Auf dem Weg zu zwei, drei, vier Kurdistans? - Goethe-Universität
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© 2012 Egbert Jahn – Zitieren bitte nur unter Angabe der Quelle<br />
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men tragen. Das gilt außer für Frankreich auch für Polen und Deutschland und viele andere.<br />
Über diese Entscheidung hinaus wurde aber in der Türkei über Jahrzehnte hinweg die Existenz<br />
von Kurden, einer kurdischen Sprache und Kultur geleugnet und diejenigen Bürger der<br />
Türkei schwer bestraft, die diese Existenz behaupteten und die kurdische Sprache öffentlich<br />
gebrauchten. Dementsprechend wurden kurdische Vereine und Parteien verboten und unterdrückt,<br />
auch nach<strong>dem</strong> bereits türkische Parteien neben der ursprünglichen Einheitspartei erlaubt<br />
worden waren, also seit 1946. Die Türkei ist ein extrem nationalisierender Staat, wie es<br />
Rogers Brubaker nennt, der seine Bürger ethnisch homogenisieren möchte. Die Auslöschung<br />
auch nur der bescheidensten Ausdrucksformen ethnischer Besonderheit wie des öffentlichen<br />
Gebrauchs von kurdischen Orts-, Familien- und Vornamen war lange Zeit und ist <strong>zu</strong>m Teil<br />
auch heute noch Ziel einer extremistischen ethnonationalen Assimilierungspolitik.<br />
Dennoch konnten immer wieder kurdische Vereinigungen und Parteien unter verschleiernden<br />
Bezeichnungen entstehen, die sich an den repressiven gesetzlichen Vorgaben orientieren. Außer<strong>dem</strong><br />
konnten die türkischen Behörden nicht die Entstehung illegaler Parteien verhindern,<br />
die unter einem nicht unerheblichen Teil der kurdischen Bevölkerung Resonanz fanden. International<br />
berühmt und als terroristische Vereinigung berüchtigt, in vielen Ländern auch illegalisiert<br />
wurde die Arbeiterpartei <strong>Kurdistans</strong> (Partiya Karkerên Kurdistan, PKK) unter ihrem<br />
ersten Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Die ursprünglich nicht nur national-, sondern auch sozialrevolutionäre<br />
Partei wurde 1978 nach fünf Jahren organisatorischer Vorbereitung gegründet.<br />
Sie trägt seit einigen Jahren wechselnde Namen und hat auch Schwesterorganisationen in<br />
Irak, Iran und Syrien. 1984 begann sie einen äußerst blutigen Guerillakrieg in der Türkei, in<br />
<strong>dem</strong> bis heute etwa 40.000 Menschen umkamen, meist Kurden, aber auch zahlreiche ethnische<br />
Türken. In diesem Bürgerkrieg wurden von den türkischen Behörden auch kurdische<br />
„Dorfschützer“ unter Ausnut<strong>zu</strong>ng von Stammes- und Clanquerelen eingesetzt, die besonders<br />
brutal vorgingen. Tausende von Dörfern wurden in diesem Krieg <strong>dem</strong> Erdboden gleich gemacht,<br />
zahllose Menschen in die Flucht nach der mittleren und westlichen Türkei oder nach<br />
Westeuropa gejagt oder systematisch vertrieben. 1999 wurde Öcalan in Kenia verhaftet, an<br />
die Türkei ausgeliefert und dort <strong>zu</strong>m Tode verurteilt. <strong>Auf</strong> internationalen Druck wurde die<br />
Todesstrafe nicht ausgeführt. Er wird seither auf einer Insel im Marmarameer in Haft gehalten,<br />
besitzt jedoch noch eine beträchtliche Autorität unter den Kurden. 1999 verkündete er<br />
einen einseitigen Waffenstillstand der PKK, der 2004 wieder aufgekündigt wurde, nach<strong>dem</strong><br />
die türkische Regierung nur geringe Konzessionen an ihre kurd-türkischen Mitbürger gemacht<br />
hatte. Seit <strong>dem</strong> <strong>zwei</strong>ten Golfkrieg kann die PKK auch Rück<strong>zu</strong>gsstellungen im Nordirak nut-