Auf dem Weg zu zwei, drei, vier Kurdistans? - Goethe-Universität
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© 2012 Egbert Jahn – Zitieren bitte nur unter Angabe der Quelle<br />
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als die nationalstaatliche Unabhängigkeit: einen effektiven Minderheitenschutz als Minimalziel<br />
und eine territoriale Autonomie oder eine föderative Staatlichkeit innerhalb des bestehenden<br />
Staates. Dennoch spielt das Streben nach kurdischer nationalstaatlicher Unabhängigkeit,<br />
vorwiegend erst einmal vom eigenen bestehenden Staat, seltener auch staatenübergreifend<br />
auch von den Nachbarstaaten, eine nicht ganz unbedeutende Rolle, so daß solche Bestrebungen<br />
von den <strong>vier</strong> Staaten gern <strong>zu</strong>r Legitimation der Unterdrückung auch geringerer Zielset<strong>zu</strong>ngen<br />
von kurdischen Parteien und Organisationen genutzt werden können. Damit kann sich<br />
der politische Extremismus von Kurden immer wieder mit <strong>dem</strong> Extremismus von Türken,<br />
Arabern und Persern wechselseitig aufschaukeln.<br />
Seit den 1980er Jahren zog über viele Jahre hinweg vor allem die kurdische nationale Bewegung<br />
in der Türkei internationale <strong>Auf</strong>merksamkeit auf sich, weil der extrem gewaltsame Umgang<br />
der Türkei mit ihrer kurdischen Bevölkerung, terroristische Anschläge der Kurden und<br />
bürgerkriegsartige Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen in Ostanatolien gewichtige Argumente gegen einen<br />
Beitritt der Türkei <strong>zu</strong>r Europäischen Union lieferten. Seit <strong>dem</strong> <strong>zwei</strong>ten Golfkrieg 1991 trat<br />
jedoch die Kurdenfrage in Irak <strong>zu</strong>nehmend in den Vordergrund internationaler <strong>Auf</strong>merksamkeit<br />
und Politik. Die Bildung einer Flugverbotszone und einer Schutzzone der Vereinten Nationen<br />
im Norden Iraks leitete die Eigenständigkeit der Verwaltung und der Streitkräfte der<br />
kurdischen Siedlungsgebiete in Irak ein. Im dritten Golfkrieg 2003 wurden die kurdischen<br />
bewaffneten Verbände Peschmerga (d. h. „Die <strong>dem</strong> Tod ins Auge Sehenden“) faktisch <strong>zu</strong><br />
Verbündeten der US-Streitkräfte. Sie sichern ein weitgehend selbständiges kurdisches Staatswesen<br />
in Irak, das aber in den Gesamtstaat eingebunden bleibt.<br />
Die vielleicht wichtigste Streitfrage ist gegenwärtig das Verlangen der Kurden nach einer<br />
Zugehörigkeit der Stadt und der Provinz Kirkuk, wo sich ausgedehnte Erdölfelder befinden,<br />
<strong>zu</strong>r Autonomen Region Kurdistan, die bislang aus <strong>drei</strong> der 18 Provinzen Iraks besteht. Eine<br />
kurdische Kontrolle über die Erdölfelder würde die Chancen einer finanziellen staatlichen<br />
Selbständigkeit und im Extremfalle auch Abspaltung der Kurdengebiete beträchtlich erhöhen.<br />
Beides versuchen nicht nur die arabischen politischen Parteien Iraks, sondern auch die Türkei,<br />
Iran und Syrien <strong>zu</strong> verhindern. Der Nordwesten Iraks ist bereits seit Jahren Rück<strong>zu</strong>gsgebiet<br />
der terroristischen „Arbeiterpartei <strong>Kurdistans</strong>“ PKK, die sich im Bürgerkrieg mit der Regierung<br />
der Türkei befindet. Wiederholt sind türkische Truppen <strong>zu</strong>r Bekämpfung der PKK in den<br />
Nordirak eingedrungen. Sollte die Föderative Republik Irak nach einem endgültigen Rück<strong>zu</strong>g<br />
der US-Truppen und ihrer Verbündeten zerfallen, so kann weder ein ausgedehnter türkischkurdischer<br />
Krieg im heutigen Nordirak, noch ein gemeinsamer arabisch-türkischer Krieg ge-