Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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AnwBl 8 + 9/2004 501<br />
Meinung & Kritik MN<br />
rität zählt, die der Person, dem je Einzelnen<br />
zuteil wird, kraft seiner Persönlichkeit,<br />
seiner Verdienste, kraft seines<br />
erworbenen Rufs, der jeweiligen Leistung<br />
und ihrer Integrität wegen. Gerade<br />
wenn man das Bild der Anwaltschaft<br />
als ein Massenphänomen umschreibt,<br />
wird man diesen Zusammenhang<br />
schwerlich leugnen können. Diese Erkenntnis<br />
jedoch gebiert ganz zwangsläufig<br />
einen weiteren Befund, als Teil<br />
der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es<br />
ist der Verlust an Vertrauen.<br />
Im Zeichen der Globalisierung und<br />
der Macht des Kapitals wird, wie<br />
der amerikanische Soziologe Richard<br />
Sennett treffend festgestellt hat, nur<br />
noch der „flexible Mensch“ gefordert.<br />
Es ist einer, dem permanente Mobilität<br />
und der Verzicht auf Sekurität und den<br />
Erhalt von Bindungen, die prägen und<br />
dauern, abverlangt wird, der persönliche<br />
Freundschaften den „connections“<br />
und dem aufzubauenden „Netzwerk“<br />
bereitwillig opfert und die Ehe auf Lebenszeit<br />
den zweifelhaften Vorteilen<br />
wechselnder „Beziehungen“. Der Verlust<br />
an Vertrauen und Verlässlichkeit ist<br />
eben der Tribut, den wir alle wegen der<br />
„Individualisierung der Massen“ (Miegel)<br />
zu entrichten haben. Statt der erhofften<br />
Selbstbestimmung des je Einzelnen<br />
macht sich ein Gefühl der<br />
Ohnmacht und der Sinnlosigkeit breit,<br />
die Angst vor der Isolation eingeschlossen;<br />
der bekannte Stress des Wochenendes<br />
belegt das Gemeinte. Der Anwalt<br />
und sein Mandant sind eben Teil der gesellschaftlichen<br />
Wirklichkeit.<br />
Wenn aber die unverzichtbaren<br />
Werte – Unabhängigkeit, Verschwiegenheit<br />
und keine Vertretung widerstreitender<br />
Interessen – nur noch als<br />
Attribute der Tätigkeit des je Einzelnen<br />
Anwalts zu verstehen und zu erringen<br />
sind, dann fordert der damit einhergehende<br />
Verlust an originärem Vertrauen<br />
des Bürgers in die Kompetenz<br />
des Anwalts ein Gegensteuern. Es geht<br />
dann um die Verbesserung der Qualität<br />
der rechtlichen Beratung des Bürgers,<br />
es geht um Fortbildungspflicht und um<br />
Spezialisierung. Beides ist natürlich<br />
aufwendig. Beides fordert und fördert<br />
in den Grenzen der Unabhängigkeit,<br />
aber sie ausfüllend, dann auch die Ungleichheit,<br />
in Autorität, Prestige und<br />
Einkommen gleichermaßen. Doch Richard<br />
Sennett hat gezeigt, dass „im<br />
Zeitalter der Ungleichheit“ der „Respekt“<br />
gegenüber dem je anderen die<br />
einzig zutreffende und für eine freie<br />
Gesellschaft zuträgliche Antwort ist<br />
(Berlin 2002). Denn der „Respekt“ vor<br />
dem Anliegen des Rechtssuchenden<br />
führt immer dann zum Vertrauen des<br />
Rechtssuchenden, wenn der Anwalt in<br />
völliger Unabhängigkeit darauf verzichtet,<br />
die Rechtsposition seines Mandanten<br />
einfach zu stärken, um den<br />
Streit zuzuspitzen.<br />
Vertrauen wird im Gegenteil vor allem<br />
dann erworben, wenn und weil der<br />
Anwalt das haftungsrechtliche Diktat<br />
des Rates des „sicheren Weges“ gnadenlos<br />
im Interesse des Mandanten befolgt.<br />
Genau wie ein Chirurg, der nie<br />
vom Erfolg seiner Operationen spricht,<br />
sondern zunächst pflichtgemäß den Patienten<br />
aufklärt, ihm die Risiken und<br />
nichts als die Risiken, die häufigen und<br />
die selten eintretenden, erläutert und<br />
just damit Vertrauen schafft. Genauso<br />
muss und sollte der Anwalt vorgehen,<br />
die vielfältigen Risiken im Rechtlichen<br />
wie im Tatsächlichen immer wieder aufzeigend,<br />
nicht ängstlich, sondern fachkundig<br />
und realistisch-mutig, mit Augenmaß<br />
den Ausgleich der Interessen<br />
anstrebend, aber vor allem auch bescheiden<br />
und maßvoll, im Rat wie in<br />
der Stellung der Rechnung.<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf<br />
von Westphalen, Köln<br />
Anwaltsmonopol,<br />
Verbraucherschutz,<br />
Verschwiegenheit<br />
Worum geht es bei der Reform<br />
des Rechtsberatungsgesetzes?<br />
In der Diskussion um das Rechtsberatungsgesetz<br />
stehen sich zwei Lager<br />
gegenüber: Die einen sprechen<br />
von einem „Beratungsmonopol“ der<br />
Anwälte, einer „Bevormundung“ der<br />
Kunden und „ständischen Vorrechten“.<br />
Rechtsanwalt Niko<br />
Härting aus Berlin<br />
ist Mitglied des Berufsrechtausschusses<br />
des DAV<br />
Die anderen fürchten um die Rechtskultur<br />
und sehen „Schmalspurjuristen“<br />
am Horizont, die den Verbraucher<br />
schlecht und billig beraten und Anwälte<br />
in den Ruin treiben.<br />
Wer hat das Rechtsberatungsgesetz<br />
in Misskredit gebracht? Zum erheblichen<br />
Teil die Anwälte und Kammern<br />
selbst. Die unendliche Weite des Be-<br />
griffs der Rechtsberatung hat manche<br />
von ihnen dazu verleitet, gegen Unternehmensberater,<br />
Fernsehsender, Erbensucher,<br />
karitative Verbände oder auch<br />
pensionierte Richter gerichtlich vorzugehen<br />
und ihnen unerlaubte Rechtsberatung<br />
vorzuwerfen. Dies erweckte<br />
den fatalen (und nicht immer verkehrten)<br />
Eindruck, hier seien „Monopolisten“<br />
am Werk, die unter der Flagge<br />
eines alten Gesetzes fragwürdige Besitzstände<br />
verteidigen.<br />
Es geht nicht um<br />
„Privilegien“, sondern um<br />
Bürgerrechte<br />
Sieht man das Rechtsberatungsgesetz<br />
durch die Brille der Marktwirtschaft,<br />
so ergeben die Beschränkungen<br />
wenig Sinn. Wenn die Anwälte – mehr<br />
oder minder qualifizierte – Konkurrenz<br />
bekommen, mag der Kunde je<br />
nach Bedarf entscheiden, ob er den<br />
Gang zum Anwalt wählt oder sich mit<br />
den Diensten eines anderen „Rechtsdienstleisters“<br />
begnügt. Der Verbraucher<br />
kommt dabei nach den Vorstellungen<br />
der Marktwirtschaftler nicht zu<br />
kurz: „Informationsmodelle“ sollen<br />
ihn zur Unterscheidung zwischen anwaltlichem<br />
Qualitätsrat und sonstigen<br />
„Rechtsdienstleistungen“ befähigen.<br />
Wer hat den Einzug der Marktwirtschaft<br />
in den Anwaltsmarkt an vorderster<br />
Front gefordert und umgesetzt?<br />
Ein erheblicher Teil der Anwaltschaft,<br />
der sich daran zu gewöhnen begann,<br />
dass der Erfolg der eigenen Arbeit an<br />
Umsatzzahlen und „billable hours“ gemessen<br />
wird. Man fragte zunehmend,<br />
ob die gesetzliche Stellung als „Organ<br />
der Rechtspflege“ nicht doch ein alter<br />
Zopf und eine sinnlose Fessel sei; die<br />
übernommenen Grundpflichten des eigenen<br />
Berufs wurden als „Pathoskatalog“<br />
belächelt. Man gewöhnte sich an<br />
einen hemdsärmligen Umgang mit der<br />
Verschwiegenheitspflicht und schmückte<br />
sich nach erfolgreichen Prozessen und<br />
„Deals“ mit selbstbewussten Presseerklärungen.<br />
Interessenkonflikte in der<br />
eigenen Kanzlei löste man durch „Chinese<br />
Walls“ und sprach sich für eine<br />
Zusammenarbeit mit Wirtschaftsprüfern<br />
und Unternehmensberatern aus,<br />
die per Formular schnell unterschreiben<br />
sollten, dass sie sich den anwaltlichen<br />
Berufspflichten unterwerfen.<br />
Sind die Berufspflichten also ein<br />
Relikt aus alten Zeiten? Und was unterscheidet<br />
eigentlich den Anwalt von<br />
einem x-beliebigen „Dienstleister“?<br />
Die wichtigsten Berufspflichten sind<br />
die Pflicht zur Verschwiegenheit und