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Dokumentation der Predigt am 21. November 2010

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<strong>Predigt</strong> über Genesis 1,6-8<br />

St. Markus, München<br />

DIE SIEBEN TAGE DER SCHÖPFUNG<br />

Der Himmel<br />

Prof. Dr. Hermann-Josef Stipp<br />

<strong>21.</strong> <strong>November</strong> <strong>2010</strong>, 11.15 Uhr<br />

Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde war wüst und öde, Fins-<br />

ternis lag auf <strong>der</strong> Urflut, und <strong>der</strong> Geist Gottes bewegte sich über dem Wasser. Da<br />

sprach Gott: Es werde Licht! Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war.<br />

Gott schied das Licht von <strong>der</strong> Finsternis. Gott nannte das Licht Tag, und die Finster-<br />

nis nannte er Nacht. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag.<br />

Gott sprach: Es entstehe ein Gewölbe inmitten des Wassers, d<strong>am</strong>it es scheide zwischen<br />

Wasser von Wasser. Gott machte das Gewölbe und schied das Wasser unter<br />

dem Gewölbe vom Wasser über dem Gewölbe. So geschah es. Gott nannte das<br />

Gewölbe Himmel. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein zweiter Tag.<br />

Liebe Mitchristen,<br />

die <strong>Predigt</strong>reihe <strong>der</strong> Universitätsgottesdienste zu den sieben Tagen <strong>der</strong> Schöpfung<br />

schreitet heute fort zum zweiten Schöpfungstag, und passend zum Ende des Kirchenjahres<br />

mit dem Ewigkeitssonntag sind wir beim Thema „Himmel“ angelangt. Das<br />

ist für uns hier in München ein echter Glücksfall, denn über den Himmel wissen wir<br />

Bescheid. Gar nicht weit von hier sitzt bekanntlich ein Zeuge, <strong>der</strong> sich im Himmel<br />

umgesehen hat und uns aus erster Hand berichten kann. Nur wenige Minuten von<br />

hier, im Hofbräuhaus, da hockt er, <strong>der</strong> Alois Hingerl, auf ewigem Heimatbesuch vom<br />

Himmel. Den können Sie befragen. Und was er zu erzählen hat, klingt ja wahnsinnig<br />

aufregend: Morgens – Halleluja singen. Anschließend – frohlocken. Weiter geht’s mit<br />

– psallodieren. Zur Abwechslung gleitet ein Engel vorüber und haucht „Hosianna!“<br />

Wem kommt da nicht die Frage: Und wann gibt’s was zu trinken?<br />

Sollten Sie mal ins Hofbräuhaus pilgern, um den Hingerl Alois selber zu hören,<br />

und er ist in dem Trubel mal nicht aufzutreiben, machen Sie sich nichts draus. Denn


seine Geschichte hat sich ja herumgesprochen: Der Glückspilz hatte die Wahl, und<br />

er hat gewählt. Statt sanft in den Himmel zurückzuschweben, ist er lieber dageblie-<br />

ben. Denn mal ehrlich: Was ist denn <strong>der</strong> Himmel gegen das Hofbräuhaus? Durch<br />

den Hingerl Alois wissen wir’s doch aus erster Hand: Der Himmel, das ist – Lange-<br />

weile.<br />

Machen Sie’s also besser genau wie <strong>der</strong> Hingerl Alois: Vergessen Sie den<br />

Himmel, winken Sie die fesche Kellnerin herbei und trinken Sie noch a Moaß, un<br />

noch a Moaß, un noch a Moaß …<br />

Entschuldigen Sie übrigens meinen Akzent. Ich kann es nun mal nicht verheh-<br />

len: Ich bin ein Zugereister, und hier in Bayern habe ich einen Migrationshintergrund.<br />

Dort, wo ich herkomme, ist mit dem 11.11. gerade dieser Tage die fünfte Jahreszeit<br />

ausgebrochen, und da hakt man sich mit den Armen ein und schunkelt im Dreiviertel-<br />

takt: „Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel – weil wir so brav sind!“<br />

Weil wir so brav sind – das beschreibt natürlich beson<strong>der</strong>s treffend die Verhal-<br />

tensweisen, die für die fünfte Jahreszeit typisch sind. Wenn <strong>der</strong> Karnevalsschlager<br />

aber Recht behält und man vor allem brav sein muss, um in den Himmel zu kommen,<br />

dann wird das mit dem Himmel wohl nichts werden. D<strong>am</strong>it hätten wir allerdings,<br />

glaubt man dem alten Gassenhauer, auch nicht allzu viel verpasst. Denn das ist doch<br />

seine geheime message: Nützen wir die Zeit, die uns noch bleibt, um ein bisschen<br />

Spaß zu haben; nützen wir den Fasching, bevor <strong>der</strong> Himmel ausbricht. Denn <strong>der</strong><br />

Himmel, das ist – Langeweile.<br />

Schließlich weiß <strong>der</strong> Volksmund ja schon immer: Brave Mädchen kommen in<br />

den Himmel, freche kommen überall hin – wer will sich da schon freiwillig den Himmel<br />

antun? Das sehen sogar ernsthafte Gemüter ganz ähnlich. In dem thailändischen<br />

Film „Onkel Boonmee erinnert sich“ gehen die Seelen <strong>der</strong> Toten nach fernöstlicher<br />

Lehre auf Wan<strong>der</strong>ung und plau<strong>der</strong>n offen mit denen, die nur hellhörig genug<br />

sind, die Stimmen <strong>der</strong> Toten wahrzunehmen. Dort bekommt Onkel Boonmee Besuch<br />

von seiner verstorbenen Frau, die aus eigenem Augenschein eine trübe Bilanz mitbringt:<br />

„Der Himmel wird überschätzt.“<br />

O<strong>der</strong>: „So schön wie hier kann’s im Himmel doch gar nicht sein“ – so hat<br />

Christoph Schlingensief sein Krebstagebuch überschrieben, ein Fanal seines Aufstands<br />

gegen den unausweichlichen Abschied. Gewiss hat diese Welt ihre Ecken<br />

und Kanten, aber hier gibt’s so viel zu tun; es gibt so viele spannende Projekte und<br />

Chancen: es gibt so viele Menschen, an denen man hängt. Soll man die bereitwillig<br />

für den Himmel hergeben, sich gar noch drauf freuen, weil dort angeblich alles besser<br />

sei?


„Wie sich sehnt ein Wan<strong>der</strong>smann, dass sein Weg ein End mög han,<br />

so hab ich gewünschet eben, dass sich enden mög mein Leben.“<br />

Ich muss Ihnen wirklich mal ein Kompliment machen. Als wir das Lied eben gesun-<br />

gen haben, haben Sie diese Stelle alle so voller Inbrunst und Überzeugung mitge-<br />

sungen. Man konnte echt spüren, wie eilig Sie es haben, in den Himmel zu kommen.<br />

– Was gucken Sie denn so komisch? Hab ich was Verkehrtes gesagt?<br />

So ist das eben: Selbst wenn man sich tapfer zu glauben anstrengt, dass an<br />

den Reden <strong>der</strong> Pfarrer etwas dran ist und die Macht Gottes über die Todesgrenze<br />

hinausreicht, es bleibt doch <strong>der</strong> nagende Zweifel: Was immer jenseits dieser schau-<br />

erlichen Schranke auf uns warten mag, kann es denn mehr sein als ein lauer Auf-<br />

guss dessen, was wir hier schon haben? Wenn es den Himmel allen Ernstes gibt, ist<br />

er mehr als – Langeweile?<br />

Sie merken schon, ich habe mich ein bisschen treiben lassen von dem Stichwort<br />

„Himmel“ und <strong>der</strong> trübsinnigen Jahreszeit. Obwohl diese <strong>Predigt</strong>reihe auf die<br />

Schöpfung zurückschaut, also ganz an den Anfang, schweifen unsere Gedanken<br />

beim Stichwort „Himmel“ gern an das Ende ab, jedenfalls an unser eigenes Ende,<br />

den Tod. Der Ausklang des Kirchenjahres mit dem Ewigkeitssonntag, dem Totensonntag,<br />

tut ein Übriges dazu. Das Stichwort „Himmel“ versetzt uns leicht ins Grübeln,<br />

was dieser Himmel mit uns zu tun haben könnte – ob er eine Lebensweise bezeichnet,<br />

an <strong>der</strong> auch wir mal teilhaben könnten.<br />

Denn <strong>der</strong> Himmel ist ja die Chiffre für das, was Gott noch jenseits <strong>der</strong> Todesgrenze<br />

für uns auf Lager haben könnte. Der Himmel ist das Sinnbild für den Tod als<br />

den Ernstfall des Glaubens: nämlich für die Hoffnung, dass die Rettungsmacht Gottes<br />

sogar mit dem Tod klarkommt. Wenn wir vom Himmel reden, wird es ernst mit<br />

dem Anspruch, dass unser Glaube mehr ist als die gut gelaunte Interpretation einer<br />

im Grunde banalen Wirklichkeit; dass er mehr ist als die geschickte Stimulation und<br />

Entgrenzung unserer eigenen Möglichkeiten. Mit dem Stichwort Himmel verbindet<br />

sich <strong>der</strong> maßlose Anspruch des Glaubens, dass Gott tatsächlich Dinge kann und zustande<br />

kriegt, die wir nicht können.<br />

Sollten wir einmal in den Himmel kommen, könnten wir nach dem Alten Test<strong>am</strong>ent<br />

dort beste Gesellschaft erwarten. Das Alte Test<strong>am</strong>ent ist mein Fach; deshalb<br />

schaue ich da zuerst hinein. Dort ist zu lesen: Gott wohnt im Himmel. „Jahwe hat im<br />

Himmel seinen Thron errichtet, und seine Königsmacht beherrscht das All“ – so<br />

preist Psalm 103 den Gott des Alten Test<strong>am</strong>ents. Für den stocknüchternen Prediger<br />

Kohelet hat dieser Umstand freilich seine Schattenseiten. Für unser Beten hat er den<br />

trockenen Tipp parat: „Sei nicht zu vorlaut mit deinem Mund, und selbst innerlich sei


nicht drauf versessen, vor Gott das Wort zu ergreifen. Gott ist im Himmel – du bist<br />

auf <strong>der</strong> Erde; also fass dich kurz.“ Gott ist im Himmel – das heißt, Gott ist weit weg.<br />

Dagegen ist auch mit viel Gerede nichts auszurichten, und wir hören den Unterton<br />

heraus: Versprich dir nicht zu viel von <strong>der</strong> Beterei. Und wenn du dir die Mühe sparst,<br />

ist das kein großer Verlust.<br />

Die Idee, dass wir einmal in den Himmel kämen, ist sogar dem ganzen Alten<br />

Test<strong>am</strong>ent fremd. Noch die Sadduzäer, die im Evangelium Jesus ein Bein stellen<br />

wollen, können mit <strong>der</strong> Hoffnung auf die Auferstehung absolut nichts anfangen. Sie<br />

können sich das einfach nicht vorstellen. Wie soll das funktionieren, dass es uns da<br />

auf Dauer richtig gutgeht? Am besten gibt man die Schnapsidee einfach <strong>der</strong> verdienten<br />

Lächerlichkeit preis. Deshalb haben sie sich für Jesus einen beson<strong>der</strong>s pfiffigen<br />

Kasus ausgedacht: Wie ist das, wenn eine Frau – wie nach d<strong>am</strong>aligem Recht möglich<br />

– pflichtgemäß sieben Ehemänner absolviert hat? (Die Ärmste.) Wer von denen<br />

soll die Frau nach <strong>der</strong> Auferstehung kriegen? Die nötige Entscheidungsfindung verliefe<br />

wohl ausnahmsweise einmal nicht langweilig. Aber erfreulich eben auch nicht.<br />

Jesus tut daraufhin wohl das Klügste, was man in seiner Lage machen kann:<br />

Er lässt sich auf überhaupt keine Einzelheiten ein, wie es im Himmel so zugeht. Son<strong>der</strong>n<br />

er sagt bloß: Es wird ganz an<strong>der</strong>s sein als hier, nämlich so wie bei den Engeln,<br />

die ohnehin schon im Himmel sind. Im Himmel ist es eben wie im Himmel. Näheres<br />

rückt er nicht heraus. Denn die Sadduzäer haben ja recht: Wir können uns das einfach<br />

nicht vorstellen, wie das klappen soll: dass wir einfach immer froh und zufrieden<br />

sind. Irgendwann muss sie doch kommen – die Langeweile.<br />

Nicht dass Jesus das Problem ignorieren würde. Aber weil es wirklich um etwas<br />

geht, das das Begreifen übersteigt, sagt er nur, was er im Moment sagen kann:<br />

Ihr kennt we<strong>der</strong> die Schriften noch die Kraft Gottes. In <strong>der</strong> Tat – die Kraft Gottes, die<br />

braucht es, um den Knoten durchzuhauen. So, wie wir sind, sind wir nicht gemacht<br />

für die Ewigkeit; dazu muss Gott auch uns von Grund auf umstülpen. Zur Schöpfung<br />

<strong>am</strong> Anfang muss die Neuschöpfung <strong>am</strong> Ende dazu treten. Wenn <strong>der</strong> Himmel funktionieren<br />

soll, muss da wirklich alles ganz an<strong>der</strong>s sein. Sich das ausmalen zu wollen, ist<br />

einfach zwecklos – selbst dieses Vorstellungsvermögen geht uns ab.<br />

Außerdem erklärt Jesus: Was ihr auch nicht kennt, sind die Schriften. Ja richtig,<br />

die Schriften: in die haben wir uns heute Morgen noch zu wenig vertieft. Deshalb<br />

müssen wir jetzt noch ein bisschen arbeiten und die Bibel aufschlagen. Wir fangen<br />

an auf <strong>der</strong> ersten Seite, in Gen 1. Am zweiten Schöpfungstag erschafft Gott den<br />

Himmel. Und was lernen wir da? Das Licht hat Gott schon <strong>am</strong> Vortag angeknipst,<br />

und bei Licht betrachtet, ist <strong>der</strong> Himmel sogar laut Gen 1 ziemlich langweilig. Er ist


nämlich zunächst einmal nichts weiter als ein Unterwassergewölbe, das Gott in dem<br />

Urozean aufspannt, <strong>der</strong> noch immer auf <strong>der</strong> Erdscheibe lagert. Zuerst hat <strong>der</strong> Neubau<br />

bloß den Effekt, dass es ab jetzt zwei Sorten Wasser gibt: das Wasser über dem<br />

Himmel und das Wasser untendrunter.<br />

Aber dabei bleibt es natürlich nicht. Am dritten Tag wird Gott dann das Wasser<br />

unter dem Himmel ablaufen lassen, sodass <strong>der</strong> Erdboden zutage tritt. Der Himmel ist<br />

dann das Dach <strong>der</strong> Erde, das den Himmelsozean daran hin<strong>der</strong>t, geradewegs herabzustürzen<br />

und die Erde zu überschwemmen. Wie wir ferner in <strong>der</strong> Geschichte von<br />

<strong>der</strong> Sintflut lesen, stellte man sich vor, dass <strong>der</strong> Himmel mit so praktischen Luken<br />

ausgestattet war, die sich öffnen konnten, um den Regen durchzulassen.<br />

Und es geht noch weiter. Am vierten Schöpfungstag passiert folgendes: „Gott<br />

sprach: Es sollen Lichter entstehen <strong>am</strong> Gewölbe des Himmels, um den Tag von <strong>der</strong><br />

Nacht zu scheiden, und sie sollen Zeichen sein für Festzeiten, für Tage und Jahre.<br />

Sie sollen Leuchter sein <strong>am</strong> Gewölbe des Himmels, um auf die Erde zu leuchten. So<br />

geschah es. Gott machte die zwei großen Leuchter, den größeren Leuchter zur Herrschaft<br />

über den Tag und den kleineren Leuchter zur Herrschaft über die Nacht, und<br />

auch die Sterne. Gott setzte sie an das Gewölbe des Himmels, d<strong>am</strong>it sie auf die Erde<br />

leuchten, d<strong>am</strong>it sie über den Tag und die Nacht herrschen und das Licht von <strong>der</strong><br />

Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war.“<br />

Ohne den Himmel geht es also nicht: Er hält den Himmelsozean dort fest, wo<br />

er hingehört; er reguliert den Regen, und er dient zum Aufhängen <strong>der</strong> Gestirne.<br />

Trotzdem: So wichtig das alles sein mag, sehr spannend hört sich das nicht an. Der<br />

Himmel nach Gen 1 – das ist die Technik für Bewässerung und Beleuchtung. Unabdingbare<br />

Technik natürlich, denn ohne die gäbe es kein Leben auf <strong>der</strong> Erde. Gott<br />

erklärt ja nicht ohne Grund, dass es so gut war. Aber <strong>der</strong> Himmel ist dazu da, dass<br />

wir uns auf <strong>der</strong> Erde wohlfühlen. Der Himmel ist kein Sehnsuchtsort, kein Ort, wo<br />

man sich hin wünschen sollte.<br />

Und noch etwas: Der Himmel ist auch nicht <strong>der</strong> Ort, wo Gott wohnt. Diese Idee<br />

finden wir zwar an<strong>der</strong>swo in <strong>der</strong> Bibel, aber nicht in Gen 1. Laut dem Theologen, <strong>der</strong><br />

hier schreibt, braucht Gott den Himmel auch gar nicht; schließlich wird <strong>der</strong> ja erst zus<strong>am</strong>men<br />

mit <strong>der</strong> Erde erschaffen, und Gott gab’s schon vorher. Und <strong>am</strong> siebten Tag,<br />

so lesen wir weiter, hat Gott geruht. Aber nirgendwo steht, dass er es sich dazu im<br />

Himmel bequem gemacht hätte. Wo hält sich Gott dann sonst auf? Das wird uns in<br />

Gen 1 nirgends verraten.<br />

Und dahinter scheint ein Prinzip zu stecken. Das erste Kapitel <strong>der</strong> Bibel ist ursprünglich<br />

einmal als Beginn einer großen Erzählung entstanden, die als die Pries-


terschrift bekannt ist. Denn ihr Autor lässt auf Schritt und Tritt durchblicken, dass er<br />

sich ungemein gut mit kultischen Sachen auskannte – so gut, dass er selber ein<br />

Priester gewesen sein muss. In seinem Buch erzählte er die Geschichte Israels ganz<br />

von Anfang an: von <strong>der</strong> Schöpfung über die Patriarchen zur Befreiung aus Ägypten<br />

und weiter mit dem Zug <strong>der</strong> Israeliten durch die Wüste zum Verheißungsland. Und<br />

wie schon in Gen 1, sagte er in seinem Werk nirgendwo, dass Gott im Himmel wohnt.<br />

Wie gesagt, bei an<strong>der</strong>en biblischen Autoren findet man das. So schaut etwa Jakob in<br />

Gen 28 im Traum eine Treppe, die bis hinauf zum Himmel reicht – und <strong>am</strong> oberen<br />

Ende sieht er Gott stehen. Für diesen Theologen wohnte Gott im Himmel.<br />

Nicht so beim Autor <strong>der</strong> Priesterschrift. Der hat beispielsweise die Verheißungen<br />

an Abrah<strong>am</strong> in Gen 17 festgehalten. Als Gott dort seine Rede an Abrah<strong>am</strong><br />

beendet hat, fährt er einfach hinauf. Er fährt bloß hinauf. Wohin, wird nicht gesagt.<br />

Vom Himmel steht da nichts.<br />

Dafür lesen wir etwas an<strong>der</strong>es. In seiner Geschichte von <strong>der</strong> Offenbarung <strong>am</strong><br />

Sinai erzählt <strong>der</strong> priesterliche Autor, wie Gott die Israeliten anweist, das Zelt <strong>der</strong> Begegnung<br />

anzufertigen – ihr transportables Gotteshaus – und wie sie ihren Auftrag<br />

Punkt für Punkt erfüllen. Dann wird eingehend erklärt, wie die Opfer darzubringen<br />

sind. Anschließend werden die Priester geweiht, die sogleich zum allerersten Opfer<br />

schreiten. Und daraufhin spielt sich die Szene ab, die wir vorhin in <strong>der</strong> zweiten Lesung<br />

gehört haben: „Da erschien die Herrlichkeit des Herrn dem ganzen Volk. Feuer<br />

ging aus vom Herrn und verzehrte das Brandopfer und die Fettstücke auf dem Altar.<br />

Das ganze Volk sah es, sie jubelten und fielen nie<strong>der</strong> auf ihr Angesicht.“<br />

Da haben die Israeliten wirklich Grund zum Jubeln: Jetzt ist <strong>der</strong> Moment gekommen,<br />

wo Gott tatsächlich eine Wohnung bezieht: nämlich das Zelt <strong>der</strong> Begegnung<br />

in ihrer Mitte. Gott will gar nicht im Himmel wohnen, son<strong>der</strong>n inmitten seiner<br />

Menschen auf <strong>der</strong> Erde. Für diesen Theologen war offenbar auch Gott dieser Meinung:<br />

Der Himmel, das ist – genau. Viel besser ist es bei den Menschen auf <strong>der</strong> Erde.<br />

In <strong>der</strong> Kurzgeschichte „Der Traum“ von Julian Barnes erwacht <strong>der</strong> Ich-Erzähler<br />

eines Morgens total überrascht im perfekten Golf-Resort. Begeistert macht er sich<br />

über das üppige Frühstück her, bei dem die P<strong>am</strong>pelmusen endlich mal ordentlich<br />

vorgeschnitten sind und ihm nicht das Hemd vollspritzen. Eine Art Hostess ist eigens<br />

zu seiner persönlichen Betreuung abgestellt, und die nimmt ihn gleich mit in den Supermarkt,<br />

wo er kostenlos in seinen motorisierten Einkaufswagen häufen darf, was<br />

immer sein Herz begehrt. So rafft er mit vollen Armen die edelsten Leckereien zus<strong>am</strong>men,<br />

von seinen Lieblingskeksen gleich 3000 Packungen.


Von <strong>der</strong> Euphorie beflügelt, kommt er bei seiner Hostess ohne Umschweife<br />

zur Sache: Na, wie wär’s mit uns beiden, ein bisschen enger? Die Betreuerin kichert<br />

neckisch, meint aber, sie habe ein kleines Gesundheitsproblem mit dem Herzen –<br />

um aber beschwichtigend beizufügen: Es wird bestimmt noch ein paar tausend Jahre<br />

halten. Fortan schlüpft Abend für Abend ein rothaariges Stück Weib mit rauchiger<br />

Stimme unter seine Decke, um <strong>am</strong> nächsten Morgen pünktlich und rückstandsfrei<br />

wie<strong>der</strong> verschwunden zu sein. Rauschen<strong>der</strong> Sex ohne Nebenwirkungen: Ganz an<strong>der</strong>s<br />

als, wie er feststellt, mit seiner Frau in seinem früheren Leben.<br />

Die Zeitungen sind voller guter Nachrichten: Der Krebs ist besiegt, die Atomwaffen<br />

werden abgeschafft. Und was das Tollste ist: Sein Fußballverein, <strong>der</strong> ewige<br />

Loser aus <strong>der</strong> zweiten Liga, gewinnt souverän die Ch<strong>am</strong>pions’ League. Der Erzähler<br />

verbringt seine Zeit d<strong>am</strong>it, Golf zu spielen und Promis zu treffen: Humphrey Bogart,<br />

John F. Kennedy, Charlie Chaplin, die Monroe, Shakespeare, Buddy Holly, Karl<br />

Marx, John Lennon und die Queen Victoria. Sogar auf Hitler kann er, hinter einem<br />

Busch versteckt, einen verstohlenen Blick werfen.<br />

Das alles ist ein Heidenspaß. Bloß die Sache mit dem Golf gegt ihm zusehends<br />

auf die Nieren. Er wird immer besser; er braucht immer weniger Schläge, um<br />

die 18 Löcher hinter sich zu bringen. Was aber wird passieren, wenn er mal so perfekt<br />

ist, dass er den ganzen Parcours glatt mit 18 Schlägen erledigt? Die Aussicht<br />

lässt ihn schau<strong>der</strong>n.<br />

In seiner Not zieht er seine Betreuerin ins Vertrauen. Die rät ihm, das Progr<strong>am</strong>m<br />

zu erweitern. So geht er auf Kreuzfahrten und rauscht mit dem Kanu durchs<br />

Wildwasser; er schlägt sich durch den Dschungel und expandiert den Sex auf Promi-<br />

Frauen. Er trifft sämtliche Fußballer, die jemals für irgendeinen Klub auf den Rasen<br />

gerannt sind. Aber selbst die sind nach einigen Jahrhun<strong>der</strong>ten aufgebraucht. Und<br />

das leidige Unbehagen lässt sich immer weniger beherrschen. So rafft er sich<br />

schließlich auf, mit seiner Betreuerin endlich ein paar Grundsatzfragen zu klären.<br />

„Das ist also <strong>der</strong> Himmel?“, fragt er sie. – „Klar.“ – „Und wo ist Gott?“ platzt er<br />

heraus. „Naja, das kommt auf Sie an“, lautet die Antwort. „Wieso kommt das auf mich<br />

an? Ich dachte, es gäbe einen o<strong>der</strong> eben nicht!“ – „Der Himmel ist heutzutage demokratisch“,<br />

erklärt ihm die Hostess. „Wir liefern, was unsere Kunden wünschen.“ –<br />

„Und was wollen die an<strong>der</strong>en Kunden?“ Die Betreuerin schaut ihm fest in die Augen:<br />

„Irgendwann wollen sie alle sterben. Bei den einen dauert es ein paar tausend Jahre<br />

länger als bei den an<strong>der</strong>en, aber <strong>der</strong> Endeffekt ist immer <strong>der</strong> gleiche: Sie sterben,<br />

weil sie es so wollen.“


Der Himmel als konsumistischer Alptraum. Der Himmel als eine Art materialis-<br />

tisches Fegefeuer, wo man lernt, dass <strong>der</strong> endgültige Tod unter dem Strich doch die<br />

bessere Lösung ist. In dieser Geschichte gilt wirklich: Der Himmel, das ist – Lan-<br />

geweile, ja sogar im wahrsten Sinne des Wortes: tödliche Langeweile. Uns fällt es<br />

eben ungeheuer schwer, uns irgendetwas an<strong>der</strong>es vorzustellen. Wenn daher <strong>der</strong><br />

Himmel funktionieren soll, geht es entwe<strong>der</strong> ganz an<strong>der</strong>s – o<strong>der</strong> gar nicht. Entwe<strong>der</strong><br />

geht es mit <strong>der</strong> Kraft Gottes, o<strong>der</strong> es geht gar nicht.<br />

Deshalb reden wir von <strong>der</strong> Erschaffung des Himmels: Wir bauen darauf die<br />

Hoffnung, dass die Kraft Gottes, die den alten Himmel und die alte Erde geschaffen<br />

hat, auch den neuen Himmel und die neue Erde schaffen kann, wo wirklich alles<br />

ganz an<strong>der</strong>s ist.<br />

Und einstweilen richten wir den Blick auf dieses Leben. Es gibt ja ein Leben<br />

vor dem Tod. Und das ist dazu da, schon mal ein bisschen für den Himmel zu üben.<br />

D<strong>am</strong>it wir die Lektion aus <strong>der</strong> Geschichte schon hier lernen: Der Konsum, <strong>der</strong> bringt<br />

auf die Dauer nur Langeweile, tödliche Langeweile. Und dass im Leben – hier wie im<br />

Himmel – an<strong>der</strong>es zählt: Gemeinschaft, Großherzigkeit, o<strong>der</strong>, ganz altmodisch: Liebe.<br />

D<strong>am</strong>it es mit dem Himmel schon hier losgeht.<br />

Denn wenn man dem Theologen glauben darf, <strong>der</strong> uns von <strong>der</strong> Erschaffung<br />

des Himmels erzählt hat, dann will Gott genau das: Er will schon hier auf Erden bei<br />

uns sein, um uns ein bisschen den Himmel zu zeigen. Hier im Gottesdienst, da draußen<br />

im Leben und sogar – im Hofbräuhaus.<br />

Amen.<br />

Nächster Universitätsgottesdienst 5. Dezember <strong>2010</strong><br />

Land und Meer Prof. Dr. Christoph Levin

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