Abs. 5 BRAGO, 23 und 4<br />

BORA) und dem entsprechenden Reporting<br />

dazu.<br />

Die Unternehmensleitung des Anwaltsbüros<br />

soll von sich aus nach innen<br />

den Partnern über die Weiterleitungsfrequenz<br />

pp. berichten können. In<br />

der „Anwalts-Betriebswirtschaftlichen<br />

Auswertung“, die mit dem Anwaltskontenrahmen<br />

(Standardkontenrahmen<br />

03 und 04 der DATEV) erzeugt wird,<br />

nen Teilnehmern weinrechtliche Erkenntnisse<br />

zu vermitteln. An den<br />

Vormittagen der Seminarwoche werden<br />

zwar den – immer sehr zahlreichen<br />

– Teilnehmern weinrechtliche<br />

Vorträge und Veranstaltungen auf hohem<br />

fachlichen Niveau geboten.<br />

Viele dieser Vorträge finden sich später<br />

als Publikationen und Aufsätze in<br />

Fachzeitschriften wieder. Die wahre<br />

Attraktion des Seminars sind jedoch<br />

die „praktischen Übungen“, welche<br />

an den Nachmittagen und Abenden<br />

stattfinden. Durch Exkursionen in die<br />

jeweilige Region, Weinverkostungen<br />

bei den besten Weingütern und Weinkellereien,<br />

Besichtigungen von Sehenswürdigkeiten<br />

und durch gemeinsame<br />

festliche, kulinarische Abendveranstaltungen<br />

erleben die Teilnehmer,<br />

in welcher Weise Wein im<br />

Stande ist, Land, Leute und Kultur<br />

zu prägen.<br />

Das Weinrechtsseminar hat sich in<br />

seiner langen Tradition zu einer Institution<br />

entwickeln können, die sich<br />

nicht nur durch ein anspruchsvolles<br />

Programm, sondern vor allem durch<br />

die angenehm beschwingte und sympathische<br />

Geselligkeit und Heiterkeit<br />

seiner Teilnehmer von anderen Seminaren<br />

unterscheidet. Neu hinzukommende<br />

Seminaristen werden schnell<br />

– spätestens bei der ersten gemeinsamen<br />

Weinprobe – die besondere Integrationskraft<br />

des Weines und des<br />

Weinrechtsseminars erfahren.<br />

Rechtsanwalt Hans-Hermann Hieronimi,<br />

Koblenz<br />

Das 37. Weinrechtsseminar 2004<br />

wird vom 5.–11.9.2004 in Bozen<br />

stattfinden. Anmeldungen sind noch –<br />

je nach Verfügbarkeit von Hotelbetten<br />

– bei der Deutschen Anwaltakademie<br />

möglich: Tel.-Nr. 0 30 / 7 26 15 31 24,<br />

Fax-Nr. 0 30 / 7 26 15 31 11.<br />

Im nächsten Heft: Das Agrarrechtsseminar.<br />

wird der Fremdgeldfluss dargestellt.<br />

Die Abrechnung des Fremdgeldkontos<br />

auf den Stichtag belegt dort, ob und<br />

wie das Fremdgeld weitergeleitet ist.<br />

Es ist also den Anwälten sehr zu<br />

empfehlen, in die Offensive zu gehen<br />

und deutlich zu machen, dass sie sich<br />

einer derartigen freiwilligen Berichtspflicht<br />

unterwerfen. Dies ist ein gutes<br />

Beispiel, wie man die Quasi-Sanktion,<br />

den geplanten Vermögensschadenfonds<br />

(siehe dazu Streck, AnwBl 2004, 212)<br />

durch eine Eigenkontrolle entbehrlich<br />

machen kann.


492<br />

MN<br />

Ebenso kann die unterjährige BWA<br />

als Monats- bzw. Quartalsbericht die<br />

wirtschaftliche Unabhängigkeit des<br />

Anwalts in der Berichtsperiode belegen.<br />

Sie kann zugleich auch dazu dienen,<br />

auf bewährter Grundlage Information<br />

für Fusionsgespräche von<br />

Anwaltsbüros pp. zu sein. All das lässt<br />

sich auf sämtliche finanzielle Berichtsobliegenheiten<br />

in Anwaltsunternehmen<br />

anwenden.<br />

Viele der Anwälte lässt die Buchhaltung<br />

von Steuerberatern mit dem<br />

DATEV System ausführen. Dort ist in<br />

Kooperation mit dem DAV für Rechtsanwälte<br />

der Anwaltskontenrahmen geschaffen<br />

worden, mit dem neben einer<br />

ordnungsgemäßen Buchhaltung auch<br />

die nötigen Berichte vergleichbar erzeugt<br />

werden können. Die Speicherung<br />

im Rechenzentrum der DATEV erfüllt<br />

die Anforderungen für die „elektronische<br />

Betriebsprüfung“ (§§ 146 ff.<br />

AO) und ermöglicht mit Zustimmung<br />

des Anwalts die anonymisierte Auswertung<br />

für den „Anwaltsbetriebsvergleich“,<br />

der dem einzelnen Anwalt und<br />

dem Berufsstand aktuelle Zahlen für<br />

eine präzise Lagebeurteilung liefert.<br />

Für die Anwender anderer Verfahren<br />

wird noch eine vergleichbare Lösung<br />

gefunden werden müssen.<br />

Daraus abgeleitet drängt sich eine<br />

vergleichbare Dokumentation auf einheitlicher<br />

Grundlage für wesentliche<br />

Elemente der eigentlichen Anwaltsarbeit<br />

auf: Die Fristenkontrolle als<br />

Zahlenquelle der zuverlässigen – fristgerechten<br />

– Abarbeitung der Mandate,<br />

aus der auch für die Kalkulation nötige<br />

Zeitdaten abgeleitet werden können.<br />

Denkbar wäre, auf dieser Grundlage<br />

auch eine Qualitätskontrolle zu entwickeln.<br />

Kodex zur Sicherung von<br />

Qualitätsstandards<br />

Ein durchschaubarer Kodex könnte<br />

der Rahmen sein, auch für kleine Büros<br />

Qualitätsstandards in Einzelbereichen<br />

zu sichern und umzusetzen mit<br />

dem Ziel, ein zertifizierbares Gesamtbild<br />

nach gewisser Zeit zu beschreiben.<br />

Dazu könnten u. a. gehören:<br />

9 Eine Buchhaltung nach den Grundsätzen<br />

des Anwaltskontenrahmens<br />

auf der Basis der SKR 03 oder 04<br />

mit den vielfältigen Berichtsmöglichkeiten<br />

dieser Rechnungslegung<br />

und auch den Auswertungen des<br />

Zahlenmaterials in betriebswirtschaftlichen<br />

Betrachtungen,<br />

9 Berichtswesen über die Abwicklung<br />

der Mandate, bisher nur als „Fristen-<br />

kontrolle“ bekannt. Auch zu diesem<br />

Punkt gibt es längst ein ausgefeiltes<br />

Berichtswesen, durch Rechtsprechung<br />

geprägt, das geradezu aufdrängt,<br />

den Gesamtablauf eines<br />

Mandats auch in diesem Rahmen zu<br />

erfassen und zu belegen,<br />

9 Umgang mit „Insiderwissen“,<br />

9 Inventarisierung des Vermögensschadensrisikos<br />

etc.<br />

9 Fortbildung von Anwalt und Personal.<br />

So kann dem einzelnen Mandanten<br />

und letztlich dem gesamten Markt<br />

nicht allein die bestehende Leistungsfähigkeit<br />

der Rechtsanwälte, sondern<br />

auch ihre Fähigkeit, Qualität der juristischen<br />

Kernarbeit systematisch zu erarbeiten,<br />

belegt werden.<br />

Konsequenz<br />

Ein Kodex des Corporate Governance<br />

der Rechtsanwälte wäre letztlich<br />

eine knappe Zusammenfassung verstreuter,<br />

teilweise auch erneuerungsbedürftiger<br />

Berichtsobliegenheiten. Der<br />

Kodex hätte den großen Vorteil, dass<br />

mit einem klaren Ziel – Kodex –<br />

längst bekannte Elemente zu diesem<br />

Gesamtwerk zusammengeführt und<br />

neue (Insiderwissen, Vermögensschaden<br />

Risiko) aufgenommen werden<br />

können. Er soll bereits im Rahmen<br />

von BRAO und BORA ein praktischer<br />

Handlungsrahmen sein, der insbesondere<br />

die Qualität und Leistungsfähigkeit<br />

einzelner Büros deutlich herausstellt<br />

und vorbereiten, dass elementare<br />

Qualitätsgrundsätze der Anwälte selbst<br />

dann fortbestehen, wenn BRAO und<br />

BORA von der Deregulierung hinweggefegt<br />

werden sollten.<br />

Der Kodex soll in der Arbeitsgemeinschaft<br />

Anwaltsmanagement erarbeitet<br />

und betreut werden. Wir bitten alle Kolleginnen<br />

und Kollegen, die dazu einen Beitrag<br />

leisten wollen, sich zu beteiligen.<br />

Werden Sie Mitglied und melden sich<br />

bitte bei unserer Geschäftsstelle: AG Anwaltsmanagement,<br />

Projekt Corporate<br />

Governance, Littenstraße 11, 10179<br />

Berlin, Telefon: 0 30-7 26 15 21 35, Telefax:<br />

030-726152194, Allmendinger<br />

@anwaltverein.de<br />

Rechtsanwalt Jürgen Schneider,<br />

Hamburg<br />

AG Internationaler<br />

Rechtsverkehr<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

2. Deutsch-Italienisches<br />

Seminar<br />

Nach der überaus gelungenen Premiere<br />

im letzten Jahr fand Ende März<br />

nunmehr das zweite deutsch-italienische<br />

Seminar in der Nähe des Starnberger<br />

Sees, in Niederpöcking bei<br />

München statt. Erfreulicherweise<br />

konnten die ersten freundschaftlichen<br />

Kontakte, die im vergangenen Jahr in<br />

der Villa Vigoni nahe des Comer Sees<br />

geschlossen worden sind, wieder aufgefrischt<br />

werden. Wie im letzten Jahr<br />

folgten auch in diesem Jahr die Veranstalter<br />

dem Prinzip eines interessanten<br />

und abwechslungsreichen Potpourris.<br />

Referenten waren hier: Zum<br />

Insolvenrecht Rechtsanwalt/Avvocato<br />

David Einhaus von der Kanzlei Einhaus<br />

aus Denzlingen und seine italienische<br />

Kollegin Avvocato Claudia<br />

Longi, Studio Legale Associato Brandstätter,<br />

Bozen, u. a. unter Bezugnahme<br />

zum brisanten Parmalat-Verfahren in<br />

Italien. Zu Corporate Governance in<br />

der italienischen Praxis Herr Kollege<br />

Avvocato Girolamo Abbatescianni,<br />

Studio Legale Abbatescianni, Mailand,<br />

und zur deutschen Praxis Rechtsanwalt/Avocat<br />

à la Cour Lutz Hartmann,<br />

Heide Rechtsanwälte, Frankfurt.<br />

Zum Europäisches Gesellschaftsrecht<br />

Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Hanns-<br />

Christian Salger, SALGER Rechtsanwälte,<br />

Frankfurt/M., und sein italienischer<br />

Counterpart, Prof. Avv. Alberto<br />

Lotti, Studio Legale Associato Lotti<br />

Sovieni, Modena. Am zweiten Tag lag<br />

der Schwerpunkt auf dem Familienrecht.<br />

Herr Kollege Avv./RA Dr. Matthias<br />

Alessandro Strauß, Rechtsanwaltskanzlei/Studio<br />

Legale Strauß,<br />

München/Rom, und seine Koreferentin<br />

Caterina Tarantino Rechtsanwaltskanzlei/Studio<br />

Legale Strauß, München/<br />

Rom, berichteten ausführlich zu den<br />

Rechtsgrundlagen im internationalen<br />

Familienrecht. Herr Kollege Avv. Carlo<br />

Malossi, Dolce & Lauda, Modena, referierte<br />

aus italienischer Sicht zur Vermarktung<br />

medialer Rechte im Sport<br />

und aus deutscher Sicht referierte<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Summerer,<br />

DFL Deutsche Fußball Liga GmbH,<br />

Frankfurt/M., zu dem sportrechtlichen<br />

Thema.<br />

Das 3. deutsch-italienische Seminar<br />

wird am 15./16. April 2005 in Italien<br />

stattfinden. Ah


AnwBl 8 + 9/2004 493<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Kurz vorgestellt: Die Arbeitsgemeinschaft<br />

Internationaler Rechtsverkehr<br />

Die 1989 gegründete Arbeitsgemeinschaft für internationalen Rechtsverkehr<br />

im DAV bündelt diejenigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die<br />

sich auf den Bereich „Internationales“ spezialisiert haben. Gegenwärtig gehören<br />

ihr etwa 600 Mitglieder aus über 20 verschiedenen europäischen und außereuropäischen<br />

Staaten an. Wie alle DAV-Arbeitsgemeinschaften ist sie neben<br />

Informationen über aktuelle rechtspolitische Entwicklungen im Mitteilungsblatt<br />

und auf der Homepage besonders im Bereich Fort- und Weiterbildung aktiv<br />

und bietet hier Veranstaltungen im In- und Ausland an. Gerade die sog. bilateralen<br />

Veranstaltungen ermöglichen hervorragende Möglichkeiten zum<br />

Informations- und Erfahrungsaustausch, wie sich auch beim Deutsch-Italienischen<br />

(Semiarbericht auf der linken Seite) und beim Deutsch-Französischen<br />

Seminar (Seminarbericht unten) zeigt.<br />

Rechtsanwältin Dr. Maleika Ahlers, LLM, Berlin<br />

8. Deutsch-<br />

Französisches<br />

Seminar<br />

Diese traditionelle Jahresveranstaltung<br />

der ARGE Internationaler Rechtsverkehr<br />

und der Section Internationale<br />

der Association des Avocats Conseils<br />

d’Entreprises (ACE) fand Ende April/<br />

Anfang Mai vor prachtvoller Kulisse<br />

in Toulouse statt. Der Bedeutung der<br />

Metropole als Zentrum der französischen<br />

Luftfahrtindustrie und Standort<br />

einer Vielzahl von Hochtechnologie-<br />

Unternehmen entsprechend, war Auftakt<br />

eine Besichtigung des Produktionsstandortes<br />

der Airbus-Industrie in<br />

Colomiers.<br />

Inhaltlich ging es zunächst um Neuheiten<br />

bei der Unternehmensgründung<br />

in Frankreich und Deutschland,<br />

wobei Dr. Michael Brauch,<br />

Schwarz Kelwing Wicke Westpfahl,<br />

München, das Konzept der „kleinen<br />

AG“ in Deutschland beleuchtete. Das<br />

Thema Freiheit der Unternehmensgründung<br />

in Europa (Bestimmung des<br />

Gesellschaftssitzes wurde anschließend<br />

von Kellegin Amsa Augustin, Cabinet<br />

BMH, Paris/Brüssel, behandelt. Das<br />

Gegenstück bildeten die Erläuterungen<br />

von Christian Connor, LMT Avocats,<br />

Paris, zu dem Gesetz „Dutreil 1“ und<br />

dem Gesetzesentwurf „Dutreil 2“. Dr.<br />

Thomas Försterling, Salger Rechtsanwälte,<br />

Frankfurt, schilderte im Anschluss<br />

die in Deutschland aus der<br />

„Inspire Art“-Rechtsprechung folgenden<br />

Konsequenzen. Die Societas<br />

Europaea stand auch im Mittelpunkt<br />

der Referate von Louis-Bernard Buchman,<br />

Caubet Chouchana Meyer, Paris,<br />

und Lutz Hartmann, beide Rechtsanwälte,<br />

Frankfurt. Zum Abschluss des<br />

Komplexes „Gesellschaftsgründung“<br />

konnten die Teilnehmer einen Beitrag<br />

von Michel Fabre, Direktor des Bereichs<br />

„Steuern und Zölle“ bei Airbus in<br />

Toulouse, verfolgen.<br />

Der Themenkomplex „Schutz und<br />

Erhaltung von Unternehmen“, wurde<br />

durch Christophe Leguevaques, Clé<br />

Réseau d’Avocats, Paris, eingeleitet.<br />

Hier ging es um die in Frankreich anstehende<br />

Reform des Insolvenzrechts<br />

auf der Grundlage des Gesetzesentwurfes<br />

„loi Perben“ – Den Erfahrungen<br />

mit dem neuen deutschen Insolvenzrecht<br />

widmete sich das<br />

ausführliche Referat von Dr. Karl Robert<br />

Kranemann, LL. M., Kranemann<br />

Rechtsanwälte, Köln. Der Auftakt des<br />

zweiten Konferenztages stand im Zeichen<br />

des europäischen Insolvenzverfahrens.<br />

Dr. Frank Kebekus, Kebekus<br />

& Zimmermann Rechtsanwälte, Düsseldorf,<br />

gab einen Bericht über seine<br />

Erfahrungen mit der Europäischen Insolvenzordnung<br />

im Zuge der so genanntenISA-Daisytek-Entscheidungen.<br />

Das Seminar widmete sich dann in<br />

Gesprächsrunden beruflichen und berufsrechtlichen<br />

Aspekten. Marc Frilet,<br />

Vorsitzender der Section Internationale<br />

der ACE, Paris, stellte eine<br />

Initiative der Section Internationale<br />

der ACE zur Förderung der Werte der<br />

kontinentalen Civil-Law-Länder gegenüber<br />

dem Common-Law-Rechtssystem<br />

vor. – In seiner anschließenden<br />

Analyse stellte Prof. Dr. Friedrich<br />

Graf von Westphalen den Civil Law/<br />

Common Law-Konflikt als typischen<br />

Ausdruck des Spannungsverhältnisses<br />

zwischen Macht und Recht dar. Um<br />

die Auswirkungen der neueren wettbewerbsrechtlichen<br />

Vorstöße der EU-<br />

Kommission auf den Anwaltsberuf<br />

und -markt ging es in den folgenden<br />

Kurzberichten von Louis-Bernard<br />

Buchman und – in Vertretung für DAV-<br />

Geschäftsführerin Dr. Malaika Ahlers,<br />

LL.M. – Thomas Krümmel, Meyer-<br />

Köring v. Danwitz Privat, Berlin.<br />

Den Abschluss des zweiten Seminartages<br />

bildeten Referate zu der Rolle<br />

des Syndikusanwalts in Frankreich<br />

und Deutschland von Hans-Peter Benckendorff,<br />

Syndikus der Deutschen<br />

Bank AG, Frankfurt, und Jean-Jacques<br />

Uettwiller, UCCG & Associés, Paris.<br />

Nach einem gemeinsamen Mittagessen<br />

rundete eine Führung zu den bedeutenden<br />

Sehenswürdigkeiten der<br />

Stadt, insbesondere zur Basilique de<br />

Saint-Sernin und dem Jakobinerkloster,<br />

den Tag und diese Veranstaltung ab,<br />

die von allen Teilnehmern nicht nur als<br />

interessant und erfolgreich, sondern erneut<br />

als eine äußerst willkommene Gelegenheit<br />

empfunden wurde, alte Kontakte<br />

und Freundschaften zu pflegen<br />

und neue zu knüpfen.<br />

Das 9. Deutsch-Französische Seminar<br />

2005 wird turnusgemäß wieder<br />

in Deutschland stattfinden, und zwar<br />

in Rottach-Egern am Tegernsee.<br />

Rechtsanwalt Thomas Krümmel,<br />

Berlin<br />

Deutsch-Baltisches und Deutsch-Spanisches Seminar im Oktober<br />

Die nächsten bilateralen Seminare werden das deutsch-baltische Seminar<br />

am 8./9.10.04 in Riga und das erste deutsch-spanische Seminar am 6.11.2004<br />

in Düsseldorf sein. Weitere Informationen hierzu und zu der ARGE im Allgemeinen<br />

entnehmen Sie bitte der Website der Arbeitsgemeinschaft unter<br />

www.anwaltverein.de/05/06/01.html. Der Jahresmitgliedsbeitrag beträgt 100 E.<br />

Weitere Auskünfte zur Arbeitsgemeinschaft erhalten Sie über die für die Arbeitsgemeinschaft<br />

zuständige Geschäftsführerin Rechtsanwältin Dr. Malaika<br />

Ahlers, LL.M. (ahlers@anwaltverein.de).


494<br />

MN<br />

AG Verkehrsrecht<br />

Geschäftsbericht<br />

2003/2004<br />

In der Mitgliederversammlung der<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im<br />

DAV am 30. April 2004 hat der Vorsitzende<br />

der Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwalt<br />

JR Hans-Jürgen Gebhardt<br />

über die Arbeit des Geschäftsführenden<br />

Ausschuss seit Mai 2003 berichtet.<br />

Der ausführliche Geschäftsbericht<br />

wird im Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft<br />

erscheinen. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

dokumentiert Auszüge zu<br />

wichtigen Punkten:<br />

Fachanwalt für Verkehrsrecht<br />

Seit mehr als 10 Jahren plädiert die<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht für<br />

die Einführung einer Fachanwaltschaft<br />

für Verkehrsrecht. Den entsprechenden<br />

Antrag hat die Satzungsversammlung<br />

bisher mit den unterschiedlichsten Be-<br />

Rechtsanwalt JR<br />

Hans-Jürgen Gebhardt<br />

ist Vorsitzender<br />

des GeschäftsführendenAusschusses<br />

der AG<br />

Verkehrsrecht.<br />

gründungen abgelehnt. Dahinter verbirgt<br />

sich in Wahrheit wohl die Sorge,<br />

mit der Einführung weiterer Fachanwaltschaften<br />

gerieten die Allgemeinanwälte<br />

ungerechtfertigt ins Hintertreffen.<br />

Eine solche Betrachtung greift<br />

jedoch viel zu kurz, wird es doch<br />

künftig – das gilt namentlich für das<br />

Verkehrsrecht – nicht mehr um den<br />

Wettbewerb zwischen Anwälten untereinander<br />

sondern alleine darum gehen,<br />

ob bestimmte Tätigkeitsfelder der Anwaltschaft<br />

verloren gehen oder nicht.<br />

Wie Sie wissen, wurde die Satzungsversammlung<br />

im vergangenen<br />

Jahr neu gewählt. Die 3. Satzungsversammlung<br />

hat sich im November 2003<br />

neu konstituiert. Von den Mitgliedern<br />

der Satzungsversammlung gehören 33<br />

Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht an. Stellvertretend<br />

für alle möchte ich unseren<br />

Regionalbeauftragten, Frau Kollegin<br />

Eifler, Neubrandenburg und Dr. Reitenspiess,<br />

Nürnberg sowie unserem<br />

Ausschussmitglied Dr. Burmann, Erfurt<br />

für ihre Arbeit in der Satzungsversammlung<br />

alles Gute wünschen.<br />

Gemeinschaftswerbung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Im Jahre 2001 hat die Mitgliederversammlung<br />

der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht beschlossen, den Mitgliedsbeitrag<br />

zum Zwecke der Einrichtung<br />

und Bewerbung eines Call-Centers<br />

zu erhöhen. Der Werbeausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft, besetzt durch<br />

die Kollegen Elsner (Vorsitzender),<br />

Hillmann, Dr. Hörl, Roth und Stiewe,<br />

hat Beachtliches geleistet. Die Werbeaktivitäten<br />

der Arbeitsgemeinschaft<br />

hatten begonnen als Bewerbung eines<br />

Telefon-Call-Centers zur Vermittlung<br />

von Anwälten. Die Bewerbung der<br />

Rufnummer des Telefon-Call-Centers<br />

ist inzwischen aus dem Vordergrund<br />

der Werbung herausgerückt. Auch vor<br />

dem Hintergrund der beabsichtigten<br />

Novellierung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

hat der Werbeausschuss entschieden,<br />

eine allgemeine Imagewerbung<br />

für die im Verkehrsrecht tätige<br />

Anwaltschaft durchzuführen.<br />

Zentraler Punkt der Werbemaßnahmen<br />

ist der Internetauftritt der Arbeitsgemeinschaft,<br />

dessen Neugestaltung<br />

wir Ihnen bei der letzten Mitgliederversammlung<br />

vorgestellt haben. Die<br />

Besucherzahlen auf unserer Internetseite<br />

haben sich seit dem Neuauftritt<br />

von 6.700 Besuchern im April 2004<br />

mit über 27.000 mehr als vervierfacht.<br />

Besonders interessieren wird Sie, dass<br />

die auf der Internetseite enthaltene Anwaltsuchfunktion,<br />

bei der ausschließlich<br />

die Mitglieder unserer Arbeitsgemeinschaft<br />

benannt werden,<br />

monatlich über 8.000 x von Interessierten<br />

aufgerufen wird. Hinweisen<br />

möchte ich noch auf das Forum, in<br />

dem interessierte und potenzielle Mandanten<br />

die Möglichkeit haben, Fragen<br />

zu stellen und eine erste Einschätzung<br />

von einem Verkehrsanwalt zu erhalten.<br />

Dieses Forum kann und soll keine qualifizierte<br />

Rechtsberatung ersetzen. Die<br />

Interessierten, die sich hier gut aufgehoben<br />

finden, werden aber im Falle<br />

eines wirklichen Problems wieder auf<br />

unsere Seite zurückkehren und dann<br />

den wirklichen Rechtsrat eines unserer<br />

Mitglieder in Anspruch nehmen.<br />

Eine neue Strategie im Bereich der<br />

Werbung ist die direkte Einbeziehung<br />

des Kfz-Gewerbes. Den unmittelbar<br />

vom Schadensmanagement der Versicherer<br />

betroffenen Betrieben des<br />

Kfz-Gewerbes kann am besten dadurch<br />

geholfen werden, dass die Unfallgeschädigten<br />

zur Schadenregulierung<br />

einen Anwalt einschalten. Nur<br />

dann, wenn der Geschädigte umfassend<br />

über seine Rechte aufgeklärt ist,<br />

wird es den Versicherern nicht möglich<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

sein, die Fahrzeuge zur Reparatur in<br />

ihre Partnerwerkstätten zu lenken und<br />

auch ansonsten die Rechte der Geschädigten<br />

zu beschneiden.<br />

Pressearbeit<br />

Ein weiterer Bereich der Öffentlichkeitsarbeit<br />

ist die Pressearbeit der<br />

Arbeitsgemeinschaft. Der regelmäßig<br />

12x im Jahr erscheinende Pressedienst,<br />

hat zu einer hervorragenden Medienpräsenz<br />

der Arbeitsgemeinschaft<br />

geführt. Die im Pressedienst als Verbrauchertipps<br />

aufbereiteten Urteile<br />

werden besonders von regional erscheinenden<br />

Zeitungen sehr gerne<br />

übernommen. Wie auch in den Vorjahren<br />

hat die Arbeitsgemeinschaft den<br />

Verkehrsgerichtstag 2004 in Goslar<br />

mit einer umfangreichen Pressearbeit<br />

begleitet. Zu den verschiedenen Arbeitskreisen<br />

des Verkehrsgerichtstags<br />

wurden insgesamt 6 Pressemitteilungen<br />

herausgegeben. Welche Beachtung<br />

unser Presseservice findet, zeigt unsere<br />

Presseerklärung „Vorsicht bei<br />

Hinweisen auf Bußgeldbescheiden“,<br />

die dazu geführt, dass das Thüringische<br />

Innenministerium die irreführenden<br />

Erläuterungen auf seinen Bußgeldbescheiden<br />

geändert hat.<br />

Zusammenarbeit mit<br />

Sachverständigen<br />

In den vergangenen Jahren wurde<br />

an dieser Stelle (vgl. AnwBl 2002,<br />

585 ff.) auf die besorgniserregende<br />

Entwicklung in der Verbandsführung<br />

des Bundesverbandes der freiberuflichen<br />

und unabhängigen Sachverständigen<br />

für das Kraftfahrzeugwesen<br />

(BVSK) hingewiesen, die – namentlich<br />

wegen der der BGH-Rechtsprechung<br />

zuwiderlaufenden BVSK-Richtlinie –<br />

nicht ohne Auswirkungen auf die Gutachtenerstellung<br />

durch BVSK-Sachverständige<br />

geblieben ist.<br />

Die Unterlassungsklage mit der sowohl<br />

der BVSK als auch sein Präsident<br />

dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft,<br />

Justizrat Gebhardt,<br />

unter anderem die Aussage verbieten<br />

lassen wollten, BVSK-Gutachter, die<br />

den Empfehlungen ihres Verbandes<br />

folgten, könnten nicht als unabhängige<br />

Gutachter angesehen werden, hat das<br />

Landgericht Berlin mit Urteil vom<br />

20.2.2003 abgewiesen.<br />

Besonders aufschlussreich ist ein<br />

Zitat aus den Urteilsgründen: „Die<br />

Kläger stellen vorliegend nicht in Abrede,<br />

mit der von ihnen herausgegebenen<br />

Restwertrichtlinie, nach der Kraftfahrzeugsachverständige<br />

bei der Überprüfung<br />

und Bewertung der Angebote


AnwBl 8 + 9/2004 495<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

des relevanten allgemeinen Marktes<br />

Angebote aus dem Bereich des Sondermarktes<br />

berücksichtigen soll, von<br />

der ständigen BGH-Rechtsprechung<br />

abzurücken, nach der der Sachverständige<br />

den Wert auf dem allgemeinen<br />

Markt, nicht dagegen auf einem Sondermarkt<br />

durch spezialisierte Restwerteaufkäufer<br />

zu ermitteln hat (vgl.<br />

BGH NJW 1993, 1849, 1850; NJW<br />

2000, 800, 801)“.<br />

Die von den beiden Klägern eingelegte<br />

Berufung haben sie zwischenzeitlich<br />

zurückgenommen. In dem von<br />

BVSK-Geschäftsführer Fuchs persönlich<br />

angestrengten weiteren Klageverfahren<br />

wurde ein Vergleich mit einem<br />

Inhalt geschlossen, der mit den<br />

ursprünglichen Unterlassungsanträgen<br />

nichts mehr zu tun hatte. Die Kosten<br />

trug freilich Herr Fuchs.<br />

Wie berechtigt unsere Warnungen<br />

sind, zeigt schließlich auch die neuere<br />

Entwicklung: Derzeit versuchen Versicherer<br />

und BVSK über den so genannten<br />

Mobile.de-Marktpreis erneut<br />

die Rechtsprechung des BGH anzugreifen.<br />

Über Internet-Marktpreise soll<br />

jetzt der Geschädigte auf Wiederbeschaffungswerte<br />

verwiesen werden,<br />

die er beim Gebrauchtwagenhändler<br />

seiner Region regelmäßig nicht realisieren<br />

kann. Gutachten von BVSK-<br />

Sachverständigen, die sich an den<br />

Empfehlungen ihres Verbandes orientieren,<br />

müssen deshalb nach wie vor<br />

besonders kritisch betrachtet werden.<br />

Im Zusammenhang mit dem BVSK<br />

lässt ein weiterer Vorgang aufhorchen:<br />

Vor kurzem wurden die Mitarbeiter<br />

der GTÜ Stuttgart angewiesen, dort<br />

eingehende Aufträge für Schadensgutachten<br />

direkt an die Schadensschnellhilfe<br />

weiterzuleiten. Diese Anweisung<br />

erfolgte auf einstimmigen Gesellschafterbeschluss;<br />

bekanntlich ist eine<br />

BVSK-Tochter eine der drei GTÜ-Gesellschafter.<br />

Auf die enge Verbindung<br />

führender BVSK-Mitglieder zu den<br />

von Versicherungsunternehmen beherrschtenSchadensschnellhilfestationen<br />

hatten wir bei anderer Gelegenheit<br />

bereits hingewiesen.<br />

E-Mail-Newsletter<br />

Im Berichtsjahr hat die Arbeitsgemeinschaft<br />

ihre Aktivitäten im Bereich<br />

der modernen elektronischen Kommunikation<br />

verstärkt. Seit Mai 2004<br />

erhalten die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft,<br />

monatlich das E-Mail-<br />

Newsletter der Arbeitsgemeinschaft<br />

„Verkehrsanwälte Info“. Der Newsletter<br />

informiert kurz über aktuelle Entschei-<br />

dungen, über Neuigkeiten rund um das<br />

Verkehrsrecht und die Arbeitsgemeinschaft.<br />

Wenn Sie diesen Newsletter noch<br />

nicht beziehen, können Sie ihn auf unserer<br />

Internetseite www.verkehrsrecht.de<br />

in der Rubrik Newsletter bestellen. Neben<br />

Rechtsanwälten wird der Newsletter<br />

von der Presse, dem ADAC, dem AvD<br />

sowie verschiedenen Versicherungen<br />

und Sachverständigenorganisationen<br />

gerne gelesen. Der Newsletter gibt uns<br />

die Möglichkeit, auf sehr kostengünstigem<br />

Wege sehr schnell Informationen<br />

auszutauschen. Wie die gesamte Tätigkeit<br />

der Arbeitsgemeinschaft lebt auch<br />

der Newsletter von der Mitarbeit der in<br />

der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen<br />

Kolleginnen und Kollegen.<br />

Empfehlung zur Abwicklung<br />

von Kfz-Haftpflichtschäden<br />

(Modell Gebhardt/Greißinger)<br />

Mit dem In-Kraft-Treten des<br />

Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zum<br />

1. Juli 2004 werden die genannten Abrechnungsvorschläge<br />

obsolet. Die dortige<br />

Gebührenpauschalisierung beruht<br />

auf den Regelungen der BRAGO. Eine<br />

direkte Übertragung der 15/10 bzw.<br />

1,5 Pauschalgebühr erscheint gerade<br />

vor dem Hintergrund der künftigen Einigungsgebühr,<br />

die erheblich weiter<br />

als die bisherige Vergleichsgebühr gefasst<br />

ist, aber auch der Tatsache, dass<br />

künftig die Geschäftsgebühr nur teilweise<br />

auf die Verfahrensgebühr angerechnet<br />

wird, als für die Anwaltschaft<br />

untragbar. Wir führen zwar Gespräche<br />

mit dem Ziel zu einer Nachfolgeregelung<br />

zu kommen, eine solche wird jedoch<br />

erst dann möglich sein, wenn auf<br />

beiden Seiten ausreichende Erfahrung<br />

mit dem neuen Gesetz besteht.<br />

25-jähriges Jubiläum der<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

In diesem Jahr feiert die Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht ihr 25-jähriges<br />

Bestehen; sie wurde 1979 während<br />

eines Verkehrsrechtslehrganges in Meran<br />

gegründet. Ein solches Jubiläum<br />

gibt gleichzeitig auch Gelegenheit zu einem<br />

Ausblick: Wir haben im Geschäftsführenden<br />

Ausschuss gerade erst mit einem<br />

Generationswechsel begonnen der<br />

bald abgeschlossen sein wird. Dennoch<br />

sind wir davon überzeugt, dass die<br />

Schwerpunkte der Arbeitsgemeinschaft<br />

auch in Zukunft Fortbildung, Fachanwaltschaft<br />

und Gemeinschaftswerbung<br />

sein werden. In diesem Sinne, auf<br />

weitere 25 erfolgreiche Jahre!<br />

Rechtsanwalt JR Hans-Jürgen<br />

Gebhardt, Homburg/Saar<br />

ARGE Mietrecht und WEG<br />

Mietrecht, Mietprozess<br />

und Reformbedarf im<br />

Wohnungseigentumsrecht<br />

Die ARGE Mietrecht und WEG im<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> veranstaltet seit<br />

einigenJahrenimRahmendesAnwaltstages<br />

ihre Frühjahrstagung und die Jahresmitgliederversammlung.<br />

Am 20. Mai<br />

2004 war in den 55. Deutschen Anwaltstag<br />

in Hamburg integriert ein Fachprogramm<br />

für etwa 100 Teilnehmer mit zwei<br />

Vorträgen und dem „Rechtsprechungsfenster<br />

für Miet- und WEG-Recht“.<br />

Dr. Werner Hinz, Richter am Amtsgericht<br />

aus Pinneberg begann den Reigen<br />

mit dem Thema „Mietrecht und<br />

Mietprozess – die häufigsten Fehler“.<br />

Der Vortrag befasste sich mit einer Reihe<br />

typischer Fehlerkonstellationen aus dem<br />

Mietrecht und dem Mietprozessrecht.<br />

Behandelt wurden u. a. die Bereiche:<br />

Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichmiete,<br />

Vertragsklauseln über<br />

Schönheitsreparaturen, Formalien der<br />

ordentlichen und der außerordentlichen<br />

Kündigung. Auch Probleme aus dem<br />

Prozessrecht, etwa der Umfang der gerichtlichen<br />

Hinweispflicht und die Berufungszulassung,<br />

wurden thematisiert.<br />

Nach der einstündigen ordentlichen<br />

Mitgliederversammlung referierte am<br />

Nachmittag Professor Dr. Armbrüster<br />

von der Freien Universität Berlin zum<br />

Thema „Reformbedarf im Wohnungseigentumsrecht?“.<br />

Anlass für diese<br />

Themenstellung sind eine Vielzahl von<br />

Problemen aus der bisherigen Gesetzeslage<br />

und Novellierungsbestrebungen im<br />

Bundesjustizministerium.<br />

Im „Rechtsprechungsfenster zum<br />

Miet- und WEG-Recht“ informierten<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Drasdo zu<br />

aktuellen Entscheidungen im WEG-<br />

Recht und Rechtsanwalt Jan-Hendrik<br />

Schmidt sowie Rechtsanwalt Hans-<br />

Christian Schwarzmeier, zu mietrechtlichen<br />

und sonstigen Themen.<br />

Im Vorfeld der Tagung kamen die<br />

Mitglieder des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses in Hamburg zusammen<br />

und besprachen die wichtigsten Themen<br />

(Fachanwaltsbezeichnung, Namensführung)<br />

und die Vorbereitung der nächsten<br />

Veranstaltungen in Würzburg (Herbsttagung<br />

2004 am 24./25.9.2004), Dresden<br />

(Frühjahrstagung und MV 2005 im<br />

Rahmen des 56. DAT im Mai 2005) und<br />

Potsdam (Herbsttagung 2005 am<br />

23./24.9.2005).<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin


496<br />

MN<br />

AG Sozialrecht<br />

Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung<br />

und Herbsttagung 2004<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht<br />

im DAV lädt alle Mitglieder ein zur<br />

Herbsttagung am 5. und 6. November<br />

2004 und zur Mitgliederversammlung<br />

am Freitag, den 5. November 2004,<br />

11.00 Uhr, in Aachen, Dorint Hotel<br />

Quellenhof, Monheimsallee 52, 52062<br />

Aachen.<br />

Vorschlag zur Tagesordnung:<br />

TOP 1 Geschäftsbericht des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

TOP 2 Bericht des Schatzmeisters<br />

TOP 3 Bericht des Kassenprüfers<br />

TOP 4 Allgemeine Aussprache zu<br />

1–3<br />

TOP 5 Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

TOP 6 Neuwahl des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

TOP 7 Wahl eines Kassenprüfers<br />

TOP 8 Festsetzung des Mitgliedsbeitrages<br />

TOP 9 Verschiedenes<br />

Anträge von Mitgliedern sind auf<br />

die Tagesordnung zu setzen, wenn sie<br />

spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung<br />

dem geschäftsführenden<br />

Ausschuss vorliegen und von mindestens<br />

10 Mitgliedern unterstützt werden.<br />

Bitte richten Sie die Anträge an<br />

den Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> Arbeitsgemeinschaft<br />

Sozialrecht, Littenstr. 11,<br />

10179 Berlin<br />

Herbsttagung<br />

Folgenden Themen für die Herbsttagung<br />

sind vorgesehen:<br />

9 „Übergangsrecht bei Reformen“,<br />

Richter am BSG Dr. Rainer Schlegel<br />

9 „Das neue Gebührenrecht“, Rechtsanwältin<br />

Bettina Schmidt, Bonn<br />

9 „Beurteilungskriterien für die Erwerbsminderung<br />

unterer Berücksichtigung<br />

von Belastungstests“, Dr.<br />

med. Michael Körner, Münster<br />

9 „Kündigung von Betriebsrenten –<br />

Rechtschutzmöglichkeiten, Vertrauens-<br />

und Bestandsschutz“, Richter<br />

am Bundesarbeitsgericht Klaus<br />

Bepler, Erfurt<br />

9 „Patientenrechte“, Rechtsanwältin<br />

Sabine Vollrath, Kiel<br />

9 „Anwaltliches Marketing – Neue<br />

Beratungsfelder“<br />

– Krankenhausrecht, Rechtsanwältin<br />

Bettina Schmidt, Bonn<br />

– Heimrecht, Rechtsanwalt Ronald<br />

Richter, Hamburg<br />

– Jugendhilfe SGB VIII, Rechtsanwalt<br />

Michael Klatt, Oldenburg<br />

Der Teilnehmerbeitrag beträgt für<br />

Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

Sozialrecht oder anderer Arbeitsgemeinschaften<br />

des DAV einschließlich<br />

des Forums Junge Anwaltschaft 220,–<br />

EURO, für Mitglieder des DAV 300,–<br />

EURO und für sonstige Teilnehmer<br />

370,– EURO.<br />

Anmeldungen und Anfragen für die<br />

Herbsttagung sind zu richten an das<br />

Veranstaltungsbüro der AG Sozialrecht<br />

bei der Deutschen Anwaltakademie,<br />

Frau Anja Hoffmann, Littenstraße 11,<br />

10179 Berlin, Tel.: 0 30 / 72 61 53 -1 83,<br />

Fax.: 0 30 / 72 61 53 - 1 88.<br />

AG Strafrecht<br />

Mitgliederversammlung<br />

beim Strafverteidiger-<br />

Kolloquium<br />

Das diesjährige Strafverteidiger-<br />

Kolloquium findet am 12. und 13. November<br />

2004 in München statt. Tagungshotel<br />

ist das Arabella Sheraton<br />

GrandHotel, Arabellastr. 6, 81925<br />

München. Dort findet am Freitag,<br />

12. November 2004 ab 17.30 Uhr die<br />

Mitgliederversammlung statt, zu der<br />

der Geschäftsführende Ausschuss der<br />

Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> seine Mitglieder<br />

hiermit herzlich einlädt.<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

gibt die Tagesordnung wie folgt bekannt:<br />

1. Begrüßung durch den Vorsitzenden<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

2. Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden<br />

3. Kassenbericht des Schatzmeisters<br />

4. Prüfungsbericht des Kassenprüfers<br />

5. Diskussion des Tätigkeitsberichtes<br />

und des Kassenberichtes<br />

6. Entlastung des Vorstandes<br />

7. Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

8. Wahl des Kassenprüfers<br />

9. Verschiedenes.<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

AG Familien- und Erbrecht<br />

Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung<br />

und Herbsttagung 2004<br />

Vom 25. bis 27. November 2004<br />

findet die Mitgliederversammlung und<br />

Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Familien- und Erbrecht in Augsburg<br />

statt. Tagungsort sind die Kongresshalle<br />

Augsburg und das direkt daneben<br />

liegende Dorint Hotel.<br />

Die Herbsttagung beginnt am Donnerstag<br />

mit einem Streitgespräch über<br />

den Einfluss verfassungsrechtlicher<br />

Entscheidungen auf das Familien- und<br />

Erbrecht. Sie wird fortgesetzt mit parallel<br />

stattfindenden Themen zum Erbund<br />

zum Familienrecht. Der Freitag<br />

steht ganz unter dem Motto der „beruflichen<br />

und wirtschaftlichen Situation<br />

der Rechtsanwälte im Familienund<br />

Erbrecht“. Das Thema wird in einem<br />

Referat und insgesamt drei Workshops<br />

behandelt. Die Aktuelle Stunde<br />

am Samstag befasst sich mit „Eheverträgen“.<br />

Eine Anzeige mit dem vorläufigen<br />

Programm finden Sie in AnwBl 7/04;<br />

eine weitere Anzeige mit dem ergänzten<br />

Programm werden Sie in AnwBl<br />

10/04 finden. Für die Teilnahme an der<br />

Herbsttagung wird eine Bescheinigung<br />

gem. § 15 FAO über 10 Stunden erteilt.<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitgemeinschaft lädt hiermit<br />

zur Mitgliederversammlung ein, die<br />

am Samstag, 27. November 2004,<br />

11.30 Uhr im Dorint Hotel Augsburg,<br />

Imhofstraße 12, 86159 Augsburg,<br />

0821/50 14 0, Fax 0821/ 59 74 100,<br />

stattfinden wird und gibt die Tagesordnung<br />

wie folgt bekannt:<br />

TOP 1 Geschäftsbericht des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

TOP 2 Bericht des Schatzmeisters<br />

TOP 3 Bericht der Kassenprüferin<br />

TOP 4 Berichte<br />

tragten<br />

der Regionalbeauf-<br />

TOP 5 Aussprache<br />

TOP 6 Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

TOP 7 Wahl der Kassenprüferin/des<br />

Kassenprüfers<br />

TOP 8 Verschiedenes.


AnwBl 8 + 9/2004 497<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Personalien<br />

Ehrung für Dr. h.c.<br />

Ludwig Koch<br />

Rechtsanwalt Dr. h.c. Ludwig<br />

Koch, Vorstand der Hans-Soldan-Stiftung<br />

und langjähriger Präsident des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, wurde am<br />

15. Juni 2004 aus Anlass seines 70.<br />

Geburtstages mit einem berufsrechtlichen<br />

Symposion geehrt. Die Rechts-<br />

Rechtsanwalt Dr.<br />

h. c. Ludwig Koch<br />

wurde im Juni 70<br />

Jahre alt.<br />

wissenschaftliche Fakultät der Universität<br />

zu Köln, die Dr. h. c. Koch im<br />

Jahr 1998 aufgrund seiner Verdienste<br />

um das Anwaltsrecht und die anwaltsbezogene<br />

Juristenausbildung mit der<br />

Ehrendoktorwürde ausgezeichnet hat,<br />

richtete die Veranstaltung gemeinsam<br />

mit dem Institut für Anwaltsrecht an<br />

der Universität zu Köln aus. Die Anwesenheit<br />

zahlreicher Weggefährten<br />

Dr. h. c. Ludwig Kochs aus dem Kollegenkreis,<br />

aus Verbänden, Kammern,<br />

der Wissenschaft und Ministerien<br />

spiegelte die fachliche und persönliche<br />

Wertschätzung, die der Jubilar genießt,<br />

eindrucksvoll wider.<br />

Das Fachprogramm, das nach Grußworten<br />

des Dekans der Rechtswissenschaftlichen<br />

Fakultät, Prof. Dr. Hanns<br />

Prütting, des Aufsichtsratsvorsitzenden<br />

der Hans-Soldan Stiftung, Hans-Georg<br />

Curtze und durch Dr. Bernd Hirtz für<br />

das Institut für Anwaltsrecht mit einer<br />

Laudatio des DAV Präsidenten Hartmut<br />

Kilger eröffnet wurde, griff einen<br />

Teil der breit gefächerten berufsrechtlichen<br />

Interessen des Jubilars auf: Prof.<br />

Dr. Barbara Grunewald sprach zur anwaltlichen<br />

Unabhängigkeit und damit<br />

zu einem Thema, das Koch als Kommentator<br />

der einschlägigen Vorschriften<br />

im BRAO-Kommentar Henssler/<br />

Prütting seit vielen Jahren beschäftigt.<br />

Prof. Dr. Martin Henssler referierte zu<br />

„Anwalt und Europa“ und jüngsten<br />

Entwicklungen auf europarechtlicher<br />

Ebene – eine Thematik, die dem Jubilar<br />

als Mitbegründer des Dokumentationszentrums<br />

für Europäisches Anwalts-<br />

und Notarrecht an der<br />

Universität zu Köln gewidmet war.<br />

Prof. Dr. Christoph Hommerich, Vorstand<br />

des Soldan-Instituts für Anwaltmanagement,<br />

das von Dr. h.c. Koch<br />

zur Förderung der rechtstatsächlichen<br />

Anwaltsforschung mit aus der Taufe<br />

gehoben worden ist, beleuchtete den<br />

Modernisierungszwang, unter dem die<br />

Anwaltschaft steht. Prof. Dr. Hanns<br />

Prütting griff in seinem abschließenden<br />

Beitrag „Die Reform des Rechtsberatungsgesetzes“<br />

eine aktuelle Reformdiskussion<br />

auf, die Koch als<br />

Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses<br />

viele Jahre kritisch begleitet hat<br />

(die Fachbeiträge des Symposions sind<br />

in diesem Heft des <strong>Anwaltsblatt</strong>s auf<br />

den Seiten 453 bis 469 abgedruckt).<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian,<br />

Köln<br />

Neue Vorsitzende in den<br />

Ortsvereinen<br />

<strong>Anwaltverein</strong> Frankreich: Neue<br />

Vereinsvorsitzende ist<br />

Rechtsanwältin Dr. Jutta<br />

Laurich, Bordeaux, die<br />

Rechtsanwalt Heinz<br />

Weil, Paris, ablöst.<br />

<strong>Anwaltverein</strong> Gifhorn: Rechtsanwältin<br />

Christine Engel,<br />

Gifhorn, hat den<br />

Vorsitz übernommen.<br />

Sie löst damit Rechtsanwältin<br />

und Notarin<br />

Elisabeth Winzer, Gifhorn, nach siebenjähriger<br />

Amtszeit ab.<br />

Herforder Anwaltsverein: Rechtsanwalt<br />

Manfred Utesch<br />

aus Herford wurde zum<br />

neuen Vereinsvorsitzenden<br />

gewählt. Sein Vorgänger<br />

war Rechtsanwalt<br />

Achim Depenbrock, Herford,<br />

der den Verein sieben Jahre führte.<br />

Cottbuser <strong>Anwaltverein</strong>: Rechtsanwalt<br />

Bengt Kanzler, Vetschau, hat<br />

seinen Vorgänger Rechtsanwalt Ulrich<br />

Böhme, Cottbus, als Vereinsvorsitzenden<br />

abgelöst.<br />

Auszeichnung von<br />

Anwälten<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt und Notar Friedrich Carl<br />

Rein, München, das Verdienstkreuz<br />

1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt und Notar Michael<br />

Pappe, Haifa, das Verdienstkreuz am<br />

Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Klaus Zehner, Fürstenzell,<br />

das Verdienstkreuz am Bande des<br />

Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Frau<br />

Rechtsanwältin Frauke Ancker,<br />

München, das Verdienstkreuz am<br />

Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Dr. Heinz-Siegmund<br />

Thieler, Dortmund, das Verdienstkreuz<br />

am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Dr. Ullrich Kirchhoff geehrt<br />

Für seine Verdienste um die berufsständische<br />

Versorgung wurde der Vorsitzende<br />

der Arbeitsgemeinschaft BerufsständischerVersorgungseinrichtungen<br />

(ABV) Rechtsanwalt Dr. jur.<br />

Ulrich Kirchhoff (Hannover) mit dem<br />

Verdienstkreuz am Bande des niedersächsischen<br />

Verdienstordens ausgezeichnet.<br />

Seiner Initiative war wesentlich<br />

die Gründung der Rechtsanwaltsversorgung<br />

Niedersachsen zu verdanken.<br />

BFB ehrt Rechtsanwalt<br />

Der Bundesverband der Freien Berufe<br />

(BFB) hat den langjährigen Europaparlamentarier<br />

Rechtsanwalt Willi<br />

Rothley aus Rheinland-Pfalz mit seiner<br />

höchsten Ehrung, der Wilhelm von<br />

Humboldt-Plakette, ausgezeichnet. Der<br />

BFB würdigt damit – wie es in einer<br />

Presseerklärung heißt – den Einsatz des<br />

Sozialdemokraten für die Grundprinzipien<br />

der Freiberuflichkeit. Rothley gehörte<br />

dem Europäischen Parlament seit<br />

1979 an, hatte bei der jüngsten Wahl im<br />

Juni aber nicht mehr kandidiert.<br />

Neues Amt<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich<br />

Scharf ist als erster deutscher Rechtsanwalt<br />

zum Präsidenten des Verbandes<br />

Europäischer Rechtsanwaltskammer<br />

(FBE) gewählt worden. Scharf ist<br />

Präsident der Rechtsanwaltskammer<br />

Celle und Vizepräsident der BRAK.<br />

Geburtstag<br />

Rechtsanwalt Adolf Mayer ist am<br />

27. Juli 2004 80 Jahre alt geworden.<br />

Mayer war nach der Wiedergründung<br />

des Pirmasenser <strong>Anwaltverein</strong>s 1955<br />

längere Zeit Mitglied des Vorstandes.


498<br />

MN DAV-ANWALTAUSBILDUNG<br />

Ausbilden zum Anwalt:<br />

wichtig und richtig<br />

Warum eine Kanzlei an der DAV-Anwaltausbildung teilnimmt –<br />

ein Erfahrungsbericht<br />

Rechtsanwalt Heinrich Potthast, Köln<br />

Die Anwaltschaft ist auf guten<br />

Nachwuchs angewiesen. Deshalb gibt<br />

es die DAV-Anwaltausbildung. Auf dem<br />

55. Deutschen Anwaltstag in Hamburg<br />

hat ein Anwalt berichtet, warum er<br />

nach DAV-Ausbildungskonzept Referendare<br />

betreut. Das <strong>Anwaltsblatt</strong> dokumentiert<br />

den Beitrag aus der Veranstaltung<br />

„Zukunft der Anwaltschaft“<br />

(siehe AnwBl 2004, 411 ff.).<br />

Seit über 20 Jahren bilde ich Referendare<br />

im Rahmen ihrer Anwaltsstage<br />

aus. Fast immer beschränkte sich diese<br />

Ausbildung in der Erstellung von den<br />

notwendigen Pflichtarbeiten und der<br />

Übertragung von einigen wenigen stets<br />

unproblematischen Terminswahrnehmungen.<br />

Selbstkritisch muss man sagen,<br />

dass diese „Ausbildung“ nicht geeignet<br />

ist, Referendare auf den<br />

Anwaltsberuf vorzubereiten. Warum ist<br />

es also erforderlich, sich am DAV-Ausbildungskonzept<br />

zu beteiligen?<br />

Rechtsberatungsgesetz<br />

Wie wir alle wissen, steht das<br />

Rechtsberatungsgesetz zur Überprüfung.<br />

Das in weiten Bereichen für Anwälte<br />

geltende Beratungsmonopol und<br />

die Prozessvertretung wird zukünftig<br />

deshalb auch anderen Berufen eröffnet<br />

sein. Es steht uns also ein erweiteter<br />

Wettbewerb mit anderen Berufssparten<br />

bevor und wir werden uns als Anwälte<br />

in diesem Wettbewerb nur behaupten<br />

können, wenn wir unseren möglichen<br />

Kunden nachvollziehbar unter Beweis<br />

stellen, dass sie in Rechtsangelegenheiten<br />

durch Rechtsanwälte wesentlich<br />

qualifizierter beraten und vertreten<br />

werden als durch die nichtanwaltliche<br />

Konkurrenz. Negative Erfahrungen<br />

mit einem Anwalt publizieren sich<br />

zehnmal häufiger und schneller als positive<br />

Erfahrungen. Dies ist statistisch<br />

erwiesen. Es darf also gar nicht erst zu<br />

negativen Erfahrungen mit Anwälten<br />

kommen. Nur qualifiziert und gut ausgebildete<br />

Anwälte können diesem Anspruch<br />

gerecht werden. Ein junger Anwalt,<br />

der ohne eine qualifizierte<br />

Rechtsanwal Heinrich Potthast ...<br />

Ausbildung ins kalte Wasser geworfen<br />

wird, wird zwangsläufig auf Kosten<br />

der Mandanten „aus Fehlern lernen“.<br />

Wie die Anwaltschaft dann vor dem<br />

Mandanten dasteht, brauche ich nicht<br />

näher auszuführen. Die Sicherung der<br />

Qualität der Rechtsberatung liegt also<br />

in unserem ureigensten Interesse.<br />

Eigener Nachwuchs<br />

In allen Anwaltsbüros steht irgendwann<br />

einmal die Frage der Einstellung<br />

neuer Mitarbeiter oder die Suche nach<br />

einem Nachfolger an. Auf eine Anzeige<br />

in den einschlägigen Fachzeitschriften<br />

folgen Bewerbungszuschriften<br />

im dreistelligen Bereich. Kleine<br />

oder mittlere Kanzleien können das<br />

Risiko der Einstellung mehrerer Kandidaten<br />

nicht eingehen, um dann nach<br />

einer gewissen Überprüfungszeit den<br />

geeigneten Kandidaten auszuwählen.<br />

Für solche Kanzleien ist deshalb die<br />

Auswahl aus der Vielzahl der Bewerbungen<br />

ein Lotteriespiel. Anwälte, die<br />

die DAV-Ausbildung vollzogen haben<br />

bieten jedoch in erheblichem Umfang<br />

eine Gewähr, dass sie nicht nur aus<br />

der Not heraus Anwalt werden wollen,<br />

sondern den Anwaltsberuf als ihr tatsächliches<br />

Berufsziel ansehen verbunden<br />

mit der dafür bereits nachgewiesenen<br />

Qualifikation. Das Risiko einer<br />

Fehlprognose bei einer solchen Ein-<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

stellung sinkt also ganz erheblich.<br />

Auch ist ein Ausbildungskollege, den<br />

man im Zweifelsfall vor der Einstellung<br />

anspricht viel besser geeignet, ein<br />

qualifiziertes Urteil abzugeben als ein<br />

Anwalt, der einen Referendar nur in<br />

der „normalen“ Stage irgendwann einmal<br />

kurz gesehen hat.<br />

Netzwerk<br />

Bei einer guten Ausbildung durch<br />

den DAV-Ausbilder stellen die ausgebildeten<br />

Referendare nach meiner<br />

Erfahrung sehr gute Werbeträger für<br />

die eigene Kanzlei dar. Das Argument,<br />

man bilde die zukünftige Konkurrenz<br />

aus und gefährde deshalb seine eigene<br />

berufliche Situation kann ich deshalb<br />

nicht nachvollziehen. Die von uns ausgebildeten<br />

Referendare werden im<br />

Zweifelsfall also Anwalt werden. In<br />

den Gebieten, in denen Sie anwaltlich<br />

nicht tätig sind, in Fällen der Interessenkollision<br />

usw. wird der junge Anwalt<br />

deshalb seine Mandanten gerne<br />

an die Kanzlei weiterempfehlen, die<br />

ihn ausgebildet hat. Dort weiß er, dass<br />

seine Mandanten gut aufgehoben sind.<br />

Aus meiner eigenen Erfahrung kann<br />

ich nur betonen, dass von mir ausgebildete<br />

Referendare, die heute in der<br />

Verwaltung, der Justiz oder gar in Anwaltsbüros<br />

sitzen, immer noch Mandate<br />

kommen, weil diese von mir<br />

früher ausgebildeten Referendare wissen,<br />

wen sie empfehlen.<br />

Unterstützung<br />

Die Referendarinnen und Referendare,<br />

die an der DAV-Ausbildung teilnehmen,<br />

sind schon sehr bald auch für<br />

das ausbildende Büro eine qualifizierte<br />

Hilfe. Anders als der „normale“ Referendar<br />

treten die nach unserem Modell<br />

ausgebildeten Referendare mit einem<br />

ganz anderen Engagement, mit einem<br />

wesentlich höheren Pflichtgefühl und<br />

schon sehr schnell mit dem von ihnen<br />

gelernten „Anwaltsdenken“ an ihre<br />

Arbeit heran. Die Teilnahme an Beratungen,<br />

Prozessterminen und dem<br />

sonstigen Anwaltsalltag zeigt dem Referendar<br />

sehr schnell, welche Denkweise,<br />

Organisation, welche Ziele und<br />

Strategien der Anwalt beherrschen<br />

muss, um erfolgreich zu arbeiten. Einem<br />

Referendar, der einige Monate in<br />

diesem Umfang im Büro mitgearbeitet<br />

hat, übertrage ich wesentlich sicherer<br />

und beruhigter eine Arbeit.


AnwBl 8 + 9/2004 499<br />

DAV-Anwaltsausbildung MN<br />

Kompetenz<br />

Die Auseinandersetzung mit dem<br />

Ausbildungscurriculum erhöht nicht zuletzt<br />

aber auch die eigene Kompetenz,<br />

auch der Lehrende lernt. Auch bei regelmäßiger<br />

Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen<br />

ist es nicht auszuschließen,<br />

dass auch Anwälte<br />

irgendwann einmal betriebsblind werden<br />

und es kann nichts schaden, wenn<br />

man an bestimmte Ausbildungsinhalte<br />

noch einmal erinnert wird. Ich gebe zu,<br />

dass auch mir beim Studium des Curriculums<br />

einige Dinge in Erinnerung gerufen<br />

wurden, über die nachzudenken<br />

sich lohnt und die schon Gegenstand<br />

von Sozietätsbesprechungen waren.<br />

Verband<br />

Der DAV bildet aus. Der DAV hat ein<br />

qualifiziertes Ausbildungsmodell erstellt.<br />

Als Mitglied eines Ortsvereins<br />

... und seine DAV Anwaltsreferendarin<br />

Isabelle Leinbrock<br />

des DAV bin ich also ebenfalls gefordert,<br />

mich an der Tätigkeit des DAV zu<br />

beteiligen. Ich kann nicht nur die Funktionsträger<br />

arbeiten lassen und nachher<br />

an Fehlschlägen herummäkeln. Der<br />

DAV hat sich ein hohes Ziel gesetzt.<br />

Dieses Ziel kann nur erreicht werden,<br />

wenn die Mitglieder des DAV auch mitarbeiten.<br />

Insoweit halte ich es für eine<br />

Selbstverständlichkeit, als Mitglied des<br />

DAV dessen Arbeit zu unterstützen.<br />

Freude<br />

Ausbildung macht Spaß. Die Vermittlung<br />

von Wissen, von Erfahrungen,<br />

von Erlebnissen und Erkenntnissen beweist<br />

uns selber, welch wunderschönen<br />

Beruf wir haben. Wir setzen uns für<br />

Recht ein, wir helfen Menschen, wir<br />

helfen der Gemeinschaft. Wenn ein<br />

ausgebildeter Referendar diese Er-<br />

kenntnis und Motivation neben der<br />

fachlichen Qualifikation erlangt, so ist<br />

dies auch ein Erfolg des Ausbilders.<br />

Und Erfolg macht bekanntlich Spaß.<br />

Anwaltsausbildung<br />

Am Schluss möchte ich auf den allerwichtigsten<br />

Punkt hinweisen, den<br />

wir gar nicht genug betonen können.<br />

Die bisherige Ausbildung hatte als<br />

Ziel die Befähigung zum Richteramt.<br />

Dies war das Ergebnis des zweiten<br />

Staatsexamens. Die Befähigung zum<br />

Anwaltsberuf ist nirgendwo erwähnt<br />

gewesen.<br />

Wie wichtig diese Befähigung zum<br />

Anwaltsberuf ist, wissen wir alle. Wir<br />

dürfen die Ausbildung zum Rechtsanwalt<br />

nicht Richtern und Staatsanwälten<br />

oder gar der Verwaltung überlassen.<br />

Es gibt eine notwendige Ausbildung für<br />

die, die Rechtsanwalt werden wollen<br />

und diese Ausbildung können natürlich<br />

nur Rechtsanwälte erbringen. Wie oft<br />

würden wir es begrüßen, wenn der zu<br />

einer Entscheidung berufene Richter<br />

einmal vor seiner Richtertätigkeit für<br />

ein Jahr Anwalt gewesen wäre. In den<br />

wenigen Fällen, in denen dies so war,<br />

erntet man fast immer bei den Richtern<br />

mehr Verständnis für die Mandanten<br />

oder für die Tätigkeit als Anwalt. Selbst<br />

wenn also der nach dem DAV-Modell<br />

ausgebildete Referendar später nicht<br />

Anwalt sondern Richter wird, wird er<br />

die anwaltliche Tätigkeit aus einem<br />

ganz anderen Blickwinkel sehen, weil<br />

er diese anwaltliche Tätigkeit intensiv<br />

kennen gelernt hat.<br />

Schluss<br />

Immer noch sieht die weitaus überwiegende<br />

Zahl der Referendare den<br />

Anwaltsberuf nur als Notlösung für den<br />

Fall an, dass eine andere Stelle in Justiz<br />

oder Verwaltung nicht erreicht wird.<br />

Die ersten Erfahrungen mit der DAV-<br />

Ausbildung beweisen, dass die AbsolventInnen<br />

nach diesem Modell unvergleichlich<br />

bessere Berufsaussichten<br />

haben werden, nicht nur im Anwaltsberuf,<br />

sondern sicher auch in der Industrie<br />

und Justiz. Es bleibt abzuwarten, ob<br />

sich diese Prognose auch tatsächlich bewahrheitet,<br />

wenn ich aber meine „Ausbildung“<br />

zum Anwalt mit derjenigen<br />

des DAV-Modells vergleiche, so bin ich<br />

von der Richtigkeit überzeugt. Ich habe<br />

den Anwaltsberuf erst als bereits zugelassener<br />

Anwalt kennen gelernt und<br />

hätte sicherlich viel Lehrgeld gezahlt,<br />

wenn ich nicht in meinem damaligen<br />

Seniorpartner einen hervorragenden<br />

Ausbilder gehabt hätte.<br />

Informationen<br />

Punktgenau informiert<br />

mit dem Newsletter für<br />

DAV-Ausbildungskanzleien<br />

DAV-Ausbilderinnen und DAV-Ausbilder<br />

werden jetzt umfassend und aktuell<br />

über Neuigkeiten zur DAV-Anwaltausbildung<br />

informiert: Der<br />

Newsletter „DAV-Anwaltausbildung<br />

aktuell“ erscheint mehrmals jährlich.<br />

Themen waren bisher unter anderem<br />

„Warum DAV-Ausbildungskanzlei werden?“,<br />

„Der theoretische Kurs zur<br />

DAV-Anwaltausbildung“, „Ausbildung<br />

international“ oder „FAQ – häufig gestellte<br />

Fragen“. Kolleginnen und Kollegen,<br />

die in den Listen ausbildungsbereiter<br />

Kanzleien stehen, erhalten den<br />

Newsletter im pdf-Format per E-Mail.<br />

Die DAV-Anwaltausbildung<br />

9 12-monatige Praxisausbildung<br />

während des Referendariats<br />

9 Theoretischer Kurs zur DAV-Anwaltausbildung<br />

in Kooperation mit<br />

der FernUniversität Hagen<br />

9 Nach erfolgreichem Abschluss:<br />

das DAV-Ausbildungszertifikat<br />

Der Einstieg ist für Referendare und<br />

Kanzleien laufend möglich.<br />

Weitere Informationen: <strong>Deutscher</strong><br />

<strong>Anwaltverein</strong>, Rechtsanwalt Cord<br />

Brügmann (Sekretariat Frau Baehr),<br />

Tel.: 030-72 61 52-188, Fax: -163,<br />

anwaltausbildung@anwaltverein.de,<br />

www.dav-anwaltausbildung.de.


500<br />

MN<br />

9<br />

Anwalt – Priester – Arzt<br />

Die Sinnkrise der Institutionen<br />

geht auch an der Anwaltschaft nicht vorbei<br />

Alle sind sie Teil einer Institution<br />

und hehren Idealen verpflichtet. Der<br />

Priester ist Statthalter Gottes und hat<br />

kraft Berufung ein Amt, das – jedenfalls<br />

nach katholischem Verständnis –<br />

göttlichen Ursprungs ist. Der Arzt ist<br />

seit alters her dem hippokratischen Eid<br />

verpflichtet, Heilen und Fürsorgen ist<br />

sein Metier. Dem Anwalt wird kraft<br />

Gesetzes bescheinigt, aber auch als<br />

Pflicht auferlegt, dass er „Organ der<br />

Rechtspflege“ sei, Mittler zugunsten<br />

des Bürgers, dem Unrecht geschehen<br />

Rechtsanwalt Prof.<br />

Dr. Friedrich Graf<br />

von Westphalen ist<br />

Mitglied des Vorstandes<br />

des Deutschen<strong>Anwaltverein</strong>s.<br />

ist. Und es sind die essenziellen Werte<br />

des anwaltlichen Berufsstandes, die<br />

sein Bild zeichnen sollen: Die Unabhängigkeit,<br />

die Verschwiegenheit und<br />

das Gebot, keine widerstreitenden Interessen<br />

zu vertreten.<br />

Doch alle Institutionen, als deren<br />

Repräsentanten Anwalt, Priester oder<br />

Arzt in der Öffentlichkeit erscheinen,<br />

haben inzwischen mehr oder weniger<br />

nachhaltig ihre Sinnkrise erlebt. Sie<br />

sind brüchig geworden, weil der<br />

Bürger, geprägt von den Anforderungen<br />

des „Aufstandes der Massen“ (Ortega<br />

y Gasset) den langen Weg zur „Individualisierung<br />

der Massen“<br />

(Meinhard Miegel) zurückgelegt hat,<br />

an dessen Wegziel das „Ende des Individualismus“<br />

sich abzeichnet, wie die<br />

treffliche Zeitkritik von Miegel/Wahl<br />

lautet, mit dem – gültigen – Untertitel:<br />

„Die Kultur des Westens zerstört sich<br />

selbst“ (Bonn 1994). Und mit der Krise<br />

der Institution, mit dem Verlust der damit<br />

einhergehenden Amtsautorität ist<br />

ganz zwingend auch eine Einbuße der<br />

dem jeweiligen Amtsträger zufließenden<br />

Autorität, aber auch an fraglos ihm<br />

zuteil werdendem Vertrauen verbunden.<br />

Kaum ein Berufsstand erlebte dieses<br />

Zerbrechen der Institutionen, den<br />

Verlust an Ansehen und Prestige wie<br />

die Universitätslehrer. Gegenwärtig<br />

sind vor allem die Kirche und die in<br />

ihr dienenden Priester erfasst. Die erschreckend<br />

weiter sinkende Zahl der<br />

sonntäglichen Messbesuche ist hierfür<br />

ein untrügliches Indiz. Schon lange<br />

wird der Priester nicht mehr als Träger<br />

eines Weiheamtes verstanden, wertgeschätzt<br />

oder auch in dieser Funktion<br />

überhaupt noch gesehen. Es ist allein<br />

oder doch zumindest in erster Linie<br />

nur die Person des einzelnen Priesters,<br />

die – wenn denn überhaupt – Ansehen<br />

und Anerkennung kraft der seiner Person<br />

zufließenden Autorität erfährt, Vertrauen<br />

und Zuwendung eingeschlossen.<br />

Es ist eine Abstimmung mit den<br />

Füßen, die sich Sonntag für Sonntag in<br />

den Gemeinden vollzieht, weil die alles<br />

entscheidende Frage nur noch dahin<br />

lautet: Was nützt es mir, der Priester,<br />

der Gottesdienst, die Predigt und<br />

damit auch die Kirche, ihre caritativen<br />

Dienste eingeschlossen?<br />

In der Person des Arztes wird diese<br />

Diskrepanz zwischen Institution –<br />

staatliche Gesundheitsvorsorge – und<br />

dem Ansehen des einzelnen Mediziners<br />

auch sehr deutlich. Als Teil des<br />

staatlichen Gesundheitssystems hat der<br />

Arzt jegliche Anerkennung und auch<br />

fast jedes Prestige eingebüßt. In dem<br />

Dreieck zwischen Kassen, Pharmaindustrie<br />

und Politik ist seine Autorität<br />

weithin zerrieben worden; vor allem<br />

das Zerrbild des Funktionärs und des<br />

Lobbyisten überlebt hier. Derweilen<br />

konstatiert der Bürger missmutig, dass<br />

es offenbar zum staatlichen Gesundheitssystem<br />

und seinen horrenden Kosten<br />

keine preiswerte Alternative gibt.<br />

Doch der „Hausarzt“ vor Ort genießt<br />

Vertrauen, oft das ganz und gar uneingeschränkte<br />

Vertrauen seiner Patienten,<br />

erst recht der gefragte, der weithin<br />

gesuchte Spezialist. Und auch die Reputation<br />

eines Krankenhauses ist nur<br />

die Summe des Rufs der dort tätigen<br />

Ärzte, selektiv vor allem, keineswegs<br />

kollektiv für alle Krankheiten und<br />

Sparten gleichermaßen.<br />

Man mag darüber streiten, ob es<br />

einmal so etwas gab, was als Institution<br />

Anwaltschaft überhaupt zu erkennen<br />

war. Vielleicht früher einmal (sieht<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

man von der NS-Zeit einmal gründlich<br />

ab) war es anders: Der Anwalt wurde<br />

als Teil der „Rechtspflege“, als deren<br />

„Organ“, aber auch als Antipode der<br />

Justiz wahrgenommen. Daher war die<br />

anwaltliche Unabhängigkeit – lange<br />

umkämpft und als später Erfolg des<br />

Rechtsstaats gefeiert – immer auch<br />

und notwendigerweise Staatsferne,<br />

Gegnerschaft zum Staat und seinem<br />

Machtanspruch, der im Sinn des<br />

Rechts und des Gesetzes zugunsten<br />

des Bürgers zu mäßigen und zu maßregeln<br />

war. Inzwischen aber ist es offenkundig<br />

so, dass die Sinnkrise der<br />

Institutionen – Staat, Schule, Universität,<br />

Kirche, Familie und Ehe – auch<br />

an der Anwaltschaft nicht vorbeigegangen<br />

ist, sozusagen sie verschont<br />

hat. Diese Entwicklung freilich färbt<br />

unmittelbar auf das eigene Selbst- und<br />

Es geht um<br />

Fortbildungspflicht und<br />

Spezialisierung,<br />

es geht um Qualität<br />

Wertverständnis der Anwälte ab, nicht<br />

minder aber auch auf das Vertrauen<br />

und auf den Respekt, der ihnen der<br />

Bürger in der Öffentlichkeit entgegenbringt.<br />

Denn sie verkörpern die den anwaltlichen<br />

Beruf prägenden Werte –<br />

Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und<br />

keine Vertretung widerstreitender Interessen<br />

– nicht mehr im Kollektiv ihres<br />

Standes, sondern nur noch als je handelnde<br />

Personen, als Individuen eben,<br />

und dies notwendigerweise in unterschiedlicher<br />

Deutlichkeit, oft auch<br />

mit nachlassender Überzeugungskraft.<br />

Zwangsläufig ist daher der Befund:<br />

Nicht mehr dem anwaltlichen Berufsstand<br />

in seiner Gesamtheit bringt der<br />

Bürger Vertrauen und Respekt entgegen,<br />

sondern nur noch dem je einzelnen<br />

Anwalt, auch wenn Verfassungsrecht<br />

und Politologie uns lehren, dass<br />

die Funktion der freien und unabhängigen<br />

Anwaltschaft für einen freiheitlichen<br />

Rechtsstaat konstitutiv ist.<br />

Es ist eben so – unabänderlich fürs<br />

erste sicherlich – , die ungefragte und<br />

aus sich selbst heraus legitimierte<br />

Amtsautorität einer Institution gibt es<br />

nicht mehr, weder in der Kirche noch<br />

im Staat, weder bei den politischen<br />

Parteien noch bei der Wirtschaft. Kein<br />

Berufsstand kann sich aus dieser<br />

Schlinge befreien. Nur noch die Auto-


AnwBl 8 + 9/2004 501<br />

Meinung & Kritik MN<br />

rität zählt, die der Person, dem je Einzelnen<br />

zuteil wird, kraft seiner Persönlichkeit,<br />

seiner Verdienste, kraft seines<br />

erworbenen Rufs, der jeweiligen Leistung<br />

und ihrer Integrität wegen. Gerade<br />

wenn man das Bild der Anwaltschaft<br />

als ein Massenphänomen umschreibt,<br />

wird man diesen Zusammenhang<br />

schwerlich leugnen können. Diese Erkenntnis<br />

jedoch gebiert ganz zwangsläufig<br />

einen weiteren Befund, als Teil<br />

der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es<br />

ist der Verlust an Vertrauen.<br />

Im Zeichen der Globalisierung und<br />

der Macht des Kapitals wird, wie<br />

der amerikanische Soziologe Richard<br />

Sennett treffend festgestellt hat, nur<br />

noch der „flexible Mensch“ gefordert.<br />

Es ist einer, dem permanente Mobilität<br />

und der Verzicht auf Sekurität und den<br />

Erhalt von Bindungen, die prägen und<br />

dauern, abverlangt wird, der persönliche<br />

Freundschaften den „connections“<br />

und dem aufzubauenden „Netzwerk“<br />

bereitwillig opfert und die Ehe auf Lebenszeit<br />

den zweifelhaften Vorteilen<br />

wechselnder „Beziehungen“. Der Verlust<br />

an Vertrauen und Verlässlichkeit ist<br />

eben der Tribut, den wir alle wegen der<br />

„Individualisierung der Massen“ (Miegel)<br />

zu entrichten haben. Statt der erhofften<br />

Selbstbestimmung des je Einzelnen<br />

macht sich ein Gefühl der<br />

Ohnmacht und der Sinnlosigkeit breit,<br />

die Angst vor der Isolation eingeschlossen;<br />

der bekannte Stress des Wochenendes<br />

belegt das Gemeinte. Der Anwalt<br />

und sein Mandant sind eben Teil der gesellschaftlichen<br />

Wirklichkeit.<br />

Wenn aber die unverzichtbaren<br />

Werte – Unabhängigkeit, Verschwiegenheit<br />

und keine Vertretung widerstreitender<br />

Interessen – nur noch als<br />

Attribute der Tätigkeit des je Einzelnen<br />

Anwalts zu verstehen und zu erringen<br />

sind, dann fordert der damit einhergehende<br />

Verlust an originärem Vertrauen<br />

des Bürgers in die Kompetenz<br />

des Anwalts ein Gegensteuern. Es geht<br />

dann um die Verbesserung der Qualität<br />

der rechtlichen Beratung des Bürgers,<br />

es geht um Fortbildungspflicht und um<br />

Spezialisierung. Beides ist natürlich<br />

aufwendig. Beides fordert und fördert<br />

in den Grenzen der Unabhängigkeit,<br />

aber sie ausfüllend, dann auch die Ungleichheit,<br />

in Autorität, Prestige und<br />

Einkommen gleichermaßen. Doch Richard<br />

Sennett hat gezeigt, dass „im<br />

Zeitalter der Ungleichheit“ der „Respekt“<br />

gegenüber dem je anderen die<br />

einzig zutreffende und für eine freie<br />

Gesellschaft zuträgliche Antwort ist<br />

(Berlin 2002). Denn der „Respekt“ vor<br />

dem Anliegen des Rechtssuchenden<br />

führt immer dann zum Vertrauen des<br />

Rechtssuchenden, wenn der Anwalt in<br />

völliger Unabhängigkeit darauf verzichtet,<br />

die Rechtsposition seines Mandanten<br />

einfach zu stärken, um den<br />

Streit zuzuspitzen.<br />

Vertrauen wird im Gegenteil vor allem<br />

dann erworben, wenn und weil der<br />

Anwalt das haftungsrechtliche Diktat<br />

des Rates des „sicheren Weges“ gnadenlos<br />

im Interesse des Mandanten befolgt.<br />

Genau wie ein Chirurg, der nie<br />

vom Erfolg seiner Operationen spricht,<br />

sondern zunächst pflichtgemäß den Patienten<br />

aufklärt, ihm die Risiken und<br />

nichts als die Risiken, die häufigen und<br />

die selten eintretenden, erläutert und<br />

just damit Vertrauen schafft. Genauso<br />

muss und sollte der Anwalt vorgehen,<br />

die vielfältigen Risiken im Rechtlichen<br />

wie im Tatsächlichen immer wieder aufzeigend,<br />

nicht ängstlich, sondern fachkundig<br />

und realistisch-mutig, mit Augenmaß<br />

den Ausgleich der Interessen<br />

anstrebend, aber vor allem auch bescheiden<br />

und maßvoll, im Rat wie in<br />

der Stellung der Rechnung.<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf<br />

von Westphalen, Köln<br />

Anwaltsmonopol,<br />

Verbraucherschutz,<br />

Verschwiegenheit<br />

Worum geht es bei der Reform<br />

des Rechtsberatungsgesetzes?<br />

In der Diskussion um das Rechtsberatungsgesetz<br />

stehen sich zwei Lager<br />

gegenüber: Die einen sprechen<br />

von einem „Beratungsmonopol“ der<br />

Anwälte, einer „Bevormundung“ der<br />

Kunden und „ständischen Vorrechten“.<br />

Rechtsanwalt Niko<br />

Härting aus Berlin<br />

ist Mitglied des Berufsrechtausschusses<br />

des DAV<br />

Die anderen fürchten um die Rechtskultur<br />

und sehen „Schmalspurjuristen“<br />

am Horizont, die den Verbraucher<br />

schlecht und billig beraten und Anwälte<br />

in den Ruin treiben.<br />

Wer hat das Rechtsberatungsgesetz<br />

in Misskredit gebracht? Zum erheblichen<br />

Teil die Anwälte und Kammern<br />

selbst. Die unendliche Weite des Be-<br />

griffs der Rechtsberatung hat manche<br />

von ihnen dazu verleitet, gegen Unternehmensberater,<br />

Fernsehsender, Erbensucher,<br />

karitative Verbände oder auch<br />

pensionierte Richter gerichtlich vorzugehen<br />

und ihnen unerlaubte Rechtsberatung<br />

vorzuwerfen. Dies erweckte<br />

den fatalen (und nicht immer verkehrten)<br />

Eindruck, hier seien „Monopolisten“<br />

am Werk, die unter der Flagge<br />

eines alten Gesetzes fragwürdige Besitzstände<br />

verteidigen.<br />

Es geht nicht um<br />

„Privilegien“, sondern um<br />

Bürgerrechte<br />

Sieht man das Rechtsberatungsgesetz<br />

durch die Brille der Marktwirtschaft,<br />

so ergeben die Beschränkungen<br />

wenig Sinn. Wenn die Anwälte – mehr<br />

oder minder qualifizierte – Konkurrenz<br />

bekommen, mag der Kunde je<br />

nach Bedarf entscheiden, ob er den<br />

Gang zum Anwalt wählt oder sich mit<br />

den Diensten eines anderen „Rechtsdienstleisters“<br />

begnügt. Der Verbraucher<br />

kommt dabei nach den Vorstellungen<br />

der Marktwirtschaftler nicht zu<br />

kurz: „Informationsmodelle“ sollen<br />

ihn zur Unterscheidung zwischen anwaltlichem<br />

Qualitätsrat und sonstigen<br />

„Rechtsdienstleistungen“ befähigen.<br />

Wer hat den Einzug der Marktwirtschaft<br />

in den Anwaltsmarkt an vorderster<br />

Front gefordert und umgesetzt?<br />

Ein erheblicher Teil der Anwaltschaft,<br />

der sich daran zu gewöhnen begann,<br />

dass der Erfolg der eigenen Arbeit an<br />

Umsatzzahlen und „billable hours“ gemessen<br />

wird. Man fragte zunehmend,<br />

ob die gesetzliche Stellung als „Organ<br />

der Rechtspflege“ nicht doch ein alter<br />

Zopf und eine sinnlose Fessel sei; die<br />

übernommenen Grundpflichten des eigenen<br />

Berufs wurden als „Pathoskatalog“<br />

belächelt. Man gewöhnte sich an<br />

einen hemdsärmligen Umgang mit der<br />

Verschwiegenheitspflicht und schmückte<br />

sich nach erfolgreichen Prozessen und<br />

„Deals“ mit selbstbewussten Presseerklärungen.<br />

Interessenkonflikte in der<br />

eigenen Kanzlei löste man durch „Chinese<br />

Walls“ und sprach sich für eine<br />

Zusammenarbeit mit Wirtschaftsprüfern<br />

und Unternehmensberatern aus,<br />

die per Formular schnell unterschreiben<br />

sollten, dass sie sich den anwaltlichen<br />

Berufspflichten unterwerfen.<br />

Sind die Berufspflichten also ein<br />

Relikt aus alten Zeiten? Und was unterscheidet<br />

eigentlich den Anwalt von<br />

einem x-beliebigen „Dienstleister“?<br />

Die wichtigsten Berufspflichten sind<br />

die Pflicht zur Verschwiegenheit und


502<br />

MN<br />

Unabhängigkeit, das strikte Verbot der<br />

Vertretung widerstreitender Interessen<br />

sowie die gesetzliche Pflicht zur Übernahme<br />

von Pflichtverteidigungs- und<br />

Beratungshilfemandaten. Diese Pflichten<br />

werden ergänzt durch Schweigerechte<br />

und Beschlagnahmeverbote.<br />

Dies alles sind keine „Privilegien“ des<br />

Anwalts. Wenn jetzt Lauschangriffe<br />

auf Anwälte gefordert werden, geht<br />

es nicht um Anwaltsrechte, sondern<br />

um Bürgerrechte. Die Sonderstellung<br />

der Anwälte dient dazu, dem Bürger<br />

bestmöglich zu seinem Recht zu verhelfen.<br />

Bürgerrechte oder freie Marktwirtschaft:<br />

Zwischen diesen beiden Polen<br />

bewegt sich der Anwaltsberuf. Der<br />

Alltag des kleinstädtischen Hausanwalts<br />

hat nur noch wenig gemein<br />

mit dem Berufsleben eines Wirtschaftsjuristen<br />

in einer internationalen<br />

Großkanzlei. Je mehr die Gesetze des<br />

Marktes die eigene Berufsausübung<br />

prägen, desto schattenhafter werden<br />

die Gemeinwohlinteressen, denen der<br />

Anwalt (auch) dienen soll.<br />

Wer dem Bürger künftig die freie<br />

Wahl geben möchte zwischen einem<br />

Anwalt und einem Berater, der weder<br />

unabhängig noch verschwiegen ist,<br />

setzt klare Prioritäten: Marktwirtschaft<br />

vor Bürgerrechte; freie Entfaltung der<br />

Marktkräfte vor der Gewährleistung<br />

des Rechts. Wer zudem Gemeinwohlbelange<br />

als „hohles Pathos“ oder als<br />

„Lobby-Geschäft“ der Anwälte gering<br />

schätzt, hat die Prioritäten bereits gesetzt,<br />

bevor er sie ernsthaft erwogen<br />

hat. Besonders hervorgetan beim vorschnellen<br />

Reden haben sich Anwälte,<br />

die die Berufpflichten ebenso forsch<br />

wie modisch als „Marketing-Instrumente“<br />

anpreisen. Für Anwälte und<br />

Politik heißt es Abschied nehmen. Abschied<br />

von der Vorstellung eines einheitliche<br />

Berufsbildes, das es in der<br />

Wirklichkeit schon lange nicht mehr<br />

gibt. Internationale Großkanzleien arbeiten<br />

marktwirtschaftlich. Sie werden<br />

damit leben können (und müssen), in<br />

zunehmendem Maße der Konkurrenz<br />

anderer Dienstleister ausgesetzt zu<br />

sein. Die kleine Anwaltskanzlei „vor<br />

Ort“ ist mit anderen Maßstäben zu<br />

messen, da sie kein mittelständisches<br />

Unternehmen ist wie jedes andere<br />

auch. Wie immer das neue Gesetz<br />

heißen mag, das an die Stelle des<br />

Rechtsberatungsgesetzes tritt: Differenzierte<br />

Lösungen sind gefragt. Dabei<br />

darf nicht in Vergessenheit geraten,<br />

dass es bei der Sonderstellung der Anwälte<br />

nicht um „Privilegien“ der Anwälte,<br />

sondern um Bürgerrechte geht.<br />

Rechtsanwalt Niko Härting, Berlin<br />

Vertrauensschadensfonds:<br />

Es geht nicht um bewusst<br />

kriminell tätige Kollegen<br />

Leserzuschrift zu dem Kommentar<br />

„Vertrauensschadensfonds der Rechtsanwälte<br />

für kriminelle Kollegen?“<br />

von Rechtsanwalt Dr. Michael Streck<br />

in AnwBl 2004, 212:<br />

Nur so lässt sich ein begründeter<br />

Vertrauensverlust gegenüber den Organen<br />

der Rechtspflege, zu deren Inanspruchnahme<br />

den Einzelnen keine<br />

Alternative zur Verfügung steht, verhindern“.<br />

Mit diesem Kernsatz empfiehlt<br />

der Petitionsausschuss der Bundesregierung<br />

die Einrichtung eines<br />

gesetzlich vorgesehenen Vertrauensschadensfonds<br />

für Rechtsanwälte. Der<br />

Rechtsanwalt Matthias<br />

Schollen aus<br />

Freiburg ist Vorsitzender<br />

des Vertrauensschadensfonds<br />

bei der Rechtsanwaltskammer<br />

Freiburg e. V. Der<br />

Fonds wird gespeist<br />

durch Bußgeldzahlungen,<br />

Ordnungs- und<br />

Geldstrafen, Spenden<br />

sowie Mitgliedsbeiträge.<br />

Petitionausschuss hält für die Ausgestaltung<br />

der obligaten Berufshaftpflichtversicherung<br />

eine ergänzende<br />

Regelung für erforderlich, die auch bei<br />

vorsätzlicher Pflichtverletzung Versicherungsschutz<br />

bietet.<br />

Michael Streck wendet sich mit<br />

seinem Kommentar in AnwBl. 2004,<br />

212 zu Recht und mit guten Gründen<br />

gegen diese Form der Vertrauensschadenvorsorge.<br />

Er „schüttet das Kind jedoch<br />

mit dem Bade aus“, wenn er<br />

auch den bei der Rechtsanwaltskammer<br />

Freiburg als gemeinnützigen Verein<br />

eingerichteten Vertrauensschadenfonds<br />

auf gleiche Ebene mit der<br />

gesetzlichen Vertrauensschadenversicherung<br />

stellt und mit Bausch und<br />

Bogen ablehnt. Die Zielrichtung des<br />

Freiburger Fonds hat ebenso wie übrigens<br />

die des bei der Rechtsanwaltskammer<br />

München eingerichteten Vertrauensschadenfonds<br />

eine wesentlich<br />

andere Nuance als die der gesetzlichen<br />

Vertrauensschadenversicherung.<br />

Persönliches und dem Berufsstand<br />

entgegengebrachtes Vertrauen wird<br />

ramponiert, zukünftiges Vertrauen gefährdet,<br />

wenn Mandanten vorsätzlich<br />

geschädigt werden. Das eher hohe Ansehen<br />

des Berufsstandes mag im<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Meinung & Kritik<br />

Großen und Ganzen noch nicht allgemein<br />

gelitten haben, doch tickt unseres<br />

Erachtens für jeden, der dies<br />

hören wollte, unüberhörbar eine Zeitbombe.<br />

Es geht uns in erster Linie<br />

nicht um bewusst kriminell tätige Kollegen,<br />

sondern um die alltäglichen<br />

Grenzfälle unzulänglicher Berufsausübung.<br />

Viel zu viele Kollegen<br />

führen z. B. gar kein Fremdgeldkonto<br />

oder die Organisation ihrer Konten ist<br />

unzureichend. Die Trennung zwischen<br />

fremdem und eigenem Geld ist gefährlich<br />

unscharf. Erkrankt ein solcher<br />

Kollege und kann seinen Amtsgeschäften<br />

nicht mehr nachgehen, rächen<br />

sich diese organisatorischen<br />

Mängel fürchterlich. In der Not wird<br />

von fremdem Geld gelebt. Der Kollege<br />

wird straffällig, ist jedoch einem<br />

bewusst kriminell Tätigen nicht<br />

gleichzustellen.<br />

Solche Fälle, vor deren Existenz<br />

leider viel zu häufig Augen verschlossen<br />

werden, hat unser Fonds im Sinn.<br />

In solchen Fällen können wir helfen.<br />

Darüber hinaus antworten wir in einer<br />

Art berufsständischem Beschwerdemanagement<br />

rasch auf Beanstandungen.<br />

Den Beschwerdeführern widmen<br />

wir ein offenes Ohr und damit, was<br />

nicht zu unterschätzen ist, Zeit. Wir<br />

sind durch persönlichen Einsatz<br />

bemüht, für den Berufsstand verspieltes<br />

Vertrauen wiederzugewinnen.<br />

Nicht zuletzt mildert der Fonds in Härtefällen<br />

materiellen Schaden, wenn der<br />

Geschädigte anderweitig, insbesondere<br />

vom Schädiger selbst, keinen Ersatz<br />

erhalten hat und er hilfsbedürftig<br />

i. S. d. AO ist. Einen Rechtsanspruch<br />

auf materielle Hilfe gibt es hingegen<br />

nicht. Die Mittel, die von uns zur<br />

Hilfe verwendet werden, werden von<br />

den schwarzen Schafen der Zunft z. B.<br />

durch gegen sie verhängte Geldbußen<br />

aufgebracht.<br />

Um bei der Bildsprache von Streck<br />

zu bleiben: Wir meinen nicht, die<br />

Schwester müsse zwangsläufig für den<br />

Bruder haften. Wir denken jedoch,<br />

dass es richtig ist, der Schwester Instrumente<br />

an die Hand zu geben, auf<br />

dass sie in geeigneten Fällen für den<br />

Bruder einstehen kann. Dies ist Ausdruck<br />

einer intakten Familie, die von<br />

Dritten gerade, weil sie füreinander<br />

einsteht, für vertrauenswürdig erachtet<br />

wird. Von Vertrauen leben wir alle.<br />

Was ist hiergegen zu sagen? Nichts,<br />

der freiwillige Vertrauensschadenfonds<br />

ist zur Nachahmung empfohlen!<br />

Rechtsanwalt Matthias Schollen,<br />

Freiburg/Breisgau


AnwBl 8 + 9/2004 503<br />

MITTEILUNGEN<br />

Zivilprozessrecht<br />

Modernes<br />

Zivilverfahrensrecht?<br />

Zivilprozessuale Änderungen des Ersten<br />

Justizmodernisierungsgesetz<br />

Rechtsanwalt Dr. Bernd Hirtz, Köln<br />

Das erste Justizmodernisierungsgesetz wird zum 1. September<br />

2004 in Kraft treten. Der Autor stellt die wichtigsten<br />

Änderungen für den Zivilprozess dar.<br />

1. Einführung<br />

Wird die Justiz jetzt modern? Ist der Zivilprozess durch<br />

das am 9.7.2004 verabschiedete JuMoG moderner geworden?<br />

Wie lange bleibt er – auf diesem Niveau – modern,<br />

wenn der Gesetzgeber weiteren Modernisierungsbedarf bereits<br />

wittert und deshalb das Gesetz als erstes JuMoG bezeichnet<br />

hat?<br />

Unmittelbar nachdem das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses<br />

(ZPO-RG) in Kraft getreten war, begannen bereits<br />

weitere Versuche des Bundes und der Länder, Verfahrensgesetze<br />

zu „modernisieren“ und Verfahren zu<br />

„beschleunigen“. Die Bundesregierung legte den <strong>Entwurf</strong><br />

eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vor, Abgeordnete<br />

der Fraktion der CDU/CSU und der Bundesrat erarbeiteten<br />

Gesetzesentwürfe zu einem Justizbeschleunigungsgesetz,<br />

während andere Abgeordnete beabsichtigen, Fehler<br />

beim neuen Revisionsrecht zu korrigieren und die Entscheidungsfähigkeit<br />

des Bundesgerichtshofs wieder herzustellen.<br />

War denn die gerade erst reformierte ZPO schon zu unmodern<br />

geworden und war das in ihr reformierte Verfahren so<br />

langsam? Beurteilen konnte das keiner der Initiatoren neuer<br />

Gesetzentwürfe, da zum Zeitpunkt der Vorlage der<br />

Entwürfe, und daran hat sich bis heute nichts geändert,<br />

keine gesicherten Erfahrungen zur Anwendung des neuen<br />

Rechts vorlagen. Wissenschaft und Praxis hatten gehofft,<br />

dass vor der Evaluation der ZPO-Reform, die Gegenstand<br />

des vom Bundesjustizministerium an Hommerich und<br />

Prütting vergebenen Forschungsvorhabens ist, an den Verfahrensordnungen<br />

nicht abermals herumreformiert wird.<br />

Eine abschließende Bewertung der Evaluation wird nicht<br />

vor Ende 2005 zu erwarten sein.<br />

Gewiss hatten sich einzelne durch die ZPO-Reform eingeführte<br />

Neuerungen als dringend korrekturbedürftig herausgestellt,<br />

sodass dringender Reparaturbedarf bestand.<br />

Vor allem aber war eine Atempause notwendig. Dennoch<br />

setzte sich – fraktionsübergreifend – die Auffassung durch,<br />

man müsse in der Justiz weiter sparen, dies aber als Justizmodernisierung<br />

tarnen. Verfahrensordnungen haben aber<br />

nicht nur die Funktion, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten,<br />

sondern dienen auch der Freiheitssicherung. Häufige<br />

Änderungen des Verfahrensrechts führen zur Unübersichtlichkeit<br />

und machen die Einübung eines bewährten<br />

Verfahrensablaufs unmöglich. Deshalb müssen die Neuregelungen<br />

auf erhebliche Skepsis stoßen.<br />

Der Rechtsausschuss hat in seinen Beschlussempfehlungen<br />

die verschiedenen Entwürfe zusammengeführt. Der Einigungszwang<br />

hat schlimmstes verhindert. Die Bedenken<br />

MN<br />

der Praxis, unter anderem artikuliert durch die Stellungnahme<br />

des Zivilverfahrensrechtsausschusses des DAV, wurden<br />

teilweise gehört. So ist die gerade erst eingeführte Dokumentationspflicht<br />

richterlicher Hinweise (§ 139 Abs. 4<br />

und Abs. 5 ZPO) nicht aufgehoben worden. Das obligatorische<br />

Güteverfahren ist (noch) nicht abgeschafft worden.<br />

Die Ersetzung von Zeugenvernehmungen durch Verwertung<br />

richterlicher Vernehmungsniederschriften ohne Einverständnis<br />

der Parteien ist nicht Gesetz geworden. Der abwegige<br />

Vorschlag, dass rechtskräftige Urteile über Straftaten<br />

und Ordnungswidrigkeiten den vollen Beweis der darin für<br />

erwiesen erachteten Tatsachen auch im Zivilprozess begründen<br />

sollten, konnte sich nicht durchsetzen. Erfreulich<br />

ist, dass einige Regelungen die Kritik von Wissenschaft<br />

und Praxis aufnehmen und zur Vereinfachung des Verfahrensablaufs<br />

führen werden. Die Praxis hat sich abermals<br />

auf eine Vielzahl neuer (überwiegend sofort wirkender)<br />

Rechtsänderungen einzustellen. Die wichtigsten werden<br />

nachstehend vorgestellt. *<br />

2. Unaufschiebbare Amtshandlungen des abgelehnten<br />

Richters<br />

Gem. § 47 Abs. 2 ZPO kann jetzt, wenn ein Richter<br />

während der Verhandlung abgelehnt wird und die Entscheidung<br />

über die Ablehnung eine Vertagung der Verhandlung<br />

erfordern würde, der Termin unter Mitwirkung des abgelehnten<br />

Richters fortgesetzt werden. Wird allerdings die<br />

Ablehnung (später) für begründet erklärt, so ist der nach<br />

Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegende Teil der Verhandlung<br />

zu wiederholen. Damit soll missbräuchlichen Ablehnungsgesuchen<br />

vorgebeugt werden, indem ein Verzögerungseffekt<br />

des Ablehnungsgesuchs vermieden wird. Im<br />

Zivilprozess sind missbräuchliche Ablehnungsgesuche<br />

weitgehend unbekannt. Erst recht gibt es keine Erfahrung,<br />

dass dadurch Verzögerungen provoziert werden. Nicht nur<br />

deshalb ist die Relevanz der Neuregelung gering. Hinzu<br />

kommt, dass der Richter nicht zu Entscheidungen ermächtigt<br />

ist. Es bleibt als Anwendungsfall etwa eine begonnene<br />

Beweisaufnahme.<br />

3. Rückfestsetzung überzahlter Prozesskosten<br />

Durch § 91 Abs. 4 ZPO ist eine Streitfrage von großer<br />

Praxisrelevanz gesetzlich entschieden worden. Es ist nicht<br />

selten, dass aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils<br />

auch eine Festsetzung und Zahlung der Prozesskosten erfolgt.<br />

Nunmehr ist eine Rückfestsetzung im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

möglich, weil zu den Kosten des Rechtsstreits,<br />

die die unterlegene Partei zu tragen hat, auch die<br />

Kosten gehören, die die obsiegende Partei der unterlegenen<br />

Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat. Offen ist,<br />

ob wegen dieses einfachen Weges einer Rückforderungsklage,<br />

die auf § 717 Abs. 2 ZPO gestützt wird, nunmehr<br />

das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.<br />

4.Wiedereinsetzungsfrist bei Rechtsmittelbegründung<br />

§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO verlängert die Frist für den Antrag<br />

für Wiedereinsetzung und für die Nachholung der versäumten<br />

Prozesshandlung von zwei Wochen auf einen Mo-<br />

* Eine Vorstellung aller Normen des JuMoG und eine Kommentierung sämtlicher<br />

strafverfahrensrechtlicher und zivilverfahrensrechtlicher Änderungen enthält<br />

Hirtz/Sommer, JuMoG, Haufe 2004.


504<br />

MN<br />

nat nach Wegfall des Hindernisses, wenn die Partei verhindert<br />

war, eine Rechtsmittelbegründungsfrist einzuhalten.<br />

Das gilt für die Begründung der Berufung, der Revision,<br />

der Nichtzulassungsbeschwerde, der Rechtsbeschwerde und<br />

der Beschwerde nach §§ 621e, 629a Abs. 2 ZPO. Durch die<br />

Änderung soll z. B. sichergestellt werden, dass ein Rechtsmittelführer,<br />

dem Prozesskostenhilfe nach Ablauf der<br />

Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt worden ist, einen<br />

Monat Zeit für die Rechtsmittelbegründung hat, sodass er<br />

nicht schlechter gestellt wird als die vermögende Partei.<br />

Die ZPO-Reform hat u. a. dadurch, dass Rechtsmittelbegründungsfristen<br />

seit Zustellung der angefochtenen Entscheidungen<br />

laufen, neue Probleme im Wiedereinsetzungsrecht<br />

gebracht, die auch darauf zurückzuführen sind, dass<br />

der Vorsitzende ohne Zustimmung des Gegners die Begründungsfristen<br />

nur noch einmal verlängern kann. Wer<br />

ohne sein Verschulden verhindert war, Rechtsmittelfristen<br />

zu wahren, konnte nach der bisherigen Fassung von § 234<br />

Abs. 1 ZPO in eine Fristnot hinsichtlich der Rechtsmittelbegründungsfrist<br />

geraten, die entweder bereits abgelaufen<br />

war oder nicht angemessen verlängert werden konnte. Die<br />

Rechtsprechung hat Bemühungen unternommen, zur Vermeidung<br />

einer Benachteiligung der mittellosen Partei eine<br />

Begründungsfrist von einem Monat ab Zustellung der PKH-<br />

Entscheidung zur Verfügung zu stellen (vgl. die Nachweise<br />

bei Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 236 Rz. 8a). Daran<br />

lehnt sich die Neuregelung an, löst aber die zahlreichen<br />

praktischen Probleme nur unvollkommen. So fehlen Verlängerungsmöglichkeiten<br />

für die Begründungsfristen. Die Neufassung<br />

hilft auch nicht weiter, wenn zum Zeitpunkt der<br />

Zustellung der Prozesskostenhilfeentscheidung die Begründungsfrist<br />

noch nicht abgelaufen ist. Zweifelhaft ist, ob<br />

die Regelung sich auch auf die Anschlussberufung bezieht,<br />

wie die Begründung des Regierungsentwurfs meint. Eine<br />

Begründungsfrist für die Anschlussberufung gibt es nämlich<br />

nicht.<br />

5. Kostenentscheidung bei Klagerücknahme<br />

Durch das ZPO-RG wurde die Möglichkeit geschaffen,<br />

über die Kosten einer zurückgenommenen Klage, deren<br />

Anlass vor Rechtshängigkeit weggefallen war, nach billigem<br />

Ermessen durch Beschluss zu entscheiden. In Praxis<br />

und Literatur entstand der Streit, ob eine Kostenentscheidung<br />

auch dann möglich ist, wenn die Klage noch vor der<br />

Zustellung zurückgenommen wurde. Vielfach wurde dies<br />

wegen des Fehlens eines Prozessrechtsverhältnisses verneint<br />

(eine Übersicht über den Streitstand findet sich bei<br />

Deckenbrock/Dötsch, Der Prozessrechtsberater 2003, Seite<br />

152 sowie bei Zöller/Greger, a.a.O., § 269 Rz. 8b). Nun ist<br />

klar, dass eine Zustellung der Klage für die entsprechende<br />

Kostenentscheidung nicht erforderlich ist.<br />

6. Gerichtlicher Vergleich im schriftlichen Verfahren<br />

Durch die Neufassung des § 278 Abs. 6 ZPO wird der<br />

Anwendungsbereich des Vergleichs im schriftlichen Verfahren<br />

erweitert. Auch der von den Parteien unterbreitete<br />

Vergleichsvorschlag kann zum Gegenstand des gerichtlichen<br />

Vergleichs werden. Wenn die Parteien einen gemeinsamen<br />

schriftlichen Vergleichsvorschlag vorlegen, stellt das<br />

Gericht durch Beschluss, der insoweit den Vollstreckungstitel<br />

im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bildet, den Vergleich<br />

fest.<br />

7. Beweisaufnahme (Freibeweis)<br />

Durch die Neufassung von § 284 ZPO wird dem Gericht<br />

die Möglichkeit eröffnet, im Einverständnis beider Parteien<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Mitteilungen<br />

von den Strengbeweisregeln abzusehen. Dieses Einverständnis,<br />

das auf einzelne Beweiserhebungen beschränkt<br />

werden kann, kann nur bei einer wesentlichen Änderung<br />

der Prozesslage vor Beginn der Beweiserhebung, auf die es<br />

sich bezieht, widerrufen werden.<br />

Diese Vorschrift ist von erheblicher Brisanz. Bislang<br />

war die Beweisaufnahme auf die Beweisart des Strengbeweises<br />

beschränkt und stellte als Beweismittel nur Augenschein,<br />

Zeugen, Sachverständigengutachten, Urkunden<br />

und Parteivernehmung zur Verfügung. Nur im Bereich verfahrensrechtlich<br />

relevanter Tatsachen war der Freibeweis<br />

zugelassen, der auf die gesetzlichen Beweismittel nicht beschränkt<br />

ist (Zöller/Greger, a.a.O., vor § 284 Rz. 6 u. Rz. 7).<br />

Der Strengbeweis macht die Beweisführung im Zivilprozess<br />

kalkulierbar. Er liefert die Basis für die Anwendung<br />

der Beweislastregeln. Indem jetzt von den Strengbeweisregeln<br />

Ausnahmen möglich sind, werden nicht nur die<br />

Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der<br />

Beweisaufnahme tangiert, sondern auch der Gerechtigkeitsgehalt<br />

der Beweislastregeln berührt.<br />

Der Rechtsausschuss hat die Einschränkung der Widerruflichkeit<br />

mit der Erwägung begründet, es bestünde die<br />

Gefahr, dass die Partei, die mit dem Verlauf der freibeweislichen<br />

Beweiserhebung nicht zufrieden ist, versuchen wird,<br />

deren Fortsetzung durch einen Widerruf Ihres Einverständnisses<br />

zu vereiteln. Weil z. B. bei einer ergänzenden Befragung<br />

eines Zeugen oder Sachverständigen über Handy oder<br />

E-Mail nicht einmal die Identität des Angerufenen einwandfrei<br />

bewiesen werden kann, sind entsprechende Aussagen,<br />

die nicht einmal parteiöffentlich gemacht werden<br />

können, von höchst eingeschränktem Beweiswert. Nicht<br />

nur daraus ergibt sich die dringende Empfehlung an die<br />

Praxis, ein Einverständnis zum Freibeweis nicht zu erteilen.<br />

8. Schriftliches Anerkenntnis<br />

Nach der Neufassung von § 307 ZPO ist der Erlass eines<br />

Anerkenntnisurteils nicht mehr abhängig von der Durchführung<br />

einer mündlichen Verhandlung. Da jetzt die schriftsätzliche<br />

Anerkenntniserklärung zum Erlass eines Anerkenntnisurteils<br />

führen kann, muss deren Abgabe sorgfältig<br />

erwogen werden. Die Rechtsanwälte trifft hier eine besondere<br />

Belehrungspflicht. Zu prüfen ist, ob es schon (schriftliche)<br />

Hinweise des Gerichts gibt. Abzuwägen ist auch, inwieweit<br />

das Anerkenntnis vor mündlicher Verhandlung<br />

Kosten sparen hilft.<br />

9. Gehörsrügen<br />

Zu den Zentralbereichen der ZPO-Reform gehörte die<br />

Einführung des Abhilfeverfahrens in § 321a ZPO (vgl. zu<br />

§ 321a ZPO und zum neuen <strong>Entwurf</strong> des Anhörungsrügengesetzes:<br />

Nassall ZRP 2004, 164 ff.). Dessen Anwendungsbereich<br />

war zu eng, sodass das BVerfG Erweiterung aufgegeben<br />

hat (Plenarentscheidung vom 30.4.2003, NJW<br />

2003, 1924). Ein Referentenentwurf eines Anhörungsrügengesetzes<br />

liegt vor. Das Gesetz soll noch vor Ende 2005 in<br />

Kraft treten. Es ist nicht verständlich, dass in dieser Übergangszeit<br />

eine nicht gebotene Einschränkung des Bereichs<br />

der Anhörungsrüge versucht wird.<br />

Die Neufassung von § 321a Abs. 5 Satz 1 ZPO soll dazu<br />

führen, dass nach einer begründeten Gehörsrüge der Prozess<br />

in dem Umfang fortgesetzt wird, soweit dies aufgrund der<br />

Rüge geboten ist. Im Gesetz fand die Auffassung, dass es<br />

nach erfolgter Anhörungsrüge nur noch um den Streitgegenstand<br />

gehen könne, der von der Verletzung des Anspruchs<br />

auf rechtliches Gehör betroffen ist, bislang keine<br />

Stütze. Vielmehr wird der Prozess in die Lage zurückver-


AnwBl 8 + 9/2004 505<br />

Mitteilungen MN<br />

setzt, in der er sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung<br />

befand. Dass die Gewährung rechtlichen Gehörs<br />

für die eine Partei auch dazu führen kann, dass die andere<br />

Partei ihr eigenes Vorbringen vertieft, müsste eigentlich<br />

selbstverständlich sein (Zöller/Vollkommer, ZPO, a.a.O.,<br />

§ 321a Rz. 18). Insoweit dürfte auch die jetzt Gesetz gewordene<br />

Einschränkung „soweit dies aufgrund der Rüge<br />

geboten ist“ nicht zu einer Reduzierung des Prozessstoffs<br />

des fortgesetzten Verfahrens führen, weil es eben durchaus<br />

geboten sein kann, auch dem Prozessvortrag der Gegenseite<br />

nachzugehen.<br />

10. Verwertung von gerichtlichen Sachverständigengutachten<br />

Durch den neu eingeführten § 411a ZPO kann die<br />

schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen<br />

durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens<br />

aus einem Verfahren ersetzt werden.<br />

Bislang war die Verwertung eines Sachverständigengutachtens<br />

aus einem anderen Verfahren im Wege des<br />

Urkundenbeweises möglich. Nunmehr soll das bereits vorliegende<br />

Gutachten als Sachverständigengutachten im<br />

Sinne des § 405 ff. ZPO verwendet werden können. Die<br />

praktischen Auswirkungen sind schon deshalb gering, weil<br />

§ 411a ZPO es dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts<br />

überlässt, ob nicht doch ein neues Sachverständigengutachten<br />

eingeholt werden muss. Auch werden die Mitwirkungsund<br />

Beteiligungsrechte der Parteien aus dem § 402 ff. ebensowenig<br />

angetastet wie das Recht auf mündliche Erläuterung<br />

(§ 411 Abs. 3 ZPO).<br />

11. Anschlussberufung<br />

Die bedeutsame Neufassung von § 524 Abs. 2 ZPO ändert<br />

zunächst die Anschlussberufungsfrist. Die Anschlussberufung<br />

ist jetzt nicht mehr innerhalb eines Monats nach<br />

Zustellung der Berufungsbegründung einzulegen und zu begründen.<br />

Vielmehr ist die Anschlussberufung spätestens<br />

mit der Berufungserwiderung einzulegen und gleichzeitig<br />

zu begründen. Außerdem gilt die Regelung über die Anschlussberufungsfrist<br />

nicht, wenn die Anschließung eine<br />

Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden<br />

Leistungen (§ 323 ZPO) zum Gegenstand hat. Insbesondere<br />

im Bereich des Unterhaltsrechts hatte es sich als unpraktikabel<br />

erwiesen, dass das Berufungsgericht eine Veränderung<br />

der tatsächlichen Verhältnisse zu Gunsten des Berufungsbeklagten<br />

nach Ablauf der Anschließungsfrist in<br />

seiner Entscheidung nicht mehr berücksichtigen konnte.<br />

Die Änderungen haben erhebliche praktische Auswirkungen.<br />

Zwar ist die Anschlussberufungsfrist nach wie vor eigentlich<br />

nicht verlängerbar. Da aber die Frist zur Berufungserwiderung<br />

verlängerbar ist, wird mittelbar auch die<br />

Anschlussberufungsfrist verlängert werden. Die Berufungsbeklagte<br />

hat jetzt in den meisten Fällen mehr Zeit zur Entscheidung<br />

und Vorbereitung, ob Anschlussberufung eingelegt<br />

und begründet werden soll. Kommt es nach Ablauf der<br />

Anschließungsfrist zu erheblichen Veränderungen, die (z. B.<br />

Unterhalt) für eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden<br />

Leistungen von Bedeutung sein können, kann ohne Fristbegrenzung<br />

Anschlussberufung bis zum Schluss der letzten<br />

mündlichen Verhandlung eingelegt und begründet werden.<br />

Das gilt auch für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes<br />

schon anhängige Berufungsverfahren.<br />

12.Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist<br />

Durch § 551 Abs. 2 Satz 6 ZPO wird die Möglichkeit,<br />

die Frist zur Revisionsbegründung zu verlängern, erweitert.<br />

Diese Regelung gilt über § 544 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch für<br />

die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde.<br />

Vorausgesetzt wird, dass dem Revisionskläger innerhalb<br />

der verlängerten Revisionsfrist die Prozessakten nicht für<br />

einen angemessenen Zeitraum zur Verfügung gestellt werden<br />

konnten. Der Vorsitzende kann jetzt auf Antrag die<br />

Frist um bis zu zwei Monate nach Übersendung der Prozessakten<br />

verlängern. Leider ist trotz dringender Anregungen<br />

aus der Praxis eine entsprechende Regelung für die Berufungsbegründungsfrist<br />

nicht Gesetz geworden.<br />

13. Revisionszurückweisungsbeschluss<br />

Der neue § 552a ZPO gibt die Möglichkeit, eine vom<br />

Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen<br />

Beschluss zurückzuweisen, wenn das Revisionsgericht davon<br />

überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung<br />

der Revision nicht vorliegen und die Revision keine<br />

Aussicht auf Erfolgt hat. Das Revisionsgericht oder der<br />

Vorsitzende muss die Parteien zuvor auf die in Aussicht genommene<br />

Zurückweisung der Revision und die Gründe<br />

hierfür hinweisen.<br />

Nach Auffassung des BGH ist von der durch das ZPO-<br />

RG geschaffenen Möglichkeit der Revisionszulassung<br />

durch die Landgerichte auch in solchen Fällen Gebrauch<br />

gemacht worden, in denen Zulassungsvoraussetzungen fehlten.<br />

Der BGH verlangte nach Entlastung, die er jetzt erhält.<br />

Bemerkenswert ist, dass § 552a ZPO das Kriterium der Erfolgsaussicht<br />

der Revision in das Gesetz aufnimmt. Dieses<br />

Kriterium fand sich im bisherigen Gesetzestext zur Frage<br />

der Begründetheit einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht.<br />

Inwieweit es in der Revisionsinstanz um Einzelfallgerechtigkeit<br />

geht, ist seitdem umstritten (vgl. etwa Zöller/Gummer,<br />

ZPO, a.a.O., § 543 Rz. 10 ff.). Die Neufassung des<br />

§ 552a ZPO legt nahe, dass das Kriterium der Richtigkeitsgewähr<br />

auch im Revisionsrecht hohen Stellenwert hat. Es<br />

wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen problematisch<br />

(Gleichbehandlungsgebot), wenn in den Fällen der von den<br />

Berufungsgerichten zugelassenen Revisionen die Erfolgsaussicht<br />

das entscheidende Kriterium ist, während dieses<br />

Kriterium im Falle der Nichtzulassungsbeschwerde keine<br />

Bedeutung hätte.<br />

14. Änderungen des Rechtspflegergesetzes<br />

Insbesondere durch § 19 RPflG werden erweiterte sachliche<br />

Zuständigkeiten der Rechtspflege dort vorgesehen, wo<br />

bislang Richtervorbehalte gelten. Diese Richtervorbehalte<br />

wurden aber nicht abgeschafft. Vielmehr wurde lediglich<br />

durch § 19 RPflG den Landesregierungen die Ermächtigung<br />

erteilt, durch Rechtsverordnungen die Richtervorbehalte<br />

ganz oder teilweise aufzuheben, soweit bestimmte Angelegenheiten<br />

betroffen sind. Dadurch besteht die Gefahr einer<br />

Rechtszersplitterung im Bereich der Zuständigkeit.<br />

15. Schlussbemerkung<br />

Einige (hier überwiegend nicht behandelte) Regelungen<br />

des ersten JuMoG sind reine Reparaturmaßnahmen, andere<br />

Regelungen sind durchaus sinnvoll. Höchst problematisch<br />

ist die weitere Einschränkung des Ablehnungsrechts, sind<br />

Tendenzen, die Mündlichkeit einzuschränken, sind insbesondere<br />

die Neuregelungen zur Beweisaufnahme (Freibeweis<br />

und Sachverständigengutachten) und zur Anhörungsrüge.<br />

Moderner wird das Zivilverfahren durch das<br />

Gesetz nicht. Die Bezeichnung „erstes“ JuMoG legt die<br />

Gefahr nahe, dass ein weiteres Spargesetz als „zweites“ Ju-<br />

MoG schon erdacht wird. Dagegen muss sich Widerstand<br />

regen. Die Evaluation der ZPO-Reform ist abzuwarten.


506<br />

MN<br />

Strafprozessrecht<br />

Moderne<br />

Strafverteidigung<br />

Strafprozessuale Änderungen des Ersten<br />

Justizmodernisierungsgesetzes<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Ulrich<br />

Sommer, Köln<br />

Das Erste Justizmodernisierungsgesetz wird zum 1.<br />

September 2004 in Kraft treten. Der Autor stellt die wichtigsten<br />

Änderungen für den Strafprozess dar.<br />

Der moderne Strafprozess zeichnet sich durch Sparsamkeit<br />

aus. Sein primäres Ziel ist die schnelle Erledigung. Die<br />

geeigneten Mittel hierfür sind verzögerliche Terminierungen,<br />

die althergebrachte Inquisition und die geheime Kabinettsjustiz.<br />

Das vermittelt jedenfalls die erste Lektüre des<br />

Justizmodernisierungsgesetzes, die den Strafrechtler eher in<br />

vergangene Zeiten des Strafprozesses führt.<br />

Schon der moderate äußere Umfang der Änderung signalisiert,<br />

dass der Gesetzgeber nicht zu einem großen Wurf<br />

ausholen wollte. Dies ist offensichtlich den noch aktuell beratenen<br />

Gesetzesentwürfen vorbehalten. Die nunmehr erfolgten<br />

Änderungen deuten allerdings Tendenzen an, deren<br />

weitere Verfolgung schwerwiegende Konsequenzen für die<br />

überkommene Struktur des Strafverfahrens haben können.<br />

Nach häufig ergebnislosen Diskussionen im Bundestag<br />

schon in den 90er Jahren hatte das Bundesjustizministerium<br />

im vergangenen Jahr den <strong>Entwurf</strong> zum Justizmodernisierungsgesetz<br />

eingebracht. Nahezu parallel entwickelte sich<br />

eine Gesetzesinitiative des Bundesrates. In vielen Vorschlägen<br />

war man sich einig. Die sachlich fundierte Kritik von<br />

Berufsverbänden, insbesondere auch vom Strafrechtsausschuss<br />

des DAV, hatte gegen die breite Front eines politischen<br />

Veränderungswillens keine Chance.<br />

Bei zahlreichen anderen Punkten überwogen die rechtsstaatlichen<br />

Bedenken im Parlament, so dass insbesondere<br />

einige Ideen der Ländervertretung (vorläufig?) keinen Eingang<br />

in die Gesetzesänderung fanden. Unberücksichtigt<br />

blieben so z. B. Vorstellungen zur Ausweitung des Strafbefehls<br />

auf Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht,<br />

die Bestellung von Pflichtverteidigern in Ermittlungsverfahren<br />

durch die Staatsanwaltschaft, die<br />

Ausdehnung der Beweiskraft rechtskräftiger Strafurteile auf<br />

Zivilprozesse, die Einführung eines Wahlrechtsmittels gegen<br />

amtsgerichtliche Urteile, Erweiterungen zur Ablehnung<br />

von Beweisanträgen wegen angeblicher Prozessverschleppung<br />

oder die gesetzliche Konstituierung einer Erscheinensund<br />

Aussagepflicht von Zeugen bei der Polizei.<br />

Dennoch ist der Katalog der geänderten Vorschriften beachtlich.<br />

Die bedeutsamsten seien hier vorgestellt: *<br />

I. Hilfsbeamte werden zu Ermittlungspersonen<br />

Den größten gesetzestechnischen Aufwand erforderte<br />

eine – von den Entwürfen zunächst nicht vorgesehene –<br />

Änderung von Begriffen ohne unmittelbare inhaltliche Relevanz.<br />

Die Bezeichnung der Hilfsbeamten der Staatsanwalt-<br />

schaft, seit mehr als hundert Jahren der gesetzgeberische<br />

Kompromiss für die in Ermangelung einer eigenen staatsanwaltlichen<br />

Ermittlungsorganisation herangezogenen Polizeibeamten,<br />

hat ausgedient. Ohne dass ihr rechtlicher Status<br />

hierdurch berührt wird, werden die für die Staatsanwaltschaft<br />

tätigen Polizeibeamten nunmehr zu „Ermittlungspersonen“.<br />

II.Wegfall der Regelvereidigung (§§ 59 ff. StPO)<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Mitteilungen<br />

Mit einem minimalen Begründungsaufwand wird ein<br />

zentraler Punkt der Beweisaufnahme im Strafprozess geändert:<br />

Während Zeugen in der Regel bislang nach ihrer Vernehmung<br />

zu vereidigen waren und gesetzessystematisch<br />

das Absehen von der Vereidigung die Ausnahme blieb,<br />

wird dieses Verhältnis nunmehr umgekehrt. Zeugen bleiben<br />

regelmäßig unvereidigt. Vereidigungen sollen nur erfolgen,<br />

wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung<br />

der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren<br />

Aussage für notwendig hält. Selbst wenn das Gericht von<br />

dieser Ausnahme Gebrauch machen will, wird es von der<br />

Last einer überprüfbaren Begründung durch das Gesetz befreit.<br />

Der Grund für die Vereidigung braucht im Protokoll<br />

nicht angegeben zu werden. Die Vereidigungsverbote des<br />

bisherigen § 60 StPO bleiben unberührt.<br />

Der Grund für diese Gesetzesänderung ist eine diffuse<br />

Vorstellung des Gesetzgebers von der Modernität für den<br />

Bereich der formalen Bekräftigung einer Zeugenaussage.<br />

Selbst wenn man der Idee folgen wollte, dass der Eid angesichts<br />

einer veränderten gesellschaftlichen Wertschätzung<br />

nicht mehr zeitgemäß ist, hätte man Veränderungen in<br />

Richtung auf eine zeitgemäßere Bekräftigungsform erwartet.<br />

Tatsächlich wird der Eid allerdings grundsätzlich nicht<br />

abgeschafft, sondern lediglich Ausnahmefällen vorbehalten.<br />

Damit werde das Gesetz der Rechtswirklichkeit angepasst,<br />

heißt es in der Begründung des Justizministeriums. Tatsächlich<br />

hat aber der Gesetzgeber nicht nur vor einer der ursprünglichen<br />

gesetzgeberischen Idee widersprechenden<br />

Praxis in den Gerichtssälen kapituliert. Der gleichzeitig gegebene<br />

Hinweis auf die Anpassung an die Vorschriften des<br />

OWiG zeigt, dass der Gesetzgeber letztlich dem auch durch<br />

ihn selbst verursachten Massencharakter von Strafverfahren<br />

Rechnung tragen und die Anzahl formaler Fesseln für den<br />

Strafrichter reduzieren wollte. Man hielt es offensichtlich<br />

mit Schopenhauer, der schon den Eid als metaphysische<br />

Eselsbrücke der Juristen disqualifizierte, die diese so selten<br />

als irgend möglich betreten sollten.<br />

Der Verteidiger wird seine Prozessstrategien neu ausrichten<br />

müssen. Die Chancen, ein sogenanntes Schuldinterlokut<br />

durch Diskussion über ein Vereidigungsverbot eines<br />

der Teilnahme verdächtigten Zeugen zu erreichen, sind<br />

drastisch gesunken. Auch revisionsrechtlich sind gerichtliche<br />

Entscheidungen im Zusammenhang mit der Vereidigung<br />

erheblich entschärft worden. Beruht dies allerdings regelmäßig<br />

darauf, dass nach der neuen Regelung das Gericht<br />

weder eine Entscheidung zur Vereidigung zu treffen noch<br />

gegebenenfalls eine Vereidigung zu begründen hat, muss<br />

der Verteidiger die nunmehr bestehenden Chancen nutzen,<br />

solche – revisionsrechtlich dann angreifbaren – Entscheidungen<br />

herbeizuführen. Dies gelingt nur über Anträge und<br />

* Eine Vorstellung aller Normen des JuMoG und eine Kommentierung sämtlicher<br />

strafverfahrensrechtlicher und zivilverfahrensrechtlicher Änderungen enthält<br />

Hirtz/Sommer, JuMoG, Haufe 2004.


AnwBl 8 + 9/2004 507<br />

Mitteilungen MN<br />

die Verpflichtung des Gerichts, diese zu bescheiden und gegebenenfalls<br />

bei Ablehnung auch zu begründen (§ 34<br />

StPO). Die zukünftige Realität in Strafverfahren, in denen<br />

konsequent verteidigt wird, wird daher eine Unzahl bisher<br />

nicht gekannter Vereidigungsanträge und hierauf notwendige<br />

Entscheidungen des Gerichts auszeichnen. Es wird das<br />

Gegenteil von dem erreicht, was den Vereinfachungs- und<br />

Beschleunigungsvorstellungen des Gesetzgebers entsprach.<br />

Möglicherweise wird die Erfahrung in einigen Jahren<br />

zeigen, dass das konsensuale Element des § 61 Nr. 5 StPO<br />

a. F. die bessere Lösungsmöglichkeit darstellte.<br />

III. Durchsicht von Schriftstücken bei Durchsuchungen<br />

durch Polizeibeamte (§ 110 StPO)<br />

Durchsuchungsaktionen haben sich zum Standard staatsanwaltlicher<br />

Ermittlungstätigkeit entwickelt. Die Suche in<br />

Wohnungen oder Geschäftsräumen des Betroffenen nach<br />

Beweismaterial führt zwangsläufig dazu, dass eine Unzahl<br />

höchstprivater Schriftstücke zunächst gesichtet werden<br />

muss, bevor deren Beweisrelevanz eingeschätzt werden<br />

kann. Es besteht die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung<br />

der privaten Geheimnissphäre. Zum Schutz dieser Interessen<br />

sah das Gesetz früher vor, dass eine solche Sichtung<br />

ausschließlich durch den Richter erfolgen dürfe,<br />

zuletzt ist dies auf den Staatsanwalt ausgeweitet worden.<br />

Seine Hilfsbeamten (jetzt: Ermittlungspersonen) konnten<br />

solche Schriftstücke nur einsammeln, versiegeln und ihm<br />

zur eigentlichen Durchsicht vorlegen. Die aktuelle Gesetzesänderung<br />

lässt die Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen<br />

endgültig zurücktreten und überlässt allen durchsuchenden<br />

Polizeibeamten das Recht zur Durchsicht von<br />

Papieren, wenn dies der Staatsanwalt angeordnet hat.<br />

Von dieser Anordnung wird erwartungsgemäß die<br />

Staatsanwaltschaft in weitem Umfang Gebrauch machen.<br />

Die Konsequenz der Gesetzesänderung müssen verstärkte<br />

Bemühungen der Verteidigung sein, die eigene Anwesenheit<br />

während der Durchsuchung sicherzustellen. Nur so<br />

kann bei jeder Einzelsichtung den durchsuchenden Beamten<br />

deutlich gemacht werden, welche konkreten schonenden<br />

Schritte denkbar sind, das im Durchsuchungsbeschluss<br />

beschriebene Ziel zu erreichen, ohne den gesamten Privatbereich<br />

des Beschuldigten umzupflügen.<br />

IV.Verlängerung der Unterbrechungsfristen<br />

(§ 229 StPO)<br />

Das zur Modernisierung und Beschleunigung des Strafverfahrens<br />

gedachte Gesetz verschafft dem Gericht bemerkenswerte<br />

Möglichkeiten, das Verfahren in die Länge zu<br />

ziehen. Konnte ein einheitlicher Strafprozess bislang lediglich<br />

10 Tage unterbrochen werden, sieht das Gesetz nunmehr<br />

eine Maximalfrist von drei Wochen vor. Ist ein Block<br />

von 10 Verhandlungstagen absolviert, hat das Gericht die<br />

Möglichkeit zu weiteren Unterbrechungen von jeweils bis<br />

zu einem Monat.<br />

Schiebetermine sollten damit verhindert und Prozesse effektiver<br />

gestaltet werden. Für die Verhinderung neuer nunmehr<br />

weiter auseinander liegender Schiebetermine hat allerdings<br />

auch das neue Gesetz keine Strategie. Die flexible<br />

Terminsgestaltung sollte offensichtlich dem Zweck dienen,<br />

bisherige Revisionsklippen besser umschiffen zu können.<br />

Der Preis könnte sehr hoch sein.<br />

Konnte die alte Regelung für sich in Anspruch nehmen,<br />

zwangsläufig zu einer – zumeist ausreichenden – Förderung<br />

des Verfahrens zu führen, bietet die neue großzügige gesetzliche<br />

Regelung den Rahmen, der auch eindeutig dilatorisches<br />

Prozessverhalten des Gerichts umfassen kann. Alle<br />

Verfahrensbeteiligten werden sich darauf einstellen müssen,<br />

die Terminierung in jedem Einzelfall daraufhin zu<br />

überprüfen, ob der Beschleunigungsgrundsatz des Artikel 6<br />

Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewahrt<br />

worden ist. Die Möglichkeit der Rügen auch in der<br />

Revision dürften erhöht worden sein.<br />

Eine zusätzliche Unterbrechungsmöglichkeit im laufenden<br />

Prozess bietet die Neuformulierung des § 229 Abs. 3<br />

StPO. Erkrankt ein Richter oder Schöffe, kann nunmehr bis<br />

zu 6 Wochen auf dessen Gesundung zugewartet werden,<br />

ohne dass das Verfahren ausgesetzt werden muss.<br />

V.Verzicht auf den Protokollführer (§ 226 StPO)<br />

Nach den Vorstellung des Gesetzgebers soll in einfachen<br />

Strafverfahren vor dem Strafrichter der Urkundsbeamte der<br />

Geschäftsstelle nur noch seltener Gast sein. Der Strafrichter<br />

allein soll – wenn er das für richtig erachtet – für das Protokoll<br />

zuständig sein. Ist der Urkundsbeamte nicht anwesend,<br />

braucht er das Protokoll auch nicht zu unterschreiben<br />

(§ 273 StPO).<br />

Es gehört wenig Phantasie und nur die Erinnerung an zivilprozessuale<br />

Beweisaufnahmen dazu, sich die massive<br />

Änderung des Charakters einer Hauptverhandlung vorzustellen,<br />

in der der Strafrichter eine Verhandlung nicht nur<br />

führt und den Inhalt der Beweisaufnahme rezipiert, sondern<br />

darüber hinaus auch den Verlauf des Geschehens sowohl<br />

inhaltlich als auch hinsichtlich der Einhaltung der Formalien<br />

protokolliert. Arbeitserleichterung ist daher von der<br />

neuen Regelung kaum zu erwarten.<br />

VI. Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten von<br />

Urkunden (§ 251, 256 StPO)<br />

Eine der wichtigsten Möglichkeiten im Strafprozess,<br />

eine qualitativ hohe Basis für die Erforschung der Wahrheit<br />

zu gewinnen, ist das Prinzip der unmittelbaren Beweiserhebung.<br />

Protokollverlesung statt einer unmittelbaren Befragung<br />

stellte bislang eine kalkulierte Ausnahme von der konsequenten<br />

Durchführung des Unmittelbarkeitsprinzips dar,<br />

das dem deutschen Strafprozessrecht auch im europäischen<br />

Vergleich durchaus eine herausragende Stellung einräumte.<br />

Ohne dass eine zusätzliche Kontrolle bei einer Protokoll<br />

erstellung – beispielsweise durch einen Ermittlungsrichter<br />

– im Ermittlungsverfahren vorgesehen ist, erweitert der Gesetzgeber<br />

nun in bedeutsamen Umfang diese Verlesungsmöglichkeiten.<br />

Neben einer begrüßenswerten redaktionellen<br />

Änderung des § 251 StPO ermöglicht diese Vorschrift auch<br />

die Verlesung von Gutachten. Ist der Sachverständige für<br />

das jeweilige Fachgebiet allgemein vereidigt, besteht nunmehr<br />

die Möglichkeit, dass keiner der Verfahrensbeteiligten<br />

ihn in der Hauptverhandlung jemals zu Gesicht bekommt.<br />

Eine Fülle von phantasievollen Beweisanträgen der Verteidigung<br />

wird die Folge sein, um berechtigten Klärungsinteressen<br />

in der Hauptverhandlung zum Durchbruch zu verhelfen.<br />

Als eine massive Verschiebung der Gewichte im Strafprozess<br />

wird sich auch die Neuregelung des § 256 StPO


508<br />

MN<br />

auswirken. Die in Vermerken niedergelegte Ermittlungstätigkeit<br />

von Polizeibeamten wird nicht mehr in der Hauptverhandlung<br />

durch Vernehmung der Polizisten als Zeugen<br />

aufgeklärt, vielmehr soll die Verlesung dieser Vermerke<br />

ausreichen. Der Verlauf einer Festnahme oder die Durchführung<br />

einer Hausdurchsuchung soll für den gesamten<br />

Strafprozess allein durch die schriftliche Fixierung der Polizeibeamten<br />

selbst feststehen. Eine Ausnahme gilt nur für<br />

Vernehmungen, seien es Vernehmungsprotokolle oder mittelbare<br />

Wiedergaben von Vernehmungen in Vermerken.<br />

Hier wird das Unmittelbarkeitsprinzip weiterhin formal aufrecht<br />

erhalten.<br />

Die neue Situation verlangt aufrechte Richter und phantasiebegabte<br />

Verteidiger. Die Verfahrensbeteiligten haben<br />

nach der alten Gesetzeslage den Wert der Erkenntnisse aus<br />

unmittelbaren Befragungen der Ermittlungsbeamten geschätzt.<br />

Entscheidungserhebliche Informationen lassen sich<br />

oft nur durch unmittelbare Befragungen in die Beweisaufnahme<br />

einführen. Das Dokumentationsinteresse eines Polizeibeamten<br />

weicht oftmals erheblich von dem Erkenntnisinteresse<br />

der Verfahrensbeteiligten im Prozess ab. Gerade<br />

die Routine der polizeilichen Berichte, die dem Gesetzgeber<br />

als Beleg für die Zuverlässigkeit der Polizeivermerke<br />

erscheint, ist Anlass für eine individualisierende Hinterfragung.<br />

Besteht kein Klärungsbedarf, hätten alle Verfahrensbeteiligte<br />

bereits nach bislang geltender Rechtslage auf die<br />

Vernehmung des Polizeibeamten verzichten können. Die<br />

Aufgabe dieses konsensualen Elements wird im Strafprozess<br />

für Verteidigungsstrategien sorgen, die den Überlegungen<br />

des Gesetzgebers bislang fremd waren.<br />

VII. „Durchentscheiden“ der Revisionsgerichte<br />

(§ 354 StPO)<br />

Das diesjährige Symposium der Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht im DAV in Karlsruhe thematisierte schon in seinem<br />

<strong>Titel</strong> die durch gelegentliche Entscheidungen der BGH<br />

hervorgerufene Gefahr, dass die Strafsenate sich ungewollt<br />

auf den Weg zu einer Tatsacheninstanz begeben hätten. Die<br />

rechtspolitisch und -dogmatisch wohlbegründete Warnung<br />

scheint der Gesetzgeber als Aufforderung verstanden zu haben.<br />

§ 354 StPO sieht nunmehr ausdrücklich vor, dass – beschränkt<br />

auf Fragen der Strafzumessung – das Revisionsgericht<br />

Entscheidungen treffen kann, die bislang lediglich<br />

den Tatsachenrichtern vorbehalten waren. Ohne jemals einen<br />

persönlichen Eindruck vom Angeklagten gehabt zu haben,<br />

sollen die Senate nunmehr in Einzelfällen konkrete<br />

Strafen fixieren.<br />

Wenn sich bislang von den Senaten aufgedeckte Rechtsfehler<br />

im Strafzumessungsbereich nach deren Einschätzung<br />

unter keinem denkbaren Gesichtspunkt auf das Strafmaß<br />

auswirken konnten, trafen sie keine eigene Strafzumessungsentscheidung,<br />

sie prognostizierten lediglich alle denkbaren<br />

Entscheidungen des Tatgerichts und zogen hieraus<br />

unter Umständen den Schluss, dass ein Urteil nicht auf einem<br />

festgestellten Rechtsmangel beruhe. Nunmehr soll das<br />

Revisionsgericht selbst bewerten und entscheiden können.<br />

So soll beispielsweise von einer Aufhebung des Tatsachenurteils<br />

abgesehen werden, wenn nach der eigenständigen<br />

Bewertung des Revisionsgerichts die Rechtsfolge „angemessen“<br />

ist. Eigenständige Bewertungen sollen nicht nur<br />

bei einer derartigen Zustimmung, sondern sogar bei einer<br />

neuen Fixierung der Strafe im Revisionsverfahren erfolgen.<br />

Denn der Senat kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft die<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Mitteilungen<br />

Rechtsfolgen „angemessen herabsetzen“. Auch wenn die<br />

Strafe somit im Ergebnis für den angeklagten Revisionsführer<br />

nicht verschlechtert werden kann, sind die Defizite<br />

einer solchen Strafzumessung nach Aktenlage ohne jede<br />

persönliche Kenntnis des Angeklagten problematisch. Es<br />

bleibt zu hoffen, dass sich die Revisionsgerichte dieser Problematik<br />

bewusst sind, wenn sie nach pflichtgemäßem Ermessen<br />

entscheiden, ob sie die Sache zur neuen Verhandlung<br />

an den Tatrichter zurückverweisen oder selbst<br />

entscheiden.<br />

Eine Strafzumessung lediglich nach Aktenlage kennt bereits<br />

das aktuelle Gesetz im Zusammenhang mit der nachträglichen<br />

Bildung einer Gesamtstrafe, §§ 460, 462 StPO.<br />

Die Wahrnehmung dieser Möglichkeit bei nachträglicher<br />

Gesamtstrafenbildung soll nunmehr auch nach einer Aufhebung<br />

des Urteils durch das Revisionsgericht im Hinblick<br />

auf die fehlerhafte Bildung einer Gesamtstrafe möglich sein<br />

(§ 354 Abs. 1 b StPO).<br />

VIII.Weitere punktuelle Änderungen<br />

Ob und inwieweit zahlreiche weitere Änderung durch<br />

das Justizmodernisierungsgesetz neue Brisanz in den Strafprozess<br />

bringen, wird in der Praxis abzuwarten sein. Manches<br />

dient sicherlich der – auch einvernehmlichen – Beschleunigung.<br />

So soll der Übergang ins<br />

Strafbefehlsverfahren in der Hauptverhandlung auch auf<br />

mündlichen Antrag der Staatsanwaltschaft möglich sein<br />

(§ 408 a Abs. I Satz 2 StPO). Wird ein Einspruch gegen einen<br />

Strafbefehl lediglich auf die Höhe der Tagessätze einer<br />

festgesetzten Geldstrafe beschränkt, kann mit Zustimmung<br />

aller Beteiligten im schriftlichen Verfahren entschieden<br />

werden (§ 411 Abs. I StPO). Darüber hinaus werden vom<br />

Gesetzgeber erkannte Lücken im Ordnungswidrigkeitenverfahren<br />

geschlossen. Im Straßenverkehrsgesetz wird in § 29<br />

eine Ablaufhemmung bei der Tilgung von Eintragungen in<br />

das Verkehrsregister auf die Begehung einer neuen Tat fixiert;<br />

die bisherige Verteidigungstaktik, allein zur Überbrückung<br />

von Fristen Rechtsmittel einzulegen, dürfte damit<br />

obsolet geworden sein. Letztlich eröffnet die gesetzliche<br />

Neuregelung durch die Änderung des Rechtspflegergesetzes<br />

an einigen Stellen zusätzliche Möglichkeiten, insbesondere<br />

in der Strafvollstreckung Tätigkeiten vom Staatsanwalt<br />

auf den Rechtspfleger zu verlagern.<br />

IX. Fazit<br />

Was sich als gesetzgeberischer Flickenteppich darstellt,<br />

könnte grundsätzliche Hinweise des Gesetzgebers zu seiner<br />

Auffassung des „modernen“ Strafprozesses geben. Das Verständnis<br />

eines fairen Prozesses dürfte auch bei Richtern<br />

nicht selten mit neuen Regelungen kollidieren. Es bleibt die<br />

Hoffnung, dass angesichts zahlreicher Fakultativregelungen<br />

der in den Köpfen von Politikern ersonnene moderne Prozess<br />

in der Praxis nicht stattfindet. Im Konfliktfall wird die<br />

„moderne“ Strafverteidigung an vielen bislang unbekannten<br />

Stellen im Prozess ihre konservative Vorstellung vom Inhalt<br />

der Bürgerrechte im Strafprozess mit neuen Strategien verdeutlichen<br />

müssen.


AnwBl 8 + 9/2004 509<br />

Mitteilungen MN<br />

Syndikusanwälte<br />

Unternehmen prüfen<br />

Anwaltshonorare strenger *<br />

Syndikusanwälte: Kosten für externe Rechtsberatung explodieren/„Kanzleien<br />

sind normale Zulieferer“<br />

Dr. Joachim Jahn, Frankfurt<br />

„Die Zeiten, in denen Anwaltsrechnungen als gottgegeben<br />

hingenommen wurden, sind vorbei.“ Mit diesen Worten<br />

bringt Hans-Peter Benckendorff von der Deutschen Bank<br />

die neue Haltung von Syndikusanwälten in Unternehmen<br />

gegenüber ihren niedergelassenen Kollegen auf den Punkt.<br />

„Unsere Anwaltskosten steigen jährlich exponentiell“,<br />

sagte Benckendorff auf dem 55. Deutschen Anwaltstag in<br />

Hamburg. Mittlerweile hätten sie die Schwelle von 200<br />

Millionen Euro deutlich überschritten. Die Konsequenz:<br />

Sein Geldinstitut hat das Kontrollsystem für die Honorarnoten<br />

freier Advokaten verfeinert. „Demnächst haben wir<br />

dafür ein sehr detailliertes Netz, das die Anwälte nicht nur<br />

begrüßen werden.“<br />

Die Rechtsabteilungen der Wirtschaftsunternehmen gehen<br />

mittlerweile strenger mit den Kanzleien um als früher.<br />

Dr. jur. Joachim Jahn ist Redakteur bei der<br />

Frankfurter Allgemeinen Zeitung.<br />

Die Fluglinie Lufthansa etwa hat kürzlich einen Auftrag<br />

zur Rechtsberatung von ihrer allgemeinen Einkaufsabteilung<br />

über das Internet ausschreiben lassen. Auch beschäftigt<br />

sie eigens eine Firma, die sich um die Prüfung der Honorarnoten<br />

kümmert, wie Benckendorff berichtet. Und der<br />

Lebensmittelkonzern Nestlé hat unlängst die Zahl der Sozietäten,<br />

mit denen er weltweit zusammenarbeitet, zur Kostenreduzierung<br />

von 1.500 auf bloße zwei zurückgefahren.<br />

Benckendorff: „Wenn Sie mit Anwälten länger über deren<br />

Rechnungen als über inhaltliche Fragen diskutieren müssen,<br />

stimmt etwas nicht.“<br />

Dass der Einkauf externer Rechtsberatung aus Sicht der<br />

Firmenjuristen nichts anderes mehr ist als der Bezug von<br />

Bleistiften oder Gummidichtungen vom Zulieferer, machte<br />

für die Arbeitsgemeinschaft der Syndikusanwälte auch Holger<br />

Strnad von dem Aschaffenburger Unternehmen Pass IT-<br />

Consulting deutlich. Solche Aufträge würden immer dann<br />

vergeben, wenn man nach einer „Make or buy“-Entscheidung<br />

die eigene Rechtsabteilung entsprechend schlank halten<br />

wolle. Für Strnad gehört die Einschaltung auswärtiger<br />

Anwälte zur „Kernkompetenzstrategie“ und sollte dem allgemeinen<br />

„Beschaffungsmanagement“ unterworfen werden<br />

– nach dem Motto „So billig wie möglich, so hochwertig<br />

wie nötig“. Bei den Einkaufspreisen macht er bei Standardleistungen<br />

einen Abschlag; seine Zusammenarbeit beschränkt<br />

er auf vier bis fünf spezialisierte Kanzleien, die er<br />

möglichst selten wechselt. Am liebsten vereinbart Strnad<br />

Fixpreise, mit einer nach Euro und Stundenzahl bemessenen<br />

Obergrenze. Nachbesserungen seien bei unvorhersehbar hohem<br />

Zeitaufwand möglich, aber nur nach festen Regeln.<br />

Dass all das trotzdem nicht ohne Vertrauen geht, räumte<br />

Strnad ein: Ob die abgerechneten Stunden nicht künstlich<br />

aufgebläht würden, könne er nur auf Plausibilität hin<br />

prüfen.<br />

„Jetzt sind die Anwälte dran“, mokierten sich Zuhörer<br />

aus der Anwaltschaft, die sich als neues Jagdopfer sahen.<br />

Sie witterten einen „Handel wie auf dem Basar“. Doch<br />

Dietrich Rethorn, Chefsyndikus der Landesbank Hessen-<br />

Thüringen, machte an ein paar Beispielen deutlich, wo für<br />

Unternehmen als Mandanten die Schmerzgrenze liegt. Wenig<br />

erfreut zeigte sich Rethorn etwa über eine anonymisiert<br />

auf die Leinwand projizierte Originalrechnung, in der es<br />

lapidar hieß: „Für unsere Leistungen berechnen wir<br />

29.700 Euro Honorar nebst 68,70 Euro Kopien schwarz/<br />

weiß und 0,30 Euro Telefon.“ Für seinen Geschmack standen<br />

die aufgeführten Auslagen in keinem rechten Verhältnis<br />

zur Gesamtsumme.<br />

Konsterniert ist der Banksyndikus häufig auch über die<br />

Aufschlüsselung der abgerechneten Stunden: Posten wie<br />

das Anlegen einer Akte, die Korrektur von Schriftsätzen<br />

oder die Unterrichtung eines zur Vertretung einspringenden<br />

Anwalts gehörten gar nicht auf die Rechnung – ebenso wie<br />

das „Erfassen des Sachverhalts“, die Besprechung eines<br />

Anwalts mit Partnerstatus mit mehreren angestellten Nachwuchskollegen<br />

(„Associates“) sowie die Lektüre eines<br />

Fachaufsatzes. All das sei vielmehr Teil der generellen<br />

Büro-, Fort- und Ausbildungskosten. „Manche Kanzlei hat<br />

22 Stunden verbraten, bevor die Sache richtig beginnt –<br />

und Spezialisten, die wir eigens wegen ihrer Fachkenntnis<br />

beauftragen, lassen sich erst mal vom Büro die Materie in<br />

aller Breite von Adam und Eva an aufbereiten.“<br />

Rethorns Rat: „Bei der Rechnung kommt es zum<br />

Schwur, ob die gesamte Zusammenarbeit geklappt hat.“<br />

Aus seiner Sicht passen dazu keine Honorarnoten, die unbesehen<br />

aus dem kanzleiinternen Abrechnungssystem ausgedruckt<br />

und an den Auftraggeber geschickt werden. Was<br />

er kritisiert, seien keineswegs Missbräuche oder Stundenschinderei,<br />

sondern sei ein Effekt der extremen Arbeitsteilung<br />

in großen Wirtschaftssozietäten. Dabei sieht der Bankjurist<br />

in besser aufbereiteten Abschlussrechnungen sogar<br />

einen preiswerten Werbeträger mit der Chance zum Aufbau<br />

einer nachhaltigen Mandantenbeziehung.<br />

Renate von Tirpitz, Syndika bei Robert Bosch, machte<br />

deutlich, unter welchem Kostendruck in der Konjunkturflaute<br />

auch Rechtsabteilungen stehen. Auf sie kamen<br />

Vorgaben der Geschäftsführung zu, einen festen Prozentsatz<br />

ihres Budgets an Reisekosten, Seminaren und Anwaltshonoraren<br />

einzusparen. Dann gehe sie schon mal auf lang bewährte<br />

Kanzleipartner zu, sagte von Tirpitz, und bitte diese<br />

darum, die Stundensätze zu senken und auf praxisferne<br />

Gutachten zu verzichten. „Drei abgerechnete Stunden für die<br />

Erstellung der Rechnung – da wundert man sich dann<br />

schon“, nannte sie als Beispiel für enttäuschte Erwartungen<br />

an Kosteneinsparung und Transparenz bei den Beratern. Ihr<br />

Rezept: Feste Richtlinien, die für beide Seiten die Spielregeln<br />

verbindlich festlegen und als Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />

im Vertrag vereinbart werden.<br />

* Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 26.5.2004. E Alle Rechte<br />

vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung<br />

gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.


510<br />

MN<br />

Anwaltsvergütung<br />

Anforderungen an eine<br />

ordnungsgemäße Abrechnung<br />

nach dem RVG<br />

Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen<br />

Viele Honorarprozesse scheitern daran, dass der Anwalt<br />

nicht ordnungsgemäß abgerechnet hat. Der Autor<br />

stellt die Formerfordernisse des § 10 RVG dar.<br />

I. Die gesetzliche Regelung<br />

Nach § 10 RVG kann der Anwalt seine Vergütung nur<br />

aufgrund einer ordnungsgemäßen Berechnung einfordern.<br />

Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem bisherigen<br />

§18BRAGO.<br />

Das RVG unterscheidet zwischen dem Entstehen der<br />

Vergütung, der Fälligkeit und der Einforderbarkeit.<br />

9 Die Vergütung entsteht mit der ersten Tätigkeit des Anwalts,<br />

also in der Regel mit der Entgegennahme der Information<br />

(vgl. Anm. Abs. 2 Vorb. 3 VV; Anm. Abs. 3 Vorb.<br />

2.4 VV).<br />

9 Fällig wird die Vergütung dagegen erst mit der Erledigung<br />

des Auftrags oder der Beendigung der Angelegenheit<br />

(§ 8 Abs. 1 S. 1 RVG) und in einem gerichtlichen Verfahren<br />

darüber hinaus unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1<br />

S. 2 RVG.<br />

9 Einforderbar ist die Vergütung schließlich erst, wenn<br />

der Anwalt dem Auftraggeber eine formell ordnungsgemäße<br />

Berechnung nach § 10 RVG erteilt hat.<br />

9 Die Verjährung wiederum beginnt mir Ablauf des Kalenderjahres,<br />

in dem die Fälligkeit eingetreten ist (§ 199<br />

Abs. 1 Nr. 1 BGB). Auf den Ablauf der Verjährung hat die<br />

Mitteilung der Berechnung dagegen keinen Einfluss (§ 10<br />

Abs. 1 S. 2 RVG).<br />

II. Die Anforderungen im Einzelnen<br />

Welche Anforderungen eine formell ordnungsgemäße<br />

Abrechnung erfüllen muss, ergibt sich im Einzelnen aus<br />

§ 10 Abs. 2 RVG.<br />

1. Schriftform<br />

Die Abrechnung der Vergütung muss schriftlich (§ 126<br />

BGB) erfolgen. Die Rechnung muss allerdings nicht auf einem<br />

gesonderten Rechnungsblatt erteilt werden. Sie kann<br />

vielmehr auch in ein Anschreiben gefasst oder an das Ende<br />

eines Anschreibens an den Mandanten gesetzt werden. Aus<br />

Gründen der Übersichtlichkeit empfiehlt es sich jedoch,<br />

stets ein gesondertes Rechnungsformular zu verwenden.<br />

Insbesondere für Mandanten, die die gezahlte Vergütung<br />

steuerlich geltend machen können, ist ein solches Rechnungsformular<br />

vorteilhafter.<br />

2. Rechnungsadressat<br />

Die Rechnung muss an den Auftraggeber gerichtet sein. Dieser<br />

muss nicht unbedingt mit dem Vertretenen identisch sein 1 .<br />

3. Bezeichnung der Angelegenheit<br />

In der Kostenrechnung müssen die abgerechneten Angelegenheiten<br />

genau bezeichnet werden. Hierzu genügt grundsätzlich<br />

die Angabe der Parteien zur Konkretisierung. Sind<br />

bei dem Anwalt allerdings mehrere Verfahren zwischen<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Mitteilungen<br />

denselben Parteien anhängig, wie insbesondere in Familiensachen,<br />

so sind weitere Angaben zur Konkretisierung erforderlich.<br />

Hier wird eine kurze Bezeichnung der Sache, etwa<br />

„Unterhalt“, „Umgangsrecht“ o. ä. zur Unterscheidung ausreichen.<br />

Bei mehreren Instanzen muss zur Klarheit auch<br />

der jeweilige Rechtszug angegeben werden.<br />

4. Gebührentatbestände<br />

Die angewandten Gebührentatbestände müssen durch<br />

eine „kurze Bezeichnung“ angeführt werden. Hier reicht<br />

z. B. die Angabe „Verfahrensgebühr“, „Terminsgebühr“,<br />

„Geschäftsgebühr“, „Einigungsgebühr“, etc.<br />

5. Gebührensatz<br />

Die Angabe des Gebührensatzes ist in § 10 RVG nicht<br />

zwingend vorgeschrieben. Der Anwalt sollte hierauf jedoch<br />

nicht verzichten, da anderenfalls die Berechnung nicht<br />

nachvollziehbar ist.<br />

6. Gebührenbeträge<br />

Jeder einzelne Gebührenbetrag zu jeder einzelnen<br />

Gebühr muss gesondert ausgewiesen werden. Es genügt<br />

also nicht, mehrere Gebühren zusammenzufassen und das<br />

Gesamtergebnis anzugeben.<br />

Werden Satz- oder Betrags-Rahmengebühren abgerechnet,<br />

reicht es nach § 10 RVG aus, lediglich den Endbetrag<br />

anzugeben. Zweckmäßig ist es jedoch, in einem Anschreiben<br />

zu erläutern, wie der Anwalt zu dem jeweiligen Betrag<br />

gelangt ist. Bei einer Mittelgebühr wird man i. d. R. auf<br />

Ausführungen verzichten können. Weicht der Anwalt jedoch<br />

von der Mittelgebühr ab und verlangt er einen höheren<br />

Betrag, sollte er dies in seinem Anschreiben kurz begründen.<br />

Dies erspart ihm - insbesondere bei der<br />

Korrespondenz mit Rechtsschutzversicherern - spätere<br />

Nachfragen oder Kürzungen seines Honorars.<br />

7. Gegenstandswert<br />

Bei Gebühren, die sich nach dem Gegenstandswert richten<br />

(§ 2 Abs. 1 RVG), muss der Wert angegeben werden,<br />

aus dem sich die jeweilige Gebühr berechnet. Richten sich<br />

alle Gebühren nach demselben Wert reicht es aus, eingangs<br />

der Kostenrechnung den Gegenstandswert anzugeben. Sind<br />

dagegen für einzelne Gebühren nur Teilwerte oder geringere<br />

Werte maßgebend, so müssen die Gegenstandwerte bei<br />

jeder Gebühr gesondert angeführt werden.<br />

8. Gebührenvorschriften (Nummern des Vergütungsverzeichnisses)<br />

Die angewandten Gebührenvorschriften müssen zitiert<br />

werden. Hierunter fallen die einzelnen Nummern des VV.<br />

An sich ist auch die Gesetzesangabe erforderlich, wobei<br />

die Gesetzesangabe auch vorangestellt werden kann, etwa<br />

„berechnet nach den Vorschriften des RVG“. Soweit eine<br />

Nummer mehrere Gebührentatbestände enthält (z. B.<br />

Nr. 3101, 2403, 4101 VV), müssen auch Absätze, Sätze<br />

und Nummern angegeben werden. Anderenfalls ist nicht erkennbar,<br />

von welcher Gebühr der Anwalt ausgeht. 2<br />

An mehreren Stellen kommt es vor, dass in einer Nummer<br />

der Grundtatbestand einer Gebühr enthalten ist und in<br />

den folgenden Nummern nur noch eine abweichende Gebührenhöhe<br />

geregelt wird (so z. B. bei der Einigungsgebühr:<br />

Nr. 1000 ff. VV). Ob in diesen Fällen die Nummer der<br />

Grundgebühr, die Nummer des Modifizierungstatbestandes<br />

1 AnwKom-RVG/N. Schneider § 10 Rn. 11 ff.<br />

2 AnwKom-RVG/N. Schneider § 10 Rn. 22.


AnwBl 8 + 9/2004 511<br />

Mitteilungen MN<br />

oder beide zu zitieren sind, ergibt sich aus § 10 RVG nicht.<br />

Um hier kein Risiko einzugehen, sollte die gesamte Nummern-Kette<br />

zitiert werden, zumal dies für Transparenz sorgt<br />

und eine Überprüfung der Rechnung erleichtert.<br />

Hilfsnormen müssen nach dem Wortlaut des § 10 RVG<br />

nicht angegeben werden. Gleichwohl empfiehlt sich dies.<br />

Wenn also z. B. nach einem Urkunden-, Scheck- oder Wechselprozess<br />

das Nachverfahren durchgeführt wird, sollte § 17<br />

Nr. 5 RVG mit angeführt werden, bei einer Zurückverweisung<br />

sollte § 21 Abs. 1 RVG mitzitiert werden; bei den zusätzlichen<br />

Gebühren der Nr. 4141, 5115 VV muss die in Bezug<br />

genommene jeweilige Verfahrensgebühr mitzitiert<br />

werden. Der Mandant kann anderenfalls nicht nachvollziehen,<br />

warum derselbe Gebührentatbestand mehrmals in Rechnung<br />

gestellt wird. Auch sonstige Hilfsnormen, insbesondere<br />

Nr. 1008 VV zur Erhöhung der Gebühr bei mehreren Auftraggebern<br />

sollten der Klarheit halber angegeben werden.<br />

9. Auslagen<br />

Auch Auslagen müssen konkret bezeichnet und einzeln<br />

ausgewiesen werden 3 . Bei den Entgelten für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen<br />

reicht ein Hinweis auf die<br />

Postentgeltpauschale der Nr. 7002 VV, wenn der Anwalt<br />

pauschal abrechnet. Bei konkreter Abrechnung genügt zunächst<br />

die Angabe des Gesamtbetrages (§ 10 Abs. 2 S. 2<br />

RVG); eine detaillierte Aufstellung ist nur auf Nachfrage<br />

des Mandanten erforderlich. Auch Reisekosten sind nachvollziehbar<br />

abzurechnen.<br />

10.Vorschüsse und anzurechnende Beträge<br />

Weiterhin ist nach § 10 Abs. 2 S. 1 RVG vorgeschrieben,<br />

dass der Anwalt bereits erhaltene Vorschüsse oder Zahlungen<br />

Dritter und auch anzurechnende Beträge (z. B. nach Abs. 4,<br />

Abs. 5 Vorb. 3 VV) in die Abrechnung aufzunehmen hat.<br />

11. Eigenhändige Unterschrift<br />

Weitere zwingende Voraussetzung, die häufig übersehen<br />

wird, ist die Unterschrift des Anwalts. Auf dieses Erfordernis<br />

kann nicht verzichtet werden. Mit der Unterschrift übernimmt<br />

der Anwalt die strafrechtliche (§ 352 StGB), zivilrechtliche<br />

und auch berufsrechtliche Verantwortung für den<br />

Inhalt der Berechnung. Die Unterschrift muss eigenhändig<br />

sein. Ein Faksimilestempel genügt nicht 4 , BRAGO 8. Aufl.<br />

1995, § 18 Rn. 5., ebenso wenig eine eingescannte Unterschrift<br />

5 , da diese letztlich nichts anderes ist als ein auf EDV<br />

umgesetzter Faksimilestempel 6 .<br />

12.Weitere Angaben<br />

Die Aufzählung in § 10 Abs. 2 RVG ist nicht abschließend.<br />

Soweit weitere Angaben dort nicht gefordert werden, heißt<br />

dies nicht, dass diese stets entbehrlich sind. Allerdings werden<br />

weitere Angaben nur in Ausnahmefällen erforderlich sein 7 .<br />

13. Steuerliche Anforderungen an die anwaltliche Rechnung<br />

Auf der Grundlage der Richtlinie 2001/115 EG des Rates<br />

8 werden seit dem 1.1.2004 (mit teilweiser Schonfrist<br />

zum 1.7.2004) strengere Anforderungen an die anwaltliche<br />

3 AnwKom-RVG/N. Schneider § 10 Rn. 30.<br />

4 OLG Hamburg AnwBl. 1970, 233; Hansens, BRAGO 8. Aufl. 1995, § 18 Rn. 5.<br />

5 Wrede AGS 1998, 34.<br />

6 Zu Einzelheiten siehe AnwKom-RVG/N. Schneider Rn. 34 ff.<br />

7 AnwKom-RVG/N. Schneider § 10 Rn. 40.<br />

8 Vom 20.12.2001 (L15/24 Amtsblatt EG 17.1.2001).<br />

RVG – Frage des Monats<br />

Kann die Terminsgebühr schon anfallen,<br />

bevor eine Klage anhängig ist?<br />

Die Terminsgebühr der VV Nr. 3104 fällt nach den<br />

in der Vorbemerkung 3 Abs. 3 RVG-VV genannten<br />

Kriterien auch ohne Beteiligung des Gerichts an, wenn<br />

der Anwalt an Besprechungen mitwirkt, die auf Vermeidung<br />

oder Erledigung des Verfahrens gerichtet sind.<br />

Nur Besprechung mit dem eigenen Mandanten löst die<br />

Terminsgebühr nicht aus, selbst wenn als Ergebnis einer<br />

solchen internen Unterredung das Verfahren vermieden<br />

wird oder sich erledigt. Die Terminsgebühr ersetzt<br />

nach der Gesetzesbegründung sowohl die<br />

Verhandlungs-, die Erörterungs- als auch die Beweisgebühr<br />

nach § 31 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 BRAGO.<br />

Diese Nachfolgefunktion für Gebührentatbestände,<br />

die bislang ein bereits eingeleitetes Verfahren, also Anhängigkeit<br />

und Rechtshängigkeit der Klage voraussetzten,<br />

hat Zweifel veranlasst, ob auch ohne Rechtshängigkeit einer<br />

Klage bereits die Terminsgebühr entstehen kann.<br />

Die Zweifel sind unberechtigt. Die Terminsgebühr<br />

entsteht im Umfang von 1,2 unter den in Vorbemerkung<br />

3 Abs. 3 RVG-VV genannten Voraussetzungen<br />

unabhängig von der Zustellung einer Klage an den<br />

Gegner, sogar unabhängig von der Einreichung einer<br />

Klageschrift und letztlich auch unabhängig von der<br />

Existenz eines Klageschriftsatzes.<br />

Die einzige zwingende Voraussetzung ist: Es muss<br />

eindeutig ein Prozessmandat, also Auftrag zur Klage<br />

oder zur Klageabwehr erteilt sein.<br />

Der Text der neuen Regelung ermöglicht eine klare<br />

Interpretation. Der Gesetzeswortlaut in der Vorbemerkung<br />

3 Abs. 3 nennt mit der Alternative „einer auf die<br />

Vermeidung eines Verfahrens gerichteten Besprechung<br />

ohne Beteiligung des Gerichts“ eine Konstellation, die<br />

gerade voraussetzt, dass ein Verfahren noch nicht eingeleitet<br />

wurde. Die Klageeinreichung bei Gericht, erst<br />

recht die Zustellung an den Gegner leiten bereits formell<br />

das gerichtliche Verfahren ein, lösen z. B. Kostenfolgen<br />

wie Vorschusspflicht für den Kläger aus. Ein bereits<br />

eingeleitetes Verfahren kann nicht mehr<br />

„vermieden“ sondern nur noch „erledigt“ werden.<br />

Weder ausdrücklich noch versteckt finden sich<br />

Rechtshängigkeit oder Anhängigkeit einer Klage als<br />

Voraussetzung für die Entstehung der „Besprechungs-<br />

Terminsgebühr“.<br />

Diese Auffassung deckt sich mit dazu vorliegenden<br />

Veröffentlichungen in der Literatur (Braun/Hansens,<br />

RVG-Praxis, 2004, 138; Hansens, JurBüro 5/2004, 250;<br />

Bischof, JurBüro 6/2004, 296, 297; Mayer in Mayer/<br />

Kroiß, RVG Handkommentar, 1. Auflage 2004, zur Vorbemerkung<br />

3 Teil 3 Rn. 33; Römermann in Hartung/<br />

Römermann, Praxiskommentar zum RVG, 2004, zu VV<br />

Teil 3 Rn. 9; Schneider/Mock, Das neue Gebührenrecht<br />

für Anwälte, 2004, S. 158 Rn. 67; Volpert, Die neuen<br />

Gebühren nach dem RVG, RVG Prof. 3/2004, 37, 40;<br />

Henke, AnwBl 6/2004, 363, 364).<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

RVG-Fragen können DAV-Mitglieder im Internetforum<br />

unter www.anwaltsforum.de diskutieren.


512<br />

MN<br />

Rechnung gestellt 9 , Verschärfte umsatzsteuerrechtliche Anforderungen<br />

seit dem 1.01.2004, AnwBl 2004, 174; J. Schneider,<br />

Neue und höhere Anforderungen an die Rechnungsstellung,<br />

AGS 2004, 39; ders., Steueränderungsgesetz 2003, AGS 2004,<br />

86; Hansens, Neue Formerfordernisse für anwaltliche Kostenberechnungen<br />

– Praktische Auswirkungen des Steueränderungsgesetzes<br />

2003, RVGreport 2004, 43; Otto, Anwaltsrechnungen,<br />

BRAK-Magazin 2004, 12.. Entspricht die<br />

Kostenrechnung nicht den steuerliche Anforderungen, so hat<br />

dies für die Klagbarkeit allerdings keine Bedeutung. Hierfür<br />

kommt es nur auf die Voraussetzungen des § 10 RVG an. Allerdings<br />

kann der Mandant ein Zurückbehaltungsrecht nach<br />

§ 273 BGB ausüben, solange er mangels ordnungsgemäßer<br />

Rechnung, diese nicht steuerlich geltend machen kann 10 .<br />

III. Mitteilung<br />

Voraussetzung ist weiterhin, dass dem Auftraggeber die Berechnung<br />

auch mitgeteilt worden ist. Das Original muss dem<br />

Mandanten zugegangen sein (§ 130 BGB). Eine förmliche Zustellung<br />

ist nicht erforderlich 11 , KostG, § 18 BRAGO Rn. 15..<br />

Die bloße Mitteilung des Anwalts an seinen Mandanten, dass<br />

er, der Anwalt, die Kosten dem Gegner zur Bezahlung aufgegeben<br />

habe, reicht demgegenüber wiederum nicht aus 12 .<br />

IV. Kosten der Abrechnung<br />

Die Kosten der Abrechnung selbst sind allgemeine Geschäftskosten<br />

i. S. d. Vorb. 7 VV. Der Anwalt kann hierfür weder<br />

eine Vergütung (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 RVG) noch Auslagen<br />

verlangen. Insbesondere erzeugt weder das Anfertigen der Kostenrechnung<br />

die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV<br />

noch löst die Versendung der Kostenrechnung Postentgelte nach<br />

Nr. 7001 VV oder gar die Postentgeltpauschale nach VV 7002<br />

aus (so jetzt ausdrücklich geregelt in Anm. zu Nr. 7001 VV).<br />

V. Fehlen einer ordnungsgemäßen Abrechnung<br />

Entspricht die Kostenberechnung nicht den formellen<br />

Anforderungen des § 10 RVG, ist die Vergütung nicht einforderbar,<br />

es sei denn, der Auftraggeber hat auf eine ordnungsgemäße<br />

Berechnung verzichtet 13 . Dies wiederum bedeutet,<br />

dass der Mandant trotz Aufforderung die Vergütung<br />

nicht zu bezahlen braucht. Die Vergütung kann nicht eingeklagt<br />

werden. Es ist lediglich eine Naturalobligation gegeben<br />

14 . Zahlt der Mandant allerdings ohne ordnungsgemäße<br />

Mitteilung der Kostenberechnung, kann er seine Leistung<br />

nicht nach § 812 BGB zurückverlangen (§ 814 BGB), es sei<br />

denn, er hat unter Vorbehalt einer Abrechnung gezahlt 15 .<br />

Eine Aufrechnung ist ebenfalls nicht möglich, solange<br />

keine Kostennote mitgeteilt worden ist 16 . Eine Aufrechnung<br />

ist nach § 387 BGB nämlich nur dann möglich, wenn der<br />

Aufrechnende die ihm gebührende Leistung fordern darf.<br />

Daran mangelt es aber, solange keine Kostennote erteilt ist.<br />

Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts vor Erteilung<br />

einer Kostenberechnung ist nicht zulässig 17 .<br />

9 Siehe hierzu Spatscheck, Verschärfte umsatzsteuerrechtliche Anforderungen seit<br />

dem 1.01.2004, AnwBl 2004, 174; J. Schneider, Neue und höhere Anforderungen<br />

an die Rechnungsstellung, AGS 2004, 39; ders., Steueränderungsgesetz<br />

2003, AGS 2004, 86; Hansens, Neue Formerfordernisse für anwaltliche Kostenberechnungen<br />

– Praktische Auswirkungen des Steueränderungsgesetzes 2003,<br />

RVGreport 2004, 43; Otto, Anwaltsrechnungen, BRAK-Magazin 2004, 12.<br />

10 BGH NJW 1980 2710; N. Schneider, ProzRB 2003, 364.<br />

11 Hartmann, KostG, § 18 BRAGO Rn. 15.<br />

12 OLG Köln AnwBl. 1994, 471 = OLGR 1994, 103.<br />

13 Ausführlich AnwKom-RVG/N. Schneider § 10 Rn. 52.<br />

14 AnwKom-RVG/N. Schneider § 10 Rn. 56.<br />

15 OLG Frankfurt AnwBl. 1975, 163; Hansens, § 18 Rn. 11.<br />

16 BGH AnwBl. 1985, 257; KG AnwBl. 1982, 71; OLG Köln AnwBl. 1994, 471;<br />

OLG Frankfurt/M. AnwBl. 1975, 163.<br />

17 RG JW 1890, 306<br />

Anwaltspraxis<br />

Datenschutz im<br />

Anwaltsbüro<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Mitteilungen<br />

Bestellung eines Datenschutzbeauftragten ab einer<br />

bestimmten Kanzleigröße<br />

Der Gesetzgebungsausschuss Informationsrecht des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s hat in der Zusammenarbeit mit<br />

der Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie ein<br />

Merkblatt erstellt, dass wichtige Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes<br />

(BDSG), die in der Anwaltskanzlei zu<br />

beachten sind, prägnant zusammenfasst. Kernpunkt der Regelung<br />

im Bundesdatenschutzgesetz ist die Bestellung eines<br />

Datenschutzbeauftragten. Die entsprechende Regelung ist<br />

nach dem Auslaufen der Übergangsvorschriften seit dem<br />

23. Mai 2004 in Kraft. Das <strong>Anwaltsblatt</strong> dokumentiert im<br />

Folgenden das Merkblatt.<br />

Rechtsanwalt Jens Wagener, Berlin<br />

Merkblatt des Gesetzgebungsausschusses<br />

Informationsrecht des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s in Zusammenarbeit mit der<br />

Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

1. Wie schon in der Stellungnahme des Informationsrechtsausschusses<br />

Nr. 01/2001 vom Januar 2001<br />

wird nochmals nachdrücklich darauf aufmerksam<br />

gemacht, dass das Bundesdatenschutzgesetz<br />

(BDSG) auch auf die Anwaltschaft anwendbar und<br />

somit von allen Kolleginnen und Kollegen zu befolgen<br />

ist. Insbesondere ist darauf zu achten, dass<br />

nach Ablauf der Übergangsvorschrift, mit Ablauf<br />

des 23.05.2004, die Nichtbefolgung des BDSG<br />

zum Teil bußgeldbewehrt ist.<br />

2. Im Konkurrenzverhältnis des BDSG zu anderen,<br />

insbesondere berufsrechtlichen Regelungen, gehen<br />

diese berufsrechtlichen Bestimmungen, wie z. B.<br />

BRAO und BORA, im Zweifel dem BDSG als den<br />

spezielleren Normen vor, wichtig z. B. bei Geheimhaltungspflichten.<br />

3. In der Anwendung sind für die Anwaltschaft insbesondere<br />

die §§ 4d bis 5, 9, 27ff. und § 43 BDSG<br />

sowie die Anlage zum BDSG zu beachten. § 4d-g<br />

und die Anlage zum BDSG regeln die Berufung<br />

und die Aufgaben des Beauftragten für den Datenschutz,<br />

die §§ 27ff. BDSG regeln den Umgang der


AnwBl 8 + 9/2004 513<br />

Mitteilungen MN<br />

Daten der nicht öffentlichen Stellen, somit auch<br />

der Rechtsanwaltskanzleien. § 43 BDSG schließlich<br />

enthält entsprechende Bußgeldvorschriften.<br />

4. Die Anwendbarkeit des Bundesdatenschutzgesetzes<br />

und der zitierten Paragraphen enthält für Ihre<br />

Kanzlei folgende, zwingend zu beachtende Regelungen:<br />

i) Jede Kanzlei, die mehr als vier Personen mit<br />

der Datenverarbeitung beschäftigt, hierzu zählen<br />

neben den Anwälten (Sozius, Partner, angestellte<br />

Anwälte) z. B. auch die Sekretariate,<br />

hat zwingend einen Datenschutzbeauftragten<br />

zu bestellen.<br />

ii) Der Datenschutzbeauftragte hat die Einhaltung<br />

der Regelungen des BDSG zu überwachen<br />

(Überwachungsfunktion) und alle Mitarbeiter<br />

in die Regelungen des BDSG einzuweisen<br />

(Schulungsfunktion).<br />

iii) Auf Anforderung sind die Regelungen zum<br />

Datenschutz nach § 4e Abs. 1 BDSG jedem<br />

Dritten zur Verfügung zu stellen.<br />

iv) Die Kanzlei hat eine Übersicht gemäß den<br />

§§ 4g, 4e BDSG zu erstellen und dem Datenschutzbeauftragten<br />

zur Verfügung zu stellen<br />

(Verfahrensverzeichnis).<br />

5. Bei einer Bestellung eines Datenschutzbeauftragten<br />

ist zu beachten, dass dieser in Datenschutzangelegenheiten<br />

weisungsfrei und unabhängig<br />

agieren soll, er in seiner Tätigkeit unmittelbar aber<br />

der Leitung der verantwortlichen Stelle zu unterstellen<br />

ist. Für die Anwaltskanzlei ist als verantwortliche<br />

Stelle i. d.R. der/die Sozien/Partner anzusehen.<br />

Die Bestellung eines Sozius/Partners selbst<br />

als Datenschutzbeauftragter scheidet aber aus.<br />

Für die Berufung des Datenschutzbeauftragten bieten<br />

sich zwei Möglichkeiten an:<br />

i) Zum einen die Berufung eines angestellten oder<br />

in freier Mitarbeit für die Kanzlei tätigen<br />

Rechtsanwaltes als Datenschutzbeauftragten<br />

(interne Lösung)<br />

oder<br />

ii) zum anderen die Bestellung eines externen Datenschutzbeauftragten<br />

(dieses wird oft als<br />

Dienstleistung von EDV-Unternehmen oder<br />

Rechtsanwälten bereits angeboten)<br />

Bei beiden Lösungen muss der bestellte Datenschutzbeauftragte<br />

jeweils sowohl juristische<br />

Kenntnisse des Datenschutzrechts als auch den<br />

entsprechenden technischen Sachverstand aufweisen.<br />

Die Nichtberufung eines Datenschutzbeauftragten<br />

kann mit einer Geldbuße bis zu E 25.000 geahndet<br />

werden.<br />

Internationales<br />

30. DACH-Tagung in Berlin<br />

Interessante Themen, geeignete Referenten und ebenfalls<br />

interessante Tagungsorte unter einen Hut zu bringen<br />

ist erfahrungsgemäß schwierig. Eine internationale Anwaltsvereinigung<br />

mit Mitgliedern aus über 20 meist europäischen<br />

Staaten, die ihre Tagung abwechselnd in mehreren<br />

Ländern ausrichtet, hat’s da noch schwerer. Dennoch hat<br />

die DACH es meist verstanden, diese Herausforderungen zu<br />

meistern und ihren „Seminar-Wanderzirkus“ für ihre Mitglieder<br />

attraktiv zu gestalten. Dieses Mal also Berlin. Im<br />

neu eröffneten SAS Radisson, zwischen Nikolaiviertel und<br />

Hackeschem Markt in der Neuen Mitte Berlins gelegen,<br />

hatte die Tagung im Mai einen hervorragenden Rahmen.<br />

Auch Berlin-Neulingen wurde schnell klar, dass Berlin<br />

nicht nur aus Kudamm besteht.<br />

Acht Referenten nahmen das Thema der Rechtswahlklauseln,<br />

vereinbart durch AGB oder individuell, unter die<br />

Lupe. Einstieg und Überblick über die Thematik gab Dr.<br />

Christoph Wetzler (Frankfurt), gefolgt von den Referenten<br />

aus den weiteren Kernländern der DACH, Österreich (Dr.<br />

Michael Wukoschitz, Wien), Liechtenstein (Dr. Johannes<br />

Gasser, Vaduz) und der Schweiz (Dr. Felix Dasser, Zürich).<br />

Alle arbeiteten den dogmatischen Hintergrund der<br />

Möglichkeiten, aber auch der Grenzen der Rechtswahl heraus.<br />

Selbst Teilnehmer, deren überwiegendes Tätigkeitsgebiet<br />

nicht im Wirtschaftsrecht liegt, waren erstaunt über<br />

die Anwendungsbereiche im Internationalen Familien- und<br />

Erbrecht, außerdem über auf die Auswirkungen des Europäischen<br />

Gesellschaftsrechts, etwa durch die Centros-,<br />

Überseering- und Inspire-Art-Entscheidungen des EuGH.<br />

Zumal der Beitritt der 10 neuen EU-Mitgliedsstaaten erst<br />

ein paar Tage zuvor erfolgt war, war die Erstreckung der<br />

Thematik auf die Sicht der Staaten Slowenien, Kroatien,<br />

Serbien-Montenegro, Ungarn, Tschechien und der Slowakei<br />

(Dr. Roland Grilc [Klagenfurt], Dr. Petr Balcar [Prag] und<br />

Dr. Orsolya Rácz, Budapest) eine bereichernde Ergänzung.<br />

Wie immer erstaunte die teilweise sehr pragmatische<br />

Lösung einzelner Länder, die dem dogmatischen Gestrüpp<br />

vieler gewachsener Rechtsordnungen einiges voraushat.<br />

Verbunden mit dem obligatorischen, aber lohnenden<br />

Reichstags-Besuch war eine kurze, aber aufschlußreiche Diskussion<br />

mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Alfred<br />

Hartenbach (SPD) zum Thema der vorgesehenen Abschaffung<br />

des Rechtsberatungsmonopols. Gerade in solchen Diskussionen<br />

zeigt sich der Vorteil der Internationalität der Tagungsteilnehmer:<br />

Deutlich wurden die Gemeinsamkeiten<br />

formuliert, bspw. die Forderung, die Anwaltschaft vor den<br />

„großen Werbebudgets“ der auf den Rechtsberatungsmarkt<br />

Drängenden (etwa der Banken) zu schützen. Andererseits<br />

zeigen Beispiele aus anderen Ländern, wie bspw. der<br />

Schweiz, dass Rechtsanwälte auch ohne Rechtberatungsmonopol<br />

hervorragend zurechtkommen. Was letztlich aus<br />

dem Vorhaben der Regierung wird, bleibt nach wie vor – zumal<br />

auf dem europäischen Hintergrund – konkret unkonkret.<br />

Die nächste Tagung zum Thema „Gewährleistung“ findet<br />

vom 23.-25. September 2004 in Budapest statt. Auch Nichtmitglieder<br />

sind willkommen. Informationen bei der Mitgliederverwaltung<br />

der DACH, Rechtsanwältin Dr. Susanne<br />

Hüppi, Klosbachstrasse 110, CH-8030 Zürich oder telefonisch<br />

unter +49-1-252 66 88 oder per Fax +41-1-252 63 90.<br />

Rechtsanwalt Jürgen Wagner, Konstanz/Zürich/Vaduz


514<br />

MN<br />

Anwaltsrecht<br />

Bücherschau<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

I. Rechtsberatung<br />

1. Der vom 21. bis 24. September 2004 in Bonn stattfindende<br />

Deutsche Juristentag wird sich in seiner zivilrechtlichen<br />

Abteilung unter dem Generalthema „Rechtsberatung<br />

zwischen Deregulierung und Verbraucherschutz“<br />

mit der Reform des RBerG befassen. Der Tradition des<br />

DJT entsprechend, sind im Vorfeld zwei in Buchform veröffentlichte<br />

Gutachten zur Thematik in Auftrag gegeben worden<br />

1 . Hanns Prütting, Professor an der Universität zu Köln,<br />

hat in seinem Gutachten unter dem <strong>Titel</strong> „Rechtsberatung<br />

zwischen Deregulierung und Verbraucherschutz“ die rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen des Rechts der Rechtsberatung<br />

einer kritischen Würdigung unterzogen. Hubert Rottleuthner,<br />

Professor an der Freien Universität Berlin, hat ein ergänzendes<br />

Gutachten „Das Rechtsberatungsgesetz – rechtstatsächlich<br />

betrachtet“ erstellt.<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias<br />

Kilian, Köln, ist Vorstand des<br />

Soldan-Instituts für Anwaltmanagement<br />

e.V., Essen. Sie<br />

erreichen ihn per E-Mail:<br />

kilian@anwaltsrecht.org.<br />

a) Prütting macht in seinem Gutachten eine Anzahl von<br />

Kernproblemen des RBerG aus, denen er sodann im Detail<br />

nachgeht: Die verfassungs- und europarechtliche Dimension<br />

des gegenwärtigen Rechtsberatungsmonopols, seine<br />

Auswirkungen auf den Zugang zum Recht, die Regelungsund<br />

Gesetzestechnik des RBerG. Weitere Untersuchungsgegenstände<br />

Prüttings: Die historisch belastete Genese des<br />

Gesetzes, das Verbot der unentgeltlichen und karitativen<br />

Rechtsberatung durch Nicht-Anwälte und die Rechtsberatung<br />

durch die Medien. Nach einer sorgfältigen Prüfung<br />

kommt Prütting zu dem Ergebnis, dass das RBerG in seiner<br />

Grundstruktur und seinen wesentlichen Regelungsbereichen<br />

weder verfassungs- noch europarechtswidrig ist. Er plädiert<br />

für eine großzügigere Beurteilung der Annexkompetenz<br />

nach Art. 1 § 5 RBerG und fordert den Gesetzgeber auf,<br />

die unentgeltliche Rechtsberatung für alle Volljuristen freizugeben,<br />

soweit diese sich grundlegenden Berufspflichten<br />

unterwerfen. Kritisch bewertet Prütting die Rspr. des BGH<br />

zur Zulässigkeit der Rechtsberatung in den Medien, die er<br />

für zu weit gehend hält, und zu treuhänderischen Immobiliengeschäften.<br />

Als sinnvoll erachtet er eine Erweiterung<br />

der Teilerlaubnisse in Art. 1 § 3 RBerG unter Wegfall der<br />

bisherigen Bedürfnisprüfung und damit die Beibehaltung<br />

der präventiven Verbotslösung.<br />

b) Rottleuthner zeichnet in seinem Gutachten zunächst<br />

die aktuelle Reformdiskussion detailliert nach, bevor er sich<br />

der empirischen Untersuchung der bekannt gewordenen<br />

Rechtsprechung zum RBerG zuwendet. Mithilfe von Daten-<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Mitteilungen<br />

banken hat er die ergangene Rechtsprechung nach Gerichtsbarkeiten<br />

und Instanzen, den betroffenen Berufsgruppen und<br />

Tätigkeitsbereichen und den angesprochenen Rechtsproblemen<br />

ausgewertet. In einem nächsten Schritt stellt Rottleuthner<br />

die Befassung der Justizverwaltungen und Staatsanwaltschaften<br />

in Erlaubnis- und OWi-Verfahren dar. Aus der<br />

Auswertung des in den letzten Jahren veröffentlichten<br />

Schrifttums folgert Rottleuthner, dass die Reformdiskussion<br />

stark von der Anwaltschaft dominiert wird, die überwiegend<br />

Partikularinteressen verfolgt. Das Herzstück des Gutachtens<br />

folgt mit der Darstellung der sozialen Praxis der Rechtsberatung,<br />

zu der Rottleuthner Erkenntnisse durch Auswertung<br />

von Publikationen, vor allem aber durch die Befragung von<br />

Organisationen und Verbänden gewonnen hat, bei deren<br />

Mitgliedern Berührungspunkte mit dem RBerG zu vermuten<br />

sind. Analysiert wurden neben den in Art. 1 §§ 1, 3, 5, 7<br />

RBerG genannten Berufsgruppen und Organisationen auch<br />

Versicherungen, Finanz- und Unternehmensberater, Kreditinstitute,<br />

Mediatoren, Psychologen, Makler, Wirtschaftsjuristen,<br />

Energieberater, Unfallregulierer, Gutachter, Ombudsleute,<br />

Sozialberater, Medien, Krankenkassen, Berufsbetreuer<br />

und Erbensucher. Das Gutachten enthält demgemäss eine<br />

Vielzahl interessanter Informationen, in welcher Weise<br />

Nicht-Anwälte mit der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten<br />

in Berührung kommen können.<br />

2. Ein interessantes und im Schrifttum bislang noch<br />

nicht aufgearbeitetes Ausschnittsproblem des RBerG hat<br />

Sven Kerkhoff in seiner von Jost in Bielefeld betreuten Dissertation<br />

„Das Rechtsberatungsgesetz und die Scheidungsberatung<br />

der Jugendhilfe – Zu den Grenzen der<br />

Beratungstätigkeit nach § 17 SGB VIII“ 2 untersucht. § 17<br />

SGB VIII gibt Eltern im Rahmen der Jugendhilfe Anspruch<br />

auf Beratung in Fragen der Partnerschaft. Diese Beratung<br />

soll u. a. im Fall der Trennung oder Scheidung ein einvernehmliches<br />

Konzept hinsichtlich des Sorgerechts erarbeiten.<br />

Kerkhoff arbeitet in seiner Untersuchung die inhaltlichen<br />

und institutionellen Grenzen der Tätigkeit nach § 17<br />

SGB VII heraus, die regelmäßig erlaubnispflichtige Rechtsberatung<br />

i. S. v. Art. 1 § 1 I RBerG ist. Öffentliche, kirchliche<br />

und anerkannte Träger der Jugendhilfe sind nach Auffassung<br />

von Kerkhoff über Art. 1 § 3 RBerG zur Beratung<br />

befugt; für letztere ergibt sich dies für den Autor aus einer<br />

analogen Anwendung von Art. 1 § 3 Nr. 9 RBerG. Keinerlei<br />

Rechtsberatung dürfen hingegen die nicht anerkannten<br />

freien Jugendhilfeträger leisten. Eine weitere Einschränkung<br />

ergibt sich in inhaltlicher Hinsicht: Zulässig ist Rechtberatung<br />

nur bei Beratung in unmittelbar kindesbezogenen<br />

rechtlichen Aspekten, nicht aber bezüglich Scheidungsfolgen,<br />

Unterhaltsansprüchen, Zugewinn- oder Versorgungsausgleich.<br />

Hier müssen sich die Jugendhilfeträger anwaltlicher<br />

Co-Berater bedienen. Kerkhoff stellt fest, dass das<br />

RBerG der effektiven Scheidungsberatung durch hierfür<br />

prädestinierte Stellen nicht entgegenstehe, dass RBerG<br />

„keinesfalls so unerträglich und unsozial [sei], wie es oft<br />

vorschnell gebrandmarkt“ werde. Mit Blick auf § 17 SGB<br />

VIII verneint Kerkhoff daher die Notwendigkeit einer Reform<br />

des RBerG. Die Arbeit bietet keine überraschenden<br />

Ergebnisse, ihr kommt aber das Verdienst zu, erstmalig –<br />

1 Hanns Prütting/Hubert Rottleutner, Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentages<br />

Bonn 2004, Band I: Gutachten / Teil G + H – Abteilung Rechtsberatung;<br />

Rechtsberatung zwischen Deregulierung und Verbraucherschutz, Verlag C. H.<br />

Beck, München 2004, 58 S., ISBN 3-406-52251-3, 18 E.<br />

2 Sven Kerkhoff, Das Rechtsberatungsgesetz und die Scheidungsberatung der Jugendhilfe<br />

– Zu den Grenzen der Beratungstätigkeit nach § 17 SGB VIII, Band<br />

13 der Schriftenreihe des Instituts für Anwalts- und Notarrecht der Universität<br />

Bielefeld, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2004, 224 S., ISBN 3-8300-1326-4,<br />

78,00 EUR.


AnwBl 8 + 9/2004 515<br />

Mitteilungen MN<br />

und wie im Schrifttum gefordert – das Spannungsverhältnis<br />

von § 17 SGB VIII und Art. 1 § 1 RBerG sorgfältig ausgeleuchtet<br />

zu haben.<br />

II.Werberecht<br />

1. Wer den Autor des Buches „Das Werberecht der<br />

Freien Berufe“ 3 , Michael Kleine-Cosack, kennt, wird die<br />

Neuauflage des nunmehr im Verlag C. H. Beck verlegten<br />

Buches für ein gewisses Paradoxon halten, ist doch Kleine-<br />

Cosack einer der profiliertesten Kritiker eines berufsgruppenspezifischen,<br />

restriktiven Werberechts. Seine grundsätzliche<br />

Sicht der Dinge vermittelt der Autor in dem<br />

einleitenden Teil des Buches, in welchem er auf 150 Seiten<br />

die Grundlagen entwickelt, die für eine sichere Interpretation<br />

der werberechtlichen Generalklauseln wie §§ 43 b<br />

BRAO, 57 a StBerG, 52 WPO und der konkretisierenden<br />

Normen der Berufsordnungen notwendig sind. Erst dieser<br />

mit viel Überzeugungskraft geschriebene Grundlagenteil ermöglicht<br />

es, neu erdachte Werbeformen zu bewerten, die<br />

sich ausnahmsweise nicht in dem sehr detaillierten Werbe-<br />

ABC des Buches finden. Kleine-Cosack erörtert im Grundlagenteil<br />

verfassungs- und europarechtlichen Determinanten<br />

des Werberechts, die wettbewerbsrechtlichen (sittenwidrige,<br />

irreführende und vergleichende Werbung) und berufsrechtlichen<br />

Schranken des freiberuflichen Werberechts (nicht-berufsbezogene,<br />

unsachliche und mandatsbezogene Werbung).<br />

Zudem erläutert Kleine-Cosack ausführlicher, wann überhaupt<br />

das Berufsrecht für eine Werbemaßnahme Geltung<br />

beanspruchen kann. Zwei Ausschnittsprobleme liegen ihm<br />

ersichtlich am Herzen: Der Bereich der Drittwerbung und,<br />

in einem eigenen Kapitel, das frühere Ausführungen aus seiner<br />

Feder aufgreift, das Werberecht des Notars, den er als<br />

den unfreiheitlichsten rechtsberatenden Beruf charakterisiert.<br />

In dem sich anschließenden 150-seitigen „Besonderen<br />

Teil“ seines Buches hat es Kleine-Cosack erneut auf sich genommen,<br />

die schier unübersichtliche Kasuistik zum Werberecht<br />

der Freien Berufe zu sichten und in Form eines<br />

Werbe-ABCs zu systematisieren. Er spart hierbei nicht mit<br />

Kritik an einzelnen Entscheidungen oder Vorschriften, die<br />

er bisweilen als „Relikte der Postkutschenzeit“ („Briefbogenentscheidung“<br />

des BGH, vgl. Rdnr. 565) oder als<br />

„schlicht verfassungswidrig“ (§ 6 Abs. 3 BORA, Rdnr. 646)<br />

bezeichnet. Eine Durchsicht der Kasuistik verdeutlicht, dass<br />

sich die Problematik des anwaltlichen Werberechts zunehmend<br />

auf den Bereich der mandatsbezogenen Werbung konzentrieren<br />

wird, haben doch Kammern und Gerichte mittlerweile<br />

verinnerlicht, dass die Werbung des Anwalts in der<br />

Wahl des Mediums, ihrer Häufigkeit und der Wahl des Anlasses<br />

frei ist. Ein verlässliches Kompendium für jeden<br />

Rechtsanwalt, der geplante Werbemaßnahmen mit dem<br />

wettbewerbs- und berufsrechtlichen Regularium abgleichen<br />

will – der Verlag könnte in der nächsten Auflage das Werbe-<br />

ABC durch stärkere Heraushebung der Oberbegriffe optisch<br />

etwas nutzerfreundlicher gestalten.<br />

2. Den verfassungsrechtlichen Fundamentalfragen, denen<br />

Kleine-Cosack in seinem Ratgeber nur in der dort gebotenen<br />

Kürze nachgehen kann, widmet sich Wolfgang Bomba<br />

in seiner von Manssen betreuten Regenburger Dissertation<br />

„Verfassungsmäßigkeit berufs- und standesrechtlicher<br />

Werbebeschränkungen für Angehörige freier Berufe“ 4<br />

(behandelt werden Rechtsanwälte, Ärzte und Apotheker).<br />

Nach den bei einer solchen Thematik zu erwartenden Eingangsüberlegungen,<br />

einem – auch hier ergebnislosen – Versuch<br />

einer abstrakten Bestimmung des Begriffs des „freien<br />

Berufs“ und der Definition von Begriff und Bedeutung des<br />

„Berufsbildes“ für Werberegelungen stellt das sich anschließende<br />

Kapitel berufsrechtliche Normen dar, die das<br />

Werberecht der untersuchten Berufsgruppen ausmachen.<br />

Folgeprobleme werden nicht ausgespart, so das Verhältnis<br />

des Berufs- zum Wettbewerbsrecht und prozessuale Fragen<br />

der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen von Freiberuflern.<br />

Hier vertritt Bomba etwa die Auffassung, dass den<br />

Kammern keine Prozessführungsbefugnis aus § 13 Abs. 2<br />

Nr. 2 UWG zukommt. Nach diesen Präliminarien wendet<br />

sich Bomba der selbst gestellten Hauptaufgabe zu, der<br />

Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der angesprochenen<br />

Normen. Die Darstellung folgt in diesem Bereich streng<br />

dem bekannten prüfungstechnischen Gang zur Verfassungskonformität<br />

von Normen, der in allen seinen Verästelungen<br />

sorgfältig auf die Thematik übertragen wird. Bomba kritisiert,<br />

dass die verfassungsrechtliche Diskussion einen niedrigen<br />

Differenzierungsgrad aufweise und zu einseitig auf<br />

die Prüfung des Art. 12 GG fixiert sei. Den Besonderheiten<br />

ebenfalls berührter weiterer Grundrechte, etwa Art. 5 GG,<br />

werde hierdurch zu wenig Rechnung getragen. Bei der Prüfung<br />

des Übermaßverbots arbeitet Bomba die bekannten<br />

Rechtfertigungsmuster – Erhaltung der Funktionsfähigkeit<br />

der Rechtspflege und Schutz des Vertrauens in die Anwaltschaft,<br />

des individuellen Vertrauensverhältnisses sowie des<br />

Berufsbildes – ab und hält dem Leser vor Augen, dass es<br />

sich manche Begründung zur Rechtfertigung von Werbebeschränkungen<br />

bereits mit Blick auf die Legitimität des<br />

Zieles, jedenfalls aber bezüglich der Erforderlichkeit des<br />

Mittels zu einfach macht. Insbesondere kritisiert er scharf,<br />

dass das Argumentationsmuster „Schutz des Berufsbilds“<br />

nicht hinreichend mit Gemeinwohlerwägungen begründet<br />

werde, sondern im Kern einem fragwürdigen Schutz von<br />

Moral durch das Recht diene. Er verneint, dass das grundsätzlich<br />

legitime Ziel des Schutzes „des Vertrauensverhältnisses<br />

zwischen Mandant und Berufsträger“ durch Werbebeschränkungen<br />

erreicht werden könne. Immer wieder<br />

rekurriert Bomba auf die Kommerzialisierungsdebatte, die<br />

er ersichtlich für überholt und nicht mehr zeitgerecht hält.<br />

In einem abschließenden Abschnitt überprüft der Verfasser<br />

sodann unter Verwertung dieser Erkenntnisse einzelne Bestimmungen<br />

des Werberechts. § 43 b BRAO hält er für teilweise<br />

verfassungswidrig, soweit die Norm Werbung im Einzelfall<br />

ausnahmslos untersagt, § 6 Abs. 3 S. 2 BORA<br />

(Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen) erachtet er für<br />

insgesamt verfassungswidrig. Das selbe Verdikt trifft § 7<br />

Abs. 1 BORA, dem Bomba mangelnde Eignung zur Vermeidung<br />

von Irreführungen vorwirft (nicht ganz klar wird<br />

m. E. die verfassungsrechtliche Verortung dieses zutreffenden<br />

Arguments; vgl. hierzu Kilian, AnwBl. 2003, 256 ff.).<br />

Ähnlich vernichtende Urteile fällt Bomba über § 7 Abs. 2<br />

BORA und § 8 Abs. 2 BORA (Kundgabe beruflicher Zusammenarbeit),<br />

§ 10 BORA hält er mit Blick auf Großkanzleien<br />

für unverhältnismäßig. Nicht nur aufgrund dieser Ergebnisse<br />

wird die methodisch sorgfältig angelegte Arbeit<br />

zweifelsfrei auf das Interesse jener stoßen, die sich intensiver<br />

mit den Grundfragen des anwaltlichen Werberechts befassen.<br />

Vorschau: Die nächste Bücherschau wird sich mit Neuerscheinungen<br />

zum Berufsrecht und zur alternativen Streitbeilegung<br />

befassen.<br />

3 Michael Kleine-Cosack, Das Werberecht der Freien Berufe, Verlag C. H. Beck,<br />

München 2004, 340 S., ISBN 3-406-51295-X, 44,00 EUR.<br />

4 Wolfgang Bomba, Verfassungsmäßigkeit berufs- und standesrechtlicher Werbebeschränkungen<br />

für Angehörige freier Berufe: Dargestellt am Beispiel der Regelungen<br />

für Rechtsanwälte, Ärzte und Apotheker, Verlag Duncker & Humblot,<br />

Berlin 2003, 426 S., ISBN 3-428-11039-0, 86,00 EUR.


516<br />

MN HAFTPFLICHTFRAGEN<br />

Vom Umgang mit dem<br />

Haftpflichtversicherer im<br />

Schadenfall<br />

Rechtsanwältin Kerstin Nieger<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

Bei ständig wachsenden Anforderungen an die pflichtgemäße<br />

Ausübung der beruflichen Tätigkeit ist die Wahrscheinlichkeit<br />

groß, dass man als Anwalt mit Haftpflichtansprüchen<br />

konfrontiert wird und dementsprechend mit<br />

seiner Berufshaftpflichtversicherung in Kontakt treten<br />

muss. Wann und in welcher Form das spätestens geschehen<br />

muss, und was der Betreffende schließlich von der zuständigen<br />

Abteilung erwarten kann, ist oftmals nicht bekannt.<br />

Der folgende Beitrag soll helfen, Obliegenheitsverletzungen<br />

zu vermeiden und zielführend mit der naturgemäß unangenehmen<br />

Situation umzugehen.<br />

Rechtanwältin Kerstin Nieger<br />

aus München<br />

1. Umfang des Versicherungsschutzes<br />

a. Ausübung beruflicher Tätigkeit<br />

Der Versicherungsschutz richtet sich von seiner Zweckbestimmung<br />

her nur auf solche Haftpflichtansprüche, die<br />

sich aus dem Umfeld der anwaltlichen Berufstätigkeit ergeben.<br />

Dabei wird darauf abgestellt, welche Tätigkeit typischerweise<br />

dem anwaltlichen Berufsbild zuzuordnen ist und<br />

welche nicht. Die den Rechtsanwälten vorbehaltene Berufsausübung<br />

ergibt sich aus den §§ 1–3 BRAO und dem Geltungsbereich<br />

der BRAGO bzw. dem RVG. Aufgaben, die<br />

auch von anderen Personen als Anwälten wahrgenommen<br />

werden dürfen, gehören nicht dazu und werden auch dementsprechend<br />

nicht von der Pflichtversicherung erfasst, wie<br />

sie § 51 BRAO definiert. So gibt es viele Anwälte, die nebenbei<br />

als Haus- und Grundstücksverwalter tätig sind. Das<br />

mag berufsrechtlich zulässig sein und der Anwalt wird dies<br />

auch zu seinem beruflichen Umfeld zählen. Dennoch ist damit<br />

der Bereich der Pflichtversicherung verlassen. Die Standardpolice<br />

für Anwälte sieht allerdings über diese gesetzlich<br />

vorgeschriebene Pflichtversicherung hinaus Deckung<br />

für ausgewählte Tätigkeiten vor, die häufig im Rahmen anwaltlicher<br />

Praxis miterledigt werden. In gewissem Umfang<br />

zählen dazu die Tätigkeiten als (vorläufiger) Insolvenzverwalter<br />

u. ä., Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger bzw.<br />

-verwalter, Vormund, Betreuer, Pfleger und Beistand sowie<br />

als Schiedsrichter oder Schlichter und Abwickler einer Praxis<br />

gem. § 55 BRAO. Einzelheiten wären der jeweiligen Risikobeschreibung<br />

im Vertrag zu entnehmen.<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

b. Gesetzliche Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen<br />

Inhalts<br />

Versicherungsschutz besteht nur, soweit der Anwalt von<br />

Dritten aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen<br />

Inhalts in Anspruch genommen wird. Insbesondere<br />

vertragliche Erfüllungsansprüche scheiden daher<br />

aus. Verlangt der Mandant also lediglich an den Anwalt geleistete<br />

Fremdgelder gem. § 667 BGB heraus, wäre die<br />

Haftpflichtversicherung damit nicht befasst.<br />

c.Vermögensschaden<br />

Vermögensschäden sind weder Personen- noch Sachschäden.<br />

Wenn sich z. B. der zum Testamentsvollstrecker<br />

bestellte Anwalt nicht genügend um eine zum Nachlass<br />

gehörende Immobilie kümmert und deshalb die Heizungsrohre<br />

einfrieren und sich ein Wasserschaden ergibt, handelt<br />

es sich um einen Sachschaden, der nicht über die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung<br />

abgewickelt werden<br />

kann.<br />

d. Ausschlüsse<br />

Die Ausschlusstatbestände sind in den Versicherungsbedingungen<br />

abschließend geregelt.<br />

Versicherungsschutz über die Standardpolice gibt es<br />

nicht für Haftpflichtansprüche aus Tätigkeiten über in anderen<br />

Staaten eingerichtete oder unterhaltene Kanzleien<br />

oder Büros. Die Beschäftigung mit außereuropäischem<br />

Recht und die Tätigkeit vor außereuropäischen Gerichten<br />

ist ebenfalls nicht versichert. Das entspricht den Vorgaben<br />

des § 51 BRAO, bedeutet aber deshalb nicht, dass der international<br />

agierende Anwalt damit automatisch schutzlos gestellt<br />

wäre. Tätigkeiten mit Auslandsbezug können gesondert<br />

versichert werden.<br />

Zum Ausschlusstatbestand der „wissentlichen Pflichtverletzung“<br />

sei verwiesen auf Dobmaier, AnwBl. 2003, 447.<br />

2. Schadenanzeige<br />

Die Schadenanzeige ist grundsätzlich schriftlich an den<br />

Versicherer zu richten. Der Versicherungsnehmer sollte den<br />

zu Grunde liegenden Sachverhalt schildern, und persönlich<br />

und möglichst objektiv Stellung zu den erhobenen oder<br />

möglichen Vorwürfen nehmen. Dabei sind dem Versicherer<br />

die für dessen Beurteilung wesentlichen Unterlagen zur<br />

Verfügung zu stellen, das kann je nach Lage des Falles die<br />

Übersendung einer kompletten Aktenkopie bedeuten.<br />

3.Versicherungsfall und Meldeobliegenheit<br />

Nach der Definition der AVB ist dies der Verstoß, der<br />

Haftpflichtansprüche gegen den Versicherungsnehmer zur<br />

Folge haben „könnte“. Konkret bedeutet das: Die Meldeobliegenheit<br />

wird schon dann ausgelöst, wenn der Anwalt<br />

erkennt, dass es zu einer Pflichtverletzung gekommen ist,<br />

die Schadenersatzansprüche nach sich ziehen könnte. Das<br />

ist vor allem dann der Fall, wenn befürchtet werden muss,<br />

dass Ansprüche des Mandanten im Verlauf des Mandats<br />

verjährt sind oder wenn sonstige Fristversäumnisse in der<br />

Kanzlei entdeckt werden. Es ist keinesfalls notwendig, dass<br />

der Mandant oder Dritte bereits Schadenersatzansprüche


AnwBl 8 + 9/2004 517<br />

Haftpflichtfragen MN<br />

geltend machen, der potenzielle Anspruchsteller muss nicht<br />

einmal von den Umständen wissen.<br />

Gerade in diesen Fällen einer Fristversäumnis legen die<br />

Schadenabteilungen der Haftpflichtversicherungen großen<br />

Wert auf rechtzeitige Einschaltung. Dies deshalb, weil der<br />

Anwalt insbesondere im Bereich von Verjährungsfragen<br />

und bei der Formulierung von Wiedereinsetzungsanträgen<br />

von dort Unterstützung erwarten kann und in der Regel<br />

auch bekommt. Die Schadenabteilungen verfügen hier<br />

schwerpunktmäßig über Know-how, das der Anwalt ausnutzen<br />

sollte und im Zweifel auch muss, will er sich nicht später<br />

dem Vorwurf einer – vielleicht sogar kausalen – Spätmeldung<br />

mit der möglichen Folge der Leistungsfreiheit des<br />

Versicherers aussetzen.<br />

4. Obliegenheiten im Verhältnis zum Anspruchsteller<br />

Solange keine abschließende Beurteilung bzw. vorherige<br />

Zustimmung des Versicherers vorliegt, darf der geltend gemachte<br />

Haftpflichtanspruch keinesfalls ganz oder zum Teil<br />

anerkannt, verglichen oder befriedigt werden. Ein Verstoß<br />

gegen diese Obliegenheiten kann unter bestimmten Voraussetzungen<br />

die Leistungsfreiheit des Versicherers nach sich<br />

ziehen.<br />

Als sinnvoll hat es sich erwiesen, dem Anspruchsteller<br />

zu dessen Information eine Zwischennachricht mit dem<br />

bloßen Inhalt zukommen zu lassen, dass die Angelegenheit<br />

dem Versicherer gemeldet wurde. Ein Anerkenntnis in der<br />

Sache ist mit dieser Aussage nach der Rechtsprechung<br />

nicht verbunden. So bleibt dann genügend Zeit, dass sich<br />

Versicherung und Versicherungsnehmer im Innenverhältnis<br />

abstimmen. Die Korrespondenz nach außen – also diejenige<br />

mit dem Geschädigten oder dessen (neuen) Anwälten –<br />

führt in der Regel dann der Versicherungsnehmer selbst.<br />

Der Geschädigte hat keinen Direktanspruch gegen den Versicherer,<br />

der Versicherungsnehmer muss nach derzeitiger<br />

Rechtslage nicht einmal Informationen über seine Versicherung<br />

preisgeben.<br />

5. Haftpflichtprozess<br />

Werden Schadenersatzansprüche als unbegründet abgelehnt,<br />

steht es dem Anspruchsteller selbstredend frei, die<br />

Haftungsfrage gerichtlich klären zu lassen. Soweit es um<br />

gedeckte Ansprüche geht, hat der Versicherungsnehmer Abwehrschutz.<br />

Dafür ist es natürlich dringend erforderlich, dass immer<br />

dann, wenn Haftpflichtansprüche in irgendeiner Form gerichtlich<br />

geltend gemacht werden, dem Versicherer dies<br />

auch unverzüglich gemeldet wird, § 5 II Ziff. 2 und 4 AVB.<br />

Wenn Fristen laufen, kann es sich durchaus empfehlen, sich<br />

zunächst telefonisch beim Sachbearbeiter zu melden, um<br />

kurzfristig die weitere Vorgehensweise zu besprechen und<br />

beispielsweise die Klageschrift dann nachzusenden. Unabhängig<br />

davon muss der Anwalt selbst dafür sorgen, dass<br />

laufende – prozessuale – Fristen gewahrt werden.<br />

Der in Anspruch genommene Anwalt kann sich grundsätzlich<br />

selbst vertreten. In diesem Fall werden jedoch die<br />

eigenen Gebühren für den Prozess nicht erstattet. Nicht nur<br />

deshalb kann es sinnvoll sein, einen vom Versicherer benannten<br />

Prozessvertreter in Anspruch zu nehmen. Einmal<br />

abgesehen davon, dass dem Versicherer bezüglich der Auswahl<br />

des Bevollmächtigten ein Weisungsrecht zusteht, zeigt<br />

die Erfahrung, dass Anwälte sich in eigenen Sachen von einigem<br />

Gewicht tunlichst nicht selbst vertreten sollten. Die<br />

sachliche und emotionale Nähe mag zunächst dafür sprechen,<br />

verstellt aber allzu oft den distanzierten Blick, den<br />

ein unbefangener Kollege haben kann. Dessen Gebühren,<br />

ebenso die übrigen Kosten des Prozesses, erstattet der Versicherer.<br />

6. Sozien<br />

§ 12 AVB regelt für Rechtsberater, dass der Versicherungsfall<br />

auch nur eines Sozius als Versicherungsfall aller<br />

Sozien gilt. Daher müssen also sämtliche Sozien – gemeint<br />

sind die so genannten Außensozien ohne Rücksicht auf die<br />

vertraglichen Beziehungen im Innenverhältnis – den Schaden<br />

melden. Entscheidend ist dabei die Kanzleizusammensetzung<br />

– also letzten Endes die Briefkopfversion zum so<br />

genannten Verstoßzeitpunkt. Das ist der Zeitpunkt der schadenstiftenden<br />

Handlung oder Unterlassung. Sind bzw. waren<br />

alle Sozien gleichmäßig bei einer Gesellschaft versichert,<br />

genügt eine einzige Schadenmeldung an diesen<br />

Versicherer. Sind auf diese Weise mehrere Versicherungsgesellschaften<br />

betroffen, ist eine Meldung an jede involvierte<br />

Gesellschaft abzugeben, alles Weitere stimmen diese<br />

dann intern ab. Die Federführung hat der Versicherer des<br />

jeweiligen Sachbearbeiters in der Kanzlei, Schadenaufwendungen<br />

werden mit der Durchschnittsleistung bezahlt, die<br />

nach Kopfteilen und Versicherungssummen auf den jeweiligen<br />

Sozius entfällt. Entscheidend sind wegen des Verstoßprinzips<br />

auch immer die Versicherungsbedingungen und<br />

-verhältnisse, die seinerzeit galten. (Zur Sozienhaftung und<br />

Versicherung ausführlich Burger, AnwBl. 2004, 304.)<br />

7.Wie wird reguliert?<br />

Die jeweilige Haftungssumme, also der Betrag, der als<br />

Schadenausgleich an die Anspruchstellerseite zu zahlen ist,<br />

wird unmittelbar durch den vertraglich vereinbarten Selbstbehalt<br />

gekürzt. Auch dieser ist gesetzlich vorgesehen. Er ist<br />

üblicherweise prozentual gestaffelt, in unterschiedlichem<br />

Maße für die verschiedenen Bedingungen AVB-A bzw.<br />

AVB-RSW. Die letztgenannten neuen Bedingungen sehen<br />

standardmäßig einen Höchstselbstbehalt von 1.500 Euro<br />

vor, während es nach den älteren Bedingungen 5.000 DM<br />

bzw. 2.556,46 Euro waren. Der Versicherer zahlt in der Regel<br />

an die Gegenseite unter Abzug des Selbstbehalts, den<br />

dann der Versicherungsnehmer selbst leisten muss.<br />

8. Schlussbemerkung<br />

Eine möglichst frühzeitige Meldung an den Versicherer<br />

ist nicht nur zur Vermeidung von Obliegenheitsverletzungen<br />

notwendig. Sie eröffnet außerdem die Möglichkeit, dass<br />

Sachbearbeitung und Entscheidung zügig erfolgen. Eine<br />

enge und rechtzeitige Zusammenarbeit mit dem Versicherer<br />

kann darüber hinaus helfen, drohendem Schaden entgegenzuwirken.


518<br />

MN<br />

§ 61 InsO – BGH zu<br />

Grenzen der<br />

Verwalterhaftung *<br />

Rechtsanwalt Alexander Weinbeer<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

Im letzten Jahr war es aufgrund einer Reihe obergerichtlicher<br />

Urteile zu erheblicher Unsicherheit unter den<br />

Insolvenzverwaltern in Bezug auf die Frage gekommen,<br />

unter welchen Voraussetzungen sie für Masseverbindlichkeiten<br />

nach § 61 InsO einzustehen haben. Namentlich die<br />

Entscheidungen des OLG Hamm vom 16.1.2003 zu den Az.<br />

27 U 45/02 (NZI 2003, 263 = ZInsO 2003, 474 = ZIP<br />

2003, 1165) und 27 U 46/02 statuierten für den Insolvenzverwalter<br />

gerade bei der von Seiten des Gesetzgebers verstärkt<br />

intendierten Betriebsfortführung Gefahren, die eine<br />

Aushöhlung dieser mit dem neuen Insolvenzrecht verbundenen<br />

Zielsetzung und den Rückzug auf die weniger haftungsträchtige<br />

Liquidation und sofortige Gläubigerbefriedigung<br />

befürchten ließen. Der BGH hatte sich aufgrund<br />

der vorgenannten Urteile erstmals mit der persönlichen<br />

Haftung des Insolvenzverwalters zu befassen und präzisierte<br />

den Anwendungsbereich des § 61 InsO durch seine<br />

beiden Entscheidungen vom 6.5.2004 zu den Az. IX ZR<br />

48/03 (ZInsO 2004, 609) und IX ZR 50/03.<br />

1. Entscheidungsinhalt<br />

Insbesondere hatte der BGH der Frage nachzugehen, ob<br />

eine Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO nur<br />

bei der pflichtwidrigen Begründung von Masseverbindlichkeiten<br />

in Betracht komme oder ob – so das OLG Hamm –<br />

die Ersatzpflicht bereits dann eintrete, wenn der Insolvenzverwalter<br />

Masseschulden bei ihrer Fälligkeit nicht erfüllen<br />

könne. Das Berufungsgericht nahm dabei eine Haftung<br />

nach § 61 Satz 1 InsO an, weil die Vorschrift nach ihrem<br />

„umfassenden Wortlaut“ eine entsprechende Auslegung zuließe.<br />

Zudem ergäbe sich aus der Gesetzesbegründung, dass<br />

der Gesetzgeber wieder eine Verschärfung der Haftung in<br />

Richtung auf die ältere Rechtsprechung bewirken wollte,<br />

um so die Möglichkeiten zur Unternehmensfortführung zu<br />

verbessern (ebenso Pape, ZInsO 2003, 1013 ff.; EWiR<br />

2003, 829 f.; mittlerweile aber wohl anders in ZInsO 2004,<br />

605 ff.).<br />

Der BGH folgt der Auffassung des OLG Hamm nicht.<br />

Er legt § 61 Satz 1 InsO zunächst wortlautgetreu aus und<br />

beschränkt die daraus resultierende Verwalterhaftung ausschließlich<br />

auf die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten<br />

(s. a. Laws, MDR 2003, 787, 792 f.). Auch<br />

lehnt er eine Ausweitung der Verwalterhaftung aufgrund der<br />

Regierungsbegründung (BT-Drucks. 12/2443, S. 129) ab<br />

und betont, dass sich der eingeschränkte Anwendungsbereich<br />

des § 61 InsO auch aus der Vorgeschichte der Vorschrift<br />

ergibt (vgl. zur Entstehungsgeschichte der §§ 60 ff.<br />

InsO und den Gründen der Neuregelung auch Pape,ZInsO<br />

2003, 1013 ff.; Weinbeer, AnwBl. 2004, 48 ff.).<br />

In diesem Zusammenhang weist der BGH aber darauf<br />

hin, dass der Verwalter den Entlastungsbeweis nach § 61<br />

Satz 2 InsO im Allgemeinen nur durch eine kontinuierlich<br />

fortgeschriebene und plausible Liquiditätsplanung führen<br />

könne. Resultiert die Liquiditätsprognose nicht aus einer<br />

präzisen Berechnung der Einnahmen und Ausgaben sowie<br />

aus einer realistischen Einschätzung noch ausstehender Forderungen<br />

und der künftigen Geschäftsentwicklung, könne<br />

sich der Verwalter nicht entlasten. Insbesondere sollen Forderungen<br />

dann ausscheiden, wenn ernstliche Zweifel daran<br />

bestehen, ob sie in angemessener Zeit (nicht) realisiert werden<br />

können.<br />

Zudem stellt der BGH fest, dass ein Ausfallschaden<br />

i. S. d. § 61 InsO jedenfalls dann vorliegt, wenn die Masseunzulänglichkeit<br />

angezeigt wurde und keine ohne weiteres<br />

durchsetzbaren Ansprüche bestehen, aus denen die Massegläubiger<br />

befriedigt werden können. Wenn eine freiwillige<br />

Erfüllung von Ansprüchen ausgeschlossen ist, müssen sich<br />

die Massegläubiger nicht auf einen möglicherweise langjährigen<br />

Rechtsstreit über ungewisse Ansprüche verweisen<br />

lassen. Eine i. R. d. Verteilung nach § 209 Abs. 1 InsO zu<br />

erwartende Quote ist vielmehr entsprechend § 255 BGB zu<br />

berücksichtigen.<br />

Einen weiteren Schwerpunkt der Entscheidungen bilden<br />

auch die Hinweise des BGH zum Umfang des nach § 61<br />

InsO erstattungsfähigen Schadens, der sich auf das negative<br />

Interesse beschränken soll. Damit schließt sich der BGH<br />

der überwiegenden Literaturmeinung an, die den<br />

Anknüpfungspunkt für eine Haftung nach § 61 InsO in<br />

dem enttäuschten Vertrauen des Geschäftspartners sieht,<br />

und begründet dies insbesondere mit systematischen und<br />

historischen Gesichtspunkten sowie Sinn und Zweck des<br />

§ 61 InsO. Denn der eigentliche Haftungsgrund des § 61<br />

InsO liegt im Eingehen einer Masseverbindlichkeit trotz<br />

voraussichtlicher Masseunzulänglichkeit bzw. in der unterlassenen<br />

Warnung des Vertragspartners, der einen entspr.<br />

Hinweis auf die drohende Masseinsuffizienz bei Geschäftsabschluss<br />

erwarten dürfe. Dies stellt – worauf der BGH zu<br />

Recht hinweist – einen typischen Fall der Vertrauenshaftung<br />

dar. Konsequenterweise lehnt der BGH daher auch die<br />

Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteuer ab, weil die Ersatzleistung<br />

nicht auf einem Leistungsaustausch beruht.<br />

Schließlich geht das Gericht noch auf die häufig in der<br />

Praxis anzutreffenden (Form-)Schreiben von Insolvenzverwaltern<br />

ein, in denen mehr oder weniger deutlich die Zahlung<br />

offener Masseverbindlichkeiten zugesagt wird. Der<br />

BGH deutet dabei an, dass derartige, eher floskelhafte Zusagen<br />

i. d. R. schwerlich genügen dürften, um eine Garantiezusage<br />

in Form einer persönlichen Haftungsübernahme<br />

des Verwalters annehmen zu können (so auch LG Dresden,<br />

Urt. v. 5.3.04 – 10 O 3672/03 – (unveröff.), das schon aus<br />

dem Umstand, dass derartige Zusagen regelmäßig namens<br />

des Insolvenzverwalters erfolgen, ein persönliches Einstehenwollen<br />

ablehnt).<br />

2. Fazit<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Haftpflichtfragen<br />

Der BGH hat erfreuliche Klarstellungen in Bezug auf<br />

die Voraussetzungen der Verwalterhaftung nach § 61 Satz 1<br />

InsO und den Umfang der Schadensersatzpflicht, die auf<br />

das negative Interesse beschränkt wird und nicht die Umsatzsteuer<br />

umfasst, geschaffen, nachdem gerade letztgenannte<br />

Gesichtspunkte in Entscheidungen zu § 61 InsO<br />

bislang wenig Berücksichtigung fanden (vgl. hierzu auch<br />

Pape, ZInsO 2003, 1013, 1017; 2004, 605 f.). Problematisch<br />

erscheint die Begründung für die Annahme eines Ausfallschadens<br />

i. S. d. § 61 InsO, insbesondere wenn es nur zu<br />

einer zeitweiligen Masseunzulänglichkeit gekommen war.<br />

Unklar bleiben schließlich auch die Anforderungen an die<br />

Liquiditätsplanung. Hier bleibt abzuwarten, ob die Instanzengerichte<br />

eine praxisgerechte Auslegung finden werden.<br />

* Ergänzung zu Weinbeer, AnwBl 2004, 48.


AnwBl 8 + 9/2004 519<br />

7<br />

Berufsrecht<br />

GG Art. 12 Abs. 1; BNotO § 6<br />

Zur angemessenen Gewichtung fachspezifischer Leistungen<br />

beim Zugang zum Beruf des Notars im Nebenamt.<br />

BVerfG (1. Senat), Beschl. v. 20.4.2004 – 1 BvR 838/01 u.a.<br />

Sachverhalt: Die Beschwerdeführer sind Rechtsanwälte, die<br />

sich in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen<br />

erfolglos auf ausgeschriebene Notarstellen beworben haben.<br />

Sie wenden sich gegen die in den jeweiligen Ländern herangezogenen<br />

Kriterien für die Bewerberauswahl.<br />

Die Auswahl der Bewerber wird getroffen auf Grund von Verwaltungsvorschriften<br />

der Länder (AVNots), welche die Regelungen<br />

der BNotO in § 6 ergänzen. In den AVNots ist ein Schema für die<br />

Auswahl der Bewerber festgelegt, das bei einer höchsterreichbaren<br />

Punktzahl von 180 Punkten bis zu 90 Punkte auf die Examensnote<br />

der 2. Staatsprüfung, bis zu 45 Punkte auf die Dauer der rechtsanwaltlichen<br />

Tätigkeit sowie bis zu 45 Punkte auf notarspezifische<br />

Fortbildung entfallen lässt. Von Letzterer können bis zu 20 Punkte<br />

auch durch Niederschriften im Rahmen von Notarvertretungen und<br />

Notariatsverwaltungen ersetzt werden.<br />

Die Beschwerdeführer beanstanden das Übergewicht der Ergebnisse<br />

der 2. Staatsprüfung; etwa 0,85 oder 0,55 Punktedifferenzen<br />

zu dem seit Jahren zurückliegenden Prüfungszeitpunkt können<br />

über die Bestellung zum Notar entscheiden. Die Beschwerdeführer<br />

beanstanden außerdem die starre Verwaltungspraxis, die es, vom<br />

BGH in der angegriffenen Entscheidung angeordnet, nicht zulässt,<br />

besondere Leistungen und Verhältnisse der Bewerber zur Vorbereitung<br />

auf den Notarberuf das Schema ergänzend (Sonderpunkte) zu<br />

berücksichtigen. Die Verfassungsbeschwerden der Rechtsanwälte<br />

aus Hessen und Niedersachsen hatten Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde<br />

des Rechtsanwalts aus Nordrhein-Westfalen wurde verworfen.<br />

Er hatte es versäumt, seine Position durch einstweiligen<br />

Rechtsschutz zu sichern.<br />

Aus den Gründen: B. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer<br />

zu I. und III. sind zulässig.<br />

Hingegen hat sich das Verfahren des Beschwerdeführers zu II.<br />

erledigt. Die Justizverwaltung hat die im Amtsgerichtsbezirk<br />

Münster ausgeschriebenen fünf Notarstellen inzwischen besetzt,<br />

nachdem der Antrag des Beschwerdeführers auf einstweiligen<br />

Rechtsschutz mit dem Ziel, jedenfalls eine der ausgeschriebenen<br />

Notarstellen für den Fall eines Erfolges in der Hauptsache offen zu<br />

halten, im fachgerichtlichen Verfahren abgewiesen worden war.<br />

Mit seiner Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer lediglich<br />

die Entscheidungen in der Hauptsache angegriffen. Anträge<br />

auf einstweiligen Rechtsschutz bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens<br />

wurden nicht gestellt.<br />

Dem Beschwerdeführer fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil<br />

er auch bei einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen<br />

keine Chance mehr hat, im Auswahlverfahren berücksichtigt zu<br />

werden (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfGE 35, 324 [334]).<br />

Eine Fortsetzung des Verfahrens vor den Fachgerichten kommt<br />

schon nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in<br />

Betracht (vgl. BGH DNotZ 1996, 905; 1999, 252; BGHR, BNotO,<br />

§ 111 n. F. Konkurrentenklage 1); dies gilt jedenfalls, wenn es der<br />

unterlegene Bewerber versäume, seine Position im Wege einstweiligen<br />

Rechtsschutzes zu sichern (vgl. BVerwG DVBl 2004, 317).<br />

Auch verfassungsrechtlich steht hier nur die konkrete Auswahlentscheidung<br />

aus einem in der Vergangenheit durch das Ausschreibungsverfahren<br />

festgelegten Bewerberfeld zur Überprüfung. Die<br />

Rügen beziehen sich nicht abstrakt auf gesetzliche Bestimmungen,<br />

sondern auf ihre Konkretisierung im abgelaufenen Entscheidungsprozess,<br />

der verfassungsrechtlich zur Überprüfung gestellt wird.<br />

Welche Rechtsfragen sich in einem neuen Bewerbungsverfahren<br />

mit anderen Konkurrenten stellen werden, ist nicht absehbar.<br />

Im Übrigen wird der Beschwerdeführer zu II. demnächst von<br />

den unter C. niedergelegten Aussagen zu den verfassungsrechtlich<br />

MN<br />

gebotenen Anforderungen, an das Bewerbungsverfahren profitieren<br />

können. Die entsprechenden Änderungen des Auswahlverfahrens<br />

kommen in Zukunft bei allen Bewerbern um das Amt des Notars<br />

zur Anwendung.<br />

C. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I.<br />

und III. sind begründet. Zwar genügen die in § 6 BNotO normierten<br />

Auswahlmaßstäbe den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG<br />

unter Berücksichtigung der mit dem öffentlichen Amt der Notare<br />

verbundenen Besonderheiten aus Art. 33 Abs. 2 GG. Ihre regelmäßige<br />

Anwendung, konkretisiert in den im Wesentlichen übereinstimmenden<br />

Verwaltungsvorschriften der Länder, ebenso wie Auslegung<br />

und Anwendung der Norm durch die Gerichte verfehlen<br />

jedoch die um der verfassungsrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit<br />

willen gebotene chancengleiche Bestenauslese zur Besetzung<br />

der freien Notarstellen.<br />

I. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die Auswahl unter<br />

Bewerbern für das Amt des Notars ist das Grundrecht der Berufsfreiheit<br />

aus Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 33 Abs. 2 GG.<br />

Das Grundrecht schützt neben der freien Berufsausübung auch<br />

das Recht, einen Beruf frei zu wählen. Unter Beruf ist jede auf Erwerb<br />

gerichtete Tätigkeit zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist und<br />

der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient<br />

(vgl. BVerfGE 102, 197 [212]). Dabei umfasst die Berufsfreiheit<br />

grundsätzlich auch das Recht, mehrere Berufe zu wählen und gleichseitig<br />

nebeneinander auszuüben (vgl. BVerfGE 21, 173 [179]).<br />

Eingriffe in dieses Recht sind nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, der<br />

auch für Maßnahmen gilt, die die Freiheit der Berufswahl betreffen<br />

(vgl. BVerfGE 102, 197 [213] m. w. N.), nur auf der Grundlage einer<br />

Regelung zulässig, aus der sich hinreichend deutlich die gesetzgeberische<br />

Entscheidung über den Umfang und die Grenzen des<br />

Eingriffs ergibt. Dabei sind an Bestimmtheit und Erkennbarkeit der<br />

gesetzlichen Einschränkung der Freiheit der Berufswahl strengere<br />

Anforderungen zu stellen als an Regelungen, die nur die Berufsausübung<br />

betreffen (vgl. BVerfGE 54, 237 [245 f.]).<br />

Dass die Tätigkeit des Notars nach der Art der von ihm zu bewältigenden<br />

Aufgaben in einem öffentlichen Amt in sachlich bedingter<br />

Nähe zum öffentlichen Dienst steht, ermöglicht für diesen<br />

Beruf zwar grundsätzlich Sonderregelungen. Daraus ergibt sich<br />

aber nicht, dass an die nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gebotene gesetzliche<br />

Regelung geringere Anforderungen zu stellen wären als<br />

bei anderen Berufen. Allerdings kann die Nähe zum öffentlichen<br />

Dienst für den Inhalt der gesetzlichen Regelung Bedeutung erlangen<br />

(vgl. BVerfGE 73, 280 [294 f.]). Lässt der Gesetzgeber unterschiedliche<br />

Ausgestaltungen desselben Berufs zu und ist die Ausübung<br />

eines öffentlichen Amtes im Haupt- und im Zweitberuf<br />

möglich, wirken sich solche Unterschiede nicht nur im Hinblick<br />

auf Regelungen der Berufsausübung aus (vgl. BVerfGE 47, 285<br />

[319 f.]; 54, 237 [247]; 98, 49 [68]), sondern vor allem im Hinblick<br />

auf die grundgesetzkonforme Ausgestaltung der Zugangsvoraussetzungen<br />

und die verfassungsrechtlich zulässigen Einschränkungen<br />

der Berufswahl.<br />

II. Diesen Maßstäben wird § 6 BNotO gerecht. Dessen Auswahlkriterien<br />

entsprechen den Erfordernissen, die das BVerfG in<br />

seiner Entscheidung aus dem Jahr 1986 eingefordert hat (vgl.<br />

BVerfGE 73, 280 [295 f.]). Sie sind genügend bestimmt und greifen<br />

nicht unangemessen in die Berufswahlfreiheit ein.<br />

1. Die Bundesnotarordnung legt zunächst fest, dass nur solche<br />

Bewerber zu Notaren bestellt werden dürfen, die die Befähigung<br />

zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt haben<br />

(§ 5), noch nicht 60 Jahre alt und im Übrigen nach ihrer Persönlichkeit<br />

und ihren Leistungen für das Amt des Notars geeignet<br />

sind (§ 6 Abs. 1). Diese Voraussetzungen werden amtsangemessen<br />

einheitlich sowohl für die hauptberuflichen Notare nach § 3 Abs. 1<br />

BNotO wie auch für die Anwaltsnotare nach § 3 Abs. 2 BNotO<br />

festgelegt. In Anlehnung an die auslegungsfähigen und von der<br />

Rechtsprechung inzwischen umfänglich konkretisierten Begriffe<br />

aus Art. 33 Abs. 2 GG knüpft das Gesetz die Übertragung des Amtes<br />

an Eignung, Befähigung und fachliche Leistungen. Dabei zielt<br />

die Befähigung auf allgemein der Tätigkeit zugute kommende Fä-


520<br />

MN<br />

higkeiten wie Begabung, Allgemeinwissen, Lebenserfahrung und<br />

allgemeine Ausbildung. Fachliche Leistung bedeutet Fachwissen,<br />

Fachkönnen und Bewährung im Fach. Eignung im engeren Sinne<br />

erfasst insbesondere Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften,<br />

die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind (vgl. Jarass,<br />

in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland,<br />

7. Aufl. 2004, Art. 33 Rn 13; vgl. auch BVerfGE 92, 140<br />

[154 ff.] und BVerfG NJW 2003, 3111 [3112]).<br />

a) Diese Kriterien, insbesondere Befähigung und fachliche<br />

Leistung, werden in der Bundesnotarordnung für die unterschiedlichen<br />

Berufsausübungsformen näher konkretisiert. Das geschieht<br />

für die Anwaltsnotare in § 6 Abs. 2 und 3 BNotO und für die Nur-<br />

Notare in § 6 Abs. 3 und § 7 BNotO. Mit den in diesen Vorschriften<br />

enthaltenen Erfordernissen beschränkt das Gesetz die Freiheit der<br />

Berufswahl in Gestalt subjektiver Zulassungsvoraussetzungen<br />

durch an den einzelnen Notarbewerber absolut und im Vergleich zu<br />

Mitbewerbern gestellte Anforderungen. Die grundlegenden Eignungs-<br />

und Auswahlgesichtspunkte hat der Gesetzgeber dadurch<br />

selbst und mit der erforderlichen Klarheit geregelt.<br />

b) Die gesetzlichen Bestimmungen machen insbesondere hinlänglich<br />

deutlich, in welchem Maße Unterschiede bei der Ernennung<br />

zum Notar im Hauptberuf und bei der Ernennung zum Notar<br />

im Nebenberuf zu beachten sind. Diese ergeben sich zwangsläufig<br />

daraus, dass zwar in beiden Notariatsformen der Notar Inhaber eines<br />

öffentlich Amtes ist, das Berufsbild jedoch unterschiedlich ausgestaltet<br />

ist (vgl. BVerfGE 98, 49 [68]), was sich auf die Berufszugangsvoraussetzungen<br />

auswirkt.<br />

aa) Im Hauptberuf kommt der fachlichen Eignung unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Leistungen in der die juristische Ausbildung<br />

abschließenden Staatsprüfung schon nach § 7 Abs. 2 S. 1<br />

BNotO für die Aufnahme in den Anwärterdienst herausragende<br />

Bedeutung zu. Zu diesem Zeitpunkt haben die Anwärter im Allgemeinen<br />

noch keine besonderen Fachkenntnisse aufzuweisen.<br />

Deshalb wird die Auswahl vorrangig anband der Examensnoten<br />

getroffen mit der Folge, dass regelmäßig nur solche Anwärter zu<br />

Notarassessoren bestellt werden, die das Examen mit gut oder mindestens<br />

einem oberen vollbefriedigend abgelegt haben.<br />

Ihre fachliche Qualifikation erwerben die Notarassessoren während<br />

des in der Regel dreijährigen Anwärterdienstes (§ 7 Abs. 1<br />

BNotO); fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten werden ihnen vermittelt;<br />

ihr Leistungsstand wird beurteilt. Zu diesem Zweck wird<br />

der Notarassessor einem Notar zugewiesen und von diesem in einer<br />

dem Zweck des Anwärterdienstes entsprechenden Weise beschäftigt<br />

(§ 7 Abs. 5 S. 1 BNotO). Er erhält eine Ausbildung, die sich<br />

nach einschlägigen Länderverordnungen richtet (vgl. beispielsweise<br />

für Nordrhein-Westfalen: § 2 der Verordnung über die Ausbildung<br />

der Notarassessorinnen und Notarassessoren v. 18.10.1993<br />

[GVBl S. 577]; im Folgenden: AusbildungsVO). Diese Ausbildung<br />

hat zur Folge, dass bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern,<br />

die sich gem. § 6 Abs. 3 BNotO an der persönlichen und<br />

fachlichen Eignung ausrichtet, im Zeitpunkt der Bewerbung um ein<br />

Notaramt im Hauptberuf zwar erneut das Zweite Staatsexamen,<br />

aber eben auch die bei der Vorbereitung auf den Notarberuf gezeigten<br />

und beurteilten Leistungen Gewicht haben.<br />

bb) In § 6 Abs. 2 und 3 S. 2 BNotO nimmt der Gesetzgeber<br />

hingegen auf die Besonderheiten das Berufs des Anwaltsnotars als<br />

einem Zweitberuf Rücksicht, ohne indessen das Merkmal der Eignung<br />

im weiteren Sinne zu vernachlässigen. Auch beim Zugang<br />

zum Zweitberuf rechtfertigt vor Art. 12 Abs. 1 GG allein die Sicherstellung<br />

einer qualitätsvollen vorsorgenden Rechtspflege Einschränkungen<br />

beim Berufszugang, soweit diese hierzu geeignet<br />

und erforderlich sind, die Bewerber nicht unverhältnismäßig belasten<br />

und den chancengleichen Zugang zum angestrebten öffentlichen<br />

Amt wahren (vgl. auch BVerfGE 73, 280 [295]). Diesen Maßstäben<br />

werden die gesetzlichen Vorgaben gerecht.<br />

Obwohl das Gesetz für die Auswahl der Anwaltsnotare strikte<br />

Regeln nur hinsichtlich Dauer und Ort der Berufstätigkeit als Anwalt<br />

vorsieht (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BNotO), gibt es der Normanwendung<br />

mit den Kriterien von persönlicher und fachlicher Eignung<br />

(§ 6 Abs. 3 S. 1 BNotO) hinreichend klare Konturen. Es<br />

ermöglicht eine einzelfallbezogene Würdigung der gesamten<br />

Persönlichkeit des Bewerbers, die in eine Prognose einmündet (vgl.<br />

BVerfGE 92, 140 [155]). Die angemessene Berücksichtigung von<br />

in den Notarberuf einführenden Tätigkeiten sowie die erfolgreiche<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Rechtsprechung<br />

Teilnahme an freiwilligen Vorbereitungskursen (§ 6 Abs. 3 S. 2<br />

BNotO) bieten neben den in der Staatsprüfung gezeigten Leistungen<br />

insoweit eine ausreichende Prognosegrundlage. Daneben ist<br />

die Dauer der Anwaltstätigkeit nach § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO angemessen<br />

zu berücksichtigen, woraus sich nach Auffassung der Bundesnotarkammer<br />

und des Deutschen Notarvereins vor allem Eignungsmerkmale<br />

im Hinblick auf Erfahrungen mit der allgemeinen<br />

Büroorganisation und dem Umgang mit Rechtsuchenden ergeben.<br />

Die vom Gesetz erwähnten Merkmale sind danach ausreichend bestimmt<br />

und i. V. m. der Gesamtregelung auch einer der Verfassung<br />

entsprechenden Auslegung und Gewichtung zugänglich.<br />

2. Der Sache nach ist die Berücksichtigung sämtlicher Kriterien,<br />

insbesondere derjenigen zur fachlichen Eignung, verfassungsrechtlich<br />

auch geboten. Sie und nicht allein die Berücksichtigung<br />

der die juristische Ausbildung abschließenden Staatsprüfung sind<br />

geeignet, dem Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsgutes in Gestalt<br />

der vorsorgenden Rechtspflege zu dienen, indem sie gewährleisten,<br />

dass nur solche Bewerber zu Notaren ernannt werden, die<br />

den Anforderungen des Amtes voraussichtlich gewachsen sind.<br />

Für diese Prognose genügt – auch nach dem im Gesetz zum<br />

Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers – das Zweite Staatsexamen<br />

nicht, das lediglich die Befähigung zum Richteramt und<br />

damit zugleich zum Beruf des Rechtsanwalts vermittelt, aber keine<br />

hinlängliche Aussage über die spezielle Befähigung zum Amt des<br />

Notars enthält. Deshalb hat der Gesetzgeber für die Zulassung zum<br />

Notar in hauptberuflicher Amtsausübung ergänzende Voraussetzungen<br />

aufgestellt. Nach dem erfolgreichen Abschluss der juristischen<br />

Ausbildung hält der Gesetzgeber hier eine dreijährige Weiterbildung<br />

– die AusbildungsVO nennt es sogar Ausbildung – zur Erlangung<br />

spezifischer Kenntnisse für notwendig (vgl. § 7 Abs. 1<br />

BNotO), die im Notariat und von Notaren praktisch und theoretisch<br />

vermittelt werden.<br />

Ein entsprechender Eignungsnachweis kann im Anwaltsnotariat<br />

nicht allein aus längerer berufspraktischer Tätigkeit in der Anwaltschaft<br />

erbracht werden, da sich die beruflichen Anforderungen unterscheiden.<br />

Aus diesem Grund lässt sich beim Anwaltsnotar die<br />

fachliche Eignung auch nicht ausschließlich an dem Ergebnis der<br />

die juristische Ausbildung abschließenden Staatsprüfung i. V. m. einer<br />

nicht notariellen Berufstätigkeit ablesen. Wie bei den Notaren<br />

im Hauptberuf, bei denen die bei der Vorbereitung auf den Notarberuf<br />

gezeigten Leistungen in Rechnung zu stellen sind, ist es<br />

gem. Art. 12 Abs. 1 GG auch bei den Notaren im Nebenberuf erforderlich,<br />

dass der spezifische Vorbereitungsaufwand in die fachliche<br />

Bewertung ihrer Eignung angemessen eingeht. Die notwendige<br />

Qualifikation kann in praktischer Tätigkeit und erfolgreicher Teilnahme<br />

an Vorbereitungskursen erworben werden. Eine solche spezielle<br />

auf das Amt zugeschnittene Qualifikation ist geboten, damit<br />

der angestrebte Zweck erreicht werden kann. Ohne das Zusatzerfordernis<br />

bliebe das Ergebnis des Staatsexamens zu wenig aussagekräftig;<br />

es gibt lediglich über die allgemeine juristische Befähigung,<br />

nicht aber über die spezifische fachliche Eignung für das<br />

Amt des Notars Auskunft.<br />

3. Nach allem ermöglicht die Bundesnotarordnung bei der Auswahl<br />

der Anwaltsnotare eine angemessene Berücksichtigung solcher<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten, welche sich speziell auf das angestrebte<br />

Amt und damit auf den Zweitberuf beziehen. Solange der<br />

Gesetzgeber keine andere Regelung trifft, ergeben sich angesichts<br />

der Gleichwertigkeit der Berufsausübung im Haupt- und im Nebenamt<br />

aus den Vorschriften über den Anwärterdienst für Notare<br />

im Hauptamt Hinweise auf eine der Bedeutung von Fachkompetenz<br />

gerecht werdenden Bewertung der im Gesetz vorgesehenen<br />

Kriterien beim Zugang zum Beruf im Nebenamt. In beiden Fällen<br />

sind spezifische Fachkenntnisse bewertet nachzuweisen und angemessen<br />

zu gewichten. In dieser Auslegung ist das Gesetz mit<br />

Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar; es schränkt die<br />

Berufsfreiheit der Bewerber nicht unverhältnismäßig ein.<br />

III. Auslegung und Anwendung der Normen in den angegriffenen<br />

Entscheidungen genügen jedoch nicht den verfassungsrechtlichen<br />

Erfordernissen. Die Verwaltung hat sich nach Verwaltungsvorschriften<br />

in Gestalt von Verwaltungs- oder Allgemeinen<br />

Verfügungen in Angelegenheiten der Notarinnen und Notare gerichtet,<br />

die durch die Rechtsprechung des BGH, an der sich die<br />

Gerichte in den Ausgangsverfahren orientiert haben, weiter konkretisiert<br />

worden sind. Diese Verwaltungspraxis und die Rechtspre-


AnwBl 8 + 9/2004 521<br />

Rechtsprechung MN<br />

chung tragen dem Grundrecht der Beschwerdeführer auf Freiheit<br />

der Berufswahl insoweit nicht hinreichend Rechnung, als sie bei<br />

der Auswahl der Bewerber aus dem Kreis der Rechtsanwälte, die<br />

für das Amt des Notars in Betracht kommen, nicht den Vorrang<br />

desjenigen mit der besten fachlichen Eignung gewährleisten.<br />

1. Die Verwaltungsvorschriften der Länder zielen zwar in unbedenklicher<br />

Weise auf eine transparente, nachvollziehbare und an objektiven<br />

Kriterien ausgerichtete Entscheidung ebenso wie auf eine<br />

rechnerisch gewichtete Berücksichtigung der die juristische Ausbildung<br />

abschließenden Staatsprüfung neben den in der Vorbereitung<br />

auf den Notarberuf gezeigten Leistungen. Die Besonderheiten der<br />

Auswahl für die Wahrnehmung des Amts im Zweitberuf werden indessen<br />

vernachlässigt. Die Prognose über die Eignung eines Bewerbers<br />

für das von ihm angestrebte öffentliche Amt oder über seine bessere<br />

Eignung bei der Auswahl aus einem größeren Kreis von<br />

Bewerbern lässt vor allem eine konkrete und einzelfallbezogene Bewertung<br />

der fachlichen Leistung des Bewerbers vermissen.<br />

2. Im Auswahlverfahren kommt der spezifischen fachlichen<br />

Eignung für das Amt des Notars im Verhältnis zur allgemeinen Befähigung<br />

für juristische Berufe und zu den Erfahrungen aus dem<br />

Anwaltsberuf eine derart untergeordnete Bedeutung zu, dass die<br />

ablehnenden Auswahlentscheidungen und die sie bestätigenden gerichtlichen<br />

Entscheidungen mit Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 33<br />

Abs. 2 GG nicht mehr vereinbar sind.<br />

a) Nach seinem Wortlaut sieht das Gesetz für die Bewerberauswahl<br />

eine zwingende Berücksichtigung lediglich solcher Kriterien<br />

vor, die nicht oder nicht notwendig einen Bezug zum Notaramt<br />

aufweisen, nämlich der Examensnote und der Zeitdauer anwaltlicher<br />

Erfahrung, die in jedem beliebigen – auch einem notariatsfernen<br />

– Rechtsgebiet erworben sein kann (vgl. § 6 Abs. 2 und 3<br />

S. 1 BNotO). Demgegenüber hat der Gesetzgeber die Einbeziehung<br />

der notarspezifischen Weiterbildung und der praktischen Erfahrung<br />

mit Beurkundungen als Kann-Bestimmung formuliert (vgl. § 6<br />

Abs. 3 S. 2 BNotO). Wie oben dargelegt, ist damit aber nicht beabsichtigt,<br />

auf die in § 6 Abs. 3 S. 1 BNotO geforderte fachliche<br />

Kompetenz bei den Anwaltsnotaren zu verzichten. Wegen der Bedeutung<br />

des unabhängigen Notariats für die vorsorgende Rechtspflege<br />

ist ein qualitativ hoher Leistungsstand in beiden Berufsausübungsformen<br />

zur Geltung zu bringen.<br />

aa) Die Mindestvoraussetzungen für den Nachweis fachlicher<br />

Eignung werden für das Anwaltsnotariat in § 2 Abs. 2 AVNot wie<br />

folgt umschrieben: Der Nachweis der fachlichen Eignung ist in der<br />

Regel erbracht, wenn die Bewerberinnen oder Bewerber eine Bescheinigung<br />

über die Teilnahme an dem vom Deutschen Anwaltsinstitut<br />

– Fachinstitut für Notare – veranstalteten Grundkurs (Einführung)<br />

für angehende Anwaltsnotarinnen oder -notare oder einem<br />

inhaltlich und zeitlich vergleichbaren Kurs einer anderen beruflichen<br />

Organisation vorlegen und der Annahme der fachlichen Eignung<br />

keine anderen Erkenntnisse entgegenstehen. Dieser Grundkurs<br />

umfasst sechs Teile. Am Ende jedes Blocks von drei Tagen<br />

wird mit dem angebotenen Testat der Nachweis der erfolgreichen<br />

Teilnahme ermöglicht (vgl. Deutsches Anwaltsinstitut, Veranstaltungen<br />

1. Halbjahr 2004, S. 104 ff.). Der Grundkurs bietet derzeit<br />

eine Einführung von insgesamt 120 Stunden, und zwar in die<br />

Rechtsgebiete Berufsrecht, allgemeine Notarpraxis und Beurkundungsrecht,<br />

Grundstückskaufvertrag nebst Grundbuchverfahrensrecht<br />

und notarieller Verwahrungstätigkeit, Übertragungsverträge,<br />

Kostenrecht, Wohnungseigentums-, Erbbau- und Haftpflichtrecht<br />

sowie Bauträgervertragsrecht, Familien- und Erbrecht sowie internationales<br />

Privatrecht und Steuer-, Handels- und Gesellschaftsrecht,<br />

jeweils mit Relevanz für das Notariat. Für jedes dieser Gebiete<br />

steht nur eine relativ kurze Zeit zur Verfügung. Die im<br />

Grundkurs erworbenen Mindestkenntnisse können daher nicht den<br />

Kenntnissen entsprechen, die ein Notarassessor während seiner<br />

dreijährigen Ausbildung durch theoretische Weiterbildung und fortwährenden<br />

Praxisbezug erwerben kann.<br />

Schon anhand der sonstigen von den angehenden Notaren auch<br />

genutzten Fortbildungsveranstaltungen des Fachinstituts für Notare<br />

im Deutschen Anwaltsinstitut, das beispielsweise für das erste Halbjahr<br />

2004 weitere 200 Stunden Fortbildung anbietet, davon 30 Stunden<br />

Intensivkurs Überlassungsvertrag sowie jeweils 15 Stunden Erbrecht<br />

und internationales Erb-, Familien- und Gesellschaftsrecht (vgl.<br />

Deutsches Anwaltsinstitut, aaO, S. 107 ff.), ergibt sich, dass der Bedarf<br />

an weiterer theoretischer Wissensvermittlung groß ist.<br />

bb) Im Gegensatz zur Berücksichtigung der Notenunterschiede<br />

im Staatsexamen und des unterschiedlichen Leistungsniveaus bei<br />

den Notarassessoren hat es der BGH allerdings im Rahmen der<br />

Auswahlentscheidung nach § 6 Abs. 3 BNotO für nicht zulässig gehalten,<br />

bei den Testaten im Rahmen der Qualifizierung zum Anwaltsnotar<br />

nach einer Leistungsbenotung zu differenzieren, hierfür<br />

Sonderpunkte zu vergeben und damit die fachliche Eignung eines<br />

Bewerbers genauer zu kennzeichnen (vgl. BGH NJW-RR 1997,<br />

948 [949]; NJW-RR 1998, 637). Die Kenntnisse aus absolvierten<br />

Kursen könnten aber geprüft und bewertet werden. Das vorgehen<br />

der Veranstalter notarieller Fortbildung in der Zeit, bevor der BGH<br />

benotete Leistungsnachweise für rechtlich unerheblich erklärte, belegt<br />

es. Mit seiner Rechtsprechung hat der BGH eine der Verfassung<br />

näher stehende Handhabung des Gesetzes beendet, weil er<br />

hierin eine unzulässige Doppelbewertung gesehen hat. Das ist aber<br />

nicht der Fall.<br />

Auch wenn der Gesetzgeber auf Vorschlag des Rechtsausschusses<br />

des Bundestages von einem Prüfungsgespräch oder der Einholung<br />

eines Gutachtens zur fachlichen Eignung bei der Notarkammer<br />

abgesehen hat (vgl. BT-Drucks 11/8307, 18; vgl. auch<br />

<strong>Deutscher</strong> Bundestag, 11. WP, Protokoll der 69. Sitzung des<br />

Rechtsausschusses v. 14.2.1990, S. 63), kann doch dem Gesetzgebungsverfahren<br />

nicht entnommen werden, dass damit vom Leistungsprinzip<br />

abgewichen werden sollte. Dazu kommt es aber, wenn<br />

gerade hinsichtlich der spezifischen fachlichen Qualifikation für<br />

das Notaramt eine Differenzierung nach individueller Leistung<br />

ausgeschlossen wird. Dies gebietet auch nicht die Objektivierung<br />

des Auswahlverfahrens, die vom Gesetzgeber zweifellos angestrebt<br />

war. Noten sind ebenfalls objektivierte Leistungsbewertungen.<br />

Gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AVNot sind sogar unbenotete Zeugnisse<br />

über das Bestehen der Staatsprüfung mit Punkten zu bewerten.<br />

Nach der Praxis der Justizverwaltung und der Gerichte wird der<br />

benoteten und infolge der Multiplikation mit 5 weit gespreizten<br />

Leistungsbewertung des Staatsexamens keine ebenso leistungsbezogene<br />

Bewertung der in der Vorbereitung auf das Notaramt gezeigten<br />

fachlichen Leistungen zur Seite gestellt. Schon deshalb haben<br />

die Bewerber, die sich durch besondere fachliche Leistungen<br />

auszeichnen, keine Chance, sich gegen etwa gleich gute Absolventen<br />

aus dem Staatsexamen durchzusetzen. Vielmehr wird so eine<br />

Notendifferenz von 0,55 Punkten in der die juristische Ausbildung<br />

abschließenden Staatsprüfung, wie beim Beschwerdeführer zu I.,<br />

zum ausschlaggebenden Eignungskriterium, obwohl ihre Aussagekraft<br />

nicht nur im Hinblick auf einschlägige zusätzliche Qualifizierungen<br />

für das Notaramt zu relativieren ist, sondern auch angesichts<br />

der zeitlichen Distanz zum Staatsexamen, der<br />

Unterschiede in der Notengebung der einzelnen Bundesländer<br />

(1991 absolvierten mit der Note vollbefriedigend in Bayern 8 vom<br />

Hundert, in Hamburg knapp 19 vom Hundert und im Saarland 22<br />

vom Hundert der Kandidaten die Staatsprüfung, vgl. Jura 1992,<br />

669) sowie der Veränderungen der Notengebung im seitlichen Verlauf,<br />

die beispielsweise die Niedersächsische Staatskanzlei eingeräumt<br />

hat (Anstieg der Durchschnittswerte der bestandenen<br />

Examen zwischen 1987 und 1999 um 0,97 Punkte).<br />

b) Die in den Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgelegten<br />

Statistiken der Länder belegen die strukturellen Defizite des gekappten<br />

Punktwerte-Systems.<br />

Nach den erteilten Auskünften, insbesondere den von Niedersachsen<br />

und Schleswig-Holstein mitgeteilten Details, gibt es durchaus<br />

Notarbezirke, in denen Bewerber mit weniger als 110 Punkten,<br />

also mit einem ausreichenden Examen, dafür aber 15-jähriger Anwaltstätigkeit<br />

und bis zu 45 Punkten für notarielle Weiterbildung,<br />

eine Stelle erhalten können. Das bedeutet zugleich, dass Bewerber<br />

mit der Examensnote gut, 15-jähriger Anwaltspraxis und nur einem<br />

notariellen Grundkurs Amtsinhaber werden können. Das praktizierte<br />

Verfahren gewährleistet damit je nach Bewerbergruppe weder<br />

stets eine allgemeine gute juristische Befähigung der erfolgreichen<br />

Bewerber noch regelmäßig deren fachliche Qualität.<br />

Die von den Ländern, insbesondere von Berlin, Niedersachsen<br />

und Schleswig-Holstein, mitgeteilten Zahlen lassen zwar – entgegen<br />

den Vermutungen der Beschwerdeführer – nicht den Schluss<br />

zu, dass bei allen Notarbestellungen die Ergebnisse des Staatsexamens<br />

den Ausschlag geben. Sie belegen aber, dass der fachlichen<br />

Eignung, die sich insbesondere in vertretungsweise ausgeübter Notartätigkeit<br />

und notarspezifischer Fortbildung darstellt, zu wenig


522<br />

MN<br />

Bedeutung beigemessen wird. Die beiden Säulen der Befähigung<br />

und der fachlichen Leistung haben nicht das ihnen jeweils zukommende<br />

Gewicht bei der Notarauswahl.<br />

3. Das Ungleichgewicht zwischen den beiden Merkmalen der<br />

Befähigung und der fachlichen Eignung ist Folge der Punktzahlbildung<br />

sowie der gemeinsamen Gruppenbildung für Fortbildung und<br />

praktische Bewährung. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt,<br />

dass der Anwaltstätigkeit für die spezifische Eignungsprognose<br />

dasselbe Gewicht zukommt wie Fortbildung und praktischer Bewährung<br />

im Notariat zusammen. Vor allem aber beruht es auf dem<br />

Fehlen einer benoteten Bewertung der spezifisch fachlichen Eignung<br />

bei gleichzeitiger ausdifferenzierter Bewertung der allgemeinen<br />

Befähigung in Gestalt der Leistungen, die in der die juristische<br />

Ausbildung abschließenden Staatsprüfung gezeigt worden sind.<br />

a) Das Gewicht der praktischen Erfahrung durch selbstverantwortete<br />

eigene Beurkundungstätigkeiten ist auf 20 Punkte (im Regelfall<br />

200 Urkunden) gekappt. Diese 20 Punkte können erworben<br />

werden aus der Abnahme von Eiden, der Aufnahme eidesstattlicher<br />

Versicherungen sowie der Beurkundung einiger weniger von einem<br />

Notar vorbereiteter Verträge in dessen Vertretung. Auf diese Weise<br />

kann keine große praktische Erfahrung erworben werden. Außerdem<br />

ist infolge der Einbeziehung von Geschäften nach den<br />

§§ 36, 38 BeurkG in den Leistungsnachweis der angehenden Anwaltsnotare<br />

ohnehin die praktische Befassung mit schwierigen Vertragsgestaltungen<br />

nicht sichergestellt, solange und soweit sich der<br />

Punktwert nicht nach dem Arbeitsumfang für Vorbereitung, Ausarbeitung<br />

und Abwicklung von Urkunden richtet. Diesen Mangel<br />

erwähnt auch die Bundesnotarkammer in ihrer Stellungnahme. Die<br />

Ausgestaltung des Punktwerte-Systems vermindert damit den Anreiz,<br />

sich praktisch in umfänglicher Weise in die Tätigkeit der Notare<br />

einzuarbeiten und sich mit schwierigeren Urkundsgeschäften<br />

zu befassen.<br />

b) Hinzu tritt die gemeinsame Kappungsgrenze für den Besuch<br />

von Fortbildungsveranstaltungen und die notarielle Praxis, die im<br />

Ergebnis die praktische Einarbeitung als ersetzbar kennzeichnet,<br />

weil die Höchstpunktzahl auch ohne jede Praxis erreicht werden<br />

kann. Insoweit wird ein erhebliches Defizit an fachbezogener beruflicher<br />

Praxis in Kauf genommen.<br />

Diese Handhabung lässt sich nur schwer damit begründen, dass<br />

die Berufserfahrung des Rechtsanwalts insoweit den Praxisbezug<br />

ersetze. Der Gesetzgeber selbst hält die Anwaltstätigkeit lediglich<br />

für aussagekräftig in Bezug auf die Vertrautheit mit der Praxis der<br />

Rechtsbesorgung und deren organisatorischer Bewältigung, die Sicherheit<br />

im Umgang mit dem Recht suchenden Bürger und das<br />

durch Erfahrungen gewonnene Verständnis für dessen Anliegen<br />

(BT-Drucks 11/6007, S. 10). All dies geschieht aber im Kontext<br />

der für den Rechtsanwaltsberuf typischen einseitigen Interessenwahrnehmung,<br />

kann Rechtsgebiete betreffen, die nur geringe<br />

Berührung mit der notariellen Berufstätigkeit haben, und ist häufig<br />

nicht gekennzeichnet durch die Vorbereitung umfänglicher Urkunden<br />

samt der Überwachung ihrer Durchführung.<br />

c) Auch die Vorbereitungskurse, an denen nach dem Wortlaut<br />

von § 6 Abs. 3 S. 2 BNotO der Bewerber erfolgreich teilgenommen<br />

haben muss, unterliegen keiner wirklichen Leistungskontrolle und<br />

Benotung. Im unmittelbaren Anschluss an die Veranstaltung wird<br />

auf der Grundlage von Kontrollfragen lediglich testiert, dass der<br />

Teilnehmer die Veranstaltung aufmerksam verfolgt hat (so die Bundesnotarkammer<br />

in ihrer Stellungnahme). Wie der Deutsche Notarverein<br />

anschaulich schildert, bezieht sich der Leistungsnachweis in<br />

der Regel nur darauf, ob die Teilnehmer unmittelbar nach der Veranstaltung<br />

ausgewählte Wissensfragen zutreffend beantworten<br />

können; es wird kein Leistungsgrad geprüft. Ob das Gelernte auch<br />

in Zukunft verwertbares Wissen darstellt, bleibt ungewiss; Zweifel<br />

sind mit zunehmendem zeitlichen Abstand angebracht, worauf der<br />

Deutsche Notarverein hingewiesen hat. Ohne inhaltliche Qualitätskontrolle<br />

der individuellen fachlichen Vorbereitung in den Vorbereitungskursen<br />

fehlt diesem wichtigen Eignungskriterium im bisherigen<br />

Punkte-System das Merkmal, das bei der Auswahl der<br />

Bewerber eine Differenzierung nach fachlicher Leistung ermöglicht.<br />

4. Die Vorgaben in § 6 AVNot stehen damit in Widerspruch zu<br />

den aus Art. 33 Abs. 2 GG abzuleitenden Grundsätzen für Auswahlentscheidungen<br />

beim Zugang zu einem öffentlichen Amt, weil<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Rechtsprechung<br />

diese nicht auf hinreichend aussagekräftigen fachlichen Beurteilungsgrundlagen<br />

beruhen.<br />

a) Im öffentlichen Dienst sind bei der Beurteilung der Eignung<br />

vor allem zeitnahe Beurteilungen heranzuziehen (vgl. BVerwG,<br />

DVBl 2004, 317 [319] m. w. N.), die bei der Übernahme weiterer<br />

oder neuer Ämter auch auf diese zugeschnitten sind.<br />

Das setzt aber voraus, dass solche Beurteilungen tatsächlich<br />

vorliegen. Für das Nur-Notariat wird dies vom Gesetz sichergestellt.<br />

Im Anwaltsnotariat fehlt demgegenüber eine Qualitätssicherung<br />

durch Bewertung fachspezifischer Leistungen.<br />

Die derzeit geübte Praxis verhindert, dass die Qualität notarieller<br />

Vorbereitung in die Bewertung nach Punkten eingeht. Der BGH<br />

hat die Auswirkungen der Kappung verstärkt, indem er für weitere<br />

praktische Erfahrungen im Urkundenwesen keine zusätzlichen<br />

Punkte anerkannt hat und hinsichtlich der Bewertung der Vorbereitungszeit<br />

auch keine Differenzierung zwischen lang zurückliegenden<br />

und jüngeren Lehrgängen zulässt. Selbst für den Fall, dass<br />

Klausuren tatsächlich geschrieben und bewertet worden waren,<br />

kann nach der Rechtsprechung durch ein gutes Ergebnis keine<br />

Steigerung der Punktzahl erreicht werden (vgl. BGH NJW-RR<br />

1997, 948, NJW-RR 1398, 637). Die Spreizung zwischen 20 und<br />

90 erreichbaren Punkten je nach Qualität des Staatsexamens steht<br />

hierzu im Missverhältnis. Nicht nur die allgemeine juristische Befähigung,<br />

auch der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten mit<br />

spezifischem Bezug zum Notariat gelingt den einzelnen Bewerbern<br />

mehr oder weniger gut. Die Höchstpunktzahl von 45 ist indessen<br />

für jeden erreichbar, der einige kurzzeitige Vertretungen übernimmt<br />

und die Kosten für die Lehrgänge aufbringt.<br />

b) Gegen eine Differenzierung bei der Leistungsbewertung und<br />

gegen eine eigenständige Berücksichtigung der praktischen Erfahrung<br />

neben theoretischen fachspezifischen Kenntnissen sprechen<br />

auch nicht die in den vorliegenden Verfahren vor allem vom Bundesministerium<br />

der Justiz, der Niedersächsischen Staatskanzlei sowie<br />

der Bundesnotarkammer und dem Deutschen AnwaltVerein<br />

vorgebrachten Argumente.<br />

Die Stärke des Punkteschemas soll darin liegen, dass die Auswahlentscheidung<br />

transparent, vorhersehbar und nachprüfbar sei.<br />

Eine ins Einzelne gehende Bewertung, gar eine erneute Prüfung,<br />

wird für Personen, die bereits langjährig berufstätig sind, als diskriminierend<br />

angesehen. Das Scheitern in einer solchen Prüfung entwerte<br />

zudem nachträglich die Investitionen in Zeit und Geld, die<br />

zur Vorbereitung notwendig gewesen seien. Eine solche Situation<br />

werde von den Rechtsanwälten als psychisch zu belastend empfunden.<br />

Transparente, vorhersehbare und nachprüfbare Auswahlentscheidungen<br />

sind ein legitimes Ziel. Sie stehen aber einer benoteten<br />

Leistungsbewertung nicht entgegen.<br />

aa) Gerade Benotungen können die fachlichen Leistungen<br />

transparenter machen. Auch Berufstätige, die nach einem weiteren<br />

Betätigungsfeld streben, können nicht erwarten, dass das Risiko<br />

des Scheiterns vorhersehbar ausgeschlossen wird. Schriftliche und<br />

mündliche Prüfungen nach langjähriger einschlägiger Berufstätigkeit<br />

finden sich beispielsweise auch im Gesetz über eine Berufsordnung<br />

der Wirtschaftsprüfer in der Fassung der Bekanntmachung<br />

v. 5.11.1975 (BGBl I S. 2803), zuletzt geändert durch das<br />

Wirtschaftsprüfungsexamens-Reformgesetz v. 1.12.2003 (BGBl I<br />

S. 2446). Dem Prinzip der Bestenauslese in der Konkurrenz um<br />

eine beschränkte Anzahl von öffentlichen Ämtern ist das Risiko<br />

des Scheiterns mangels genügender fachlicher Kompetenz bei<br />

gleichmäßig guter allgemeiner Befähigung sozusagen immanent.<br />

bb) Dem Prinzip der Bestenauslese ist vor allem der Gedanke<br />

fremd, erworbene Qualifikationen durch eine zusammengefasste<br />

Bewertung unterschiedlicher fachlicher Leistungen in ihrer Bedeutung<br />

zu verringern. Herausragende Leistungen müssen – ggf. durch<br />

Sonderpunkte – das ihnen gebührende Gewicht erhalten.<br />

Soweit das Bundesministerium der Justiz befürchtet, dass dann<br />

noch mehr Bewerber mit mäßigen Leistungen im Staatsexamen<br />

zum Zuge kommen könnten, kann dem mit anderen Mitteln, beispielsweise<br />

mit Mindestvoraussetzungen für den Zugang zur Weiterbildung,<br />

begegnet werden, sofern gewichtige Gründe dafür sprechen,<br />

dass die – möglicherweise viele Jahre zurückliegende –<br />

Examensleistung weiterhin besonders aussagekräftig bleibt und<br />

deshalb ein mäßiges Examen nicht durch nachgewiesene hervor-


AnwBl 8 + 9/2004 523<br />

Rechtsprechung MN<br />

ragende Leistungen in der Vorbereitung auf den Notarberuf kompensiert<br />

werden kann.<br />

Soweit in den Stellungnahmen im Hinblick auf die Berücksichtigung<br />

von Beurkundungen, also die derzeit einzige nachweisbare<br />

praktische Erfahrung, angeführt wird, dass sich deren Qualität nur<br />

schlecht messen lasse, weil sich der Schwierigkeitsgrad und die<br />

Qualität der Urkunde der Bewertung in einem Punkteschema verschlössen<br />

und weil aus der Beurkundungstätigkeit nicht hervorgehe,<br />

ob und inwieweit die Urkunde selbstständig vorbereitet sowie<br />

mit Vorbesprechung und Vollzug begleitet worden ist, lässt<br />

sich die Berechtigung dieser Einwände angesichts des derzeit praktizierten<br />

Verfahrens nicht bestreiten. Das könnte aber geändert werden,<br />

wenn sich die praktische Tätigkeit mehr an den in den §§ 20,<br />

24 BNotO umschriebenen Aufgaben der Beratung und Betreuung<br />

orientierte und die Beurkundung fertig vorbereiteter Vertragstexte<br />

ohne jede begleitende notarielle Dienstleistung anders gewichtet<br />

würde als die verantwortungsvolle Vertretung eines Notars über einen<br />

gewissen Zeitraum.<br />

Dem ist in den Stellungnahmen entgegengehalten worden, dass<br />

insoweit der chancengleiche Zugang zum Notariat gefährdet<br />

werde, weil in bestimmten Sozietätsformen besondere gute Gelegenheit<br />

zur Notarvertretung bestehe, die einem Einzelanwalt nicht<br />

zugänglich sei. Diesem Argument kommt insofern auch verfassungsrechtlich<br />

Bedeutung zu, als die Bestenauslese nur dann voll<br />

gewährleistet ist, wenn nicht auf der Ebene der Anwaltstätigkeit<br />

bereits eine Vorselektion stattfindet. Diesem Umstand darf ein<br />

Auswahlverfahren entgegenwirken, um im Notariat eine das Leistungsprinzip<br />

unterlaufende Kooptation zu verhindern.<br />

Die Unterbewertung praktischer Erfahrung bis zum völligen Verzicht<br />

auf Praxis ist jedoch insoweit kein geeigneter Weg, weil er die<br />

fachliche Berufserfahrung, also ein wesentliches Merkmal für die<br />

Eignungsprognose, fast vollständig entwertet. Ebenso wie im Nur-<br />

Notariat der einzelne Notar dem ihm zur Ausbildung zugewiesenen<br />

Notarassessor Gelegenheit zur praktischen Bewahrung bieten muss<br />

(vgl. § 7 Abs. 3 S. 2, Abs. 5 S. 1 BNotO), könnten auch Vorkehrungen<br />

dafür getroffen werden, dass Anwälten, die nach ihrer allgemeinen<br />

Befähigung, ihrer anwaltlichen Berufserfahrung und den bereits gezeigten<br />

Erfolgen in der theoretischen Weiterbildung hierfür in Betracht<br />

kommen, Gelegenheit zur praktischen Bewährung, insbesondere<br />

zu Vertretungen, gegeben wird. Das Ziel der Bewerberauswahl<br />

ist ebenso wie im Nur-Notariat auch im Anwaltsnotariat die Bestenauslese.<br />

Deshalb müssen die Auswahlvorkehrungen geeignet sein,<br />

auf der Basis einer amtsangemessenen allgemeinen juristischen Befähigung<br />

die fachlich besten Bewerber zu ermitteln. Allein dieses<br />

Ziel rechtfertigt die Einschränkungen beim Berufszugang.<br />

5. Dem werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.<br />

a) Welche spezifischen notariellen Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

der Beschwerdeführer zu I. inzwischen aufzuweisen hat, lässt sich<br />

dem Ausgangsverfahren nicht zuverlässig entnehmen. Hinsichtlich<br />

der Allgemeinbefähigung übertrifft der Beschwerdeführer nach der<br />

vor 20 Jahren erzielten Bewertung im Zweiten Staatsexamen von<br />

6,55 Punkten die Mindestnote (ausreichend) nur wenig. Dasselbe<br />

gilt allerdings für die jeweils erfolgreichen Mitbewerber, die mit<br />

7,40 Punkten (Verfahren 1 BvR 838/01) und 7.10 Punkten (Verfahren<br />

1 BvR 1303/01) ebenfalls im unteren Drittel des befriedigend<br />

abgeschnitten haben. Signifikante Unterschiede lassen sich hieraus<br />

nicht ableiten. Wie lange die jeweiligen Prüfungsleistungen<br />

zurückliegen, ist ebenso wenig bekannt wie der jeweilige Schwerpunkt<br />

der anwaltlichen Berufstätigkeit, die je nach Ausrichtung<br />

„notarnäher“ oder „notarferner“ sein kann, worauf die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

überzeugend hingewiesen hat.<br />

Eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Auswahl wird die für<br />

den Notarberuf wesentlichen Eigenschaften, also die fachliche Eignung<br />

der Bewerber, ebenso differenziert zu bewerten haben wie die<br />

von ihnen in der Vorbereitung auf das angestrebte Amt gezeigten<br />

theoretischen und praktischen Kenntnisse. Solange weder die erworbenen<br />

theoretischen Kenntnisse der Bewerber um ein Anwaltsnotariat<br />

noch deren praktische Erfahrungen, insbesondere bei den Beurkundungen,<br />

bewertet sind, wird in Abwägung zu den weiterhin<br />

berücksichtigungsfähigen Leistungen aus der die Ausbildung abschließenden<br />

Prüfung eine individuelle Prognose über die Eignung<br />

des Bewerbers im weiteren Sinne zu treffen sein. Dabei kommt den<br />

beiden genannten spezifischen Eignungskriterien im Verhältnis zur<br />

Anwaltspraxis und dem Ergebnis des Staatsexamens eigenständiges<br />

Gewicht zu.<br />

Es ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer bei einer<br />

solchen Neubewertung Erfolg haben kann. Das wird vor allem<br />

davon abhängen, ob die Konkurrenten im engeren Sinne im notarspezifischen<br />

Bereich besser oder schlechter als der Beschwerdeführer<br />

abschneiden. Zur Beantwortung dieser Frage und der weiteren<br />

bisher nicht geklärten Fragen werden die den<br />

Beschwerdeführer zu I. betreffenden Sachen gem. § 95 Abs. 2<br />

BVerfGG unter Aufhebung der angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen<br />

an das OLG zurückverwiesen.<br />

b) Auch die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu<br />

III. hat Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen des OLG und<br />

des BGH stehen mit Art. 12 Abs. 1 GG schon deshalb nicht in Einklang,<br />

weil sie die Vergabe von Sonderpunkten für solche Rechtsanwälte<br />

verweigern, die dauerhaft als ständige Vertreter eines Notars<br />

tätig sind.<br />

Der Beschwerdeführer hat mit seiner Notariatsvertretung seit<br />

1988, die er beanstandungsfrei bewältigt hat, bewiesen, dass er als<br />

Notar geeignet ist. Schon zu dem Zeitpunkt, als ihn die Justizverwaltung<br />

zum Vertreter bestellte, musste sie nach § 39 Abs. 3 S. 1<br />

BNotO von seiner Eignung und Fähigkeit überzeugt sein, das Amt<br />

des Notars zu bekleiden. Die Eignungsprognose ist letztlich mit<br />

insgesamt drei Notargeschäftsprüfungen in den Jahren 1990, 1994<br />

und 1998 sowie einer Prüfung der Verwahrungsgeschäfte im Jahr<br />

1995 bestätigt worden. Die Prüfungen haben beim Beschwerdeführer<br />

zu keinerlei Beanstandungen geführt.<br />

Die in den angegriffenen Entscheidungen zum Ausdruck kommende<br />

Auffassung, die im hessischen Runderlass vorgenommene<br />

Höchstbewertung von 20 Punkten für Urkundsgeschäfte schließe<br />

Sonderpunkte für ständige Notarvertretungen aus, steht mit einer<br />

dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG entsprechenden Bewerberauswahl<br />

nicht in Einklang. Sie verfehlt zudem die Grundsätze der Bestenauslese<br />

gem. Art. 33 Abs. 2 GG. Überzeugend weisen die Niedersächsische<br />

Staatskanzlei, die Bundesnotarkammer, der Deutsche<br />

Notarverein und der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> darauf hin, dass die<br />

ständige Vertretung eines Notars neben der reinen Beurkundungstätigkeit<br />

eine Vielzahl von weiteren Aufgaben umfasst, insbesondere<br />

die unparteiische Beratung der Rechtsuchenden, das selbstständige<br />

Aufsetzen von Urkunden sowie die Durchführung der<br />

beurkundenden Geschäfte. Eine solche Vertretung ist – je länger<br />

sie dauert, umso stärker – vielseitig und steht der vollen Ausübung<br />

des Amts des Notars gleich. Nicht zuletzt deshalb wird schon bisher<br />

eine Notartätigkeit an einem anderen Ort bei der Bewerbung<br />

um einen neuen Notarsitz mit Sonderpunkten belegt.<br />

Das Ziel der Gewährleistung eines chancengleichen Zugangs<br />

zum Notaramt rechtfertigt es nicht, unbestritten erworbene Qualifikationen<br />

außer Betracht zu lassen. Sofern bei der Bestellung des Beschwerdeführers<br />

zum ständigen Vertreter des seiner Sozietät angehörenden<br />

Notars Auswahlfehler vorgekommen sein sollten (etwa im<br />

Hinblick auf die Examensnote des Beschwerdeführers), können<br />

diese die danach gezeigte Bewährung und Befähigung für das Amt<br />

des Notars nicht infrage stellen. Die Bewährungschance, die sich für<br />

den Beschwerdeführer zu III. durch mehr als zehnjährige Notariatspraxis<br />

eröffnet hat, ist jedenfalls nicht allein Folge einer Zugehörigkeit<br />

zu einer bestimmten Sozietät. Sie wurde durch die hoheitliche<br />

Tätigkeit der Aufsichtsbehörde bei seiner Bestellung als Vertreter geschaffen.<br />

Ob auch bei der Vertreterbestellung für alle Bewerber ein<br />

chancenwahrendes Verfahren eingehalten werden müsste, ist im vorliegenden<br />

Fall nicht Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung.<br />

Die der Praxis der Hessischen Justizverwaltung entsprechende Vergabe<br />

von fünf Sonderpunkten für die langjährige ständige Vertretung<br />

war jedenfalls rechtmäßig. Die den Bescheid aufhebenden, mit der<br />

Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen des OLG<br />

und des BGH haben daher keinen Bestand.<br />

Anmerkung<br />

Die Entscheidung des BVerfG vom 20.4.2004 ist von grundlegender<br />

Bedeutung für das Anwaltsnotariat sowie für Bewerber<br />

um eine Notarstelle.<br />

1. Es dürfte in Deutschland kaum einen Beruf geben, der politisch<br />

wie rechtlich derart dringend der Reform bedarf wie das Notariat.<br />

Unterschiedliche Notarformen führen zu einem „Fleckerlteppich“<br />

mit dem Anwalts- und dem Nur-Notariat; im „Ländle“ Baden-


524<br />

MN<br />

Württemberg ist er besonders „farbig“ angesichts der hier vorzufindenden<br />

einmaligen notariellen „Artenvielfalt“ bis hin zum zwar<br />

grundgesetzlich abgesicherten, jedoch völlig antiquierten und letztlich<br />

nur aus fiskalischen Gründen beibehaltenen beamteten Notar.<br />

Bisher dominierend ist das Anwaltsnotariat. Es weist aber vor allem<br />

im Hinblick auf die Zulassungsvoraussetzungen gravierende<br />

Defizite auf, über welche die betroffene Berufsgruppe wie auch<br />

die Justizverwaltungen beharrlich den Mantel des Schweigens in<br />

der Vergangenheit gelegt hatten.<br />

2. Das BVerfG hat mit dem Grundsatzbeschluss dieser Vogel-<br />

Strauß-Politik nunmehr ein Ende gesetzt. Zwar hat das Gericht<br />

nicht die gesetzlichen Regelungen für den Zugang zum (Anwalts-)Notariat<br />

in § 6 BNotO beanstandet. Die darin genannten<br />

Kriterien der Eignung und fachlichen Leistung wurden trotz ihrer<br />

Unbestimmtheit verfassungsgerichtlich gebilligt. Keine Gnade vor<br />

den Augen der Verfassungsrichter fanden jedoch die auf Grund der<br />

gesetzlichen Ermächtigung in § 6 Abs. 3 BNotO von den Ländern<br />

erlassenen Verwaltungsvorschriften der AVNot und die auf deren<br />

Grundlage geübte Praxis einschließlich der weitgehend konzeptionslosen<br />

Judikatur des Notarsenats des BGH. Den Fachgerichten<br />

gelang es nicht, die Bestimmungen der AVNot einer der aktuellen<br />

Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 GG entsprechenden Auslegung<br />

zuzuführen. Der BGH verstärkte zudem die Auswirkungen<br />

der problematischen Deckelung beim Teilbereich „Vorbereitung<br />

auf die notarielle Tätigkeit“ durch Fortbildung und Vertretungen<br />

noch erheblich dadurch, dass zunächst eine Vergabe von Sonderpunkten<br />

für im Rahmen der Grundkurse freiwillig geschriebene<br />

Klausuren 1 und später solche für eine Tätigkeit als ständiger Notarvertreter<br />

2 für nicht zulässig erklärt wurden.<br />

Völlig zu Recht fordert nunmehr das BVerfG, dass sich in der<br />

Zukunft in Konkretisierung des § 6 BNotO die von den Justizverwaltungen<br />

zu formulierenden Zugangskriterien für den Zugang<br />

zum Anwaltsnotariat an der Notarfunktion ausrichten müssen.<br />

Maßgeblich für die Vergabe sind danach vor allem fachbezogene<br />

Anforderungen für den Zugang zum Anwaltsnotariat.<br />

3. Die Entscheidung des BVerfG hat verständlicherweise gravierende<br />

Folgen für Bewerber um Notarstellen.<br />

a) Wenn in der Zukunft z. B. der Examensnote eine geringere<br />

Bedeutung zukommt, auch nicht alle Anwaltstätigkeiten – als Beispiel<br />

sei nur das Strafrecht genannt – undifferenziert „vergabepunktfähig“<br />

sind, dann müssen sie verstärkt sich darum bemühen,<br />

dass sie notarspezifische Kenntnisse nachweisen können. Die<br />

sicherste „Bank“ sind im derzeitigen Stadium angesichts der erheblichen<br />

Unsicherheit bis zur Neufassung einer AVNot und deren Billigung<br />

durch die Gerichte praktische Tätigkeiten als Notarvertreter<br />

oder anwaltliche Tätigkeiten bei der Vertragsgestaltung sowie<br />

geprüfte und bewertete notarspezifische Lehrgänge.<br />

b) Soweit Stellen ausgeschrieben sind, stellt sich natürlich die<br />

Frage, ob noch nicht abgeschlossene Verfahren fortgesetzt werden<br />

können bzw. sollen oder müssen. Diejenigen Bewerber, deren Ernennung<br />

unmittelbar bevorsteht und die bisher nur wegen eines<br />

Konkurrentenstreits warten mussten, den ein Mitbewerber „angezettelt“<br />

hat, sind verständlicherweise vielfach daran interessiert,<br />

dass die Justizverwaltung das Verfahren fortsetzt und nicht abbricht.<br />

c) Grundsätzlich kann eine Ausschreibung jedoch abgebrochen<br />

werden. Voraussetzung ist jedoch einmal, dass sie nicht willkürlich<br />

erfolgt; es muss daher hierfür ein sachlicher Grund bestehen 3 . Das<br />

insoweit bestehende Ermessen ist vor allem zusätzlich verfassungsrechtlich<br />

eingeschränkt. Das BVerfG 4 hat zu Recht betont, dass die<br />

Verwirklichung der Grundrechte – auch im Verfahren der Notarauswahl<br />

– eine dem Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung<br />

erfordert. Das gelte gerade und auch für die Wahrung der<br />

Rechte der Notarbewerber aus Art. 12 I GG. Durch die Gestaltung<br />

des Auswahlverfahrens werde unmittelbar Einfluss auf die Konkurrenzsituation<br />

und damit das Ergebnis der Auswahlentscheidung genommen.<br />

Insbesondere durch die Art der Bekanntgabe der offenen<br />

Stellen und die Terminierung von Bewerbungen und Besetzungen,<br />

aber auch durch den Abbruch von laufenden Verfahren lasse sich<br />

die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern 5 . So werde mit<br />

jedem Abbruch einer Ausschreibung und der erneuten Ausschreibung<br />

der Notarstelle die Bewerbersituation durch das Nachrücken<br />

dienstjüngerer Notarassessoren verändert. Es bedürfe für die rechtund<br />

verfassungsmäßige Ausübung des Ermessensspielraums der<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Rechtsprechung<br />

Verwaltung einer Abwägung der öffentlichen Interessen und der<br />

Grundrechte der Bewerber.<br />

Dieses Gebot der Abwägung erfordert somit auch zur Wahrung<br />

der Grundrechte der betroffenen Bewerber, dass sorgfältig das Vorliegen<br />

der Voraussetzungen für einen Abbruch geprüft wird. Erfolgt<br />

er ohne eine solche Prüfung, dann liegt Ermessensnichtgebrauch<br />

vor; bedeutet der Abbruch einen unverhältnismäßigen<br />

Grundrechtseingriff, dann ist er verfassungswidrig. Vor einem vorschnellen<br />

Abbruch kann die Landesjustizverwaltung daher nur gewarnt<br />

werden.<br />

d) Die Entscheidung des BVerfG verpflichtet die Landesjustizverwaltung<br />

ebenfalls nicht, laufende und kurz vor dem Abschluss<br />

stehende Verfahren zurückzunehmen und ggfs. eine Neuausschreibung<br />

vorzunehmen. Soweit entsprechende Verfahren bereits anhängig<br />

sind, gilt Folgendes:<br />

aa) Grundsätzlich sollte die Landesjustizverwaltung ihre bisherigen<br />

Entscheidungen am Maßstab der Kriterien des BVerfG<br />

überprüfen. Sie kann dann je nach Ausgang der Prüfung die Entscheidung<br />

bestätigen oder korrigieren.<br />

bb) In völlig eindeutigen Fällen, wenn also – wie bei einem der<br />

Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerdeentscheidung –<br />

eine unvergleichlich lange, bisher der Deckelung zum Opfer gefallene<br />

Vertretungspraxis vorliegt bei ansonsten weitgehend gleichen<br />

Nachweisen, könnte das Gericht auch ohne eine solche<br />

Neuüberprüfung seitens der Verwaltung durchentscheiden.<br />

cc) Im Regelfall kann hingegen nicht das Gericht die Auswahlentscheidung<br />

selbst treffen auf Grund der vom BVerfG vorgegebenen<br />

Kriterien angesichts des Beurteilungsspielraums der Verwaltung,<br />

den das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung wie folgt<br />

beschrieben hat: „Eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Auswahl<br />

wird die für den Notarberuf wesentlichen Eigenschaften, also die<br />

fachliche Eignung der Bewerber, ebenso differenziert zu bewerten<br />

haben wie die von ihnen in der Vorbereitung auf das praktische<br />

Amt gezeigten theoretischen und praktischen Erkenntnisse. Solange<br />

weder die erworbenen theoretischen Kenntnisse der Bewerber um<br />

ein Anwaltsnotariat noch deren praktische Erfahrungen insbesondere<br />

bei den Beurkundungen bewertet sind, wird in Abwägung zu<br />

den weiterhin berücksichtigungsfähigen Leistungen aus der die<br />

Ausbildung abschließenden Prüfung eine individuelle Prognose<br />

über die Eignung des Bewerbers im weiteren Sinne zu treffen sein.<br />

Dabei kommt den beiden genannten spezifischen Eignungskriterien<br />

im Verhältnis zur Anwaltspraxis und dem Ergebnis des Staatsexamens<br />

eigenständiges Gewicht zu.“ Die danach anzustellende Prognoseentscheidung<br />

ist allein Sache der Landesjustizverwaltung im<br />

Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums.<br />

e) Wegen des Erfordernisses einer Überprüfung der Verwaltungsentscheidung<br />

bedarf es jedenfalls nicht ohne weiteres einer<br />

vorzeitigen Beendigung laufender gerichtlicher Verfahren durch<br />

Rücknahme der angefochtenen Auswahlentscheidung. Soweit teilweise<br />

von den Gerichten gegenüber Landesjustizverwaltungen eine<br />

solche Rücknahme nahe gelegt wird, weil sie ansonsten auf Grund<br />

des Beschlusses des BVerfG mit einer Verurteilung zur Neubescheidung<br />

rechnen müssten, vermag dies nicht ganz zu überzeugen.<br />

Schließlich müsste die Entscheidung der Justizverwaltung rechtswidrig<br />

sein. Sie ist aber dann nicht rechtswidrig, wenn sie sich im<br />

Ergebnis doch als rechtmäßig erweist ungeachtet der verfassungsgerichtlichen<br />

Vorgaben.<br />

f) Es kann sich daher in vielen Fällen empfehlen, anhängige<br />

Verfahren zum Ruhen zu bringen bis zu einer Neuentscheidung der<br />

Verwaltung.<br />

aa) Dieses Verfahren ist prozessökonomisch, da den Betroffenen<br />

wie den Gerichten neue Verfahren in der gleichen Sache erspart<br />

werden. Es entspricht vergleichbaren Regelungen in der<br />

VwGO 6 , welche den Behörden auch bei Ermessen und Beurteilungsspielräumen<br />

noch während des gerichtlichen Verfahrens er-<br />

1 DNotZ 1997, 879 = BGH, NJW-RR 1997, 948; DNotZ 1999, 237 – NJW-RR<br />

1998, 637.<br />

2 BGH, DNotZ 1999, 248.<br />

3 BGH NJW-RR 2001,1136; BGH DNotZ 1997, 889.<br />

4 AnwBl. 2003, 110, 111.<br />

5 Vgl. auch BVerfGE 73, 280, 296.<br />

6 Vgl. nur § 114 S. 2 VwGO.


AnwBl 8 + 9/2004 525<br />

Rechtsprechung MN<br />

hebliche Korrekturmöglichkeiten geben, um eine Verfahrenswiederholung<br />

aus formellen Gründen zu vermeiden.<br />

bb) Erst recht ist dieses Verfahren dann sinnvoll, wenn die erste<br />

Instanz die Verwaltungsentscheidung bereits bestätigt hat. Dann<br />

kann und sollte auch eine weiter eingeschaltete Instanz – bei Notarzulassungssachen<br />

der BGH – in der Sache entscheiden. Vielen<br />

Bewerbern kann es nicht zugemutet werden, dass sie auf eine Neuausschreibung<br />

vertröstet werden. Auch wenn sie mangels positiver<br />

Entscheidung seitens der Landesjustizverwaltung keinen uneingeschränkten<br />

Rechtsanspruch auf Fortsetzung des Verfahrens haben,<br />

so können durch den Abbruch und die Neuausschreibung nach<br />

dem oben Gesagten ihre Grundrechte verletzt werden.<br />

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass<br />

nicht selten bei gerichtlich anhängigen Konkurrenten„klagen“ zahlreiche<br />

Stellen bereits vergeben wurden und nur noch über einen<br />

„Restposten“ zwischen zwei Bewerbern zu entscheiden ist. Die in<br />

laufenden Verfahren nach den neuen Kriterien des BVerfG aussichtsreichen<br />

Bewerber wären daher bei einem Abbruch des Verfahrens<br />

durch die Landesjustizverwaltung mehrfach benachteiligt,<br />

da sie sich zum einen nur noch einem beschränkten Bewerberkreis<br />

stellen können, hingegen zahlreiche frühere Mitbewerber schon im<br />

Besitz der Notarzulassung sind, welche ihnen nicht mehr weggenommen<br />

werden kann, obwohl sie nach den Kriterien des<br />

BVerfG eigentlich im Vergleich zu ihnen nicht hätten berücksichtigt<br />

werden dürfen. Zudem müssten sie sich in einem neuen Verfahren<br />

mit weiteren Bewerbern auseinander setzen.<br />

4. In jedem Fall besteht nach der Grundsatzentscheidung des<br />

BVerfG bis zur Neukonzeption der Zulassungsvoraussetzungen eine<br />

erhebliche Rechtsunsicherheit. Alle Bewerber müssen mit Verzögerungen<br />

rechnen, was sicherlich vielfach sehr schmerzlich ist.<br />

Andererseits sollte nicht übersehen werden, dass die Entscheidung<br />

des BVerfG politisch langfristig eine nicht unerhebliche Stärkung<br />

des Anwaltsnotariats zur Folge haben kann. Schließlich wird bei<br />

Befolgung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben eine bedeutsame<br />

Schwäche dieser Notarform, welche die Zulassungsvoraussetzungen<br />

und damit die Qualität betraf, beseitigt. Je notarspezifischer<br />

die Zulassungsvoraussetzungen sind, je stärker auf die Eignung für<br />

das konkrete Amt geachtet wird, desto geringer sind nach dem bisherigen<br />

System nicht zu leugnende Qualitätsdefizite gerade und<br />

auch im Vergleich zum Nur-Notariat. Anzustreben ist jedoch eine<br />

bundeseinheitliche Regelung. Im Berufsrecht der freien Berufe einschließlich<br />

der Notare ist schon unter europarechtlichen Gesichtspunkten<br />

angesichts der Öffnung der nationalen Dienstleistungsmärkte<br />

kein Platz mehr für einen kleinkarierten berufsrechtlichen<br />

Provinzialismus.<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />

GG Art. 12 Abs. 1; BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 6; BVerfGG § 32<br />

Abs. 1, Abs. 2 S. 2<br />

Zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei Amtsenthebung<br />

von Notaren (hier wegen Vermögensverfalls). (Leitsatz der Redaktion)<br />

BVerfG (2. Kammer des Ersten Senates), Beschl. vom<br />

28.04.2004 – 1 BvR 912/04<br />

Aus den Gründen: I. Der Beschwerdeführer wendet sich mit<br />

seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen<br />

seine Enthebung aus dem Amt des Notars.<br />

1. Im November 2002 wurde über das Vermögen des Beschwerdeführers,<br />

der seit 1991 Notar in Sachsen ist, wegen Zahlungsunfähigkeit<br />

das Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem im Februar 2003<br />

eine Gläubigerversammlung stattgefunden hatte, bei welcher die<br />

vorläufige Fortführung des „Unternehmens“ des Beschwerdeführers<br />

beschlossen und der Insolvenzverwalter beauftragt worden<br />

war, einen Insolvenzplan zu erstellen, enthob das Sächsische<br />

Staatsministerium der Justiz den Beschwerdeführer nach Anhörung<br />

mit Bescheid v. 20.3.2003 seines Amtes.<br />

Im Juli 2003 wurde der mittlerweile aufgestellte Insolvenzplan<br />

durch das Insolvenzgericht bestätigt. Mit Beschluss v. 23.8.2003<br />

hob das OLG den Bescheid v. 20.3.2003 auf und setzte die Vollziehung<br />

der Amtsenthebung bis zum rechtskräftigen Abschluss des<br />

Verfahrens aus. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die<br />

aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeleitete Vermutung<br />

des Vermögensverfalls sei bereits bei Erlass der angefochtenen<br />

Entscheidung durch den Beschluss der Gläubigerversammlung im<br />

Februar 2003 widerlegt gewesen.<br />

Der sofortigen Beschwerde des Sächsischen Staatsministeriums<br />

der Justiz gab der BGH mit dem am 2.4.2004 zugestellten Beschl.<br />

v. 23.3.2004 statt. Die Amtsenthebung des Beschwerdeführers sei<br />

gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 der Bundesnotarordnung (BNotO) zu<br />

Recht erfolgt. Die Ergebnisse der Gläubigerversammlung im Februar<br />

2003 hätten die Vermutung des Vermögensfalls durch Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens nicht entkräftet. Zwar spreche nach<br />

Erstellung des Insolvenzplans vieles dafür, dass der Beschwerdeführer<br />

nunmehr die gegen ihn gerichteten Forderungen in einer<br />

Weise erfüllen könne, die seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse<br />

wieder als geordnet erscheinen ließen, doch könnten der<br />

Amtsenthebung nachfolgende Veränderungen der Sachlage nicht<br />

berücksichtigt werden, weil bei der Überprüfung gestaltender Verwaltungsakte<br />

aus Gründen der Rechtssicherheit spätere Veränderungen<br />

der Sachlage außer Betracht bleiben müssten.<br />

Mit Schriftsatz v. 28.4.2004 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht<br />

Verfassungsbeschwerde und stellte zugleich einen Antrag<br />

auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er macht geltend, dass<br />

Gründe der Rechtssicherheit den schweren Eingriff in seine Berufswahlfreiheit<br />

nicht rechtfertigen könnten.<br />

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über<br />

den wegen Eilbedürftigkeit ohne Anhörung der Gegenseite entschieden<br />

werden konnte (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG), hat Erfolg.<br />

1. Nach § 33 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG einen Zustand<br />

durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr<br />

schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund<br />

zum Gemeinwohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe,<br />

die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes<br />

vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es<br />

sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich<br />

unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das BVerfG die<br />

Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung<br />

nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber<br />

den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte<br />

einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde<br />

aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88,<br />

169 [171 f.]; 91, 328 [332]; st. Rspr.).<br />

2. a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch in<br />

Bezug auf die Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG offensichtlich<br />

unbegründet. Die Grundrechtsfrage hat der BGH nur am<br />

Rande erörtert; sie bedarf der Prüfung im Hauptsacheverfahren.<br />

b) Die danach gebotene Folgenabwägung führt vorliegend zu<br />

einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass der beantragten<br />

einstweiligen Anordnung sprechen.<br />

Unterbliebe die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde<br />

aber Erfolg, müsste der Beschwerdeführer seinen Beruf<br />

aufgeben, ohne dass sicher ist, dass er ihn nach einem Erfolg in<br />

der Hauptsache wieder aufnehmen könnte.<br />

Wird die einstweilige Anordnung erlassen, hat die Verfassungsbeschwerde<br />

aber später keinen Erfolg, bleibt der Beschwerdeführer –<br />

wie schon infolge der Entscheidung des OLG – vorübergehend weiterhin<br />

im Amt. Da vieles dafür spricht, dass er infolge des aufgestellten<br />

Insolvenzplans wieder in geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnissen<br />

lebt, und seine Amtsführung überdies nach dem<br />

Prüfbericht aus Februar 2003 zu Beanstandungen keinen Anlass geboten<br />

hat, bestehen hiergegen keine durchgreifenden Bedenken.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack,<br />

Freiburg i. Br.<br />

Anmerkung der Redaktion: Das Bundesverfassungsgericht<br />

wird in der Hauptsache zu entscheiden haben, ob die Rechtsprechung<br />

des BGH einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält,<br />

nach der Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Abschluss<br />

des Verwaltungsverfahrens im gerichtlichen Verfahren nicht<br />

mehr zu berücksichtigen sind. Vergleichbare Probleme stellen sich<br />

nicht nur bei der Amtsenthebung von Notaren sondern auch beim<br />

Widerruf der Zulassung bzw. Approbation sowie bei gewerberechtlichen<br />

Untersagungsverfügungen. Die vorausgehende Entscheidung<br />

des BGH findet sich in NJW 2004, 2018.


526<br />

MN<br />

GG Art. 12, 3; BRAO § 43 b; BORA § 6 Abs. 3<br />

§ 6 Abs. 3 BORA ist zumindest insoweit wegen Verstoßes gegen<br />

Art. 12, 3 GG nichtig, als er die Werbung mit Umsatzzahlen verbietet.<br />

(rechtskräftig)<br />

OLG Nürnberg, Urt. v. 22.6.2004 – 3 U 334/04<br />

Sachverhalt: Die Kl. ist eine Rechtsanwaltskammer. Der Bekl<br />

ist ein in Nürnberg zugelassener Rechtsanwalt. Er betreibt in der<br />

Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit anderen eine<br />

Rechtanwalts-, Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatungskanzlei. Der<br />

Bekl gab am 20.6.2002 eine 5-seitige Pressemitteilung heraus, deren<br />

Seite 1 wie folgt lautet:<br />

Pressemitteilung<br />

R & PARTNER ERZIELT REKORDWACHSTUM<br />

Umsatz steigt im Jahr 2001 um 37,2 Prozent auf 138,2 Millionen<br />

Euro – Internationale Expansion wird fortgesetzt – Konzentration<br />

auf Kernkompetenzen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung,<br />

Rechtsberatung<br />

Nürnberg, 20.6.2002: R & Partner hat im Geschäftsjahr 2001<br />

ein hervorragendes Wachstum erzielt. Der internationale Umsatz<br />

der Gruppe stieg um 37,2 Prozent auf 138,2 Millionen Euro. Damit<br />

behauptet sich das Unternehmen als führende Wirtschaftsprüfungs-,<br />

Steuerberatungs- und Rechtsanwaltskanzlei deutschen<br />

Ursprungs. Die Zahl der weltweiten Niederlassungen stieg auf 67,<br />

die Zahl der Mitarbeiter auf 2.300 Beschäftigte. R & Partner ist<br />

nunmehr in 30 Ländern der Welt mit eigenen Kanzleien vertreten.<br />

„R & Partner ist damit der Partner Nummer 1 für den internationalen<br />

Mittelstand“ erklärte der Geschäftsführende Partner R anlässlich<br />

der Jahrespressekonferenz in Nürnberg. Der Umsatz in<br />

Deutschland stieg im Jahr 2001 um 27 Prozent auf 96,7 Millionen<br />

Euro, der Umsatz im Ausland um 68 Prozent auf 41,5 Millionen<br />

Euro.<br />

Im Ranking die deutsche Nummer 1<br />

Im internationalen Vergleich hat R & Partner zur Spitze der<br />

weltweit tätigen Gesellschaften aufgeschlossen. R & Partner ist die<br />

größte Prüfungs- und Beratungsgesellschaft deutschen Ursprungs.<br />

Dies bestätigt das aktuelle Deutschland-Ranking der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

der führenden Branchenzeitschrift International<br />

Accounting Bulletin vom 16.5.2002. Insgesamt liegt R &<br />

Partner auf Platz sechs des Rankings.<br />

„R & Partner ist heute im internationalen Markt die deutsche<br />

Alternative zu den anlo-amerikanischen Gesellschaften“, erklärt<br />

Kanzleigründer R. „Angesichts des problematischen Konzentrationsprozesses<br />

in der Wirtschaftsprüfungsbranche muss der Wettbewerb<br />

der Prüfungsgesellschaften gestärkt werden. Dies wird nur<br />

möglich sein, wenn leistungsstarke, internationale Wirtschaftsprüfer<br />

den vier Megagesellschaften die Stirn bieten“, so R.<br />

Die Kl hält insgesamt 5 Angaben der Pressemitteilung für wettbewerbswidrig,<br />

da diese gegen das Verbot des Werbens mit Umsatzzahlen<br />

(§ 6 Abs. 3 BORA) bzw. gegen das Verbot unsachlicher<br />

Werbung (§ 43 b BRAO, § 6 Abs. 1 BORA) verstoßen.<br />

Das LG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Soweit<br />

das Urteil hinsichtlich der Äußerungen 1. bis 3. auf einen Verstoß gegen<br />

§ 6 Abs. 3 BORA gestützt worden ist, hatte die Berufung Erfolg.<br />

Aus den Gründen: II. 1. Der zulässigen Berufung ist der Erfolg<br />

zu versagen, soweit sie die Äußerungen Nr. 4 und 5 angreift. Die<br />

Rechtsanwaltskammer ist klagebefugt. Die angegriffenen Äußerungen<br />

sind geeignet, den Wettbewerb wesentlich zu beeinträchtigen.<br />

Sie verstoßen gegen das Sachlichkeitsgebot der §§ 43 b BRAO, 6<br />

Abs. 1 BORA. Da es sich hierbei um eine wettbewerbsbezogene<br />

Regelung handelt, hat das LG diese Angaben in der Pressemitteilung<br />

zu Recht nach §§ 1, 13 Abs. 1 UWG untersagt.<br />

a) Die Kl ist gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG klagebefugt und aktivlegitimiert,<br />

wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen den Bekl<br />

durchzusetzen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH<br />

NJW 2003, 819 m. w. N.) hat eine Rechtsanwaltskammer die Klagebefugnis<br />

eines rechtsfähigen Verbandes zur Förderung gewerblicher<br />

Interessen, weil auch sie ungeachtet ihrer öffentlich–rechtlichen<br />

Aufgabenstellung die beruflichen Belange ihrer Mitglieder<br />

zu wahren und zu fördern hat. Dies gilt ausdrücklich auch für die<br />

Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen<br />

gegen ihre Mitglieder (BGH aaO).<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Rechtsprechung<br />

Mit Beschluss v. 25.11.2002 (BGH NJW 2003, 504) stellte der<br />

BGH fest, dass die Bundesrechtsanwaltsordnung dem Vorstand einer<br />

Rechtsanwaltskammer nicht das Recht verleiht, festgestellten<br />

Verstößen gegen die berufsrechtlichen Vorschriften mit einer Unterlassungsverfügung<br />

zu begegnen, da die Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

keine Befugnisnorm für derartige Eingriffe enthalte. Mit der<br />

Klagebefugnis nach § 13 UWG befasst sich der Beschluss nicht.<br />

Vom Ergebnis her stützt er die bisherige ständige Rechtsprechung<br />

zur Klagebefugnis, da dem von der Bekl vorgebrachten Einwand,<br />

das Vorgehen der Rechtsanwaltskammer nach UWG sei rechtsmissbräuchlich,<br />

da ihr berufsrechtliche Maßnahmen zur Verfügung<br />

stünden, der Boden entzogen wird.<br />

Die streitgegenständlichen Angaben sind auch geeignet, den<br />

Wettbewerb auf dem Markt wesentlich zu beeinträchtigen, § 13<br />

Abs. 2 Nr. 2 UWG. Zunächst ist festzustellen, dass es gerade<br />

Zweck der Pressemitteilung als Werbemaßnahme ist, den Wettbewerb<br />

wesentlich zu beeinflussen. Die Pressemitteilung hat im<br />

Ergebnis auch dazu geführt, dass die angegriffenen Äußerungen<br />

zumindest im Anwaltsreport und den Nürnberger Nachrichten<br />

veröffentlicht wurden (vgl. Anlage K 2), die Angaben damit einer<br />

breiten Öffentlichkeit bekannt wurden.<br />

b) Die Angabe Nr. 4 (damit behauptet sich das Unternehmen<br />

als führende Wirtschaftsprüfungs-, Steuerberatungs- und Rechtsanwaltskanzlei<br />

deutschen Ursprungs) und Angabe Nr. 5 (R & Partner<br />

ist damit der Partner Nr. 1 im internationalen Mittelstand) verstoßen<br />

gegen das Sachlichkeitsgebot der §§ 43 b BRAO, 6 Abs. 1<br />

BORA. Die Bezeichnung als „Partner Nr. 1 im internationalen<br />

Mittelstand“ ist ein reines Werturteil, das nicht überprüfbar ist.<br />

Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Pressemitteilung ist<br />

nicht ersichtlich, was mit „internationalen Mittelstand“ gemeint ist.<br />

Mit dieser Äußerung hat der Bekl die Grenze der reklamehaften<br />

Selbstanpreisung überschritten. Das Verbot solcher Werbung ist<br />

auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG WRP<br />

2000, 720; AnwBl 2002, 60).<br />

Die Angabe „führende Wirtschaftsprüfungs-, Steuerberatungsund<br />

Rechtsanwaltskanzlei deutschen Ursprungs“ hat sich der Bekl<br />

in seiner Pressemitteilung zu Eigen gemacht. Er kann sich nicht<br />

darauf berufen, nur wiederzugeben, was bereits anderweitig veröffentlicht<br />

wurde. Auch diese Angabe ist als nicht überprüfbares<br />

Werturteil zu verstehen. Zwar sind Ranking-Listen vom Grundsatz<br />

her zulässig (BVerfG NJW 2003, 277). Voraussetzung ist allerdings,<br />

dass die Kriterien des Rankings genannt werden, da dieses<br />

nach völlig verschiedenen Kriterien erstellt werden kann, wie etwa<br />

Zahl der Niederlassungen oder der Mandanten, Zahl der Auslandsvertretungen,<br />

Zufriedenheit der Mandanten oder eben dem Umsatz.<br />

Dazu enthält die Pressemitteilung jedoch keine Aussage.<br />

Beide Angaben beziehen sich auch auf die rechtsanwaltliche<br />

Tätigkeit des Bekl. Aus der Angabe Nr. 4 ist dies direkt zu entnehmen<br />

(„führende Wirtschaftsprüfungs-, Steuerberater- und Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

...“). Aus dem Gesamtzusammenhang ist auch<br />

ersichtlich, dass die Angabe Nr. 5 sich auf die Tätigkeit als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

bezieht. So hebt der Bekl im Text der Pressemitteilung<br />

die expandierende internationale Rechtsberatung hervor.<br />

c) Die Kl hat auch einen Unterlassungsanspruch aus §§ 1, 13<br />

UWG. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH kommt ein Anspruch<br />

aus § 1 UWG in Fällen, in denen ein beanstandetes Verhalten<br />

gegen ein Gesetz verstößt, nur dann in Betracht, wenn vom Gesetzesverstoß<br />

zugleich eine unlautere Störung des Wettbewerbs auf<br />

dem Markt ausgeht. Es muss daher anhand einer am Schutzzweck<br />

des § 1 UWG auszurichtenden Würdigung des Gesamtcharakters<br />

des Verhaltens geprüft werden, ob dieses durch den Gesetzesverstoß<br />

das Gepräge eines unlauteren Verhaltens bekommt. Der Gesetzesverstoß<br />

kann dazu allein nicht genügen, wenn die verletzte<br />

Norm nicht zumindest auch eine wettbewerbsbezogene, d. h. – entsprechend<br />

dem Normzweck des § 1 UWG – eine auf die Lauterkeit<br />

des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion hat (BGH NJW 2004,<br />

1099 m. w. N.).<br />

Die Vorschriften der §§ 43 BRAO, 6 BORA dienen der Regelung<br />

der Außendarstellung der Rechtsanwälte und damit dem<br />

Schutz der Öffentlichkeit vor Irreführung und der Wahrung der<br />

Wettbewerbsgleichheit innerhalb des Berufsstandes. Sie haben daher<br />

auch eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion.


AnwBl 8 + 9/2004 527<br />

Rechtsprechung MN<br />

2. Die Berufung ist jedoch hinsichtlich der angegriffenen Angaben<br />

I.1) bis I.3) begründet. Das Werben von Rechtsanwälten mit<br />

Umsatzzahlen, ist weder irreführend i. S. v. § 3 UWG noch sittenwidrig<br />

i. S. v. § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt „Vorsprung durch<br />

Rechtsbruch“. § 6 Abs. 3 BORA verstößt gegen die nach Art. 12<br />

GG geschützte Berufsfreiheit.<br />

a) Äußerung Nr. 2 (Umsatz steigt im Jahr 2001 um 37,2 % auf<br />

138,2 Mio. Euro)<br />

aa) Die Richtigkeit des Umsatzes bzw. der Umsatzsteigerung<br />

wird von der Kl nicht bestritten, weswegen eine Irreführung über<br />

die Zahlen an sich auszuschließen ist.<br />

bb) Durch die Nennung der Umsatzzahl wird entgegen der<br />

Auffassung des LG nicht der falsche Eindruck erweckt, der Bekl<br />

sei als Rechtsanwalt besonders erfolgreich und qualifiziert. Der Kl<br />

ist zuzugeben, dass Umsatzzahlen nichts über die Qualität rechtsanwaltlicher<br />

Tätigkeit aussagen. Diese Aussage kann allerdings für<br />

jeden freien Beruf und für jede gewerbliche Tätigkeit getroffen<br />

werden, weswegen es auszuschließen ist, dass der Referenzverbraucher<br />

ausgerechnet bei Rechtsanwälten dem Irrtum unterliegen<br />

sollte, Umsatz mit Qualität gleichsetzen zu müssen oder zu dürfen.<br />

So ist es nach ständiger Rechtsprechung des BGH zulässig, mit<br />

Spitzenstellungen – auch Umsatzzahlen – zu werben, wenn die Behauptung<br />

wahr ist (Köhler/Piper, 3. Aufl., § 3 UWG Rn. 425<br />

m. w. N.), ohne dass bislang eine Irreführungsgefahr dahingehend<br />

gesehen wurde, die angesprochenen Verkehrskreise würden vom<br />

Umsatz auf Qualität schließen.<br />

cc) Die Werbung mit Umsatzzahlen verstößt nicht gegen § 1<br />

UWG unter dem Gesichtspunkt „Vorsprung durch Rechtsbruch“,<br />

weil § 6 Abs. 3 BORA zumindest insoweit verfassungswidrig ist,<br />

soweit die Werbung mit Umsatzzahlen untersagt wird.<br />

(1) § 6 Abs. 3 BORA verstößt gegen die Berufsfreiheit gem.<br />

Art. 12 GG.<br />

In die nach Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit fällt nach<br />

ständiger Rechtsprechung des BVerfG auch die berufliche Außendarstellung<br />

der Grundrechtsinhaber einschließlich der Werbung<br />

(BVerfG NJW 2000, 3195; Kleine-Cosack, 4. Aufl., § 43 b Rn. 4<br />

BRAO m. w. N.), weil auch Freiberufler darauf angewiesen sind,<br />

potenzielle Mandanten über ihr Dienstleistungsangebot zu informieren.<br />

Auf Grund der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 GG<br />

sind sie befugt, sich mit Informationen an die Öffentlichkeit zu<br />

wenden. Die Werbefreiheit ist als Teil der Berufsausübungsfreiheit<br />

durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet. Rechtsanwälten ist deshalb<br />

die Werbung für ihre berufliche Tätigkeit im Grundsatz nicht verboten,<br />

sondern erlaubt.<br />

Einschränkungen der Berufsfreiheit bedürfen nicht nur einer<br />

formalen gesetzlichen Grundlage, die vorliegend in § 59 b Abs. 2<br />

BRAO zu sehen ist, sondern auch materiell der Rechtfertigung<br />

durch ein Gemeinwohlinteresse (Kleine-Cosack, § 43 b Rn. 5<br />

BRAO; BVerfG WRP 2003, 1213; Henssler/Prütting, 2. Aufl.,<br />

§ 43 b Rn. 9 BKAO). Als Gemeinwohlinteressen kommen die<br />

Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und das Vertrauen der Rechtsuchenden<br />

in Betracht, der Rechtsanwalt werde nicht aus Gewinnstreben<br />

zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebühreninteressen<br />

ausrichten (BVerfG NJW 2001, 1926; Kleine-Cosack,<br />

§ 43 b Rn. 8). Eine Beeinträchtigung der Rechtspflege wäre<br />

möglich, wenn der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege in seiner<br />

Funktion als unabhängiger Sachwalter durch das Werben mit<br />

Umsatzzahlen in Frage gestellt würde. Einen solchen Zusammenhang<br />

hat die Kl jedoch nicht aufzuzeigen vermocht, auch besteht er<br />

nach der Überzeugung des Senates nicht.<br />

Ebenso wenig kann ein Zusammenhang zwischen dem Vertrauen<br />

des Mandanten auf nicht an Gebühreninteressen ausgerichteter<br />

Sachbehandlung einerseits und Werbung mit Umsatzzahlen<br />

andererseits hergestellt werden. So können hohe Umsätze bei<br />

höchstmöglicher Orientierung an Mandanteninteressen zustande<br />

kommen, wie umgekehrt auch niedrige Umsätze nahezu nur auf<br />

Gebühreninteressen zurückzuführen sein können.<br />

Soweit das Werbeverbot mit Umsatzzahlen darüber hinaus möglicherweise<br />

von Konkurrenzschutzaspekten getragen wird, ist dies<br />

kein am Gemeinwohl ausgerichteter Zweck und legitimiert deshalb<br />

nicht den Eingriff in die Berufsfreiheit (BVerfG NJW 1995, 3067;<br />

Kleine-Cosack, § 340 b Rn. 9).<br />

(2) Das Werbeverbot mit Umsatzzahlen verstößt darüber hinaus<br />

gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG.<br />

(aa) Rechtsanwälte dürfen mit Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern<br />

Gesellschaften bilden. Die Berufsordnungen der Wirtschaftsprüfer<br />

und Steuerberater enthalten ebenso wie die Berufsordnung<br />

der Rechtsanwälte Regelungen über die Zulässigkeit der Werbung<br />

(§§ 10-21 BOStB bzw. §§ 31-36 BS WP/vBP). Allerdings enthalten<br />

diese Berufsordnungen kein Verbot des Werbens mit Umsatzzahlen.<br />

Ein sachlicher Grund, weswegen Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern<br />

diese Werbung erlaubt, Rechtsanwälten dagegen verboten<br />

sein muss, ist nicht erkennbar (vgl. zur ähnlichen<br />

Problematik unterschiedlicher Regelungen von Kurzbezeichnungen:<br />

BGH NJW 2004, 1099 – Rechtsanwaltsgesellschaft).<br />

(bb) Die Rechtsanwaltskapitalgesellschaften unterliegen der<br />

Publizitätspflicht des § 325 HGB. Sie müssen den Jahresabschluss<br />

und eine Reihe weiterer Unterlagen dem Registergericht vorlegen<br />

und veröffentlichen. Zweck dieser Regelung ist es, alle diejenigen<br />

zu schützen, die mit dem Unternehmen geschäftlich verkehren.<br />

Rechtsanwaltskapitalgesellschaften kann schon aus diesem Grunde<br />

ein Werben mit Umsatzzahlen nicht untersagt sein (Kleine-Cosack,<br />

§ 6 BORA Rn. 4; Hartung-Holl, Anwaltliche Berufsordnung,<br />

2. Aufl., § 6 BORA Rn. 140; Henssler/Prütting, § 6 BORA Rn. 7),<br />

da sich das Satzungsrecht der BORA dem förmlichen Gesetz unterzuordnen<br />

hat. Wenn aber den Kapitalgesellschaften ein Werben mit<br />

Umsatzzahlen erlaubt ist, ist kein sachlicher Grund erkennbar, weswegen<br />

es Rechtsanwaltspersonengesellschaften und Einzelanwälten<br />

verboten sein muss, zumal die Publizitätspflicht nach § 325 HGB<br />

verbraucherschützende Elemente aufweist.<br />

b) Äußerung Nr. 1 (R u. Partner erzielt Rekordwachstum) und<br />

Aussage Nr. 3 (R und Partner hat im Geschäftsjahr 2001 ein hervorragendes<br />

Wachstum erzielt)<br />

Diese Angaben sind im Kontext mit der Nennung der Umsatzzahlen<br />

zu beurteilen. Die Angabe „Rekordwachstum“ ist nicht irreführend.<br />

Die Kl hat die Richtigkeit der Aussage nicht bestritten.<br />

Beide Angaben verletzten nicht das Sachlichkeitsgebot der<br />

§§ 43 b BRAO, 6 Abs. 1 BORA. Zwar enthält die Äußerung Nr. 3<br />

mit „hervorragendes Wachstum“ keine Tatsachenbehauptung, sondern<br />

eine Wertung, doch sind Wertungen nicht grundsätzlich unsachlich<br />

und damit unzulässig. Wertende Begriffe sollen nur nicht<br />

im Vordergrund stehen, um maßlose Selbstanpreisungen zu unterbinden<br />

(Henssler/Prütting, § 43 b Rn. 12 BRAO).<br />

Im vorliegenden Fall sind die objektiven Zahlen von Umsatz<br />

und Wachstum ausdrücklich genannt. Die Bezeichnung mit „hervorragenden<br />

Wachstum“ hat deswegen nur kommentierenden Charakter.<br />

Sie steht nicht im Vordergrund und ist deswegen zulässig.<br />

Mitgeteilt vom 3. Zivilsenat des OLG Nürnberg<br />

Hinweis der Redaktion: Das Urteil des LG Nürnberg-Fürth aus<br />

der ersten Instanz ist in der NJW 2004, 684 veröffentlicht worden.<br />

Anwaltsvergütung<br />

BRAGO § 4; RVG § 5; BGB § 612; ZPO § 91 Abs. 1; §§ 104 ff.<br />

Auch bei Mandaten, die noch nicht unter die Regelung des § 5<br />

RVG fallen, kann der Rechtsanwalt je nach den Umständen eine<br />

Vergütung in Höhe der vollen gesetzlichen Gebühren verdienen,<br />

wenn er sich durch einen Assessor vertreten lässt. Dies ist in der<br />

Regel jedenfalls dann der Fall, wenn der Assessor bei dem<br />

Rechtsanwalt angestellt ist. Die so verdiente Vergütung hat der<br />

Prozessgegner unter den Voraussetzungen des § 91 Abs. 1 ZPO<br />

zu erstatten; sie ist im Verfahren nach den §§ 104 ff. ZPO unter<br />

den dort geltenden Voraussetzungen festzusetzen.<br />

BGH, Beschl. v. 27.4.2004 – VI ZB 64/03<br />

Aus den Gründen: Die Bekl wenden sich mit der Rechtsbeschwerde<br />

dagegen, dass der Rpfleger des AG in einem Zivilrechtsstreit<br />

im Rahmen der Kostenfestsetzung zugunsten des Kl eine Verhandlungs-<br />

und eine Vergleichsgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 2, § 23<br />

BRAGO) als erstattungsfähig berücksichtigt hat, obwohl der Kl in<br />

dem einzigen Verhandlungstermin, in dem auch der Vergleich geschlossen<br />

wurde, nicht durch seine Prozessbevollmächtigten, sondern<br />

durch den bei diesem angestellten Assessor M. vertreten wurde.


528<br />

MN<br />

Das LG hat die sofortige Beschwerde der Bekl gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss<br />

des AG zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde<br />

zugelassen.<br />

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil sie von dem LG als<br />

Beschwerdegericht zugelassen worden ist (§ 574 Abs. 1 Nr. 2<br />

ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig. Der auch im Verfahren der<br />

Rechtsbeschwerde zu berücksichtigende Beschwerdewert des<br />

§ 567 Abs. 2 ZPO von mehr als 50 EUR ist erreicht.<br />

Die Rechtsbeschwerde ist aber unbegründet. Der Rpfleger des<br />

AG hat die festgesetzten Gebühren zu Recht als erstattungsfähig<br />

anerkannt.<br />

1. § 4 BRAGO, der bisher eine Regelung für die Vergütung von<br />

Tätigkeiten enthält, die der Rechtsanwalt nicht persönlich vornimmt,<br />

nennt den Assessor – im Gegensatz zu der demnächst geltenden<br />

Regelung des § 5 RVG – nicht. Zu der Frage, ob ein<br />

Rechtsanwalt, der in einem Termin nicht persönlich auftritt, sondern<br />

sich durch einen Assessor vertreten lässt, die gesetzlichen<br />

Gebühren verdient und ob der von ihm vertretenen Partei insoweit<br />

ein Erstattungsanspruch zusteht, wurden bisher unterschiedliche<br />

Auffassungen vertreten. Die Lösungsvorschläge reichten von der<br />

Aberkennung jeder Gebühr über die Erstattung von Auslagen oder<br />

angemessener Auslagen bis hin zur Zuerkennung der vollen<br />

Gebühr (vgl. die Darstellung bei Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert,<br />

BRAGO, 15. Aufl. § 4 Rn 10).<br />

2. Der Senat folgt der Auffassung, dass der Rechtsanwalt, der<br />

sich durch einen Assessor vertreten lässt, auch schon nach der bisher<br />

geltenden Rechtslage je nach den Umständen eine Vergütung<br />

in Höhe der vollen gesetzlichen Gebühren verdienen und dass seiner<br />

Partei ein entsprechender Erstattungsanspruch zustehen kann.<br />

Dies wird in der Regel jedenfalls dann der Fall sein, wenn – wie<br />

hier – der Assessor bei dem Prozessbevollmächtigten angestellt ist<br />

und im Übrigen auch seine Zulassung als Rechtsanwalt betreibt.<br />

a) Im Gesetzgebungsverfahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt,<br />

dass es nicht gerechtfertigt ist, dem Rechtsanwalt bei der<br />

Vertretung durch einen Assessor bei einem Rechtsanwalt den Gebührenanspruch<br />

ganz oder teilweise zu versagen. In der Begründung<br />

zum <strong>Entwurf</strong> eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts<br />

war die jetzt mit § 5 RVG Gesetz gewordene Regelung bereits enthalten<br />

und wurde – unter Hinweis auf den Streitstand – wie folgt<br />

begründet (BT-Drucks 15/1971, S. 78, 188): Insbesondere im Hinblick<br />

auf die höhere Qualifikation eines Assessors sei es nicht gerechtfertigt,<br />

dass der Rechtsanwalt zwar für eine Vertretung durch<br />

einen Stationsreferendar die volle Vergütung erhalten solle, bei einer<br />

Vertretung durch einen Assessor dagegen nicht. Daher sei es<br />

sachgerecht, dass auch die Vertretung durch einen Assessor in dem<br />

vorgesehenen § 5 RVG genannt werde. Diese Erwägungen leuchten<br />

aus Sachgründen ohne weiteres ein.<br />

b) Allerdings kann der Anspruch nicht unmittelbar aus § 4<br />

BRAGO hergeleitet werden. Dort ist der Assessor nicht genannt.<br />

Dies erklärt sich aus der Entwicklung dieser Vorschrift. Solange es<br />

noch den Status des Anwaltsassessors gab, war dieser in § 4<br />

BRAGO aufgeführt. Nach der Abschaffung dieses Status wurde<br />

der Assessor aus der Vorschrift gestrichen (vgl. dazu E. Schneider,<br />

KostRsp. § 4 BRAGO Nr. 3). Die ersatzlose Streichung lässt sich<br />

allerdings allenfalls damit rechtfertigen, dass für den Gebührenanspruch<br />

nicht auf die Rechtskenntnisse des Vertreters, sondern auf<br />

seine öffentlichrechtliche Verantwortung abzustellen und dann in<br />

Betracht zu ziehen ist, dass auch der angestellte Assessor nur als<br />

Privatperson tätig wird (vgl. dazu Hartmann/Albers, Kostengesetze,<br />

33. Aufl., § 4 BRAGO Rn 7 f.).<br />

c) Von der Sache her ist indes jedenfalls in Fällen der vorliegenden<br />

Art eine Gleichstellung geboten. Insoweit kann dahinstehen,<br />

ob § 4 BRAGO ,korrigierend‘ angewendet werden kann (für<br />

eine solche Lösung z. B.: OLG Frankfurt MDR 1975, 767 f.; OLG<br />

Düsseldorf AnwBl. 1978, 426).<br />

Der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts folgt aus § 612<br />

BGB. Die Partei, die zwar nicht von ihrem Anwalt persönlich,<br />

wohl aber von einem von diesem gestellten Volljuristen ordnungsgemäß<br />

vertreten wird, kann – sofern sich nicht aus abweichenden<br />

Vereinbarungen oder sonstigen Umständen etwas anderes ergibt –<br />

nicht erwarten, die entsprechenden Leistungen kostenlos zu erhalten.<br />

Deshalb wird für die alte Rechtslage bei Einschaltung eines<br />

Assessors die vereinbarte (§ 612 Abs. 1 BGB) oder beim Fehlen einer<br />

Vereinbarung die übliche Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB) ge-<br />

schuldet. Die übliche Vergütung wird sich beim Auftreten eines<br />

bei dem bestellten Rechtsanwalt angestellten Assessors in der Regel<br />

auf die vollen Gebühren der Bundesrechtsanwaltsordnung belaufen.<br />

Eine entsprechende Beurteilung haben die Gerichte auf Tatsachenebene<br />

vorzunehmen. Die Erstattungsfähigkeit dieser von der<br />

Partei ihrem Rechtsanwalt geschuldeten Vergütung ergibt sich sodann,<br />

sofern nicht die Notwendigkeit der Einschaltung eines<br />

Rechtsanwalts ausnahmsweise zu verneinen ist, aus § 91 Abs. 1<br />

ZPO. Die Festsetzung erfolgt im Verfahren nach § 104 ff. ZPO.<br />

Mit dieser Lösung (dafür z. B.: OLG Frankfurt MDR 1995, 103 f.;<br />

OLG Hamm AnwBl. 1992, 286; KostRsp. § 4 BRAGO Nr. 37 mit zustimmender<br />

Anm. von N. Schneider; LG Bochum, RPfleger 1988,<br />

426 f.; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, aaO, Rn 10–12; Riedel/<br />

Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl., § 4 Rn 9; E. Schneider,<br />

KostRsp. § 4 BRAGO Nr. 4; N. Schneider, KostRsp. § 4 BRAGO<br />

Nr. 34) wird – entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde – § 4<br />

BRAGO nicht umgangen. Denn diese Vorschrift besagt nur, in welchen<br />

Vertretungsfällen die Vergütung des Rechtsanwalts unmittelbar<br />

nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung zu bemessen ist.<br />

Eine differenzierende Regelung für von den gesetzlichen Vorgaben<br />

abweichende Fallgestaltungen wird dadurch nicht ausgeschlossen.<br />

3. Im Streitfall ist es nach den in den Vorinstanzen getroffenen<br />

Feststellungen nicht zu beanstanden, dass ein Vergütungsanspruch<br />

des Prozessbevollmächtigten des Kl in voller Höhe der Gebührensätze<br />

der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung berücksichtigt worden<br />

ist. Die Rechtsbeschwerde greift nur die rechtlichen Grundlagen<br />

der Festsetzung, nicht die getroffenen Feststellungen an.<br />

III. Die Rechtsbeschwerde ist danach mit der Kostenfolge aus<br />

§ 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.<br />

Hinweis der Redaktion: Diese BGH-Entscheidung ist die erste<br />

zum neuen Rechtsanwaltvergütungsgesetz (RVG). Sie zieht schon<br />

vor In-Kraft-Treten des RVG Regelungen des Gesetzes zur Auslegung<br />

der BRAGO heraus.<br />

Fotonachweis<br />

Seiten 469, 470, 472, 473, 487, 489, 491, 494, 497, 498, 499, 500,<br />

501, 502, 509, 514, 516, I, IV, VI, XXXII: alle privat<br />

Seiten 475, 476, 479, 480, 482, 483, 484, 485: alle Burkhardt/Berlin<br />

Seite 486: BFB<br />

Impressum<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Rechtsprechung<br />

Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong> e.V., Littenstr. 11, 10179<br />

Berlin (Mitte), Tel. 0 30/ 726152-0, Fax 030/ 726152-191,<br />

anwaltsblatt@anwaltverein.de. Redaktion: Dr. Nicolas Lührig<br />

(Leitung, v. i. S. d. P.), Dr. Peter Hamacher und Udo Henke, Rechtsanwälte,<br />

Anschrift des Herausgebers.Verlag: <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag<br />

und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, 53111<br />

Bonn, Tel. 0228/91911-0, Fax 0228/9191123; kontakt@<br />

anwaltverlag.de, Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr. 17532458,<br />

BLZ 38050000. Anzeigen: ad sales & services, Ingrid A. Oestreich<br />

(v. i. S. d. P.), Stauffenbergstr. 2 b, 22587 Hamburg, Tel. 040/<br />

86628-467, Fax 0 40/ 86628-468, info@ad-in.de. Technische Herstellung:<br />

Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen,<br />

Tel. 0201/ 8612281, Fax 0201/8612241; mitterbauer @soldandruck.de.<br />

Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei<br />

einem Doppelheft für August/September. Bezugspreis: Jährlich<br />

126,– E (inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 11,50 E<br />

(inkl. MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s ist<br />

der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: Über<br />

jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen<br />

Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften:<br />

Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die<br />

Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei<br />

ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-,<br />

Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch für<br />

Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />

Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung<br />

des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />

w


XXXII<br />

MN<br />

BÜCHER & INTERNET<br />

Hartung/Römermann: Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />

(RVG), Praxiskommentar,<br />

Verlag C. H. Beck, München, 2004, ISBN<br />

3-406-51955-5, 1.282 S., 79 Euro.<br />

Schon der <strong>Titel</strong> des Werkes gibt die<br />

Zielrichtung an: Das Buch will ein auf die<br />

Bedürfnisse der Anwaltschaft zugeschnittenes<br />

Hilfsmittel sein. Im Vorwort betonen<br />

die beiden Autoren, praktizierende Anwälte<br />

in Mönchengladbach (Hartung) bzw. Hannover<br />

(Römermann), dass Schwerpunkt des<br />

Buches die Darstellung des nun geltenden,<br />

neuen Vergütungsrechts sein soll und die<br />

Literatur und Rechtsprechung aus früherer<br />

Zeit nur noch dort herangezogen wird, wo<br />

es für das RVG erheblich ist. Zum zweiten<br />

wollen die Kommentatoren sich konsequent<br />

orientieren an dem gesetzgeberischen Willen,<br />

der Anwaltschaft eine Erhöhung ihrer<br />

Gebühren zuzugestehen. Beide Autoren bekennen<br />

sich damit ausdrücklich zu einer anwaltsfreundlichen<br />

Kommentierung. Das<br />

macht den Band sympathisch.<br />

Die Kommentierung folgt der Gliederung<br />

des RVG-Textes und des Vergütungsverzeichnisses.<br />

Vorangestellt ist auf 35 Seiten<br />

eine hervorragende Einführung von<br />

Hartung mit einer hochinteressanten Darstellung<br />

von Hintergründen der Gebührennovelle.<br />

Hartung wirft dabei die Frage auf,<br />

warum überhaupt eine „Gebührenordnung“<br />

für Rechtsanwälte sinnvoll ist. Dies ist ein<br />

brandaktuelles Thema mit stark europapolitischem<br />

Einschlag.<br />

Die Kommentierung der 61 Paragraphen<br />

des RVG nimmt einen Umfang von etwa<br />

690 Seiten ein. Die Darstellung der 233<br />

Nummern des Vergütungsverzeichnisses behandeln<br />

Hartung und Römermann dagegen<br />

lediglich auf 235 Seiten. Hier ist in Zukunft<br />

zu erwarten, dass durch die Rechtsprechung<br />

und bereits jetzt anschwellende Literatur<br />

die Kommentierung zu den Teilen des<br />

Vergütungsverzeichnisses bei späteren Auflagen<br />

umfangreicher ausfallen wird.<br />

Hilfreich sind die umfangreichen sieben<br />

Anhänge. Sie informieren den Leser über<br />

den Gesetzestext von RVG und Vergütungsverzeichnis,<br />

über die nach § 35 RVG künftig<br />

maßgebenden Regelungen der Steuerberatergebührenverordnung<br />

und in zwei Synopsen<br />

BRAGO-RVG bzw. RVG-BRAGO und VV-<br />

BRAGO – sehr hilfreich für die Orientierung<br />

– des neuen Gesetzes. Ein sehr brauchbares<br />

und mit über 40 Seiten erschöpfendes Sachverzeichnis<br />

gibt dem hohen Benutzungswert<br />

des Kommentars den letzten Schliff.<br />

Eins ist gewiss: Der RVG-Kommentar<br />

von Hartung/Römermann hat schon deshalb<br />

hohe Aufmerksamkeit und eine positive Bewertung<br />

verdient, weil er der erste auf dem<br />

Markt erschienene Kommentar zum neuen<br />

Vergütungsrecht ist. Unabhängig vom derzeitigen<br />

Fehlen von Konkurrenz ist das<br />

Buch auch inhaltlich erste Wahl.<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

9 http://www.bundesgesetzblatt.de<br />

Nun ist es in Kraft, das lange umstrittene<br />

Gesetz gegen den unlauteren<br />

Wettbewerb. Am 7. Juli wurde es verabschiedet<br />

und am gleichen Tage war es<br />

bereits online verfügbar. Auf den Seiten<br />

des Bundesanzeiger Verlages unter den<br />

Überschriften Produkte und Verkündungsorgane<br />

etwas versteckt, findet sich<br />

das Bundesgesetzblatt – oder schneller<br />

mit Abkürzung unter dem oben genannten<br />

Link. Die kostenlose Variante ist von<br />

hier in der rechten Spalte verborgen –<br />

wer wollte es dem Bundesanzeiger Verlag<br />

verdenken, dass er lieber seine<br />

Abonnements verkauft? Die Nur-Lese-<br />

Für das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

im Internet:<br />

Rechtsanwältin<br />

Isa von Koeller,<br />

Online-Redakteurin<br />

von Marktplatz-<br />

Recht.de.<br />

Version ist ohne Anmeldung abrufbar.<br />

Das entsprechende PDF-Dokument<br />

kann am Bildschirm gelesen oder ausgedruckt<br />

werden. Das trägt natürlich<br />

nicht zum papierlosen Büro bei, die Informationen<br />

sind dafür aber tagesaktuell,<br />

zuverlässig und kostenlos.<br />

9 http://www.dg-kassenarztrecht.de/<br />

Die Deutsche Gesellschaft für Kassenarztrecht<br />

versorgt die Besucher der<br />

Internetseiten mit vielen Dokumenten.<br />

Die umfangreichen Informationen hätten<br />

eine übersichtlichere Darstellung<br />

verdient – ein Verzicht auf den gemusterten<br />

Hintergrund und die regelmäßige<br />

Wiederholung des Wortes „Download“<br />

wären wünschenswert. Die interessanten<br />

Dateien finden sich unter den Navigationspunkten<br />

Veröffentlichungen und<br />

Informationsdienst. Veröffentlichungen<br />

sind die Thesen zu den Vorträgen der<br />

zweimal jährlich stattfindenden Symposien<br />

in Ergänzung zu der Veröffentlichung<br />

in den Fachzeitschriften. Mit diesen<br />

Thesen sind einige Aspekte der<br />

aktuellen Diskussionen des Kassenarztrechtes<br />

schnell zu erfassen.<br />

Weiterhin wird ein Informationsdienst<br />

angeboten. Darunter erscheint<br />

erst einmal eine Liste mit Publikationen.<br />

Dieser Rechtsprechungsinformationsdienst<br />

enthält Rechtsprechung zum<br />

Arzt- und Krankenversicherungsrecht.<br />

Leider gibt es keine Suchfunktion für<br />

die Inhalte. So bleiben nur die Indices<br />

der jeweiligen Ausgaben, in denen mit<br />

der Suchfunktion des Browsers Schlagworte<br />

gefunden werden können. Das<br />

lohnt sich vor Abruf der umfangreichen<br />

PDF-Dokumente, in denen Entscheidungen<br />

in Leitsätzen zum Vertragsarzt- und<br />

Krankenversicherungsrecht sowie Entscheidungen<br />

aus angrenzenden Bereichen<br />

wie Arzthaftungs-, ärztlichem Berufs-<br />

und Strafrecht enthalten sind. Die<br />

aktuellste Ausgabe ist den Mitgliedern<br />

vorbehalten.<br />

9 http://www.echr.coe.int/<br />

Der Europäische Gerichtshof für<br />

Menschenrechte tritt mit seinen<br />

Entscheidungen nicht häufig in Erscheinung.<br />

Einzelfälle aus anderen Mitgliedstaaten<br />

des Europarates interessieren die<br />

hiesigen Medien nicht. Es gibt jedoch<br />

auch Fälle, die hier zu beachten sind,<br />

wie zum Beispiel Caroline von Hannover<br />

vs. Deutschland. Umso schöner,<br />

dass die Entscheidungen im Volltext online<br />

stehen – nicht geschützt, so dass sie<br />

gespeichert und Zitate daraus kopiert<br />

werden können. Die Dokumente sind in<br />

englischer und französischer Sprache<br />

vorhanden. Das Datum der Entscheidung<br />

sollte bekannt sein, um diese<br />

schnell in der „List of Recent<br />

Judgments“ bzw. „Liste des arrêts récents“<br />

aufzufinden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

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