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Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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AnwBl 8 + 9/2004 525<br />

Rechtsprechung MN<br />

hebliche Korrekturmöglichkeiten geben, um eine Verfahrenswiederholung<br />

aus formellen Gründen zu vermeiden.<br />

bb) Erst recht ist dieses Verfahren dann sinnvoll, wenn die erste<br />

Instanz die Verwaltungsentscheidung bereits bestätigt hat. Dann<br />

kann und sollte auch eine weiter eingeschaltete Instanz – bei Notarzulassungssachen<br />

der BGH – in der Sache entscheiden. Vielen<br />

Bewerbern kann es nicht zugemutet werden, dass sie auf eine Neuausschreibung<br />

vertröstet werden. Auch wenn sie mangels positiver<br />

Entscheidung seitens der Landesjustizverwaltung keinen uneingeschränkten<br />

Rechtsanspruch auf Fortsetzung des Verfahrens haben,<br />

so können durch den Abbruch und die Neuausschreibung nach<br />

dem oben Gesagten ihre Grundrechte verletzt werden.<br />

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass<br />

nicht selten bei gerichtlich anhängigen Konkurrenten„klagen“ zahlreiche<br />

Stellen bereits vergeben wurden und nur noch über einen<br />

„Restposten“ zwischen zwei Bewerbern zu entscheiden ist. Die in<br />

laufenden Verfahren nach den neuen Kriterien des BVerfG aussichtsreichen<br />

Bewerber wären daher bei einem Abbruch des Verfahrens<br />

durch die Landesjustizverwaltung mehrfach benachteiligt,<br />

da sie sich zum einen nur noch einem beschränkten Bewerberkreis<br />

stellen können, hingegen zahlreiche frühere Mitbewerber schon im<br />

Besitz der Notarzulassung sind, welche ihnen nicht mehr weggenommen<br />

werden kann, obwohl sie nach den Kriterien des<br />

BVerfG eigentlich im Vergleich zu ihnen nicht hätten berücksichtigt<br />

werden dürfen. Zudem müssten sie sich in einem neuen Verfahren<br />

mit weiteren Bewerbern auseinander setzen.<br />

4. In jedem Fall besteht nach der Grundsatzentscheidung des<br />

BVerfG bis zur Neukonzeption der Zulassungsvoraussetzungen eine<br />

erhebliche Rechtsunsicherheit. Alle Bewerber müssen mit Verzögerungen<br />

rechnen, was sicherlich vielfach sehr schmerzlich ist.<br />

Andererseits sollte nicht übersehen werden, dass die Entscheidung<br />

des BVerfG politisch langfristig eine nicht unerhebliche Stärkung<br />

des Anwaltsnotariats zur Folge haben kann. Schließlich wird bei<br />

Befolgung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben eine bedeutsame<br />

Schwäche dieser Notarform, welche die Zulassungsvoraussetzungen<br />

und damit die Qualität betraf, beseitigt. Je notarspezifischer<br />

die Zulassungsvoraussetzungen sind, je stärker auf die Eignung für<br />

das konkrete Amt geachtet wird, desto geringer sind nach dem bisherigen<br />

System nicht zu leugnende Qualitätsdefizite gerade und<br />

auch im Vergleich zum Nur-Notariat. Anzustreben ist jedoch eine<br />

bundeseinheitliche Regelung. Im Berufsrecht der freien Berufe einschließlich<br />

der Notare ist schon unter europarechtlichen Gesichtspunkten<br />

angesichts der Öffnung der nationalen Dienstleistungsmärkte<br />

kein Platz mehr für einen kleinkarierten berufsrechtlichen<br />

Provinzialismus.<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i. Br.<br />

GG Art. 12 Abs. 1; BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 6; BVerfGG § 32<br />

Abs. 1, Abs. 2 S. 2<br />

Zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei Amtsenthebung<br />

von Notaren (hier wegen Vermögensverfalls). (Leitsatz der Redaktion)<br />

BVerfG (2. Kammer des Ersten Senates), Beschl. vom<br />

28.04.2004 – 1 BvR 912/04<br />

Aus den Gründen: I. Der Beschwerdeführer wendet sich mit<br />

seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen<br />

seine Enthebung aus dem Amt des Notars.<br />

1. Im November 2002 wurde über das Vermögen des Beschwerdeführers,<br />

der seit 1991 Notar in Sachsen ist, wegen Zahlungsunfähigkeit<br />

das Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem im Februar 2003<br />

eine Gläubigerversammlung stattgefunden hatte, bei welcher die<br />

vorläufige Fortführung des „Unternehmens“ des Beschwerdeführers<br />

beschlossen und der Insolvenzverwalter beauftragt worden<br />

war, einen Insolvenzplan zu erstellen, enthob das Sächsische<br />

Staatsministerium der Justiz den Beschwerdeführer nach Anhörung<br />

mit Bescheid v. 20.3.2003 seines Amtes.<br />

Im Juli 2003 wurde der mittlerweile aufgestellte Insolvenzplan<br />

durch das Insolvenzgericht bestätigt. Mit Beschluss v. 23.8.2003<br />

hob das OLG den Bescheid v. 20.3.2003 auf und setzte die Vollziehung<br />

der Amtsenthebung bis zum rechtskräftigen Abschluss des<br />

Verfahrens aus. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die<br />

aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeleitete Vermutung<br />

des Vermögensverfalls sei bereits bei Erlass der angefochtenen<br />

Entscheidung durch den Beschluss der Gläubigerversammlung im<br />

Februar 2003 widerlegt gewesen.<br />

Der sofortigen Beschwerde des Sächsischen Staatsministeriums<br />

der Justiz gab der BGH mit dem am 2.4.2004 zugestellten Beschl.<br />

v. 23.3.2004 statt. Die Amtsenthebung des Beschwerdeführers sei<br />

gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 der Bundesnotarordnung (BNotO) zu<br />

Recht erfolgt. Die Ergebnisse der Gläubigerversammlung im Februar<br />

2003 hätten die Vermutung des Vermögensfalls durch Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens nicht entkräftet. Zwar spreche nach<br />

Erstellung des Insolvenzplans vieles dafür, dass der Beschwerdeführer<br />

nunmehr die gegen ihn gerichteten Forderungen in einer<br />

Weise erfüllen könne, die seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse<br />

wieder als geordnet erscheinen ließen, doch könnten der<br />

Amtsenthebung nachfolgende Veränderungen der Sachlage nicht<br />

berücksichtigt werden, weil bei der Überprüfung gestaltender Verwaltungsakte<br />

aus Gründen der Rechtssicherheit spätere Veränderungen<br />

der Sachlage außer Betracht bleiben müssten.<br />

Mit Schriftsatz v. 28.4.2004 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht<br />

Verfassungsbeschwerde und stellte zugleich einen Antrag<br />

auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er macht geltend, dass<br />

Gründe der Rechtssicherheit den schweren Eingriff in seine Berufswahlfreiheit<br />

nicht rechtfertigen könnten.<br />

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über<br />

den wegen Eilbedürftigkeit ohne Anhörung der Gegenseite entschieden<br />

werden konnte (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG), hat Erfolg.<br />

1. Nach § 33 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG einen Zustand<br />

durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr<br />

schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund<br />

zum Gemeinwohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe,<br />

die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes<br />

vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es<br />

sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich<br />

unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das BVerfG die<br />

Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung<br />

nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber<br />

den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte<br />

einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde<br />

aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88,<br />

169 [171 f.]; 91, 328 [332]; st. Rspr.).<br />

2. a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch in<br />

Bezug auf die Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG offensichtlich<br />

unbegründet. Die Grundrechtsfrage hat der BGH nur am<br />

Rande erörtert; sie bedarf der Prüfung im Hauptsacheverfahren.<br />

b) Die danach gebotene Folgenabwägung führt vorliegend zu<br />

einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass der beantragten<br />

einstweiligen Anordnung sprechen.<br />

Unterbliebe die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde<br />

aber Erfolg, müsste der Beschwerdeführer seinen Beruf<br />

aufgeben, ohne dass sicher ist, dass er ihn nach einem Erfolg in<br />

der Hauptsache wieder aufnehmen könnte.<br />

Wird die einstweilige Anordnung erlassen, hat die Verfassungsbeschwerde<br />

aber später keinen Erfolg, bleibt der Beschwerdeführer –<br />

wie schon infolge der Entscheidung des OLG – vorübergehend weiterhin<br />

im Amt. Da vieles dafür spricht, dass er infolge des aufgestellten<br />

Insolvenzplans wieder in geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnissen<br />

lebt, und seine Amtsführung überdies nach dem<br />

Prüfbericht aus Februar 2003 zu Beanstandungen keinen Anlass geboten<br />

hat, bestehen hiergegen keine durchgreifenden Bedenken.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack,<br />

Freiburg i. Br.<br />

Anmerkung der Redaktion: Das Bundesverfassungsgericht<br />

wird in der Hauptsache zu entscheiden haben, ob die Rechtsprechung<br />

des BGH einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält,<br />

nach der Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Abschluss<br />

des Verwaltungsverfahrens im gerichtlichen Verfahren nicht<br />

mehr zu berücksichtigen sind. Vergleichbare Probleme stellen sich<br />

nicht nur bei der Amtsenthebung von Notaren sondern auch beim<br />

Widerruf der Zulassung bzw. Approbation sowie bei gewerberechtlichen<br />

Untersagungsverfügungen. Die vorausgehende Entscheidung<br />

des BGH findet sich in NJW 2004, 2018.

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