Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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MN<br />
§ 61 InsO – BGH zu<br />
Grenzen der<br />
Verwalterhaftung *<br />
Rechtsanwalt Alexander Weinbeer<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
Im letzten Jahr war es aufgrund einer Reihe obergerichtlicher<br />
Urteile zu erheblicher Unsicherheit unter den<br />
Insolvenzverwaltern in Bezug auf die Frage gekommen,<br />
unter welchen Voraussetzungen sie für Masseverbindlichkeiten<br />
nach § 61 InsO einzustehen haben. Namentlich die<br />
Entscheidungen des OLG Hamm vom 16.1.2003 zu den Az.<br />
27 U 45/02 (NZI 2003, 263 = ZInsO 2003, 474 = ZIP<br />
2003, 1165) und 27 U 46/02 statuierten für den Insolvenzverwalter<br />
gerade bei der von Seiten des Gesetzgebers verstärkt<br />
intendierten Betriebsfortführung Gefahren, die eine<br />
Aushöhlung dieser mit dem neuen Insolvenzrecht verbundenen<br />
Zielsetzung und den Rückzug auf die weniger haftungsträchtige<br />
Liquidation und sofortige Gläubigerbefriedigung<br />
befürchten ließen. Der BGH hatte sich aufgrund<br />
der vorgenannten Urteile erstmals mit der persönlichen<br />
Haftung des Insolvenzverwalters zu befassen und präzisierte<br />
den Anwendungsbereich des § 61 InsO durch seine<br />
beiden Entscheidungen vom 6.5.2004 zu den Az. IX ZR<br />
48/03 (ZInsO 2004, 609) und IX ZR 50/03.<br />
1. Entscheidungsinhalt<br />
Insbesondere hatte der BGH der Frage nachzugehen, ob<br />
eine Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO nur<br />
bei der pflichtwidrigen Begründung von Masseverbindlichkeiten<br />
in Betracht komme oder ob – so das OLG Hamm –<br />
die Ersatzpflicht bereits dann eintrete, wenn der Insolvenzverwalter<br />
Masseschulden bei ihrer Fälligkeit nicht erfüllen<br />
könne. Das Berufungsgericht nahm dabei eine Haftung<br />
nach § 61 Satz 1 InsO an, weil die Vorschrift nach ihrem<br />
„umfassenden Wortlaut“ eine entsprechende Auslegung zuließe.<br />
Zudem ergäbe sich aus der Gesetzesbegründung, dass<br />
der Gesetzgeber wieder eine Verschärfung der Haftung in<br />
Richtung auf die ältere Rechtsprechung bewirken wollte,<br />
um so die Möglichkeiten zur Unternehmensfortführung zu<br />
verbessern (ebenso Pape, ZInsO 2003, 1013 ff.; EWiR<br />
2003, 829 f.; mittlerweile aber wohl anders in ZInsO 2004,<br />
605 ff.).<br />
Der BGH folgt der Auffassung des OLG Hamm nicht.<br />
Er legt § 61 Satz 1 InsO zunächst wortlautgetreu aus und<br />
beschränkt die daraus resultierende Verwalterhaftung ausschließlich<br />
auf die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten<br />
(s. a. Laws, MDR 2003, 787, 792 f.). Auch<br />
lehnt er eine Ausweitung der Verwalterhaftung aufgrund der<br />
Regierungsbegründung (BT-Drucks. 12/2443, S. 129) ab<br />
und betont, dass sich der eingeschränkte Anwendungsbereich<br />
des § 61 InsO auch aus der Vorgeschichte der Vorschrift<br />
ergibt (vgl. zur Entstehungsgeschichte der §§ 60 ff.<br />
InsO und den Gründen der Neuregelung auch Pape,ZInsO<br />
2003, 1013 ff.; Weinbeer, AnwBl. 2004, 48 ff.).<br />
In diesem Zusammenhang weist der BGH aber darauf<br />
hin, dass der Verwalter den Entlastungsbeweis nach § 61<br />
Satz 2 InsO im Allgemeinen nur durch eine kontinuierlich<br />
fortgeschriebene und plausible Liquiditätsplanung führen<br />
könne. Resultiert die Liquiditätsprognose nicht aus einer<br />
präzisen Berechnung der Einnahmen und Ausgaben sowie<br />
aus einer realistischen Einschätzung noch ausstehender Forderungen<br />
und der künftigen Geschäftsentwicklung, könne<br />
sich der Verwalter nicht entlasten. Insbesondere sollen Forderungen<br />
dann ausscheiden, wenn ernstliche Zweifel daran<br />
bestehen, ob sie in angemessener Zeit (nicht) realisiert werden<br />
können.<br />
Zudem stellt der BGH fest, dass ein Ausfallschaden<br />
i. S. d. § 61 InsO jedenfalls dann vorliegt, wenn die Masseunzulänglichkeit<br />
angezeigt wurde und keine ohne weiteres<br />
durchsetzbaren Ansprüche bestehen, aus denen die Massegläubiger<br />
befriedigt werden können. Wenn eine freiwillige<br />
Erfüllung von Ansprüchen ausgeschlossen ist, müssen sich<br />
die Massegläubiger nicht auf einen möglicherweise langjährigen<br />
Rechtsstreit über ungewisse Ansprüche verweisen<br />
lassen. Eine i. R. d. Verteilung nach § 209 Abs. 1 InsO zu<br />
erwartende Quote ist vielmehr entsprechend § 255 BGB zu<br />
berücksichtigen.<br />
Einen weiteren Schwerpunkt der Entscheidungen bilden<br />
auch die Hinweise des BGH zum Umfang des nach § 61<br />
InsO erstattungsfähigen Schadens, der sich auf das negative<br />
Interesse beschränken soll. Damit schließt sich der BGH<br />
der überwiegenden Literaturmeinung an, die den<br />
Anknüpfungspunkt für eine Haftung nach § 61 InsO in<br />
dem enttäuschten Vertrauen des Geschäftspartners sieht,<br />
und begründet dies insbesondere mit systematischen und<br />
historischen Gesichtspunkten sowie Sinn und Zweck des<br />
§ 61 InsO. Denn der eigentliche Haftungsgrund des § 61<br />
InsO liegt im Eingehen einer Masseverbindlichkeit trotz<br />
voraussichtlicher Masseunzulänglichkeit bzw. in der unterlassenen<br />
Warnung des Vertragspartners, der einen entspr.<br />
Hinweis auf die drohende Masseinsuffizienz bei Geschäftsabschluss<br />
erwarten dürfe. Dies stellt – worauf der BGH zu<br />
Recht hinweist – einen typischen Fall der Vertrauenshaftung<br />
dar. Konsequenterweise lehnt der BGH daher auch die<br />
Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteuer ab, weil die Ersatzleistung<br />
nicht auf einem Leistungsaustausch beruht.<br />
Schließlich geht das Gericht noch auf die häufig in der<br />
Praxis anzutreffenden (Form-)Schreiben von Insolvenzverwaltern<br />
ein, in denen mehr oder weniger deutlich die Zahlung<br />
offener Masseverbindlichkeiten zugesagt wird. Der<br />
BGH deutet dabei an, dass derartige, eher floskelhafte Zusagen<br />
i. d. R. schwerlich genügen dürften, um eine Garantiezusage<br />
in Form einer persönlichen Haftungsübernahme<br />
des Verwalters annehmen zu können (so auch LG Dresden,<br />
Urt. v. 5.3.04 – 10 O 3672/03 – (unveröff.), das schon aus<br />
dem Umstand, dass derartige Zusagen regelmäßig namens<br />
des Insolvenzverwalters erfolgen, ein persönliches Einstehenwollen<br />
ablehnt).<br />
2. Fazit<br />
AnwBl 8 + 9/2004<br />
Haftpflichtfragen<br />
Der BGH hat erfreuliche Klarstellungen in Bezug auf<br />
die Voraussetzungen der Verwalterhaftung nach § 61 Satz 1<br />
InsO und den Umfang der Schadensersatzpflicht, die auf<br />
das negative Interesse beschränkt wird und nicht die Umsatzsteuer<br />
umfasst, geschaffen, nachdem gerade letztgenannte<br />
Gesichtspunkte in Entscheidungen zu § 61 InsO<br />
bislang wenig Berücksichtigung fanden (vgl. hierzu auch<br />
Pape, ZInsO 2003, 1013, 1017; 2004, 605 f.). Problematisch<br />
erscheint die Begründung für die Annahme eines Ausfallschadens<br />
i. S. d. § 61 InsO, insbesondere wenn es nur zu<br />
einer zeitweiligen Masseunzulänglichkeit gekommen war.<br />
Unklar bleiben schließlich auch die Anforderungen an die<br />
Liquiditätsplanung. Hier bleibt abzuwarten, ob die Instanzengerichte<br />
eine praxisgerechte Auslegung finden werden.<br />
* Ergänzung zu Weinbeer, AnwBl 2004, 48.