Entwurf_Titel_2 1..1 - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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AnwBl 8 + 9/2004 507<br />
Mitteilungen MN<br />
die Verpflichtung des Gerichts, diese zu bescheiden und gegebenenfalls<br />
bei Ablehnung auch zu begründen (§ 34<br />
StPO). Die zukünftige Realität in Strafverfahren, in denen<br />
konsequent verteidigt wird, wird daher eine Unzahl bisher<br />
nicht gekannter Vereidigungsanträge und hierauf notwendige<br />
Entscheidungen des Gerichts auszeichnen. Es wird das<br />
Gegenteil von dem erreicht, was den Vereinfachungs- und<br />
Beschleunigungsvorstellungen des Gesetzgebers entsprach.<br />
Möglicherweise wird die Erfahrung in einigen Jahren<br />
zeigen, dass das konsensuale Element des § 61 Nr. 5 StPO<br />
a. F. die bessere Lösungsmöglichkeit darstellte.<br />
III. Durchsicht von Schriftstücken bei Durchsuchungen<br />
durch Polizeibeamte (§ 110 StPO)<br />
Durchsuchungsaktionen haben sich zum Standard staatsanwaltlicher<br />
Ermittlungstätigkeit entwickelt. Die Suche in<br />
Wohnungen oder Geschäftsräumen des Betroffenen nach<br />
Beweismaterial führt zwangsläufig dazu, dass eine Unzahl<br />
höchstprivater Schriftstücke zunächst gesichtet werden<br />
muss, bevor deren Beweisrelevanz eingeschätzt werden<br />
kann. Es besteht die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung<br />
der privaten Geheimnissphäre. Zum Schutz dieser Interessen<br />
sah das Gesetz früher vor, dass eine solche Sichtung<br />
ausschließlich durch den Richter erfolgen dürfe,<br />
zuletzt ist dies auf den Staatsanwalt ausgeweitet worden.<br />
Seine Hilfsbeamten (jetzt: Ermittlungspersonen) konnten<br />
solche Schriftstücke nur einsammeln, versiegeln und ihm<br />
zur eigentlichen Durchsicht vorlegen. Die aktuelle Gesetzesänderung<br />
lässt die Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen<br />
endgültig zurücktreten und überlässt allen durchsuchenden<br />
Polizeibeamten das Recht zur Durchsicht von<br />
Papieren, wenn dies der Staatsanwalt angeordnet hat.<br />
Von dieser Anordnung wird erwartungsgemäß die<br />
Staatsanwaltschaft in weitem Umfang Gebrauch machen.<br />
Die Konsequenz der Gesetzesänderung müssen verstärkte<br />
Bemühungen der Verteidigung sein, die eigene Anwesenheit<br />
während der Durchsuchung sicherzustellen. Nur so<br />
kann bei jeder Einzelsichtung den durchsuchenden Beamten<br />
deutlich gemacht werden, welche konkreten schonenden<br />
Schritte denkbar sind, das im Durchsuchungsbeschluss<br />
beschriebene Ziel zu erreichen, ohne den gesamten Privatbereich<br />
des Beschuldigten umzupflügen.<br />
IV.Verlängerung der Unterbrechungsfristen<br />
(§ 229 StPO)<br />
Das zur Modernisierung und Beschleunigung des Strafverfahrens<br />
gedachte Gesetz verschafft dem Gericht bemerkenswerte<br />
Möglichkeiten, das Verfahren in die Länge zu<br />
ziehen. Konnte ein einheitlicher Strafprozess bislang lediglich<br />
10 Tage unterbrochen werden, sieht das Gesetz nunmehr<br />
eine Maximalfrist von drei Wochen vor. Ist ein Block<br />
von 10 Verhandlungstagen absolviert, hat das Gericht die<br />
Möglichkeit zu weiteren Unterbrechungen von jeweils bis<br />
zu einem Monat.<br />
Schiebetermine sollten damit verhindert und Prozesse effektiver<br />
gestaltet werden. Für die Verhinderung neuer nunmehr<br />
weiter auseinander liegender Schiebetermine hat allerdings<br />
auch das neue Gesetz keine Strategie. Die flexible<br />
Terminsgestaltung sollte offensichtlich dem Zweck dienen,<br />
bisherige Revisionsklippen besser umschiffen zu können.<br />
Der Preis könnte sehr hoch sein.<br />
Konnte die alte Regelung für sich in Anspruch nehmen,<br />
zwangsläufig zu einer – zumeist ausreichenden – Förderung<br />
des Verfahrens zu führen, bietet die neue großzügige gesetzliche<br />
Regelung den Rahmen, der auch eindeutig dilatorisches<br />
Prozessverhalten des Gerichts umfassen kann. Alle<br />
Verfahrensbeteiligten werden sich darauf einstellen müssen,<br />
die Terminierung in jedem Einzelfall daraufhin zu<br />
überprüfen, ob der Beschleunigungsgrundsatz des Artikel 6<br />
Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewahrt<br />
worden ist. Die Möglichkeit der Rügen auch in der<br />
Revision dürften erhöht worden sein.<br />
Eine zusätzliche Unterbrechungsmöglichkeit im laufenden<br />
Prozess bietet die Neuformulierung des § 229 Abs. 3<br />
StPO. Erkrankt ein Richter oder Schöffe, kann nunmehr bis<br />
zu 6 Wochen auf dessen Gesundung zugewartet werden,<br />
ohne dass das Verfahren ausgesetzt werden muss.<br />
V.Verzicht auf den Protokollführer (§ 226 StPO)<br />
Nach den Vorstellung des Gesetzgebers soll in einfachen<br />
Strafverfahren vor dem Strafrichter der Urkundsbeamte der<br />
Geschäftsstelle nur noch seltener Gast sein. Der Strafrichter<br />
allein soll – wenn er das für richtig erachtet – für das Protokoll<br />
zuständig sein. Ist der Urkundsbeamte nicht anwesend,<br />
braucht er das Protokoll auch nicht zu unterschreiben<br />
(§ 273 StPO).<br />
Es gehört wenig Phantasie und nur die Erinnerung an zivilprozessuale<br />
Beweisaufnahmen dazu, sich die massive<br />
Änderung des Charakters einer Hauptverhandlung vorzustellen,<br />
in der der Strafrichter eine Verhandlung nicht nur<br />
führt und den Inhalt der Beweisaufnahme rezipiert, sondern<br />
darüber hinaus auch den Verlauf des Geschehens sowohl<br />
inhaltlich als auch hinsichtlich der Einhaltung der Formalien<br />
protokolliert. Arbeitserleichterung ist daher von der<br />
neuen Regelung kaum zu erwarten.<br />
VI. Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten von<br />
Urkunden (§ 251, 256 StPO)<br />
Eine der wichtigsten Möglichkeiten im Strafprozess,<br />
eine qualitativ hohe Basis für die Erforschung der Wahrheit<br />
zu gewinnen, ist das Prinzip der unmittelbaren Beweiserhebung.<br />
Protokollverlesung statt einer unmittelbaren Befragung<br />
stellte bislang eine kalkulierte Ausnahme von der konsequenten<br />
Durchführung des Unmittelbarkeitsprinzips dar,<br />
das dem deutschen Strafprozessrecht auch im europäischen<br />
Vergleich durchaus eine herausragende Stellung einräumte.<br />
Ohne dass eine zusätzliche Kontrolle bei einer Protokoll<br />
erstellung – beispielsweise durch einen Ermittlungsrichter<br />
– im Ermittlungsverfahren vorgesehen ist, erweitert der Gesetzgeber<br />
nun in bedeutsamen Umfang diese Verlesungsmöglichkeiten.<br />
Neben einer begrüßenswerten redaktionellen<br />
Änderung des § 251 StPO ermöglicht diese Vorschrift auch<br />
die Verlesung von Gutachten. Ist der Sachverständige für<br />
das jeweilige Fachgebiet allgemein vereidigt, besteht nunmehr<br />
die Möglichkeit, dass keiner der Verfahrensbeteiligten<br />
ihn in der Hauptverhandlung jemals zu Gesicht bekommt.<br />
Eine Fülle von phantasievollen Beweisanträgen der Verteidigung<br />
wird die Folge sein, um berechtigten Klärungsinteressen<br />
in der Hauptverhandlung zum Durchbruch zu verhelfen.<br />
Als eine massive Verschiebung der Gewichte im Strafprozess<br />
wird sich auch die Neuregelung des § 256 StPO