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Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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506<br />

MN<br />

Strafprozessrecht<br />

Moderne<br />

Strafverteidigung<br />

Strafprozessuale Änderungen des Ersten<br />

Justizmodernisierungsgesetzes<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Ulrich<br />

Sommer, Köln<br />

Das Erste Justizmodernisierungsgesetz wird zum 1.<br />

September 2004 in Kraft treten. Der Autor stellt die wichtigsten<br />

Änderungen für den Strafprozess dar.<br />

Der moderne Strafprozess zeichnet sich durch Sparsamkeit<br />

aus. Sein primäres Ziel ist die schnelle Erledigung. Die<br />

geeigneten Mittel hierfür sind verzögerliche Terminierungen,<br />

die althergebrachte Inquisition und die geheime Kabinettsjustiz.<br />

Das vermittelt jedenfalls die erste Lektüre des<br />

Justizmodernisierungsgesetzes, die den Strafrechtler eher in<br />

vergangene Zeiten des Strafprozesses führt.<br />

Schon der moderate äußere Umfang der Änderung signalisiert,<br />

dass der Gesetzgeber nicht zu einem großen Wurf<br />

ausholen wollte. Dies ist offensichtlich den noch aktuell beratenen<br />

Gesetzesentwürfen vorbehalten. Die nunmehr erfolgten<br />

Änderungen deuten allerdings Tendenzen an, deren<br />

weitere Verfolgung schwerwiegende Konsequenzen für die<br />

überkommene Struktur des Strafverfahrens haben können.<br />

Nach häufig ergebnislosen Diskussionen im Bundestag<br />

schon in den 90er Jahren hatte das Bundesjustizministerium<br />

im vergangenen Jahr den <strong>Entwurf</strong> zum Justizmodernisierungsgesetz<br />

eingebracht. Nahezu parallel entwickelte sich<br />

eine Gesetzesinitiative des Bundesrates. In vielen Vorschlägen<br />

war man sich einig. Die sachlich fundierte Kritik von<br />

Berufsverbänden, insbesondere auch vom Strafrechtsausschuss<br />

des DAV, hatte gegen die breite Front eines politischen<br />

Veränderungswillens keine Chance.<br />

Bei zahlreichen anderen Punkten überwogen die rechtsstaatlichen<br />

Bedenken im Parlament, so dass insbesondere<br />

einige Ideen der Ländervertretung (vorläufig?) keinen Eingang<br />

in die Gesetzesänderung fanden. Unberücksichtigt<br />

blieben so z. B. Vorstellungen zur Ausweitung des Strafbefehls<br />

auf Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht,<br />

die Bestellung von Pflichtverteidigern in Ermittlungsverfahren<br />

durch die Staatsanwaltschaft, die<br />

Ausdehnung der Beweiskraft rechtskräftiger Strafurteile auf<br />

Zivilprozesse, die Einführung eines Wahlrechtsmittels gegen<br />

amtsgerichtliche Urteile, Erweiterungen zur Ablehnung<br />

von Beweisanträgen wegen angeblicher Prozessverschleppung<br />

oder die gesetzliche Konstituierung einer Erscheinensund<br />

Aussagepflicht von Zeugen bei der Polizei.<br />

Dennoch ist der Katalog der geänderten Vorschriften beachtlich.<br />

Die bedeutsamsten seien hier vorgestellt: *<br />

I. Hilfsbeamte werden zu Ermittlungspersonen<br />

Den größten gesetzestechnischen Aufwand erforderte<br />

eine – von den Entwürfen zunächst nicht vorgesehene –<br />

Änderung von Begriffen ohne unmittelbare inhaltliche Relevanz.<br />

Die Bezeichnung der Hilfsbeamten der Staatsanwalt-<br />

schaft, seit mehr als hundert Jahren der gesetzgeberische<br />

Kompromiss für die in Ermangelung einer eigenen staatsanwaltlichen<br />

Ermittlungsorganisation herangezogenen Polizeibeamten,<br />

hat ausgedient. Ohne dass ihr rechtlicher Status<br />

hierdurch berührt wird, werden die für die Staatsanwaltschaft<br />

tätigen Polizeibeamten nunmehr zu „Ermittlungspersonen“.<br />

II.Wegfall der Regelvereidigung (§§ 59 ff. StPO)<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Mitteilungen<br />

Mit einem minimalen Begründungsaufwand wird ein<br />

zentraler Punkt der Beweisaufnahme im Strafprozess geändert:<br />

Während Zeugen in der Regel bislang nach ihrer Vernehmung<br />

zu vereidigen waren und gesetzessystematisch<br />

das Absehen von der Vereidigung die Ausnahme blieb,<br />

wird dieses Verhältnis nunmehr umgekehrt. Zeugen bleiben<br />

regelmäßig unvereidigt. Vereidigungen sollen nur erfolgen,<br />

wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung<br />

der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren<br />

Aussage für notwendig hält. Selbst wenn das Gericht von<br />

dieser Ausnahme Gebrauch machen will, wird es von der<br />

Last einer überprüfbaren Begründung durch das Gesetz befreit.<br />

Der Grund für die Vereidigung braucht im Protokoll<br />

nicht angegeben zu werden. Die Vereidigungsverbote des<br />

bisherigen § 60 StPO bleiben unberührt.<br />

Der Grund für diese Gesetzesänderung ist eine diffuse<br />

Vorstellung des Gesetzgebers von der Modernität für den<br />

Bereich der formalen Bekräftigung einer Zeugenaussage.<br />

Selbst wenn man der Idee folgen wollte, dass der Eid angesichts<br />

einer veränderten gesellschaftlichen Wertschätzung<br />

nicht mehr zeitgemäß ist, hätte man Veränderungen in<br />

Richtung auf eine zeitgemäßere Bekräftigungsform erwartet.<br />

Tatsächlich wird der Eid allerdings grundsätzlich nicht<br />

abgeschafft, sondern lediglich Ausnahmefällen vorbehalten.<br />

Damit werde das Gesetz der Rechtswirklichkeit angepasst,<br />

heißt es in der Begründung des Justizministeriums. Tatsächlich<br />

hat aber der Gesetzgeber nicht nur vor einer der ursprünglichen<br />

gesetzgeberischen Idee widersprechenden<br />

Praxis in den Gerichtssälen kapituliert. Der gleichzeitig gegebene<br />

Hinweis auf die Anpassung an die Vorschriften des<br />

OWiG zeigt, dass der Gesetzgeber letztlich dem auch durch<br />

ihn selbst verursachten Massencharakter von Strafverfahren<br />

Rechnung tragen und die Anzahl formaler Fesseln für den<br />

Strafrichter reduzieren wollte. Man hielt es offensichtlich<br />

mit Schopenhauer, der schon den Eid als metaphysische<br />

Eselsbrücke der Juristen disqualifizierte, die diese so selten<br />

als irgend möglich betreten sollten.<br />

Der Verteidiger wird seine Prozessstrategien neu ausrichten<br />

müssen. Die Chancen, ein sogenanntes Schuldinterlokut<br />

durch Diskussion über ein Vereidigungsverbot eines<br />

der Teilnahme verdächtigten Zeugen zu erreichen, sind<br />

drastisch gesunken. Auch revisionsrechtlich sind gerichtliche<br />

Entscheidungen im Zusammenhang mit der Vereidigung<br />

erheblich entschärft worden. Beruht dies allerdings regelmäßig<br />

darauf, dass nach der neuen Regelung das Gericht<br />

weder eine Entscheidung zur Vereidigung zu treffen noch<br />

gegebenenfalls eine Vereidigung zu begründen hat, muss<br />

der Verteidiger die nunmehr bestehenden Chancen nutzen,<br />

solche – revisionsrechtlich dann angreifbaren – Entscheidungen<br />

herbeizuführen. Dies gelingt nur über Anträge und<br />

* Eine Vorstellung aller Normen des JuMoG und eine Kommentierung sämtlicher<br />

strafverfahrensrechtlicher und zivilverfahrensrechtlicher Änderungen enthält<br />

Hirtz/Sommer, JuMoG, Haufe 2004.

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