Leben & Wohnen 44 Das Leuchten zwischen Die bekannteste Designerlampe der Welt zwischen Ästhetik und Umwelt den Stühlen Wilhelm Wagenfeld hat Salz streuer, Tinten fässer und das Bordgeschirr für die Lufthansa entworfen. Hunderte kleine und große Alltagsdinge stammen aus seiner Designwerkstatt – und die meisten Menschen, die diese Dinge nutzen, wissen das gar nicht. Wagenfeld, Jahrgang 1900, gelernter Silberschmied und Bauhausschüler, war ein Designer von Weltrang und tat das, was gute Designer ici ! 2/10 auszeichnet: Er trat hinter die von ihm geschaffenen Objekte zurück. Er entließ sie in die Welt, auf dass sie ihren Platz im Alltagsleben der Menschen finden mögen. Unauffällig, nützlich und zugleich zeitlos schön. Wilhelm Wagenfeld schuf Klassiker des Industriedesigns. Sein bekanntestes Objekt ist nunmehr 86 Jahre alt und, wie es sich für einen Klassiker gehört, kein bisschen verstaubt: Die WG 24, eine schlichte Schreibtischlampe, ist in ihrer schnörkellosen Funktionalität ein Meilenstein des Industriedesigns, eine echte Revolution. Denn was heute gestalterischer Standard ist, war damals geradezu unerhört: 1924 erblickte die Welt das Licht der WG 24 – und war regelrecht geblendet. Damals war Wagenfeld Schüler am legendären Weimarer Bauhaus. Ganz im Sinne des Bauhauses steht die WG 24 für das Zeitalter der Neuen Sachlichkeit, für eine industriell reproduzierbare Formensprache, die sich vom ornamental überladenen Design der Jahrhundertwende emanzipiert. Entsprechend schlicht kommt sie daher; als kühle Verbindung von Glas und Metall; eine geometrische Anordnung von Zylinder, Halbkugel und Scheibe. Ein echter Hingucker, auch am Tag. „Eine Lampe soll, auch wenn sie ausgeschaltet ist, nicht herumstehen wie ein scheußlicher Ofen im Sommer“, sagte Wagenfeld. Eine Lampe erobert die Welt Dennoch: Zu neu, zu kühl war diese Form für das ästhetische Empfinden des letzten Jahrhunderts. Es dauerte über 20 Jahre, bis die WG 24 ein Massenprodukt wurde. Erst 1982 bekam sie eine Auszeichnung für ihr Design. Heute ist die Revolution von einst eine Ikone. Sie steht im „Museum of Modern Art“ – und auf Millionen von Schreibtischen. Doch nachdem sich die Bauhausleuchte ihren Platz im Alltagsleben erkämpft hat, droht ihr Gefahr von anderer Seite. Eine neue technologische Entwicklung ist dabei, die Innovation von einst links zu überholen: die Energiesparlampe. Seit 2009 werden althergebrachte Glühbirnen stufenweise aus dem Verkauf genommen; bis 2016 soll es nur noch Sparlampen geben. Ohne Zweifel ein ökologischer Fortschritt, für die Anhänger exklusiven Lampendesigns indes eine Katastrophe. Die Wagenfeldlampe wurde 1924 eben für Leuchtmittel aus jener Zeit konstruiert. Eine Energiesparlampe „zerstört den beabsichtigten ästhetischen Ausdruck“, so ließ der Chef des Zentralverbandes Europäischer Designkultur unlängst verlauten. Die WG 24 würde schreckliche Schatten und ein kaltes Licht werfen. In der Tat ist der hohe Weißlichtanteil der Sparlampen ein veritables innenarchitektonisches Problem. Viele sprechen gar von „Kaltlichtterror“. Da hilft auch das einzigartige Design der WG 24 nichts. Sie leuchtet also buchstäblich zwischen den Stühlen. Warmes, aber verschwenderisches Design auf der einen, ökologisch korrekte, Siegeszug der Sparlampen? aber kalte Beleuchtung auf der anderen Seite. Beides scheint nicht zu gehen. Neue Energiesparlampen mit wärmerem Licht sind bereits entwickelt und teilweise auf dem Markt. Aber im Grunde stehen die Hersteller immer noch vor demselben Problem, das Wagenfeld vor 86 Jahren erfolgreich gelöst hat: die gelungene Verbindung von Funktionalität und Ästhetik. Der Siegeszug der Sparlampen wird und soll auch nicht aufzuhalten sein. Aber vielleicht geht’s ein bisschen wärmer, bitte? Bild: © Wilhelm Wagenfeld Stiftung, Foto: Joachim Fliegner, Bremen
Zeitloser Klassiker: die Bauhauslampe WG 24 Leben & Wohnen ici ! 2/10 45