Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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MN<br />
Württemberg ist er besonders „farbig“ angesichts der hier vorzufindenden<br />
einmaligen notariellen „Artenvielfalt“ bis hin zum zwar<br />
grundgesetzlich abgesicherten, jedoch völlig antiquierten und letztlich<br />
nur aus fiskalischen Gründen beibehaltenen beamteten Notar.<br />
Bisher dominierend ist das Anwaltsnotariat. Es weist aber vor allem<br />
im Hinblick auf die Zulassungsvoraussetzungen gravierende<br />
Defizite auf, über welche die betroffene Berufsgruppe wie auch<br />
die Justizverwaltungen beharrlich den Mantel des Schweigens in<br />
der Vergangenheit gelegt hatten.<br />
2. Das BVerfG hat mit dem Grundsatzbeschluss dieser Vogel-<br />
Strauß-Politik nunmehr ein Ende gesetzt. Zwar hat das Gericht<br />
nicht die gesetzlichen Regelungen für den Zugang zum (Anwalts-)Notariat<br />
in § 6 BNotO beanstandet. Die darin genannten<br />
Kriterien der Eignung und fachlichen Leistung wurden trotz ihrer<br />
Unbestimmtheit verfassungsgerichtlich gebilligt. Keine Gnade vor<br />
den Augen der Verfassungsrichter fanden jedoch die auf Grund der<br />
gesetzlichen Ermächtigung in § 6 Abs. 3 BNotO von den Ländern<br />
erlassenen Verwaltungsvorschriften der AVNot und die auf deren<br />
Grundlage geübte Praxis einschließlich der weitgehend konzeptionslosen<br />
Judikatur des Notarsenats des BGH. Den Fachgerichten<br />
gelang es nicht, die Bestimmungen der AVNot einer der aktuellen<br />
Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 GG entsprechenden Auslegung<br />
zuzuführen. Der BGH verstärkte zudem die Auswirkungen<br />
der problematischen Deckelung beim Teilbereich „Vorbereitung<br />
auf die notarielle Tätigkeit“ durch Fortbildung und Vertretungen<br />
noch erheblich dadurch, dass zunächst eine Vergabe von Sonderpunkten<br />
für im Rahmen der Grundkurse freiwillig geschriebene<br />
Klausuren 1 und später solche für eine Tätigkeit als ständiger Notarvertreter<br />
2 für nicht zulässig erklärt wurden.<br />
Völlig zu Recht fordert nunmehr das BVerfG, dass sich in der<br />
Zukunft in Konkretisierung des § 6 BNotO die von den Justizverwaltungen<br />
zu formulierenden Zugangskriterien für den Zugang<br />
zum Anwaltsnotariat an der Notarfunktion ausrichten müssen.<br />
Maßgeblich für die Vergabe sind danach vor allem fachbezogene<br />
Anforderungen für den Zugang zum Anwaltsnotariat.<br />
3. Die Entscheidung des BVerfG hat verständlicherweise gravierende<br />
Folgen für Bewerber um Notarstellen.<br />
a) Wenn in der Zukunft z. B. der Examensnote eine geringere<br />
Bedeutung zukommt, auch nicht alle Anwaltstätigkeiten – als Beispiel<br />
sei nur das Strafrecht genannt – undifferenziert „vergabepunktfähig“<br />
sind, dann müssen sie verstärkt sich darum bemühen,<br />
dass sie notarspezifische Kenntnisse nachweisen können. Die<br />
sicherste „Bank“ sind im derzeitigen Stadium angesichts der erheblichen<br />
Unsicherheit bis zur Neufassung einer AVNot und deren Billigung<br />
durch die Gerichte praktische Tätigkeiten als Notarvertreter<br />
oder anwaltliche Tätigkeiten bei der Vertragsgestaltung sowie<br />
geprüfte und bewertete notarspezifische Lehrgänge.<br />
b) Soweit Stellen ausgeschrieben sind, stellt sich natürlich die<br />
Frage, ob noch nicht abgeschlossene Verfahren fortgesetzt werden<br />
können bzw. sollen oder müssen. Diejenigen Bewerber, deren Ernennung<br />
unmittelbar bevorsteht und die bisher nur wegen eines<br />
Konkurrentenstreits warten mussten, den ein Mitbewerber „angezettelt“<br />
hat, sind verständlicherweise vielfach daran interessiert,<br />
dass die Justizverwaltung das Verfahren fortsetzt und nicht abbricht.<br />
c) Grundsätzlich kann eine Ausschreibung jedoch abgebrochen<br />
werden. Voraussetzung ist jedoch einmal, dass sie nicht willkürlich<br />
erfolgt; es muss daher hierfür ein sachlicher Grund bestehen 3 . Das<br />
insoweit bestehende Ermessen ist vor allem zusätzlich verfassungsrechtlich<br />
eingeschränkt. Das BVerfG 4 hat zu Recht betont, dass die<br />
Verwirklichung der Grundrechte – auch im Verfahren der Notarauswahl<br />
– eine dem Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung<br />
erfordert. Das gelte gerade und auch für die Wahrung der<br />
Rechte der Notarbewerber aus Art. 12 I GG. Durch die Gestaltung<br />
des Auswahlverfahrens werde unmittelbar Einfluss auf die Konkurrenzsituation<br />
und damit das Ergebnis der Auswahlentscheidung genommen.<br />
Insbesondere durch die Art der Bekanntgabe der offenen<br />
Stellen und die Terminierung von Bewerbungen und Besetzungen,<br />
aber auch durch den Abbruch von laufenden Verfahren lasse sich<br />
die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern 5 . So werde mit<br />
jedem Abbruch einer Ausschreibung und der erneuten Ausschreibung<br />
der Notarstelle die Bewerbersituation durch das Nachrücken<br />
dienstjüngerer Notarassessoren verändert. Es bedürfe für die rechtund<br />
verfassungsmäßige Ausübung des Ermessensspielraums der<br />
AnwBl 8 + 9/2004<br />
Rechtsprechung<br />
Verwaltung einer Abwägung der öffentlichen Interessen und der<br />
Grundrechte der Bewerber.<br />
Dieses Gebot der Abwägung erfordert somit auch zur Wahrung<br />
der Grundrechte der betroffenen Bewerber, dass sorgfältig das Vorliegen<br />
der Voraussetzungen für einen Abbruch geprüft wird. Erfolgt<br />
er ohne eine solche Prüfung, dann liegt Ermessensnichtgebrauch<br />
vor; bedeutet der Abbruch einen unverhältnismäßigen<br />
Grundrechtseingriff, dann ist er verfassungswidrig. Vor einem vorschnellen<br />
Abbruch kann die Landesjustizverwaltung daher nur gewarnt<br />
werden.<br />
d) Die Entscheidung des BVerfG verpflichtet die Landesjustizverwaltung<br />
ebenfalls nicht, laufende und kurz vor dem Abschluss<br />
stehende Verfahren zurückzunehmen und ggfs. eine Neuausschreibung<br />
vorzunehmen. Soweit entsprechende Verfahren bereits anhängig<br />
sind, gilt Folgendes:<br />
aa) Grundsätzlich sollte die Landesjustizverwaltung ihre bisherigen<br />
Entscheidungen am Maßstab der Kriterien des BVerfG<br />
überprüfen. Sie kann dann je nach Ausgang der Prüfung die Entscheidung<br />
bestätigen oder korrigieren.<br />
bb) In völlig eindeutigen Fällen, wenn also – wie bei einem der<br />
Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerdeentscheidung –<br />
eine unvergleichlich lange, bisher der Deckelung zum Opfer gefallene<br />
Vertretungspraxis vorliegt bei ansonsten weitgehend gleichen<br />
Nachweisen, könnte das Gericht auch ohne eine solche<br />
Neuüberprüfung seitens der Verwaltung durchentscheiden.<br />
cc) Im Regelfall kann hingegen nicht das Gericht die Auswahlentscheidung<br />
selbst treffen auf Grund der vom BVerfG vorgegebenen<br />
Kriterien angesichts des Beurteilungsspielraums der Verwaltung,<br />
den das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung wie folgt<br />
beschrieben hat: „Eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Auswahl<br />
wird die für den Notarberuf wesentlichen Eigenschaften, also die<br />
fachliche Eignung der Bewerber, ebenso differenziert zu bewerten<br />
haben wie die von ihnen in der Vorbereitung auf das praktische<br />
Amt gezeigten theoretischen und praktischen Erkenntnisse. Solange<br />
weder die erworbenen theoretischen Kenntnisse der Bewerber um<br />
ein Anwaltsnotariat noch deren praktische Erfahrungen insbesondere<br />
bei den Beurkundungen bewertet sind, wird in Abwägung zu<br />
den weiterhin berücksichtigungsfähigen Leistungen aus der die<br />
Ausbildung abschließenden Prüfung eine individuelle Prognose<br />
über die Eignung des Bewerbers im weiteren Sinne zu treffen sein.<br />
Dabei kommt den beiden genannten spezifischen Eignungskriterien<br />
im Verhältnis zur Anwaltspraxis und dem Ergebnis des Staatsexamens<br />
eigenständiges Gewicht zu.“ Die danach anzustellende Prognoseentscheidung<br />
ist allein Sache der Landesjustizverwaltung im<br />
Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums.<br />
e) Wegen des Erfordernisses einer Überprüfung der Verwaltungsentscheidung<br />
bedarf es jedenfalls nicht ohne weiteres einer<br />
vorzeitigen Beendigung laufender gerichtlicher Verfahren durch<br />
Rücknahme der angefochtenen Auswahlentscheidung. Soweit teilweise<br />
von den Gerichten gegenüber Landesjustizverwaltungen eine<br />
solche Rücknahme nahe gelegt wird, weil sie ansonsten auf Grund<br />
des Beschlusses des BVerfG mit einer Verurteilung zur Neubescheidung<br />
rechnen müssten, vermag dies nicht ganz zu überzeugen.<br />
Schließlich müsste die Entscheidung der Justizverwaltung rechtswidrig<br />
sein. Sie ist aber dann nicht rechtswidrig, wenn sie sich im<br />
Ergebnis doch als rechtmäßig erweist ungeachtet der verfassungsgerichtlichen<br />
Vorgaben.<br />
f) Es kann sich daher in vielen Fällen empfehlen, anhängige<br />
Verfahren zum Ruhen zu bringen bis zu einer Neuentscheidung der<br />
Verwaltung.<br />
aa) Dieses Verfahren ist prozessökonomisch, da den Betroffenen<br />
wie den Gerichten neue Verfahren in der gleichen Sache erspart<br />
werden. Es entspricht vergleichbaren Regelungen in der<br />
VwGO 6 , welche den Behörden auch bei Ermessen und Beurteilungsspielräumen<br />
noch während des gerichtlichen Verfahrens er-<br />
1 DNotZ 1997, 879 = BGH, NJW-RR 1997, 948; DNotZ 1999, 237 – NJW-RR<br />
1998, 637.<br />
2 BGH, DNotZ 1999, 248.<br />
3 BGH NJW-RR 2001,1136; BGH DNotZ 1997, 889.<br />
4 AnwBl. 2003, 110, 111.<br />
5 Vgl. auch BVerfGE 73, 280, 296.<br />
6 Vgl. nur § 114 S. 2 VwGO.