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Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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478<br />

MN<br />

keitsschutz, das heißt das Recht jedes Einzelnen, grundsätzlich<br />

darüber selbst entscheiden zu können, wer, wann, was<br />

über ihn, über mich, wissen darf. Das ist Datenschutz und<br />

nicht Täterschutz. Leider bleibt von diesem Persönlichkeitsschutz<br />

immer weniger übrig. Die Antiterrorgesetze, die verabschiedet<br />

worden sind, gehören noch einmal auf den<br />

Prüfstand. Selten war ein Gesetzentwurf so vernichtend beurteilt<br />

worden, wie der für dieses Gesetz. Die juristische<br />

Prüfung durch das dafür zuständige Bundesjustizministerium<br />

war vernichtend. „Rechtsstaatlich problematisch“,<br />

„verfassungsrechtlich bedenklich“ lautete fast durchgängig<br />

die Beurteilung. Bisherige unverzichtbare rechtsstaatliche<br />

Grundsätze werden unter der geistigen Führung der amerikanischen<br />

Administration gefährdet. Dieses Denken findet<br />

inzwischen seinen Niederschlag auch in der Novellierung<br />

des Ausländerrechts. Welche Grundsätze werden in Frage<br />

gestellt? Öffentlichkeit des Strafverfahrens, die Trennung<br />

von Sicherheitsbehörden und geheimen Sicherheitsinstitutionen.<br />

Dabei wollten wir doch niemals mehr eine geheime<br />

Staatspolizei haben. Der Unterschied zwischen Polizei und<br />

Geheimdiensten besteht eben darin, dass die Polizei von<br />

der Justiz kontrolliert wird, der Geheimdienst aber von einem<br />

geheim tagenden Parlamentarischen Miniausschuss,<br />

der aber seinerseits zum Schweigen verurteilt ist.<br />

Was wird nicht mehr gewährleistet sein, wenn wir diesem<br />

Trend folgen? Die alsbaldige Kontrolle von Verhaftungen<br />

und sonstigen Grundrechtseingriffen durch unabhängige<br />

Richter. Das Recht auf Akteneinsicht. Das Recht auf<br />

freie Wahl eines Verteidigers. Das Recht, überhaupt einen<br />

Verteidiger zu haben. Die öffentliche Beweisführung. Der<br />

Grundsatz, im Zweifel für den Angeklagten, bei den Ausländern<br />

schon umgedreht. Die Gleichheit vor dem Gesetz.<br />

Das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden, wie wir ja<br />

jetzt erfahren haben. Der Grundsatz des fairen Verfahrens.<br />

Die Genfer Konvention über die Behandlung von Gefangenen.<br />

Weltweit wird damit begonnen, all das unter Vorbehalt<br />

zu stellen und dieser Vorbehalt lautet: Der rechtsstaatliche<br />

Katalog ist schön und gut, aber nur solange er die Bekämpfung<br />

des Terrorismus nicht behindert. Vogelfrei nannte man<br />

eine solche Situation im Mittelalter und in den Vereinigten<br />

Staaten ist dieser Zustand bereits eingeführt. Acht, Bann<br />

und Rechtlosigkeit für verdächtige Ausländer – wollen wir<br />

das auch? Guantanamo ist das schreckliche Beispiel für institutionalisierte<br />

Rechtlosigkeit, die allerdings jetzt (sehr<br />

spät) durch das oberste amerikanische Gericht korrigiert<br />

worden ist. Was die Foltervorwürfe betrifft, wird jetzt einzelnen<br />

Soldaten der Prozess gemacht. Aber die Legitimierung<br />

des rechtslosen Zustandes der Gefangenen in Guantanamo<br />

und in anderen Gefängnissen, die Legitimierung<br />

dieses Bruchs der amerikanischen Verfassung und der Genfer<br />

Konvention, die Verwendung einer brutalen Jäger- und<br />

Kriminellensprache in den Reden führender Vertreter der<br />

amerikanischen Regierung unter Übernahme von Texten<br />

aus dem Mafia-Millieu aus Chicago von Al Capone, und<br />

das Aufheizen eines nationalistischen Klimas durch die<br />

konservative Presse, sie alle haben in Amerika, wie die aufmerksamen<br />

und objektiven Beobachter inzwischen übereinstimmend<br />

festgestellt haben, einen Geisteszustand in der<br />

amerikanischen Öffentlichkeit geschaffen, in dem Soldaten<br />

und Polizisten unten an der Front bei ihren Misshandlungen<br />

jedes Unrechtsbewusstsein abhanden gekommen ist, soll<br />

man sagen, abhanden kommen musste.<br />

Nicht die Einzeltäter, die jetzt angeklagt werden, sondern<br />

die politischen und journalistischen Meinungsführer<br />

tragen die Verantwortung für das moralische Desaster, das<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Anwaltstag 2004<br />

durch diese Vorgänge die gesamte westliche Welt erfasst<br />

hat. Das müssen Sie natürlich nicht übernehmen, was ich<br />

jetzt sage, aber der größte Triumph der Terroristen besteht<br />

ja nun darin, dass sich die westliche Führungsmacht, zumindest<br />

in den Augen der Öffentlichkeit, auf eine Stufe mit<br />

den Schurkenstaaten gestellt hat, die sie angeblich bekämpfen<br />

will. Aber wir brauchen eine Rettung. Und die Rettung<br />

kann eigentlich nur vom amerikanischen Volk selber kommen.<br />

Die Amerikaner müssen im Herbst die jetzige Regierung<br />

abwählen.<br />

Die Repressionspolitik der US-Administration führt ja<br />

auch intern zu keinen großen Ergebnissen. Auf 100.000<br />

Einwohner kommen in Amerika inzwischen zwölf Kapitalverbrechen.<br />

In Deutschland sind es noch zwei. Das amerikanische<br />

Erziehungsministerium hat neulich bekannt gegeben,<br />

dass 25 % der Amerikaner Analphabeten sind und<br />

das hat natürlich seine Gründe. Eine Zwei-Drittel-Gesellschaft<br />

produziert Kriminalität und Analphabetentum. In<br />

den USA ist die Inhaftierungsquote in den letzten 20 Jahren<br />

um 400 % gestiegen. Über 5 Millionen Amerikaner sitzen<br />

in Haft oder stehen unter Bewährungsaufsicht. Der Kriminologe<br />

Michael Lindenberg hat einmal ausgerechnet, dass,<br />

wenn die Inhaftierungsrate in Amerika linear weiter anstiege,<br />

im Jahre 2050 die Hälfte der US-Bürger hinter Gittern<br />

säße und von der anderen Hälfte bewacht würde.<br />

Was ist zu tun? Ich glaube, wir sollten bei der Bekämpfung<br />

des Terrorismus nicht auf polizeiliche Maßnahmen<br />

verzichten, das wäre völlig falsch. Ich habe auch dafür gestimmt<br />

und halte das nach wie vor für richtig, dass deutsche<br />

Soldaten in Afghanistan sind, und den Terrorismus dort bekämpfen<br />

als eine Art Weltpolizei. Aber es wird nichts<br />

nützen, wenn sich die politischen und ökonomischen Bedingungen<br />

nicht verändern. Ich war der erste Abgeordnete, der<br />

nach dem 11. September in Kabul war. Als ich zurückkam,<br />

haben die Kolleginnen und Kollegen mich in Berlin gefragt:<br />

Sagen Sie mal, lebt der Osama Bin Laden noch? Das kann<br />

ich nicht sagen, war meine Antwort, ich bin ihm nicht begegnet.<br />

Aber ich weiß das eine, dass der Osama Bin Laden<br />

in den Köpfen und in den Herzen von Hunderten von Millionen<br />

Menschen lebt, in den Armutsvierteln und in den<br />

Was ist zu tun? Die politischen<br />

und ökonomischen Bedingungen<br />

müssen sich ändern<br />

Elendsquartieren von Indonesien, Pakistan, Bangladesch,<br />

Afghanistan, Iran, Irak, Jemen, Palästina, Jordanien, Somalia,<br />

Sudan, Ägypten bis nach Algerien, wo 90 % der jungen<br />

Leute arbeitslos sind. Und wenn 90 % der jungen Leute<br />

null Perspektive haben für ihr irdisches Leben, um mal einen<br />

Mullah-Begriff zu verwenden, werden sie leicht das<br />

Opfer der islamistischen Heilsversprechen. Die Amerikaner<br />

können noch einen Krieg führen. Wir können noch<br />

mehr Soldaten nach Kabul schicken. Es wird keinen Wert<br />

haben. Warum? Weil nur Narren und Lügner uns weismachen<br />

können, man könne auf Dauer Hunderte von Millionen<br />

Menschen ausgrenzen, ohne dafür nicht irgendwann einen<br />

politischen Preis zahlen zu müssen.<br />

Es gibt in der Politik keine überflüssigen Menschen, sie<br />

haben alle eine Stimme. Wenn sie in keiner Demokratie leben<br />

und keine Stimme haben, dann werden sie oder ihre<br />

geistigen Führer sich Waffen besorgen, und wenn es fliegende<br />

Kerosinbomben sind oder Handgranaten, die dann

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