Jes.5,1-7: Der verwüstete Weinberg
Jes.5,1-7: Der verwüstete Weinberg
Jes.5,1-7: Der verwüstete Weinberg
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Predigt zum Gottesdienst am Sonntag Septuagesimae<br />
Thema: Die Enttäuschung Gottes durch sein Volk<br />
am 08.02.2009 in Klein-Winternheim<br />
Prädikant Hans-Georg Lachnitt<br />
Liebe Gemeinde, wir hören den Predigttext aus Jesaja 5, 1 - 7<br />
1 Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem<br />
<strong>Weinberg</strong>. Mein Freund hatte einen <strong>Weinberg</strong> auf einer fetten Höhe.<br />
2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen<br />
Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er<br />
brachte schlechte.<br />
3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem <strong>Weinberg</strong>!<br />
4 Was sollte man noch mehr tun an meinem <strong>Weinberg</strong>, das ich nicht getan habe an ihm? Warum<br />
hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?<br />
5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem <strong>Weinberg</strong> tun will! Sein Zaun soll weggenommen<br />
werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er<br />
zertreten werde.<br />
6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln<br />
und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.<br />
7 Des HERRN Zebaoth <strong>Weinberg</strong> aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung,<br />
an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit,<br />
siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.<br />
Liebe Gemeinde!<br />
Es vergeht in den Weinbaugebieten unserer Region kein Weinfest, bei dem nicht bis spät in die<br />
Nacht gefeiert und gesungen wird: Weinlieder, Trinklieder, Schunkellieder.<br />
Da herrscht ausgelassene Stimmung. Sich selbst vergessend bis berauschend werden die Melodien<br />
mehr oder minder harmonisch geschmettert.<br />
Auch im alten Israel feierte man einst Herbst- und Weinlesefeste - und das nicht weniger ausgelassen<br />
und fröhlich. Eines dieser Herbstfeste sollte seinen Besuchern ewig in Erinnerung bleiben. Als<br />
diese so mitten im Feiern waren, da mischte sich ein junger Mann - der damals noch fast unbekannt<br />
war - unter die Leute und stimmte ein Lied an, das folgendermaßen begann:<br />
„Hört das Lied meines Freundes von seinem <strong>Weinberg</strong>!"<br />
„Prima", dachten die Leute, „ein Lied vom <strong>Weinberg</strong>, so etwas hören wir gern. Das passt so richtig zur<br />
allgemeinen Heiterkeit".<br />
Die Spannung wächst. <strong>Der</strong> Bänkelsänger lässt die erste Strophe erklingen:<br />
Auf fruchtbarem Hügel, da liegt mein Stück Land,<br />
dort hackt’ ich den Boden mit eigener Hand,<br />
ich mühte mich ab und las Felsbrocken auf,<br />
baute Wachtturm und Kelter, setzte Reben darauf.<br />
Und süße Trauben erhofft ich zu Recht,<br />
doch was dann im Herbst wuchs, war sauer und schlecht.
Ein Raunen geht durch die Menge. „<strong>Der</strong> singt ein Lied der Hoffnungslosigkeit (Frustration)." Ein<br />
anderer meint: „Hab ich richtig gehört: die Pflege war liebevoll, recht, das Ergebnis sauer und<br />
schlecht? Bin gespannt, wie das Lied weitergeht!"<br />
<strong>Der</strong> junge Mann singt die zweite Strophe:<br />
Jerusalems Bürger, ihr Leute von Juda,<br />
was sagt ihr zum <strong>Weinberg</strong>, was tätet denn ihr da?<br />
Die Trauben sind sauer - entscheidet doch ihr:<br />
War die Pflege zu schlecht, liegt die Schuld denn bei mir?<br />
Die Spannung steigert sich bei der dritten Strophe:<br />
Ich sage euch, Leute, das tue ich jetzt:<br />
Weg reiß ich die Hecke, als Schutz einst gesetzt;<br />
zum Weiden sollen Schafe und Ochsen hinein!<br />
Und die Mauer ringsum, die reiße ich ein.<br />
Zertrampelnden Füßen geb ich ihn preis,<br />
schlecht lohnte mein <strong>Weinberg</strong> mir Arbeit und Schweiß!<br />
Ich will nicht mehr hacken, das Unkraut soll sprießen!<br />
<strong>Der</strong> Himmel soll ihm den Regen verschließen!<br />
Die ausgelassene Weinseligkeit weicht immer mehr einer nachdenklichen Stille. Bei einigen fällt bereits<br />
der Groschen:<br />
„<strong>Der</strong> singt ja gar kein Lied vom <strong>Weinberg</strong>. - <strong>Der</strong> singt ein Lied von der untreuen Braut!"<br />
Jetzt verstehen auch wir das Lied:<br />
Da hat sich doch offenbar ein Mann rührend um seine Braut gekümmert, alles für sie getan, und jetzt<br />
wird sie ihm untreu. Ein Gericht soll nun entscheiden, ob der Mann nicht das Recht habe, sich von<br />
seiner treulosen Braut zu trennen. <strong>Der</strong> hintergangene und enttäuschte Bräutigam ist jedenfalls nicht<br />
gewillt, das Verhältnis länger aufrecht zu erhalten. Er will sich zurückziehen und seine Braut - wie einen<br />
nichtsnutzigen <strong>Weinberg</strong> - sich selbst überlassen.<br />
Von den Zuhörern dachte vielleicht manch einer an seine Ehe oder an die Erziehung seiner Kinder.<br />
Wie viel Mühe hat man sich gegeben und Kräfte investiert - aber irgendwie doch umsonst!<br />
<strong>Der</strong> junge Mann ist noch nicht fertig mit seinem Lied. Er setzt an zur letzten Strophe:<br />
<strong>Der</strong> <strong>Weinberg</strong> des Herrn seid ihr Israeliten!<br />
Sein Lieblingsgarten, Juda, seid ihr!<br />
Gott harrte auf Guttat -<br />
doch siehe da: Bluttat!<br />
Er hoffte auf Rechtsspruch -<br />
und erntete Rechtsbruch,<br />
statt Liebe und Treue<br />
nur Hilfeschreie!<br />
Das hat gesessen. Allen ist auf einmal klar: <strong>Der</strong> meint uns! <strong>Der</strong> meint dich und mich!<br />
Wir sind der miserable <strong>Weinberg</strong>. Jetzt wird's politisch und religiös. Er hat uns durchschaut. Und es<br />
spricht sich sehr schnell herum, wer der Sänger dieses Liedes ist: Ein neuer Prophet, namens Jesaja.<br />
Nicht im Wein, sondern im <strong>Weinberg</strong>slied liegt die Wahrheit. Das Lied besingt die leidenschaftliche<br />
Liebe Gottes zu seinem Volk - eine Liebe, die herb enttäuscht worden ist. Was hat der Winzer nicht<br />
alles in seinen <strong>Weinberg</strong> investiert! Er hat edelste Reben auf besten Boden gepflanzt, das Gelände<br />
entsteint, seinen <strong>Weinberg</strong> gehegt und gepflegt.
Im Klartext: Gott hat (in einem Akt der Freiheit) den Menschen zu seinem Gegenüber geschaffen. In<br />
einem Akt der Liebe erwählte er ein unbedeutendes Volk, befreite dieses aus ägyptischer Unterdrückung,<br />
gab ihm Land und Nachkommenschaft. Er tat ihm seinen Willen kund und verbündete sich mit<br />
ihm.<br />
Bei mir findet ihr Schutz, Angenommensein, Sinn und Segen - mit einem Wort: lohnenswertes Leben.<br />
Das hab ich für euch getan - und wie reagiert ihr darauf? Ich erwartete nicht das Außergewöhnliche.<br />
Lediglich gute Frucht: Dass ihr mir treu bleibt und dass ihr euch anderen gegenüber rechtschaffen verhaltet.<br />
Ist das etwa zu viel verlangt?<br />
Stattdessen sagt ihr euch von mir los. Und was genauso unverschämt ist: Ihr beugt das Recht. Ihr beutet<br />
die anderen aus, ihr unterdrückt sie - in vielfacher Weise. Ihr sinnt auf Bluttat. Ihr habt Kriegsgedanken.<br />
Hier redet Gott leidenschaftlich (von seiner Frustration,) von seinem Enttäuschtsein gegenüber seinem<br />
erwählten Volk. Und Gott macht seiner Enttäuschung Luft in einer zornigen Drohung:<br />
„Ich sag euch, was ich mit dem <strong>Weinberg</strong> machen will: Ich lass ihn verrotten! Ich gebe ihn der Plünderung<br />
frei, und außerdem befehle ich den Wolken, nicht über ihn zu regnen."<br />
Mit anderen Worten: Gott ist bereit, den Menschen sich selbst zu überlassen, ihn von seinen Lebensadern<br />
abzukappen, ihm den Segen zu entziehen.<br />
Ich denke, so etwas ist die Hölle. Wo Menschen nicht mehr auf Gott bezogen leben, da werden sie<br />
(sich) gegenseitig zu reißenden Wölfen, da werden Entwicklungen in der Natur, in den zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen und in den Wertvorstellungen in Gang gesetzt, die zwangsläufig ins<br />
Chaos führen müssen. – Jesajas Lied gipfelt in den Worten:<br />
Und Gott harrte auf Guttat,<br />
doch siehe da: Bluttat!<br />
Er hoffte auf Rechtsspruch –<br />
und erntete Rechtsbruch,<br />
statt Liebe und Treue<br />
nur Hilfeschreie!<br />
Das ist die traurige Bilanz, die ein leidenschaftlich liebender Gott ziehen muss. Vielleicht hätte Jesaja<br />
sein Lied heute so getextet:<br />
Ich wollte für euch das Leben –<br />
ihr lasst durch Panzer die Erde beben.<br />
Ich wollte Frieden schaffen –<br />
ihr baut und finanziert noch mehr Waffen.<br />
Ich schenkte euch gesunde Früchte –<br />
ihr rodet Wälder, macht die Natur zunichte.<br />
Ich gebe euch Wasser und Luft, nur vom besten –<br />
ihr seid dabei, beides weltweit zu verpesten.<br />
Ich schenkte euch Vertrauen –<br />
ihr antwortet mit Misstrauen.<br />
Ich wollte den Armen und Unterdrückten helfen –<br />
ihr gebt sie preis den reißenden Wölfen.<br />
Ich wollte euch Begleiter und Retter sein –<br />
ihr besteht darauf, für euch allein zu sein.<br />
Ich wollte, was allen gut tut –<br />
ihr sagt: Nach uns die Sintflut!<br />
Ich wollte euch setzen zu meinen Erben –<br />
ihr bastelt weiter an euerm Verderben.
Wie gesagt, Gott ist maßlos enttäuscht (wir würden heute sagen: frustriert) über sein erwähltes Volk.<br />
Doch bei aller Drohgebärde: Die Leute von Juda sind „Pflanzung seines Ergötzens", sind „sein Lieblingsgarten"<br />
– so sagt es Jesaja. Wie könnte Gott derart Liebgewonnenes aus der Hand geben?<br />
Er geht hart ins Gericht.<br />
Im Jahre 722 vor Christus wird das Nordreich zerstört, 587 das Südreich - aber nicht, weil er das Ende,<br />
sondern weil er die Wende will.<br />
Jesajas Drohlied ist im Grunde ein Bußlied, ein Ruf zur Umkehr. Es ist wohl nicht zu menschlich gesprochen,<br />
wenn wir sagen: Gott musste mit seiner enttäuschten Liebe erst einmal fertig werden.<br />
Denn Israel und - seit Jesus die gesamte Menschheit - ist und bleibt Pflanzung, an der Gottes Herz<br />
hängt.<br />
Es geht um die leidenschaftliche Beziehung Gottes zu uns. Er hängt an uns. Deswegen trifft ihn auch<br />
unsere Verweigerung so tief. Aber Gott reagiert nicht mit einem Vernichtungsprogramm an seinem<br />
<strong>Weinberg</strong>, sondern mit der Passion Jesu von Nazareth.<br />
Gottes Liebe zu uns Menschen geht so tief und weit, dass er sogar den hasserfüllten Anschlag gegen<br />
ihn – geschehen in der Hinrichtung seines Sohnes – auf sich nimmt, ihn erduldet, in der Hoffnung,<br />
die Wende, die Umkehr bei uns Menschen zu bewirken.<br />
Eine wahrhaft ungewöhnliche Art, die Gott da wählt, um mit seinen Enttäuschungen fertig zu werden.<br />
Wir können von Glück sagen - oder besser: „Gott sei Dank!"<br />
Amen.