Z e i t s c h r i f t f ü r i n n o v a t i o n - Lemmens Medien GmbH
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falt erhält also durch die Wissenschaftstheorie von Lakatos eine Begr<strong>ü</strong>ndung, die zu erklären<br />
erlaubt, warum Erkenntnisfortschritt nicht nach dem Popperschen Modell ein ausschließlich<br />
additiver Prozess ist, sondern aus den langsamen theoriegest<strong>ü</strong>tzten Weiterentwicklungen von<br />
„Forschungsprogrammen“ hervorgeht.<br />
Mit Lakatos lässt sich begr<strong>ü</strong>nden, warum der angemahnte Methodenpluralismus im Wissenschaftssystem<br />
und die Akzeptanz längerer Entwicklungszeiträume bei der Bewertung von wissenschaftlichen<br />
Projekten f<strong>ü</strong>r den Fortgang der Wissenschaften erstrebenswert ist: Fortschritt<br />
wird nicht durch spontane Paradigmenwechsel erzielt, sondern ist das Ergebnis einer Zusammenf<strong>ü</strong>hrung<br />
heterogener Wissensbestände. Neue Theorien konkurrieren um die Erklärung von<br />
bekannten Sachverhalten und um die Voraussage neuer Sachverhalte. Voraussetzung f<strong>ü</strong>r Fortschritt<br />
ist Theorienpluralismus, weil nur aus der Distanz zu den vorherrschenden Theorien neue<br />
Perspektiven erschlossen werden können.<br />
Förderlich f<strong>ü</strong>r die Fortentwicklung von Wissenschaftssystemen ist daher nach Lakatos eine Gestaltung<br />
der Rahmenbedingungen, die der Langfristigkeit wissenschaftsintrinsischer Entwicklungen<br />
Raum gibt, Theoriepluralismus zulässt und institutionell garantiert und die einen kurztaktigen<br />
Wettbewerb nach wissenschaftsfremden Parametern verhindert. Diesen Befund der Wissenschaftstheorie<br />
hat auch der amerikanische Wissenschaftshistoriker R. Hollingsworth durch<br />
seine empirischen Studien unterstrichen: Kreative Wissenschaft entsteht nach Hollingsworth<br />
in kleinen, interdisziplinär organisierten Einheiten mit hohen Autonomiegraden. Den Erfolg der<br />
Rockefeller University im Bereich der Biomedizin hat er auf jene Faktoren zur<strong>ü</strong>ckgef<strong>ü</strong>hrt (vgl.<br />
Hollingsworth 2002).<br />
Ausgehend von der Beobachtung, dass es nicht mehr einzelne nationale Wissenschaftssysteme<br />
sind, die an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts stehen, betont Hollingsworth die Relevanz<br />
der konkreten organisatorischen (nicht gesamtsystemischen) Rahmenbedingungen f<strong>ü</strong>r exzellente<br />
Wissenschaft: Es komme darauf an, kleinen bis mittelgroßen Einrichtungen ein Höchstmaß<br />
an Autonomie in der Gestaltung ihrer Arbeitsformen und in der Wahl ihrer Forschungsthemen<br />
zuzubilligen. Ihnen also selbst die Freiheit zu lassen, Forschungsthemen aufzugreifen aber auch<br />
wieder fallen zu lassen und sich angesichts ihrer Eigenständigkeit nicht um äußerlich vorgegebene<br />
Surrogatparameter k<strong>ü</strong>mmern zu m<strong>ü</strong>ssen. Dabei macht Hollingsworth deutlich, dass die<br />
Gewährung optimaler Arbeitsbedingungen f<strong>ü</strong>r die Wissenschaft kein Selbstzweck ist. Vielmehr<br />
vertritt er mit anschaulichen Belegen die These, dass wissenschaftliche Leistungsfähigkeit und<br />
wirtschaftliche Prosperität stets eng miteinander verbunden sind (Hollingsworth et al. 2008).<br />
Fazit<br />
Die wissenschaftssoziologischen, -historischen und -theoretischen Erkenntnisse m<strong>ü</strong>nden jeweils<br />
in die gleichen praktischen Handlungsempfehlungen: Sie warnen vor wissenschaftspolitischem<br />
Aktivismus, vor wissenschaftsexternen Zielvorgaben und Autonomiebeschränkungen. Sie ermuntern<br />
dazu, Freiräume zu erhalten und auszubauen und Rahmenbedingungen zu schaffen,<br />
die Theorienpluralismus als Triebfeder wissenschaftlichen Fortschritts beg<strong>ü</strong>nstigen.<br />
Lehmann-Brauns – Plädoyer f<strong>ü</strong>r Pluralität management 23<br />
Kontakt:<br />
Dr. Sicco Lehmann-Brauns<br />
Josephsburgstr. 68<br />
81673 M<strong>ü</strong>nchen<br />
E-Mail: S.Lehmann-Brauns@berlin.de<br />
Dr. Sicco Lehmann-<br />
Brauns hat Philosophie<br />
und Wissenschafts-<br />
theorie studiert und<br />
arbeitet in der Ver-<br />
waltung einer deutschenWissenschaftsorganisation.<br />
Foto: Zens<br />
wissenschaftsmanagement 2 • märz/april • 2009