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22 management Lehmann-Brauns – Plädoyer f<strong>ü</strong>r Pluralität<br />

Literatur:<br />

Carrier, M., Wissenschaftstheorie, Hamburg 2006.<br />

Feyerabend, P., Die Wissenschaften in einer freien<br />

Gesellschaft, in: Feyerabend, P., hg. V.M. Oberschelp,<br />

Freiburg 2002.<br />

Forschungsförderung in Deutschland, Bericht der internationalen<br />

Kommission zur Systemevaluation der<br />

DFG und der MPG, Hannover 1999.<br />

Gibbons, M. et al. (Hg.), The New Production of Knowledge,<br />

London 1994.<br />

Grupp, H. et al., Innovationskultur in Deutschland.<br />

Qualitäten und Quantitäten im letzten Jahrhundert,<br />

in: Weingart, P. et al. (Hg.), Das Wissensministerium,<br />

Weilerswist 2006, S. 169-199.<br />

Heinze, T., Creativity Capabilities and the Promotion<br />

of Highly Innovative Research in Europe and the United<br />

States, Karlsruhe 2007.<br />

Hollingsworth, J. R., Research Organizations and<br />

Major Discoveries in Twentieth Century Science: A<br />

Case Study of Excellence in Biomedical Research,<br />

Berlin 2002 (WZB Discussion Paper).<br />

Hollingsworth, J.R. et al., The End of Science Superpowers,<br />

Nature Vol. 454, 24.07.2008, S. 412f.<br />

Lakatos, I., Die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme,<br />

Braunschweig 1978.<br />

M<strong>ü</strong>nch, R., Die akademische Elite, Frankfurt a. M.<br />

2007, S. 295.<br />

wissenschaftsmanagement 2 • märz/april • 2009<br />

Das heißt, dass f<strong>ü</strong>r Lakatos weder entgegenstehende Fakten durch eine unwiderstehliche „Sofortrationalität“<br />

zuvor akzeptierte Theorien zu beseitigen in der Lage sind, noch dass, wie Kuhn<br />

und Feyerabend meinten, die Entwicklung der Wissenschaften letztlich irrational durch das<br />

plötzliche Auftreten neuer Paradigmen bzw. nur durch erfolgreiches soziales Machtstreben erklärt<br />

werden könne.<br />

Aus Lakatos’ Modell konkurrierender, jedoch untereinander vergleichbarer „Forschungsprogramme“<br />

ergibt sich insgesamt ein Bild von der Entwicklung der Wissenschaften, das progressive<br />

und degenerative Problemverschiebungen zu ermitteln gestattet, das aber von langen Ablösungszyklen<br />

zwischen „Forschungsprogrammen“ und nicht von abrupten Verwerfungen ausgeht.<br />

Lakatos akzeptiert daher auch nicht Kuhns Unterscheidung zwischen Phasen der Wissenschaft<br />

in denen neue Paradigmen generiert werden und solchen, in denen im Rahmen des jeweils vorherrschenden<br />

Paradigmas Normalwissenschaft praktiziert wird. Vielmehr gilt es nach Lakatos’<br />

Konzept der Forschungsprogramme stets Theorienvielfalt zu entwickeln, die sich in relativen<br />

Fortschritt markierenden, alternativen Forschungsprogrammen verdichten kann, aber nicht<br />

muss: „Die Geschichte der Wissenschaften war und sollte eine Geschichte des Wettstreits von<br />

Forschungsprogrammen sein; aber sie war nicht eine Aufeinanderfolge von Perioden normaler<br />

Wissenschaft, und sie darf auch nicht zu einer solchen Aufeinanderfolge werden: Je fr<strong>ü</strong>her der<br />

Wettstreit beginnt, desto besser ist es f<strong>ü</strong>r den Fortschritt. Ein ‚theoretischer Pluralismus’ ist besser<br />

als ein ‚theoretischer Monismus’“ (Lakatos , S. 68).<br />

Lakatos’ theoretische, mit Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte illustrierte Analysen der<br />

Entwicklungsprozesse von Wissenschaft leiten also – wie die Formulierung zeigt – gleichsam<br />

von selbst in normative Aussagen <strong>ü</strong>ber optimale Bedingungen f<strong>ü</strong>r den Entwicklungsgang der<br />

Wissenschaften <strong>ü</strong>ber. Sie lassen sich in einem – gewöhnlich eher dem demokratisch-rigiden<br />

Feyerabend zugeschriebenem – Plädoyer f<strong>ü</strong>r einen Pluralismus der Theorien zusammenfassen.<br />

Lehren f<strong>ü</strong>r ein modernes Wissenschaftssystem<br />

Feyerabend hat die politische Konsequenz, die aus seinem Modell der Entwicklung der Wissenschaften<br />

folgt, bereits selbst gezogen: Unterwerfung der mannigfaltigen wissenschaftlichen<br />

Ansätze unter das Urteil des Volkes – komplette Ausrichtung an gesellschaftlicher N<strong>ü</strong>tzlichkeit.<br />

Politisch motivierte Eingriffe gelten dabei – sofern sie demokratisch legitimiert sind – als angemessen<br />

und notwendig, da sich nach ausschließlich wissenschaftsinternen Maßstäben keine<br />

qualitativen Unterschiede zwischen verschiedenen Theorien ausmachen lassen. Wissenschaftsförderung<br />

wird so wie Kunstförderung ein Sur Plus, das sich der Staat nach Feyerabend auf<br />

Kosten seiner B<strong>ü</strong>rger nur sehr vereinzelt leisten sollte. Nach Lakatos kommt es hingegen darauf<br />

an, Theorienvielfalt zu gewährleisten, um den möglichen relativen Fortschritt zu unterst<strong>ü</strong>tzen.<br />

Der von ihm angeregte Wettstreit ist ein ausschließlich wissenschaftsinterner, wobei Fortschritte<br />

aufgrund der Zur<strong>ü</strong>ckweisung der Sofortrationalität nur langfristig ermittelbar sind. Dabei muss<br />

zur Unterst<strong>ü</strong>tzung des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts auf jede Form der Außensteuerung<br />

(wie die demokratischen Abstimmungsprozesse, die Feyerabend anscheinend favorisierte)<br />

verzichtet werden, damit die komplexen, aber rationalen Selbststeuerungsmechanismen der<br />

Wissenschaft nicht beeinträchtigt werden. So erweist sich Lakatos als Verteidiger der Autonomie<br />

der Wissenschaften und eines wissenschaftlichen Fortschritt ermöglichenden Methodenpluralismus,<br />

der gewöhnlich Feyerabend zugeschrieben wird.<br />

Die aktuell als Herausforderung angesichts eines nivellierenden Reformdrucks herausgestellte<br />

Erhaltung des Pluralismus im Wissenschaftssystem und damit verbundener Methodenviel-

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