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Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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524<br />

MN<br />

Württemberg ist er besonders „farbig“ angesichts der hier vorzufindenden<br />

einmaligen notariellen „Artenvielfalt“ bis hin zum zwar<br />

grundgesetzlich abgesicherten, jedoch völlig antiquierten und letztlich<br />

nur aus fiskalischen Gründen beibehaltenen beamteten Notar.<br />

Bisher dominierend ist das Anwaltsnotariat. Es weist aber vor allem<br />

im Hinblick auf die Zulassungsvoraussetzungen gravierende<br />

Defizite auf, über welche die betroffene Berufsgruppe wie auch<br />

die Justizverwaltungen beharrlich den Mantel des Schweigens in<br />

der Vergangenheit gelegt hatten.<br />

2. Das BVerfG hat mit dem Grundsatzbeschluss dieser Vogel-<br />

Strauß-Politik nunmehr ein Ende gesetzt. Zwar hat das Gericht<br />

nicht die gesetzlichen Regelungen für den Zugang zum (Anwalts-)Notariat<br />

in § 6 BNotO beanstandet. Die darin genannten<br />

Kriterien der Eignung und fachlichen Leistung wurden trotz ihrer<br />

Unbestimmtheit verfassungsgerichtlich gebilligt. Keine Gnade vor<br />

den Augen der Verfassungsrichter fanden jedoch die auf Grund der<br />

gesetzlichen Ermächtigung in § 6 Abs. 3 BNotO von den Ländern<br />

erlassenen Verwaltungsvorschriften der AVNot und die auf deren<br />

Grundlage geübte Praxis einschließlich der weitgehend konzeptionslosen<br />

Judikatur des Notarsenats des BGH. Den Fachgerichten<br />

gelang es nicht, die Bestimmungen der AVNot einer der aktuellen<br />

Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 GG entsprechenden Auslegung<br />

zuzuführen. Der BGH verstärkte zudem die Auswirkungen<br />

der problematischen Deckelung beim Teilbereich „Vorbereitung<br />

auf die notarielle Tätigkeit“ durch Fortbildung und Vertretungen<br />

noch erheblich dadurch, dass zunächst eine Vergabe von Sonderpunkten<br />

für im Rahmen der Grundkurse freiwillig geschriebene<br />

Klausuren 1 und später solche für eine Tätigkeit als ständiger Notarvertreter<br />

2 für nicht zulässig erklärt wurden.<br />

Völlig zu Recht fordert nunmehr das BVerfG, dass sich in der<br />

Zukunft in Konkretisierung des § 6 BNotO die von den Justizverwaltungen<br />

zu formulierenden Zugangskriterien für den Zugang<br />

zum Anwaltsnotariat an der Notarfunktion ausrichten müssen.<br />

Maßgeblich für die Vergabe sind danach vor allem fachbezogene<br />

Anforderungen für den Zugang zum Anwaltsnotariat.<br />

3. Die Entscheidung des BVerfG hat verständlicherweise gravierende<br />

Folgen für Bewerber um Notarstellen.<br />

a) Wenn in der Zukunft z. B. der Examensnote eine geringere<br />

Bedeutung zukommt, auch nicht alle Anwaltstätigkeiten – als Beispiel<br />

sei nur das Strafrecht genannt – undifferenziert „vergabepunktfähig“<br />

sind, dann müssen sie verstärkt sich darum bemühen,<br />

dass sie notarspezifische Kenntnisse nachweisen können. Die<br />

sicherste „Bank“ sind im derzeitigen Stadium angesichts der erheblichen<br />

Unsicherheit bis zur Neufassung einer AVNot und deren Billigung<br />

durch die Gerichte praktische Tätigkeiten als Notarvertreter<br />

oder anwaltliche Tätigkeiten bei der Vertragsgestaltung sowie<br />

geprüfte und bewertete notarspezifische Lehrgänge.<br />

b) Soweit Stellen ausgeschrieben sind, stellt sich natürlich die<br />

Frage, ob noch nicht abgeschlossene Verfahren fortgesetzt werden<br />

können bzw. sollen oder müssen. Diejenigen Bewerber, deren Ernennung<br />

unmittelbar bevorsteht und die bisher nur wegen eines<br />

Konkurrentenstreits warten mussten, den ein Mitbewerber „angezettelt“<br />

hat, sind verständlicherweise vielfach daran interessiert,<br />

dass die Justizverwaltung das Verfahren fortsetzt und nicht abbricht.<br />

c) Grundsätzlich kann eine Ausschreibung jedoch abgebrochen<br />

werden. Voraussetzung ist jedoch einmal, dass sie nicht willkürlich<br />

erfolgt; es muss daher hierfür ein sachlicher Grund bestehen 3 . Das<br />

insoweit bestehende Ermessen ist vor allem zusätzlich verfassungsrechtlich<br />

eingeschränkt. Das BVerfG 4 hat zu Recht betont, dass die<br />

Verwirklichung der Grundrechte – auch im Verfahren der Notarauswahl<br />

– eine dem Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung<br />

erfordert. Das gelte gerade und auch für die Wahrung der<br />

Rechte der Notarbewerber aus Art. 12 I GG. Durch die Gestaltung<br />

des Auswahlverfahrens werde unmittelbar Einfluss auf die Konkurrenzsituation<br />

und damit das Ergebnis der Auswahlentscheidung genommen.<br />

Insbesondere durch die Art der Bekanntgabe der offenen<br />

Stellen und die Terminierung von Bewerbungen und Besetzungen,<br />

aber auch durch den Abbruch von laufenden Verfahren lasse sich<br />

die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern 5 . So werde mit<br />

jedem Abbruch einer Ausschreibung und der erneuten Ausschreibung<br />

der Notarstelle die Bewerbersituation durch das Nachrücken<br />

dienstjüngerer Notarassessoren verändert. Es bedürfe für die rechtund<br />

verfassungsmäßige Ausübung des Ermessensspielraums der<br />

AnwBl 8 + 9/2004<br />

Rechtsprechung<br />

Verwaltung einer Abwägung der öffentlichen Interessen und der<br />

Grundrechte der Bewerber.<br />

Dieses Gebot der Abwägung erfordert somit auch zur Wahrung<br />

der Grundrechte der betroffenen Bewerber, dass sorgfältig das Vorliegen<br />

der Voraussetzungen für einen Abbruch geprüft wird. Erfolgt<br />

er ohne eine solche Prüfung, dann liegt Ermessensnichtgebrauch<br />

vor; bedeutet der Abbruch einen unverhältnismäßigen<br />

Grundrechtseingriff, dann ist er verfassungswidrig. Vor einem vorschnellen<br />

Abbruch kann die Landesjustizverwaltung daher nur gewarnt<br />

werden.<br />

d) Die Entscheidung des BVerfG verpflichtet die Landesjustizverwaltung<br />

ebenfalls nicht, laufende und kurz vor dem Abschluss<br />

stehende Verfahren zurückzunehmen und ggfs. eine Neuausschreibung<br />

vorzunehmen. Soweit entsprechende Verfahren bereits anhängig<br />

sind, gilt Folgendes:<br />

aa) Grundsätzlich sollte die Landesjustizverwaltung ihre bisherigen<br />

Entscheidungen am Maßstab der Kriterien des BVerfG<br />

überprüfen. Sie kann dann je nach Ausgang der Prüfung die Entscheidung<br />

bestätigen oder korrigieren.<br />

bb) In völlig eindeutigen Fällen, wenn also – wie bei einem der<br />

Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerdeentscheidung –<br />

eine unvergleichlich lange, bisher der Deckelung zum Opfer gefallene<br />

Vertretungspraxis vorliegt bei ansonsten weitgehend gleichen<br />

Nachweisen, könnte das Gericht auch ohne eine solche<br />

Neuüberprüfung seitens der Verwaltung durchentscheiden.<br />

cc) Im Regelfall kann hingegen nicht das Gericht die Auswahlentscheidung<br />

selbst treffen auf Grund der vom BVerfG vorgegebenen<br />

Kriterien angesichts des Beurteilungsspielraums der Verwaltung,<br />

den das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung wie folgt<br />

beschrieben hat: „Eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Auswahl<br />

wird die für den Notarberuf wesentlichen Eigenschaften, also die<br />

fachliche Eignung der Bewerber, ebenso differenziert zu bewerten<br />

haben wie die von ihnen in der Vorbereitung auf das praktische<br />

Amt gezeigten theoretischen und praktischen Erkenntnisse. Solange<br />

weder die erworbenen theoretischen Kenntnisse der Bewerber um<br />

ein Anwaltsnotariat noch deren praktische Erfahrungen insbesondere<br />

bei den Beurkundungen bewertet sind, wird in Abwägung zu<br />

den weiterhin berücksichtigungsfähigen Leistungen aus der die<br />

Ausbildung abschließenden Prüfung eine individuelle Prognose<br />

über die Eignung des Bewerbers im weiteren Sinne zu treffen sein.<br />

Dabei kommt den beiden genannten spezifischen Eignungskriterien<br />

im Verhältnis zur Anwaltspraxis und dem Ergebnis des Staatsexamens<br />

eigenständiges Gewicht zu.“ Die danach anzustellende Prognoseentscheidung<br />

ist allein Sache der Landesjustizverwaltung im<br />

Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums.<br />

e) Wegen des Erfordernisses einer Überprüfung der Verwaltungsentscheidung<br />

bedarf es jedenfalls nicht ohne weiteres einer<br />

vorzeitigen Beendigung laufender gerichtlicher Verfahren durch<br />

Rücknahme der angefochtenen Auswahlentscheidung. Soweit teilweise<br />

von den Gerichten gegenüber Landesjustizverwaltungen eine<br />

solche Rücknahme nahe gelegt wird, weil sie ansonsten auf Grund<br />

des Beschlusses des BVerfG mit einer Verurteilung zur Neubescheidung<br />

rechnen müssten, vermag dies nicht ganz zu überzeugen.<br />

Schließlich müsste die Entscheidung der Justizverwaltung rechtswidrig<br />

sein. Sie ist aber dann nicht rechtswidrig, wenn sie sich im<br />

Ergebnis doch als rechtmäßig erweist ungeachtet der verfassungsgerichtlichen<br />

Vorgaben.<br />

f) Es kann sich daher in vielen Fällen empfehlen, anhängige<br />

Verfahren zum Ruhen zu bringen bis zu einer Neuentscheidung der<br />

Verwaltung.<br />

aa) Dieses Verfahren ist prozessökonomisch, da den Betroffenen<br />

wie den Gerichten neue Verfahren in der gleichen Sache erspart<br />

werden. Es entspricht vergleichbaren Regelungen in der<br />

VwGO 6 , welche den Behörden auch bei Ermessen und Beurteilungsspielräumen<br />

noch während des gerichtlichen Verfahrens er-<br />

1 DNotZ 1997, 879 = BGH, NJW-RR 1997, 948; DNotZ 1999, 237 – NJW-RR<br />

1998, 637.<br />

2 BGH, DNotZ 1999, 248.<br />

3 BGH NJW-RR 2001,1136; BGH DNotZ 1997, 889.<br />

4 AnwBl. 2003, 110, 111.<br />

5 Vgl. auch BVerfGE 73, 280, 296.<br />

6 Vgl. nur § 114 S. 2 VwGO.

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