Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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Im Auftrag des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Die Rechtsanwaltschaft<br />
unter Modernisierungszwang<br />
Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch Gladbach*<br />
Q<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Jahrgang 54<br />
August/September 2004<br />
Die Debatte um die Deregulierung der Berufsrechte hat<br />
die Freien Berufe erfasst. Der Sonderstatus auch der Anwaltschaft<br />
wird in Frage gestellt. Der Autor fordert die<br />
Anwaltschaft auf, das Vertrauen in das System anwaltlichen<br />
Rechtsrats nicht zu verspielen. Die Chance der Anwaltschaft<br />
liege darin, dass sich die Gesellschaft eine Versorgung<br />
mit Rechtsrat auf Discountstandard dauerhaft<br />
nicht leisten könne.<br />
1. Die Entwicklungsdynamik der Anwaltschaft<br />
Die Situation der Anwaltschaft in der Bundesrepublik<br />
Deutschland ist derzeit durch folgende zentrale Entwicklungstendenzen<br />
gekennzeichnet:<br />
Ein ungebremster Expansionsdruck verschärft die Konkurrenzsituation<br />
innerhalb der Anwaltschaft. Die Folgen<br />
dieses Prozesses sind ungewisser denn je. Wäre der Markt<br />
rechtlicher Dienste in Form von Rechtsvertretung und<br />
Rechtsberatung gesättigt, würde dieser Konkurrenzdruck<br />
unmittelbar zu existenziellen Problemen für eine Vielzahl<br />
von Anwälten führen. Solche Wirkungen sind derzeit empirisch<br />
nicht abschließend gesichert. Allerdings mehren sich<br />
Berichte über Umsatzrückgänge und wirtschaftliche Schieflagen<br />
in Anwaltskanzleien1 .<br />
In engem Zusammenhang mit diesem Expansionsdruck,<br />
zugleich aber auch mit der fortschreitenden Differenzierung<br />
des rechtlichen Wissens und einer Differenzierung der<br />
Nachfrage nach Rechtsrat ist die sich beschleunigende Dynamik<br />
der Spezialisierung der Anwaltschaft zu sehen2 .Äußerlich<br />
sichtbar wird dies am starken Zuwachs der Fachanwälte,<br />
aber auch an Tendenzen zu strategischen<br />
Schwerpunktsetzungen in den Kanzleien und der Ausrichtung<br />
ihrer Leistungsprogramme an den Belangen bestimmter<br />
Zielgruppen. Im Ergebnis resultieren hieraus spezielle<br />
Risiken für Allgemeinanwälte mit ihrem eher unspezifischen<br />
Programm. Solche Risiken werden sich vor allem<br />
dann verschärfen, wenn Mandanten immer stärker zu spezialisierter<br />
Nachfrage anwaltlicher Dienste neigen. Dies gilt<br />
zumindest so lange, wie Allgemeinanwälte nicht als Ein-<br />
gangs- bzw. Steuerungsinstanz für anwaltlichen Rechtsrat<br />
gesehen werden.<br />
Die Tendenz zur Spezialisierung kennzeichnet zugleich<br />
einen fundamentalen Strukturwandel in den westlichen Industrienationen:<br />
Die Angewiesenheit der Menschen auf Expertensysteme<br />
wird größer, da die Lebensverhältnisse immer<br />
stärker durch überregionale, nationale und vor allem<br />
internationale Entwicklungen geprägt sind, dementsprechend<br />
weniger im lokalen Rahmen verbleiben und insgesamt<br />
an Komplexität zunehmen 3 .<br />
Dem entspricht die sich verstärkende Tendenz zur Internationalisierung<br />
der Anwaltskanzleien, die sich nicht nur in<br />
einer Fusionswelle mit dem Ergebnis internationaler Großkanzleien<br />
manifestiert hat, sondern inzwischen auch daran<br />
sichtbar wird, dass auf der Ebene von Kanzleien mittlerer<br />
Größe internationale Kooperationen zunehmen. Die Anwaltschaft<br />
folgt damit – wenn auch noch zögernd – dem<br />
fundamentalen ökonomischen Strukturwandel in Form der<br />
Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen.<br />
Die zunehmende Größe und innere Differenzierung der<br />
Anwaltschaft verschärft zugleich das Problem ihrer Integration<br />
als einer Professionsgemeinschaft 4 . Innere Differenzierung<br />
heißt immer auch Spreizung der Interessenlagen<br />
und zugleich Erhöhung der Zentrifugalkräfte innerhalb einer<br />
Gemeinschaft. Die Wahrscheinlichkeit einer Integration<br />
der Anwaltschaft im Sinne einer Wertegemeinschaft nimmt<br />
– wird nicht durch besondere Anstrengungen gegengesteuert<br />
– mit zunehmer Zahl der Berufsträger tendenziell ab. In<br />
der Masse der Anwälte erkennen die Einzelnen nur schwer,<br />
dass ihr Beitrag zum Fortbestand der Anwaltschaft als einer<br />
Wertegemeinschaft wichtig ist. Damit aber steigt tendenziell<br />
die Zahl derer, die als Trittbrettfahrer von dieser Gemeinschaft<br />
profitieren wollen, ohne selbst in sie zu investieren<br />
5 .<br />
* Der Autor ist Vorstandsvorsitzender des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement.<br />
Der Beitrag beruht auf dem Vortrag am 15.6.2004 aus Anlass der akademischen<br />
Feier der Universität zu Köln zum 70. Geburtstag von Rechtsanwalt<br />
Dr. h.c. Ludwig Koch.<br />
1 Vgl. hierzu Hommerich, C.; Werle, R.: Die Anwaltschaft zwischen Expansionsdruck<br />
und Modernisierungszwang, in: Zeitschr. f. Rechtssoziologie 1/87, S. 1ff.;<br />
Hommerich, C.: Der Einstieg in den Anwaltsberuf, Bonn 2001.<br />
2 Zum Strukturwandel der Anwaltschaft vgl. Abel, R. L.; Lewis, Ph. S. C.: Lawyers<br />
and Society, 2. Bde. Berkeley 1988.<br />
3 Vgl. hierzu Giddens, A.: Konsequenzen der Moderne, Frankfurt am Main 1996.<br />
4 Vgl. hierzu Kilger, H., AnwBl 2003, S. 449 ff.<br />
5 Coleman, J. S.: Foundations of Social Theory, Cambridge, Mass. 1990, S. 270–<br />
271, S. 451–465; Münch, R.: Soziologische Theorie, Bd. 2, Frankfurt am Main<br />
2003, S. 103 ff.