27.08.2013 Aufrufe

Was traumatisiert Männer? - Fachklinik Furth im Wald

Was traumatisiert Männer? - Fachklinik Furth im Wald

Was traumatisiert Männer? - Fachklinik Furth im Wald

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Traumatisierung -<br />

auch bei <strong>Männer</strong>n ein Weg in die<br />

Sucht?<br />

Hinweise zu Diagnostik und Therapie<br />

Dipl.-Psych. Brigitte Ranner


Inhalt:<br />

<strong>Was</strong> ist ein Trauma?<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Traumafolgestörungen<br />

Trauma und Sucht<br />

Wege der Heilung


Definition<br />

<strong>Was</strong> ist ein Trauma?<br />

Unter Traumata versteht man „kurz- oder<br />

langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von<br />

außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem<br />

Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende<br />

Verzweiflung auslösen würde.“<br />

(ICD-10: Weltgesundheitsorganisation, 1994).


<strong>Was</strong> ist ein Trauma?<br />

Wann ist eine Erfahrung traumatisch?<br />

• Ein Mensch gerät in eine Situation (Opfer oder Zeuge) die als extrem<br />

bedrohlich – oft lebensbedrohlich – erlebt wird und die es tatsächlich<br />

auch ist.<br />

• Das zentrale Gefühl des Erlebens ist massive Angst.<br />

• Die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten reichen nicht aus, um<br />

die Situation zu verarbeiten.<br />

• Weder Kampf noch Flucht sind möglich.<br />

• Es folgen Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Ohnmacht.<br />

• Folge: dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis


<strong>Was</strong> ist ein Trauma?<br />

• Naturkatastrophen (z.B. Erdbeben, Tornado, Überschwemmung, Feuer, Tsunami)<br />

• Krieg, Vertreibung, Folter<br />

• politische Inhaftierung<br />

• Kr<strong>im</strong>inelle Handlungen, Gewaltverbrechen (Raubüberfälle, Kidnapping, Mord)<br />

• Unfälle (Verkehrsunfälle; Zug-, Flugzeug-, Schiffsunglücke; Absturz be<strong>im</strong> Bergsteigen…)<br />

• Invasive medizinische Eingriffe (Intensivstation)<br />

• Schwere Krankheiten<br />

• Gewalt<br />

• Sexualisierte Gewalt<br />

• Schwere Vernachlässigung in der Kindheit – körperlich, psychisch, emotional<br />

• Plötzliche Verluste vertrauter Menschen und sozialer Sicherheit<br />

• Konfrontation mit Traumafolgen als Helfer (z.B. Polizisten, Feuerwehrler, Ärzte)<br />

• Zusammenleben als Kind mit <strong>traumatisiert</strong>en Eltern (Holocaust-Opfer oder Kriegsopfer,<br />

Opfer sexualisierter Gewalt)<br />

(nach L. Reddemann)<br />

<strong>Was</strong> ist ein Trauma?


Traumaeinteilung nach Terr 1991:<br />

Typ I<br />

kurzdauernd<br />

<strong>Was</strong> ist ein Trauma?<br />

Schicksalhafte<br />

Ursache<br />

Unfall<br />

Naturkatastrophe<br />

Technische<br />

Katastrophe<br />

u.ä.<br />

Menschengemachte Ursache<br />

Vergewaltigung/sexualisierte<br />

Gewalt<br />

Überfall<br />

Physische Gewalt<br />

u.ä.


Traumaeinteilung nach Terr 1991:<br />

Typ II<br />

langdauernd<br />

<strong>Was</strong> ist ein Trauma?<br />

Schicksalhafte<br />

Ursache<br />

Lang anhaltende<br />

Natur-<br />

Katastrophe<br />

u.ä.<br />

Menschengemachte Ursache<br />

Sexualisierte / physische Gewalt<br />

in der Kindheit<br />

Emotionale Vernachlässigung in<br />

der Kindheit<br />

Überst<strong>im</strong>ulation (abuse) und<br />

Deprivation (neglect) in der<br />

Kindheit<br />

Folter, Geiselnahme,<br />

Kriegsgefangenschaft, u.ä.


<strong>Was</strong> ist ein Trauma?<br />

Faktoren bei der Traumaentstehung:<br />

• Einmaliges Erlebnis <strong>im</strong> Erwachsenenalter kann i.d.R. besser<br />

verarbeitet werden als wiederholte, andauernde Traumatisierung in<br />

der Kindheit<br />

• Naturkatastrophen können besser verarbeitet werden als von<br />

Menschenhand verübtes Trauma<br />

• Je enger die Beziehung zum Täter, desto schwerer die Folgen<br />

(Vertrauensbruch)<br />

• Je mehr unterstützende Faktoren vorhanden sind, desto besser ist<br />

der Umgang mit schweren Belastungen, z.B. unterstützende<br />

Bezugspersonen, persönliche Fähigkeiten (Hilfe holen können), gute<br />

emotionale Grundlage (Bindung in der Kindheit), persönliche<br />

Verletzlichkeit


Heldenberufe<br />

• Feuerwehrmänner<br />

• Polizisten<br />

• Soldaten<br />

• Notärzte<br />

• Rettungssanitäter<br />

• Wachmänner<br />

• Ersthelfer<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?


<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Sebastian, 42:<br />

Seit seinem 16. Lebensjahr ist er aktives und begeistertes Mitglied<br />

der Freiwilligen Feuerwehr. Er hat schon viele schreckliche Szenen<br />

erlebt, war bei vielen Bränden und Unfällen <strong>im</strong> Einsatz. Dass er<br />

hilflos zusehen musste, wie die junge Frau, die <strong>im</strong> Auto<br />

eingeklemmt war, verblutete, kann er sich nicht verzeihen. Mit<br />

seiner Frau will er darüber nicht reden, er will sie nicht belasten.<br />

Sie macht sich Sorgen, weil er so gereizt ist und täglich zur<br />

Flasche greift. Von seinen Selbstvorwürfen ahnt sie nichts.


<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Feuerwehrstatistik 2011 (Bayern):<br />

• Alle 2,5 Minuten ein Feuerwehreinsatz<br />

• 220.000 Einsätze <strong>im</strong> Jahr<br />

• Über 330.000 Feuerwehrler (7.700 FFW)<br />

• 121.000x technische Hilfe / Verkehrsunfälle<br />

• 52.000 Rettungseinsätze der Berufsfeuerwehren<br />

• 21.421 Brände<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?


Markus, 31:<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Vor zwei Jahren ist er bei einem Wohnungsbrand fast gestorben.<br />

Monatelang war er in Kliniken, hat zahlreiche<br />

Hauttransplantationen hinter sich. Jede Nacht wacht er schreiend<br />

auf. Er leidet unter massiven Albträumen, in denen er wieder und<br />

wieder brennt, riecht sogar verbrannte Haut. Alkohol hilft ihm,<br />

etwas besser schlafen zu können.


Straftaten:<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Polizeiliche Kr<strong>im</strong>inalstatistik 2012:<br />

Straftaten insgesamt 5.997.040<br />

Gewaltkr<strong>im</strong>inalität insgesamt 195.143<br />

davon:<br />

Mord und Totschlag 2.126<br />

Raubdelikte 48.711<br />

Vergewaltigung und sexuelle Nötigung 8.031<br />

Gefährliche / schwere Körperverletzung 136.077<br />

Opferzahlen 2012:<br />

<strong>Männer</strong> 584.523<br />

Frauen 391.566


Rolf, 47:<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Er hat seinen Vater gefunden, nachdem dieser sich ohne<br />

Vorwarnung <strong>im</strong> Schuppen erhängt hatte. Er hätte sich<br />

gerne verabschiedet. Und er versteht nicht, wieso. Alkohol<br />

unterstützt ihn bei der Trauerbewältigung.


Suizide:<br />

Über 10.000 Deutsche nehmen sich jährlich das Leben.<br />

Auf jeden Suizid kommen etwa 15 bis 20 Suizidversuche.<br />

Suizid ist zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen<br />

bis 25 Jahre.<br />

Es nehmen sich etwa dre<strong>im</strong>al so viele <strong>Männer</strong> wie Frauen das<br />

Leben.<br />

In acht von zehn Fällen kündigt der Betroffene seine Absichten<br />

vorher an.<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Jeder Suizid betrifft mindestens sechs weitere Menschen –<br />

Familienmitglieder, Freunde und Bekannte<br />

(www.schroederschombs.com/newsroom/fakten-zum-welt-suizidpraeventionstag-2012-infografik/)


Hans, 56:<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Eigentlich hat er sich <strong>im</strong>mer für einen guten Autofahrer gehalten.<br />

Doch dieses eine Überholmanöver ging schief. Der Fahrer des<br />

entgegenkommenden Fahrzeugs war Vater von zwei Kindern. Er<br />

starb bei dem Unfall. Hans leidet seither an schweren<br />

Depressionen und Angstattacken. Alkohol und Medikamente<br />

lindern die Symptome und die Erinnerungen ein klein wenig.


<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Verkehrsunfälle (Unfallstatistik 2012):<br />

(www.auto-motor-und-sport-de)<br />

Statistisches Bundesamt:<br />

3.606 Verkehrstote in 2012<br />

384.100 Verletzte<br />

Durchschnittlich sterben 10 Menschen täglich <strong>im</strong> Straßenverkehr und<br />

mehr als 1.000 werden verletzt.


Manfred, 54:<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Lokführer war schon <strong>im</strong>mer sein Traumberuf gewesen. Den ersten<br />

Personenschaden hat er gut weggesteckt. Der zweite Selbstmörder<br />

machte ihm sehr zu schaffen. Seit dem vierten Suizid vor seiner<br />

Lok ist er nicht mehr in der Lage, einen Zug zu besteigen. Die<br />

Bilder verfolgen ihn ständig. Alkohol vertreibt zumindest<br />

vorübergehend die Bilder aus seinem Kopf.


<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Personenunfälle<br />

www.destatis.de (statistisches Bundesamt):<br />

2010 gab es 274 Personenunfälle <strong>im</strong> Schienenverkehr


Todesfälle:<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

2011 starben <strong>im</strong> Bundesgebiet 882.328 Menschen<br />

davon 2.408 Säuglinge <strong>im</strong> ersten Lebensjahr<br />

und 1.691 Jugendliche <strong>im</strong> Alter zwischen 16 und 21 Jahren<br />

Eltern, Verwandte, Freunde trauern.


<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Krieg – Folter – Vertreibung:<br />

UNO Flüchtlingshilfe 2013:<br />

„Derzeit befinden sich weltweit fast 42,5 Millionen<br />

Menschen auf der Flucht. 15,2 Millionen von ihnen gelten<br />

nach völkerrechtlicher Definition als Flüchtlinge. Vier von fünf<br />

Flüchtlingen (80 Prozent) leben in Entwicklungsländern, da<br />

die meisten Flüchtlinge lediglich in ein angrenzendes<br />

Nachbarland fliehen.“


Länder in denen 2012 Kriege stattfanden:<br />

Afrika: 13 Kriege:<br />

Algerien – Äthiopien – Burundi – Mali - Demokratische Republik Kongo – Libyen -<br />

Nigeria – Senegal – Somalia – Sudan – Südsudan – Uganda - Zentralafrikanische<br />

Republik<br />

Vorderer und Mittlerer Orient: 9 Kriege:<br />

Afghanistan – Irak - Iran (Kurdistan) - Israel (Palästina) – Syrien - Russland<br />

(Nordkaukasus) – Tadschikistan - Türkei (Kurdistan)<br />

Amerika: 1 Krieg:<br />

Kolumbien<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Asien: 9 Kriege:<br />

Indien (in Indien herrschen derzeit sogar 4 Kriege) – Myanmar – Pakistan - Philippinen<br />

(2) – Thailand<br />

(Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung Hamburg 2012)


<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Migration und Flucht:<br />

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge)<br />

Seit 1995 sind in der BRD jährlich zwischen 20.000 und ca. 130.000<br />

Asylanträge gestellt worden. Bis April waren es in 2013 26.792 Asyl-<br />

Erstanträge.<br />

Die Menschen stammen v.a. aus folgenden Ländern:<br />

Russische Föderation – Syrien – Afghanistan – Iran – Serbien –<br />

Mazedonien – Irak – Pakistan – Somalia - Georgien


Karl, 29:<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Eigentlich ist er ein harter Kerl, Berufssoldat. So leicht haut ihn<br />

nichts um. Monatelang war er in Afghanistan eingesetzt. Irgendwann<br />

konnte er die ständige Lebensgefahr, die Schüsse, die Angriffe, die<br />

Toten nicht mehr ertragen. Heute kommt er ohne Suchtmittel nicht<br />

mehr klar. Immer wieder denkt er darüber nach, sich das Leben zu<br />

nehmen.


<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Bundeswehrsoldaten:<br />

(www.bundesregierung.de)<br />

„Die afghanischen Sicherheitskräfte übernehmen nach und nach<br />

selbst die Verantwortung <strong>im</strong> gesamten Land. Im laufenden Jahr<br />

werden daher nur noch bis zu 4.400 deutsche Soldatinnen und<br />

Soldaten in Afghanistan eingesetzt. Diese Zahl soll bis Ende<br />

Februar 2014 auf 3.300 sinken.“


Seniorinnen und Senioren, die <strong>im</strong> 2. Weltkrieg<br />

<strong>traumatisiert</strong> wurden:<br />

• 16,9 Millionen Deutsche gehören zur Generation 65+<br />

• Viele von ihnen entstammen der Generation der Kriegskinder<br />

(Jahrgänge 1930 – 1945)<br />

• Schätzungen zufolge ist ein Drittel der Kriegskinder <strong>traumatisiert</strong>,<br />

etwa 5 Prozent davon schwer.<br />

• Wiederbelebte Kriegserlebnisse können Traumafolgestörungen<br />

hervorrufen.<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

• „In deutschen Altenhe<strong>im</strong>en tobt der Zweite Weltkrieg“ (Katja Th<strong>im</strong>m,<br />

zit. in Deutsches Ärzteblatt, Heft 4, 2013)


T<strong>im</strong>, 34<br />

<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

In seiner Kindheit hat er jahrelang sexualisierte Gewalt <strong>im</strong><br />

familiären Umfeld erlitten. Erstkontakt mit Alkohol und<br />

Cannabis hatte er <strong>im</strong> Alter von 11 Jahren. Bis heute hilft es<br />

ihm, das „Kopfkino“ auszuschalten. Ohne Suchtmittel kann er<br />

den Horror <strong>im</strong> Kopf nicht ertragen.


<strong>Was</strong> <strong>traumatisiert</strong> <strong>Männer</strong>?<br />

Sexualisierte Gewalt an Jungen:<br />

Polizeiliche Kr<strong>im</strong>inalstatistik 2012:<br />

<strong>im</strong> aktuellen Berichtsjahr 12.623 Fälle (+1,4 Prozent) (Jungen und Mädchen)<br />

„In diesem Deliktbereich muss nach wie vor von einem hohen Dunkelfeld<br />

ausgegangen werden.“<br />

Dirk Bange, 1992, erste deutsche Dunkelfelduntersuchung über das Ausmaß<br />

und die Folgen sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Jungen:<br />

Ergebnis: 8 % von 343 männlichen Studenten gaben ab, gegen ihren Willen<br />

vor dem 16. Lebensjahr sexualisierte Gewalt erlitten zu haben.<br />

Wetzels, 1994: repräsentative Befragung an 1.604 <strong>Männer</strong>n: 4 – 9 % gaben an,<br />

sexuellen Missbrauch vor dem 16. Lebensjahr erlitten zu haben.<br />

ca. jeder 12. Junge erleidet sexualisierte Gewalt vor dem 16. Lebensjahr


Traumafolgestörungen<br />

Als mögliche Traumafolgestörungen gelten u.a. (Schellong 2007,11):<br />

Akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0)<br />

Anpassungsstörungen (ICD-10 F43.2)<br />

Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1)<br />

Andauernde Persönlichkeitsänderung n. Extrembelastung (ICD-10 F62)<br />

Dissoziative Störungen (ICD-10 F44)<br />

Verschiedene traumaassoziierte Störungen wie Substanzabhängigkeit,<br />

Persönlichkeitsstörungen, Ess-Störungen, affektive und<br />

Angststörungen<br />

Traumafolgestörungen


Traumafolgestörungen<br />

Akute Belastungsreaktion F43.0<br />

Die Akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0) ist eine<br />

„vorübergehende Störung von beträchtlichem<br />

Schweregrad, die sich bei einem psychisch nicht manifest<br />

gestörten Menschen als Reaktion auf eine<br />

außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung<br />

entwickelt, und <strong>im</strong> allgemeinen innerhalb von Stunden oder<br />

Tagen abklingt“<br />

(WHO 1993,168).


Traumafolgestörungen<br />

Anpassungsstörung F43.2<br />

Bei Anpassungsstörungen (ICD-10 F43.2) „handelt es sich um Zustände von<br />

subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale<br />

Funktionen und Leistungen behindern und während des<br />

Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung, nach<br />

einem belastenden Lebensereignis oder auch nach schwerer körperlicher<br />

Krankheit auftreten“ (WHO 1993,170). Unterschieden werden folgende<br />

Störungsbilder (WHO 1993,172):<br />

• Kurze depressive Reaktion (ICD-10 F43.20)<br />

• Längere depressive Reaktion (ICD-10 F43.21)<br />

• Angst und depressive Reaktion gemischt (ICD-10 F43.22)<br />

• Mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen (ICD-10 F43.23)<br />

• Mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens (ICD-10 F43.24)<br />

• Mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten (ICD-10 F43.25)<br />

• Mit sonstigen spezifischen deutlichen Symptomen (ICD-10 F43.28)


Traumafolgestörungen<br />

Posttraumatische Belastungsstörung F43.1<br />

Um die Diagnose einer PTBS stellen zu können, muss „(zusätzlich)<br />

zu dem Trauma … eine wiederholte unausweichliche Erinnerung<br />

oder Wiederinszenierung des Ereignisses in Gedächtnis,<br />

Tagträumen oder Träumen auftreten“ (WHO 1993,170).<br />

Beginn innerhalb von 6 Monaten nach einem traumatisierenden<br />

Ereignis von außergewöhnlicher Schwere.<br />

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (ICD-10 F43.1)<br />

„entsteht als verzögerte oder protrahierte Reaktion“ (WHO<br />

1993,169) auf ein traumatisches Ereignis. Als Symptome einer<br />

Posttraumatische Belastungsstörung gelten (WHO 1993,169;<br />

Schellong 2007,5/6):


Traumafolgestörungen<br />

Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (1)<br />

Wiederholtes Erleben des Traumas: Intrusionen in Form von<br />

Flashbacks sowie sich aufdrängenden Erinnerungen in der<br />

Gegenwart und/oder in Träumen


Traumafolgestörungen<br />

Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (2)<br />

Vermeidungsverhalten: Vermeidung von Triggern (Aktivitäten,<br />

Situationen und sonstigen Hinweisreizen, die Erinnerungen<br />

an das ursprüngliche Trauma auslösen könnten)


Traumafolgestörungen<br />

Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (3)<br />

Emotionale Anästhesie/Konstriktion: andauerndes Gefühl<br />

von Betäubtsein; Freezing-Zustände; emotionale<br />

Stumpfheit; Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen;<br />

Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber; Anhedonie


Traumafolgestörungen<br />

Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (4)<br />

Übererregtheit (Hyperarousal) und Angst: vegetative<br />

Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung; Ein- und<br />

Durchschlafstörungen; Reizbarkeit und Wutausbrüche;<br />

Panikattacken; Konzentrationsschwierigkeiten; erhöhte<br />

Schreckhaftigkeit; teilweise oder vollständige Unfähigkeit<br />

der Erinnerung an best<strong>im</strong>mte Aspekte des Traumas;<br />

Suizidgedanken; selbstverletzendes Verhalten


Traumafolgestörungen<br />

Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (5)<br />

Weiterhin sind dissoziative Zustände möglich, also der<br />

„Verlust der psychischen Integrität des Erlebens und des<br />

Handelns“ in Form einer „kurzzeitigen Unterbrechung der<br />

eigenen Bewusstheit, des Gedächtnisses, des<br />

Identitätserlebens und der Wahrnehmung der Umwelt“<br />

(Schellong 2007,14).


Traumafolgestörungen<br />

Andauernde Persönlichkeitsänderung nach<br />

Extrembelastung F62.0<br />

„Späte, chronifizierte Folgen von extremer Belastung, d.h.<br />

solche, die noch Jahrzehnte nach der belastenden Erfahrung<br />

bestehen“ (WHO 1993,170). (...)<br />

Es müssen folgende Merkmale vorliegen (WHO 1993,235):<br />

• Feindliche oder misstrauische Haltung der Welt gegenüber<br />

• Sozialer Rückzug<br />

• Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit<br />

• Chronisches Gefühl von Nervosität wie bei ständigem<br />

Bedrohtsein<br />

• Entfremdung


Traumafolgestörungen<br />

Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)<br />

(ICD-10 F44)<br />

Als Hauptmerkmal dissoziativer Störungen gilt die „Unterbrechung der<br />

normalerweise integrativen Funktion des Bewusstseins, des<br />

Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt“ (Bittner<br />

2005).<br />

Das ICD-10 nennt folgende dissoziativen Störungen:<br />

• Dissoziative Amnesie (ICD-10 F44.0)<br />

• Dissoziative Fugue (ICD.10 F44.1)<br />

• Dissoziativer Stupor (ICD-10 F44.2)<br />

• Trance und Besessenheitszustände (ICD-10 F44.3)<br />

• Dissoziative Störungen der Bewegung und der Sinnesempfindung (ICD-10 F44.4-F44.7)<br />

• Sonstige dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) (ICD-10 F44.8)<br />

• Multiple Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F44.81)<br />

• Nicht näher bezeichnete dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) (ICD-10 F44.9)


Traumafolgestörungen<br />

Persönlichkeitsstörungen (ICD-10 F60.x / F61)<br />

Persönlichkeitsstörungen beginnen in der Kindheit oder<br />

Adoleszenz und manifestieren sich endgültig <strong>im</strong><br />

Erwachsenenalter.<br />

Sie umfassen tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die<br />

sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und<br />

soziale Lebenslagen zeigen.<br />

Man findet deutliche Abweichungen <strong>im</strong> Wahrnehmen, Denken,<br />

Fühlen und in Beziehungen zu anderen.<br />

Häufig gehen sie mit persönlichem Leiden und gestörter sozialer<br />

Funktions- und Leistungsfähigkeit einher. (WHO, 1993, 225ff.)


Traumafolgestörungen<br />

Das ICD-10 nennt folgende Persönlichkeitsstörungen:<br />

•paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.0)<br />

•schizoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.1)<br />

•dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2)<br />

•emotional instabile Persönlichkeitsstörung<br />

<strong>im</strong>pulsiver Typus (ICD-10 F60.30)<br />

Borderline Typus (ICD-10 F60.31)<br />

•histrionische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.4)<br />

•anankastische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.5)<br />

•ängstlich (vermeidende) Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.6)<br />

•abhängige Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.7)<br />

•sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.8)<br />

•nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.9)<br />

•kombinierte und sonstige Persönlichkeitsstörungen (ICD-10 F61)


Sonstige mögliche Traumafolgen:<br />

• Abhängigkeitserkrankungen<br />

• Essstörungen<br />

• Depressionen<br />

• Angststörungen<br />

Traumafolgestörungen<br />

• Zwangsstörungen<br />

(häufig Komorbidität, insbesondere mit Abhängigkeitserkrankungen)


Trauma und Sucht<br />

Trauma und Sucht<br />

Studien von S<strong>im</strong>pson und Miller, 2002:<br />

• Bis zu 67 % der weiblichen und bis zu 29 % der männlichen Patienten<br />

in Suchtbehandlung haben in der Kindheit sexualisierte Gewalt erlebt<br />

• Etwa ein Drittel der Patienten hat Gewalterfahrungen in der Kindheit<br />

gemacht<br />

• Suchtpatienten haben deutlich häufiger als Erwachsene eine<br />

Traumatisierung erlebt<br />

Kendler et al., 2000: Zwillingsstudie (an Frauen):<br />

Gab es sexuellen Missbrauch in der Kindheit, ist die Wahrscheinlichkeit<br />

bis zum 6,5fachen erhöht, später alkohol- oder drogenabhängig zu<br />

werden.


Trauma und Sucht<br />

Ranner, 2003:<br />

Trauma und Sucht<br />

Bei der Betrachtung von 130 Patientinnen, die in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Furth</strong><br />

zur stationären Langzeitentwöhnung in der Abteilung Sucht<br />

aufgenommen waren, zeigte sich, dass 40% von ihnen angegeben<br />

hatten, in ihrem Leben einmalig oder wiederholt sexualisierte Gewalt<br />

erlebt zu haben. Die traumatischen Erfahrungen beinhalteten<br />

sexualisierte Gewalt in der Kindheit, sog. Missbrauch, versuchte oder<br />

stattgefundene Vergewaltigungen als Jugendliche oder Erwachsene<br />

oder Vergewaltigungen in der Ehe


Trauma und Sucht<br />

Sonstige mögliche Traumafolgen:<br />

Schäfer (2006) und auch Kuhn (2004) konnten feststellen, dass<br />

Abhängigkeitserkrankungen in starkem Zusammenhang mit<br />

Traumatisierungen gesehen werden müssen.<br />

MacMillan et al. (2001): 33% (Kontrollgruppe 19%) der untersuchten <strong>Männer</strong> mit<br />

Erfahrung sexuellen Missbrauchs waren alkoholmissbrauchend/-abhängig,<br />

24% (Kontrollgruppe 18%) der untersuchten <strong>Männer</strong> mit Erfahrung körperlicher<br />

Misshandlung waren alkoholmissbrauchend/-abhängig.<br />

Kessler et al. (1997): Lebenszeit-Prävalenz für eine PTBS von 5% bei <strong>Männer</strong>n<br />

und 10,4% bei Frauen. 88% <strong>Männer</strong> und 79% Frauen mit einer PTBS zeigten<br />

zudem eine enorm hohe Rate weiterer psychiatrischer Störungen. Die Chance<br />

für einen Alkoholmissbrauch lag für <strong>Männer</strong> bei 2,06. In der Mehrheit der Fälle<br />

ging die PTBS-Symptomatik dem schädlichen Konsum voraus.


Sonstige mögliche Traumafolgen:<br />

Eine Auswertung der Diagnosen 2006 vs. 2012 bei männlichen<br />

Patienten der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Furth</strong> <strong>im</strong> <strong>Wald</strong> ergab folgende Zahlen<br />

(Bachmeier, 2013):<br />

Hauptdiagnosen<br />

Trauma und Sucht<br />

2006 2012<br />

N=702 N=637<br />

F10.X 88,9% 87,8%<br />

F1X.X 1,9% 5,5 %<br />

F63.0 0,0% 2,2%


Trauma und Sucht<br />

Sonstige mögliche Traumafolgen:<br />

2006 2012<br />

Männliche Patienten N=702 N=637<br />

Nebendiagnosen<br />

F32, F33, F34.1 22,9% 41,9%<br />

F40, F41 6,0% 6,9%<br />

F43.1 1,9% 3,9%<br />

F44 0,1% 0,2%<br />

F45 0,4% 3,1%<br />

F60 5,4% 5,2%<br />

F62.0 0,0% 0,0%


Trauma und Sucht<br />

Erklärungsmodelle<br />

• Sucht als Selbstheilungsversuch (Selbstmedikationshypothese)<br />

(Kontrolle über Erinnerungen und negative Gefühle;<br />

Möglichkeit, positive Gefühle zu erleben; am Leben teilnehmen<br />

können durch Reduktion von Selbstunsicherheit und Scham)<br />

• Hochrisikoverhalten bei Drogenabhängigen (Unfälle,<br />

milieubedingte Gewalt…)<br />

• Erhöhte Sensibilität:<br />

Drogenkonsum macht anfälliger für PTBS, Thematik kann wegen<br />

des Konsums schwerer verarbeitet werden


Trauma und Sucht<br />

Patientenbefragung Mai 2013 (Ranner)<br />

154 männliche Patienten erhielten einen Fragebogen<br />

anonyme Befragung nach schl<strong>im</strong>men Erlebnissen in der Vorgeschichte<br />

Rücklauf: 66,9 % (davon auswertbar: 58,4 %)<br />

keine schl<strong>im</strong>men Erlebnisse: 16,9 %<br />

schl<strong>im</strong>me Erlebnisse: 41,6 %<br />

die Gruppe, die schl<strong>im</strong>me Erlebnisse in der Vorgeschichte hatte, wurde<br />

gebeten, den IES (Impact of Event Scale nach Horowitz) auszufüllen<br />

24 % der 154 männlichen Patienten zeigen Hinweise auf das<br />

Vorliegen einer mittelgradigen bis schweren PTBS


Wege der Heilung<br />

Möglichkeiten und Grenzen in der stationären<br />

Suchttherapie<br />

Behandlungsbausteine:<br />

Therapie ist ein komplexes Geschehen, das <strong>im</strong> Verständnis der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Furth</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Wald</strong> skizziert werden kann durch folgende vier Elemente des Therapieprozesses:<br />

Verstehen – Entscheiden – Ändern - Stärken<br />

Schritte der Traumatherapie:<br />

Stabilisieren – Konfrontieren - Integrieren<br />

Suchtmittel als „Krücke“ – Zweck herausarbeiten und ein Stattdessen finden<br />

Stabilisierungstechniken als Alternative zum Suchtmittelkonsum<br />

Verzahnung von Suchtbehandlung und Traumabehandlung


Wege der Heilung<br />

Traumaspezifische Angebote in der <strong>Fachklinik</strong> <strong>Furth</strong><br />

•Ressourcenorientierte Psychotherapie in der Einzel- und Gruppentherapie<br />

•Indikativgruppen „Traumabewältigung“ (Skillstraining), getrennt für Frauen<br />

und <strong>Männer</strong>:<br />

Ziel: Stabilisierung<br />

Inhalte: Psychoedukation, Achtsamkeitstraining, Bewegungsübungen,<br />

Imaginationsübungen (Tresor, Sicherer Ort), Erstellen eines „Notfallkoffers“,<br />

Bewusstmachung eigener Ressourcen<br />

Motto: „von der Ohnmacht zur Kontrolle“<br />

Wichtig: keine Schilderung des Erlebten, um Retraumatisierung und<br />

Intrusionen zu vermeiden<br />

•In Einzelfällen: Traumakonfrontation und Integration


Wege der Heilung<br />

Ziel der Traumatherapie:<br />

Symptomreduktion<br />

Verbesserung der Lebensqualität


Dirk Bange:<br />

Wege der Heilung<br />

Auch Indianer kennen Schmerz.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!