Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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MN<br />
9<br />
Anwalt – Priester – Arzt<br />
Die Sinnkrise der Institutionen<br />
geht auch an der Anwaltschaft nicht vorbei<br />
Alle sind sie Teil einer Institution<br />
und hehren Idealen verpflichtet. Der<br />
Priester ist Statthalter Gottes und hat<br />
kraft Berufung ein Amt, das – jedenfalls<br />
nach katholischem Verständnis –<br />
göttlichen Ursprungs ist. Der Arzt ist<br />
seit alters her dem hippokratischen Eid<br />
verpflichtet, Heilen und Fürsorgen ist<br />
sein Metier. Dem Anwalt wird kraft<br />
Gesetzes bescheinigt, aber auch als<br />
Pflicht auferlegt, dass er „Organ der<br />
Rechtspflege“ sei, Mittler zugunsten<br />
des Bürgers, dem Unrecht geschehen<br />
Rechtsanwalt Prof.<br />
Dr. Friedrich Graf<br />
von Westphalen ist<br />
Mitglied des Vorstandes<br />
des Deutschen<strong>Anwaltverein</strong>s.<br />
ist. Und es sind die essenziellen Werte<br />
des anwaltlichen Berufsstandes, die<br />
sein Bild zeichnen sollen: Die Unabhängigkeit,<br />
die Verschwiegenheit und<br />
das Gebot, keine widerstreitenden Interessen<br />
zu vertreten.<br />
Doch alle Institutionen, als deren<br />
Repräsentanten Anwalt, Priester oder<br />
Arzt in der Öffentlichkeit erscheinen,<br />
haben inzwischen mehr oder weniger<br />
nachhaltig ihre Sinnkrise erlebt. Sie<br />
sind brüchig geworden, weil der<br />
Bürger, geprägt von den Anforderungen<br />
des „Aufstandes der Massen“ (Ortega<br />
y Gasset) den langen Weg zur „Individualisierung<br />
der Massen“<br />
(Meinhard Miegel) zurückgelegt hat,<br />
an dessen Wegziel das „Ende des Individualismus“<br />
sich abzeichnet, wie die<br />
treffliche Zeitkritik von Miegel/Wahl<br />
lautet, mit dem – gültigen – Untertitel:<br />
„Die Kultur des Westens zerstört sich<br />
selbst“ (Bonn 1994). Und mit der Krise<br />
der Institution, mit dem Verlust der damit<br />
einhergehenden Amtsautorität ist<br />
ganz zwingend auch eine Einbuße der<br />
dem jeweiligen Amtsträger zufließenden<br />
Autorität, aber auch an fraglos ihm<br />
zuteil werdendem Vertrauen verbunden.<br />
Kaum ein Berufsstand erlebte dieses<br />
Zerbrechen der Institutionen, den<br />
Verlust an Ansehen und Prestige wie<br />
die Universitätslehrer. Gegenwärtig<br />
sind vor allem die Kirche und die in<br />
ihr dienenden Priester erfasst. Die erschreckend<br />
weiter sinkende Zahl der<br />
sonntäglichen Messbesuche ist hierfür<br />
ein untrügliches Indiz. Schon lange<br />
wird der Priester nicht mehr als Träger<br />
eines Weiheamtes verstanden, wertgeschätzt<br />
oder auch in dieser Funktion<br />
überhaupt noch gesehen. Es ist allein<br />
oder doch zumindest in erster Linie<br />
nur die Person des einzelnen Priesters,<br />
die – wenn denn überhaupt – Ansehen<br />
und Anerkennung kraft der seiner Person<br />
zufließenden Autorität erfährt, Vertrauen<br />
und Zuwendung eingeschlossen.<br />
Es ist eine Abstimmung mit den<br />
Füßen, die sich Sonntag für Sonntag in<br />
den Gemeinden vollzieht, weil die alles<br />
entscheidende Frage nur noch dahin<br />
lautet: Was nützt es mir, der Priester,<br />
der Gottesdienst, die Predigt und<br />
damit auch die Kirche, ihre caritativen<br />
Dienste eingeschlossen?<br />
In der Person des Arztes wird diese<br />
Diskrepanz zwischen Institution –<br />
staatliche Gesundheitsvorsorge – und<br />
dem Ansehen des einzelnen Mediziners<br />
auch sehr deutlich. Als Teil des<br />
staatlichen Gesundheitssystems hat der<br />
Arzt jegliche Anerkennung und auch<br />
fast jedes Prestige eingebüßt. In dem<br />
Dreieck zwischen Kassen, Pharmaindustrie<br />
und Politik ist seine Autorität<br />
weithin zerrieben worden; vor allem<br />
das Zerrbild des Funktionärs und des<br />
Lobbyisten überlebt hier. Derweilen<br />
konstatiert der Bürger missmutig, dass<br />
es offenbar zum staatlichen Gesundheitssystem<br />
und seinen horrenden Kosten<br />
keine preiswerte Alternative gibt.<br />
Doch der „Hausarzt“ vor Ort genießt<br />
Vertrauen, oft das ganz und gar uneingeschränkte<br />
Vertrauen seiner Patienten,<br />
erst recht der gefragte, der weithin<br />
gesuchte Spezialist. Und auch die Reputation<br />
eines Krankenhauses ist nur<br />
die Summe des Rufs der dort tätigen<br />
Ärzte, selektiv vor allem, keineswegs<br />
kollektiv für alle Krankheiten und<br />
Sparten gleichermaßen.<br />
Man mag darüber streiten, ob es<br />
einmal so etwas gab, was als Institution<br />
Anwaltschaft überhaupt zu erkennen<br />
war. Vielleicht früher einmal (sieht<br />
AnwBl 8 + 9/2004<br />
man von der NS-Zeit einmal gründlich<br />
ab) war es anders: Der Anwalt wurde<br />
als Teil der „Rechtspflege“, als deren<br />
„Organ“, aber auch als Antipode der<br />
Justiz wahrgenommen. Daher war die<br />
anwaltliche Unabhängigkeit – lange<br />
umkämpft und als später Erfolg des<br />
Rechtsstaats gefeiert – immer auch<br />
und notwendigerweise Staatsferne,<br />
Gegnerschaft zum Staat und seinem<br />
Machtanspruch, der im Sinn des<br />
Rechts und des Gesetzes zugunsten<br />
des Bürgers zu mäßigen und zu maßregeln<br />
war. Inzwischen aber ist es offenkundig<br />
so, dass die Sinnkrise der<br />
Institutionen – Staat, Schule, Universität,<br />
Kirche, Familie und Ehe – auch<br />
an der Anwaltschaft nicht vorbeigegangen<br />
ist, sozusagen sie verschont<br />
hat. Diese Entwicklung freilich färbt<br />
unmittelbar auf das eigene Selbst- und<br />
Es geht um<br />
Fortbildungspflicht und<br />
Spezialisierung,<br />
es geht um Qualität<br />
Wertverständnis der Anwälte ab, nicht<br />
minder aber auch auf das Vertrauen<br />
und auf den Respekt, der ihnen der<br />
Bürger in der Öffentlichkeit entgegenbringt.<br />
Denn sie verkörpern die den anwaltlichen<br />
Beruf prägenden Werte –<br />
Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und<br />
keine Vertretung widerstreitender Interessen<br />
– nicht mehr im Kollektiv ihres<br />
Standes, sondern nur noch als je handelnde<br />
Personen, als Individuen eben,<br />
und dies notwendigerweise in unterschiedlicher<br />
Deutlichkeit, oft auch<br />
mit nachlassender Überzeugungskraft.<br />
Zwangsläufig ist daher der Befund:<br />
Nicht mehr dem anwaltlichen Berufsstand<br />
in seiner Gesamtheit bringt der<br />
Bürger Vertrauen und Respekt entgegen,<br />
sondern nur noch dem je einzelnen<br />
Anwalt, auch wenn Verfassungsrecht<br />
und Politologie uns lehren, dass<br />
die Funktion der freien und unabhängigen<br />
Anwaltschaft für einen freiheitlichen<br />
Rechtsstaat konstitutiv ist.<br />
Es ist eben so – unabänderlich fürs<br />
erste sicherlich – , die ungefragte und<br />
aus sich selbst heraus legitimierte<br />
Amtsautorität einer Institution gibt es<br />
nicht mehr, weder in der Kirche noch<br />
im Staat, weder bei den politischen<br />
Parteien noch bei der Wirtschaft. Kein<br />
Berufsstand kann sich aus dieser<br />
Schlinge befreien. Nur noch die Auto-